Alles muss Rausch - Thomas C. Breuer - E-Book

Alles muss Rausch E-Book

Thomas C Breuer

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Beschreibung

Zwischen 2013 und 2018 erfreute das Literarische Kabarettprogramm "Kabarett Sauvignon" Menschen zwischen Hamburg und Luxembourg, Los Angeles und Salgesch im Wallis. Mit rund 230 Aufführungen war es das erfolgreichste Bühnenprogramm des Autors Thomas C. Breuer. Die Welt des Weines dreht sich wie die große immer weiter, Trends, Geschmäcker und auch Probleme ändern sich, neue Themen wie Klimawandel oder Weindiebstahl wollen beachtet sein – so kann es nicht ausbleiben, dass neue Texte entstehen. Eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind lustig – und niveauvoll.

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Thomas C. Breuer, Jahrgang 1952, bereiste über vier Jahrzehnte als Kabarettist Bühnen in Deutschland, der Schweiz und Nordamerika. Nebenher arbeitete er fürs Radio, u. a. SWF3, HR, WDR und fürs Schweizer Radio SRF1. Den Salzburger Stier als bedeutendsten Radio-Kabarett-Preis im deutschsprachigen Raum erhielt er 2014. Die Zahl seiner Buchveröffentlichungen soll bei annähernd vierzig liegen. Seit 2003 lebt er in Rottweil, wenn er nicht mit der Deutschen Bahn oder den SBB unterwegs ist, seit 2019 vorwiegend als Verfasser und Vorleser eigener Texte und als Gelegenheitsprivatier.

Thomas C. Breuer

Alles muss Rausch

LINDEMANNS

für Beatrice und Celia,

und für meinen Freund Hans,

für Vincent und

meinen Lieblingswinzer Uli Stein

The Klimawandel

Die Reben treiben heutzutage im Schnitt sieben bis acht Tage früher aus als auch schon.

Die Traubenreife wird etwa zwölf Tage eher erreicht als seinerzeit.

Die Weinlese beginnt heuer 15 Tage früher als noch vor fünfzig Jahren.

Der letzte Weihnachtsmarkt in Rottweil fing bereits am 24. November an, und das war schon der vom kommenden Jahr.

Wenn das so weitergeht, kommt der Jahrgang von 2031 bereits im Jahre 2028, jedenfalls deutlich vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof.

Die Klimabedingungen ändern sich drastisch. Winzer bräuchten jetzt eine gute Rebensversicherung. Zuletzt ging 2020 eine lange Dürre durchs Land, die man bis auf den heutigen Tag nicht identifizieren konnte, man vermutet: irgendein Model. Die Sonne lieferte mehr Schein als Sein, mitunter war es derart trocken, dass man feuchten Kehricht unter die Böden mischen musste. Durch die stärkere Sonneneinwirkung besteht für die Reben erhöhte Sonnenbrandgefahr. Ob die Trauben allerdings noch schmecken, wenn sie mit Sonnenmilch eingecremt werden müssen, ist die Frage. Andererseits steigt durch vermehrte Sonneneinwirkung der Alkoholwert der Trauben, d. h. man kriegt vom Geschmack der Sonnenmilch weniger mit. Bei hohen Temperaturen produzieren die grünen Rebblätter besonders viel Zucker bei gleichzeitigem Abbau von Säure. So gesehen spielt der Klimawandel dem Alkoholiker in die Kehle: Der Alkoholgehalt steigt insgesamt. Aber darf man sich darauf verlassen?

Bei Trockenheit hilft es jedenfalls nicht, im Internet nach „Regengott in deiner Umgebung“ zu suchen. Muss man auch nicht: 2021 war überraschenderweise derart nass, dass mancherorts nicht einmal eine Fußbodenheizung geholfen hat. Ebenso wenig trockener Humor. Manche wollten den Wingert mit speziellen Windeln trockenlegen. Das Problem: Starkregen schwemmen die Humusschicht weg, anders formuliert: Erosion hat mit Eros nichts zu tun. Häufig sind die Böden stark mit Pestiziden belastet, und viele von ihnen können damit einfach nicht umgehen. Zumal der Boden – egal, ob bockelharter Harnstein, Waschbeton oder simpler Ausmergelboden – manchmal verkalkter ist als viele, die mit Wein zu tun haben.

