Brücke zwischen Jucken und Zweifelscheid - Thomas C. Breuer - E-Book

Brücke zwischen Jucken und Zweifelscheid E-Book

Thomas C Breuer

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Beschreibung

Thomas C. Breuer ist der Eifel schon seit den Trierer Tagen in den 70er Jahren verbunden, seit bald 10 Jahren kommt er regelmäßig in die Südeifel zum Wandern. Auch Auftritte haben ihn immer wieder in die Gegend geführt, nach Bitburg, Gerolstein, Körperich, Mayen, Prüm oder Roetgen (3 Besucher). Man kann also von einer durchaus funktionierenden Fernbeziehung sprechen. In seinem 34. Buch sind einige (auch satirische) Texte über die Eifel versammelt: Eifelkrimis, Vulkane, Eifelküche ? dazu gewagte Kurzporträts von Städten und Gemeinden ? und, Breuers alte Obsession ? Beschreibungen der bedeutenden Eisenbahnstrecken. Ungewöhnliche Blicke auf die Eifel, frech und frisch und durchaus abendfüllend. 'Ein Schild ist mir immer in Erinnerung geblieben: ?Brücke zwischen Jucken und Zweifelscheid?. Das passte: Auf dieser Brücke habe ich mich zeitlebens zu bewegen versucht. Zweifelscheid entspricht mir, eher jedenfalls als St. Thomas.'

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© E-Book 2016RHEIN-MOSEL-VERLAGZell/MoselBrandenburg 17, D-56856 Zell/MoselTel 06542/5151 Fax 06542/62258Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-89801-843-2Ausstattung: Marina FollmannTitelfoto: Arne Houben (Brohltalbahn)

Thomas C. Breuer

Brücke zwischen

Jucken und Zweifelscheid

Eigensinnige Erkundungen in der Eifel

Rhein-Mosel-Verlag

***

Für Beatrice und Familie Wagner in Geichlingen. Tante Vroni in Kelberg. Malu Dreyer und Klaus Jensen in Trier.

Vielen Dank an Gabriele Adam und Benno Käsmayr für die Überlassung von Textpassagen aus den Büchern »Rhineland Falls« und »Stadt. Land. Blues.«

Foto: Thomas C. Breuer, um 1983

***

»… von welcher Seite man auch hineinkommen mag, nirgend wollen die Leute in der Eifel wohnen … Aber sie schämen sich ihrer mit grossem Unrecht, denn die Eifel ist kein unwirtliches Land, auch weder so einförmig wie der Hunsrück, noch so rauh und wüst wie der Westerwald: Sein Plateau unterbrechen zahlreiche tief und eng eingeschnittene Täler und die vulcanischen Kegel, die aus ihm hervorragen, geben ihm Mannigfaltigkeit, Schönheit und Grösse.«

Karl Simrock, Ein Land alter Kultur, um 1840

Streifzüge durch das Land, wo die Drachen hausen

Früher hätte man vielen Mitmenschen die genaue Lage dieses über 5300 qkm großen Teils des Rheinischen Schiefergebirges erklären müssen. Die Zeiten haben sich geändert, die Eifel ist keine »terra incognita« mehr. Es gibt auch immer mehr Eifel-Experten. Ich zähle leider nicht dazu. Ich wohne nicht einmal dort. Aber muss man eigentlich nahe beim Thema wohnen, um Experte zu werden? In Regierungssitzen wie dem Elysée, dem Weissen Haus oder Downing Street No. 10 wohnen Politiker, und trotzdem haben manche von ihnen vom Metier nicht den Hauch eines Schimmers einer Ahnung von Idee. Experten eignet bisweilen etwas penetrant Besserwisserisches. Vielleicht verklebt Fachwissen die Hirnwindungen. Angesichts einer verheerend dürren Faktenlage musste ich mir bei diesem Buch folglich mit einer Reihe von Behauptungen, sogar ausgesuchten Lügen behelfen, was die Sache andererseits lustiger macht. Ich spreche nebenbei kein Eifeler Platt. Es gibt kein Eifeler Platt. Ich bezweifle, dass jemand aus der Vordereifel den Westeifeler verstehen kann, wenn er sagt: »Den ass mell an da Scherbel!«, was soviel bedeutet wie »Der hat eine weiche Birne!« – Nelches-Birne, versteht sich. Eifeler Platt existiert ebenso wenig wie Schweizerdeutsch, das sich aufdröselt in zigtausend Facetten; in jedem Ort des Kantons Zürich tönt Zürideutsch anders, das gilt schon für die einzelnen Stadtteile von Zürich. Phrasenweise blitzt Trierisches Restwissen bei mir auf, aber selbst das ist lange her. Jedenfalls gibt es viele, die behaupten, genau zu wissen, was alles zur Eifel gehört, wie der Eifler und natürlich auch die Eifelerin tickt. Sie haben übrigens richtig gelesen, denn einig ist man sich nicht einmal in der Schreibweise. Bei Jacques Berndorf kann man Eifler lesen, bei Hubert vom Venn Eifeler, was bei Google auch die meisten Treffer generiert.

