Als ob du mich vermisst - Michelle Schrenk - E-Book

Als ob du mich vermisst E-Book

Michelle Schrenk

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Beschreibung

„Louisa, lass uns so tun, als hätten wir uns nicht vermisst, als würden wir uns erst jetzt zum ersten Mal begegnen. Als wäre es wieder damals, als würde uns das Schicksal Zeit schenken. Dann könnten wir alles, was war, vergessen und wirklich die Zeit zurückdrehen.“ Louisa und Josh – von Beginn an haben sie sich zueinander hingezogen gefühlt. Sie spüren, sie sind irgendwie mehr als beste Freunde. Aber irgendwie war das Timing immer schlecht. Als sie sich zufällig wiedersehen, ist da sofort wieder dieses Gefühl zwischen den beiden. Nur ein Moment, scheinbar unbedeutend, doch er setzt eine Kettenreaktion an Augenblicken in Gang. Und mit einem Mal ist da die Frage: Was wäre, wenn sie in der Vergangenheit anders gehandelt hätten? Als Josh vor Louisas Tür steht und sie bittet, gemeinsam mit ihm die Zeit zurückzudrehen, denkt sie erst, er sei verrückt geworden. Aber dann lässt sie sich auf dieses ungewöhnliche Experiment ein. Sie tun so, als wären die Monate, in denen sie nichts miteinander zu tun hatten, nie passiert. Ein prickelndes Spiel beginnt, und schon bald erkennen Louisa und Josh, dass Gefühle kein Zufall sind. Doch sind sie bereit, ihre Herzen erneut zu riskieren?

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Inhaltsverzeichnis

Über die Autorin

Playlist

Wenn Geschichten beginnen

Veränderungen

Zufall oder Schicksal?

Zu lange vermisst

Manches ändert sich nie

Fake Life

Anders als erwartet

Morgen ist ein neuer Tag

Nach den Sternen greifen

Wo ist der Sinn?

Unerwarteter Besuch

Die Zeit zurückdrehen

Was gewesen wäre

Nicht gut – viel zu gut

Vielleicht oder vielleicht nicht

Scheiß auf morgen

Die Zukunft vor Augen

Am Ende kommt es anders

Das Leben entscheidet

Ein Post mit Folgen

Keine Zeit verschwenden

Der Brief von damals

Doch ein Liebesfluch

Plötzlich ist alles anders

Egal, was morgen ist

Lass mich gehen

Jeder hat seine Geschichte

Das Schicksal und seine Umwege

Manche Geschichten enden nie

Die Zeit wird es zeigen

Ein persönliches Nachwort

Das Pärchen auf dem Buchcover

Die Fotografin des Coverfotos

Ein Dankeschön und Gratisgeschenk

Als ob du mich liebst

Als ob du mich siehst

Weitere Lesetipps

Weitere Lesetipps

Michelle Schrenk

Als ob du mich vermisst

Impressum

2. Auflage, 2022

Erstauflage Oktober 2020

© Canim Verlag, Nürnberg, canim-verlag.de

© Michelle Schrenk

Vogelbeerweg 16,

90584 Allersberg

Alle Rechte einschließlich aller Inhalte sind urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte vorbehalten.

Danke an alle Partner, ohne deren Unterstützung dieses Buch nicht möglich gewesen wäre:

Idee und Text:

Michelle Schrenk, michelleschrenk.de

Lektorat und Redaktion:

Susanne Jauss, jauss-lektorat.de

Cover-/Umschlaggestaltung:

Buchgewand Coverdesign | Torsten Sohrmann | buch-gewand.de

Verwendete Grafiken/Fotos:

CARACOLLA – shutterstock.com, FL Wong – shutterstock.com, Ludmila Ivashchenko – shutterstock.com, Bokeh Blur Background – shutterstock.com, agsandrew – depositphotos.com, ryanking999 – depositphotos.com

Cover-Shooting:

Nathalie Majewski, namama-fotografie.com

Cover-Models:

Louisa Paskert, Christian Wascheck

Die Handlungen und Figuren in diesem Roman sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten oder Namensgleichheiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Über die Autorin

Hinter der Autorin Michelle Schrenk steckt eine 1983 geborene Wassermannfrau, die es liebt zu träumen und es hasst, Zwiebeln zu schneiden. Schon immer widmete sie sich dem Erfinden von Geschichten und begann bereits im Grundschulalter damit, sie aufzuschreiben. Mit ihren gefühlvollen Liebesromanen, dem Mutmachbuch »Die Suche nach dem verlorenen Stern« sowie drei Kinderbüchern hat sie sich nun ihren Traum vom Schreiben erfüllt.

Sie ist überzeugt, dass es viele Wege zum Glück gibt, und hofft, ihren Lesern mit ihren Büchern ein wenig davon zu schenken.

Mehr über Michelle und ihre Bücher im Internet auf michelleschrenk.de.

Mehr aus Michelles Leben auf Facebook und Instagram: www.facebook.com/MichelleSchrenkAutorin

www.instagram.com/michelle_schrenk_autorin

Für euch, meine wunderbaren Leser.

Auf eure Momente, Lieblingsbücher und Träume,

auf eure einzigartigen Geschichten.

Zusammen sind wir die Bücher dieser Welt.

Die Zeit regelt alles.

Vertraut darauf,

und es wird wundervoll werden.

Playlist

Diese Songs habe ich beim Schreiben des Buches gehört. Wenn ihr also abtauchen wollt, Musik einfach auf laut – und los geht’s.

Landon Austin – Light on

Landon Austin – New Light

Landon Austin – Wrong Direction

LEA – Treppenhaus

LEA – Immer wenn wir uns sehn

LEA – Applaus

Daniel Schulz – Turn Back Time

Jack Curley – Down

Alle Farben – Different For Us

Clara Mae – More Than OK

Clara Mae – Sorry For Writing All The Songs

Ariana Grande – One Last Time

Astrid S – Hurts So Good

Tate McRae – You Broke Me First

AJ Mitchell – Down In Flames

AJ Mitchell – I Don’t Want You Back

Gracie Abrams – I Miss You, I’m Sorry

Zoe Wess – Control

Wenn Geschichten beginnen

»Das Schicksal schreibt die Möglichkeiten, die du hast, aber du hast die Wahl.«

(Anja Meierheim, @anjas_buecherliebe)

Josh.

Ich sitze in meinem Lieblingscafé in der Nürnberger Altstadt und starre auf den Namen, den ich gerade in das Suchfeld bei Instagram eingegeben habe.

Okay, bisher ist noch alles ganz normal. Alles ruhig, der Puls, das Herz. Kein Stress. Also drücke ich auf Suchen, und eine Sekunde später habe ich sein Profil vor mir. Ich blicke in grüne Augen, sehe seine hellen Haare, das markante und doch weiche Gesicht, den leichten Bartschatten und das mir so vertraute Lächeln, das mittlerweile auch Tausende Follower begeistert.

Eine weitere Sekunde später ist es vorbei mit der Ruhe in mir. Mein Herz klopft, mein Puls beschleunigt sich, und Hunderte von Gedanken rauschen durch meinen Kopf.

Louisa, du bist so was von durchgefallen! Test nicht bestanden. Fail!

»Mist«, flüstere ich zu mir selbst und lege das Handy weg. Aber mein Herz klopft immer noch viel zu sehr und zu schnell. Verdammt, ich will das nicht. Doch auch wenn ich mich noch so dagegen wehre, muss ich mir leider eingestehen, dass Josh nach wie vor etwas in mir auslöst. Für einen kurzen Moment lasse ich meinen Kopf auf die Tischplatte vor mir sinken, hebe ihn aber gleich wieder an, als mir klar wird, was ich da gerade tue.

Reiß dich zusammen, Louisa Körner. Heute ist der Tag, an dem sich alles verändert. Alle Zeichen stehen auf Neuanfang. Du wirst gleich Isa treffen, deine Hairstylistin, du wirst danach ein Date haben mit einem hoffentlich netten Kerl. Du hast deine Abschlussarbeit für die Uni zu einem großen Teil fertig, hast ein Buch mit deiner Freundin und Mitbewohnerin Elisa geschrieben, schmiedest Pläne – also hör gefälligst auf, dich jetzt wieder wegen Josh herunterziehen zu lassen.

Ja, Schluss damit! Das ist ja wohl erbärmlich. Ich atme tief durch, nehme mein Handy wieder in die Hand und klicke Joshs Profil weg. Warum in aller Welt bewirkt er immer noch etwas in mir, obwohl ich weiß, dass er nicht mal eine Sekunde in seinem Leben mehr an mich verschwendet? Ja, wir waren Freunde, so was wie Freunde. Und da war vielleicht was, aber doch auch wieder nicht. Wenn ich ganz ehrlich bin, dann weiß ich, warum es mir so schwerfällt. Weil ich insgeheim immer gehofft habe, dass unsere Geschichte vielleicht doch gut ausgeht, dass uns das Schicksal zusammenbringt und wir uns wiedersehen. Einfach, weil es so sein soll.

Ich rolle mit den Augen. Du wirst wieder rührselig und duselig und emotional, liebe Louisa. Schicksal – als würde es das tatsächlich geben. Genauso wenig kann man die Zeit zurückdrehen. Bei diesem Gedanken fallen mir meine besten Freundinnen Jass und Elisa ein. Jass ist mit ihrem Freund Kale glücklich, Elisa mit Joan. Bei beiden war es zuerst nicht leicht. Sie hatten auch Geschichten, die anders waren. Dramatisch, aufreibend, das Leben eben.

