Almost True Crime 1: Wer nicht liebt, muss sterben - Ruth Stiller - E-Book
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Almost True Crime 1: Wer nicht liebt, muss sterben E-Book

Ruth Stiller

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Beschreibung

Warum morden Jugendliche? True Crime, endlich auch für Jugendliche! 

Ein Jugendroman, inspiriert von einem wahren Verbrechen: 

Wie ein Wirbelwind tritt Jessie in Majas Leben und stellt ihr Leben auf den Kopf. Denn Jessie hat Majas Zeichentalent erkannt und verschafft der 16-Jährigen Anerkennung in ihrer Sprayergruppe. Nach einer Nacht- und Nebelaktion küssen sich die beiden Mädchen. Maja verliebt sich bis über beide Ohren, doch für Jessie ist es nur ein Spiel, eigentlich steht sie ja auf den Sprayer Fly. Und als der Interesse signalisiert, ist Maja abgemeldet. Aber Maja kann nur noch an Jessie denken, will nicht ohne sie leben. Und schließlich rastet Maja einfach aus: Nur ein kleiner Stoß, dann der Zug ... Wer nicht liebt, muss sterben!  

  • Ein mörderischer Stoff, kriminell gut geschrieben und mit psychologischem Tiefgang
  • Inspiriert von einem echten Fall: Zum Schutz der Persönlichkeitsreche der echten jugendlichen Täter*innen sind die Geschehnisse fiktionalisiert
  • Für Jugendliche und alle, die sich für jugendliche Straftäter*innen interessieren

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Das Buch

Als Maja, still und am liebsten unsichtbar, auf Jessie, laut und unerschrocken, trifft, ist nichts mehr wie zuvor. Denn Jessie hat Majas Zeichentalent erkannt und verschafft der 16-Jährigen Anerkennung in ihrer Sprayercrew. Nach einer Nacht- und Nebelaktion küssen sich die beiden und sind von nun an unzertrennlich. Und doch wird die Liebe in einer Katastrophe enden ...

Ein mörderischer Stoff, kriminell gut geschrieben, inspiriert von einem echten Fall!

Die Autorin

Ruth Stiller schreibt seit vielen Jahren Krimis. Besonders beschäftigen sie Ursache und Wirkung der Verbrechen von und an jungen Menschen. Wie kann man schwere Gewalttaten von Jugendlichen erklären? Welche Rolle spielt die Familie? Und welche Chancen auf Rettung hätte es gegeben? Die Autorin denkt sich die Geschichten aus, die sie hinter den menschlichen Abgründen und Tragödien vermutet. So könnte es gewesen sein. Ruth Stiller lebt hinter einer der vielen Fassaden in München und schaut hinaus.

Der Verlag

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Viel Spaß beim Lesen!

»Am späten Sonntagabend kam es auf der Strecke U17/18 zu erheblichen Verzögerungen. Ein 16-jähriges Mädchen ist unter Umständen, die aus ermittlungstechnischen Gründen nicht näher genannt wurden, zu Tode gekommen. Eine weitere traumatisierte Jugendliche wurde in ein Krankenhaus eingeliefert. Noch gibt es keine Angaben darüber, was genau passiert ist, und wie es zu dem Unglücksfall kam.«

1. KAPITEL Der Himmel war ungewöhnlich grau für einen Sommertag. Die Wolken schoben sich ineinander, als wollten sie sich gegenseitig auffressen und aus den Wolkenwunden hätte es Blut regnen können, hätte gepasst, passierte aber nicht. Einfach nur grau. Maja schwang sich auf das schon lange funkelnagelneue Fahrrad ihrer Mutter und fuhr zum Baumarkt. Den Haarvorhang tief im Gesicht kaufte sie Pinsel, Rollen und schwarze Farbe. Genug für das ganze Zimmer. Die ganze Welt.