Erwarten Sie also keine Fakten, Expertenmeinungen, geschweige denn Expertisen. Das wurde alles schon erörtert. Ebenso wie die seltsame sch-/ch-Lautverschiebung und die eigenwillige Anwendung des Verbs »holen«. Ich weiß nicht, wie die Eifel tickt. Ich bin ein interessierter Allroundlaie und möchte gerne mehr herausfinden, vor allem über den rheinland-pfälzischen Teil. Deswegen mache ich mich auf die Suche, und ein wenig Begleitung ist da hochwillkommen.

Aachen

Das weiß man alles: Erstmals erwähnt wurde Aachen 765 in einem Werbeprospekt für ein Heilbad. Karl der Grosse machte Aachen zu seiner Residenz und ließ regelmässig die legendäre Pfalzkapelle auftreten. Der Dom wurde Krönungsort deutscher Könige und Kaiser bis zu Jakobs Krönung 14-irgendwas. Für Aachen gilt somit, was man auch über Speyer sagt: »Ohne die toten Kaiser wäre hier überhaupt nichts los.« Aachen ist die deutsche Stadt, die dem gespenstischen Brüssel am nächsten liegt. Hier wird Europa folglich als erstes vollstreckt. Deswegen gleich weiter, auch wenn der Überlandbus nach Trier schon lange nicht mehr verkehrt. Aachen ist nur der Ausgangspunkt meiner Streifzüge.

Bleialf

Eifelkreis Bitburg-Prüm

Die Römer waren vor mir hier. Bei ihnen hieß der Ort noch Alfae Plumbum. Streng genommen hielten sie sich im Ortsteil Steinesserich auf, weswegen sie auch bald das Weite suchten, denn Steine essen macht nicht satt. Bemerkenswert drei weitere Ortsnamen: Mützenich (und das bei dem rauen Klima der Schneifel), Hamburg und Pannenbrett. In Bleialf findet sich eine von drei Bleierz-Lagerstätten der Eifel, die alten Bleistiftminen sind heute noch in Betrieb. Den Ortsnamen trägt man erst seit 1584, vorher hieß man »Juppes«. 1885 wurden bei einer Erhebung 2.316 Einwohner gezählt, drei weitere hielten sich aus unterschiedlichen Gründen verborgen. Die Ortsgemeinde hat sich viel von ihrem französischen Charme bewahren können, den Namen »Paris der Schneifel« trägt sie zurecht: Prachtboulevards wie die »Avenue du Buchet« sowie gleich zwei Triumphbögen. Bemerkenswert auch der gleislose Bahnhof.

Prüm

Eifelkreis Bitburg-Prüm

Verwaltungssitz, Verbandsgemeinde, Luftkurort (die Luft ist rein!) und Mittelzentrum (wobei nicht klar ist, welche Mittel bevorzugt werden). Dieser Quattro-Belastung begegnet man mit spielerischer Leichtigkeit. Sowieso ist das Stadtzentrum für den Durchgangsverkehr über 7,5 Tonnen gesperrt. Der Name geht zurück auf das keltische »briman«, was soviel heißt wie »rauschen« oder auch »berauschen«. Nüchtern hält man das Klima hier oben kaum aus.

