Alles, was bleibt, bist du - Any Zang - E-Book
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Alles, was bleibt, bist du E-Book

Any Zang

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Beschreibung

Lif fühlt sich in ihrem engen Zuhause gefangen – zwischen einem kontrollierenden Vater, einem frostigen Stiefmonster und dem ewigen Gefühl, nie genug zu sein. Halt findet sie bei ihrer besten Freundin Mia, in der Band und in flüchtigen Momenten voller Musik und Freiheit. Doch als Mia schwer erkrankt und Fay in Lifs Leben tritt, gerät alles ins Wanken: Zweifel, Sehnsucht, der Mut, sich selbst zu zeigen. Zwischen Krankenhausfluren, Bandproben und ersten Küssen sucht Lif ihren Platz in einer Welt, die oft zu laut und zu eng erscheint. Ein Roman über Freundschaft, Verlust und die zarte Kraft des Neuanfangs. Ehrlich, roh und voller Hoffnung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 122

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Alles, was bleibt, bist du

von Any Zang

Kapitel 1: „Danke für nichts, Mittwoch“

Selbstliebe.Was ist das eigentlich? Egozentrik? Selbstverliebtheit? Oder einfach nur die Fähigkeit, sich selbst auszuhalten?

Genau da liegt das Problem. Mein Problem.

Wie soll ich mich akzeptieren, wenn die anderen es nicht tun? Wie soll ich ich selbst sein – so, wie ich gern wäre, so leben, wie es mich glücklich machen würde –, wenn die Welt meine Art zu sein ständig für falsch erklärt? Wenn jeder Blick, jeder Kommentar mir unterschwellig sagt: Du passt nicht. Du bist zu viel. Du bist zu wenig.

Ich denke oft über mich nach. Wahrscheinlich zu oft. Vielleicht lasse ich mich zu sehr von der Meinung anderer lenken. Das selbstbewusste Mädchen, das ich mal war, ist irgendwo verschwunden – Stück für Stück, wie Sand, der durch Finger rinnt. Verschwunden im Schatten der Unsicherheit, der Intoleranz, der Klischees, der Stigmata.Ich weiß nicht einmal, wann genau es gekippt ist. Wann ich mich verloren habe. Aber jetzt stehe ich hier – und alles fühlt sich hoffnungslos an.

Biep. Biep. Biep.

Mein Wecker hämmert los, als wolle er mir persönlich den Mittelfinger zeigen. Verdammt. Schon wieder Mittwoch.

Mittwoche sind wie kalter Kaffee mit Haut: unnötig, ekelhaft und trotzdem immer da. Und meiner beginnt – wie so oft – mit dem Geräusch, das ich am meisten hasse.

Ich starre an die Decke, das monotone Piepen brennt mir ins Ohr. Einen Moment lang überlege ich, einfach liegen zu bleiben. Alles zu ignorieren – Schule, Vater, Welt. Aber Verpflichtungen sind wie lästige Parasiten: Sie krallen sich an dir fest, egal wie sehr du dich wehrst.

Also schleppe ich mich ins Bad, im Halbdunkel, leise, fast auf Zehenspitzen. Vielleicht komme ich an der Tür meines Vaters vorbei, ohne dass er mich bemerkt. Natürlich nicht.

„Nicht vergessen, nach der Schule sofort nach Hause. Du weißt, was zu tun ist.“

Seine Stimme hat den Charme eines militärischen Befehls. Ich nicke nur. Worte bringen nichts – nicht morgens, nicht abends, nie. Diskussionen mit ihm sind wie Faustkämpfe gegen Betonwände: sinnlos und schmerzhaft. In seinem Blick bin ich längst kein Individuum mehr, nur eine wandelnde Pflicht. Tochter zweiter Klasse, mit Option auf lebenslangen Hausarrest.

In der Schule wartet schon Frau Stiefel, unsere Klassenlehrerin. Wenn es ein Gesicht für das Wort „Frust“ gäbe, wäre es ihres. Ihre Lippen sind so fest zusammengepresst, als hielte sie ihre eigene Bitterkeit im Zaum. Sie trägt ihre Weltuntergangsstimmung wie andere ein Kostüm, Tag für Tag.