Jedes Jahr stellen sich die Probleme neu, müssen die Winzerinnen und Winzerer (in der Folge als Abkürzung: W & W) neu entscheiden: Lockerbeerigkeit gegen Dichtestress, ökologische Vielfalt versus önologische Einfalt. Die konventionellen unter ihnen setzen auf pilzwiderstandsfähige Sorten wie Johanniter, Sauvignac oder Solaris und bemühen sich, die Trauben nicht in der Nähe von Pfifferlingen, Champignons oder Shitake-Pilzen zu lagern. Andere versuchen, den Schadstoffeintrag zu minimieren, indem sie zumindest die Stöcke ungespritzt in den Boden rammen.

Immer mehr Winzer betreiben Ganzheitlichkeit in Teilzeit. Im Gegenzug dürfen sie Rankhilfe beantragen. Manche gehen dabei so weit und versuchen, ihren eigenen Carbon Footprint mit Low Carb-Diät künstlich niedrig zu halten. Ihre H2O-Bilanz ist dabei tadellos und absolut barrierefrei. Die Begrünung steigert die Bodenfruchtbarkeit, die Begelbung eher die Bodenfurchtbarkeit. Angeblich sind Pheromonfallen ein Erfolgsgarant gegen Schädlinge, wobei nur wenige Weinbauern je ein Pheromon haben fangen können. Hilfreicher wäre da schon ein genereller Lockdown – so gelangen Traubenwickler z. B. nicht mehr zur Paarung.

Vorbildlich die Entwicklung in Chile. Dort hatte der Weinbau Jahrzehnte lang Probleme, seit die Arauka-Indianer bei ihrem Aufstand 1598 vor allem Weinberge südlich des Bío-Bío-Flusses zerstörten. Heute wird in dieser Region vorwiegend ökologischer Weinbau betrieben und als Bio-Bío-Bío-Wein vermarktet.

Homöopathisch veranlagte Winzer schwören auf Heilkräuter wie Baldrian, Schafgarbe, Matronenmelisse oder Brennnessel, andere setzen Cannabis ein, um den Weinstock – und nicht zuletzt sich selbst – in eine positive Stimmung zu versetzen. Auf der Basis eingeäscherter Schädlinge fertigen sie einen palmölfreien Sud an, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten, oder zelebrieren Räucherrituale, um die bösen Weingeister fernzuhalten. Für wieder andere ist der Mondzyklus entscheidend: Weinlese bei abnehmendem Mond oder zunehmendem Bauchumfang – das gilt aber nur für diejenigen, die nicht hinter dem Mond leben. Vieles geht auf Rudolf Steiner zurück, mit so einem Nachnamen muss sich ja einer mit Böden auskennen. Eurythmie im Weinberg ist allerdings nicht jedermanns Sache, vor allem, wenn man den Namen der Rebsorte tanzen muss. Um die Chemie nachhaltig fernzuhalten, muss selbige zwischen Rebstock und Winzer, zwischen Rostock und Weingarten stimmen. Darüber hinaus ist der Gesetzgeber gefordert: So sollte der Falsche Mehltau nur noch mit Echtheitszertifikat Gültigkeit haben.

An sich harmlose Unkrautvergehtnichtungsmittel können von einem Moment auf den nächsten einen Stimmungswechsel durchlaufen. Den synthetischen Pestiziden ist es so ergangen, die vor allem das Bordelais heimsuchen, aber auch bei uns immer häufiger auftauchen: Wären hier organische Pestizide nicht viel gesünder? Andererseits sollte man bitte schön nicht vergessen, dass „gift“ im englischen „Geschenk“ bedeutet. Oder auch: Talent. Geschenkt. Wie dem auch sei: Als Fazit – und das muss man deutlich sagen – ist die globale Erwärmung doch wesentlich besser als eine lokale Erkältung.

