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1936 reist der afroamerikanische Bürgerrechtler W. E. B. Du Bois nach Deutschland. Als Kritiker des Rassismus in den USA beobachtet er das Leben in der totalitären Diktatur und die Entrechtung der Juden. Seine Reportagen aus diesen Monaten erscheinen hier erstmals auf Deutsch. 1936 reist der afroamerikanische Soziologe W. E. B. Du Bois zu einem mehrmonatigen Forschungsaufenthalt ins nationalsozialistische Deutschland. Als scharfer Kritiker des Rassismus in seinem eigenen Land beobachtet er den Antisemitismus und die Entrechtung der Juden im "Dritten Reich". Seine wöchentlichen Reportagen aus diesen Monaten erscheinen hier zum ersten Mal in deutscher Sprache. Du Bois berichtet über die Wagner-Festspiele in Bayreuth und das Deutsche Museum in München, über deutsche Bierlokale und die Olympischen Spiele in Berlin, bei denen auch schwarze Sportler antreten. Mit der Vertrautheit des Deutschlandkenners und dem fremden Blick des schwarzen Amerikaners betrachtet er die totalitäre Diktatur. Du Bois beobachtet entlang der "Farbenlinie", "along the color line", und stellt überrascht fest, dass er persönlich kaum Diskriminierung erfährt. Umso mehr erschüttert ihn die Verfolgung der Juden: «Sie übertrifft an rachsüchtiger Grausamkeit und öffentlicher Herabwürdigung alles, was ich je erlebt habe», fasst er seine Eindrücke zusammen, «und ich habe einiges erlebt».
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W. E. B. Du Bois
«ALONG THE COLOR LINE»
Eine Reise durch Deutschland 1936
Herausgegeben von Oliver Lubrich
Aus dem Englischen von Johanna von Koppenfels
C.H.BECK textura
W. E. B. Du Bois in Tokio, 1936
1936 reist der afroamerikanische Soziologe W. E. B. Du Bois zu einem mehrmonatigen Forschungsaufenthalt ins nationalsozialistische Deutschland. Als scharfer Kritiker des Rassismus in seinem eigenen Land beobachtet er den Antisemitismus und die Entrechtung der Juden im ‹Dritten Reich›. Seine wöchentlichen Reportagen aus diesen Monaten erscheinen hier zum ersten Mal in deutscher Sprache. Du Bois berichtet über die Wagner-Festspiele in Bayreuth und das Deutsche Museum in München, über deutsche Bierlokale und die Olympischen Spiele in Berlin, bei denen auch schwarze Sportler antreten. Mit der Vertrautheit des Deutschlandkenners und dem fremden Blick des schwarzen Amerikaners betrachtet er die totalitäre Diktatur. Du Bois beobachtet entlang der «Farbenlinie», «along the color line», und stellt überrascht fest, dass er persönlich kaum Diskriminierung erfährt. Umso mehr erschüttert ihn die Verfolgung der Juden: «Sie übertrifft an rachsüchtiger Grausamkeit und öffentlicher Herabwürdigung alles, was ich jemals erlebt habe», fasst er seine Eindrücke zusammen, «und ich habe vieles erlebt».
W. E. B. Du Bois (1868–1963) studierte im Berlin der Kaiserzeit bei Max Weber und promovierte als erster Afroamerikaner an der Harvard University. Als Soziologe erforschte er die Lebensbedingungen der schwarzen Bevölkerung von Philadelphia, als Aktivist und öffentlicher Intellektueller wurde er zu einem Protagonisten der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Du Bois veröffentlichte zahlreiche Sachbücher, politische Artikel und literarische Texte. Sein Essayband «The Souls of Black Folk» (1903) ist ein Klassiker der amerikanischen Literatur.
