Als wär's ein Stück von mir - Carl Zuckmayer - E-Book

Als wär's ein Stück von mir E-Book

Carl Zuckmayer

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Beschreibung

Erinnerungen aus den ersten sechs Dezennien dieses Jahrhunderts – Erinnerungen eines Mannes, der gern lebt, obwohl es ihm die Anfeindungen der Bornierten zuweilen schwergemacht haben. In seinem Buch »wird eine gewaltige Welt wach gerufen. Dichter, Schauspieler, Politiker – große Namen und auch namenlose Leute aus dem Alltag, Gewinner und Verlierer ziehen vorüber, bewegt und umhegt von Zuckmayers Temperament: Der Erzähler wird zu einem packenden Zeugen, der mit unvergeßlicher Stimme seine Antwort gibt auf unsere so neugierig wie beklommen gestellten Fragen: ›Wie war es denn? Wie ist es dazu gekommen?« (Werner Weber)

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Seitenzahl: 988

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Carl Zuckmayer

Als wär's ein Stück von mir

Horen der Freundschaft

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Inhalt

[Horen][1926 – 1934: Ein Augenblick, gelebt im Paradiese...]Nie werde ich [...]Hier muß ich, [...]Wir verbrachten den [...]Für die Übergangszeit, [...]Wir lebten den [...]Die meisten Dorfbewohner [...]Damals aber, als [...][1934 – 1939: Austreibung]Waren wir schon [...]Diese letzten paar [...]Die letzten Morgenstunden [...]Einmal, ein Jahr [...]Wie und wieso [...]In der Nacht [...]Einige meiner Freunde [...]Doch es wird [...]»Die Schweiz« – so [...]Was alles sich [...]Wir feierten das [...]Dort, in Genf, [...]Wir nahmen vor [...][1896 – 1914: Ein Blick auf den Rhein]Der Rhein, so [...]Als ich im [...]»O selig, o [...]Das Glück dieser [...]Ich sehe die [...]Im Haus meiner [...]Die Zeit drängt. [...]Die Eroberung der [...]Ich glaube, es [...][1914 – 1918: Als wär’s ein Stück von mir]Am 28. Juli erklärte [...]Ich habe kein [...]Ich erinnere mich [...]Es war im [...]Vor mir liegt [...]Wenn ich in [...]In dieselbe Zeit [...]Ich stumpfte nicht [...]Das Jahr 1918 [...]Vor wenigen Jahren [...]Wie der Krieg [...]Der Klepper, für [...][1918 – 1920: Horen der Freundschaft]»Schmiert die Guillotine, [...]Wenige Tage, nachdem [...]Die beiden einschneidenden [...]Zu Anfang des [...]Solch neue Dinge [...]Das Tribunal war [...]Am Abend des [...][1920 – 1933: »Warum denn weinen …«]Im Januar 1920 [...]Es war ein [...]Die erregenden und [...]Berlin war laut, [...]Die Berliner Matthäi-Kirch-Straße [...]In Mainz blieb [...]Es mag heute [...]Es kam eine [...]Worte wie »die [...]Die Politik griff [...]Im späten Herbst [...]Berlin hatte seine [...]Ein Vetter meiner [...]Es gab in [...]Die Preiskrönung des [...]Doch hatte der [...]Am schlimmsten ließ [...]Im Herbst 1927 [...]Drei Monate vor [...]Wir hatten uns [...]Neue Freundschaften schossen [...]Andere Begegnungen ließen [...]Als ich im [...]Auch das Theaterschicksal [...]Die Wirkung des [...]Werner Krauß spielte [...]In der Zwischenzeit [...]Die meisten von [...]War auch die [...]Die Gesichter der [...][1939 – 1954: Abschied und Wiederkehr]Auf dem holländischen [...]Die erste Zeit [...]Bald darauf kam [...]Hatten Männerfreundschaft und [...]Statt dessen mußte [...]Dort bekam ich [...]Backwoods-Farm. Der Hof [...]An einem Septemberabend, [...]Zu Beginn dieses [...]Die ersten zwei [...]In der Nacht [...]Die Jahre rollten [...]Die Farm kam [...]Im Dezember des [...]Das finsterste Jahr [...]Es kam der [...]Anfang Mai erfuhr [...]Jetzt aber, vor [...]Der Bestimmungsort meiner [...]In der nächsten [...]Diesem ersten Wiedersehen, [...]Mein Weg von [...]In dieser Zeit [...]Als wir fort [...][1966: Die Hohe Stiege]Zwanzig Jahre später, [...]Ich hatte geglaubt, [...]Daß ich mich [...]Verzeichnis der Werke Carl ZuckmayersVerzeichnis der Personen und ihrer erwähnten Werke

Horen (lat. Horae), in der griechischen Mythologie die Göttinnen der Jahreszeiten in ihrer natürlichen Folge und Ordnung, welche Gedeihen und Fruchtbarkeit verleihen. Bei Homer, der weder ihre Namen noch ihre Eltern nennt, stehen sie in enger Verbindung mit Zeus. Sie heißen seine Dienerinnen, öffnen und schließen den Olymp, führen die Wolken herauf und zerstreuen sie; auch füttern sie die Pferde der Hera und spannen sie ein. Man kannte ursprünglich nur zwei, dann drei Horen, da man den Winter nicht immer mit einbezog, später wurden sie als vier jugendliche Göttinnen dargestellt, welche auch die Harmonie der Welt symbolisieren. Hesiod nennt sie die Töchter der Themis von Zeus und ihre Namen Eunomia (Gesetz), Dike (Recht) und Eirene (Friede) – Namen, aus denen hervorgeht, daß die Witterungsgottheiten schon eine sittliche Bedeutung erlangt hatten …

Horen war auch der Titel einer von Schiller 1795 bis 1797 herausgegebenen Zeitschrift.

Horae canonicae – in der katholischen Kirche die Stunden des Tages, welche, seit der Ordensregel des hl. Benedikt, zu Gebeten und Lobgesängen bestimmt sind und in den Klöstern durch Geläute verkündigt wurden … Sie sind in sieben, über Tag und Nacht verteilte Zeitabschnitte gegliedert.

Aus ›Meyers Konversationslexikon‹,

Ausgabe von 1896

1926–1934

Ein Augenblick, gelebt im Paradiese...