»Da musst du aber mindestens eine Wand hell lassen, Mädchen«, riet ihr der freundliche Fachverkäufer, »das wird sonst arg dunkel.«

Maja nickte. Genau das war der Plan. Dunkel. Sie zog auch keine alten Klamotten an und klebte nicht die Fußleisten ab, sie brauchte keine Leiter, nahm einfach ihren Stuhl und sie legte keine Musik auf. Musik machte Maja ratlos. Nur das nasse Quatschen der Rolle mit schwarzer Farbe auf Wand war zu hören. Bis alles dunkel war.

Maja verließ das Haus nicht mehr. Warum auch? Drieke war weg. Es gab dort draußen also nichts und niemanden, das es wert gewesen wäre. Zur Schule, klar, die musste man ja »besuchen«. Blöder Ausdruck.

Als wäre man zu Gast oder freiwillig dort. »Ohne Abi kannst du dich heutzutage gleich bei der Müllabfuhr anmelden.« Majas Vater war energisch hinterher, dass seine Tochter ihr »intellektuelles Potenzial« nicht verschwendete.

Also besuchte sie die Schule, lieferte ab, was ihr nicht besonders schwerfiel, und flog ansonsten unterm Radar. Schon immer.

»Das ist Maja. Die redet mit keinem. Lass sie in Ruhe!« Diesen Status hatte sie sich hart erarbeitet. Hinter dem Vorhang ihrer dunklen Haare kritzelte sie Zeichnungen in ihr Heft, illustrierte das vermittelte Wissen oder porträtierte die Menschen, mit denen sie das Klassenzimmer teilen musste, und die sich hauptsächlich duckfacig selbst fotografierten oder ihren Penissen folgten. Je nach Geschlecht. Selbst die Lehrer ließen sie in Ruhe und würden sie höchstens drannehmen, wenn sie sich gemeldet hätte. Kam aber nicht vor.

Drieke war auch anders. Bis vor Kurzem, genauer 41 Tagen, ging sie als Tagesschülerin in ein katholisches Mädcheninternat, und Maja wartete nachmittags ungeduldig, bis auch sie endlich aus der Lehranstalt kam. Dann chillten sie im Park, analysierten Filmplakate und suchten Schätze am Straßenrand. Oder sie verbarrikadierten sich in ihrem Zimmer und pressten Blumen, zeichneten, lasen sich Bücher vor und himmelten Schauspielerinnen an, die außer ihnen kaum jemand kannte. Drieke war nicht so ruhig wie Maja. In ihrem Körper lebten eine Million Ameisen, die keine Sekunde einfach nur rumsaßen. Sie waren immer in Bewegung. Und Drieke deswegen auch. Also las Maja vor und Drieke machte Kopfstand oder lief rückwärts oder sortierte alles nach Farben. Wenn sie zeichnete, dann Muster, nicht wie Maja comichaft verzerrte Menschenvisagen, faltete das Papier so lange, bis es nur noch ein kleines, kompaktes Paket war, oder stoppte die Zeit, wie lange es dauerte, bis es gänzlich verbrannte. Drieke ließ nicht viel übrig, bewahrte selten etwas auf, während Maja ihre Zeichnungen ordentlich in einem Ordner für die Nachwelt abheftete.

»Welche Nachwelt?« Drieke versuchte, den großen und den zweiten Zeh miteinander zu verknoten. »Nach uns kommt nichts mehr! Oder zumindest nichts so Gutes.« Maja liebte Driekes Kurzreferate über weltliche, politische oder göttliche Themen. In ihrem Kopf war wenig Platz dafür. Sie hatte ihn sozusagen leer geräumt und das sollte er auch bleiben. Wenn ihre Mutter mal wieder »diese Tage« hatte, dachte sie nicht darüber nach, sondern packte ihren Rucksack und übernachtete nebenan bei Drieke.