Der Weinberg als Biotop

Vor nicht allzu langer Zeit wurde ein Teil des südlichen Burgbergs in Meißen von der Sächsischen Landesstiftung Natur und Umwelt als Anbaufläche reaktiviert. Warum? Ganz einfach: Der Weinberg in seiner Eigenschaft als Natur- und Kulturerbe fungiert klag- und selbstlos als Lebensraum für mannigfaltige Geschöpfe und vielerlei Gepflanz. Bekanntlich ist in Steillagen die Bewirtschaftung nur möglich, wenn die Weinberge terrassiert und durch Trockenmauern gesichert werden. Darin herrscht ein optimales Mikroklima für Flora und Fauna: Während sich die Steine im Außenbereich morgens rasch erwärmen, bleibt es im Inneren angenehm kühl. Weil Weinberge zudem die Südlage bevorzugen, bieten sie wärmeliebenden Tieren, Rentnern und Pflanzen Zuflucht.

Biotope sind top, ihr Artenreichtum ist phänomenal. So blüht im Wingert der Weiße Mauerpfeffer, der den Larven des Apollofalters als Futterpflanze dient, Schmetterlingen allgemein, mit ihren überbordend poetischen Namen: Sauerampferfeuchthalden-Goldfalter oder Brauner Trockenrasen-Dickkopf. Hier flattert der Trockenhauben-Tagtraumfalter, dort das Landkärtchen. Im vollendeten Butterfly-Stil umschwirren sie Wilde Tulpen, Weinbergpfirsiche, Traubenhyazinthen, den Nickenden Milchstern, den Weinberg-Lauch sowie Wildkräuter wie Majoran, Dummerjan und Schlendrian. Etwas behäbiger brummt die Natternkopf-Mauerbiene heran, gefolgt von der Pillenwespe. Mäusebussarde finden reichlich Nahrung, und auf den Mauern kringeln sich Schlingnattern, über die Steine wieseln Mauereidechsen, Spiegeleidechsen und Scheusalamander, die Trockenmauer bietet eine letzte Heimstätte für die Zauneidechse, denn machen wir uns nichts vor: Hier tummelt sich die Crême de la Crême der Roten Liste, u. a. die Gottesanbeterin, die Rotflügelige Ödlandschrecke oder der Zweiundzwanzigpunkt-Marienkäfer.

Sind sie auf ewig dahin, die milden Tage, da sich Bläulinge und Rohlinge torkelnd in die Lüfte erhoben, weil sie zu viel von den vergorenen Trauben genascht hatten? Noch gibt es in Mitteleuropa an die dreitausend Arten, aber das ist bitterwenig. Der Mensch muss dringend reagieren, andererseits sollten die Schmetterlinge sich natürlich dringend etwas einfallen lassen, denn einfach aussterben kann jeder. Fast ist man geneigt, ihnen zuzurufen: „Falter und Larve, wacht auf!“

Leider hat sich die Attraktivität des Lebensraumes Weinberg auch anderswo herumgesprochen. So zieht es Insekten aller Art und vor allem Unart unwiderstehlich in unsere Breiten. Was die Vogelwelt freut, entsetzt die Winzer. Die bunte Welt der Kerbtiere bedroht den Wingert unablässig mit neuen Feinden, aktuell Popilla japonica, der bereits zur internationalen Fahndung ausgeschrieben wurde: Der Japankäfer gehört in der EU zu den zwanzig prioritären Schadorganismen. Wie aber hat der Käfer hierher gefunden? Meist gelangt er durch Einschlepperbanden über das in dieser Hinsicht viel zu laxe Italien – in vorliegendem Fall über die Lombardei. Ersten Schätzungen zufolge hat er im Gorgonzola-Nationalpark sieben Prozent aller Tannine vernichtet, nachdem er bereits die Bestände auf der japanischen Halbinsel Kijimea verputzt hat. Leider ist er polyphag – auf dem Speisezettel stehen daher nicht nur Klischeegerichte wie Sushi, Miso oder Ramen –, er tendiert zum Kahlfraß bei Früchten wie Menschentrauben, Augäpfeln oder Anpflaumen. In jüngster Vergangenheit kam die Kirschessigfliege über uns und wurde 2021 wenig überraschend zum »Schädling des Jahres« gekürt, noch vor Bernd Höcke von der AfD.