Heute ist sie besonders in Fahrt.„Ich erwarte, dass ihr euch langsam mal zusammenreißt. Diese Leistungen sind … enttäuschend.“

Mias Blick trifft meinen. Ihre Augen funkeln, ihre Mundwinkel zucken, als müsste sie das Lachen zurückhalten. Ich senke den Kopf, verberge mein Grinsen hinter meiner Hand.Zu spät. Frau Stiefels Blick schnellt zu mir.

„Haben Sie etwas zu sagen, Lif? Oder möchten Sie sich lieber wieder über den Unterricht amüsieren? “

Ihr Tonfall könnte auch eine Beerdigung ruinieren. Ich schüttle den Kopf. „Nein, alles gut.“Natürlich ist nichts gut. Aber hier ist Ehrlichkeit fehl am Platz.

Mia tippt mir mit dem Stift gegen den Arm. Auf ihrem Block steht:„Noch 47 Minuten. Dann Überlebensmodus off.”

Ich muss lächeln. Niemand versteht es besser als sie, düstere Stunden mit Ironie auszuhalten. Ohne Mia würde ich vermutlich jeden Tag im Schulflur implodieren oder heulend in der Bio-Ecke kauern.

Nach dem Unterricht stehen wir draußen im Innenhof. Der Wind reißt an den Blättern, wirbelt sie über den Asphalt. Mia zieht ihre Lederjacke enger um die Schultern, ihre Haare flattern im Luftzug.

„Was ist los, Lif? Siehst aus, als hätt dich ’n Bus überfahren.“Sie wuschelt mir durch die Haare. Ich hasse es – sie liebt es. Zehn Jahre, und nie hat es etwas anderes gebracht als Knoten.

„Danke auch“, murmele ich. „Du solltest ernsthaft drüber nachdenken, ob die Beauty-Branche was für dich ist.“

Sie grinst. Und ich? Ich rolle die Augen. Reflex.

„Mia? Denkst du, es wird besser, wenn das alles vorbei ist? Wenn wir diese Idioten nie wiedersehen? “

Mit Idioten meine ich nicht nur unsere Stufe. Ich meine die ganze Schule – Lehrer inklusive. Alle, die andere kleinmachen, die unsicher machen, die Hoffnungen zertreten wie Kaugummi auf Pflaster.

„Na ja … schlechter wird’s sicher nicht.“ Mia zuckt die Schultern, versucht, ernst zu wirken. „Aber Idioten gibt’s überall. Es sei denn, du besorgst uns ’ne einsame Insel.“

Dann funkelt sie wieder. „Und ich schwöre, wenn Frau Stiefel noch einmal ‚enttäuschend‘ sagt, bewerfe ich sie mit meinem Federmäppchen.“„Bitte tu’s. Ich filme.“

Wir lachen, laut, befreit. Für einen Moment fühlt es sich leicht an.

Doch Mia kennt mich zu gut. Ihr Blick wird scharf, ernst. „Jetzt mal im Ernst, was ist los? Du siehst echt scheiße aus. Hab ich was verpasst? “

Ich starre auf meine Schuhe, spüre, wie Hitze mir ins Gesicht steigt. Atem flach, Augen feucht. Verdammt. Ich will nicht weinen. Nicht schon wieder.

„Komm schon, Lif. Wer war’s diesmal? “Ihre Stimme klingt streng, aber warm. So ist sie, wenn sie merkt, dass es mir wirklich schlecht geht.

Die Worte stolpern mir über die Lippen. „Ich hab’s satt … Ich will hier weg. Alles kotzt mich an. Die Leute, die Schule, dieser ganze Mist … Nie bin ich genug. Nie cool genug, nie schlau genug. Einfach nie genug.“

Tränen brennen. Meine Schminke zerläuft, und es ist mir egal.

Mia sagt nichts. Sie zieht mich nur in ihre Arme, drückt mich fest an sich. Keine Floskeln, keine Phrasen. Nur Nähe. Genau das, was ich brauche.