Kaiser Lothar I. gefiel es allerdings so gut, dass er 855 hier verstarb. 1016 erhielt Prüm Münz- und Marktrecht, Faust- und Pfandrecht kamen zwei Jahre später hinzu. Die traditionellen Stadtbrände wurden sogar ohne Unterstützung der Franzosen abgehalten. 1841 erschien erstmals das Prümer Intelligenzblatt – wie oft, ist nicht bekannt. Dann geht es Schlag auf Schlag: 1892 private Wasserleitung, 1901 Strom, 1908 Kanalisation. Bereits 1883 wurde eine Bahnlinie von Gerolstein eingerichtet, die man kurz vor ihrem 100-jährigen Jubiläum einstellte. Am 15. Juli 1949 sorgte ein Feuer im Kalvarienberg dafür, dass 500 Kilogramm Sprengstoff in die Luft flogen; ein Ereignis, dem man einmal im Jahr mit einem Riesenfeuerwerk gedenkt. Apropos feiern: Ganz in der Nähe wurde übrigens der original-ursprüngliche Karneval erfunden: In der Gemeinde Ellwerath. Es geht auch geistvoller: Unbedingt sollte man in diesem Zusammenhang noch einmal an den großartigen Ulrich Roski erinnern, der im März 1944 in Prüm geboren wurde. Keine sehr gemütliche Zeit, übrigens.

Eintrag in mein Logbuch 1998: »Das Schild mit den Städte­partnerschaften weist noch blanke Stellen auf, da sollten wohl irgendwann welche hinzukommen. Bei Grabsteinen ist das ähnlich. Die Suche nach Kandidaten scheint sich indes dahinzuschleppen, denn die weißen Flecken haben bereits Patina angesetzt. Es ist jedoch ein anderes Schild, das mir die Nackenhaare senkrecht stellt: »Luftkurort«. Von solchen Lokalitäten werden gerne Ansichtskarten verschickt, auf denen nur noch Stimmung, Verpflegung und Wetter angekreuzt werden müssen. Damit man wegen der unablässigen Sauerstoffangriffe nicht zugrunde geht, hat man Pilsstuben eingerichtet, in denen hinter Rauchglasfenstern rund um die Uhr Stumpen, Zigarillos und Zigaretten zum Einsatz gelangen. Prüm hat es zu ein paar Ampeln und einigen Flachdachbungalows gebracht, die man wie eine Gullivertreppe in den Hang gesetzt hat. Die Stadt wurde nach dem Krieg geradezu märklinhaft wieder aufgebaut. Nur die alte Benediktinerabtei hat die Zeitläufe überdauert, regungslos liegt sie mitten im Zentrum wie ein fetter Puter, der mit einem sauberen Schuss vom Himmel geholt wurde. Der Rest des Ortes gluckt träge drum herum. Wenn man tote Steine mag, gibt es hier einiges zu sehen. Im Reiseführer wird der Riesenkrater, der einer Sprengstoffexplosion 1949 zu verdanken ist, als Sehenswürdigkeit geführt. Vieles gemahnt an den Tod: neben dieser Explosion preist man eine Schädelstätte, nicht weit eine Erhebung namens Schwarzer Mann; und die Abtei selbst hat geschichtliche Bedeutung durch die Gebeine Lothars I. erlangt, der hier vor mehr als elfhundertfünfzig Jahren gestorben ist. Die Stadt scheint noch immer zu trauern. Bei der Anordnung der Stuhlreihen im Veranstaltungsraum haben sich die Ortskräfte vom nächstgelegenen Soldatenfriedhof inspirieren lassen. Womöglich bringt die zweimal jährlich stattfindende Umstellung der Uhren von Sommerzeit auf Winterzeit und retour Abwechslung ins Kulturleben. Stimmung, Verpflegung und Wetter sind jedoch in ausreichendem Masse vorhanden, nichts zu meckern. »Ruhe in Frieden.«