Oliver Lubrich ist Professor für Komparatistik an der Universität Bern. Er schrieb über «Shakespeares Selbstdekonstruktion» und «Postkoloniale Poetiken» und gab Alexander von Humboldts «Sämtliche Schriften» heraus. In «Reisen ins Reich, 1933−1945» und «Berichte aus der Abwurfzone, 1939−1945» versammelte er Zeugnisse internationaler Autoren aus Nazi-Deutschland. Zuletzt hat er veröffentlicht: Thomas Wolfe, «Eine Deutschlandreise» (2020), John F. Kennedy, «Das geheime Tagebuch» (2021) und «Humboldt oder Wie das Reisen das Denken verändert» (2022).
Vorbemerkung zur historischen Begrifflichkeit
W. E. B. Du Bois: «Forum für Fakten und Meinungen». Kolumnen aus dem «Pittsburgh Courier»
13. Juni 1936
27. Juni 1936
Schadenfreude
29. August 1936
Kontakte
Belgien
Der Kongo
5. September 1936
England
Die Rassengrenze
Die gegenwärtige Krise
19. September 1936
Sport
Gesundheit
Die Olympischen Spiele
Künftige Amateure
Einkommen
26. September 1936
Europa
Warum Europa?
Zivilisation
Rasse und Austausch
Planungen und Kosten
3. Oktober 1936
Die Aufteilung des Lebens
Das Deutsche Museum für Wissenschaft und Technik
Bergbau
Verkehr
10. Oktober 1936
Ruhm
Mathematik und Elektrizität
Klang und Musik
Chemie
Bau
Astronomie
Bekleidung und Lebensmittel
17. Oktober 1936
Pilgerstätten
Wahnfried
Bayreuth
24. Oktober 1936
Die Olympischen Spiele
Spanien
Der Balkan
31. Oktober 1936
Die Oper und die Schwarzen
Die Meistersinger von Nürnberg
«Parsifal»
«Lohengrin»
Der Ring
7. November 1936
Ausbildung in der Industrie
Siemens
Siemensstadt
Ausbildende Industrie
Die Schule
Kontrolle
14. November 1936
München
Rasse und Arbeiterklasse
21. November 1936
Rasse und Lebensumstände
Einkommen
28. November 1936
Ägypten
Landwirtschaft
5. Dezember 1936
Deutschland
Deutschland und Hitler
Der Hintergrund
Depression und Revolution
12. Dezember 1936
Der Hitler-Staat
Nationalsozialismus
Die neue Philosophie
Propaganda
19. Dezember 1936
Rassenvorurteile in Deutschland
Antisemitismus
Die gegenwärtige Not des deutschen Juden
26. Dezember 1936
Weihnachten 1936
Wie lange wird Hitler sich halten?
Gefahren für Hitler
Profit
2. Januar 1937
Was die Deutschen denken
Industrieprofit
Die Nebelwand des Kommunismus
Nationale oder internationale Wirtschaft
Die deutschen Vorwürfe gegenüber den Juden
9. Januar 1937
Musik
Wien
Ostwärts
10. April 1937
Ausblick
«Entlang der Farbenlinie». W. E. B. Du Bois in Nazi-Deutschland – Nachwort von Oliver Lubrich
Der «schwarze Bismarck»
Eine Zwischenzeit
Von Berlin nach Hawaii
Gleichstellung und Gleichschaltung
Reisen ins Reich – aus der Ferne
Afrikanische Blicke
«Was ist mit der Farbenlinie?»
Rassismus und Antisemitismus
Editorische Anmerkungen
Du Bois’ Welt
Dank
Zeittafel
Literaturverzeichnis
W. E. B. Du Bois (chronologisch)
Weitere Primärquellen
Forschung zu W. E. B. Du Bois und Deutschland
Weitere Forschung
Filme
Rechtenachweise
Die Schwierigkeiten einer deutschen Ausgabe der Schriften von W. E. B. Du Bois beginnen bei deren Begrifflichkeit – und sie führen ins Zentrum seiner Themen. Du Bois fragt: «What of the color-line?» Wie verhält es sich mit der «Farbenlinie»? Wo verläuft sie, wie können wir sie begreifen – und kritisieren? Du Bois verwendet die Begriffe «color» («Farbe», das heißt: Hautfarbe) und «color-line» (die «Grenze zwischen den Hautfarben», die ‹Rassentrennung›), «race» («Rasse») beziehungsweise «racial» («rassisch»), «black» («schwarz»), «brown» («braun»), «colored» («farbig»), «Negro» («Neger») und «mulatto» («Mulatte») sehr differenziert mit ihren ideologischen, physiologischen, ästhetischen und sozialen Bedeutungen, im neutralen Sinn oder zur Selbstbeschreibung – und kaum in distanzierenden Anführungszeichen. Das wäre heute so nicht mehr möglich.