Wo ist man daheim? Wo man geboren wurde oder wo man zu sterben wünscht? Damals glaubte ich es zu wissen – glaubte mit einer Stecknadel auf dem Globus den winzigen Punkt geographisch bestimmen zu können, der mir selbstgeschaffene, selbsterwählte Heimat war und wo ich mein irdisches Dasein auszuleben hoffte: es war der Ort Henndorf bei Salzburg, genau gesagt Haus Wiesmühl, im Grundbuch Neumarkt-Köstendorf als ›Fenning Nr. 3‹ mit anderthalb Joch Land und Wasserrecht eingetragen. Wenn man mich damals gefragt hätte, wo das Paradies gelegen sei, so hätte ich ohne Zögern geantwortet: in Österreich, sechzehn Kilometer östlich von Salzburg an der Reichsstraße, dicht beim Wallersee. Vielleicht erstreckte es sich von da bis in den Thalgau und nach Mondsee hinüber, einerseits, und auf der anderen Seite bis gegens Innviertel hin, soweit man es halt auf einer Tageswanderung zu Fuß durchmessen kann. Es war keine Stätte der Wunschlosigkeit, doch barg es den Kern des Glücks: denn die einzige dauerhafte Form irdischer Glückseligkeit liegt im Bewußtsein der Produktivität. Heut arbeite ich, in anderer Landschaft, wieder an dem gleichen Tisch mit der schweren, langgestreckten Eichenholzplatte, der in meiner Henndorfer Stube stand, liege nachts im gleichen, buntbemalten Bauernbett, in dem mich der Wiesmühlenbach so oft in Schlaf sang. Aber wenn man mich fragt, wo ich zu sterben wünsche, so muß ich sagen: ich weiß es nicht. Ich weiß nur: wir lebten einmal im Paradies, und es macht keinen Unterschied, ob es zwölfeinhalb Jahre dauerte oder so lange wie man braucht, um die Augen zu schließen und wieder aufzuschlagen.

Als ich, nach dem Erfolg des ›Fröhlichen Weinbergs‹, all meine Schulden bezahlt hatte und von all meinen Freunden angepumpt worden war, hatte ich, zu meinem Staunen, immer noch Geld – mehr, als man in der Tasche tragen konnte. Aber der österreichische Dichter Richard Billinger, von dem damals erst ein dünner Band mit berückend schönen Gedichten ›Über die Äcker‹ erschienen war, hatte keines. Er saß in Berlin, hatte alle Vorschuß- und Anleihemöglichkeiten erschöpft und mühte sich mit dramatischen Versuchen. So lud ich ihn ein, den Frühling – es war das Jahr 1926 – mit uns auf der Ostsee-Insel Hiddensee zu verbringen, wo wir ein kleines Haus in den Dünen gemietet hatten, unweit von Gerhart Hauptmanns damaligem Besitz. In einer stürmischen Nacht, in der ein kalter Seewind brauste und wir uns mit Unmengen von Grog etwas eingeheizt hatten, erzählte Billinger von jener einsam gelegenen Mühle bei Henndorf im Salzburgischen, die, wie er wußte, leer stand und zu verkaufen war, und zwar durch den Erben und Besitzer des berühmten Henndorfer ›Kaspar-Moser-Bräu‹, eines der ältesten Gasthäuser in Österreich. Er beschrieb die Mühle und ihre Umgebung so poetisch, so verwunschen, so märchenhaft, daß man sie nie danach hätte erkennen, geschweige denn finden können, und alle exakten Angaben (oder was er dafür hielt) über Lage, Größe, Beschaffenheit waren restlos falsch. Was er aber erzählte, erregte uns ungeheuer, und je mehr er sprach, desto verlockender schien der Besitz. Meine Frau stammte aus Österreich, und mich zog es vom Meer weg, ins Bauernland, in Wald- und Bergnähe, auch wußte ich genau, daß Billingers Schilderung, obwohl nichts von seinen Angaben korrekt war, doch im Grunde einer echteren Wirklichkeit entsprach. Nach ein paar weiteren Grogs wußte er sogar den Preis – er stimmte natürlich auch nicht –, aber mir schien alles vollständig gelöst. Mitten in der Nacht gaben wir ein Telegramm auf, an jenen mir unbekannten Gasthausbesitzer Carl Mayr, mit dem Inhalt: »Kaufe Wiesmühl, sendet sofort Kontrakt«. Am nächsten Tag kam das Antwort-Telegramm: »Besser erst anschaun. Mayr Carl«.

Bei Tageslicht und ohne Grog besehen, schien das auch wirklich vernünftiger zu sein, und so fuhren wir prompt von der Ostsee weg an die Salzach.

Nie werde ich vergessen, wie uns Herr Carl Mayr, Besitzer des alten Kaspar-Moser-Gasthofs zu Henndorf, unter den schattigen Kastanien seines erhöhten Wirtsgartens, jenseits der Straße, empfing. Es war, als wäre man beim letzten Großherzog eines der alten, höchst kultivierten Duodezhöfe zu Gast geladen. Seltsam mischte sich in seinem schon leicht ergrauten Kopf das Derbe mit dem Zarten. Es überwog jedoch, in allen seinen Zügen, eine natürliche Vornehmheit. Hals, Nacken und Nase zeugten von bäurisch robustem Einschlag, Mund und Kinn, Stirn, Augen und Hände von einer musisch beschwingten, im romantischen Sinne androgynen Verfeinerung. Seine jugendlich schlanke Gestalt, in eine von ihm selbst entworfene, elegant stilisierte Spielart der einheimischen Tracht gekleidet, bewegte sich auf Haferlschuhen aus grauem Wildleder mit Silberspangen in einer fast tänzerischen Leichtigkeit und Grazilität zwischen Küche, Gasthoftischen und der kleinen bezaubernden Gartenvilla wie die eines freundlichen Souveräns, während von seinen immer lachbereiten Lippen gelegentlich die deftigsten Schimpf- und Scheltworte ländlicher Provenienz erschallen konnten, wenn sich etwa ein Gast zur Unzeit besoffen oder sonstwie schlecht aufgeführt hatte. Es war eine Art von Aufgabe oder Prüfung, sein Gast zu sein, die nicht jeder bestand. Paßte ihm einer nicht, so kam es vor, daß er ihn mit den Worten: »Zahlen brauchens nix, aber wiederkommen brauchens auch net!« vom Tisch wies. Dabei gehörte er durchaus nicht zur Gattung der groben Wirte. Im allgemeinen hatte er für jeden ein freundliches Wort, verbreitete Heiterkeit und gute Laune in der schönen holzgetäfelten Gaststube, und besonders für die Kinder, die dort mit ihren Eltern die Sommerferien verbrachten, war er so etwas wie ein abenteuerlicher Märchenkönig. Seine Persönlichkeit hatte der ganzen Henndorfer Welt etwas von einem Märchenreich aufgeprägt, in dem wie im Sommernachtstraum Elfe und Poltergeist neben dummschlauen und kauzigen Handwerkern zu Hause waren, und der von ›draußen‹ kommende Besucher mußte erst die Märchenprobe bestehn, um seine Schwelle überschreiten zu können. So war es zunächst noch keineswegs sicher, ob wir die Wiesmühl kaufen und Carls Nachbarn werden könnten: es hing nicht so sehr davon ab, ob uns das Haus gefiel, sondern ob wir ihm gefielen. Seine Vorfahren, eine Dynastie von Gastwirten und Bierbrauern, hatten es zu beträchtlichem Wohlstand gebracht, und er selbst wie sein Bruder Richard hatten sich in ihrer Jugend, nach der Gymnasialzeit, künstlerischen Studien gewidmet und mancherlei Reisen unternommen: so mischte sich auch in seinem Wesen und seiner Lebensart das Eingesessene, herkömmliche Rustikale mit dem Weltläufigen. Immer wieder, seit ich aus Amerika zurückkam und ihn nicht mehr am Leben fand, zieht es mich zu seinem Grab in der Familiengruft auf dem Salzburger Petersfriedhof, auf dessen flachem Stein in zierlicher, von ihm selbst entworfener Schrift zu lesen steht: »Herr Carl Mayr, Akademischer Kunstmaler«.