Neuerburg

Eifelkreis Bitburg-Prüm

Passiere die Brücke zwischen Jucken und Zweifelscheid. Hier möchte man gerne ein, zwei Brückentage verbringen, aber meine Mission brennt mir unter den Nägeln. Neuerburg ist Sitz der Verbandsgemeinde, die heute Südeifel heisst. 17 Kilometer fährt man bis zum Grossherzigtum Luxemburg, und den Luxemburgern, genauer gesagt den Viandener Grafen, gehörte man auch, was in der Stadtrechts­urkunde von 1332 festgehalten ist. Die Burg wurde schon im 12. Jahrhundert gebaut, 1926 gestaltete der Bund Neudeutschland (katholisch) die Reste der Anlage zu einer Jugendherberge um. Nach dem großen Stadtbrand 1818 wurden Steine aus der Stadtmauer zum Wiederaufbau der Häuser benutzt. Ihr Geld verdienten die Neuerburger als Tuchweber und Gerber, aber auch als Tabakverleiher (Haus Neuerburg). 1907 eröffnete die Bahnstrecke von Pronsfeld, wobei die Eisenbahn leider eher lustlos erschien und nach einer Unterbrechung während des Zweiten Weltkriegs bereits 1969 wieder das Feld räumte. Die Strecke von 25 Kilometern führte auch am legendären Zweifelscheid vorbei, das 1539 als »Tzwyvelschent« erstmals urkundlich erwähnt wird, übrigens keine zwei Meilen von Jucken. Von Pronsfeld wiederum zweigte eine Linie der Westeifelbahn in die Haute-Couture-Metropole Waxweiler ab.

Kloster Christzurlay

»So zoch ich durch Moselland ein / Sie heissen mich Gott‘s Willkumm sein / Und geben mir ihr Speisen. // Sie betten mich wohl und decken mich warm / Die Strassen tun sie mir weisen. Item es ist zu wissen sie allerorts / theilen den Viez und reichen den Porz.«

Als der Santiago-Pilger Hubertus von der Mensa diesen Satz Mitte des 16. Jahrhunderts in das Gästebuch des Klosters Christzurlay eintrug, bestand die Pilgerstätte schon an die siebenhundert Jahre. Auf der Suche nach einer Nichtraucherabtei hatte der Bischof von Trier im Jahre des Herrn 1156 seinen Sitz nach Christzurlay nahe der Bollendorfer Riviera verlegt, direkt vis-à-vis der luxemburgischen Schwarzgeldküste. 1295 ließen sich im verwaisten Anwesen oberhalb der Sauer beherzte Aquavitanermönche nieder, um fortan den zahlreichen Pilgern auf ihrem beschwerlichen Weg durch die sengende Sonne des Sauertals nach Santiago de Compostela mit Verpflegung und Sicherung der Wege vor Räuberbanden zu dienen. Auf der 1.891 Kilometer langen Strecke fand sich sonst nur eine sichere Zuflucht in Gestalt eines Dänischen Bettenlagers bei Tours. Die Mönche legten ausgedehnte Apfelplantagen an, die der Region zu Wohlstand und Ruhm verhalfen. Derzeit ist man mit der Entdeckung und Verbreitung alter Obstsorten wie z. B. dem »Eifeler Rambur« beschäftigt, der eine historische Streuobstvariante des Kulturapfels darstellt. Gar fürstlich wurden die müden Reisenden im Refektorium mit belegten Hostien, St. Jakobs-Kaffee, Franzbranntwein und Melissengeist bewirtet. Das Leben war karg, aber arg; die Mönche mussten sich in jener Zeit noch mit einer Tagesration von 4.000 Kalorien zufrieden geben. Im einschiffigen Oratorium sorgte man für das Seelenheil und im angrenzenden Morpheum durften die Pilger ihre müden Häupter betten oder ausprobieren, welch wundersame Dinge man mit einem Pilgerstab anstellen kann.

