Als Undine wiederkam - Beate Thieswald-Schechter - E-Book

Als Undine wiederkam E-Book

Beate Thieswald-Schechter

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Leben der Studentin Charlotta gerät ins Wanken, als ihre Mutter überraschend stirbt. Nachdem sie eine selbst geschriebene Geschichte und Gedichte aus der Jugend ihrer Mutter findet, wird ihr klar, dass nicht nur ihre eigenen, sondern alle Beziehungen in ihrer Familie von unerfüllter Sehnsucht geprägt sind. Je mehr sie sich mit der Liebesgeschichte ihrer Mutter auseinandersetzt, desto stärker wird ihr Wille, diese Geschichte, die irgendwie auch ihre eigene ist, weiter zu führen und neue, glücklichere Wege für sich selbst, aber auch für ihre Familie zu finden. Die Geschichte "Als Undine wiederkam" spielt gleichzeitig in einer Gegenwart vor einigen Jahren und ca. 25 Jahre zuvor. Sie handelt vom Drama nicht oder nur teilweise gelebter, oft verfehlter Liebe. Sie handelt aber auch von Sehnsucht und einem kreativen Willen, Wege der Erfüllung und Entwicklung zu suchen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 379

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Beate Thieswald-Schechter, geboren 1969 in Eisenach, studierte Sozialwesen in Jena und Familientherapie in Berlin. Sie arbeitet in der Jugendhilfe und lebt mit ihrer Familie in Frankfurt am Main.

Beate Thieswald-Schechter

Als Undine wiederkam

© 2022 Beate Thieswald-Schechter

Bild S. 6: Sabine Rach

ISBN Softcover: 978-3-347-68114-9

ISBN Hardcover: 978-3-347-68119-4

ISBN E-Book: 978-3-347-68121-7

ISBN Großschrift: 978-3-347-68123-1

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Für alle, die der Liebe zu wenig vertrauen

Teil 1

Die Welt, wie Charlotta sie kannte, war zu Boden gefallen und in tausend Scherben zersprungen. Gestern. Jetzt. Für immer.

Sie schlief mit offenen Augen. In Momenten unruhiger Träume hetzte sie durch Dunkelheit und feuchte Zweige schlugen an ihre nackten Beine. Das zumindest kannte sie schon.

Gestern hatte sie vor sich hin gestarrt. Wie ein gefangenes Tier lief sie heute durch ihre Wohnung. Sie musste nachdenken. Da ihre Wohnung nur aus dem kleinen Wohnzimmer, einem winzigen Schlafzimmer, der kleinen Küche mit Tisch und dem angrenzenden Minibad bestand, waren ihre Runden kurz. Im Flur hielt sie vor dem alten Kleiderschrank inne. Sie stellte sich ganz nah vor seinen Spiegel und betrachtete ihr Gesicht. Sie war jetzt fast 24 Jahre alt. Was war das, was da gerade geschah? Sie verstand es nicht, war noch nicht erwachsen, nicht wirklich. Es ist nicht gerecht, so jung seine Mutter zu verlieren. Was sollte sie tun? Wie sollte sie ihr Leben verbringen? Gedanken an den Besuch von Vorlesungen, das Schreiben von Hausarbeiten oder das Bestehen von Prüfungen erschienen absurd. Sie spürte ihre Beine weich werden und setzte sich auf den Boden. Ihr Rücken lehnte an der schmalen Wand des Flures. Schwärze waberte die Gehirnwindungen entlang. Von draußen drang nicht das leiseste Geräusch in die Hinterhauswohnung. Dann plötzlich verknotete sich wieder etwas in ihrem Bauch und ließ ihre Glieder vor Unruhe kribbeln. Sie stand erneut auf und sah in den Spiegel.

Wieso war alles so schnell gegangen? Vor sechs Wochen, zu Weihnachten, waren sie und Jonathan noch zu Hause gewesen und alles schien in Ordnung gewesen zu sein. Es war sogar sehr schön, die Eltern waren besonders liebevoll miteinander umgegangen. Sie hatten nicht gestritten. Sie wäre damals schon krank gewesen, kurz vor Weihnachten hätten sie es erfahren, ihnen aber das Fest nicht verderben wollen, hatte der Vater gestern am Telefon versucht zu erklären. Mitgeteilt hatten sie es ihnen erst zwei Wochen nach dem Fest, als es ihr plötzlich sehr schlecht ging. Charlotta war sofort hingefahren, zwei Tage später musste sie ins Krankenhaus. Als Jonathan ankam, hatte sie ihr Zimmer dort schon bezogen und sollte es nicht mehr verlassen. In diesem Krankenhauszimmer war Charlotta noch zwei Wochenenden gewesen. Die Ärzte hatten ihr in allen Gesprächen Hoffnungen gemacht und sie hatte ihnen geglaubt. Selbst ihre Mutter hatte zuversichtlich geredet.

„Sie wollte nicht sterben“, flüsterte Charlotta in den Spiegel. „Sie wusste, dass ich sie noch brauche.“ Sie verfolgte die neuen Spuren ihrer Tränen auf ihrem Gesicht, die Spuren der laufenden Nase. Sie wischte nichts weg. Mit aufgerissenen Augen heulte sie ihr Spiegelbild an. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Ihre Haare hatte sie heute noch nicht gekämmt, im Nacken hatten sich riesige Knoten gebildet während der unruhigen letzten Nacht. Es ist Wirklichkeit, sagte ihr Spiegelbild. Hier stehe ich und rufe nach meiner Mutter, die nie mehr kommt.

Als das Telefon eine halbe Stunde später klingelte, putzte sie endlich ihre Nase. Erschrocken schaute sie auf ihre Armbanduhr. In einer Stunde fuhr der Zug, mit dem sie nach Hause fahren wollte. Nach Hause, das kein Zuhause mehr war.

Es war tatsächlich ihr Vater.

„Hallo, ich bin`s, Papa. Hast du schon deine Sachen gepackt?“

„Ja, ich bin dabei.“

„Hast du geweint?“ Seine Stimme klang besorgt und weich.

„Ja, - es geht schon.“

„Ich hole dich dann vom Bahnhof ab, ja?“

„Gut.“ Charlotta legte auf.

Als sie im Zug saß, rief Jonathan an. Zuerst hörte sie gar nichts, nur ein merkwürdiges Geräusch. Zwei Sekunden später begriff sie, dass Jonathan weinte. Sofort kamen auch ihre Tränen wieder. Sie sagten nichts. Als sie hörte, dass Jonathan sich schnäuzte, tat sie es auch. Dann fragte sie:

„Wann kommst du an?“ Er könne erst am Abend da sein, er habe noch dieses Gespräch mit seinem Professor.

