Als die Rosen blühten am Rosenhaus - Leni Behrendt - E-Book

Als die Rosen blühten am Rosenhaus E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Es ist einem Witwer von fünfzig Jahren gewiß nicht zu verdenken, wenn er noch einmal heiraten will. Zumal dann nicht, wenn er über ein gutes Aussehen verfügt, gesund und vital ist und mit keinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Das alles traf auf den Besitzer einer großen Spirituosenfabrik und Weinkellerei, Egon Grodes, zu. Und doch gab es einige Menschen, die dem Mann diese Heirat verübelten. In erster Linie war das seine Tochter Alix, was Grodes mit Groll erfüllte. »Zum Kuckuck, ich habe es doch wirklich nicht nötig, mir von so einem Gör Vorschriften machen zu lassen!« brauste der tiefgereizte Mann auf. »Entweder läßt du von deiner aufsässigen Haltung ab, oder ich werde dir beibringen, wie man sich seinem Vater gegenüber zu benehmen hat.« »Bitte«, kam die Antwort fast gelangweilt von den Lippen des jungen, rassigen Menschenkindes. »Da bin ich tatsächlich neugierig, wie du das anstellen wirst.« »Alix, noch so eine schnippische Antwort – und du hast die erste Ohrfeige von Vaterhand weg!« schrie der Mann jetzt hochrot vor Zorn. »Und wenn die eine nicht hilft, dann ohrfeige ich dich so lange, bis ich dich zur Raison gebracht habe, verstanden?« »Gewiß«, versetzte sie mit aufreizender Ruhe. »Verstanden habe ich schon, aber –« »Kein Aber!« schnitt er ihr herrisch das Wort ab. »Du wirst dich bei dem heutigen Besuch meiner zukünftigen Frau so benehmen, wie es einem guterzogenen Mädchen zukommt.

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Leni Behrendt Bestseller – 3 –

Als die Rosen blühten am Rosenhaus

… kam die Liebe

Leni Behrendt

Es ist einem Witwer von fünfzig Jahren gewiß nicht zu verdenken, wenn er noch einmal heiraten will. Zumal dann nicht, wenn er über ein gutes Aussehen verfügt, gesund und vital ist und mit keinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat.

Das alles traf auf den Besitzer einer großen Spirituosenfabrik und Weinkellerei, Egon Grodes, zu.

Und doch gab es einige Menschen, die dem Mann diese Heirat verübelten. In erster Linie war das seine Tochter Alix, was Grodes mit Groll erfüllte.

»Zum Kuckuck, ich habe es doch wirklich nicht nötig, mir von so einem Gör Vorschriften machen zu lassen!« brauste der tiefgereizte Mann auf. »Entweder läßt du von deiner aufsässigen Haltung ab, oder ich werde dir beibringen, wie man sich seinem Vater gegenüber zu benehmen hat.«

»Bitte«, kam die Antwort fast gelangweilt von den Lippen des jungen, rassigen Menschenkindes. »Da bin ich tatsächlich neugierig, wie du das anstellen wirst.«

»Alix, noch so eine schnippische Antwort – und du hast die erste Ohrfeige von Vaterhand weg!« schrie der Mann jetzt hochrot vor Zorn. »Und wenn die eine nicht hilft, dann ohrfeige ich dich so lange, bis ich dich zur Raison gebracht habe, verstanden?«

»Gewiß«, versetzte sie mit aufreizender Ruhe. »Verstanden habe ich schon, aber –«

»Kein Aber!« schnitt er ihr herrisch das Wort ab. »Du wirst dich bei dem heutigen Besuch meiner zukünftigen Frau so benehmen, wie es einem guterzogenen Mädchen zukommt. Ich möchte mich nicht deiner schämen müssen.«

»Eben.« Es blitzte nun gefährlich in den blauen Mädchenaugen auf. »Um dich dieser Blamage nicht auszusetzten, werde ich – falls dieses Fräulein von Tees mein Elternhaus durch eine Tür betreten sollte – durch die andere verschwinden –«