Denn das Malen, Zeichnen, Sticken und Weben, in dem er es zu großer Kunstfertigkeit brachte, empfand er als seinen Hauptberuf, während er den Gasthof mehr als eine Art von Erbgut oder Stammschloß mit einer spielerischen Großzügigkeit, doch niemals leichtsinnig, verwaltete. Küche und Keller waren dementsprechend von exquisiter Qualität, und es war eine Lust, ihm zuzuschauen, wenn er mit der gleichen zierlichen, doch großlinigen Hand, in der er später seine Grabinschrift entwarf, die täglichen Menus für das Wirtshaus ausschrieb. Einmal habe ich ihm in der Frühzeit unserer Freundschaft ein solches Menu in Verse gesetzt, leider ging das Original verloren, aber ich erinnere mich noch des Beginns und einiger weiterer Verse:

O Sonntagsschmaus, o Gaumenwonne!

 

Frühherbstlich strahlt die Pflaumensonne.

 

In Mittagsbläue schwimmt der See.

 

Die Suppe schwimmt voll Milzpürée.

Milzpüréesuppe: S -.30

Ein halbes Brathuhn wählt ein Mann,

1/2 Brathuhn: S 2.50

Der sich zweifünfzig leisten kann.

 

Doch wer ein halbes Backhuhn sehr

1/2 Backhuhn: S 3.00

Begehrt, zahlt fünfzig Groschen mehr!

 

Und so weiter. Die Metaphern und Epitheta, die ich für Forelle, Schill und Waller, Natur- oder Wiener Schnitzel, Schweinsstelze, Paprikarostbraten, verschiedene Salate und Erdäpfelspezien und schließlich die Gleichgewichtstorte oder die Linzerschnitten, das Gösser Bier, die Dürnsteiner, Kremser und Vöslauer Schoppenweine fand, kann ich mir nicht ins Gedächtnis zurückrufen.

Herr Carl Mayr war Junggeselle, und hinter der noblen Heiterkeit und gelassenen Grazie seiner Lebenshaltung spürte man einen Hauch von tragischer Einsamkeit, die abseitige Schwermut des Spätgeborenen, des Erben hofmannsthalscher Prägung – die, grade durch ihre sensible, aber niemals kalte Distanz, seine Freundschaft noch kostbarer und liebenswerter machte. Obwohl Stimmungen stark unterworfen, hatte sein Wesen nichts Launisches oder gar Unzuverlässiges. Seine Stimmungen waren die eines ungewöhnlichen Instrumentes, das eine falsche oder grobe Hand nicht zum Klingen bringt. Und wer auf der Welt könnte einen jemals noch mit soviel Freude am Gegenstand, am Material, am Schönen, am Originellen und: am Freudebereiten, mit soviel Kenntnis und Geschmack beim Einrichten einer Wohnung, beim Kauf eines Möbelstücks, bei der Planung einer Gartenlandschaft beraten und helfen? Weit über den Verlust des ›Henndorfer Paradiesgärtleins‹, weit über seinen Tod hinaus bedeutete sein Dasein für uns eine bleibende Bereicherung der eigenen Existenz, so wie die Begegnung mit einem unvergeßlichen Kunstwerk, in dessen Betrachtung und Nähe man eine gute, vielleicht die beste Zeit des Lebens verbringen durfte. Die Tränen sind mir nah, wenn ich seiner in der unbekannten Transfiguration der Ewigkeit gedenke. Aber es sind Tränen einer beglückenden Bewegtheit, einer dankbaren Ahnung von Schönheit und Harmonie.

Hier muß ich, über eine Flut von Jahren hinweg, ein Erlebnis einschalten, dem nichts ›Übernatürliches‹ anhaftet, das aber für mich in den Bereich des Wunderbaren gehört. In Carl Mayrs kleiner Villa, gegenüber dem Wirtshaus und mit der Rückseite an den Gastgarten anschließend, befand sich, zu ebener Erde, ein sogenanntes ›Gartenzimmer‹, dessen Glastür und große Fenster wie eine durchsichtige Wand auf seinen in gepflegtem Wildwuchs strotzenden Privatgarten hinausgingen. Die rückwärtige, oval geformte Wand dieses Zimmers hatte er mit einer ihre ganze Breite einnehmenden, handgemalten Tapete verziert, die eine sicher sehr wertvolle Rarität darstellte: sie stammte nämlich aus dem amerikanischen Biedermeier und zeigte in einem freskenhaften Figurenreichtum Landschaften, Gestalten, Volksgruppen und Merkwürdigkeiten aus dem amerikanischen Leben des neunzehnten Jahrhunderts in idyllischer Anordnung und romantischer Verklärung: Damen und Kavaliere, von weißer und schwarzer Hautfarbe, in vornehmer oder volkstümlicher Gewandung, Reiter und Ausflugs- oder Postkutschen, die Umrisse des alten New York und die Segel auf der lichtblauen Bucht, die spielzeughaft primitive erste Eisenbahn, von einer Lokomotive mit Trichterschornstein und hohen Speichenrädern über eine Flußbrücke gezogen, weiße Säulenhäuser vor Wolken von hängendem Laub, ferne wetterumzuckte Gebirgszüge und in der Mitte die gleichsam im Sturz gefrorenen, eisschimmernden Wassermassen des Niagarafalls – an dessen Seite in einer dämmerigen Märchengrotte, mit phantastischem Federkopfschmuck und vielen Goldreifen geziert, die schöne Häuptlingstochter träumte. Die ganze Komposition, genannt ›Le Voyage en Amérique‹, in äußerst kurzweiliger Anordnung, so daß man nie müde wurde, sie zu betrachten, weil man immer neue, immer amüsantere Details darauf entdeckte, war von einem französischen Künstler der Zeit entworfen und in freundlich abgetönten Farben ausgeführt. Carl Mayr hatte die Tapete in München, Wien oder Paris erstanden und so kunstvoll in seinem Gartensalon angebracht, daß sie wie ein eigens dafür geschaffenes Wandgemälde wirkte. Ich erinnere mich gut, wie er zwischen Kaffee und Likör mit Pinsel und Farbe an der Ausbesserung ihrer schadhaften Flecke zu arbeiten pflegte: hier einen Glanzpunkt auf die Stiefelspitze des mit Kratzfuß scharmuzierenden Negerkavaliers, dort einen Tupfen Rot in die Federkrone der Indianerprinzessin. Abends, wenn die Kerzen angezündet wurden oder das Mondlicht durch die Glasscheiben fiel, schimmerte die ›Reise in Amerika‹ in vielen phantastischen Facetten, und wir sahn in mancher Nacht unsre eignen Schatten darauf tanzen. Einige Jahre später, nachdem Carl das Wirtshaus aufgegeben und sich ganz ins Privatleben zurückgezogen hatte, schien es ihm wohl vorteilhaft, die Tapete zu verkaufen, vielleicht hatte er sich auch daran sattgesehen – kurz, eines Tages wurde sie vorsichtig abgelöst und eingerollt, um bald darauf durch eine ebenso minuziös von ihm ausgebesserte, aber weniger phantastische Empiretapete ersetzt zu werden. In unsrer Erinnerung aber war das ›Gartenzimmer‹ immer noch von den Figuren und Farbträumen der ›amerikanischen Reise‹ belebt.