Ein Lichtblick: Experimentierfreudige W & W erhalten für die Neuzüchtungen von Reben mit besserer Resistenz gegen Krankheiten und Schädlinge Zuschüsse der Deutschen Genbank Reben. Ein anderes Thema wird viel zu wenig berücksichtigt: Der Weinberg mag vielen Kreaturen als Schutzzone dienen, W & W schützt er nicht. Das ist ein gefährliches Leben, tagtäglich haben sie mit Angriffen von Tieren, mit Giftanschlägen und neuen EU-Verordnungen zu kämpfen. Die Gewerkschaft der Rebentätigen GRT hat gerade erst ihre Forderungen nach mehr Sicherheit im Wingert neu formuliert und dabei den Ton deutlich verschärft, nachdem sich in der Vergangenheit unschöne Begegnungen mit Wildschweinen gehäuft haben. Das Wildschwein ist so ungefährlich nicht, es attackiert Menschen gleich welchen Geschlechts oder Orientierung. Wenn das Weibchen, die Bache, angreift, weil sie ihre Frischlinge bedroht sieht, kann alles rasch bachab gehen. Keiler hingegen versuchen Menschen umzuschmeißen, um anschließend den Körper mit den scharfen Eckzähnen im Gebrech (oder Gewaff) säuberlich aufzutrennen. Das kann unangenehm werden. Ihren schlechten Ruf haben sie hauptsächlich der Tatsache zu verdanken, dass sie in Sachen Ordnungssinn echte lowperformer sind und sich zunehmend verhaltensauffällig benehmen, wobei sie sich als echte Allrounder erweisen: Den Weinberg graben sie ebenso beherzt um wie das Maisfeld, hinzu kommen regelmäßige Verstöße gegen das Grunzgesetz.

Nicht zu unterschätzen sind freilaufende Lamas, die eigentlich als Erntehelfer in unwegsamem Gelände vorgesehen waren. Einige Exemplare konnten ihrem Gehege entkommen und haben sich in Gottes freier Natur vermehrt vermehrt. Mit der Wildcard kommen sie praktisch überall rein, spucken Trauben an, urinieren auf Rebstöcke und beeinflussen dergestalt die Qualität. Zeit, dem Spuck ein Ende zu bereiten.

Biowein

Natürlich Biowein, was denn sonst? Biologischer Anbau, das ist schonender Umgang mit Wasser und Boden. Sogar die Trauben werden mit Schonbezügen ausgestattet. Die Trauben sind einfach glücklich, wenn sie den Rebstock verlassen. Hand drauf.

Keine Schädlingsbekämpfungsmittel aus dem Ausland gegen Pilzerkrankungen, Finger weg vor allem von Budapestiziden. Überhaupt allem, und ich sage das ungern, was derzeit aus Ungarn kommt. Spitzenweingüter statt Spritzenweingüter. Keine Gentechnik. Gen hat mit genial nichts am Hut. Biowein ist porentief rein, das ist Purismus ... äh ... pur. Puritanismus?

Blühende grüne Untersaaten und blühender Unsinn bei den Weinbeschreibungen, da unterscheiden sich die Bios nicht von den Produkten traditionell wirtschaftender Kollegen: „Diesen Tropfen zeichnet eine leicht süßliche Note aus, die an ein Leberwurst-Brioche erinnert.“ Die Leberwurst? Das Schwein haben wir persönlich gekannt. Rosalie. Am Schluss haben wir uns geduzt. Das hat mich total berührt.