»Was soll das heißen?« fragte Egon Grodes scharf dazwischen, und die Tochter fragte kühl dagegen:

»Ist das denn so schwer zu verstehen, Vater?«

Bei der Bezeichnung zuckte der Mann zusammen – denn er war noch nie von der Tochter so genannt worden. Immer war es der Paps für sie gewesen – und zwar ein guter, der an seinem einzigen Kind mit zärtlicher Liebe hing –

»Und wie ich verstehe, meine liebe Alix«, lachte er auf, so ein Lachen, von Grimm und Schmerz gemischt. »Wage es ja nicht, dein Vaterhaus gegen meine Einwilligung zu verlassen. Ich hole dich zurück – und wenn ich da Gewalt anwenden müßte!«

»Du scheinst zu vergessen, Vater, daß ich vor kurzem einundzwanzig Jahre und daher mündig geworden bin«, entgegnete sie achselzuckend – und der Mann hatte nun wirklich alle Beherrschung nötig, um nicht seine vorherige Drohung wahr zu machen und das Mädchen zu ohrfeigen, das wie die personifizierte Gelassenheit dasaß und ihm hartnäckig Widerstand entgegensetzte. Um sich zu beruhigen, griff er nach einer Zigarette, steckte sie in Brand und sagte mit gemachter Gleichmütigkeit:

»Also du willst Kampf, mein Kind – schön, den sollst du haben. Aber willst du mir nicht verraten, wovon du zu leben gedenkst, wenn du diese schützenden Mauern verläßt.«

»Von dem Geld, das mir meine Mutter hinterließ – und über das ich seit dem Tage meiner Volljährigkeit frei verfügen darf«, kam prompt die unerwartete Antwort. »Es ist, soviel ich weiß, mündelsicher angelegt –«

»Was hat das nun wieder zu bedeuten? Traust du mir etwa gar noch zu, daß ich mich an deinem Geld vergriffen hätte? Geh jetzt bitte, damit ich mich nicht doch noch zu etwas hinreißen lasse –«

Die Tür klappte hinter der grazilen Mädchengestalt zu – und der Mann fuhr sich in die Haare. Dann trat er an die Hausbar, goß zwei ausgewachsene Kognaks in die vor Grimm geengte Kehle und ließ sich dann wie erschöpft in den nächsten Sessel sinken.

Dem allen sah seelenruhig die Dame zu, die schon während der Debatte zwischen Vater und Tochter dagewesen war und sich schweigend verhalten hatte. Auch jetzt sagte sie noch nichts, bis der tiefgereizte Bruder sie laut anschrie:

»Sitz nicht da wie eine Pagode!«

»Wie, was?« fragte sie lachend. »Na hör mal, mit dem komischen Männchen habe ich doch nun wirklich keine Ähnlichkeit. Außerdem müßte ich dann unausgesetzt mit dem Kopf nicken, wobei sich meine Nackenmuskeln langsam ausleiern würden –«

»Hör bloß auf!« herrschte er sie an. »Schäm dich, jetzt zu ulken. Die Situation ist doch wohl ernst genug, will ich meinen.«

»Es liegt ja an dir, sie zu ändern«, kam es ungerührt zurück. »Gib deine törichten Heiratspläne auf – und es herrschen hier wieder Friede und Eintracht.«

»Nein, ich gebe nicht auf«, beharrte er eigensinnig. »Jetzt gerade nicht! Als ob ich der erste Mann wäre, der sich mit fünfzig Jahren noch einmal verheiraten will. Anstatt mir mein Glück zu gönnen, versucht ihr, es mir mit lächerlichen Vorstellungen zu verleiden. Aber ich werde euch schon zeigen, wer hier der Herr im Hause ist.«