Schicksal – na ja, in meinem Fall ist das Schicksal sehr einseitig, denn schließlich bin nur ich diejenige, die mit diesem heftigen Herzklopfen dasitzt, nicht aber Josh. Also weg mit diesem Gedanken, Louisa.

Um mich abzulenken, klicke ich durch meine abonnierten Profile auf Instagram. Das mache ich gern, einfach um zu sehen, was da draußen so passiert, und auch um selbst mitzuteilen, was mir gerade durch den Kopf geht. Mich interessiert es, was die Menschen hinter den Profilen bewegt, welche Gedanken sie haben. Oftmals sind sehr schöne Gedanken darunter, die ich mir dann sogar aufschreibe und in meine Sammlung aufnehme.

Zwischendurch wandert mein Blick immer wieder zur Uhr. Isa kann sich jede Minute bei mir melden. Ob ich mir rasch noch einen Kaffee bestellen kann?

Gerade als ich das Handy weglegen und der Bedienung ein Zeichen geben will, halte ich inne, denn mit einem Mal entdecke ich auf einem hübschen Buchblog einen Spruch, der mein Herz erneut und ganz unerwartet zum Klopfen bringt: Das Schicksal schreibt die Möglichkeiten. Schnell hole ich mein Notizbuch aus der Tasche und schreibe den Spruch darin auf. Natürlich könnte ich ihn auch auf Insta speichern, aber ich möchte Sprüche, die ich mag, einfach bei mir tragen.

Ja, ich mag diesen Spruch, vielleicht deshalb, weil man das mit dem Schicksal ein wenig anders sehen muss. Man sollte nicht darauf warten, sondern es selbst in die Hand nehmen. Und weil ich das ja gerade auch irgendwie tue, indem ich es anpacke, machen mir diese Worte Mut. In meinem Leben passiert zurzeit viel, und ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich darüber nachdenke, wohin es mich wohl führen wird, was es für mich bereithält, für uns alle. Für die Zukunft.

Solche Gedanken mache ich mir im Moment häufiger. Zum einen, weil sich gerade vieles bei mir und in meinem Umfeld zu ändern scheint, zum anderen, weil ich eine solche Aufgabe auch von meinem Professor bekommen habe. Eine Zusatzaufgabe zu meiner Abschlussarbeit, die mich – um es in seinen Worten auszudrücken – »zum Nachdenken bringen soll«. Zuerst dachte ich, dass ich diese Aufgabe mit links schaffen würde, aber mittlerweile merke ich immer mehr, wie schwierig es doch ist, sie vernünftig zu beantworten.

Schließlich blättere ich durch das Notizbuch und betrachte die Sprüche, die ich bereits darin verewigt habe. Es sind doch schon einige zusammengekommen. Manchmal sind es nur einfache Gedanken, kleine Sätze, die mir dennoch Kraft und Mut geben. Hier haben sich Menschen, die ich überhaupt nicht kenne, Gedanken gemacht über das Leben, die Zukunft, die Liebe. Weil sie Veränderungen durchlebt haben – so wie auch ich gerade vor Veränderungen stehe.

Ich sollte meinem Leben nun wirklich eine neue Wendung geben, statt immer noch in der Vergangenheit festzuhängen. Jetzt ist es Zeit für meine Geschichte, ich habe es selbst in der Hand.

Apropos Zeit – Isa lässt immer noch auf sich warten. Vielleicht sollte ich ihr mal schreiben? Ich streiche mit der Hand durch meine dunklen Haare, die bald anders aussehen werden, ehe ich mich zurücklehne und beschließe, doch noch kurz zu warten. Geduldiger werden, auch das ist etwas, an dem ich arbeiten sollte. Mein Opa sagte immer: In der Ruhe liegt die Kraft. Auch ein schöner Spruch, alt zwar, aber trotzdem irgendwie zeitlos.

In diesem Augenblick betritt ein älterer Mann in einem braunen Mantel das Café. Schon lustig, ausgerechnet jetzt, als ich an meinen Opa gedacht habe. Der Mann sieht sich kurz um und tritt dann zu mir an den Tisch.

»Ist hier noch frei?«, fragt er.

Warum sollte ich Nein sagen? Alle Tische sind belegt, und ich sitze allein hier. Also nicke ich ihm zu. »Ja klar, ich wollte sowieso gleich gehen.«

»Danke.«

Nachdem er seinen Mantel an der Garderobe aufgehängt hat, setzt er sich neben mich. Dabei fällt sein Blick auf mein Notizbuch, das noch immer offen vor mir liegt. »Das ist ein schöner Spruch«, meint er lächelnd.

»Ja, das fand ich auch.«

Unsere Blicke treffen sich, und ich merke, dass ich ihn gleich gut leiden kann.

»Ich sammle auch Sprüche, schon seit Jahren«, erzählt er mir jetzt.

»Wirklich?«

»Ja, oder ich denke mir welche aus. Manche Sprüche finden mich, andere finde ich.« Er lacht. »Hört sich verrückt an, oder?«

Ich schüttle den Kopf. »Nein, ganz und gar nicht, mir geht es auch manchmal so.«

»Nun, dann kann ich Ihnen auch etwas verraten. Ab und an spiele ich auch ein Spiel. Ich sehe mir die Menschen an und überlege mir, welche Wörter oder Sätze in ihrem Leben gerade passen könnten.«

»Das ist ein interessanter Gedanke«, stelle ich fest und meine es auch so.

»Oh ja. Und auch sehr verrückt. Aber wir haben doch alle unsere Macken.«

Während ich mit der Hand über das Notizbuch streiche, muss ich daran denken, wie ich vor einigen Minuten noch den Kopf auf den Tisch gelegt habe. Ja, wir haben in der Tat alle unsere Macken.

»Das kann man so sagen«, pflichte ich ihm bei.

»Und was ist Ihre Macke?«, will er wissen. »Tut mir leid, das geht mich nichts an«, fügt er rasch hinzu und widmet sich der Karte.

»Ist schon okay. Ich schätze, ich hänge immer wieder in der Vergangenheit herum und …« Was mache ich denn da? Bin ich bescheuert? Ich winke ab. »Tut mir leid, das ist unwichtig.«

»Nein, alles gut. Wenn ich darf, versuche ich, den Satz zu vervollständigen.«

»Nur zu. Jetzt bin ich aber gespannt.«

Er zögert kurz. »Sie fragen sich, ob alles besser wäre, wenn Sie die Dinge ändern könnten. Und das beschäftigt Sie.«

Das große Fragezeichen in meinem Gesicht ist wohl nicht zu übersehen, denn nun lacht er auf.

»Sind Sie Gedankenleser?«, frage ich verblüfft.

»Nein, um ehrlich zu sein, denken sich das die meisten Menschen. Was wäre wenn, hätte … hätte …«

Ich nicke. »Ist wohl so, ja.«

»Wissen Sie, warum die Vorderscheibe beim Auto größer ist als der Rückspiegel?«

»Keine Ahnung.« Ich zucke mit den Schultern. »Ich kann es nur vermuten. Vielleicht, weil wir nach vorn schauen sollen?«

»Stimmt. Weil man sich auf das konzentrieren soll, das vor einem liegt, und nicht auf das, was vorbei ist. Alles kommt, wie es kommt. Das habe ich mit den Jahren gelernt.«

Mein Handy klingelt, und ich sehe, dass es Isa ist. Okay, jetzt geht es wohl los. Wie schnell ich in der Gegenwart des Mannes die Zeit vergessen habe.

»Ich muss da eben ran«, sage ich, nehme das Gespräch an und höre auch sofort Isas fröhliche Stimme.

»Na, meine Liebe, bist du bereit? Du kannst kommen.«

Bin ich echt bereit? Ich spüre die Aufregung in mir. Natürlich wollte ich diesen Schritt gehen, etwas an mir verändern. Aber jetzt … Doch dann nicke ich, auch wenn sie es am Telefon nicht sehen kann.

Währenddessen schreibt der alte Mann neben mir etwas auf einen Zettel und faltet ihn zusammen. Was er da wohl macht?

Aber ich widme mich gleich wieder Isa. »Ja, ich bin bald da, ich freue mich«, antworte ich noch, ehe wir das Gespräch beenden.

»Ich muss dann mal los«, sage ich zu dem Mann. »Jetzt wird es ernst, ich werde mir wohl die Haare färben lassen. Und ein Date habe ich auch. Aber warum erzähle ich Ihnen das alles?«

Er lacht. »Manchmal weiß man einfach nicht, warum.«

Eilig greife ich nach meinem Notizbuch und packe es in meine Tasche. Meinen Kaffee habe ich vorhin schon bezahlt, als die Bedienung ihn mir gebracht hat. »Hat mich jedenfalls gefreut. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und alles Gute weiterhin.«

»Das wünsche ich Ihnen auch. Und …«, er reicht mir den Zettel, »das ist für Sie. Darauf steht, was ich denke, wenn ich Sie ansehe. Was ich glaube, was gut für … sagen wir, für Ihre Geschichte ist.«

Mein Herz beginnt, schneller zu schlagen. Ich falte den Zettel auseinander und betrachte die Worte, die der Mann daraufgeschrieben hat.