Viele Jahre nach meiner Flucht aus dem besetzten Österreich, schon gegen Ende des Kriegs – in einer Zeit, in der man jede Postverbindung, jeden direkten Kontakt mit den Ländern hinterm ›Atlantik-Wall‹ verloren hatte –, wurde ich drüben in Amerika einmal von Freunden aus meiner Vermonter Farm- und Waldeinsamkeit weggeholt, um einen amerikanischen Schriftsteller kennenzulernen, der sich einige kleine Autostunden weit in einer Ortschaft des alten, kolonialen Neu-England angesiedelt hatte. Charles Jackson war sein Name, er hatte grade mit seinem auch in Europa später bekanntgewordenen Buch ›The lost Weekend‹ einen sensationellen Erfolg gehabt: der Mann wußte, wovon er schrieb – es war die Geschichte eines Trinkers, nämlich seine eigene.

Vom Erlös des Filmverkaufs hatte er sich dann ein wunderschönes, frühamerikanisches Haus gekauft. Er war das, was wir einen ›Stock-Amerikaner‹ nennen, von heller und wacher Sensibilität, aber ohne jede Beziehung zu europäischem Wesen oder dem, was wir als europäische Kultur empfinden. Man zeigte mir das Haus mit seinem Säulenvorbau und seinen großangelegten, eingebauten Kaminen, die – es war im Winter – seine einzige Heizmöglichkeit bildeten und in denen heftige Feuer prasselten. Eingerichtet war es so, wie ein moderner Amerikaner von einigem Geschmack sich einrichten würde, im Schlafzimmer des Hausherrn schmückten Collegewimpel und Fußballembleme die Wand. Auf künstlerische Begegnungen war ich also nicht vorbereitet, als man mir sagte, es gäbe noch ebenerdig einen besonders schönen Raum, eine Art ›Gartenzimmer‹, der aber nicht heizbar sei und daher jetzt nicht bewohnt werde. Ohne besondere Neugier, aber gleichsam von einer Fährte gezogen, bestand ich darauf, ihn zu sehen. Als wir eintraten, wurde mir kalt – aber nicht weil der Raum ungeheizt war: ich stand in Carl Mayrs Gartenzimmer. Zwar fehlte die Einrichtung – aber die rückwärtige, oval geformte Wand war in ihrer ganzen Breite von einer freskenhaften, gemalten Tapete bedeckt, im ersten Augenblick traute ich mich kaum, sie genau zu betrachten. Dann, in einem leisen Zweifel, ob ich das nicht nur träumte, trat ich näher heran und erkannte in allen Details, mit all den vertrauten Figuren, die ›Reise in Amerika‹ – als hätte Herr Carl Mayr eben den letzten Farbtupfen aufgesetzt. Der Hausherr, den Grad meiner Fasziniertheit nicht ahnend, aber wohl des besonderen Interesses gewahr, das ich der Wand widmete, begann zu erklären: »Das ist eine Seltenheit – amerikanisches Biedermeier, in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts von einem französischen Maler als Auftragsarbeit gemacht.« – »Heißt: ›Le Voyage en Amérique‹«, sagte ich. »War die schon immer hier?!« – »Nein«, sagte Jackson, »mein Vorgänger hat sie gekauft und hier angebracht, weil sie ganz genau auf die Wand paßt.« – »So gab es wohl mehrere Abzüge von diesem Stück?« – »Nur drei im ganzen, ein Original und zwei vom Maler selbst hergestellte Kopien. Diese da war nach Europa verkauft worden und wurde durch einen Kunsthändler vor ein paar Jahren nach Amerika zurückverkauft. Zuletzt kam sie aus Österreich.« – Ich war nah herangetreten, und ich glaube nicht, daß ich mir einbildete, die Farbstriche und Linien zu erkennen, die ich Herrn Carl Mayr selbst mit seinem feinen Malpinsel hatte nachziehen sehn.

Dies ereignete sich ungefähr um die Zeit, in der Carl Mayr in Henndorf starb. Mir aber ist, als hätte ich ihn vorher noch in seinem Gartenzimmer besucht.

Wir verbrachten den ersten Henndorfer Abend in der holzgetäfelten Wirtsstube des Gasthauses, das dort, an der großen Landstraße, seit etwa tausend Jahren stand, einige Male abgebrannt und wieder aufgebaut war und mit seinen mächtigen dicken Mauern und den großen Räumen mehr wirkte wie ein altes Schloß. Es hatte auch ein ›Geisterzimmer‹, in dem es spukte – in Henndorf glaubte man fest daran –, und wir haben selbst etwas davon erlebt. Im Lauf des Abends kamen Bauern herein und setzten sich mit ihrem Krügl Bier oder Viertel Wein und ihren Pfeifen an die schweren Holztische. Plötzlich begann im gewölbten Vorhaus draußen eine Zither zu spielen, und ein dicker Mann, der mitten unter den Bauern saß und wie einer der ihren ausschaute, stimmte mit einem wundervollen Baß einheimische Lieder an, in die dann die andren einfielen. Das war der Bruder des Hausherrn – der berühmte Kammersänger Richard Mayr, erster Bassist der Wiener Staatsoper, als Ochs von Lerchenau, den er kreiert hatte, als Leporello oder Rocco musikalisch und darstellerisch wohl heute noch unerreicht. – Die Stunden vergingen, der Abend rückte vor, und etwa um Mitternacht meinte unser Wirt, jetzt sei es die richtige Zeit, die Mühle anzuschauen. Mit brennenden Laternen zogen wir alle hinunter, die Wiesen lagen in tiefer Stille, der Bach rauschte und sang, der Brunnen im Hof plätscherte. Das Haus, hinter einer Wand dunkler Fichten, war seit zwanzig Jahren unbewohnt. In den oberen Räumen standen noch prächtige Bauernschränke und -betten, buntbemalt, aus dem Besitz der früheren Müller, aber die große Wohnstube unten war kahl und leer, das Gras wuchs im Eingang und bis auf die Dielen. Es war kein Licht im Haus, wir stellten unsere Laternen auf den Ofensims und setzten uns auf die angebaute Bank. Wein hatten wir mitgebracht, der Krug ging herum, und es wurde uns immer heimischer in dem leeren, kerzendurchflackerten Raum. Nach einiger Zeit belebte ihn unsere Phantasie, von den kundigen Vorschlägen des Herrn Carl Mayr gelenkt und befeuert, mit Tischen und Stühlen, Möbeln, Geräten. »Da muß die Kredenz her! Hier der Eßtisch! Dort wäre eine alte Standuhr schön, vielleicht so eine große, mit gemaltem Zifferblatt, wie man sie in alten Wirtshäusern findet – und ein Wandgestell mit Krügen und vielen Zinntellern – und als Deckenlampe einen eisernen Radreifen oder ein hölzernes, bemaltes Pferdekummet, an dem man die Birnen anbringt, wo man früher die Kerzen aufsteckte – und so müssen die Stühle sein, und so die Vorhänge, und so die Tischtücher, und so das Geschirr …«

Genau so, wie man’s in dieser Nacht unter Staub und Spinnweben erdachte, sah es nach ein paar Wochen wirklich aus.