»Maja, das geht nicht. Jemand muss hierbleiben und sich um sie kümmern.« Ihr Vater hatte dafür selten Zeit. Sein individuelles Nobelhotel stand in den Reiseführern, sein Gesicht für Qualität und den immer gleichen gehobenen Standard. Präsenz war gefragt. Maja kümmerte sich manchmal und ein anderes Mal ging sie zu Drieke. Sie schliefen in dem großen Bett, das von einem schlichten Kreuz behütet wurde, Maja kuschelte sich Löffelchen an die Freundin und in ihrem leeren Kopf breitete sich ein watteweiches Gefühl aus, zog geräuschlos durch ihren Körper. Sie schlief ohne Traum und unbehelligt.

Jetzt war Drieke weg. So weit, dass man nicht einfach bei ihr übernachten konnte, so weit, dass man in einen Zug hätte steigen müssen, am anderen Ende von Deutschland, am Ende der Welt. Die ganze Familie war in einen Umzugstransporter geklettert und Driekes Hand, die aus dem Beifahrerfenster winkte, war mit ihm um die Kurve verschwunden.

»Du bist sechzehn, du musst nicht mit, du kannst sie anzeigen, du hast auch Rechte, du musst nicht mit.« So viel hatte Maja selten gesprochen, aber es war nicht von Bedeutung, ob viel oder wenig, laut oder leise, langsam oder schnell.

»Das ist meine Familie, Maja.« Drieke hatte ganz still dagesessen, still wie nie, hatte sich längst ergeben, ihr Widerspruch war vor Majas im Raum verpufft. Saß da wie ein Bild ohne Konturen, ihre Haare hatten die gleiche Farbe wie ihre Haut. Dann sprang sie auf, kramte in ihrem Schreibtisch, der schon merkwürdig leer geräumt aussah, und holte einen Block und einen Stift hervor. »Wir schreiben uns. Briefe, so wie früher, weißt du, wie Julia Lambert in Landhaus am See. Oh, Julia Lambert, ich liebe Julia Lambert. Nur stecken wir sie natürlich nicht in Flaschen. Briefumschlag, Briefmarke, Adresse rechts, Absender links, ja, Maja, das machen wir, ja?«

Nachdem der Umzugstransporter verschwunden war, blieb Maja mitten auf der Straße stehen. Die Leere, die Drieke hinterlassen hatte, war unerträglich und füllte wiederum die Leere in ihrem Kopf, die daraufhin keine Leere mehr war. Es dröhnte, als würden tausend Presslufthammer ihr Gehirn in kleine Splitter zerfetzen. Nein, das würde sie Driekes Eltern nie verzeihen und ihrem elenden Gott schon dreimal nicht.

»Darling, du stehst mitten on the street. Das ist very gefährlich, und dann noch without Helm!« Maja starrte die alte Frau Schuy an. Ihre Vorfahren stammten aus Amerika, weswegen sie sich den Akzent zugelegt hatte. Sie selbst lebte seit mindestens 300 Jahren in dieser Straße und kümmerte sich um alles. Maja hasste Menschen. Und seit Drieke einfach so um die Kurve gefahren und nicht mehr zurückgekommen war, umso mehr.

Ihre Mutter hätte rauskommen können, statt der alten Frau Schuy, sie mit ins Haus nehmen, wo Hühnersuppe auf dem Herd stand, die bekanntlich alle Krankheiten besiegte, hätte eine Runde mit Maja heulen können und den Fenchel aus der Suppe fischen, den Maja nicht leiden konnte, der aber nun mal dazugehörte. Aber erstens heulte Maja nicht, nie, und zweitens lag ihre Mutter im abgedunkelten Schlafzimmer, einen kalten Lappen auf den Augen und stöhnte vor sich hin.

Wie immer, wenn sie sich eigentlich kümmern musste, forderte sie die Zuwendung für sich. Maja brachte ihr lauwarmen Tee.