Manchmal muss man zum Anfang der Geschichte, um zu erkennen, wie sie endet.

Ich lese den Satz immer und immer wieder. »Das sind schöne Worte«, sage ich. »Allerdings muss ich darüber erst noch nachdenken.«

Er lächelt. »Ich bin mir sicher, irgendwann verstehen Sie es. Ich wünsche Ihnen auch alles Liebe.«

Schließlich wende ich mich ab und verlasse das Café. Mal sehen, was jetzt auf mich wartet.

Veränderungen

»Das Schicksal lässt uns Menschen treffen, wenn wir nicht damit rechnen. Neue Bilder entstehen. Und dann verändert sich alles.«

(Nathalie Majewski, @namama_fotografie)

»Ich bin blond«, flüstere ich, während ich mich im Spiegel betrachte. Die Uhr tickt, mein Herz klopft schnell.

Es ist doch immer wieder unglaublich, was sich innerhalb von Stunden, Minuten oder gar Sekunden im Leben verändern kann. Eben habe ich noch darüber nachgedacht, was alles ansteht, und nun ist der erste Schritt schon getan. Okay, es ist nur eine Haarfarbe, und ich wollte ja auch eine Veränderung, deswegen bin ich ja schließlich hier. Aber ich hätte nicht gedacht, dass es so extrem anders ist. Habe ich das tatsächlich durchgezogen?

»Bin ich das wirklich? Ich bin richtig heftig blond«, sage ich noch einmal. Ich atme tief durch, und in meinem Bauch kribbelt es. Es ist neu, aufregend und doch toll.

»Jap, absolut, unübersehbar.« Isa lacht, und ich lächle zurück.

»Das ist so …«

»Heftig? Genial? Auffallend?« Erwartungsvoll blickt sie mich an. »Ich will nichts anderes hören, meine Liebe. Es ist auffallend schön, verstehst du?«

»Ja, heftig. Und meinetwegen auch genial und auffallend.« Mit der Hand fahre ich durch meine Haare. Ob diese neue Farbe wirklich mein Leben verändern wird?

Ich muss an den Spruch denken, den der alte Mann im Café mir gegeben hat. Zurück zum Anfang der Geschichte, das ist es ja mal eher nicht. Oder doch? Wie auch immer, wir werden es sehen. Fakt ist, ich wollte was anderes im Leben – und da ist es.

»Also gefällt es dir?«, will Isa wissen.

Während ich mich noch mal im Spiegel betrachte, neige ich den Kopf hin und her. »Ja gut, es gefällt mir.«

Sie grinst. »Na dann, bereit für einen neuen Abschnitt im Leben?«

»Ich denke schon, ja.«

»Perfekt! Dann halten wir den Moment mal fest.«

»Warte«, versuche ich, sie zurückzuhalten. »Meinst du wirklich, dass es gut ist?«

»Louisa, du alte Zweiflerin. Klar ist es gut. Also komm, lächle, ich verlinke dich in der Story auf Insta. Bereit?«

Also gut, ich verziehe meinen Mund zu einem Lächeln, und Isa hebt das Handy hoch.

»Super! So, fertig, schau.« Sie hält mir das Handy unter die Nase. Auf dem Display erkenne ich einen Boomerang, den sie für Instagram von mir gemacht hat. Darauf lächle ich in Dauerschleife, was durch die ständige Wiederholung allerdings ziemlich wackelig rüberkommt.

Unschlüssig betrachte ich mich eine kurze Weile. »Jetzt denkt jeder, ich habe nervöse Zuckungen.«

»Das sind Freudenzuckungen. Schreib ich direkt drauf.« Isa kichert, und ich muss ebenfalls lachen.

»Na wunderbar.«

»Echt, du siehst mega aus! Louisa lebt jetzt blond. Und wie wir ja aus so einigen Filmen wissen, lebt es sich als Blondine leichter. So, gepostet.«

Während Isa strahlend das Handy wegpackt, mustere ich mich noch mal ganz genau im Spiegel. Okay, meine dunklen Augen kommen durch die neue Haarfarbe wirklich besser zur Geltung. Sie sind etwas auffallender, um es mit Isas Worten zu sagen. Dennoch ist es eine wirklich komplette Typveränderung. Meine langen dunklen Haare, die sich immer kräuseln, sind jetzt glatt und blond. »Nun, ich werde mich schon noch dran gewöhnen«, sage ich schließlich.

»Ganz sicher wirst du das. Außerdem lass dir eines gesagt sein: Veränderungen sind gut. Hast du nicht mal zu mir gesagt, dass sich alles um dich herum verändert, nur du selbst nicht? Deswegen wolltest du doch auch bei meinem Projekt dabei sein. Du wolltest eine Veränderung – und tadaaa, hier ist sie. Also nimm sie auch an! Freu dich einfach!«

Ich stehe auf, werfe noch einen letzten Blick in den Spiegel und atme tief durch. Ja, es ist gut. Und jetzt geht’s weiter. Apropos, ich sollte mal meinem Date Bescheid geben, dass es mit achtzehn Uhr klappt. Schnell zücke ich das Handy und rufe den Kontakt von Max auf. Auf dem Bild sieht er gut aus, und ich bin echt gespannt, wie es sein wird, ihm gleich gegenüberzustehen. Ich tippe ihm ein, dass ich bis um sechs an unserem Treffpunkt sein kann, und bekomme auch prompt eine Antwort. Er schreibt, dass er sich freut. Lächelnd lese ich seine Worte und merke erst jetzt, dass Isa mir über die Schulter blickt.

»Aha. Du hast also ein Date?«, fragt sie neugierig, während ich ihr in Richtung Garderobe folge.

»Ja, nein, ich … na schön, ich habe ein Date – das mich jetzt aber wahrscheinlich nicht mehr erkennt.«

»Ach, Unsinn, dein Gesicht ist ja noch das gleiche«, meint sie kichernd, und ich ziehe eine Grimasse, während ich mir meine leichte Jacke schnappe und hineinschlüpfe.

»Ja, so gut wie.«

»Wo hast du ihn denn kennengelernt? Sag bloß, das war eben …« Sie zwinkert mir zu, und ich räuspere mich.

Eigentlich sollte es mir nicht peinlich sein, immerhin werden diese Dating-Apps heute andauernd benutzt. Erst fand ich es auch total merkwürdig und blöd, aber Jass, eine meiner besten Freundinnen, hat mich überredet, es einfach mal auszuprobieren. Und kaum hatte ich mich angemeldet, war er auch schon da: Max, groß, blond, wahnsinnig schöne Augen, und wir hatten ein Match. Ein paar Nachrichten hin und her, ein wenig flirten, und schließlich haben wir uns verabredet.

»Auf Tinder«, gebe ich dann doch zu.

Isa lacht. »Du bist also echt auf Tinder?«

»Kannst du das vielleicht noch lauter herumposaunen?«

»Sorry. Aber da ist doch nichts dabei. Ich wünsche dir auf alle Fälle, dass es klappt und du ein tolles Date hast, auch wenn ich lieber …« Sie stoppt.

»Auch wenn du lieber was?«

Sie winkt ab. »Ach, vergiss es. Wir sind hier bei Neuanfängen, da hat der alte Mist nichts verloren, der kann getrost in den Müll! Platz für Neues.« Sie zerknüllt demonstrativ einen Zettel, den sie gerade neben sich von der Ablage gefischt hat, und wirft ihn lachend weg. »Aber andererseits muss ich schon zugeben, dass Josh und du … ach, ihr wart einfach so toll zusammen. Doch daraus wird ja wohl nichts.«

»Du weißt ja, dass dein Bruder das anders gesehen hat, und ich, na ja …«

Verdammt, schon wieder Josh. Der Gedanke an ihn scheint mich heute zu verfolgen. Aber immerhin hast du doch auf sein Profil geklickt, liebe Louisa, also verfolgst eher du ihn. Egal. Alles wird neu, deswegen hat Josh hier absolut nichts zu suchen. Also weg damit. Ich muss mit dieser Sache endlich ins Reine kommen, es wird echt Zeit.

»Wie geht’s ihm denn?«, frage ich dann doch.

Na toll, Louisa, ganz groß. Erst so tun, als würde es dich nicht interessieren, und dann doch nachhaken.

»Wem? Dem Müll?« Isa grinst breit, wird dann aber gleich wieder ernst. »Meinem Bruderherz geht es gut, wie immer. Wir sehen uns nur nicht so oft, er ist ja ständig so beschäftigt.«

Wissend nicke ich. Josh der Super-Influencer und Dauersmiler. »Das freut mich für ihn, wirklich. So soll es sein.«

»Ja, vielleicht. Trotzdem schade, ihr wart einfach so süß zusammen.«

»Süß?«, entgegne ich. »So wie Hundewelpen?«

Isa lacht. »Da war einfach was zwischen euch, finde ich. Aber du hast ja recht. Man muss damit abschließen. Es sei denn, es kommt noch was ins Rollen, mit dem man nicht rechnet.«

Fragend sehe ich sie an, aber dann antworte ich: »Wirklich, ich habe abgeschlossen. Ich bin so weit von Josh entfernt wie Braun von Blond, da rollt bestimmt nichts mehr.«

»Gut. Dann viel Spaß bei deinem Date, ich bin echt gespannt.«

»Und ich erst«, erwidere ich, während ich meine Tasche schultere. »Danke noch mal für deine Mühe. Ich werde berichten, wie es war.«

»Mach das. Mal sehen, was kommt.«

Schließlich verabschiede ich mich und verlasse den Salon. Ja, mal sehen, was noch so auf mich zukommt.