„Das kannst du doch verlegen.“ Charlotta sandte einen möglichst abweisenden Blick in Richtung der älteren Frau neben sich, die schon einige besorgte Blicke auf ihr hatte ruhen lassen. Jonathan stellte klar:

„Ich will das Gespräch nicht verlegen. Ich bin zum Abendessen da. Ich komme auch allein, ihr braucht mich nicht abzuholen vom Bahnhof.“

Der Vater sah ebenfalls mitgenommen aus. Charlotta hatte ihn nie zuvor so gesehen. Hatte er jetzt weniger Haare oder waren sie heller geworden? Die Furchen in seinem Gesicht waren tiefer geschnitten als sonst. Der Vater war rasiert und sorgfältig gekleidet, und doch stimmte etwas an seiner Kleidung nicht. Sie glaubte, etwas gesehen zu haben, doch sie wusste schon nicht mehr, was es war. Er nahm sie lange in die Arme. Dann liefen sie schweigend zum Auto. Auch während der Fahrt redeten sie nicht. Jeder hing in sich selbst, gefangen und geworfen auf die eigenen kreisenden und bohrenden Fragen und Gedanken.

„Ich wollte etwas kochen“, sagte der Vater zu Hause. Charlotta winkte ab.

„Vielleicht heute Abend, wenn Jonathan auch da ist. Ich gehe ein bisschen rüber.“ Sie meinte das Zimmer ihrer Mutter, das diese sich in Charlottas ehemaligen Kinderzimmer eingerichtet hatte, nachdem sie ausgezogen war. Jonathans Zimmer war danach ihr gemeinsames Kinder-Gästezimmer geworden. Ein allgemeines winziges Gästezimmer gab es außerdem noch. Es wurde jedoch nur von richtigen Gästen benutzt. Waren Jonathan und sie gleichzeitig da, hatte sie oft in Mutters Zimmer geschlafen.

„Lass uns nachher aber einen Kaffee trinken, ja? Hast du überhaupt schon etwas gegessen heute?“ Er wirkt so verloren, wie er da in der Küche steht, dachte Charlotta. Da sah sie auch die verschiedenen Socken an seinen Füßen, einer schwarz, einer grau. Sie lächelte nicht. Früher hätte sie sich gefragt, wie so etwas nur passieren kann.

„Ja“, log sie, dann spürte sie plötzlich ein leises Grummeln in ihrem Magen. „Wir werden nachher schon ein paar Kekse finden.“

Sie ging doch noch nicht ins Zimmer ihrer Mutter. Zuerst schaute sie ins Schlafzimmer der Eltern. Da war das Bett der Mutter noch genauso, als hätte sie die letzte Nacht darin geschlafen. Charlotta legte sich hinein. Es roch nach ihr. Der Vater hatte noch nichts gewaschen, wie wunderbar. Ganz plötzlich fühlte sie, wie die Müdigkeit sie überkam. Sie sah sich mit ihrer Mutter spazieren gehen. Sie war wieder klein und lief an ihrer Hand über eine sonnige Almwiese. Dort hatten sie einmal Urlaub gemacht, auf einem Bauernhof. Blumen blühten und Bienen summten.

Der Vater weckte sie sanft.

„Komm Charlotta, wir wollen zu Abend essen, dein Bruder ist da.“

Schweigsam saßen sie am Küchentisch, als sich Charlotta plötzlich fragen hörte:

„Wart ihr eigentlich glücklich, du und Mama?“ Sie war überrascht über ihre Frage, denn sie hatte zum einen das Gefühl, sie nicht geplant zu haben und zum anderen, dass es eine war, die sie nicht stellen durfte. Der Vater antwortete nicht gleich. Er schien nach einer passenden Antwort zu suchen.

„Ich glaube, wir waren es“, sagte er dann. „Manchmal haben wir es uns gegenseitig nicht so leicht gemacht.“ Er sah sie und Jonathan an. „Das wisst ihr.“

Jonathan erwiderte seinen Blick mit einer Spur Herausforderung.

„Sie weinte dann und du hast sie weinen lassen.“

„Ach, Kinder, ja. Ich konnte das nicht so. Sie hat auch ausgeteilt, das habt ihr doch genauso mitbekommen.“

„Ja, sie hat ausgeteilt, bevor sie geweint hat“, sagte Charlotta. Wieder war sie verwirrt von ihrer eigene Aussage. Stimmte sie ihrem Vater zu? Die Mutter war gut gewesen, gut, gut.

Sie aßen schweigend weiter. Doch Charlotta spürte den Kloß im Hals wieder. Vergeblich bemühte sie sich, zwei Nudeln auf ihre Gabel zu drehen. Sie hatte Hunger, doch ihr Magen war mit einem Mal wieder verschlossen. Sie stand auf.

„Könnt ihr es mir stehen lassen? Ich esse nachher weiter.“ Sie flüchtete ins Zimmer ihrer Mutter.

„Mama“, sagte sie, nachdem sie die Zimmertür geschlossen hatte. Immer hatte sie sich ihr sehr nahe gefühlt. Ein geheimer Draht hatte sie miteinander verbunden. Geheim war er, weil sie beide wussten, dass er eigentlich so nicht da sein sollte, dass sie eigentlich abgelöster sein sollte von ihrer Mutter. Äußerlich hatten sie sich auch so verhalten, aber im Inneren war da noch eine große Abhängigkeit. Sie hatten nur einmal in der Woche telefoniert, aber manchmal war ihr das schwer gefallen und sie hatte mit Sehnsucht auf die Telefonate gewartet. Sie hatte bei ihrer Wohnungseinrichtung Mutters Ideen übernommen, das war schon fast peinlich. Die Mutter hatte ihr von ihrer Studentenwohnung erzählt und Charlotta hatte am Ende das Gefühl, dass ihre der ihrer Mutter ähnlich sehen müsse. Die Mutter hatte sie immer ermutigt, in einer anderen Stadt zu studieren und selbstbewusst und unabhängig zu sein. Dennoch hatte Charlotta stets gespürt, dass ihre Mutter ein Stückchen durch sie leben wollte, dass sie etwas tun sollte, das mit ihrer Mutter zusammenhing.

Und ihre Beziehung zu Männern, tja, das war ein Kapitel für sich. Auch von diesen fühlte sie sich immer zu abhängig und die Männer empfanden das wohl genauso. Mit ihrem Wunsch nach Nähe fühlten sie sich schnell überfordert.

Charlotta öffnete den Schrank ihrer Mutter. Es war ein besonders schöner alter Nussbaumschrank. Hier standen Aktenordner und Fotoalben. In den Alben zu blättern, konnte sie sich nicht entschließen. Sie zog ein paar Ordner heraus. Dahinter gab es weitere Ordner, noch aus dem Studium der Mutter, in der Reihe darüber kleinere. Sie nahm einen schwarzen in die Hand. Außen war eine Rose aufgeklebt. Ein Stammbuchbild. Sie schlug die erste Seite auf. Gedichte waren hier gesammelt. Es war Mutters Schrift, also hatte sie diese Gedichte geschrieben. Sie waren datiert aus Mutters Jugend. Charlotta rechnete, 25 Jahre musste sie alt gewesen sein, als sie das erste schrieb.

Lassen

Herz, wie es schlägt

im Rhythmus meines Lebens

Ein Strudel hat mich erfasst

Der Strom des Lebens nach mir gegriffen

Ausgeliefert

Er spült an Land und reißt hinweg

Wie er will

Das Bild im Sonnenschein ist kaputt

Es ist zersprungen

Du kleines Tier, süß und zart

Wie liebe ich dich

Wie sehr muss ich dich beschützen

Ich bin gefesselt an dich

Wie aufrichtig und bittend schaust du mich an

Könnte ich dich lassen?