Die Christianisierung der Eifel erfolgte ab dem 6. Jahrhundert durch den Impertinenser-Mönch Bruder Christian. Das Kloster Prüm machte den Anfang, rasch folgten Kornelimünster, Maria Laach und das benachbarte Echternach. Christzurlay kam im 7. Jahrhundert hinzu, und in der altehrwürdigen Abteilkirche kann man heute noch den Schrein mit den Gebeinen des ersten Abtes Kurtius bestaunen. Sogar sein Stiftzahn soll dort aufgebahrt liegen. Kurtius ist nicht wenigen Reisenden als Schutzpatron unter dem Namen »Patronen-Kurt« bekannt. Auf Kurtius geht u. a. die Gründung der ersten kurtrierischen Bushaltestelle zurück, als man weiland den Pilgerstrom durch einen geregelten Nahverkehr unter Kontrolle bringen wollte. Die spätgotische Haltestelle wurde 1643 durch ein Antoniusfeuer bis auf die Grundmauern zerstört, steht aber heute noch. Gut erhalten das fünfschüssige Langhaus mit seinem berühmten Fadenkreuz und Dürers legendärer Fingerskulptur, bekannt unter dem Namen »Die brütenden Hände«.

Obwohl mitten in der Walachei, erlebte das Kloster Christzurlay – übrigens unweit der Teufelsschlucht befindlich – seine Blüte im Späthochmittelalter. Mittlerweile ist der Pilgerverkehr Sache der Netflixbus AG, aber noch immer besteht zwischen Christzurlay und Santiago de Compostela eine enge Verbindung. Während andere Klöster ihr Geld mit der Produktion von Nonnenfürzchen eher mühselig erwirtschaften, verschiffen die Mönchsleut den gesamten Biomüll ihrer Plantage nach Galizien, denn in Compostela hat man sich auf alternative Apfelbeseitigung spezialisiert. Bezahlt wird mit Energie. Diese Verbindung, auch »Viez-Connection« genannt, hat der bedeutende Wallfahrer Eusebius Maria Toppmöller angezettelt. In der heutigen Zeit ist das Kloster Christzurlay auch als Schulungszentrum des kurtrierischen Inquisitionsnachwuchses erfolgreich. Ein absoluter Renner ist die CD mit craniosakralen Gesängen aus drei Jahrhunderten. Um das Interesse Jugendlicher zu wecken, nennt man sich bisweilen auch schon »Praystation«. Außerdem wird in den Klöstern rundum der übliche Schnokus für notorische Work-Life-Balancer angeboten: Schweigewochenenden, Crashkurse Meditation oder Ora-et-labora-Wochen, um dem eigenen Körper-Ich zu begegnen. Die Abgeschiedenheit kann durchaus der Bewältigung von Ängsten dienlich sein, in der mitunter irrigen Annahme, so weit ab von allen Verlockungen könne einem nichts passieren. Selbstfindung ist in der gesamten Eifel übrigens auch auf weltlichem Wege möglich, wie z. B. die »weihnachtlich-romantische Fackelwanderung als Auftakt zur Gründung der 1. Selbsthilfegruppe für Burnout-Leidende« in Grosslittgen, sozusagen als Gratwanderung zwischen Spiritualität und Spirituosen. Die Eifel ist ideal für die Selbstfindung, schon Ortsnamen deuten darauf hin: So gibt es an der A1 einen Rastplatz Hetzerath, und der liegt kurz vor Schweich.

Irrel

Eifelkreis Bitburg-Prüm

Irrel ist gemäß Landesplanung als Grundzentrum ausgewiesen, allerdings ist nicht ganz klar wohin. In einer Schenkungsurkunde 714 wird der Ort als ›Erle‹ bezeichnet, wohl um abzulenken vom ›irre‹ in ›Irrel‹. Letztlich ist das irrelevant. Da die Böden nicht furchtbar fruchtbar waren und man sich geographisch in einer Randlage befand, musste man lange Zeit von der Gewinnung von Gerberlohe, also zum Gerben verwendeter Baumrinde leben, wobei bis heute niemand sagen kann, wo man diese gewinnen kann, eine Lotterie in dem Sinne gab es damals noch nicht. Erst mit der Nims-Sauertalbahn kam der Aufschwung, sie ermöglichte den Export von Sandstein, Spülstein und Sauerampfer. Und: Holz. Der Ort wurde im Zweiten Weltkrieg zu 70 % zerstört, zwei der größten Bunker befanden sich hier: Der Katzenkopf- und der Nimsbunker. Nachdem man nach dem Krieg die Eisenbahntrassen abgetragen hat, fahren viele Irreler als Pendler mit dem Auto in die umliegenden Metropolen. Die Landschaft ist grandios, und jedes Irreler Kind ist im Schlaf in der Lage, die berühmten Wasserfälle zu konjugieren.