Draußen kommt erst mal die Sonne auf mich zu, und ich genieße die Wärme auf der Haut. Ein Blick auf mein Handy zeigt mir ein paar Nachrichten. Eine informiert mich über Isas Verlinkung auf Instagram, eine andere stammt von Elisa, die bereits die Story gesehen und mit einem Smileyregen reagiert hat.

Sieht ja mega aus, das soll ich dir auch von Joan sagen, schreibt sie und schickt mir gleich darauf ein Foto. Sie und Joan sitzen gerade auf einer Wiese, strahlen mit der Sonne um die Wette und strecken die Daumen nach oben. Ich muss lächeln. Die beiden sind wirklich süß zusammen.

Die nächste Nachricht ist von Jass. Ist das echt?Ruf mich an, sofort, jetzt!, steht da nur, gefolgt von einem grinsenden Smiley. Mir ist völlig klar, dass sie nun alles ganz genau erfahren will.

Bis zum Bar Celona, einem Café in der Innenstadt, wo ich oft und gerne bin und in dem ich mich auch mit Max verabredet habe, ist es nicht weit. Ich beschließe, Jass auf dem Weg dorthin kurz anzurufen und ein wenig mit ihr zu quatschen. Wenn ich es nicht tue, wird sie mich sowieso mit Nachrichten bombardieren.

In der Tat tutet es nicht lange, bis sie sich meldet.

»Naaaaa, alles klar, mein Herz?«, frage ich.

Doch statt »Hallo, wie geht’s?« oder so was in der Art höre ich von ihrer Seite ein aufgeregtes »Du bist also echt blond, blond, blond? Das ist so was von genial, dass du das durchgezogen hast! Verstand aus, Mut an, sage ich immer.«

Ich muss lächeln, denn das ist einer ihrer Leitsprüche. »Ja, das bin ich. So blond wie Reese Witherspoon. Gut, sie ist natürlich blond, ich eher unnatürlich.«

Sie kichert. »Das ist so krass. Und was kommt als Nächstes? Lässt du dir ein Tattoo stechen? Wirst du … keine Ahnung, Extremsport anfangen? Oder irgendwas anderes, zum Beispiel …«

»Bisher habe ich noch keine Liste angefertigt, meine Liebe«, unterbreche ich sie. »Aber wenn du es genau wissen willst: Ja, heute stehen alle Zeichen auf Neubeginn. Denn als Nächstes habe ich ein Date, um genau zu sein, jetzt gleich.«

»Wie? Du hast jetzt gleich ein Date? Warum weiß ich davon nichts?«, sagt sie gespielt empört. Aber ich kenne sie genau. Insgeheim freut sie sich für mich und platzt vor Neugier.

»Weil ich es dir nicht gesagt habe«, entgegne ich.

Wieder schweigt sie, bis ich ein Räuspern höre. »Und warum nicht? Hallo, ich will alles wissen. Wie sieht er aus, wie ist er? Wann habt ihr das überhaupt vereinbart? Und schreibt ihr euch schon länger?«

Neugier. Sagte ich doch.

»Noch nicht so lang, eine Woche oder so, nur ein bisschen hin und her. Und er ist wohl groß, blond und heißt Max – wenn es kein Fake ist. Ich hab ihn bei … also auf … na ja …«

»Etwa auf Tinder?«, ruft sie verblüfft. »Du hast echt meinen Rat befolgt und angefangen zu tindern?«

Auch wenn nichts dabei ist, werde ich ein bisschen rot, zumindest fühlen sich meine Wangen etwas heiß an. Wobei das doch wirklich bescheuert ist. So viele Leute sind auf Tinder und bei irgendwelchen anderen Dating-Apps. Aber ich muss ehrlich sein, ich hatte immer gehofft, dass ein Treffen irgendwie oldschool zustande kommt.

»Ja, das hab ich. Mal sehen, wie es wird. Wir hatten ein Match, dann haben wir uns ein wenig geschrieben. Vielleicht ist er ja auch in Wirklichkeit nett, das werde ich hoffentlich gleich erfahren.«

»Genau, einfach ausprobieren«, pflichtet sie mir bei.

Gerade überquere ich die Brücke, die am Heilig-Geist-Spital, einem Pflegeheim, vorbeiführt. Das Wasser der Pegnitz, die durch Nürnberg fließt, glitzert im Sonnenlicht und sieht aus wie dunkle Lava.

»Wo trefft ihr euch denn?«, will Jass jetzt wissen.

Und so erzähle ich ihr alles Weitere. Dass wir uns im Bar Celona verabredet haben und ich gespannt bin, ob er mich mit den blonden Haaren überhaupt erkennt.

»Hast du dir auch das Gesicht operieren lassen?«, fragt sie.

»Ähm, nein.«

»Na, dann erkennt er dich doch.«

»Du bist doof, weißt du das?«

Sie lacht. »Du musst mir jedenfalls alles haarklein berichten über diesen … wie heißt er noch mal?«

»Max.« Auf einmal beginnt sie zu kichern, und ich runzele die Stirn. »Was ist denn an dem Namen so lustig?«

»Nichts«, antwortet sie mit einer kurzen Verzögerung. »Tut mir leid, Kale hat mich gerade gekitzelt.«

Die beiden sind echt eine Wucht, und ich muss kurz daran denken, wie alles mit ihnen angefangen hat. Jass war so mutig, mit dieser Liste zu Kale, mit dem sie mittlerweile zusammenwohnt, zu gehen und ihn zu überreden, so zu tun, als würde er sie lieben. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie aufgeregt sie damals war. Aber Jass wusste, was sie wollte. Zwischen den beiden war es erst nicht einfach, aber mit der Zeit hat sich alles gefügt.

Ja, die Zeit. Sie vergeht und kann vieles in Ordnung bringen.

Und ich erinnere mich auch noch daran, wie Jass und ich damals, nachdem sie bei mir eingezogen war, zusammen auf meiner Vespa in die Uni düsten oder feiern waren. Wir malten uns allerhand für die Zukunft aus – Jass mit etwas mehr Plan als ich. Und jetzt?

Natürlich treffen wir uns noch ab und an, aber doch zu selten. Alle in der Clique sind im Moment irgendwie weg vom Fenster, besetzt oder belegt, um es mal salopp auszudrücken. Alle haben Partner – außer mir. Ach ja, und Dominik, stimmt. Auf ihn ist auch noch »Verlass«. Wir hatten in der Liebe wohl noch nicht so richtig Glück. Aber vielleicht ändert sich das zumindest bei mir ja heute. Es heißt doch immer, dass der Moment kommt, in dem sich plötzlich alles verändert. Einfach so. So ist das Leben, alles fügt sich irgendwie und irgendwann, wenn der richtige Augenblick gekommen ist. Ich habe immer an das Schicksal geglaubt, nicht zuletzt wegen Jass und auch wegen Elisa. Aber mittlerweile bekomme ich so langsam Zweifel.

Jass kichert erneut und reißt mich damit aus meinen Gedanken. Wahrscheinlich macht Kale noch immer seine Späße mit ihr.

»Okay, ihr zwei, seid ihr dann fertig?«, frage ich.

»Ja, entschuldige.«

»Sag Kale mal einen schönen Gruß von mir.«

»Schönen Gruß von Louisa«, wiederholt Jass, woraufhin Kales tiefe Stimme im Hintergrund ertönt.

»Ebenso. Und sag ihr, dass das Blond echt ziemlich heiß ist.«

Mit einem Mal ist es still. Aber nur für einen kleinen Moment.

»Hast du gesagt, das Blond ist heiß?« Jass’ Stimme klingt streng, Kales hingegen jetzt ganz kleinlaut.

»Na ja, also für jemanden, der auf blonde Mädchen steht«, verteidigt er sich. »Ich natürlich nicht, ich finde, das Allerheißeste sind dunkelhaarige Mädchen. So wie Jass.«

»Gerade noch mal gerettet«, antwortet Jass gespielt empört.

Kale lacht. »Ich mache es wieder gut, versprochen. Wenn du willst, jetzt gleich.«

Bei seinen letzten Worten ist Kales Stimme rau geworden, und mit einem Mal höre ich ein Schmatzgeräusch.