Lassen.

Das Gedicht rührte etwas in Charlotta an. Sie blätterte weiter. Hunderte Gedichte waren einzeln in Klarsichthüllen eingeordnet. Sie hatte nichts davon gewusst, dass ihre Mutter jemals etwas geschrieben hatte. Sie setzte sich mit dem Ordner in Mutters grünen Sessel. Ganz hinten war eine dicke Hülle. Ein hellgelbes Blatt Papier war wie eine Art Deckblatt mit einer Postkarte beklebt. Ein Bild von Edward Hopper. Zwei junge Frauen sitzen sich in einem Café gegenüber. Sie sehen sich ähnlich. Vielleicht haben sie etwas zu besprechen. Charlotta nahm den Stoß Blätter aus der Hülle. Das letzte Blatt war wieder ein hellgelbes Deckblatt. Es war mit zwei Postkarten beklebt. Das erste Bild zeigte ein Seerosenbild von Monet, das zweite drei junge Frauen, nur mit weißen Hemden bekleidet, die sich auf einem Sandstrand ihre langen braunen Haare kämmen. Die Frauen sahen gleich aus, wie Schwestern. Es könnten auch Nymphen sein. In der Ecke des Bildes entzifferte Charlotta: Degas. Edgar Degas war der Maler der vielen Ballettmädchen, von dem sie schon als Kind ein Bild in ihrem Zimmer hängen hatte.

Sie schlug die erste Seite auf.

Dies ist die Geschichte von mir und meinen inneren Schwestern. Vor einiger Zeit hielt ich ein Kinderfoto von mir in der Hand, auf dem ich lachte. Auch wenn Menschen auf Fotos oft fröhlich aussehen, kam mir das Bild merkwürdig vor, denn meist fühle ich mich verloren, wenn ich an meine Kindheit denke. Ich zeigte es meiner Mutter. Sie nickte und sagte, ich sei ein aufgewecktes und phantasievolles Kind gewesen. Ich betrachtete das Foto mit staunendem Interesse und versuchte mich an diesen schönen Tag meines Lebens im Alter von etwa vier Jahren zu erinnern. Es gelang mir nicht, doch fielen mir viele Dinge ein, die ich damals allein oder zusammen mit meiner großen Schwester getan hatte. Ich denke jetzt, dass mein Leben als Kind reich und intensiv war, trotz der Verlorenheit oder vielleicht auch gegen sie.

In mir wohnen noch zwei Personen. So stelle ich es mir vor. Als ich ein Kind war, gehörten wir zusammen. Später verlor ich sie jedoch, zuerst die eine, dann die andere.

Zuni ging zuerst. Sie ließ mir nur ihren Schatten zurück. Der sollte mich an sie erinnern. Ich glaube, dass Zuni vor allem enttäuscht von dem war, was nach der Kindheit kam. Als Kind hatten wir immerhin viel Freiheit. Nur ein Kind entdeckt das Leben jeden Tag neu. Später werden die Räume enger. In den Schuljahren gab es mehr und mehr für nahezu jede Stunde des Tages Erwartungen zu erfüllen. Wir hatten gut in der Schule zu sein, im Klavierunterricht und ebenso beim Schachspielen mit dem Vater. Es war gar nicht so, dass Zuni sich nicht interessierte für Schule, Musik oder Schach. Sie hasste aber, dass es für spontane Ideen und erst recht für ihre trotzige Wildheit keinen Platz mehr gab. Die Eltern waren sehr streng mit Zuni, in der wenigen Zeit, die sie mit uns verbrachten. Auch als wir noch klein waren, war das schon so gewesen. Da Zuni aber süß und außerdem klug und begabt war, gelang es ihr damals noch, die Eltern zu bezirzen und sich angenehm zu machen. Später verbrachten meine wirkliche Schwester Dorothea und ich die meiste Zeit im Internat, denn unsere Eltern waren beruflich viel auf Reisen.

Es gab eine Phase, in der Zuni rebellierte. Unsere Eltern versuchten, ihr mit Verboten beizukommen. Nachdem unsere Mutter eines Tages ihr Weinen ignoriert hatte, mit dem sie ihr durch die halbe Stadt gefolgt war, um sie zu einer Liebesbezeugung zu zwingen, verließ mich Zuni. Sie fühlte sich unerwünscht und abgelehnt. Deshalb ging sie weg und kam nur noch zeitweise und immer seltener zu Besuch. Am ehesten erschien sie in den Ferien. Ich weiß, dass sie in manch aufregendem Ferienabenteuer dabei gewesen sein muss, denn ich hatte dann das Gefühl, vollständiger zu sein. In meinen Träumen jedoch begegnete ich ihr oft. Am Morgen danach sah ich noch ihren Schatten, doch wenn ich ihn gesehen hatte, löste er sich auf.

Undine blieb ein paar Jahre länger. Sie hatte immer viel weniger Anlass zu Ärger gegeben als Zuni, vielleicht weil sie so blass war und zerbrechlich schien. Mit ihrer stillen Natur konnte ich sie gut verstecken. Sie wurde meine Vertraute über viele Jahre. Ich wusste sehr wohl von der Macht und der inneren Kraft Undines. Ich wusste, dass sie nicht menschlich, sondern eine gefährliche Nymphe war. Dennoch ließ ich mich immer wieder gefangen nehmen von der Tiefe ihrer Augen, die so unergründlich waren wie das Wasser, in dem sie lebte und der Wald, aus dem sie kam. Ich tat es, weil ich einsam war ohne Zuni, die das Leben in unseren engen Grenzen so langweilig gefunden hatte.

Undine konnte wunderbare Träume erzählen. Sie ging mit mir im Wald spazieren, pflückte Blumen und Beeren und spielte mit den Tieren. Als sie kein Kind mehr war, ging sie nachts im silbernen Mondlicht in den Wald und tanzte dort bei einem Waldsee ihre Sehnsucht nach einem Mann. Doch für keinen war es ratsam, sich dann in ihre Nähe zu wagen. Obwohl Undine unablässig von einem Mann träumte, fürchtete sie sich gleichzeitig davor, ihn zu finden. Sie hatte Angst, dass der Mann, den sie liebte, sie in die Unsicherheit mitnehmen würde, die jenseits ihres schützenden Waldes lag und der sie nicht traute. Sie hatte Angst, dass er sie verletzen und schließlich wieder verlassen könnte. Undine war nicht eigentlich böse, aber ihre Angst machte sie gefährlich. Sie fühlte sich niemals schuldig, wenn sie liebte. Ihre Liebe war ihr Rechtfertigung genug für alles, was sie tat. Kam ein Mann, der ihr zu stark erschien, floh sie. Doch dann erzählte sie mir tausend Träume von ihm. Kam ein Mann, dem sie sich gewachsen fühlte, machte sie ihm schöne Augen und versuchte, ihn in ihren See zu locken. Meist träumte sie davon, sehr schnell zu sein. In der Tiefe würde sie ihn lieben mit all ihrem Dasein. Sie hielt sich nicht bei ihrem Wissen darüber auf, dass er in der Tiefe sterben würde. Der Richtige würde eben nicht sterben. Das war ihr genug und mein Märchenwissen gab ihr Recht.