Natürlich gibt es nur natürliche Traubenabwehrsysteme. Das Prinzip: Nützlinge bekämpfen Nichtsnutzlinge, Raubmilben vertilgen Spinnmilben. Guck mal, Ökowinzer setzen auf den Kreislauf der Natur, im Klartext: Legale Beschäftigung von Schmetterlingen, Vögeln und Käfern auf 520-Euro-Basis. Die können nämlich zwischen den Rebzeilen lesen. Machen die auch.

Ökowinzer und -innen arbeiten ressourcenschonend und tragen so zur Ressourcialisierung des Bodens bei. Der Weingarten wird nur mit leichtem Schuhwerk betreten: Um den Boden zu schonen, keine Insekten zu zermalmen und einen sauguten ökumenischen Fußabdruck zu hinterlassen. In den wohlverdienten Pausen vertilgen er und sie im Wingert nicht mal Spritzgebäck.

Deshalb, hey, ganz klar Biowein. Gut, der hat seinen Preis. Nimm Billigwein zum Vergleich. Die Kosten für Glas, Korken oder Schraubverschluss, Etiketten, Verpackung, Transport und Steuer – das summiert sich. Bei einer Flasche für 1,99 Euro kriegst du den Wein praktisch gratis dazu. Okay, hat was für sich. Egal. Jedenfalls setzen wir uns abends immer um den runden Tisch, in dem Fall natürlich ein Authentisch, in der Mitte ein paar Flaschen „Unterdumpfinger Wurzelstrunk“ – wir saufen regional, versteht sich –, und verzehren dazu selbstgegessenes Brot. Der Alkohol im Körper ist natürlich biologisch abbaubar, d. h. keine Weinkrämpfe am nächsten Morgen. Total gut.

Coronawein

Natürlich hat die Krise die Winzer hart getroffen: 2020 wurden in Italien 150 Millionen Liter Wein mehr eingelagert als im Vorjahr. Der Branchenverband forderte eine „Notfall-Destillation“ – der Wein solle in Desinfektionsgel verwandelt werden. Schade, dass Jesus das nicht mehr erleben durfte. Vielleicht kann man, wenn die Zahlen wieder zurückgehen, den Prozess wieder rückgängig machen – gibt es zufällig noch Überlebende der österreichischen Glykol-Experten der 70er-Jahre? Die müssten sich doch mit chemischen Prozessen auskennen.

Viele Winzer haben hervorragend auf die Krise reagiert. Der Pfälzer Emil Bauer kam gleich mit einem Weißburgunder namens Fuck you, Covid raus, und Pfalzpunk aus Edenkoben konterte mit F#ck Corona-Wein. Wobei: Schon seit ewigen Zeiten existiert in Spanien ein Tropfen namens Corona de Aragón, ein Garnacha Tinta, passend zur Tinte, in der wir mittlerweile sitzen. Witze über das mexikanische Corona-Bier will man niemandem mehr zumuten. So weit muss man eh nicht gehen, im Rheingau bietet das Weingut Hulbert einen Corona Rosé an. Bis vor Kurzem gab es Weinflaschen mit folgendem Etikett: „Lockdown, 750 ml Lösung. Empfohlen zur Einnahme im nichtöffentlichen Raum. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie unseren Kellermeister.“ Leider kam dieser Wein von der Ahr.

Die Franzosen haben versucht, mit der These durchzukommen, dass ein guter Tropfen die Gefahr einer Covid-19-Infektion verringert. Möglicherweise, aber nur, wenn man sich in eine Badewanne gefüllt mit Montrachet Grand Cru setzt und diese zu pandemischen Zeiten nicht mehr verlässt. Empfehlenswert der Estomac Derangé aus Pharmacie-les-Bains – dieser Wein zersetzt mit seinen gut eingebundenen Holztönen und seiner animierend gradlinigen Säure Depressionen, hilft bei Koronarverengung und sollte eigentlich verimpft werden.