»Bitte sehr, mein lieber Egon, jeder blamiert sich, so gut er kann.«

»Grit, ich verbitte mir –«

»Na ja, ist schon gut«, winkte sie beschwichtigend ab. »Narren und Verliebte soll man nicht reizen, sonst können sie am Ende zum Berserker werden. Man kann erst wieder vernünftig mit dir reden, wenn sich dein jetzt so heißes Herz abgekühlt hat.«

»Wie meinst du das?«

»Genau so, wie es gesagt ist.«

»Daß ihr Frauen doch nicht von euren Spitzfindigkeiten lassen könnt«, brummte er nun ganz verdrießlich. »Wann soll mein Herz sich wohl abkühlen, wie?«

»Gleich nach den Flitterwochen – oder gar schon mittendrin. Und nun sieh mich nicht so an, als ob du mich fressen wolltest, sondern hör hübsch zu, was ich dir sagen werde, nämlich: Daß es kein gutes Ende nehmen kann, wenn ein Fünfzigjähriger eine Zweiundzwanzigjährige heiratet, Bruderherz. Nimmst du etwa an, daß das junge Mädchen dich liebt?«

»Gewiß tut sie das.«

»Gott segne deinen kindlichen Sinn«, versetzte sie achselzuckend. »Taumle also in dein vermeintliches Glück, aus dem es bald ein böses Erwachen für dich geben wird. Und mach deinen Geldbeutel nur recht weit auf, damit du dessen Inhalt möglichst schnell in das Danaidenfaß schütten kannst. Denn bedenke, deine Auserwählte bringt in die Ehe nicht nur ihre sehr anspruchsvolle Mutter mit, sondern auch ihren Bruder, der als Leichtfuß und Tagedieb bekannt ist. Da wirst du die Taler flott rollen lassen müssen, mein Lieber.«

»Handelt es sich etwa um dein Geld?« fragte er bissig.

»Gottlob, nein. Und zum Glück auch das deiner Tochter nicht. Sonst würde das jetzt so reiche Mädchen wohl bald am Hungertuch nagen müssen – Egon, so geh doch endlich in dich«, sprach sie jetzt beschwörend auf ihn ein. »Daß du in deiner Vitalität noch einmal heiraten willst, wird dir kein Mensch verdenken. Aber suche dir als Gattin ein weibliches Wesen, daß zu dir paßt und alle Qualitäten besitzt, um dich auch wirklich glücklich zu machen. Von der Weiblichkeit gibt es nämlich eine ganze Menge, das darfst du mir schon glauben.«

»Ach so, da soll ich mir wohl eine Omama anheiraten«, höhnte er. »Gib dir keine Mühe, meine Wahl ist getroffen.«

»Na – dann herzlichen Glückwunsch«, versetzte sie trocken. »Werde selig – aber ohne mich und Alix.«

»Grit, auch du willst mich verlassen?« fragte er betroffen. »Was soll denn aus dem Haushalt werden?«

»Das laß deine Sorge sein«, erwiderte sie kühl. »Ich sage jetzt dasselbe, was Alix vorhin tat: Sowie deine Auserwählte in einer Tür hier erscheint, entschwinde ich durch die andere.«

»So schert euch denn zum Kuckuck!« brüllte er nun los. »Es wird auch ohne euch gehen!«

Dann starrte er auf die Tür, die sich hinter seiner Schwester schloß, mit der ihn von jeher ein herzliches Verhältnis verbunden hatte und seit dem Tode seiner Frau, die vor zwei Jahren starb, seinem Hause vorstand mit Geschick und Energie.

*

Frau Grit von Alkes stieg die Stufen der mit Teppichläufern belegten Treppe hinauf – ganz langsam und schwer, als trüge sie Blei in den Füßen. Sie hatte ja auch Kummer genug, da sie das Haus, an dem sie hing, verlassen sollte.

Und es war ein gutes Haus, vornehm und gediegen. Man legte Wert darauf, nur saubere und einwandfreie Elemente darin zu beherbergen. So hatten es bereits die Eltern Grits gehalten, dann ihre Schwägerin und zuletzt sie selbst.