Manchmal, wenn ich sehr einsam war, schaute auch ich ihr beim Tanzen zu. Dann kam sie zu mir, lächelte mich an in unirdischer Schönheit, flüsterte mir Träume ins Ohr, legte ihre Arme um mich und führte mich zu ihrem See. Sie sagte, dass ich ihre Schwester sei und dass ich mit ihr in ihren See kommen solle. Ich wusste, dass ich soweit nicht gehen durfte. Sie musste bei mir bleiben, nicht ich bei ihr. Dennoch gelang es mir einige Male nur schwer, mich von ihr zu befreien.

Nicht zuletzt deshalb erhörte ich eines Tages Dirk. Er erschien in einem Moment, als ich nur noch mit Mühe meinen Kopf über Wasser halten konnte. Ich machte Undine auf ihn aufmerksam und sie ließ mich frei. Dieser Mann hatte mich gerettet. Ich ging mit ihm und war nun nicht mehr einsam. In den folgenden Jahren galt Undines Aufmerksamkeit ihm. Ich begann Klavier zu studieren. Undines See besuchte ich nicht mehr. Doch Dirk tat es. Er kannte Undine gut. Er liebte und fürchtete sie. Sicher hätte ich ihn mit Undine nicht so oft allein lassen dürfen, doch ich war froh, dass nicht ich es war, die sich mit ihr schmerzhaft auseinandersetzen musste. Ich schloss oft peinlich berührt die Augen, wenn Undine sich gebärdete wie eine Furie, wenn ihm ihre Umarmungen zu eng wurden. Ich hatte vergessen, dass es meine Verantwortung war, Undine im Zaum zu halten. Ich überließ sie ihm. Dirk hätte Zuni gern öfter bei uns gehabt, doch die langweilte sich während ihrer Besuche schnell. Sie saß lustlos herum, wurde dann kribbelig und verließ uns schließlich wieder. Einige Jahre lang konnte Dirk Undine widerstehen, doch letztendlich war sie stärker als er. Sie rümpfte die Nase darüber. Plötzlich wachte ich auf. Ich schrie sie an und machte ihr die bittersten Vorwürfe. Sie fragte schnippisch, was ich denn hätte, auch Zuni hätte ihn nur kurze Zeit interessant gefunden und wäre dann kaum jemals zurückgekommen. Ich sprach kein Wort mehr mit ihr und beschloss, alles wieder gut zu machen, was Undine angerichtet und Zuni nicht interessiert hatte. Ich liebte den Mann und verhinderte nicht, dass nun auch Undine immer seltener kam und schließlich verschwand. Mit ihr ging aller Zauber, alle Tiefe. Als Undine mich verlassen hatte, erschien mir auch Dirk anders, so starr, dass ich ihn kaum noch als lebendig empfand. Hatte sie ihn getötet? Ohne meine Schwestern war alles anders, fast als gäbe es keine Sonne mehr.

Erschrocken weiteten sich Charlottas Augen. Sie las weiter.

So lebte ich längere Zeit in einem Schatten- und Totenreich und fragte mich oft, ob auch ich schon gestorben war. Dirk fürchtete sich selbst vor Undines Schatten noch.

Ich kämpfte wie eine Gigantin für die Wiederbelebung dieses Mannes, für seine Stärke, für unsere Liebe. Ich fühlte mich schuldiger als ich es war. Schließlich tat mir alles weh, weil ich spürte, wie zerbrochen und erschöpft ich war.

Charlotta ließ den Ordner sinken. Schatten- und Totenreich – ihr fiel ein, wie ihr die Mutter auf einem Waldspaziergang einmal von Undine erzählt hatte. Sie hatten plötzlich vor einem versteckten Weiher gestanden, Mutter hatte ihn verwunschen genannt und von der gefährlichen und armen Nymphe Undine erzählt, die hier lebte. Sie sehne sich nach Liebe zu einem Menschen, um durch ihn eine Seele zu bekommen. Könne sie eines Mannes habhaft werden, der sich an ihrem Wasser von ihr bezaubern lasse, ziehe sie ihn mit sich hinab. Wenn er nicht stärker sei als sie, müsse er sterben, weil er nicht wie sie atmen könne im Wasser. Nur wenn er sie gleichzeitig liebe und ihr widerstehen könne, könne sie ihm folgen und eine Seele erhalten. Betrüge er sie aber, bringe sie ihm den Tod und auch sie verliere ihre Seele wieder.

„Warum zieht sie ihn ins Wasser hinab, wenn sie ihn doch liebt“, hatte Jonathan damals gefragt.

„Ich glaube, sie hat Angst, ihm zu vertrauen. Sie kennt das Sonnenlicht nicht und fühlt sich nur im Wasser sicher.“ So ähnlich hatte Mutter damals geantwortet und Charlotta erinnerte sich, wie sie alles schaurigschön gefunden hatte. Auch „Die kleine Seejungfrau“ von Hans-Christian Andersen hatte sie immer gemocht. Von so einer Undine also schrieb ihre Mutter hier, die in ihr wohnen würde.

Außerdem gab es bei ihr diese Zuni. Charlotta überlegte. Was war das für ein Name? Sie googelte nach dem Namen in ihrem Smartphone. Eintragungen zu Vornamen der Sinti erschienen. Unwillkürlich fiel ihr eine Kommilitonin ein, deren Namen sie vergessen hatte. Sie kannte sie nicht gut, aber sie erinnerte sich, dass sie einmal in einer größeren Runde in der Mensa erzählt hatte, dass ihre Oma eine Sintiza sei. Sie war ein fröhliches, lautes Mädchen. Sie hatte sie auch einmal tanzen gesehen und gedacht, dass das Zigeunerklischee bei ihr nicht daneben lag. Vielleicht spielte sie damit, weil es ihr selbst gefiel. Meinte die Mutter solch eine Frau, die ebenso Platz in ihr gehabt haben sollte? Naja, wenn sie an manche Situationen dachte, passte das schon. Auch in ihrer Jugend hatte sie wohl ein paar verrückte Sachen gemacht, davon wusste Charlotta, aber dennoch … Sie musste lachen, fühlte sich plötzlich fröhlich und hatte das Bedürfnis, es sich gemütlich zu machen und den ganzen Ordner zu lesen. Sie breitete die Wolldecke aus, die auf dem schmalen, mit einer indischen Tagesdecke bedecktem Bett lag. Sie mochte das Bett, ihre Mutter hatte das antike Stück in ihrer Jugend mal auf einem Dachboden gefunden. Dann lief sie noch einmal in die Küche, holte sich ihren Teller mit der nun kalten Pasta und vergrub sich unter der Wolldecke auf dem Bett ihrer Mutter. Manchmal hat Mama hier geschlafen, ging ihr durch den Sinn. Ungeduldig suchte sie die richtige Stelle.