Bitburg

Eifelkreis Bitburg-Prüm

Bitburg wurde als Raststätte an der Verkehrsachse Aachen-Trier angelegt, das lateinische Wort »beda« steht für Bedarf, wobei hier natürlich der Reisebedarf gemeint ist. Erste urkundliche Erwähnung als »castum bedense«. Die Ansiedlung avancierte rasch zum Zentrum des sogenannten Bidgaus. 1262 erstand man die Stadtrechte. Nur wenige Aufzeichnungen gibt es über die frühe Neuzeit, die werden von den Luxemburgern unter Verschluss gehalten. Die Franzosen erkoren Bitburg zum Hauptort des sogenannten »Wälderdepartements«. 1871 wurde am Ort eine Riesenbrauerei veranstaltet, deren Folgen bis heute unabsehbar sind. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde Bitburg von den Amerikanern zur toten Stadt erklärt. Als Astronaut Buzz Aldrin als zweiter Mensch den Mond betrat, übermittelte er dem Kontrollzentrum in Houston, ihm komme die Gegend irgendwie bekannt vor. Kein Wunder: Aldrin war drei Jahre in Bitburg stationiert gewesen. Die Amerikaner haben sich aus Bitburg weitgehend verabschiedet, immerhin konnte der alte Flughafen einer zivilen Nutzung zugeführt werden: Er dient als Landeplatz für Helikopter-Eltern.

Mitte bzw. Ende der Siebziger Jahre pendelte mein Trierer Freund K. in seiner Eigenschaft als Friedensaktivist regelmäßig hinauf in die Südeifel, hauptsächlich wegen der Raketensta­tionierung der Amerikaner in Bitburg, aber auch, um all diese haarsträubenden Geschichten dokumentieren zu können, die sozusagen als Rahmenprogramm aufgeboten wurden. Die Eifel ist immer Aufmarschgebiet gewesen, nicht erst seit den beiden Weltkriegen. Die Bitburger rühmen sich dafür, bereits den Römern als ›Rastplatz für Truppen‹ gedient zu haben. In Bitburg konnte man diktatorische Anwandlungen unter Laborbedingungen studieren. Wie K. damals witzelte: »Hier braucht die Macht keinen Schalthebel, hier fährt sie Automatik.« Durchaus kabarettreif. Lokalfürsten wie Politiker oder Industrielle arbeiteten da natürlich mit den Verbündeten Hand in Hand. Jeglicher Widerstand, sei es gegen die Lagerung gefährlicher Waffen, das unwürdige Geschachere um Grundstücke inklusive Enteignung bockiger Bauern oder gegen den Besuch Ronald Reagans auf dem Soldatenfriedhof, wurde unverblümt erstickt. Kerosin-Unfälle in der Nähe der NATO-Pipeline, die den Luftwaffenstützpunkt von Antwerpen her versorgten, geschahen derart häufig, dass die Einheimischen den Mötscher Bach in Stinkebach umtauften.