Die Firma Grodes hatte schon zuzeiten des Großvaters einen guten Klang gehabt, und die beiden Nachfahren waren stets bemüht gewesen, diesen guten Klang nicht nur zu erhalten, sondern noch zu festigen. Hauptsächlich dem jetzigen Besitzer war das nicht schwergefallen, weil er von Hause aus schon recht vermögend, noch dazu eine reiche Frau geheiratet hatte. Also konnte er seinen Besitz immer noch erweitern. Auch das bisher wohl behagliche, doch schlichte Wohnhaus wurde durchgebaut und mit allem Komfort versehen. Es herrschte eine Harmonie darin, wie sie leider nicht oft zu finden ist. Und das lag hauptsächlich an der Hausherrin, die mit Güte und Liebe ihr mildes Zepter schwang.

Daher war es für Vater und Tochter ein harter Schlag, als die gütige Frau nach einer schweren Operation die Augen für immer schloß. Und da war es die verwitwete Grit von Alkes, die den beiden verstörten Menschen langsam über ihren Schmerz hinweghalf.

Sie war aber auch ein prächtiger Mensch, die jetzt zweiundfünfzigjährige Grit! Klug, welterfahren, scharmant und immer frohgemut und guter Dinge. Selbst durch ihre unglückliche Ehe mit einem namhaften Bildhauer hatte sie sich nicht unterkriegen lassen. Sie ließ den leichtsinnigen Menschen gewähren, nur von dem in die Ehe gebrachten Geld gab sie nicht eine Mark her, was ihr sehr zugute kam, als der Gatte tödlich verunglückte. Zwar fand sie im Nachlaß keine Schulden vor, aber auch keine Rücklage. Allerdings brachte dann der Verkauf der Villa samt ihrer Einrichtung einen guten Batzen, den sie zu ihrer unangetasteten Mitgift tat und nun sehr gut davon leben konnte. Sie mietete sich eine kleine komfortable Wohnung in Berlin.

Bis dann der Bruder sie nach dem Tode der Gattin in sein Haus rief, dem sie sich dann auch in ihrer scharmanten Art annahm. Ihre Nichte Alix schloß sich fest an sie an, und auch der Bruder fühlte sich unter ihrem Zepter so wohl, daß er kein Verlangen danach trug, ein zweites Mal zu heiraten –.

Bis – ja bis er das Fräulein von Tees kennenlernte, da überkam es den sonst so Besonnenen wie ein Rausch. Da half kein Bitten und kein Trotz der Tochter, kein Insgewissenreden der Schwester, der alternde Mann war förmlich davon besessen, mit einer jungen Frau sich ein Stück Jugend zurückzuerobern, sich ein spätes Glück zu schaffen.

Oben betrat Grit das reizende kleine Reich der Nichte, die untätig dasaß und die Tante nun fragend ansah –.

»Ja, mein Mädchen«, meinte sie traurig. »Da werden wir nun wohl unsere Siebensachen packen müssen – denn dein Vater gibt nicht nach, das ist mir heute zur Gewißheit geworden. Im Gegenteil, er verbeißt sich immer mehr in seinen Entschluß, je hartnäckiger wir beide ihm Widerstand entgegensetzten. Er tut mir bitter leid, der törichte Mann, aber wem nicht zu raten ist, dem ist nun einmal nicht zu helfen. Wie sagt Wilhelm Busch:

Mit Gründen ist da nichts zu machen,

Was einer mag, ist seine Sach –

denn kurz gesagt: In Herzenssachen,

geht jeder seiner Nase nach –.