Mia lenkt mich später ab. „Komm, lass uns Eis essen. Oder Cupcakes. Ich geb einen aus.“Ich schüttle den Kopf. „Geht nicht. Muss lernen. Sonst war’s das mit dem Abschluss.“Mein „Resting-Bitch-Face“ setzt sich von selbst auf. Dann umarme ich sie fest. „Danke, Darling. Wenn alles vorbei ist, nehm ich dich beim Wort. “

Sie lacht, zwinkert. „Aber wehe, du siehst morgen wieder so scheiße aus!“

Wir lachen zusammen. Zum ersten Mal heute klingt es echt.

Zuhause erwartet mich die gewohnte Stille.„Bin wieder da!“ Keine Antwort. Natürlich nicht.

Mein Vater, Ernst – und ja, der Name passt – lebt in seiner eigenen Zeitkapsel. Für ihn zählen nur Disziplin, Ordnung, Leistung. Alles Moderne ist verdächtig, alles Westliche überbewertet. Gefühle? Überflüssig. Ich weiß nicht, ob er mich überhaupt als Mensch wahrnimmt oder nur als Projekt.

Manchmal frage ich mich, ob ich einfach umfallen könnte, mitten im Wohnzimmer – und niemand würde es merken.

Immerhin: Nächstes Jahr bin ich achtzehn. Dann heißt es Großstadt, endlich frei sein. Keine Notlügen mehr, keine „Ich übernachte bei Mia“-Geschichten. Nur ich. Endlich ich.

Doch bis dahin?Mittwoch. Ich hasse ihn, weil er mich zwingt, rauszugehen. Ich liebe ihn, weil ich Mia sehe. Unsere toxische Beziehung.

Ich krame nach meinem Fahrradschlüssel. Wie kann man so ein Ding in einem 10-Quadratmeter-Zimmer verlieren? Keine Ahnung. Natürlich taucht er auf, wenn ich schon spät dran bin.

Halbe Stunde für drei Kilometer. Joggen wäre Mord an meinem Herz-Kreislauf-System. Aber was bleibt mir übrig?

Meine Playlist springt an.„Cut my life into pieces, this is my last resort …“

Ich renne. Hitze im Mai – übertrieben. Der Schweiß läuft mir über den Rücken, meine Beine brennen. Als ich ankomme, bin ich zehn Minuten zu spät.

Alle tanzen schon. Und ich?Verschwitzt, knallrot, Drama-Queen auf Speed.Alle Augen auf mich? Nein, danke.

Ich bleibe draußen stehen, Herzschlag wie ein Presslufthammer. Alles in mir schreit: „Geh rein!“ Aber ich gehe nicht. Nicht heute.

Ich drehe mich um, setze die Kopfhörer wieder auf und gehe. Nicht stark, nicht stolz – einfach nur ich. Noch nicht genug. Aber vielleicht bald.

„I want to heal, I want to feel like I’m close to something real.“

Kapitel 2: „Lost Places und verlorene Nerven“

Wenn ich ein Gedicht über Mia schreiben müsste, würde es wahrscheinlich so klingen:

„Du bist so unvollkommen und trotzdem perfekt.Du gibst mir Wärme und erleuchtest meine Welt.Und wenn die Tage wieder grau und trüb sind,bist du die Sonne, die mir Hoffnung schenkt.“

Kurz. Einfach. Aber alles gesagt.

Niemand kennt mich so gut wie sie. Niemand hat mir so oft den Rücken freigehalten oder mich aus dem Sumpf gezogen, wenn ich mal wieder darin versank. Ich vertraue ihr blind – und das heißt bei mir was. Vertrauen fällt mir sonst schwer, viel schwerer als Misstrauen. Misstrauen ist einfach, bequem, schützt. Mia sagt immer, ich sei ein Pessimist mit „realistischer Menschenkenntnis“. Ich nenne es: Schutzmechanismus.

Warum? Weil Mia einfach meine Beste ist. Nicht wegen Likes, nicht für gestellte Selfies. Sondern weil sie an mich glaubt – und mir das Gefühl gibt, dass ich nicht völlig verloren bin. Dass vielleicht doch noch etwas in mir steckt. Im Gegensatz zu gewissen Lehrerinnen, die glauben, sie seien wandelnde Orakel.