Schließlich begann ich, von Zuni zu träumen. Ich rief sie und sehnte mich nach ihr. Ich wusste noch, wie jeder Tag als Kind mit ihr ein Abenteuer war. Auch später, als sie mich immer seltener besuchte, waren die Tage und Nächte mit ihr lebendig und schillernd gewesen. An jedem Schmetterling freute sie sich und Langeweile hatte keinen Platz bei ihr. Dieses selbstverständliche Leben mit ihr war zu lange her.

Eines Tages stand ich unter der Dusche, und plötzlich stellte sich mir diese Frage: Sollte ich aufgeben und bleiben oder sollte ich nicht aufgeben und gehen? Niemals vorher war mir diese Frage so erschienen. Die Frage hatte sich stets andersherum gestellt, wenn sie sich überhaupt stellen durfte, denn schließlich war die Liebe für die Ewigkeit erfunden, besonders die romantische. Ich war romantischer Natur. Das Leiden gehörte deshalb in gewisser Weise dazu. Das war mir klar: Ohne Leiden gibt es keine Leidenschaft. Allerdings hatte ich mir die Liebe immer spektakulärer vorgestellt. Das, was ich hatte, war jedoch nicht spektakulär, nicht aufregend, nicht einmal anregend. Das Leiden gab es zwar, aber es war das Leiden an der Unerreichbarkeit der Träume. All das war nicht, was ich erwartet hatte.

Kurz darauf, das alles ist von heute gesehen etwa zweieinhalb Jahre her, kam Zuni dann zurück. Ich erkannte sie sofort wieder. Sie stand da, eine schöne, stolze junge Frau. Ich weinte, als ich sie sah. Da lachte sie und nahm mich in die Arme. Im gleichen Moment veränderte sich meine Welt. Mein Leben wurde auf einen Schlag wieder bunt, laut und impulsiv. Zuni sagte, ich solle mit ihr kommen. Wir führten endlose Diskussionen. Sie ließ mir keine Ruhe, nahm mich schließlich bei der Hand und ging mit mir aus. Ich staunte. Zuni war eine Frau, die die Männer liebte und die Männer liebten sie. Sie fiel auf. Wenn sie tanzte, bebten ihre Nasenflügel. Sie genoss alles grenzenlos. Ich hatte Schuldgefühle, wenn ich an Dirk dachte, der mir nun im Vergleich mit mir noch viel toter vorkam. Ich wusste schließlich, was Zuni wollte.

Letztendlich tat ich genau das. Ich blieb noch vier Wochen, in denen wir darüber redeten. Dann verließ ich ihn.

An dieser Stelle fand Charlotta eine 1 und eine 2 mit rotem Stift geschrieben. Was bedeuteten die Zahlen? Doch dann fiel ihr ein, dass die Seitenzahlen im Ordner mit den Gedichten auch rot geschrieben waren. Sie schlug die erste Seite auf und fand dort das Gedicht, das sie bereits gelesen hatte. Es war mit rotem Stift angekreuzt. Das kleine Tier in ihrer Hand war also er gewesen. Sie sah aus dem Fenster und versuchte sich vorzustellen, wie er ausgesehen haben konnte, wie er sich gefühlt haben mochte, als kleines Tier in ihrer Hand. Sie schlug die nächste Seite auf und fand das Gedicht dort ebenfalls angekreuzt.

Nicht verzichten

Wie sehr ich liebe

Wie sehr ich lebe

Wie sehr ich bin

Du kannst mich mal wieder besuchen, Leben du

Komm herein

Wenn du nicht kommst, werde ich tot sein

Am Ende angekommen, bis ich sterbe.

Liebe, zeig mir dein Gesicht

Wie viele hast du? Tausend?

Ich kann nicht -

Nicht verzichten

Ich bin hier, neben dir

Sieh mich nicht an

Was willst du?

Was willst du jetzt noch?

Charlotta las die Geschichte weiter:

Als ich ging, sah ich mich nicht um, nicht ein einziges Mal. Das Leben war zu einem einzigen Abenteuer geworden. Ich zog in eine kleine, baufällige Wohnung. Sie war eigentlich ein Sanierungsobjekt, in das bei Auszug eines alten Mieters keine neuen mehr einziehen durften. Die Decke wurde bei längerem Regen an manchen Stellen feucht, die Dusche funktionierte nur bedingt - doch die Wohnung gefiel mir sofort, sie lag mitten in der Stadt, und sie gehörte mir.

Ich war noch nicht fertig eingerichtet, da klopfte es an der Tür. Undine stand davor, mit einer weißen Rose in der Hand. Ich lachte sie an und konnte es nicht fassen. Ich liebte sie so sehr. Sie war blass wie ein Traum, rein, schön und fast durchsichtig. Zuni und Undine kannten sich nicht mehr gut. Ich kochte uns einen Kaffee. Ich zündete alle Kerzen an, legte Janis Joplin auf und stellte die Rose ins Wasser. Wir freuten uns an den Sonnenstrahlen, die auf der Fensterbank hüpften, lächelten uns zu und fühlten den Neubeginn. Es war wunderbar.

Als wir wieder alle vereint waren, stieg die Temperatur des Lebens um mehrere Grad an. Wir übten wie besessen Klavier, mein Professor sah mich nachdenklich, doch zufrieden und erfreut an. Wenn wir ausgingen, vibrierte die Luft um uns herum, vor allem nachts. Unser gemeinsames Ich sprühte. Plötzlich gab es nicht einen Mann, sondern viele. Ich staunte: Zuni kannte keine Scham. Sie schwang die Hüften beim Gehen, ihr Augenaufschlag war ein Ereignis, und wenn sie herausfordernd lachte, kräuselte sie spöttisch den blutroten Mund. Nach Hause gingen wir zunächst allein, denn Undine hatte Angst vor den Männern, denen wir hier begegneten und vorerst nahm Zuni Rücksicht auf sie. Die Männer hier schienen anders als der, den Undine jahrelang gekannt hatte, gefährlicher und unberechenbarer.

Wenige Wochen lang war das Leben ein Spiel für uns. Wir lernten uns neu kennen. Ich war sehr glücklich über Undines und Zunis Rückkehr. Beide waren besonders. Wir waren drei Schwestern.

Charlotta schlug den Stoß Blätter zu und betrachtete noch einmal die aufgeklebte Postkarte der drei Frauen am Strand. Drei Frauen in einer. Sie schüttelte den Kopf und las weiter.

Mein Plan, uns drei wieder aneinander zu gewöhnen und zusammenwachsen zu lassen, stellte sich jedoch als schwieriger heraus, als ich in der ersten Euphorie geglaubt und auch für möglich gehalten hatte. Wir hatten uns sehr entfremdet und waren es nicht mehr gewohnt, an einem Strang zu ziehen. Außerdem waren Undine und Zuni nach wie vor gegensätzlich in ihren Charakteren und beide taten oft was sie wollten, ohne die geringste Rücksicht zu nehmen. Zuni war ungeduldig, ihr fehlte die Fähigkeit, sich selbst zu beherrschen. Sie lebte aus dem Bauch heraus. Zwar nickte sie andächtig mit dem Kopf, wenn ich ihr etwas von Gefahren oder sozialen Regeln erzählte, im Fall des Falles aber kümmerte sie sich um nichts und niemanden, lachte und entzog sich meiner Kontrolle. Manchmal machte sie mir richtig Angst, denn ich fühlte mich ihr nicht gewachsen. Sie provozierte Situationen, mit denen ich kaum umgehen konnte.