Liebe Drieke (oder Friederike, zur Strafe),

liebe Friederike (hm, kenn ich nicht), liebe Drieke,

die Schuy hat mich von der Straße gekehrt. Sie erinnert mich an die Leute aus der Bibel, von denen du erzählt hast, keinen Schimmer mehr, wie die hießen, aber sie sind über 800 Jahre alt geworden damals. Grauenhafte Vorstellung. Ich glaube, du bist noch nicht mal am Zielort (nein, ich werde mir den Namen nicht merken) und mir kommt es vor, als wärst du schon ewig weg. Auf jeden Fall zu lange. Ich wusste immer, was ich machen könnte, als ich wusste, dass du nebenan bist und gerade vielleicht Eierschalen zu Staub zermahlst oder aus Wollfäden lange Schlangen flichst, die zu absolut nichts zu gebrauchen sind. Jetzt habe ich keine Ahnung.

Mein Zimmer ist schwarz (wollte ich ja schon lange machen, bild dir bloß nichts ein) und ich öffne kein Fenster, obwohl die Farbe bis zur Hölle stinkt. Morgen ist Sonntag. Ich hatte überlegt, in deine Kirche zu gehen und den Mann am Kreuz zu beschimpfen. Wenn ich nicht im Schwarzfarbendelirium liege, wie Julia Lambert mit ihrem zerbrochenen Herz. Ja, ich weiß, du liebst Julia Lambert. Aber ich gehe doch nicht. Ich boykottiere Draußen.

Das gehört erstens uns zusammen und zweitens möchte ich nie wieder die Schuy treffen. Das auf der Zeichnung ist sie übrigens. Sie hatte nämlich eine Gartenschere in der Hand. Schuy Scissorhand. Du fehlst mir …

Maja versuchte, den Brief zu einem kleinen Paket zu falten. Aber sie war lange nicht so gut darin wie Drieke und es hätte auch nicht in den Umschlag gepasst.

»Maja? Bist du da?« Leise schwebte die Stimme ihrer Mutter unter der Türritze durch. »Maja?«

Sie lag im Bett. Ganz gerade, wie eine Leiche, nur die eine Hand auf der Stirn.

»Mama?«

»Ist Friederike weg?«

»Ja.«

Die Mutter seufzte und öffnete langsam die Augen, wandte sich Maja zu, die so im Türrahmen stand, wie man es tut, wenn man gleich wieder gehen will. »Geht es dir gut?«

»Nein.«

»Machst du mir ein kaltes Tuch? Mein Kopf …!«

Maja drehte sich um und ging Richtung Küche. Sie hätte auf die Frage der Mutter auch Ja sagen können oder nichts. Kein Unterschied.

Die Zeit verging merkwürdig unbemerkt, nur der Stundenplan war ein Anhaltspunkt, ließ keine Fragen offen, welcher Tag und welche Uhrzeit gerade war. In Majas dunklem Zimmer beleuchtete die Schreibtischlampe den Raum und die unendliche Zahl an Papieren, die sie vollzeichnete.

… habe mich entschlossen unsere Lebensgeschichte zu malen. Das kann ja kein dickes Buch werden, denkst du, aber das denkst du nur. Wenn ich alles zeichne, was wir gemacht haben, werde ich nie fertig. Du hast dir die Haare abgeschnitten?

Die Locke klebt über meinem Schreibtisch an der schwarzen Wand. Hab auch ein Bild von Julia aufgehängt, dir zuliebe, von Adam Giant auf der letzten Tour und WandaPanda mit Zopf.

Schwarz wird bunt. Fragst du mich ernsthaft nach der Schule? Bei mir hat sich nichts verändert. Weißt du, woran das liegt? Ich bin nicht weggezogen und plötzlich in einer Schule, wo auch Jungs sind. Mir fegt nicht der frische Wind um die Ohren, sodass ich mir die Haare abschneiden muss und ich hab kein eigenes Bad mit Bidet (jetzt mal ehrlich, was ist das denn für eine Erfindung?). Neu: heute Abend gemeinsames Essen mit meinen Eltern. Wahrscheinlich ist ihnen jetzt doch aufgefallen, dass ich nicht mehr rausgehe, und eingefallen, dass sie die Erziehungsverpflichteten sind. Immerhin bringen sie Essen aus dem Hotel mit, das schmeckt wenigstens. Werde berichten, ob ich zu fünf Jahren Freigang verurteilt wurde oder was ihnen sonst so einfällt. Und Drieke … lass dich nicht täuschen. Jungs wollen dich flachlegen – auch der mit den Sommersprossen …

Sie war so was von unglaublich schön.