Auch in seinen wöchentlichen Kolumnen im «Pittsburgh Courier» von 1936/37, die in diesem Band auf Deutsch erscheinen, diskutiert Du Bois das Konzept «Rasse», das wissenschaftlich schon seinerzeit längst widerlegt war, als Problem jedoch weiterbestand: «We may and must […] re-word our problem, but it is still a problem. It is still a problem of a group which we must by the necessity of language call a race, and which is ‹Negro› by historical wording.» («Wenn wir […] unser Problem umformulieren können und müssen, so bleibt es dennoch ein Problem. Es ist noch immer das Problem einer Gruppe, die wir aus sprachlicher Notwendigkeit eine Rasse nennen müssen und deren historische Bezeichnung ‹Negro› lautet.») Als Historiker und Soziologe ebenso wie als Schriftsteller war sich Du Bois der Geschichtlichkeit der Begriffe bewusst, die wir zwar verändern wollen, denen wir aber nicht ausweichen können. Auf die Frage, wie er als Chefredakteur der Zeitschrift «The Crisis» mit dem rassistischen Schimpfwort «Nigger» umgehe, antwortete Du Bois im März 1936, dass er es drucken lasse, wenn es künstlerischen Zwecken diene oder als Zitat realistisch und sinnvoll sei.
Um die historische Begrifflichkeit seiner Texte zu bewahren, müssen wir Vokabeln, die heute nicht mehr gebräuchlich, unangemessen oder sogar abstoßend sind, differenziert übertragen. Das bedeutet, dass der Ausdruck «Negro» nicht mit «schwarz» übersetzt werden kann, weil Du Bois das Wort «black» ebenfalls gebraucht; und dass spätere Ausdrücke wie «African American» oder «person of color», die er noch nicht verwendet, nicht in Frage kommen, weil sie unzeitgemäß wären. Du Bois’ Texte aus den 1930er Jahren entsprechen im Übrigen auch in anderer Hinsicht heutigen politischen Vorstellungen nicht. So verwendet er die imperiale Bezeichnung «America», wo lediglich die Vereinigten Staaten gemeint sind, als würden diese einen Anspruch auf den gesamten Kontinent haben. Und selbstverständlich gendert Du Bois nicht.
«Negro» wird jedoch im Folgenden (anders als in der deutschen Ausgabe von Du Bois’ Hauptwerk «The Souls of Black Folk» aus dem Jahr 2003) auch nicht wörtlich mit «Neger» übersetzt, obgleich Du Bois selbst diesen Begriff gebraucht. Denn im deutschen Sprachraum gab es seinerzeit keinen Intellektuellen afrikanischer Herkunft, der sich diese Bezeichnung wie Du Bois – oder nach ihm Martin Luther King – selbstbewusst angeeignet hätte. Sie müsste im Deutschen, auch und gerade in einem Text aus den 1930er Jahren, unweigerlich abwertend, diskriminierend, rassistisch wirken und würde der Haltung des Autors damit zuwiderlaufen. Ein Vergleich zeitgenössischer Wörterbücher macht deutlich, dass das deutsche Wort «Neger» noch stärker rassistisch aufgeladen war als das englische Wort «Negro». So beschränkt sich «Webster’s Collegiate Dictionary» von 1935 auf rassentypologische Gemeinplätze («A person […] of any of the black races of Africa», «A black person»), während «Der Sprach-Brockhaus» aus demselben Jahr eine Schmähung hinzufügt: «schmutziger Mensch». Um seine Herkunft aus einem fremdsprachigen Diskurs zu markieren, wird das Wort «Negro» beziehungsweise «American Negro» daher in der vorliegenden Ausgabe im englischen Original (und kursiv) wiedergegeben.