So saßen wir einmal mitten in der Nacht im Wohnzimmer irgendeiner fremden WG zwischen ihren Tee trinkenden Bewohnern, weil Zuni nach einem Konzert mit einem sehr jungen Studenten mitgegangen war, dem sie den Kopf verdreht hatte. Es gab auch eine Frau in dieser WG, die uns Fragen stellte. Zuni erzählte völlig unbefangen davon, dass wir uns gerade von unserem Mann getrennt hatten. Alle schauten uns befremdet an. Zuni war das egal, doch ich gab ihnen Recht. Was suchten wir hier? Wir war hier nicht am richtigen Platz. Undine stöhnte nur und schloss die Augen. Dieser Junge interessierte sie gar nicht. Ich schwor mir, in Zukunft besser auf Zuni zu achten. Ich stellte fest, dass sie mir durch die lange Trennung fremder geworden war als Undine, mit der ich so viel mehr Zeit meines Lebens verbracht hatte.

Dennoch, wir waren wieder vollständig und ich spürte sehr klar, dass unsere Stärke und unsere Lebendigkeit nur in unserer Dreisamkeit liegen konnte. Ich hatte mir fest vorgenommen, sie nie wieder zu verlieren.

Ich freute mich über jede kleine Sache, die wir einvernehmlich hinbekamen, ohne dass jemand von uns sie an sich riss oder boykottierte. Das ging beim Klavierüben recht gut. Unser Zusammenwirken verhalf uns oft zu Konzentration und Ausdauer. Es gab jedoch auch Situationen, in denen Zuni oder auch Undine anderes viel wichtiger fanden als stundenlang zu üben. Wir schrieben ein paar Gedichte zusammen, Gedichte des Neubeginns. Manchmal schlenderten wir gemeinsam durch Geschäfte oder gingen abends aus. Unser Leben zusammen war nicht einfach, doch alles war aufregend, neu und es fühlte sich endlich richtig an.

Da waren wieder Gedichte vermerkt. Okay, dachte Charlotta, die suche ich noch. Sie hatte Durst.

Der Tag danach

Flackerndes Feuer verbreitet Wärme

Die erste Rose ist verwelkt

Ihre Liebeserklärung an sich selbst

Sie lacht, sie lebt, sie atmet frei.

Sie ist ausgestiegen aus dem Boot

Ins Wasser gesprungen

Es hatte seine bedrohliche Farbe verloren

Jedenfalls in ihren Augen

Sie ist ans Ufer geschwommen

Jetzt ist sie da

Knackendes Feuer

Langsam wird es warm

Es wird eine neue rote Rose geben

Ihre Liebeserklärung an sich selbst

Warum ist ihr Herz so leer?

Dies ist nun der Tag

Diese Musik

Du hattest sie verloren

Diese Farben

Du hattest sie vergessen

Dies ist nun der Tag

Was ist es, das so an dir zieht?

Dies ist nun die Nacht

Was ist es, das dich zittern lässt?

Charlotta klappte den Stoß Blätter zusammen. Sie musste etwas trinken. Außerdem war es erst einmal genug. War das ihre Mutter gewesen? Sie fühlte sich verwirrt.

„Charlotta.“ Der Vater freute sich, als sie in der Küche auftauchte. Doch er sah immer noch ratlos und konfus aus.

„Ich brauche eine Apfelschorle“, verkündete Charlotta und lächelte den Vater an, zuversichtlich. Sie spürte, wie ihm ihre Zuversicht gut tat. „Die Pasta war gut. Ich glaube, ich nehme mir noch ein bisschen.“ Er setzte sich zu ihr und sah ihr beim Essen zu.

Als sie die letzten Nudeln auf die Gabel pikste, rieb er sich die Schläfen, stöhnte und sagte:

„Wir müssen dann auch über die Beerdigung reden. Ich habe morgen einen Termin deswegen. Vielleicht wollt ihr ja mitkommen.“

„Zu so einem Bestattungsunternehmen?“

„Hm“, nickte er. Dann seufzte er.

„Ja.“ Charlotta goss sich Wasser und Apfelsaft nach. Der Vater fixierte abwesend ihr Glas.

„Aber muss das schon morgen sein?“

„Ja, die Beerdigung ist am Dienstag.“

Charlotta schob den Teller zur Seite und betrachtete ihren Vater.

„Grein heißt das Unternehmen“, setzte er nach und runzelte die Stirn. Sich mit den Dingen auseinanderzusetzen, ist nie seine Stärke gewesen, dachte Charlotta. Ein Beobachter ist er viel eher.

„Bestattungsunternehmen Grein - das passt ja“, sagte sie, stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch und den Kopf auf ihre Hände. Jonathan kam herein. Er hatte im Wohnzimmer gelegen und sie wohl reden gehört.

„Wo ist Mutter jetzt überhaupt?“, fragte er und lehnte sich an den Kühlschrank.

„Na, noch im Krankenhaus, in der Pathologie, in so einem Aufbewahrungsraum.“

„Im Kühlhaus? Mann, warum ist sie nicht hier?“ Der Vater drehte sich zu ihm herum.

„Hier? Sie wird morgen früh um acht Uhr ins Bestattungsunternehmen überführt.“

„Wieso?“

„Naja, sie muss gewaschen und gekleidet werden.“

„Und dann?“

„Du meinst, wir sollten sie…“

„Ja, bis zur Beerdigung noch einmal hier haben“, fand auch Charlotta.

„Ich weiß gar nicht, ob das geht.“ Der Vater runzelte die Stirn und schüttelte dann den Kopf. „Ich kenne mich in solchen Dingen nicht aus.“

„Dann frag nach. Ich will sie sehen. Sie soll nicht irgendwo sein.“ Jonathan hatte eine Faust geballt und seinen Kopf vorgereckt.

„Junge“, sagte der Vater, dann kam weiter nichts. Sein Blick suchte irgendetwas in sich selbst.

„Papa, das geht bestimmt. Wir legen sie hier in ihr Zimmer. Das sieht man doch auch in Filmen, dann können sich alle von ihr verabschieden.“ Charlotta suchte den Blick ihres Vaters. Jonathan verschwand wieder ins Wohnzimmer. Die Tür fiel unsanft ins Schloss. Der Vater bewegte sich nicht. Charlotta musterte ihn, dann holte sie tief Luft und folgte ihrem Bruder. Er lag bereits wieder auf dem Sofa, die Arme unter dem Kopf verschränkt. Sie ließ sich in den Sessel neben ihm fallen. Jonathan starrte ein Loch in die Decke. Charlotta sah die Adern an seinen Schläfen hervortreten.

„Jo“, rief sie ihn sanft, so wie sie ihn seit ihrer Kindheit oft genannt hatte.

„Sie hat uns im Stich gelassen“, stieß Jonathan hervor. Charlotta legte sich quer über den Sessel.