Wenn er sich die verbrannt hat, wird er es schon merken«, setzte sie lachend hinzu. »Und nun wollen wir packen. Zuerst mal je einen Koffer, die anderen Sachen können uns nachgeschickt werden. Und zwar von Alma, der wir auch die Schlüssel von unsern Zimmern anvertrauen. Soweit ich die brave Seele kenne, wird sie diese der neuen Herrin bestimmt nicht ausliefern. Ich vermute sogar, daß sie ihren Dienst kündigen wird, sobald die Tees mit Anhang hier einzieht.«

Eine Stunde später waren dann die Koffer gepackt – und noch eine Stunde später brachte das Auto die Auserwählte des Hausherrn nebst dem unvermeidlichen Anhängsel. Grit und Alix, die oben am Fenster standen, sahen voll Grimm, wie herzlich die Besucher von Egon Grodes empfangen wurden –

»So mein Kleines, jetzt wird die Sache ernst«, ermunterte die Tante ihre Nichte, indem sie diese vom Fenster fortzog. »Nun müssen wir das Feld räumen, wenn wir all den Widerwärtigkeiten entgehen wollen, die sich fortan hier abspielen werden. Ich weiß, es fällt dir schwer, mein Kind –«

»Durchaus nicht.« Das Mädchen warf den Kopf in den Nacken, während in den Augen der Trotz nur so funkelte. »Ich würde hier doch nur geduldet sein, und das paßt mir nicht. Es wird schon der Tag kommen, wo Vater mich liebend gern wieder hierhaben möchte, aber dann werde ich genau so störrisch sein, wie er es heute ist. Werde ihm zeigen, daß mir an ihm genau so wenig gelegen ist wie ihm an mir.«

Zehn Minuten später saßen sie in Alix’ elegantem Zweisitzer. Und während der Wagen dahinflitzte, widmete Egon Grodes sich seinen Gästen, die immer wieder beteuerten, welch ein entzückendes Heim dieses wäre. Beunruhigt wartete der Hausherr auf seine Angehörigen, bis er seine Ungeduld nicht länger zügeln konnte, sich bei den Gästen entschuldigte und zorngeladen zum Zimmer der Tochter ging. Jetzt sollte das widerspenstige Mädchen ihn aber kennenlernen!

Doch gleich darauf mußte er feststellen, daß die Türen zu den Zimmern der beiden Damen verschlossen waren. Am liebsten hätte er ja in seiner Wut wie irrsinnig gegen das Holz geschlagen, aber das ging nicht gut an, weil er die Gäste unten nicht hellhörig machen wollte.

»Alix, sofort machst du auf!« gebot er leise, aber scharf – doch nichts rührte sich. Gleichfalls blieb es nach seiner Aufforderung hinter der andern Tür still. Mit einem Gesicht, als ob er sie fressen wollte, sah er der adretten Köchin entgegen, die den Gang entlang kam.

»Was haben Sie hier zu suchen?« fuhr er sie an, worauf sie ihn erstaunt musterte.

»Ich habe hier zu tun, Herr Grodes.«

»Na schön –«, kam er langsam zur Besinnung. »Nun, da Sie einmal hier sind, so sagen Sie den beiden Damen Bescheid, daß sie sich unverzüglich nach unten bemühen möchten.«

»Das ist aber wohl nicht gut möglich –«

»Warum nicht?« fuhr er ihr ärgerlich ins Wort.

»Weil die beiden Damen vor ungefähr einer halben Stunde im Auto fortgefahren sind«, entgegnete sie kühl. Er erblaßte vor Schreck, doch schon hatte er sich wieder in der Gewalt.

»Wo sind die Schlüssel von den Türen?« fragte er kurz.

»Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich haben die Damen sie mitgenommen.«

Dann wandte er sich brüsk ab und hastete davon, während sie ihm mit schadenfrohem Lächeln nachsah.

Das geschieht dir recht – dachte sie dabei. Du sollst noch dein blaues Wunder erleben. Denn sofern du diese Pute als deine Frau ins Haus bringst, wirst du deine gesamte Dienerschaft los, wie du deine Tochter und deine Schwester bereits losgeworden bist, du blindverliebter Narr.