Für die Übergangszeit, bis wir die vielfach reparaturbedürftige Wiesmühl beziehen konnten und in der es für uns galt, in der Henndorfer Umwelt heimisch zu werden, hatte uns Herr Carl Mayr in jenem ›Geisterzimmer, in dem es spukte‹, einquartiert – denn es war mit seinen angedunkelten alten Bildern, seinen hochlehnigen, samt- oder gobelinbezogenen Sesseln und seinem mächtigen, von einer Holzstufe umlaufenen und mit einem Brokathimmel überdachten Renaissancebett das schönste und ruhigste Zimmer des Hauses: man hörte von dort weder das gelegentliche Singen aus der Wirtsstube noch das – damals sehr seltene – Vorbeifahren eines Autos auf der Straße. Auch machte es ihm Spaß, phantasieverdächtige Leute dort wohnen zu lassen, um zu erfahren, was ihnen darin begegnen oder was ihre Einbildungskraft ihnen dort begegnen lassen werde. Da wir zu zweit waren und nach den angeregten Abenden im Gastgarten oder in der Wirtsstube gewöhnlich leicht beschwipst zu Bett gingen, fürchteten wir uns nicht – aber meine Frau war damals in Hoffnung (mit unserer nachmals in etwas infantiler Laune ›Winnetou‹ benannten Tochter), und dieser Zustand machte sie wohl besonders empfänglich für parapsychologische Einflüsse: jede Nacht, in der tiefen Dunkelheit, die dem ersten Dämmern vorausgeht, erwachte sie mit einer so lähmenden Beklemmung, daß sie die Hand nicht nach dem Lichtschalter oder nach mir auszustrecken wagte, in der Vorstellung, auf etwas Kaltes oder Leichenhaftes zu greifen. Ich muß zugeben, daß ich selbst, als ich später das Zimmer allein bewohnte, öfters gegen Morgen ähnliche Sensationen empfand, von denen mich dann der erste Hahnenschrei aus dem nächstgelegenen Bauernhof befreite. Die alten Bilder mochten das Ihre zu einer gewissen reizvollen Unheimlichkeit des Zimmers beitragen – ein verschollener Habsburger mit greisenhaften Zügen bekam in der schummrigen Beleuchtung durch die altmodischen Lampenschirme grelle, stechende Augen, und es gab da eine Madonna, in deren erhöhtem Leib man, wenn das Licht darauffiel, wie hinter einem durchsichtigen Gewebe das bereits von einer Aura umstrahlte und ein Kreuzlein haltende Christuskind sehen konnte: kein entspannender Anblick für eine schwangere Frau. Den traditionellen Spuk – daß nämlich eine im sechzehnten Jahrhundert angeblich in diesem Bett von ihren beiden Söhnen ermordete alte Frau durch eine längst vermauerte Tür erschien, unterm Bett nach ihrem Geldkasten suchte und dann durch die von innen verschlossene Eingangstür wieder verschwand – haben wir nicht erlebt (der österreichische Dichter Franz Karl Ginzkey behauptete, ihm sei das in dem Zimmer passiert), auch jene blutige Gestalt, die manchmal hinterm Ofenschirm auftauchen und mit dem Kopf wackeln sollte, haben wir nie gesehen. Doch glaubte man öfters in dem vermauerten Gang Tritte oder Klopfen zu hören – Gott weiß durch welche Naturgeräusche hervorgebracht –, auch wehte manchmal in warmen Augustnächten ein unerklärlich kühler Luftzug durch den Raum. Und eines Morgens wurden wir wach, da ein Wind ins Zimmer pfiff und die schweren Plüschgardinen fast bis zur Deckenhöhe emporfliegen machte; dabei fiel mir ein, daß ich die mit bleigefaßten Fenstern versehene Balkontür am Abend geschlossen hatte. Als ich aufstand und sie öffnete, herrschte draußen vollständige Windstille, auch nicht der Hauch eines aufkommenden oder abflauenden Sturms war zu spüren, es waren noch Sterne am Himmel, der erste Dämmerstreif stand im Osten, und der erste Hahn krähte … Beruhigt schlief ich wieder ein und machte mir keine Gedanken darüber, ob das nun ›spukhaft‹ oder physikalisch zu erklären sei.

Aber man gewöhnte sich daran, wie Herr Carl Mayr selbst, mit seinen Hausgeistern in friedlicher Koexistenz zu leben. Für ihn hatten sie nichts Übernatürliches, sie waren angestammte Mitbewohner und gehörten gleichsam zum ererbten Mobiliar, wie die schönen alten Kachelöfen, und wer weiß, ob in einem solchen Bau, in dem so viele Ahnen gelebt hatten und gestorben waren und so viele Enkel geboren wurden, nicht noch ein Wehen von ihrem Fluidum, ihren Gedanken und ihrer anima lebendig war. Dabei war er keineswegs abergläubisch, eher zu einer heiter-rationalen Ironie geneigt, und man wußte manchmal nicht genau, ob er sich nicht beim Erzählen seiner Geistergeschichten über den Zuhörer oder über sich selbst ein wenig lustig machte. So behauptete er einmal – mit ganz ernstem Gesicht, aber einem merkwürdig koboldischen Augenzwinkern –, ein Gespenst müsse sich erkältet (in Österreich sagt man: verkühlt) haben; in seinem kleinen Kabinett habe es, während er seine Rechnungen schrieb, dreimal hinter ihm geniest. Er habe »Gesundheit« gesagt, und darauf hätte es noch ein bißchen geschnüffelt und sei still geworden. Einmal jedoch saß ich an einem späten Januarabend, an dem draußen lautloser Schnee fiel, allein mit ihm in der Gaststube, die schon geschlossen war, auch in der Küche befand sich niemand mehr. Er stickte, was er abends besonders gern tat, an einem Gobelin nach alter Vorlage, auf der Judith dem Holofernes das Haupt abschlug, und ich las bei einem Krug Wein in einem Buch. Plötzlich pochte es in einer halbdunklen Ecke des großen Raums dreimal laut und heftig, so wie wenn jemand mit einem Stock auf den Boden schlagen würde. »Guten Abend, Großmutter«, sagte Carl, ohne von seiner Arbeit aufzusehen, mit gleichmütiger Stimme. Ich sagte nichts und beobachtete die Zimmerecke und gleichzeitig sein Gesicht von der Seite. Er sah nicht anders aus, als ob ein später Gast noch einmal an die Tür geklopft hätte. Nach kurzer Zeit pochte es wieder dreimal aus der gleichen Ecke, wie mir schien, etwas heftiger, ungeduldiger. »Ja, ja«, sagte er mit derselben gleichmütigen Stimme, »es ist alles recht, und ’s Geschäft geht gut. Jetzt geb scho Ruh.« – »Mit wem«, fragte ich nach einer Pause, »hast du jetzt eigentlich gesprochen?« – »Mit meiner Großmutter Moser«, sagte er, wie wenn das selbstverständlich wäre, »heut ist der elfte Jänner, ihr Todestag, da meldet sie sich fast immer. Dort in der Ecke hat sie die letzten paar Monat in ihrem Lehnstuhl gesessen, sie war gelähmt und hat immer mit dem Krückstock aufgehaut, um zu hören, was los is. Das macht’s halt jetzt noch. A rechte G’schaftlhuberin.« Damit war der Vorfall erledigt, und wir gingen zu Bett.