Der Weinumsatz im Lebensmittelhandel steigt, wenn die Lokale zu sind. Die Kunden tendieren zu teurerem Wein, und der Mengenabsatz hat gerade im Vergleich um sechs Prozent zugenommen, die Verbraucher selbst während der Lockdowns sogar um neun Prozent. Das liegt zum einen an Karl Lauterbach, der zugegeben hat, sich beim nächtlichen Studium der Akten das eine oder andere Glas zu genehmigen. Zum anderen sind Online-Weinproben der Knaller. Hier ein paar Hinweise für diejenigen, denen die Unterschiede zwischen surfen und schlürfen, zwischen Saus und Browser, Domain und Domaine sowie zwischen wirr, virtuell und virtuos nicht so geschmeidig sind.

Grundsätzlich sollten Sie darauf achten, dass Ihr Laptop nicht zu viele Tannine enthält. Bei einer virtuellen Verkostung gehen viele Liter Flüssigkeit durch das Netz, Ihr Gerät sollte folglich hundertprozentig dicht sein und keinesfalls ein Auslaufmodell. Schaffen Sie einen würdigen Hintergrund – my home is my chateau. Bevor Sie die Tropfen herunterladen, besorgen Sie sich die Aroma-App. Ein Problem: Wie ermittle ich den besten Wein, wenn meine Nase von einer Maske verhüllt ist? Lassen Sie sich davon nicht runterziehen – die Maske einfach mal kurz runterziehen. Umgekehrt ist die Maske nützlich bei Rückständen wie Weinstein, oder, wie wir zärtlich sagen: Kaliumhydrogentartrat, denn da kann sie gut als Filter dienen. Moment mal – Weinstein, sitzt der nicht im Knast? Anyway. Ähnliches gilt für rote Tropfen, dort sagt man bei Rückständen: Depot. Insofern ist Jacques Wein Depot eine interessante Namenswahl. Bei Rotwein empfiehlt sich generell, die Flasche circa eine Stunde vorher zu kontaminieren. Passend zum Internet-Auftritt empfehlen sich Netzstrümpfe. Bitte nicht nur die Etiketten, vor allem die Netiquette beachten und unter keinen Umständen versuchen, mit der Zuckerpuppe aus der What’s-App-Gruppe anzubandeln. Lassen Sie sich andererseits nicht verapplen. Öffnen Sie alle Viertelstunde Ihre Windows und lüften Sie ordentlich durch!

Positiver Nebeneffekt: Auf dem Weg vom Verkostungstischchen zum Badezimmer wartet keine Polizeistreife. Für alle Fälle die Promille-App aufs Handy laden und einfach draufblasen. Sie müssen den verkosteten Wein nicht unbedingt ausspucken, bei so vielen Gesichtern auf dem Schirm ist die soziale Kontrolle schwieriger, und wenn man sitzt, kommt es glücklicherweise nicht zu sehr auf die Balance an – Sie sind schließlich der Endanwender. Online-Zulöting ist der Kollateralnutzen der Pandemie, hier können sich Weinliebhaber zum Social Distancing treffen, notfalls auf der Isle of Skype. Sie werden sehen, die oft ermüdend lange Zeitspanne zwischen Detox und Retox vergeht im Nu.

Deutscher Wein

I.

Vom Rheingau einen Kübel –

Mann, wird einem übel.

Ein Tropfen aus dem Kraichgau

macht alle rasch recht bleich au.

Beim Fläschle aus Südbaden

verliert man gleich den Faden.

Fürs Fässle aus der Ortenau

fehlt es dir flugs an Worten au.

Vom Markgräfler ein Tröpfle

und schon rotiert das Köpfle.

Extremer wirkt der Kaiserstühler,

mal wird einem heiß, mal wird es kühler.

Zum Viertele aus Württemberg

fällt niemandem ein Reim zu ein.

Versucht man’s halt mit Schwaben

fressen einen die Raben.

Der Wein aus Unterfranken

macht kränker selbst die Kranken.

Ein Spritzer Unstrut-Wein

friert selten Unmut ein.

Den Sachsen-Wein, ganz lässig

kippt runter man wie Essig.

II.

Doch da, die Mittelmoselreben

wecken Tote selbst zum Leben.

Vom Saarwein drei Karaffen

stärken Muskeln. Selbst die schlaffen.