Damit ging sie zur Küche, wo das Hausmädchen, der junge Diener und der Chauffeur sich lebhaft unterhielten. Eben sprach letzterer:

»Das ist ein ganz schofles Pack, sage ich euch. Und sollte heute die Verlobung steigen, so kündige ich morgen.«

»Ich auch«, bekannte das Mädchen Ella. »Ich habe nämlich keine Lust, mich von der künftigen Gnädigen schikanieren zu lassen. Denn diese Sorte kenne ich, die sind die reinen Teufel ihren Untergebenen gegenüber. Dem Herrn werden noch die Augen auf- und übergehen. Schade um ihn.«

*

Die beiden Reiter sahen verwundert dem schmucken Auto entgegen, das über den Landweg schaukelte. Denn es war ja keine glatte Asphaltstraße, sondern ein Privatweg, der zum Rittergut Isen gehörte. Das war durch ein großes Schild auch deutlich genug gekennzeichnet – wer also erdreistete sich, die Warnung außer acht zu lassen?

Diese Frage stellte sich hauptsächlich der ältere Reiter, der dem schnittigen Gefährt alles andere als freundlich entgegensah, und kaum, daß es vor ihm hielt, wetterte er auch schon los:

»Ja, sagen Sie mal, Sie weiblicher Chauffeur, können Sie denn nicht lesen, was an der Straße, die von der Chaussee abbiegt, geschrieben steht? Ein Privatweg ist das hier und keine Durchfahrt für Benzinkutschen! Und wenn Sie nicht sofort umkehren –«

»Na, was denn?« lachte es hellklingend in seine geharnischte Rede hinein. »Wollen Sie mich dann etwa zur Polizei schleppen? Aber, aber, Herr Druschmann, man immer sachte mit den jungen Pferdchen!«

Mit einem eleganten Satz schwang sich die grazile Gestalt über die Tür des offenen Wagens und stand nun vor dem Erbosten. Die Augen blitzten, der Mund lachte so unschuldsvoll, als gehöre er einem Wesen aus himmlischen Gefilden.

»Donner noch eins –«, kratzte der rigorose Reiter sich verblüfft den Kopf – ein Stutzen, ein scharfes Nachdenken – und dann ein schallendes Lachen.

»Hilf, Himmel, das ist ja die Alix – Verzeihung, das Fräulein Grodes wollte ich natürlich sagen. Ja, wo kommen Sie denn so plötzlich her?«

»In der Benzinkutsche frisch importiert aus meiner Vaterstadt. Sie sind aber in den drei Jahren, da ich Sie zuletzt sah, kein bißchen älter geworden, Herr Verwalter.«

»Schade, daß ich kein eitles Fräulein bin«, strich er vergnügt über sein Bärtchen, da dieses zum Zwirbeln zu kurz war. »Das wäre dann Musik für meine Ohren. Aber das Kompliment gebe ich zehnfach zurück, das heißt, was Schönheit und Scharm anbetrifft. Da kann einem tatsächlich warm unter der Weste werden.«

»Die Sie gar nicht anhaben«, lachte Alix ihn an und wandte sich dann langsam dem anderen Reiter zu, der amüsiert dem Vorgang gefolgt war. Und nun sagte Druschmann:

»Gestatten Sie, gnädiges Fräulein, daß ich Ihnen meinen Herrn und Gebieter vorstellen. Also darf ich bekannt machen: Herr Baron von Isenhardt – Fräulein Alix Grodes, die Tochter eines reichen Vaters, der sich als Besitzer einer Spirituosenfabrik und Weinkellereien umsonst einen andudeln kann. Beneidenswerter Mann.«

Der junge Mann, der aus dem Sattel geglitten war, nahm nun ganz zart das Händchen, das sich ihm entgegenstreckte. Dann ging sein Blick zum Auto hin.