Montagmorgen. Schon wieder.Als hätte ich letzte Nacht nicht schon schlecht genug geschlafen, reißt mich der Wecker um Punkt sechs Uhr aus einem wirren Traum. Sein schrilles Piepen klingt wie das Lachen eines Sadisten. Ich hasse ihn. Und ich hasse, dass ich ihn nicht einfach aus dem Fenster werfen kann. (Zumindest innerlich – meine Gedanken sind längst vergittert.)

Ich pelle mich aus dem Bett mit der Eleganz eines halbverfaulten Kartoffelsacks und stolpere ins Bad. Mein Spiegelbild starrt mich müde an: Augenringe, blasse Haut, Lippen wie ausgewaschen. Ein bisschen Eyeliner – mein Notpflaster – könnte wenigstens den Blick vom Rest ablenken.

In der Küche hängt der Geruch von abgestandenem Kaffee in der Luft, gemischt mit diesem unausgesprochenen Vorwurf, der hier immer mitschwebt. Ich greife mir ein trockenes Brötchen, werfe es in die Tasche und verschwinde wortlos aus dem Haus, bevor das Stiefmonster wieder eine Grundsatzrede über meinen „Beitrag im Haushalt“ hält. Montag. Und das Leben ist ein Arschloch.

In der Schule wartet die Hölle in Gestalt von Frau Stiefel – und, wie angekündigt, ein persönliches Gespräch.„Frau Fink, ich denke nicht, dass das Abitur für Sie der richtige Weg ist“, säuselt sie mit der Wärme einer vereisten Betonwand. „Ihnen fehlt es an Ambitionen. Ein Studium ist nicht jedermanns Sache. Tun Sie sich selbst den Gefallen und machen Sie eine Ausbildung. Eine Ausbildung ist nichts Schlechtes.“

Ihre Stimme kratzt wie Kreide an einer Tafel. Ihre Augen fixieren mich, kalt, musternd. Ich balle die Hände in den Taschen, bis die Fingernägel Halbmonde in meine Haut ritzen.

„Ähm … danke. Ich denke vielleicht darüber nach. Vielleicht auch nicht.“Meine Stimme klingt tonlos, fast höhnisch. Nur so kann ich verhindern, dass sie das Zittern meiner Wut hört.

Ja, danke für nichts, Frau Stiefel.

Ich weiß jetzt schon, dass ich Mia davon erzählen muss.

Manchmal frage ich mich ernsthaft, ob diese Schule nicht ein vergessener Lost Place ist, irgendwo in den Achtzigern konserviert: braune Fliesen, graue Wände, Neonlicht, das flackert wie bei einem Horrorfilm. Kein Wunder, dass Frau Stiefel wirkt, als hätte sie damals ihre Lebensfreude im Lehrerzimmer eingemauert.

Ich erinnere mich an Herrn Fröhlich, meinen Grundschullehrer. Er hatte diese Art, jeden Schüler zu sehen. Wirklich zu sehen. Er glaubte an uns, erzählte, dass man alles schaffen kann, wenn man ein Ziel hat. Leidenschaft für Menschen. Bei Frau Stiefel ist das Gegenteil der Fall. Seit sie Frau Preis ersetzt hat – die warmherzige Vorgängerin –, ist der Klassenraum ein Kühlschrank. Sie kam herein wie ein grauer Schatten mit Dauerwelle. Dünn, hager, Nase wie ein Schnabel. Eine Krähe auf zwei Beinen. Nur weniger charmant.

Schon nach den ersten Wochen war klar: Sie sortiert. Hoffnungsträger links, „hoffnungslose Fälle“ rechts. Herzlichen Glückwunsch – ich sitze natürlich in Reihe zwei.

Und Mia? Natürlich einer ihrer Lieblinge. Sie wohnt um die Ecke, ihre Eltern sind überall präsent, spenden Kuchen, Geld und gute Laune. Ich dagegen … mein Vater kennt vermutlich nicht mal meinen Stundenplan. Elternabend? Fehlanzeige.

Nur noch ein Jahr. Ein einziges, verdammtes Jahr.

„Ey, Girl! Wie war’s?“ Mias Stimme. Endlich.

„Wo warst du verdammt?!“ Ich stemme die Hände in die Hüften, ein dünner Rest meiner Energie.