Beziehungsweise andernfalls

der Grauburgunder aus der Pfalz.

Ein Gläschen aus Rheinhessen:

Den Tag darfst du vergessen.

Ein Liter von der Ruwer

bringen dich an jedes Ufer.

Der Rotwein von der Ahr

selbst große Mengen kaum Gefahr.

Vom Wein der Unterlahn

putzmunter, mit Elan.

Der Wein vom Mittelrhein

darf gern das letzte Mittel sein.

Ein Fuder von der Nahe,

der geht wohl jedem – äh – nahe.

Als Erlösung unseres Elends:

Ein trockner Riesling von der Alsenz.

Deutschland

„Der Bundestag ist eine unglaubliche Alkoholikerversammlung, die teilweise ganz ordinär nach Schnaps stinkt.“ Preisfrage: Wem haben wir diese Erkenntnis zu verdanken? Natürlich Joschka Fischer, kurz nach seiner Einschulung in den Deutschen Bundestag, A. D. 1983. Damals gab es noch Wahlbeteiligungen von um die 80 %. Heute gleichen Wahlbeteiligungen eher Wahlbeleidigungen. Selbst Günther Oettinger strahlte seinerzeit eine gewisse Kornkompetenz aus, hatte er bereits im Jahre 1991 seinen Promilletest summa cum laude mit 1,4 Promille absolviert ... oder Prozent – wer weiß das noch genau? Damals hörte man überall Sätze wie »Brüderle, zur Tonne, zur Freizeit!« Julia Klöckner – kaum waren die Tage als Weinkönigin und Sommelière vorbei – zack: Karriereknick mit Politik. Wenn die Promille runtergehen, folgen die Prozente. Sowieso: Zwei Drittel ihres Umsatzes machen deutsche Winzer mit Discountern. Die Deutschen trinken, als würden sie blasenfrei tanken – so war das jedenfalls bisher. Über Jahrhunderte hinweg haben sie sich damit zufriedengegeben, Kräuter ausschließlich in Form alkoholischer Getränke zu sich zu nehmen, Sechsämtertropfen z. B., wobei eigentlich niemand sagen kann, welche Ämter genau daran beteiligt sind.

„Politiker bewegen sich in einem Umfeld, wo es mehr Anlässe mit Alkohol gibt. Manche sind dieser Versuchung nur mäßig gewachsen. Auch der soziale Druck zum Alkohol-Konsum ist sicher größer.“ Hat wer gesagt? Der Schweizer Nationalrat Philipp Hadorn, nebenberuflich Präsident des Blauen Kreuzes. Legendär sind Schweizer Promillefahrer wie Sarah Bösch, Erich Hess – gelernter Camioneur und Nationalratsmitglied – oder der Jung-SVPler Julien Hertli, der A. D. 2013 mit 1,45 Promille einen Spitzenwert erzielte. Bundesrat Guy Parmelin ist Winzer und souverän im Abgang. Die SVP hat zwar ein eindeutiges Übergewicht, aber die anderen halten mit: CVP-Nationalrat Alois Gmür trinkt als Brauer nach eigenem Bekunden einen Liter Bier pro Tag. Der Freisinnige Filippo Lombardi bestand 2005 seine Fahruntüchtigkeitsprüfung mit Bravour. Diese Menschen haben den Namen „Blue Man Group“ mit einer völlig neuen Bedeutung ausgestattet. Auch in Militärkreisen wird gesoffen: Daher der Ausdruck »strammstehen«. Nur sind das leider Ausnahmen. Heute jammern Politiker bekanntlich darüber, dass sie die Menschen draußen im Land nicht mehr verstehen. Wie denn auch, wenn sie selbst ständig stocknüchtern sind?