»Hallo!«, rufe ich. »Ich störe ja nur ungern, aber ich bin noch dran. Ist euch das klar?«

»Sorry, da bin ich wieder.« Jass räuspert sich. »Also, Louisa, bevor wir auflegen, noch eine Sache.«

»Ja?«

»Also wegen dem Date …«

»Was möchtest du mir denn sagen, Doctor Love?«

»Veräpple mich nicht.« Sie lacht. »Aber jetzt mal im Ernst. Sei ganz unvoreingenommen, okay? Ich weiß, du bist immer ein bisschen kritisch, was das anbelangt, aber sei einfach mal total entspannt und lass es auf dich zukommen.«

Ich atme tief durch. »Ich habe doch nur ein Date, ich heirate den Kerl nicht gleich. Du weißt, mit Gefühlen und so, da bin ich vorsichtig.«

»Stimmt, Gefühle können echt ’ne ziemliche Bitch sein. Aber weißt du, nichts geht über dieses Gefühl, wenn man sich kennenlernt. Dieses Prickeln, es ist so unvergleichlich, dass man wohl auch die negative Seite in Kauf nimmt.«

»Ja, ja.« Ich rolle mit den Augen. »Hab ich das nicht damals zu dir gesagt?«

»Kann sein. Ich dachte, ich krame mal ganz tief im Erinnerungskästchen.«

In diesem Augenblick geht eine Gruppe von Jungs an mir vorbei. Sie haben laute Musik an. Überhaupt ist hier einiges los. Ich bleibe stehen und sehe mich ein wenig um, als mir einfällt, dass ja gerade der Nürnberger Stadtstrand aufgebaut ist.

»Was ist bei dir eigentlich so laut?«, fragt Jass.

»Ach, am Hans-Sachs-Platz ist doch der Stadtstrand aufgebaut, deswegen ist es auch recht voll hier.«

»Stimmt ja.« Sie seufzt. »Wie cool. Ich liebe es dort.«

Mit einem Mal frage ich mich, ob ich wirklich Lust auf dieses Date habe. Dates sind irgendwie immer ein bisschen anstrengend. Jemanden neu kennenzulernen, hat schon was, doch dann kommen auch ständig diese Fragen: Was machst du? Was wünschst du dir? Was sind deine Ziele? Immer das gleiche Bla, Bla, Bla! Als müsste ich darüber nicht schon genug nachdenken. Wie ein Bewerbungsgespräch läuft das oft ab.

Wie schön wäre es jetzt, einfach nur mit Freunden abzuhängen und spontan jemanden zu treffen, ohne dass es ein gezwungenes Date ist. Einfach die Zeit spielen zu lassen.

»Soll ich ehrlich sein? Oh Mann, ich wäre gerade lieber mit euch hier«, seufze ich nun auch. »Was meinst du, soll ich mich echt mit diesem Max treffen? Das ist immer so nervig. Man muss so viel reden und von sich erzählen und … Ach, ich vermisse es so mit euch. Einfach mal abhängen, mit dir und Kale, Elisa und Joan …«

»Ich vermisse das auch«, entgegnet Jass, »aber das können wir doch ganz bald wieder machen. Genauer gesagt schon nächsten Freitag, da wollen wir doch alle zu Dominik.«

»Stimmt. Ist er zurück?«

»Ja, soweit ich weiß. Also, du gehst jetzt zu deinem Date, während ich ein bisschen mit Kale kuschle. Ich bin noch nicht so ganz fit.«

»Ja, verstehe ich, diese blöde Erkältung, die du dir da eingefangen hast. Zum Glück ist es schon besser.«

Was ich sage, meine ich ganz ernst, denn bei Jass ist es immer problematisch, wenn sie krank wird. Wie schon erwähnt, ist die Geschichte von ihr und Kale eine, die man eigentlich nur in Büchern findet, doch sie ist wahr, ganz und gar. Und ich verstehe es, dass sie so viel Zeit wie möglich zusammen haben wollen. Aber hin und wieder fehlt mir doch die alte Zeit. Die Abende, an denen wir einfach nur beieinandersaßen, weil sie und ich zusammenwohnten. Wobei Elisa wirklich ein toller Ersatz ist – nein, mehr als das. Sie hat nach Jass’ Auszug deren Zimmer übernommen und wurde ebenfalls zu einer sehr guten Freundin.

Gedankenverloren streiche ich mir durch die Haare und betrachte die blonden Spitzen zwischen meinen Fingern. Nach allem, was in den letzten Jahren passiert ist, soll heute etwas Neues losgehen. Und es muss sein, denn irgendwie habe ich mich auch zu sehr selbst blockiert. Warum? Weil ich zugegebenermaßen doch zu viel an Josh gedacht habe. Natürlich ist er nicht der Hauptgrund für alles. Ich war nie jemand, der sich von einem Kerl abhängig machen wollte. Aber in Sachen Liebe hing ich schon ziemlich an ihm und war deshalb lange Zeit nicht offen, mich mit anderen zu treffen.

Doch dieser Gedanke sollte hier keinen Platz haben. Er ist längst im Müll, um es mit Isas Worten auszudrücken. Auch wenn man sich manchmal wünscht, es wäre nicht so. Aber ich möchte ja das Vergangene hinter mir lassen, im Auto durch die Frontscheibe sehen, nicht in den Rückspiegel.

Kurz denke ich an den Zettel, den mir der alte Mann gegeben hat. Manchmal muss man zum Anfang der Geschichte. Irgendwie widerspricht sich das doch – oder ich verstehe es tatsächlich noch nicht.

»Louisa, bist du noch da? Hallo?«

Eilig lasse ich die Haarsträhne los und auch den Gedanken, der sich gerade eingeschlichen hatte. »Ähm, ja, ich bin noch da«, stammle ich. »Tut mir leid, ich war gerade mit meinem Kopf woanders.«

Jass lacht. »Ja, so kenne ich dich, Chaosqueen. Was ich noch sagen wollte …« Nun spricht sie im Flüsterton weiter. »Kale ist gerade kurz zur Tür raus. Wir müssen noch wegen der anderen Sache reden, du weißt schon.«

Gerade überlege ich noch, was sie meint, als ich schon wieder Kales Stimme höre. »Was flüsterst du denn mit Louisa?«

»Nichts«, entgegnet Jass schnell. Ich muss grinsen, denn jetzt fällt es mir auch ein. Es geht wohl um die Überraschungsparty, die Jass demnächst zu Kales Geburtstag plant. Sie möchte ihm einen schönen Abend mit uns allen schenken und ihn damit überraschen.

»Jap, das machen wir«, sage ich.

»Super.« Wieder kichert sie. »Lass das, Kale. Du bist einfach zu neugierig.«

Ich kann die beiden mit meinem geistigen Auge geradezu vor mir sehen.

»Aber jetzt viel Spaß mit deinem Date, okay?«, fügt Jass hinzu.

»Ja, okay.« Ich blicke mich um. »Wobei, ich sehe ihn noch nicht, aber er wird schon auftauchen.«

»Vielleicht ist er auch bereits da, und du erkennst ihn nicht, weil er keine blonden Haare mehr hat, sondern schwarze oder rote«, meint Jass trocken. »Womöglich hat er sich aber auch die Nase operieren lassen oder …«

»Ha, ha, sehr witzig. Also, ich melde mich später, ja?«

»Auf jeden Fall! Macht euch ’nen schönen Abend.«

»Ihr euch auch. Bis dann.«

Schließlich legen wir auf, und ich blicke auf das Display. Schon fünf nach sechs, doch weit und breit ist kein Max in Sicht. Ich schaue nach, ob ich irgendwelche Nachrichten bekommen habe, jedoch Fehlanzeige. Gut, es sind bis jetzt ja nur fünf Minuten Verspätung.

Während ich warte, checke ich Instagram und betrachte dort erneut Isas Verlinkung. Ich kann es noch gar nicht glauben, dass ich die Person in diesem Boomerang bin.

Max wird schon noch kommen, denke ich mir, wir haben uns ja vorhin noch geschrieben. Gedankenverloren sehe ich mich um. Einige Leute schlendern umher, in der Ferne höre ich Loungemusik, sanfte Klänge, die vom Wind zu mir getragen werden, und ich bin dankbar, weil sie mir die Warterei versüßen.

Apropos Warterei, langsam werde ich doch ungeduldig. Wo bleibt er denn? Aus fünf Minuten Verspätung werden gefühlt zehn.

Erneut blicke ich auf mein Handy. Fünf Minuten sollte ich ihm schon noch geben. Ich darf nicht immer so ungeduldig sein. Ob ich jemals ruhiger werde? Vielleicht irgendwann mal, wenn ich älter bin.

Ich rufe Instagram auf. Die ersten beiden Beiträge, die mir angezeigt werden, passen ganz zufällig genau zu meiner Situation.

»Ungeduld ist keine Frage des Alters, sondern der Liebe. Im Leben verfügt einiges über die Eigenschaft, unser Zeitgefühl zu beschleunigen, doch nur die Liebe besitzt die Kraft, daraus ein ›Für immer‹ zu zaubern.«

(Yvonne Steiner-Watzek, @buchblog_lesehungrig)

»Ein Augenblick der Geduld und Gelassenheit kann dich vor Unheil und Gefahren schützen, ein Augenblick der Ungeduld und Hektik dein Leben und deine Liebe zerstören.«

(Karin Drebert, @farbenfroh60plus)

Als ich die Zitate lese, spüre ich ein Kribbeln im Bauch. Manchmal ist es schon unheimlich, wie mich Sprüche und Gedanken oft im exakt passenden Moment treffen – oder kommt es mir nur so vor, weil ich besonders darauf achte?

Während ich noch darüber nachdenke, bekomme ich eine Meldung, dass ich nun tatsächlich eine Nachricht von Max habe. Ich öffne sie, lese, und mein Herz fängt heftig an zu schlagen.