»Das ist meine Tante, Grit von Alkes«, stellte Alix einfach vor. »Und dazu noch mein herzliebes Treugespann. Zwar ist sie als Schwester meines Vaters zwischen Alkohol geboren, aber eine hoffnungslose Trinkerin ist sie trotzdem nicht geworden.«

»Komische Vorstellung«, lachte Grit, indem sie die beiden Herren begrüßte. »Aber meine Alix ist und bleibt nun mal ein übermütiger Strolch.«

»Wohl ihr«, schmunzelte der Verwalter und rief dann Alix warnend zu, die furchtlos auf den Cockerspaniel zuging, der ganz friedlich neben seinem Herrn saß:

»Vorsicht, gnädiges Fräulein, der Hund ist Fremden gegenüber unzugänglich!«

»Aber nicht bei mir«, tat sie unbekümmert ab. »Bist aber ein prächtiger Bursche. Komm her, komm zu Frauchen.«

Tatsächlich ging der Hund hin und ließ sich streicheln –

»Na also –«, nickte das Mädchen zufrieden. »Der weiß genau, wie gern ich Hunde mag. Ganz besonders, wenn

sie so bildschön sind wie dieser.«

»Alix, wir müssen weiter, damit wir noch vor Dunkelwerden unser Ziel erreichen.«

»Die Damen wollen ins Rosenhaus?« fragte Druschmann, und lachend gab Alix Antwort:

»Jawohl. Und wir fahren sogar den Weg weiter, weil uns das zukommt.«

»Allerdings«, schmunzelte der Verwalter. »Ich darf da nicht mal Wegzoll verlangen.«

»Könnte Ihnen so passen«, blitzte sie ihn an. Ein kurzer Abschied, dann nahm sie am Steuer Platz und fuhr ab.

»Ist doch ein Mordsmarjellchen, die Alix«, sprach Druschmann ihr nach. »Immer noch frohgemut und guter Dinge, wie sie von jeher war.«

»So kennen Sie die junge Dame schon länger?« forschte Gernot von Isenhardt, und der Gutsverwalter nickte.

»Schon als Schulmädchen, Herr Baron. Sie verbrachte ihre Ferien größtenteils bei ihrer Großtante im Rosenhaus. So schrullig und unzugänglich die alte Dame sonst auch war, aber ihr Sonnenkind, wie sie Alix Grodes nannte, vergötterte sie förmlich. Diese erbte dann auch nach dem Tod der Tante deren kleinen Besitz. Das war vor ungefähr drei Jahren, und seitdem ist die junge Besitzerin nicht mehr dort gewesen. Sehr zum Kummer der braven Eheleute Brasch, die das Anwesen verwalten. Denn auch in ihren guten Herzen sitzt die frohgemute Alix tief drin. Daher wird es für die Leutchen eine riesige Freude sein, wenn ihr Abgott nach so langer Zeit bei ihnen aufkreuzt.«

Und es wurde eine. Muttchen Brasch zerdrückte Freudentränen, und ihr Ehegespons war nahe daran. Als Alix gar verriet, daß sie für länger zu bleiben gedächte, da gab es strahlende Gesichter.

Das Rosenhaus trug seinen Namen daher, weil es ringsum von Rosen umrankt war, die vom Frühjahr bis in den Spätherbst hinein blühten; denn die Rosen waren eine wahre Leidenschaft Tante Riekchens gewesen. Ihnen gehörte ihre Liebe, ihre Sorgfalt. Sie wuchsen nicht nur am Haus, sondern auch im Garten an allen Ecken und Enden, sogar auf dem Hof, wo nur ein Fleckchen Erde frei war.

Das Haus war zwar altmodisch, aber recht behaglich eingerichtet. Unten befanden sich zwei große Zimmer, eine kleine Diele, die Wirtschaftsräume, oben drei weitere geräumige Stuben. Die beiden zusammenhängenden bezogen Grit und Alix.