„Ja, irgendwie schon“, flüsterte sie und verschränkte ihre Arme. „Ich hätte sie noch so gebraucht.“

„Ach du, du hattest sie doch immer.“ Jonathan hatte nun die Augen geschlossen. Charlotta schaute ihn an. Jonathan blinzelte und drehte seinen Kopf Charlotta zu.

„Für dich hat sie sich interessiert, oder?“

„Bist du verrückt, Jonathan? Sie hat sich genauso für dich interessiert. Du warst ihr erstes Kind. Sie hat dich immer unterstützt. Was erzählst du da?“ Charlotta aber wusste, was er meinte. Der geheime Draht hatte zwischen ihr und ihrer Mutter bestanden, nicht zwischen der Mutter und Jonathan. Dennoch war auch ihre Beziehung mit der Mutter schwierig gewesen, immer dann, wenn der Mutter zu viel wurde, was sie von ihr wollte, oder auch wenn ihr zu wenig war, was die Mutter ihr gab. Dann hatte sie sich oft hilflos und einsam gefühlt. Doch in den letzten Jahren war es besser gewesen. Die räumliche Trennung hatte ihnen gut getan. Sie überlegte, ob sie etwas übersehen hatte.

„Sie war immer stolz auf dich, das weißt du doch“, sagte sie.

„Ja, stolz.“

„Und ich war auch immer stolz auf meinen großen Bruder“, fügte sie noch hinzu.

„Komm Charlotta, tu mir das nicht an. Es ist mir scheißegal, ob jemand stolz auf mich ist.“ Charlotta staunte über ihren Bruder. Sie kannte ihn gar nicht so, so weinerlich, so verzweifelt. Er war immer ehrgeizig gewesen, und immer hatte er erreicht, was er sich in den Kopf gesetzt hatte.

„Jo“, Charlotta streckte den Arm aus und strich ihm über den Kopf. Da begann er tatsächlich, richtig zu weinen und drehte sich zur Rückenlehne. Sie stand auf und setzte sich zu ihm. „Mensch, Jonathan. Ja, sie fehlt dir … und mir und Papa.“ Sie legte ihre Hand auf seine Schulter. Sie kämpfte mit sich. Eigentlich hatte sie es ihm nicht erzählen wollen, weil sie das Gefühl hatte, dass diese Entdeckung ihr allein zustand, ihr als Mutters Tochter. Andererseits war Jonathan ihr Bruder, den sie immer geliebt und bewundert hatte. Sie hatte sich auf ihn verlassen können. Er hatte sie einmal vor einem schrecklichen Jungen auf dem Schulhof gerettet, der sie bedroht und hingeschubst hatte. Nicht selten hatte er mit ihr gespielt, obwohl er drei Jahre älter war und schon andere Interessen hatte. Jetzt fragte sie sich, warum sie nie auf den Gedanken gekommen war, dass er vielleicht auch eine spezielle Beziehung zu ihrer Mutter hatte. Sie beschloss, ihn an ihrer Entdeckung teilhaben zu lassen.

„Weißt du, was ich dir noch sagen wollte …“, Sie holte tief Luft, „Ich habe etwas gefunden von Mama, in ihrem Zimmer.“

„Was denn?“ schniefte er nach ein paar Augenblicken. „Ich weiß auch noch nicht genau. Es ist eine Geschichte, die sie geschrieben hat und viele Gedichte dazu.“

„Echt?“ Jonathans Gesicht kam halb zum Vorschein.

„Hm, es ist eine Geschichte über sie selbst und … sie ist ziemlich … merkwürdig.“ Jonathan setzte sich auf und suchte in seiner Hosentasche nach einem zerknüllten Taschentuch. Dann schnäuzte er sich und schaute Charlotta interessiert an.

Der Vater kam herein.

„Na ihr …“ Er räusperte sich verlegen. Dann sah er Jonathans rote Augen.

„Ach Jonathan…“ Für einen Moment legte er ihm seine Hand auf den Nacken. Dann lief er um das Sofa, um auf Jonathans anderer Seite Platz zu nehmen.

„Es tut mir leid, dass ich so … mit mir selbst beschäftigt bin … Es ist alles … so viel gerade.“ Charlotta murmelte etwas Unverständliches, Jonathan sagte nichts.

„Es tut mir so leid für euch beide“, fuhr er fort. „Ihr seid noch so jung. Ich habe meine Mutter noch heute.“ Es war still. Nein doch nicht, von draußen hörte man leise die Straße, dann und wann ein Auto. Die Gegend hier war angenehm, ruhig und doch nahe gelegen zu belebteren Straßen. Vor den Häusern standen auf beiden Seiten in Abständen große Lindenbäume, so dass man im Sommer morgens und abends die Vögel singen hören konnte. Doch jetzt war es Februar. Ein Moped heulte auf, als es vorbeifuhr.

„Ich will dann mal langsam ins Bett“, sagte Charlotta.

„Wann ist denn morgen dieser Termin?“

„Um 11 in der Schillerstraße.“ Der Vater wandte sich an Jonathan.

„Wollt ihr mitkommen … oder nicht?“

„Geht es da um den Sarg und so weiter?“ fragte Charlotta, während sie schon aufstand.

„Ja, ja, Sarg und Blumen und so. Vielleicht weiß ich da gar nicht, was das Richtige ist.“ Er schaute bittend in Charlottas Richtung. Jonathan stand auf.

„Nur wenn ich muss, mir ist egal, was für Blumen da liegen.“

„Von mir aus, ich komme mit.“, sagte Charlotta. Dann gab sie ihrem Vater einen Kuss auf die Wange.

„Gute Nacht, Paps.“ Jonathan hob beim Hinausgehen leicht die Hand. Das war wohl sein Gute-Nacht-Gruß. Der Vater blieb im Wohnzimmer stehen. Verloren, dachte Charlotta wieder.

Vor dem Zimmer der Mutter wartete Jonathan auf sie.

„Zeig es mir, ja?“ Charlotta knipste das Flurlicht an. Dann öffnete sie die Tür ihres ehemaligen Kinderzimmers. Sie hatte den Ordner geschlossen, aber auf dem Bett liegen gelassen. Sie gab ihn Jonathan. Er setzte sich und blätterte im Hefter. Hier und da las er ein Gedicht.

„Mann, lauter Liebesgedichte … und total traurig.“ Er sah Charlotta an. „Ob sie wollte, dass wir das finden?“ „Keine Ahnung.“ Charlotta setzte sich neben ihn und schaute ihm zu. „ Nachdem ich hier angefangen habe zu lesen, ist mir irgendwie, als hätte ich sie nur teilweise gekannt. Und trotzdem habe ich das Gefühl, als würde ich das alles sehr gut kennen, was sie beschreibt, von mir selbst nämlich. Hier …“ Sie gab ihm den Stoß mit den hellgelben Deckblättern in die Hand. Dann nahm sie ihn noch einmal zurück, suchte die Stelle, bis zu der sie gekommen war und gab ihm nur die ersten Blätter. „Hier, die kannst du schon lesen, die Gedichte kannst du auch mitnehmen meinetwegen. Ich will auch noch ein bisschen weiterlesen nachher. Ich kann dann hier schlafen.“ Jonathan schaute unglücklich.