Max: Hey Louisa, bist du die Blonde, die ich aus der Ferne gesehen habe? Tut mir leid, ich dachte, du wärst dunkelhaarig. Ich stehe echt nicht auf Blond und will jetzt auch nicht deine Zeit verschwenden. Mach dir ’nen schönen Abend, Max

Kurz frage ich mich, ob ich mich vielleicht verlesen habe. Also lese ich die Nachricht noch einmal, danach ein weiteres Mal und kann es nicht fassen. Der meint das wirklich ernst. Dann entdecke ich auch noch, dass er mich tatsächlich als Match entfernt hat.

Ist das etwa ein schlechter Scherz? Wie oberflächlich ist das denn bitte? Okay, er ist ehrlich. Aber hallo, echt jetzt? Wegen meiner Haare? Deswegen werde ich, ohne dass er mich kennt, einfach mal abserviert?

Auf der einen Seite bin ich froh, dass ich mich erst gar nicht mit so einem Idioten wie ihm getroffen habe, auf der anderen frage ich mich allerdings, wie bescheuert man denn sein kann.

Das war es dann also mit dem Date. Das mit der Veränderung und der neuen Haarfarbe fängt ja gut an, ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Ich seufze und überlege, Jass anzurufen, um ihr davon zu erzählen, lasse es dann aber lieber sein. Sie soll einen schönen Abend mit Kale haben und nicht dauernd mit mir am Telefon hängen.

Was mache ich denn nun mit dem angefangenen Abend? Gehe ich noch ein wenig in die Stadt, oder hole ich mir nur was an einer der vielen Buden am Stadtstrand und gehe anschließend lieber nach Hause? Ich beschließe, erst mal meine Nachrichten zu checken. In einer WhatsApp-Gruppe aus der Uni schreibt eine Kommilitonin, dass es heute Abend in einem Club in der Nähe eine Feier gibt. Vielleicht sollte ich dort hingehen? Ich meine, womöglich ist das ja gerade das Gute an der Sache? Jetzt habe ich die Wahl, und genau deswegen werden tolle Dinge passieren? Weil das Schicksal die Möglichkeiten schreibt, so wie es in dem Zitat stand, das ich mir im Café notiert habe.

Einen Moment überlege ich noch, dann entscheide ich mich, das Beste draus zu machen, indem ich mir an einer der Buden, die rund um den Stadtstrand stehen, eine Kleinigkeit zu essen mitnehme und danach heimgehe. Auf Party und alles andere habe ich irgendwie keine Lust mehr.

Seufzend stecke ich das Handy ein und mache mich auf den Weg in Richtung der Buden. Die Musik, die mir entgegenströmt, ist sanft und passt zu der Atmosphäre, die einem ein Stück Urlaub schenken soll. Ich lasse meinen Blick über die Menschen gleiten. Viele sitzen draußen in den verschiedenen Lounges. Es wird laut geredet und gelacht, die Stimmung ist ausgelassen. Wie gern wäre ich jetzt nicht allein hier.

Nun, du wärst ja eigentlich nicht allein, sagt meine innere Stimme, du hättest ein Date gehabt.

Das aber nicht stattfindet, weil der Typ der totale oberflächliche Idiot ist. Ich bleibe kurz stehen, schnappe mir mein Handy und betrachte seine Nachricht noch mal. Die Worte brennen sich in meine Augen. Echt unglaublich, aber wer weiß, wofür es gut war, denke ich mir. Denn alles hat doch irgendwie seinen Sinn.

Innerlich muss ich lachen. Wie bescheuert. Jetzt mal ehrlich, Louisa, dahinter steckt kein tieferer Sinn. Max ist einfach ein Volltrottel, eine Matschbirne, und der Sinn ist, dass du jetzt deine Ruhe hast, dir was zu essen holst und dann einfach daheim entspannst. Ist doch auch was.

Ja, damit bekommt die Absage von Matschbirne Max einen Sinn. Mit diesem Gedanken im Kopf gehe ich weiter auf die Crêpe-Bude zu. Als auf einmal von irgendwoher ein schepperndes Geräusch ertönt, sehe ich mich um und zucke ganz unerwartet zusammen. Wobei zusammenzucken noch untertrieben ist, es ist eher ein heftiger Schlag, der durch mich hindurchfährt. Etwas, das man fühlt, in einer Millisekunde, wenn man so ganz und gar nicht damit rechnet. Als würde jemand dem Herzen im Brustkorb einen heftigen Schubs verpassen, sodass es anfängt zu rasen.

Und das tut mein Herz auch. Es rast und hüpft in einem viel zu schnellen Takt – und der Grund dafür ist der Junge, der vor der Bratwurstbude steht und alles in mir zum Beben bringt.

Josh.

Zufall oder Schicksal?

»Manche Wege, die wir gehen müssen, sind beides: Zufall und Schicksal zusammen.«

(Tamara Schwab, @its.tamara.schwab)

Josh! Na toll, er ist es wirklich. Er steht nur wenige Schritte von mir entfernt mit dem Rücken zu mir, doch ich erkenne ihn trotzdem. Eine Hand steckt in der Tasche seiner kurzen Jeans, mit der anderen streicht er sich gerade durch die blonden Haare. Sein Rücken in dem weißen Shirt ist breit, und unter dem hellen Stoff zeichnen sich deutlich Muskeln ab. Er scheint die Angebote an der Bude zu studieren und sagt irgendwas zu der Verkäuferin, winkt dann aber ab.

Das darf doch nicht wahr sein.

Was mache ich denn jetzt?

Warum ist er überhaupt hier?

Und warum bin ich hier?

Du hattest die Wahl, Louisa, du hättest gleich nach Hause gehen können, das hast du aber nicht gemacht. Du hättest ein Date haben können, hattest jedoch keines. Und jetzt?

Zufall? Schicksal?

Ach, Unsinn. Alles Unsinn!

Augenblicklich habe ich zahlreiche Bilder in meinem Kopf. Ich denke an so vieles, was wir zusammen unternommen haben, wie viel wir gelacht haben. An Abende, an denen wir unterwegs waren, wie gut wir uns immer verstanden haben. Wir haben im Hinz und Kunz gefeiert, ewig geredet und uns dann zum Lernen verabredet. Ich weiß noch, wie Jass mich damals aufgezogen hat: von wegen lernen für die Uni. Beim Fußball habe ich ihm auch zugesehen, wir waren zusammen frühstücken, waren aus …

Wie hat Isa vorhin gesagt? »Da war was zwischen euch.« Ja, zwischen uns war etwas in dieser Zeit. Auch wenn wir uns noch gar nicht so lange kannten, hatten wir einfach diese Verbindung. Eine Anziehung, die sofort spürbar war, die ich allerdings zuerst nicht zulassen wollte. Und als ich dann endlich so weit war, war es zu spät.

Ich atme tief durch. Da steht er einfach so, mit dem Rücken zu mir. Ob er allein hier ist? Ich sehe mich um, entdecke jedoch niemanden, der zu ihm gehören könnte.

Und mit einem Mal ist da ein Gedanke. Soll ich zu ihm hingehen, um Hallo zu sagen? Wobei sich da noch die Frage stellt, ob er das überhaupt möchte. Unsere letzten Begegnungen waren nicht besonders schön, er hat mich mehr oder weniger ignoriert, und ich habe daraufhin dasselbe getan. Eben, warum soll ich dann auf ihn zugehen?

Geh einfach weg, flüstert eine Stimme in mir. Bleib, entgegnet eine andere.

Kurz versinke ich wieder in meinen Erinnerungen und will mich dann schon zum Gehen abwenden, als er sich plötzlich in meine Richtung herumdreht. Eine winzige Sekunde, und es geschieht. Unsere Blicke treffen sich. Es ist ein Moment, der merkwürdig ist und doch so vieles aussagt. Als würde die Zeit kurz aufhören zu existieren. Als würde sie sagen: Hier seid ihr, und jetzt klärt den Mist zwischen euch. Als würde sie uns einen Moment schenken, mit dem wir beide niemals gerechnet haben. Einen, den man nicht planen kann, der uns zusammengeführt hat, weil alle Umstände zusammengespielt haben und Zufall und Schicksal miteinander verbunden sind. Weil es so sein sollte, genau jetzt und hier. Und nun können wir was daraus machen – oder auch nicht. So ist es immer. Im Endeffekt haben wir doch alles selbst in der Hand, oder?

Noch immer haften unsere Blicke aufeinander, aber ansonsten zeigt Josh keinerlei Regung. Meine Gedanken kreisen ziemlich schnell. Meine Haare, am Ende erkennt er mich deswegen nicht. Oder er ignoriert mich wieder mal.

In meinem Kopf beginne ich, langsam zu zählen: eins, zwei … Bei drei werde ich mich einfach umdrehen und gehen.

Drei. Und gerade in diesem Augenblick hebt er die Hand und lächelt. Es ist schon komisch, wie schnell Gefühle einen treffen können. Ich hebe ebenfalls die Hand und lächle zurück. Verdammt.

Nun kommt er tatsächlich auf mich zu. Ein Schritt, zwei Schritte, und schon steht er vor mir. Seine grünen Augen, die ich vorhin im Café noch auf dem Handy betrachtet habe, verbinden sich mit meinen, wirken sofort wieder so vertraut und anziehend, dass ich einen Moment lang darin versinke. Auch sein Lächeln zieht mich wieder mit, zurück an Orte, die ich mit ihm gesehen habe, zurück zu Augenblicken, die uns gehört haben. Wie eine Welle voller Wärme, die über mich hereinbricht. Ja, er ist einer dieser Menschen, die solch ein unheimlich strahlendes Lächeln haben, dass man kurz alles um sich herum vergisst. Das hat sich nicht geändert. Leider.