Diese leichtmütige Gespensterei gehörte zu Henndorf und seinem Zauber wie das Sternsingen am Dreikönigstag und das wüste ›Maskenlaufen‹ in den Rauhnächten. Auch in unserer Wiesmühl, sagte man uns halb scherzhaft, halb warnend, solle es spuken und umgehn: im Jahre 1806, als die Franzosen im Land waren, habe die Müllerin, deren Mann eingerückt war, einen zudringlichen Grenadier erschlagen und unterm Keller verscharrt. Der lasse sich manchmal sehen, und zu bestimmten Zeiten käme, in den herbstlichen Quatembernächten, sein altes Regiment angerückt und wolle ihn einholen. Herr Carl Mayr bemalte für unsere Wohnstube einen pergamentenen Lampenschirm, auf dem die ganze Geschichte einschließlich der Geistererscheinung abgebildet war. Erschienen ist er aber nie, wenn auch der Mühlbach in manchen Nächten wie mit Glocken läutete, so daß man glauben konnte, es sei Feuer im Ort und es stürme vom Kirchturm, oder wenn er auf den alten Holzborden unter dem steinernen Radbogen trommelte und lärmte wie ein heranmarschierendes Regiment – ja, man konnte sich sogar einbilden, in seinem vieltönigen Brausen ferne Clairon-Signale zu vernehmen, während sich der Nebel in bizarren Gestalten aus dem nachtkalten Wasser hob. Uns war das alte Haus, hinter seinen hohen Bäumen an den grasigen Hügel geschmiegt, ein heimlicher Ort, und sollte es darin Geister gegeben haben, so hatten wir sie wohl durch unser lebhaftes und gar nicht spökenkiekerisches Dasein vergrämt und vertrieben. Vielleicht auch war es ihnen durch den klaren, taghellen Strom der Arbeit, der das Haus in all den Jahren durchzog, verleidet.

Zwar war Berlin mein berufliches Zentrum, in dem alle meine Uraufführungen und Proben stattfanden, in dem meine Verleger hausten und viele meiner Freunde lebten, in dem das – damals noch phantastische – Experiment des ›Tonfilms‹ und manche andere Tätigkeit und Geselligkeit lockten, aber schreiben konnte ich immer nur auf dem Land und hatte mich auch schon früher dazu, wenn es irgend anging, in eine möglichst abgelegene Nisthöhle verkrochen. Jetzt hatte mir ein unerhörter Glücksfall, ein Überraschungserfolg, wie es – außer Brechts Dreigroschenoper – in dieser Zeit keinen gab, die Möglichkeit verschafft, einen Horst zu beziehen (und ein altbürgerlicher, oder bäuerlicher, Instinkt sagte mir, daß ein Haus besser sei als Geld und vielleicht das einzige, was man in schwierigen Zeiten halten kann – solang man es kann). So hockte ich nun, jahraus, jahrein, wie ein Brutvogel auf meinen Eiern, die ich auch selbst gelegt hatte.

Wir lebten den größten Teil des Jahres dort. Im Anfang mußte man noch das Wasser aus dem mit einem zierlichen Schindeldach geschützten Brunnen ins Haus tragen, es dauerte geraume Zeit, bis ich mir eine richtige Wasserleitung und ein Badezimmer leisten konnte. Die Kinder wuchsen dort auf, sie spielten mit den Bauernkindern und gingen, als sie größer wurden, in die Dorfschule. Für die Einheimischen waren wir ›die Wiesmüller‹ – man nannte dort alle Leute nach ihrem Haus oder Hof –, und manche wußten in all den Jahren nicht, wie ich eigentlich hieß. Sie fragten auch nicht danach, was man ›draußen‹, außerhalb des Dorfes tat, ob man dort in der Welt einen Namen hatte, ob man Stücke schrieb, malte oder Opernpartien sang. Man sprach mit ihnen über Wind und Wetter, über Gras und Vieh und über ihre alltäglichen Sorgen, man holte sich den Fisch beim Roider-Fischer, der sein einsames Haus in der Waldlichtung hatte, und das duftende Schwarzbrot frisch vom Backofen des Göpfringer Bauern, man nahm an Hochzeiten, Kindstaufen, Begräbnissen teil, trank und tanzte mit ihnen auf ihren Festen, lernte ihre Bräuche kennen und ihre Lieder singen. Zu Weihnachten wurde in unsrer Wohnstube, in deren Ecke der frisch aus dem Wald geholte Baum und die Krippe mit den Holzfiguren standen, von den Bauernkindern ein altes Christgeburt-Spiel aufgeführt, in dem viele salzburgische Volkslieder eingestreut waren, die gleichen, die Mozart in seiner Jugend gehört haben mochte. Es wirkten manchmal bis zu dreißig Kinder zwischen vier und fünfzehn Jahren mit, die meine Frau wie halbwilde Fohlen zureiten oder wie junge Hunde abrichten mußte, wobei es nicht immer ohne Kopfnüsse oder Watschen abging. Dann gab es die Bescherung und das Karpfenessen, und um Mitternacht stapfte man mit der Laterne über den hartgefrorenen Schnee zur Christmette in der hell erleuchteten Kirche. Die Dorfmusik blies laut, falsch und feierlich, die Lehrerin kämpfte mit dem Falsett ihrer Sopranstimme und mit ihrem Kirchenchor, Tonart gegen Tonart, es dampfte feucht von den schweren Schuhen und Mänteln, es stank auch ein wenig, und es war alles so schön, so ernsthaft und so freudevoll, wie es nur sein konnte. Spät nach der Mette noch saß man in Herrn Carl Mayrs bezauberndem und wohlbeheiztem ›Gartenzimmer‹ bei Weißwürsteln und Wein oder Bier, manchmal bis in die Morgenfrühe.

Es gab drei Vereine im Dorf, von denen jeder an den Feiertagen seine eigene Fahne trug: die Feuerwehr, die ›Schützen‹, die mit ihren messingbeschlagenen Stutzen bei kirchlichen und ländlichen Festen einen ungeheuren Lärm machten, und die ›Heimkehrer‹, das waren die Überlebenden aus dem Ersten Weltkrieg, die sich jedes Jahr am Tag des ehemaligen Kriegsausbruches sternhagelvoll tranken – denn, so folgerten sie, wäre der Krieg damals nicht ausgebrochen, so hätten sie ihn auch nicht überleben können. Eine Gelegenheit zum Feiern ließ man sich in Henndorf ungern entgehen. Das Temperament der Leute war leicht, heiter, gelöst. Sie waren lebensfroh, arbeitsam, neugierig und vor allen Dingen begabt. Laut hörte man den Fischer singen, wenn er gegen Abend mit seiner Plätte auf den hechtgrauen See hinausfuhr, und bei gewissen Arbeiten, etwa dem Einschlagen der Eckbalken für einen Neubau, wurden in einem rituellen Singsang, mit Vorsprecher und Chor, uralte Handwerkerverse hergesagt, wie sie schon im Mittelalter Takt und Rhythmus der Bewegung anleiteten. Wenn unser junger Gärtner den Steingarten am Bach aufbaute, wenn der Schreiner einen neuen Zaun machte, alles hatte seinen Stil und eine Art von künstlerischem Schwung. In dieser Gegend, in der jede Stalltür und jeder Dachfirst an die Formfreude des hohen Barock erinnert, lebten noch der Sinn und die Liebe fürs echte, gediegene Handwerk. Die Bäuerinnen freuten sich an den Blumen in ihren Fenstern, ›Hinterglasbilder‹ schmückten die geweißten Wände, und in den Küchen blitzte das Kupfer und schimmerte das Zinn. Selbst die schmutzige alte Lena, eine achtzigjährige, immer noch mannstolle Närrin, behängte sich mit schönen bunten Ketten und Silbermünzen, die sie sich bei Carl Mayr auszuleihen pflegte, und wenn sie mit ihrem braunen verrunzelten Gesicht vor sich hinmurmelnd und mit dem Krückstock aufklopfend durchs Dorf schlurfte, schaute sie aus wie der aufgeputzte Schamane oder Medizinmann eines Indianerstammes. Die Menschen in diesem Dorf hatten noch Gesichter, persönliche, ausgeprägte, eigenwillige, wie man sie auf den Bildern der mittelalterlichen Meister, bei den Holzfiguren der Pacher und Riemenschneider, findet.