Majas Mutter packte gerade das Hotelessen aus, verteilte es auf dem Tisch, holte Teller und Besteck, stöckelte mit ihren High Heels über den Fußboden, klickklack. Arbeitskleidung, Kostüm mit Rock bis kurz übers Knie, Bluse mit Ausblick, schlank, groß, wenig Schmuck, aber der effizient. Maja ging eher nach ihrem Vater. Ein kräftiger Mann, zielstrebig, pflichtbewusst, diszipliniert. Als Maja in ihrem XXL-Hoodie versteckt die Treppe runterkam, waren sie ins Gespräch vertieft. Dabei lief die Mutter hin und her, weswegen der Vater immer nur die Hälfte verstand und dauernd nachfragen musste. Er sortierte das Besteck im Sitzen neben die Teller.

»Wie hast du das denn hingekriegt? Da kann man ja wirklich staunen.«

»Ach komm, du kennst mich doch. Das sind zwei Fliegen mit einer Klappe, der Zeppelin fliegt über die Stadt, groß unser Schriftzug drauf und ausgewählte Gäste dürfen mitfahren und werden so ans Haus gebunden.«

»Was? Was war das Letzte?«

Maja setzte sich an den Tisch, ohne dass es jemand kommentierte. Wahrscheinlich hatten sie es gar nicht bemerkt. Ihr Konzept unsichtbar zu werden, schien aufzugehen, wobei sie sich in diesem Fall nicht sicher war, ob sie es nicht schon immer gewesen war.

Klickklack. »Gäste können mitfliegen!«

»Und der will nichts dafür haben?«

»Ich hab ihm erklärt, dass das eine Win-win-Situation ist.«

Der Vater lachte auf und verteilte das edle Essen auf die Teller. »Klar, Win-win für uns. So, und jetzt haut rein, bevor es kalt wird.«

Die Mutter setzte sich und warf Maja einen kurzen Blick zu. »Eine Dusche wäre vielleicht mal wieder angebracht, Schatz … Jedenfalls ist die Sache in trockenen Tüchern, ich dachte, wir warten noch, bis zum späten Herbst, wenn die Messen losgehen. Mmmh, ist das Lamm?«

Maja legte sich ein Stück auf die Zunge und wartete, ob es vielleicht von selbst zergehen würde. Dabei musste sie an Drieke denken, wie sie stundenlang ihre Zunge an der Luft trocknete, um zu fühlen, wie es wäre, wenn man ein Stück Holz im Mund hätte.

»Und, was schreibt Friederike?« Die Mutter kaute und Maja starrte sie nur an, weil ein Tropfen Rotweinsoße neben ihrem perfekt geschminkten Mund hing, und das kam eigentlich nie vor. »Maja? Bist du zu Hause?« Sie schluckte das ungekaute Lamm runter. Als ob sie ihrer Mutter sagen würde, was Drieke schrieb. Die wandte sich an den Vater und lächelte. »Sie schreiben sich Briefe, süß, oder? Wie früher!«

Da bemerkte der seine Tochter auch und nickte. »Wie läuft’s in der Schule?«

»Sag mal, ist das hier Wirsing?« Die Mutter hielt etwas Grünes auf der Gabel in die Luft und rümpfte die gepuderte Nase.

Sofort suchte der Vater in seinem Gemüse nach einem ähnlich gelagerten Fall. »Kann eigentlich nicht sein, ist doch gar nicht Saison, wo sollte der denn herkommen?«

Die Mutter zeigte mit der Wirsinggabel auf ihn. »Da müssen wir uns drum kümmern!«

Die Zeit verging merkwürdig unbemerkt, bis nach den Sommerferien die Bombe einschlug und alles veränderte.