In meinem Bauch spüre ich ein Kribbeln, und ich versuche, es beiseitezuschieben, damit ich mich nicht so zittrig fühle, aber es gelingt mir nicht so gut. Zumindest nicht, was die Gefühle in meinem Inneren anbelangt. Warum wirft er mich auch immer so durcheinander? Es ist, als wäre ich wehrlos dagegen.

»Louisa, du bist …«, beginnt er jetzt zögernd. Ich blicke auf seine Lippen, sammle mich dann aber wieder. Er spielt sicher auf meine Haare an.

»Was denn?« Ich tue so, als wüsste ich nicht, was er meinen könnte.

Er deutet auf meine Haare, und ich streiche mir eine Strähne hinters Ohr, rolle leicht mit den Augen. »Ja, ich bin größer geworden, du hast recht.«

Erst kneift er die Augen zusammen, dann grinst er. »Genau das wollte ich sagen, ist mir gleich aufgefallen. Und du bist …«

»Blond, ich weiß.«

»War das …«

»Klar. Isa, deine Schwester.«

»Okay, krass«, sagt er. »Ich weiß ja, dass sie die ganze Zeit auf der Suche nach Modellen für ihr Veränderungsprojekt ist. Sie hängt sich da gerade mega rein und ist dauernd am Werkeln, aber ich hätte nicht gedacht, dass du auch dabei bist.«

»Zugegeben, es ist schon ungewohnt, aber ich wollte eine Veränderung, denn Veränderungen sind immer gut.«

»Ja, absolut. Veränderungen sind …« Seine Mundwinkel zucken ein wenig. »Sie sind schön.« Auf einmal beginnt er zu lachen.

»Du bist doof. Lachst du etwa über mich?«

Er schüttelt den Kopf. »Nein, nein, sorry. Es steht dir wirklich, das hätte ich nicht gedacht. Aber ich hab mir dich auch noch nie in Blond vorgestellt.«

»Und so groß auch nicht.«

»Ja, so groß auch nicht.«

Wieder treffen unsere Blicke aufeinander.

»Wirklich sehr auffallend«, meint er und zieht eine Augenbraue nach oben.

»Okay, auffallend. Auffallend schön? Oder was willst du mir sagen?«

»Auffallend schön, ja.«

»Daran merkt man echt wieder deutlich, dass ihr Geschwister seid. Isa hat genau das Gleiche gesagt.«

Er grinst verschmitzt. »Das ist eines ihrer Lieblingswörter, ich weiß.«

Es ist merkwürdig. Obwohl diese Distanz zwischen uns war, ist es gerade einfach wieder vertraut. Warum ist das so?

Ich betrachte seine Schultern, die allem Anschein nach wirklich kräftiger geworden sind. Was sicher auch an dem straffen Training liegt, bei dem man ihn in seinen zahlreichen Instagram-Posts bewundern kann. Er ist der Mann, der alles kann. Vor allem Liegestütze. Was ich nicht abwerten will, natürlich sieht er gut aus.

Verdammt, Louisa, reiß dich zusammen und starre nicht so auf seine Muskeln! Die können auch nicht überspielen, was alles passiert ist.

Gerade als ich überlege, was ich jetzt noch sagen könnte, ergreift er wieder das Wort. »Ist jedenfalls schön, dass wir uns mal wiedersehen.«

Er legt den Kopf leicht schief, und ich merke, wie sich das Kribbeln in meinem Bauch noch etwas verstärkt. Der Blick, mit dem er mich mustert, ist schon wieder zu tief und zu bekannt, auch wenn wir ein wenig wie unbeholfene Fremde wirken. Da kennt man sich, aber irgendwie auch nicht.

Und ich möchte auch gar nicht so auf ihn reagieren, trotzdem passiert es einfach. Kurz versinke ich in seinen Augen, dann fange ich mich wieder. »Also gut, Josh, dann lass dich nicht weiter aufhalten, du willst dir sicher auch was zu essen holen«, sage ich schnell. Es wird Zeit zu gehen, sonst wird es womöglich noch merkwürdiger.

Aber er schüttelt den Kopf und tritt auf mich zu. Damit habe ich nicht gerechnet. »Nein, gar nicht. Du hältst mich nicht auf, Louisa. Ich bin ehrlich gesagt …« Kurz berührt er mich am Arm. »Ich bin …«

Was? Erfreut? Überrascht? Erschrocken?

»Was bist du?«, hake ich nach.

Noch immer berührt er mich, doch nun zieht er seine Hand zurück. »Allein hier. Ich hab nichts vor. Und du?«

»Ich auch nicht.«

Er lächelt. »Ah, dann wolltest du dir auch nur fix was zu essen holen?«

»Nein, ich …«

Mist, was sage ich denn jetzt?

»Ich hatte eigentlich ein Date«, gebe ich ganz ehrlich zu. Ist jetzt auch egal.

Josh kneift die Augen zusammen. »Ein Date?«

Wie er die Worte ausspricht. Irgendwie, als wäre er überrascht.

»Ja, ein Date. Ist das so ungewöhnlich?«

»Was? Nein, klar, warum auch nicht.« Er sieht sich um. »Und wo ist er? Ist das Date schon vorbei?«

»Sagen wir es so, er ist nicht gekommen.«

»Wie bitte? Warum das?«

»Wie sich herausgestellt hat, steht Max, die Matschbirne – wie ich ihn jetzt nenne –, mehr auf Dunkelhaarige.«

Er verzieht das Gesicht. »Nicht dein Ernst. Deswegen hat er dich stehen gelassen?«

»Ähm, ja, so kann man es sagen. Er hat mir eine Nachricht geschickt, aus der Ferne.«

»Autsch.«

»Was soll’s.« Ich winke ab. »So hab ich wenigstens meine Zeit nicht verschwendet.«

»Stimmt. Und ich meine, wenn jemand Max Matschbirne heißt, wäre das sicherlich komisch geworden.«

Ich lache. »Das ist wohl wahr. Und du? Warum bist du allein hier?«

»Ach, ich dachte, ich schau mir das mal an. Die Jungs sind alle beschäftigt, Kale mit Jass, Joan mit Elisa, Dominik ebenfalls, also bin ich allein hier.«

»Jass hatte ich eben noch am Telefon«, erzähle ich. »Sie und Kale machen sich einen ruhigen Abend. Immer diese Pärchen, das kennst du ja.«

Die letzten Worte sind mir ungewollt herausgerutscht. Josh ist ja eigentlich auch vergeben. Er ist mit Marie-Sophie zusammen, mit der das ganze Drama begann. An dem Abend, als ich Josh eigentlich sagen wollte, dass ich was für ihn fühle. Ja, wir hatten immer das perfekte Timing. Aber irgendwie ist das gerade einfach über mich gekommen. Auf diese flapsige Art hatten wir immer miteinander geredet, bevor Josh beschloss, mich irgendwie aus seinem Leben zu streichen.

»Sorry, ich meine, du bist ja auch …« Ich stoppe. Egal, ich will das Thema nicht weiter vertiefen. Und er anscheinend auch nicht, denn er nickt nur und geht ebenfalls nicht weiter darauf ein.

»Gut, dann hole ich mir jetzt mal was«, sage ich und streiche mir verlegen eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Also, falls du Lust hast, könnten wir ja … na ja, vielleicht auch zusammen ’ne Kleinigkeit essen und was trinken? Und zusammen allein sein oder so?«

Verwundert sehe ich ihn an. Hat er das gerade wirklich vorgeschlagen?

»Ähm, nur wir beide? Echt jetzt?«

Er lächelt. »Nun, wir und essen – ist ja nicht so, als ob wir das noch nie gemacht hätten, oder? Wir waren ja schon ab und zu mal was essen oder trinken.«

»Ja, aber …« Keine Ahnung, ob ich das möchte. Eigentlich sollte ich gehen. Aber dann stehe ich einen Moment lang da, und meine Gedanken kreisen. Es ist doch eigentlich nichts dabei, also stimme ich zu. »Du hast recht, ist ja nur Essen. Warum nicht?«

»Cool, dann lass uns gehen. Suchen wir uns einen Platz?«

Mit Josh was essen gehen. Ja, vor gar nicht mal so langer Zeit war das ganz normal. Was spricht also dagegen?

Vieles, Louisa, ruft meine innere Stimme. Vorhin hast du im Café noch mit dem Kopf auf der Tischplatte gelegen, der Tag stand im Zeichen von Veränderung, alles sollte neu werden. Passt es da, dass du mit Josh was isst? Solltest du nicht lieber doch nach Hause gehen?

Mmmm. Aber gegen ein Essen und einen Drink spricht ja wohl wirklich nichts. Und außerdem bin ich eigentlich schon mittendrin. Ich weiß nicht, warum ich so denke. Vielleicht, weil ich mich davon überzeugen will, dass es so ist, irgendwie. Oder weil ich irgendwo tief in meinem Inneren glaube, dass es so sein soll. Zumindest, um das, was uns getrennt hat, aus dem Weg zu räumen. Klar, ich wollte eine Veränderung in meinem Leben. Dennoch möchte ich gerade nichts anderes, als dass sich wenigstens für eine kurze Weile nichts verändert hat und wir einfach wieder die Freunde sind, die wir mal waren.