Selten ist mir ein so heiterer, ausgeglichener und zuverlässiger Charakter begegnet wie unser Hausmeister, Josef Eder, der mit seiner helläugigen Frau Justina bei den schweren Arbeiten half. Er war, im Nebenberuf, der Totengräber des Ortes. Aber der vertraute Umgang mit den Toten und den Gräbern hatte ihm keinen unheimlichen oder makabren Zug verliehen, sondern eher eine Art von unbewußter Würde und milder Freundlichkeit. Dabei war er ein starker, gesunder Mann, der bei der Arbeit, beim Tanz, auch beim Raufen, kräftig zupacken konnte. Das Verhältnis zum Tod war bei diesen katholischen Bauern sehr einfach und natürlich, er gehörte zum Vorgang des Lebens, zum Ablauf der Welt, zu den Jahreszeiten der Erde, zum Wandel der Generationen und war durch die Vorstellung der Transzendenz und der Ewigkeit seines dumpfen Schreckens beraubt. Man respektierte ihn, beklagte ihn, zollte ihm den Tribut des feierlichen Rituals, aber man scheute und fürchtete ihn nicht, und schon die Kinder waren an den Anblick der friedlich aufgebahrten Leichen gewöhnt, vor denen man, wenn auch nicht ohne den Reiz des Gruselns, beim letzten Besuch sein Kreuzlein schlug. So war die Beziehung, die unser häuslicher Totengräber zu seinem Gewerbe hatte, völlig unsentimental, aber keineswegs roh oder herzlos. Im Dorf rief man ihn, mit scherzhafter Selbstverständlichkeit, den ›Dodey‹, das heißt ›das Tödchen‹, und auch seine Frau redete ihn nicht anders an. »Herr Jesus!« rief er, als er uns einmal eine neue Dunggrube ausheben sollte und wir uns über die schmale längliche Form wunderten, »da ist mir aus Versehen ein Grab draus geworden! Das ist halt die Gewohnheit …« Oder, wenn die verrückte alte Lena vorbeihumpelte, sagte er leise und gutmütig vor sich hin: »Dich grab ich auch bald ein.« Und zu einem kranken Freund, als es ihm etwas besser ging: »Du bist mir wieder von der Schaufel gerutscht!« – »Mein schönster Tag wird sein«, sagte er oft zu mir, den er immer ›den Herrn‹ nannte, »wenn ich amol den Herrn eingraben tu …« Es klang ungeheuer beruhigend. Dabei war er fast zehn Jahre älter als ich und mußte sterben, bevor es dazu kam.

In Scherz und Ernst, in Ruhe und Tätigkeit waren sein starkes, einfaches Gesicht mit dem roten Schnurrbart und seine kraftvolle Gestalt stets ebenso locker und gelassen wie wachsam und aufgeräumt. Mit ihren herben Zügen und ihrem bäurischen Wesen wirkten die beiden, Josef und Justina, in ihrer Weise schön, und man freute sich ihres Anblicks, weil sie natürlich waren, stolz und mit sich selbst im Einklang. Je länger man dort lebte, desto mehr wuchs man mit den Menschen und dem Land zusammen, und es gab keinen Zwiespalt und Mißton. Da, eines Nachts, im Sommer 1934, wurde das Dorf von einem dumpfen Krachen und Knallen aufgeweckt, das auch bei uns im Haus die Fensterscheiben klirren machte, und das war kein Gewitter oder Bergrutsch, sondern es war die erste Bombe, die erste Brückensprengung der Nationalsozialisten.