2. KAPITEL Der Campingplatz »Schöne Aussicht« lag zwischen den Eisenbahnschienen und einer bräunlichen, schlammigen Abzweigung des großen Flusses, der sich durch die Stadt schlängelte. Es gab also Mücken, das aufrüttelnde Donnern von durchbrausenden Güterzügen und viel Müll an der Strecke. Wer auch immer diesen Ort »Schöne Aussicht« genannt hatte, war entweder ein Träumer oder hatte Sinn für Humor.

Der erste Zug kam kurz nach Sonnenaufgang und weckte Jessie. Sie hatte ihren Kopfhörer extra weggelassen und war sofort da. Erster Schultag. Jessica Jung geht heute ins Gymnasium. Bämm! Sie kletterte von ihrer Pritsche, schnappte sich den Waschbeutel und tappte durch den alten Wohnwagen zur Tür. Dabei musste sie nicht einmal besonders leise sein. Ihr Vater, der coole Jo, schlief am anderen Ende am Kippfenster und schnarchte die zehn Dosen Bier in den Morgen, die er gestern vernichtet hatte. Jessie schob den Perlenvorhang vor Beccas Bett ein Stück zur Seite. Die kleine Schwester lag in voller Montur auf ihrer Matratze, die grelle Schminke verschmiert und ein fettes Loch in der Strumpfhose. Sie war da. Immerhin. Die winzige Handtasche lag achtlos und offen neben ihr. Jessie zog den Reißverschluss zu und verstaute sie unter dem Kopfkissen. Denn sollte Geld darin sein, durfte Jo es nicht finden.

»Jessie?«, murmelte Becca und tastete mit ihrer Hand und den aufgeklebten Fingernägeln ins Leere. Einer war abgebrochen. Das würde ein Gezeter geben. Jessie ließ den Vorhang zufallen, öffnete die Tür des Wohnwagens und blinzelte in den Morgen. Duschen, schminken und dann los. Am ersten Tag im Gymnasium zu spät zu kommen, war auf keinen Fall erlaubt. Auf dem Weg zu den Waschräumen war sie so in Gedanken, dass sie beinahe einen Schreck bekommen hätte, als Mechanic-Mike nackt, nur mit Gummistiefeln an den Füßen und einem schweren Werkzeugkasten, den er mit seinen riesigen Händen so trug, wie Becca ihre Täschchen, aus seiner Gasse angelatscht kam.

»Moin Jessie!«

Ein kurzes Nicken, dann schaute sie lieber woandershin und ging weiter.

»Gehste zum Waschen?«

Sie wedelte mit ihrem Waschbeutel in der Luft, ohne sich umzudrehen.

»Kannste vergessen, Wasserleitung is im Arsch.«

Jessie blieb stehen, senkte den Kopf und schnaubte. Sein Ernst? Ausgerechnet heute?

»Ich geh gucken, was ich machen kann.«

Jessie seufzte. »Du hast keine Hose an.«

Mechanic-Mike schaute an sich runter und nickte versonnen. »Tatsächlich!« Dann latschte er weiter und Jessie bog direkt ab zum Fluss. Katzenwäsche am ersten Schultag! Geht ja so was von gar nicht. Tante Sanne war auch dort und schöpfte Wasser in einen Plastikkanister. Sie war niemandes Tante, aber alle nannten sie so.

»Schöne Scheiße«, kommentierte sie den Fall, »da muss dann wieder einer für viel Geld kommen, wenn Mike es nicht hingekriegt hat.«

Jessie verrieb die Seife in den Händen und wusch sich, so gut es ging. »Oder haben die das abgestellt?«

Tante Sanne zuckte mit den Schultern. Das verwaschene Top bedeckte nur notdürftig ihren ausgemergelten Oberkörper, und so wie der hatte sie schon alles er- und überlebt. Sanne regte sich nicht mehr auf. Aber bevor sie sich aufraffte, um den schweren Kanister Richtung Wohnwagen zu schleppen, schaute sie Jessie an, wie sie ihre Hände schrubbte, um die Farbe abzukriegen. Vollkommen unmöglich. Dabei war sie seit einer Woche nicht mehr mullern gewesen.

