Als ich die Pflaumen des Riesen klaute - Ulf Stark - E-Book

Als ich die Pflaumen des Riesen klaute E-Book

Ulf Stark

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Beschreibung

Nicht weit von Ulfs Haus wohnt ein Riese namens Oskarsson – die unheimlichste Erscheinung der ganzen Gegend. Riesengroß, laut und lebensgefährlich. Ulfs Freund Bernt weiß eine Menge über Riesen – und die beiden gruseln sich gewaltig. Aber Oskarsson wird immer sanft, wenn Ulfs Mama Klavier spielt. Bloß als sie dazu zu traurig ist und Ulf außerdem durch einen dummen Fehler Bernts Freundschaft verliert, muss er sich zum Äußersten entschließen … Erst klaut er die Pflaumen – und dann braucht er die Hilfe des Riesen. Am Ende erkennen Bernt und Ulf in Oskarsson einfach einen groß gewachsenen Mann. Wenn sie sich künftig gruseln wollen, müssen sie sich was anderes suchen. In unverwechselbarem Ton – mal schelmisch, mal zum Brüllen komisch, mal todernst, doch immer liebevoll – erzählt Ulf Stark von Freundschaft, Verrat und großen Abenteuern, die immer gleich hinter der nächsten Ecke lauern.

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Ulf Stark

ALS ICH DIE PFLAUMEN DES RIESEN KLAUTE

Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer

Mit Illustrationen von Regina Kehn

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

1.

Nicht weit entfernt von unserem Haus wohnte ein Riese namens Oskarsson.

Man ging einfach geradeaus, dann nach links, und schon kam man zu seinem Haus. Genau das taten wir manchmal, wenn wir uns ordentlich gruseln wollten. Der Riese Oskarsson war die unheimlichste Erscheinung in der ganzen Gegend.

Wenn man sein hübsches Haus sah, hätte man das nicht für möglich gehalten.

Es war weiß mit blauen Fensterrahmen.

»Oskarsson« stand auf dem Briefkasten, der am Torpfosten hing.

Aber für uns war er nur Oskarsson, der Riese. Er war riesengroß, laut und lebensgefährlich. Wenn er den Mund aufmachte, sah man seine Goldzähne aufblitzen. Seine Unterarme und Handrücken waren von einem Teppich aus krausen schwarzen Haaren bedeckt. Sogar aus Nase und Ohren sprossen drahtige Haarbüschel.

Aber sein Kopf war kahl. Er trug immer eine schwarze Baskenmütze mit einem kleinen Stummel, der in die Luft ragte.

»Das ist eine Antenne«, behauptete mein Freund Bernt.

»Damit er sich mit den anderen Riesen unterhalten kann. Anstelle von einem Telefon.«

»Du machst wohl Witze«, sagte ich. »Wie sollten die Stimmen in die Mütze reinkommen?«

»Riesen brauchen nicht mit dem Mund zu reden«, sagte Bernt. »Die können sich ihre Gedanken wie Wellen durch die Luft schicken. Das nennt man Telepathie.«

Ich kam mir dumm vor.

Das passierte mir oft, wenn Bernt und ich uns unterhielten, Bernt wusste nämlich alles. Seine Eltern waren Lehrer. Sie hatten ein ganzes Zimmer voller Bücher. Siebenhundertdreiundfünfzig Stück. Bernt hatte sie selbst gezählt.

Es ist gar nicht schön, wenn man sich dumm vorkommt. Schließlich will jeder in irgendetwas gut sein.

»Komm, wir besuchen den Riesen«, schlug ich vor, um Bernt Angst zu machen.

»Von mir aus«, sagte Bernt und zuckte mit den Schultern, als wäre das gar nichts.

Aber ich stellte erfreut fest, dass seine Beine beim Gehen zitterten.

Leider taten meine Beine das auch.

Im Sommer trug der Riese meistens kurzärmelige Hemden, wenn er von seiner Arbeit in der Metzgerei frei hatte. Hemden mit Blumen drauf, Blumen, die rot wie Blut waren.

Papa erklärte, solche Hemden würden Waikiki-Hemden genannt und zeugten von schlechtem Geschmack. Vorne am Bauch stand das Hemd offen. Die Knöpfe in der Mitte ließen sich nicht schließen, weil der Bauch des Riesen zu groß war.

»Das kommt davon, dass er zu viel Wurst und Speck isst«, erklärte Papa.

Er hatte zwischen den Backenzähnen des Riesen Fleischreste gesehen, als er sie reparierte.