In meinem Kopf ist auf einmal wieder der Spruch von dem Zettel, den mir der alte Mann vorhin im Café gegeben hat: Manchmal muss man zum Anfang der Geschichte, um zu erkennen, wie sie endet.

Und so nicke ich schließlich.

Verrückt zu sein,

ist doch manchmal alles,

was uns zum Lächeln bringt.

Zu lange vermisst

»Wenn Liebe und Freundschaft echt sind, kann das Schicksal uns auf die Probe stellen. Weder Raum noch Zeit passt dazwischen.«

(Ivonne Jobs, @tanteivante)

Wir finden einen schönen Platz in der Nähe der Poolbar. Ein DJ legt dort auf, trotzdem ist die Musik nicht zu laut, sodass man sich dabei gut unterhalten kann. Als wir uns in die Sessel sinken lassen und Josh mir die Karte in die Hand drückt, fühlt es sich wirklich etwas vertraut an.

»Ich nehme einen Burger«, sagt er. »Und du? Auch?«

Ich mag Burger, er weiß das.

»Mal sehen. Ich schaue mir erst mal an, was es sonst noch gibt.«

Interessiert studiere ich die Gerichte, auch wenn ich jetzt schon weiß, dass ich ebenfalls einen Burger essen werde. Ich habe wirklich Hunger.

Während ich durch die Karte blättere, fällt auf einmal ein Flyer heraus. »Oh, was ist das?« Ich nehme den Flyer in die Hand und betrachte ihn von beiden Seiten. »Ochsenkopf«, murmele ich.

»Was? Wie nennst du mich?«

»Der Flyer ist vom Ochsenkopf – dem Berg.«

Josh lächelt. »Ach so.« Er greift jetzt auch danach. »Mal wieder raus aus der Stadt«, liest er vor, ehe er den Flyer zur Seite legt. »Ja, das ist manchmal nicht schlecht. Warst du schon mal dort? Ist ja nicht weit.«

»Ich glaube, als ich klein war«, antworte ich und widme mich wieder der Karte.

»Also einen Burger?«

Ich tue so, als wüsste ich es noch nicht genau. Josh soll bloß nicht glauben, dass er mich immer noch so gut kennt.

»Ja, ich denke, ich nehme auch einen«, antworte ich schließlich, und als ich die Karte weglege, schmunzelt er. »Was ist?«, frage ich.

»Gib’s zu, du wusstest gleich, dass du einen Burger nimmst, wolltest es mir aber nicht sofort sagen.«

Ich rolle mit den Augen. »Nein, ich habe mir wirklich die Karte angesehen. Ich wollte nämlich erst einen Salat bestellen.«

»Na schön, wenn du das sagst.«

»Warum nimmst du überhaupt einen Burger? Passt das denn in …«, ich beuge mich ein wenig vor und ziehe die Stirn kraus, »dein Fitnessprogramm?«

»Oh!« Er beginnt zu grinsen. »Da haben wir sie, die erste Spitze. Louisa schießt wieder scharf.«

»Ach, wo denkst du hin. Das war doch keine Spitze, ich frag ja nur.«

Mist, warum kann ich nicht ab und zu mal meinen Mund halten?

»Ich gönne mir heute einfach einen«, sagt er, dann zückt er sein Handy und blickt kurz darauf, ehe er es mit einem Lächeln vor sich auf den Tisch legt.

»Gute Neuigkeiten?«

»Mein Post von eben, er geht durch die Decke.«

»Freut mich«, entgegne ich.

In diesem Augenblick tritt der Kellner an unseren Tisch. »Hallo, schon was gefunden? Was kann ich euch bringen?«

»Was willst du trinken?«, fragt Josh und blickt zu mir. »Ich gebe eine Runde aus.«

Kurz betrachte ich noch mal die Karte. Cola? Wasser? Einen Saft?

»Wollen wir ein Bier oder Wein trinken? Oder lieber einen Cocktail?«, schlägt Josh vor.

»Bier, Wein, Cocktail? Ist das bei dir denn drin?« Diese Frage kann ich mir einfach nicht verkneifen.

Seine Mundwinkel zucken. »Absolut. Immerhin ist es ein besonderer Anlass.«

Oh Mann, warum sagt er das? Und warum spüre ich dabei so ein Kribbeln?

»Also, was möchtest du? Vielleicht alles?«

»Willst du mich betrunken machen?«

Er zieht eine Augenbraue nach oben. »Das ist wieder so typisch du. Ich habe nur was vorgeschlagen, jetzt bist du am Zug.«

Mist, viel zu vertraut, schon wieder. Das war immer ein bisschen unser Ding, uns gegenseitig zu necken. Aber ich will diese Schiene gar nicht fahren, nicht mehr. Also schüttle ich schnell den Kopf. »Nein, nein, schon okay. Ein Bier wäre gut. Passt zum Burger.«

»Also, wir nehmen zwei Bier und zweimal den Burger Classic.«

Der Kellner tippt alles in sein Gerät, ehe er sich vom Tisch abwendet und die Bar ansteuert.

»Und von wegen betrunken. Als ob du von einem Bier betrunken wirst«, sagt Josh, und ich verdrehe die Augen.

»Wer weiß.«

Kurz herrscht Schweigen zwischen uns, doch dann kommt der Kellner schon wieder zurück und serviert uns die Getränke.

Josh hebt sein Glas hoch und prostet mir zu. »Also dann, auf …« Er stockt. »Auf was eigentlich?«

Ich zucke nur mit den Schultern.

»Auf einen schönen Abend oder so?«, schlägt er vor.

»Josh, wir trinken nur ein Bier und essen einen Burger. Ich denke nicht, dass wir einen ganzen Abend miteinander verbringen, oder?«

Er legt den Kopf schief. »Dann halt einfach auf … Wie hieß noch mal der Kerl, mit dem du dein Date gehabt hättest?«

»Max. Warum? Wobei ich dich enttäuschen muss, er steht nicht auf Blond.«

Josh lacht. »Kein Problem. Dann trinken wir also auf ihn.«

»Warum soll ich auf ihn trinken?« Ich nehme mein Glas in die Hand und betrachte es nachdenklich.

»Na ja, ohne ihn und seine Entscheidung, dich nicht treffen zu wollen, säßen wir jetzt nicht hier.«

Er sieht mich an, mit diesem Blick, aber ich will nicht, dass sich schon wieder dieses warme Gefühl in mir ausbreitet. Viel zu oft hat er es geschafft, es in mir hervorzuholen.

»Na gut«, ich räuspere mich, »dann eben auf Max. Hin und wieder muss man auch die Missgeschicke im Leben feiern.«

»Ja, ein Hoch auf den ganzen Mist!«

Er zwinkert mir zu, dann stoßen wir an, und ich nehme einen tiefen Schluck. Ist das alles verrückt? Ja, irgendwie schon. Aber verrückt zu sein, ist doch manchmal alles, was uns zum Lächeln bringt.

Kaum hat Josh sein Bier wieder abgestellt, fragt er weiter: »Nun, um das mal genauer unter die Lupe zu nehmen: Du hattest also ein Date mit diesem Max?«

Ich schüttle den Kopf. »Wie du ja weißt, hatte ich kein Date.«

»Stimmt, entschuldige. Und der Grund war tatsächlich, dass du jetzt blond bist?«

»Ja, so ist es. Mal ganz ehrlich, wie oberflächlich ist das denn bitte? Aber irgendwie ist es ja auch gut so, der Kerl wäre ein Idiot gewesen, und ich hätte nur meine Zeit verschwendet.«

»Und stattdessen hast du mich getroffen«, stellt er trocken fest.

»Eben. Aber ob das wirklich besser ist?«

Er lacht. »Wenigstens ist es noch das kleinere Übel.«

Warum machen wir das denn schon wieder? Dieses Pingpong, das ich mal so mochte, das aber eben einfach nicht mehr ist.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie es auf seinem Handy immer wieder blinkt und neue Meldungen von Instagram bei ihm reinkommen. Er nimmt es in die Hand und beginnt, darauf herumzutippen.

Währenddessen hole ich mein Notizbuch und den Stift aus der Tasche und tue nun auch, als wäre ich sehr beschäftigt.

Irgendwann legt Josh das Handy wieder weg. »Tut mir leid, ich musste nur ganz kurz …«

»Lass dich nicht stören, ich mache inzwischen auch was anderes.« Ich lächle ihm zu, widme mich dann aber gleich wieder meinen Notizen.

»Sorry, wirklich. Was ist das überhaupt? Zeig mal her.«

Als seine Hand nun nach dem Notizbuch tastet, berühren sich kurz unsere Finger. Seine Hand an meiner. Kribbeln, Wärme.

Mist.

»Darin sind Sprüche, die ich sammle. Gedanken.«

»Darf ich mal sehen?«

»Meinetwegen.«

Ich reiche ihm das Buch, woraufhin er kurz durch die Seiten blättert und schließlich einen der Sprüche vorliest.

»Es hat alles einen Grund, wieso es im Hier und Jetzt so passiert, wie es passiert – wir erkennen nur noch nicht, welchen.«