Sie zieht eine entschuldigende Grimasse, schiebt eine Strähne hinters Ohr. „Sorry! Linus wollte mich abholen. Dumm nur: kein Sprit. Wir sind liegengeblieben.“

„Aha.“ Ich versuche, gleichgültig zu klingen, aber meine Stimme verrät den Stich, der tiefer sitzt.

„Zum Glück war Mama noch daheim. Sie hat uns gefahren – und gleich bei der Stiefel angerufen. Wegen ‚technischer Probleme‘.“

„Jo. Super Start in den Tag. Und Bescheid sagen ist ja bekanntlich überbewertet.“ Sarkasmus als Rettungsring. Trotzdem klingt es verletzt.

Seit Linus in ihrem Leben ist, wirkt Mia oft abwesend. Verpeilter. Nachrichten bleiben unbeantwortet, Verabredungen rutschen durch. Ich will keine Dramaqueen sein – aber es nervt.

„Ach Lifi, sei nicht böse. War echt keine Absicht. Gib Linus nachher ruhig eine mit – offizielle Erlaubnis! “ Sie stupst mich in die Seite, grinst. „Aber jetzt erzähl: Was hat Stiefel diesmal vom Stapel gelassen? “

„Kurzfassung: Ich bin zu blöd fürs Abi. Soll lieber ’ne Ausbildung machen. Kreativ oder sozial. Weil Studium nix für ‚Leute wie mich‘ ist.“

Mias Augen weiten sich. „Shut up! Nicht ihr Ernst?! Soll meine Mutter mit ihr reden? Das ist Diskriminierung!“

„Lass. Ich bin nicht die Einzige. Marc soll laut ihr gleich zu Hause bleiben, weil er nur körperlich anwesend ist.“

Mias Gesicht entgleist. Kinnlade: Boden. Augen: XXL. Nur bei 80 % Rabatt auf ihre Lieblingsjeans guckt sie so.„Nicht dein Ernst. Ich glaub, unsere eBay-Theorie wird immer realistischer.“ (Unsere Theorie: Frau Stiefel hat ihr Lehrerdiplom bei eBay ersteigert.)

„Egal. Ihre Meinung zählt eh nicht.“„Trotzdem. Das ist mies. Vor allem Marc gegenüber. Sein Bruder liegt doch noch im Koma?“Ich nicke. „Oli. Mehrfach überschlagen. Stand sogar in der Zeitung.“

Marc gehört zu uns. Schon immer. Früher haben wir drei uns jedes Wochenende auf Sofas gedrückt, Pizza gegessen und YouTube-Videos wie Musikkritiker auseinandergenommen. Marc war still, fast schüchtern. Heute – mit seiner Band – strahlt er plötzlich eine eigene Art von Charisma aus. Ehrlich, direkt, nie verletzend. Mia war bei den Proben oft dabei, hat Texte kommentiert, Plakate entworfen. Seit Linus – weniger.

Aber wenigstens gibt es den Samstag. Samstag ist unser Tag. Samstag heißt: Freiheit. Freitag war früher auch so. Jetzt ist Freitag Linus-Tag. Ich sage mir, dass es okay ist. Manchmal glaube ich es sogar.

„Ach Mist“, murmelt Mia. „Wie konnte ich Marc vergessen? Ich hab zu viel im Kopf. Shame on me.“„Kommst du Freitag zur Probe?“, frage ich.„Gern! Aber … Linus-Freitag.“ Sie verzieht das Gesicht. „Nächstes Mal. Aber Samstag steht! Bleibst du bei mir? Oder Hausarrest?“

Ich verdrehe die Augen. „Bin froh, dass ich überhaupt darf. Letzte Woche war grenzwertig.“

Mein Vater – streng, kontrollierend, jede Freiheit abgewogen. Keine Partys, keine Festivals, keine Jungs. Mia ist oft mein Türöffner – und meine Ausrede.

„Dann holt dich Mamataxi um Punkt 22 Uhr ab – wie immer.“ Sie grinst. „Weißt du schon, was du anziehst?“

„Keine Ahnung. Wahrscheinlich Bandshirt und Jeans.“