»Das ist ja hier urgemütlich«, sagte erstere, sich vergnügt in dem Raum umsehend. »Wenn man sich reckt, kann man fast an die Balkendecke reichen. Dann das altmodische Mobiliar, das braune Holzbett mit seinen hochgetürmten Kissen. Und alles so blitzsauber. Ob Muttchen Brasch etwa gewußt hat, daß du kommst und daher ein Scheuerfest veranstaltet hat?«

»Das tut sie von Zeit zu Zeit sowieso«, gab Alix lachend zurück.»Das liegt ihr so im Blut. Also gefällt es dir hier, Gritchen?«

»Sehr.«

»Na, Gott sei Dank! Ich fürchtete nämlich schon, daß du bei all dem herrlich Altmodischen verächtlich die Nase rümpfen würdest.«

»Na eben, ich bin ja auch noch so ›neu‹ mit meinen zweiundfünfzig Jahren, daß alles um mich herum hypermodern sein muß«, entgegnete die andere trocken, und die Nichte sah sie spitzbübisch an.

»Wenn auch nicht mehr nagelneu, aber immerhin noch nicht alt und vor allen Dingen sehr scharmant.«

»Bloß gut, daß du das wenigstens findest, du Schmeichelkatze.«

Lachend wirbelte Alix die Tante herum und verschwand dann im Nebenzimmer, das dem anderen ziemlich glich. Nur daß der kleine Schreibtisch mit den Etageren hier durch einen Sekretär ersetzt war. Sonst gab es auch hier einen braunen Schrank aus glänzendem Nußbaum, die passende Kommode dazu, ein Plüschsofa mit Rosenmuster, Tisch, Stühle und einen Teppich mit Rosenmotiven. An den mäßig großen Fenstern hingen duftige Gardinen zierlich gerafft. Auch in sie waren Rosen hineingewebt.

»Sag mal, Mädchen, wo wäscht man sich hier? Ich kann nirgends eine Gelegenheit dazu entdecken.«

»Oh, bitte sehr«, Alix erschien auf der Schwelle. »Öffne die schmale Tür neben dem Schrank dort, dann erblickst du ein Bad. Hast du etwa angenommen, daß es so was hier nicht gibt?«

»Jedenfalls bin ich angenehm überrascht«, kam es vergnügt zurück. »So werde ich mich denn einer Säuberung unterziehen.«

»Ja, geh nur. Wenn du fertig bist, werde auch ich mich blankputzen.«

Bis es soweit war, räumte Alix ihre Sachen ein. Dabei dachte sie an ihren Vater, und es wurde ihr bang ums Herz. Doch nicht lange, dann meldete sich der Trotz.

Ach was, er hatte sie ja aufgegeben, ein Zeichen, daß ihm nichts an ihr lag. Alix war nun wirklich nicht so abgünstig, daß sie dem Vater eine zweite Frau nicht gönnte. Aber auch nur eine, bei der er auch wirklich sein Glück finden konnte. Nicht eine zweiundzwanzigjährige, die den Fünfzigjährigen bestimmt nicht um seiner selbst heiraten wollte, sondern diese Ehe nicht nur als glänzende Versorgung für sich ansah, vielmehr auch noch für Mutter und Bruder.

*

Als die beiden Damen das geräumige Speisezimmer betraten, umfing es sie wie mit linden Armen. Auch hier gab es zwar veraltete, aber gut gepflegte Möbel. Der Plüsch des behäbigen Sofas zeigte Rosenmuster, der Teppich, die Gardinen, die Sofakissen, das Damasttischtuch, das Porzellan, das darauf stand, selbst die schweren Silberbestecke und natürlich auch die Tapeten. In dem großen Kachelofen flackerte ein lustiges Feuer, was bei dem launischen April als wohltuend empfunden wurde.

»Schön ist das hier«, sagte Grit froh. »So läßt es sich schon aushalten. Alles um uns atmet Behaglichkeit, genau so, wie ich es liebe. Jetzt kann ich auch verstehen, mein Kleines, daß du gern hier weiltest. Das Rosenhaus mutet an wie eine kleine Insel des Friedens.«