Zurück nach Deutschland: Es war Willy Brandt, selbst ein fruchtbarer Roter, der gesagt hat: »Wer nur vier oder fünf Flaschen Wein im Keller hat, hat relativ wenig. Wer aber vier oder fünf Flaschen im Kabinett hat, hat relativ viel.« (Bekannt als „Brandt’sche Relativitätstheorie“.) Ein Suchtexperte namens Hans-Detlef Cabanis, und der hieß wirklich so, hat in den glorreichen Jahren der Bonner Republik festgehalten: »Im rheinischen Politikbetrieb liegt die Quote der Alkoholkranken doppelt so hoch wie in anderen Unternehmen.« Mag sein, aber der Kontakt zur Bevölkerung war damals persönlicher, inniger. Der Wähler verlangt nämlich vom Politiker schlicht das, was er sich selbst abverlangt: Trinkfestigkeit. In Deutschland war lange ein Getränk namens „Aufgesetzter“ in Umlauf, was nebenbei unfreiwillig Auskunft erteilte über die Stimmungslage im Land.

Machen wir uns nichts vor: Wäre Wein verboten, gäbe es hierzulande Traubenbarone, Trollinger Triaden, das Riesling-Kartell und die Merlotmafia (siehe auch: Wine & Crime). Man kann nie wissen – seit einiger Zeit ist die Volvic-Generation am Ruder. Ausgemergelte, karrieregeile Asketen und Asketinnen, die nebenbei Marathon laufen. Nicht, dass die nix nehmen würden, aber Kokain setzt nicht an. Normale Bürger plagen Existenzängste, die Mittelschicht wird zur Beruhigungs-mittelschicht. Andere trinken gegen die Angst, die sich auflöst in Alkohol und ersetzt wird durch die Angst, nicht mehr vom Trinken loszukommen. Allein bei der Magenbitter-Notrufzentrale gingen 2021 circa 7,5 % mehr Anrufe ein. Entzug ist keine Lösung: Auf alles, was mit Zug zu tun hat, reagieren die meisten Deutschen mittlerweile allergisch.

Deutschland im Jahre 1998: 1.114 Tote durch alkoholbedingte Verkehrsunfälle. Zehn Jahre später waren es nur noch 244. Ist vielleicht weniger ein Problem mit trinkenden Fahrern als mit fahrenden Trinkern. Was einen gleich zu der Frage bringt: Alkoholverbot für Fahranfänger oder Fahrverbot für Alkoholstarter? 2018 nahm die Staatskasse allein 377,73 Millionen Euro durch die Schaumweinsteuer ein, Tendenz fallend, 2011 waren es 454 Millionen. Eine weitere Talfahrt würde den Staatshaushalt gefährden. Global trank jeder Mensch 2017 rund 6,5 Liter reinen Alkohol. Deutschland lag weit über dem Schnitt, aber die Zahlen waren schon besser. Da helfen die Schwarzbrenner wenig (oft mit Lizenz, sie brennen aber mehr als erlaubt), ebenso die Geheimbrenner (von vorneherein illegal unterwegs; in den USA nennt man sie „Moonshiner“.) Noch 2006 sind 153.400 Liter hochprozentiger Trinkbranntwein illegal hergestellt worden, aktuelle Zahlen gibt es über die Webseite, die Fachinformationen für die Obst- und Getreidebrauerei verbreitet.

Die Frauen leiden unter Ess-, die Männer unter Trinkstörungen. Männer verstehen unter Gartenarbeit vorwiegend Biergartenarbeit oder trainieren verbissen für die nächste Jägermeisterschaft. Immer beliebter: Online-Drinking. Eine traurige Angelegenheit, wenn man es mit früher vergleicht, wo man in Gesellschaft die Gläser klingen ließ. So mancher Polizist trug eine mittelschwere Alkoholvergiftung davon, wenn er sich von 3,8 Promille bei der Verkehrskontrolle anblasen lassen musste. Vor allem montags, denn Montag war damals Kneipentag, der Tag, an dem man Prozente trinkt. Leider hat Deutschland längst seinen Ruf als 1-A-Technologiestandort beschädigt – Flughafen Berlin, Hauptbahnhof Stuttgart –, zumindest der alkoholische Ruf sollte daher dringend verteidigt werden, bevor das Land dauerhaft Schaden nimmt.