Mitarbeiter des örtlichen Industrie-Platzhirsches durften engagierte Einheimische nicht unterstützen, ohne ihren Arbeitsplatz zu riskieren. Ihnen wurde sogar untersagt, in einer Boutique einzukaufen, deren Geschäftsführerin der linken Szene angehörte. Die Amis waren ebenfalls nicht zimperlich: der Bruder eben dieser Frau war mit einer Soldatin verlobt, die man, als den U.S.-Behörden eine mögliche verwandtschaftliche Verquickung mit der Friedensszene bekannt wurde, von heute auf morgen in die Staaten zurückbeorderte: Bye-bye! Schließlich interessierte sich sogar ein Mann des bedeutendsten deutschen Nachrichtenmagazins jener Tage für die seltsamen Umtriebe. K. recherchierte munter weiter, stets mit der Zusicherung der Redaktion, seine nicht unbeträchtlichen Spesen erstattet zu bekommen, denn er verdiente nur wenig in jener Zeit, Friedensaktivist war nicht eben üppig dotiert, telefonierte sogar der GI-Lady in den Staaten hinterher; leider nahm das bedeutendste Nachrichtenmagazin jener Tage plötzlich ohne Angaben von Gründen Abstand vom Abdruck der Story. Schade, enthielt sie doch alle Zutaten eines Lehrstücks, das in bester deutscher Tradition stand für die Segnungen unserer Nachkriegsgeschichte: Einschüchterung à la »Kauft nicht bei Friedensleuten!«, Opportunismus, Gemauschel, Korruption womöglich, was die Vergabe von Bauland und Aufträgen anging, sicher aber Umweltverschmutzung und bestimmt Lausch- und sonstige Angriffe gegen jeden, der von der Generallinie abwich. Wunderbar. Hier war die Welt wohl exakt so, wie Gott sie geplant hatte. Das jedenfalls glaubten die, die das Sagen hatten. K. hat übrigens nie einen Pfennig gesehen vom bedeutendsten Nachrichtenmagazin jener Tage, bzw. dessen Vertreter. Natürlich haben sich die Zeiten geändert. Die meisten Amerikaner sind abgezogen, K. hat seine subversive Tätigkeit nie geschadet, eine Zeitlang bekleidete er ein hohes Amt in der Landespolitik, und der Redakteur des bedeutendsten Nachrichtenmagazins jener Tage wurde ein erfolgreicher Schriftsteller. Die nie offiziell in Rechnung gestellten Spesen in Höhe von vierhundert Mark warten allerdings noch heute auf ihre Erstattung. Das ließe sich zur Not auch in Euro umrechnen.

Trier

Von den 2016 Jahren Trierer Geschichte habe ich wenig mitgekriegt, aber die viereinhalb von 1976 bis 1980 waren prägender Natur. 1976 stieg die Eintracht in die Zweite Bundesliga auf und ich in die Fortsetzung meiner Buchhändlerlehre ein. Die Liebe zur Eintracht ist geblieben, auch wenn sie sich über Jahrzehnte eher wie Sterbebegleitung anfühlte. Den Grund, warum ich weggegangen bin, können Sie bei der Anreise nachvollziehen: Trier liegt für deutsche Verhältnisse ein bisschen weit ab vom Schuss, obwohl Schüsse hier naturgemäß weniger zu hören sind als in Köln oder Frankfurt, selbst wenn die lange tiefschwarze Stadt über ein Rotlichtviertel verfügt. Sogar ihr Wahrzeichen, die »Porta Nigra« ist schwarz. Trier ist kein Durchlauferhitzer wie Koblenz, man muss schon wirklich hinwollen. In den 70er Jahren konnten wir unsere Grundversorgung an Alkohol, Tabak und Kaffee nur mit Ausflügen ins benachbarte Luxemburg aufrecht erhalten – in 20 Minuten war man über der Grenze, wo man wesentlich weniger zahlte. Wenn nicht gerade nach Terroristen gefahndet wurde. K. allerdings wusste unlängst von einer Begebenheit in Wasserbillig irgendwann in den späten Siebzigern zu berichten, die mir längst entfallen war: Bei der Rückreise von Luxemburg, wir zwei Langhaarige im VW-Käfer, beugte sich wohl ein deutscher Grenzer zur Scheibe auf der Fahrerseite hinunter, die Maschinenpistole im Anschlag, und ich soll ihn durchaus freundlich gefragt haben: »Und? Schon was geschossen heute?«

Heute gibt es natürlich keine Grenze mehr und wenn, würden wir als gutsituierte Herren im Mittelklassewagen wohl nicht mal mehr rausgewunken werden. Mittlerweile liegt Trier mitten in Europa, Belgien und Frankreich sind nicht fern und sogar das exotische Saarland erreicht man binnen einer halben Stunde. Noch schneller ist man in der Eifel.