»Dein Vater ist nicht gerade begeistert. Gymnasium! Bei die feine Leute.«

»Ist mir egal.«

Tante Sanne lachte auf und zeigte ihre Zahnlücke. »Richtig so. Man kann nicht genug wissen.«

Jessie packte ihr Zeug zusammen. »Es muss für ein Badezimmer reichen«, knurrte sie, nahm Sannes Wasserkanister und marschierte los.

»He Jess, ich schaff das, du musst nicht …«

»Geht schon.«

Als sie Jo im Unterhemd auf der Wohnwagentreppe rauchen sah, drohte die Laune in den Keller zu rutschen. Er musterte seine Älteste aus verklebten Augen und ließ sie wortlos vorbei in den Wagen. Jessie fischte die weite Militärhose und ihr Lieblingstop aus ihrer Kleiderkiste und schminkte sich vor dem kleinen Spiegel in der Küche.

»Was gibt’s denn zum Frühstück?« Die Stimme ihres Vaters klang vom Rauchen tief und rau.

»Keine Ahnung.«

Sie hörte, wie er ächzend aufstand, und wusste schon, was jetzt kommen würde. Dafür hatte sie heute aber weder Nerv noch Zeit. Immerhin war Becca aufgewacht, klimperte den Perlenvorhang zurück und zeigte Präsenz. Sie und Jessie hatten wirklich kaum etwas gemeinsam, aber gegen Jo hielten sie zusammen. Er tauchte in der Tür auf und strich sich die dünn gewordenen Haare zurück.

»Wie meinst du das, Jess? Wie meinst du das genau? Ich muss gleich auf die Scheißmaloche und brauch verdammt was zu essen.«

Jessie zeigte mit dem Kopf Richtung Kühltasche, in der meistens nur sein Bier Platz hatte.

»Das ist nicht meine Aufgabe«, brüllte Jo und hielt sich den Kopf, den seine eigene Stimme zu stark erschüttert hatte.

»Meine auch nicht. Ich muss zur Schule.«

Er ließ sich ächzend auf die Küchenbank fallen, die irgendein irrer Vorbesitzer mit bäuerlichem Blumenmuster überzogen hatte.

»Drecksschule. Ist das heute?«

Becca stand auf, gab Jessie Zeichen und machte sich in der Küchenzeile zu schaffen, die diese Bezeichnung wahrlich nicht verdient hatte.

»Ich mach dir ’n Brot, Jo.«

Der knurrte irgendwas von Zeitverschwendung, murmelte unverständliche Andeutungen, wo Frauen seiner Ansicht nach hingehörten, jedenfalls nicht ewig und drei Tage in die Schule, und Jessie packte Stifte und einen zerfledderten Block aus der Gesamtschule in ihren Rucksack.

Eigentlich hatte sie so einen schicken Ordner gewollt, mit Blättern drin und bunten Trennern, die die Fächer voneinander abgrenzen, so wie die meisten Gymnasiasten das machten, aber Jo hatte ihr nur einen Vogel gezeigt und zum Klauen waren bei ihr im Moment die Kapazitäten aufgebraucht, sie hatte schon alles bei den Cans für die letzte Battle gegeben. Die dann wie immer Fly gewonnen hatte. Wenn sie gewusst hätte, dass der mitmacht, wären sie und die Crew gar nicht erst angetreten. Aber eigentlich wollte sie ja auch frisch geduscht sein, und so war das in ihrem beschissenen Leben mit dem Wollen. Hatte nicht so einen großen Stellenwert. Noch nicht.