„Nimm es mir nicht übel Charlotta, aber warum willst du hier in ihrem Zimmer sein und ich soll drüben schlafen?“

„Das hier ist auch mein ehemaliges Zimmer“, erstaunte Charlotta. In den letzten Jahren hatten sie kaum mehr in einem Zimmer übernachtet, auch wenn Charlottas altes Bett mit in Jonathans Zimmer stand. Es gab genug Zimmer und Schlafmöglichkeiten in der Wohnung der Eltern. Sie hatte in ihrem Kinderbett meist nur geschlafen, wenn sie allein hier war.

„Ich will nicht immer die zweite Geige spielen“, sagte Jonathan sehr leise. "Ich bin der Ältere von uns beiden."

„Mensch Jo, so warst du nie! Soll einer darauf kommen, dass du auch in Mutters Zimmer schlafen willst. Im Moment könnte ich glauben, du bist mein kleiner Bruder." Charlotta schaute ratlos. Dann lächelte sie ihren Bruder an. „Wollen wir zusammen bei dir schlafen, so wie früher zu besonderen Gelegenheiten? Weißt du noch, ich wollte oft bei dir schlafen, durfte aber meistens nicht - weil ich meinen Schlaf brauchte“, ahmte sie die Stimme ihrer Mutter nach.

„In den Ferien oder am Wochenende warst du oft bei mir, wenn wir ausschlafen konnten.“ Jonathan lächelte. „Ja. Ich würde mich freuen.“ Charlotta musste lachen.

„Also Jonathan, ich glaube nicht, dass Du vor zwei Monaten 26 geworden bist."

„Wieso?" Jonathan grinste dümmlic”h, mit Absicht.

„Na dann, Abmarsch zum Zähneputzen“, kommandierte sie, ebenfalls die Ältere spielend.

Später machten es sich beide in ihren Betten gemütlich. Jonathan las den Anfang der Geschichte. Charlotta las da weiter, wo sie aufgehört hatte:

Doch dann schlug ein Komet ein, mitten in unsere neue Mitte.

Er kam einfach. Dass wir am Telefon nicht gleich wussten, wer er sein könnte, schien ihm zu gefallen. Wir hatten ihn an einem der letzten Abende kennengelernt und ihm unsere Telefonnummer gegeben, als er darum bat. Er lebte in einer anderen Stadt und hieß Jacob. Vielleicht hatte ich nicht für möglich gehalten, dass er wirklich anrufen würde, denn als er vorschlug, mich zu besuchen, war ich aufgeregt. Er kam. Bevor wir ausgingen, saßen wir auf der Couch und tranken einen Kaffee. Für den Kuchen, den ich gebacken hatte, schämte sich Zuni. Sie spürte, dass er unpassend war. Ein Mann wie er wollte nicht alles in den Schoß gelegt bekommen. Sie stand auf und schaute mich ärgerlich an. „Kannst du vielleicht einmal auf mich hören, wenn es um einen wichtigen Mann geht?“, giftete sie mich an. Ich stand auch auf und verlangte von ihr, sich nicht so wichtig zu machen. „Wieso kann man neuerdings für einen Gast keinen Kuchen mehr backen?“ Undine schaute von ihr zu mir und wirkte verunsichert. Sie war es, die Jacob nun neben sich spürte, als er den Arm über die Sofalehne gleiten ließ und seine Hand ganz leicht für einige Sekunden auf ihrem Kopf liegen ließ. Undine reagierte scheu und unbeweglich, jedoch ging ein Beben durch sie. Zuni schnalzte mit der Zunge und wies mich mit einer Kopfbewegung darauf hin, dass das Interesse in seinen Augen wieder größer geworden war. Einige Minuten zuvor hatte er uns von den Ohren der Pferde erzählt, die sich ihm zuwendeten, wenn er leise zu ihnen rede, wodurch er schon schwierige Pferde zähmen konnte und für diese Zwecke häufig angefragt würde. Zuni hatte bei diesen Worten ein wenig in meine Richtung gegrinst und gefeixt. Ich hatte ihren Blick nicht erwidert. Mir gefielen Undines verliebte Augen. Er war so romantisch. Ich erinnerte mich gut an das Reitglück meiner späten Kindheit und an die Liebe, die ich meinem auserwählten kleinen, dunkelbraunen Hengst mit dem sofakissenweichen Trab entgegen gebracht hatte. Undine sah jetzt aus, als fühlte sie sich wie eines der Pferde, welchen der Mann zuflüsterte. Dieser Mann nahm gerade Besitz von ihren Gedanken. Ein Schauer lief mir über den Rücken, und ein wenig bekam ich es mit der Angst zu tun. Dennoch setzte ich mich zu Undine zurück, und auch Zuni wollte sich nichts mehr entgehen lassen. Im weiteren Verlauf des Abends in der Diskothek des Studentenclubs waren wir drei unzertrennlich und umflossen uns gegenseitig voller Anmut. Es war eine feste Vereinbarung zwischen uns, dass ich zu Beginn einer möglichen Beziehung mit einem Mann das Reden übernahm und Undine und Zuni sich im Hintergrund hielten. Diese strikte Regel hatte ich vor kurzem aufgestellt. Sie diente unserem Schutz. Beide hatten sich bereit erklärt, ihr zu folgen. Undine fiel das im Moment nicht schwer, denn sie war in ihrer Melancholie und Verletzlichkeit sowieso eher schüchtern zu Beginn einer Liebe. Zuni hatte ich mit vielen Schmeicheleien zur Zustimmung überreden müssen. Die Beiden durften mit ihm lachen, und seine Blicke erwiderten sie sowieso, jede auf ihre Art, da konnte ich gar nichts machen. Doch das Reden überließen sie mir. Wenn sie mich machen ließen, war ich gut darin, die Eindrücke auszugleichen, die Undine und Zuni hinterließen.

Bereits am Nachmittag hatte sich Jacob selbst sehr charmant zu einer Übernachtung in unserer Wohnung eingeladen. Er hatte meinen etwas perplexen Blick wahrgenommen und sympathisch lachend beteuert, dass ich keine Angst haben müsse – er würde im Wohnzimmer schlafen.

Das tat er dann auch, und schon dadurch waren wir alle am nächsten Morgen verliebt. Wir hatten die ganze Nacht Zeit gehabt, unseren Gefühlen nachzuspüren und ihn für vertrauenswürdig zu erklären. Undine träumte sehnsüchtig, Zuni verlangend und ich irgendwie beruhigt von ihm in dieser Nacht. Sein Kuss zum Abschied schmeckte wie kräftiger Honig. Zwei Tage später bekamen wir Post von ihm. Sein Brief las sich verliebt, doch er unterschrieb mit „Cowboy“. Zuni grinste wieder mit einer Mischung aus Belustigung und Neugier. Undine lachte nicht. Sie wühlte solch eine Unterschrift auf. Ich konnte es in ihrem Gesicht lesen: Wie sollte sie einen Cowboy festhalten können? War sie so stark? Wozu wäre er in der Lage? Jedoch legte sie den Brief nicht aus der Hand. Sie las die Sätze, die sie mochte, wieder und wieder. In mir war spontan zuerst enttäuschte Unwil-