Aber Bernt behauptete, das seien Reste von Kaninchen, Goldhamstern, Katzen und kleinen Kindern.

»In so einen Bauch passen mindestens fünf kleine Kinder rein, das heißt, wenn sie nicht zu groß sind«, flüsterte er mir ins Ohr, als wir uns Oskarssons Gartentor näherten. Gleich darauf sahen wir ihn. Er hatte sein geschmackloses Hemd an, kniete im Garten und pfefferte Unkraut in einen Korb, als wären es lauter Fleischfetzen.

»Siehst du den Pflaumenbaum?«, fragte Bernt.

»Klar seh ich den«, sagte ich.

»Das sind Viktoriapflaumen, die allerbeste Sorte«, erklärte er. »Nächstes Mal kommen wir her, wenn es dunkel ist, und holen uns welche. Okay?«

»Okay«, sagte ich. Dabei lief es mir kalt über den Rücken. Aber ich wusste, das würden wir nie tun. Das war zu gefährlich. Wir spielten nur mit dem fürchterlichen Gedanken.

»So, und jetzt musst du ihn begrüßen«, sagte Bernt. »Du hast gesagt, du willst ihn besuchen.«

Also begrüßte ich ihn, was blieb mir schon anderes übrig.

»Hallo, Herr Oskarsson! Was machen Sie denn da?«, schrie ich.

Dann legten wir die Beine auf den Rücken und rannten davon.

»Bald blüht hier was, Ulf«, dröhnte der Riese hinter mir her.

»Hast du verstanden, was er gerufen hat? Bald blüht dir was, Ulf – was kann er damit wohl gemeint haben?«, fragte ich Bernt, als wir um die Ecke gebogen waren und Bernt einen Busch aufgesucht hatte.

»Das heißt, bald ist es aus mit dir. Demnächst musst du ins Gras beißen, dann kannst du die Radieschen von unten angucken«, sagte Bernt und knöpfte seinen Hosenladen zu. »Aber jetzt musst du zum Essen nach Hause.« Mama hatte mit der Trillerpfeife gepfiffen. Dreimal kurz und einmal lang. Alle Kinder der Nachbarschaft hatten unterschiedliche Signale, daher wussten wir immer, wer von uns nach Hause musste.

»Tschüss«, sagte ich.

»Guten Appetit«, sagte Bernt.

2.

Mama hatte Lammragout mit Weißkraut gekocht, und das mochte ich normalerweise sehr. Aber jetzt musste ich an das geschlachtete Lamm denken, das dafür ins Gras gebissen hatte, und brachte fast nichts hinunter.

»Hast du denn gar keinen Hunger?«, fragte Mama.

»Eigentlich nicht«, sagte ich. »Riesen sind doch echt unheimlich, oder?«

»Das Unheimlichste an ihnen ist, dass es sie gar nicht gibt«, sagte Papa.

Was wusste er schon? Er las ja keine Märchen.

Mama dagegen machte das.

So wie sie überhaupt das meiste bei uns machte, bis auf die Zahnarztpraxis.

Sie kaufte das Essen ein.

Sie räumte auf.

Sie hatte sämtliche Krankheiten und Geburtstage der Verwandten im Kopf, sie wusch unsere Kleider, backte Kuchen und tröstete uns, wenn wir traurig waren.

Das alles machte sie, ohne sich zu beklagen. Sie stellte nur zwei Bedingungen. Jeden Abend musste sie zwanzig Minuten ungestört Klavier spielen dürfen. Und jedes Wochenende brauchte sie einen freien Nachmittag, um auf ihrem grünen Fahrrad hinaus zur »Einsamkeit« zu radeln.

Die »Einsamkeit« war nichts anderes als eine Hütte im Wald. In der Hütte gab es ein Fenster, einen Sessel, in dem man sitzen konnte, und einen Ofen, in dem man Feuer machen konnte, wenn es kalt wurde.

Sie hatte die Hütte von einem Onkel geerbt, der vorgehabt hatte, dort ein Buch zu schreiben. Aber er hatte es nie getan.

Aus dem Fenster hatte man eine schöne Aussicht, weil die Hütte hoch oben auf einem Hügel lag. Man konnte den Himmel betrachten und die Baumwipfel und die Wolken, die vorüberzogen. Man konnte den Wind in der hohen Kiefer rauschen hören, die gleich neben der Hütte stand. Das Rauschen sei die Art des Baumes zu denken, sagte Mama.

Einmal fragte ich Mama, was sie in der Hütte machte.