Wenn Sie dies lesen, werde ich schon in See gestochen sein. Der Frieden des Meeres wird mich begleiten – seine Stille, seine unendliche Tiefe und Weite. Snobs und Narren werden mich umgeben, und es wird Probleme geben, einen Platz im Speisesaal oder im Rauchsalon für mich zu finden. Das wird mir nichts ausmachen. Ich werde frei sein und wunderbar allein. Ich werde alberne Unterhaltungsromane lesen und ins Leere starren. Und schlafen. Und schlafen.
***
Viele Orte werde ich besuchen. Ich möchte durch den Ägyptischen Saal des British Museum gehen und Big Ben am Themseufer hören. In Paris gibt es das Restaurant «Des Escargots» und von jeder beliebigen Brücke den Anblick der Seine. Im Tiergarten werden die Rosen blühen, und es ist schon Jahre her, dass ich das Wiener Opernhaus gesehen habe. Über Bern werden sich die Alpen erheben.
***
Doch eine Reise allein eignet sich bestens, um mit sich selbst ins Gespräch zu kommen. Man schließt mit sich Bekanntschaft und erneuert diese immer wieder. Als kühler und unerbittlicher Richter sitzt man sich gegenüber und fragt: «Was soll das?», und sagt: «Sprich, Pilger», und flüstert: «Stirb.»
***
Präsident Roosevelt ist wieder beliebt, und das zu Recht. Er hat wenig vollbracht, es aber zumindest versucht. Seine schärfsten Kritiker haben nichts versucht, als Selbstbesteuerung zu propagieren, um den heißen Brei herumzureden und die Verfassung zu verteidigen.
Einer der Gründe, eine Fremdsprache zu lernen, besteht darin, dass es in jeder Sprache einige unübersetzbare Ausdrücke gibt, die bestimmte menschliche Gedanken und Sachverhalte besser wiedergeben, als es in irgendeiner anderen Sprache möglich ist. Dies ist der Fall bei dem deutschen Wort «Schadenfreude». Wörtlich bedeutet es «Freude über Unglück», oder anders gesagt, es beschreibt das unwiderstehliche Gefühl der Genugtuung, das man verspürt, wenn jemand in Schwierigkeiten gerät, es gerade nicht leicht hat oder leidet. Letztendlich schämen wir uns natürlich immer für dieses Gefühl und rechtfertigen uns, indem wir sagen, er oder sie verdiene es, eine Lektion erteilt zu bekommen, da er oder sie ebenso herzlich über unser Unglück frohlockt habe. In Wahrheit sieht die harte menschliche Natur es gerne, wenn das Unglück möglichst weit verbreitet ist, damit sich nicht allzu viele Menschen etwas auf ihr Glück einbilden können.
Unter amerikanischen Negroes wird diese Schadenfreude durch ihre Lage verstärkt. Instinktiv fürchten wir uns vor Negroes, die Erfolg haben. Sie sollen sich nicht zu weit von unserem Elend entfernen und uns mit unserem Negro problem allein zurücklassen. Wenn also jemand entlarvt wird, der versucht hat, «als weiß durchzugehen», erzeugt das unter farbigen Menschen insgeheim eine tiefe Befriedigung, ungeachtet der Tatsache, dass die fragliche Person sehr viel eher weiß als dunkelhäutig ist und nach allen Regeln der Vernunft jedes Recht hat, sich selbst als weiß zu bezeichnen. Zugleich werden dieselben Menschen, die über «diese Enttarnung» frohlocken, entschieden darauf beharren, dass diese Person jedes Recht der Welt hat, sich als weiß zu bezeichnen.