Die meisten Dorfbewohner waren ehrlich aufgebracht und entrüsteten sich über die ›Rotzbuben‹ – viele beteiligten sich, unter Führung des tapferen Junggendarmen Lackner Hans, an der Suche nach den Verbrechern. Denn unter den eingesessenen Bauern hatte die Haßpropaganda noch wenig Boden gefunden, eher unter jenem ländlichen Mittelstand, der mehr sein wollte, als er war, den Krämern, Handlungsvertretern, kleinen Beamten. Die Leute in dieser Gegend waren nicht sehr reich und nicht sehr arm, es gab keinen Großgrundbesitz, sondern durchweg recht gut situierte Landwirte, sie saßen auf eigenen Höfen, hielten ein paar, patriarchalisch behandelte und familiär gesinnte, Knechte oder Mägde, und die zerrüttende Arbeitslosigkeit, die dem Extremismus in Deutschland den Boden bereitet hatte, war so gut wie unbekannt. Ganz anders lag das schon in bestimmten Gebieten des österreichischen Alpenhochlands, in denen die Not herrschte, oder in den größeren Städten und Industriezentren. Aber davon wußten die Bauern des gemäßigten ›Flachgaus‹ nicht viel. Sie schielten unter sich oder grinsten verlegen, wenn am Biertisch jemand anfing, sie ›politisch aufzuklären‹. Im Februar des gleichen Jahres hatte man in Wien den aus Verzweiflung geborenen Aufstand der Sozialisten blutig unterdrückt. Zwar hatte das Ende des linken Bauernführers Koloman Wallisch, den die Sieger nach einer Hetzjagd gefangen und aufgehängt hatten, da und dort einen gewissen Unwillen erregt, doch im großen und ganzen hatte man wenig Sympathie für die ›Roten‹, von denen es hieß, sie wollten die Kirchen verbrennen und den Bauern ihr Land wegnehmen. Da waren ihnen die ›Hahnenschwänz‹, wie man die Heimwehr des Fürsten Rüdiger von Starhemberg nannte, schon lieber, die machten Musik oder Fackelzüge und ließen alles beim alten. Die staatsmännische Klugheit, mit welcher der an Gestalt kleine Kanzler Dollfuß, nach ›Wiederherstellung der Ordnung‹, ausländische Beziehungen pflegte und im Inland eine Befriedungspolitik versuchte, ließ das ›neue Regime‹ in einem freundlichen Licht erscheinen – wenn es auch eine, österreichisch gemilderte und keineswegs terroristische, Spielart des Faschismus bedeutete: sein Aushängeschild war das Wort ›Ständestaat‹, das man in jedem Leitartikel lesen konnte und unter dem sich keiner, die Verfasser eingeschlossen, etwas vorstellte. Aber auch für Intellektuelle und nicht zuletzt für die Flüchtlinge aus Hitlerdeutschland schien dieses ›unabhängige Österreich‹ das kleinere Übel zu sein – und später, unter dem klugen und liberalen Kurt von Schuschnigg, der eine ›Öffnung nach links‹ anbahnte, sogar eine Möglichkeit, wieder zu demokratischen Verwaltungsformen überzugehen, die keineswegs völlig ausgeschaltet waren. Gewiß wurde schon seit Hitlers ›Machtergreifung‹ viel geflüstert und geredet, daß ›im Reich draußen‹ jetzt alles viel besser ginge und daß es nur Schädlinge und Volksverderber seien, die er vertrieben oder eingesperrt hatte. Der ›großdeutsche Gedanke‹, der Wunsch nach Zusammenschluß mit dem stärkeren Bruder, war altes österreichisches Phrasengut: mit ihm war der erfolglose Postkartenmaler und Anstreichergehilfe Adolf Hitler einst nach Deutschland gezogen, um es, und später auch sein liebes Österreich, bis zum Weißbluten zu beglücken. Zugleich aber hatte man vor dem ungeheuren Lärm und dem Waffengerassel, das ›die da draußen‹ vollführten, im ausgeglichneren, durch jahrhundertealte Völkergemeinschaft politisch abgeklärteren Österreich eine gewisse Scheu, die gefühlsmäßige Abneigung gegen alles allzu Stramme und Organisierte. Man wartete ab und hatte lieber Butter und Rahm statt Ehre und Ruhm – so sah das wenigstens vorläufig aus; denn die eigentlichen Scharfmacher und Ambitionisten, die sich vom Nationalsozialismus Karriere und Macht versprachen, mußten, ganz im Gegensatz zu Deutschland, wo sie unter dem Schutz der freiesten Demokratie jahrelang gegen diese toben und hetzen konnten, hier noch ein geheimes Verschwörer- und Konspiranten-Dasein führen. Oder sie waren über die Grenze gegangen und standen dort, ohne daß man viel davon erfuhr, als ›österreichische Legion‹ zum Überfall bereit. In Henndorf selber und den ländlichen Nachbargemeinden gab es wenig Verräter, Unzufriedene, Neidische – und genau unter diesen, nirgends anders, hatte man die Träger der ›nationalen Freiheitsbewegung‹ zu suchen. Natürlich kannte man fast jeden, der dazugehörte: in der engen Gemeinschaft eines Dorfs und des bäuerlichen Lebens spiegelte sich deutlich die Entwicklung und die Struktur der ›völkischen Erhebung‹. Da war der Käserei-Besitzer, ein ehrgeiziger, engstirniger Bursche, aus dem Allgäu stammend, der sich ärgerte, daß man ihn nicht als richtigen Fabrikanten oder Wirtschaftsführer betrachtete, wie ihm das im Zug des ›deutschen Aufschwungs‹ vielleicht zugefallen wäre. Er gab sich im Dorf jovial und haßte alles, was ihm an Bildung, Niveau, Erziehung überlegen war. Da war ein mittelstarker Bauer, der auf seinen Schwager, den Bürgermeister, eifersüchtig war, davon träumte, ihn abzusetzen und selbst als Erbhofbauer, wie man das ›draußen‹ nannte, die führende Rolle zu spielen. Da war der Aufseher der Schwimmanstalt am See, zweiter Sohn eines Großbauern, verärgert, weil er nicht Haupterbe war, arbeitsscheu, versoffen, streitsüchtig – ein rechter Fallott, wie es dort heißt – und noch dazu durch einen kleinen Beinschaden in seiner Selbstachtung gekränkt. Seinen Posten als Bademeister hatte er wegen Unzuverlässigkeit bald verloren, dann wurde er eingesperrt, weil er seine Invalidenrente doppelt erhoben hatte, und von da an lebte er ganz der ›Bewegung‹. Denn sie verhieß ihm Rache und unbeschränkte, aber gesetzlich untermauerte Gewalt: genau der Typus, aus dem sich die berüchtigten KZ-Schinder rekrutierten, und den man, wenn man ihn sucht und sammelt, in jedem Land finden kann.

Der Antisemitismus war natürlich der raffinierteste, weil wirksamste psychologische Schachzug der Nationalsozialisten, an den ihre Führer und Wegbereiter aber auch wirklich glaubten: denn man bilde sich nicht ein, daß je eine Propaganda Erfolg habe, von der ihre Initiatoren nicht selbst überzeugt sind. Alle politischen Extremisten meinen das, was sie sagen und herausschreien – ob rechts oder links –, sie werden auch immer das ausführen, was sie in ihren wildesten Proklamationen verkündet haben; denn wenn sie das nur zum Zweck des Stimmenfangs oder aus purer politischer Berechnung täten, würden sie niemals die Massen fanatisieren und mitreißen: das ist eine Lehre, die wir in peinlichen Lektionen gelernt haben.

Auch die ›Rassentheorie‹, völlig verblödet in einem Reich, dessen élan vital ebenso wie seine Nobilität der fortgesetzten Durchdringung des deutschen Elements mit slawischen, magyarischen, romanischen, sogar asiatischen Völkerschaften entsprang (um nur die Hauptgruppen zu nennen), auch die Rassenlehre und damit der Antisemitismus, obwohl es beiderlei Unfug auch in anderen Völkern gibt, hatten ihren Motor im alten Österreich, wo der unverzeihliche Herr Schönerer, ein Scharlatan auf jedem Gebiet, ihm eine vulgärpolitische Basis geschaffen hatte, etwa zur selben Zeit, in der – gleichfalls in Österreich – Theodor Herzl den Zionismus geistig fundierte. Im Bauernland des westlichen Österreich aber, ganz im Gegensatz zu Wien und den östlichen Grenzländern, kannte man keine oder fast keine Juden. Sie waren dort nicht, wie in Deutschland, zu einem Ferment des wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Lebens geworden, und soweit sie es vielleicht doch waren, nahm man keine Notiz davon, und es spielte in der Öffentlichkeit keine Rolle. ›Der Jud‹ war etwas, wovon man in Märchenbüchern gelesen hatte, wie vom Zauberer und von der Hexe. »Is der Schuschnigg a Jud?« fragte mich einmal einer der ›Waldbauern‹, die einige Kilometer oberhalb Henndorfs am Fuß oder in den Tälern der bewaldeten Bergzüge ihre abgelegenen Höfe hatten und die ich auf meinen Wanderungen gern besuchte. »Warum glaubst du das?« fragte ich zurück. »Weil die Hütler« – so nannte man dort, vereinfachend, die Nazis –, »weil die Hütler so auf ihm herumschimpfen.« Ich erklärte ihm, daß der Schuschnigg kein Jud sei, sondern ein Katholik wie er selber. Er schien beruhigt. Aber dann grübelte er weiter: »San die Juden wirklich so schlimm?« Ich beruhigte ihn auch darüber. »Aa’mol«, sagte er nachdenklich, »aa’mol möcht i an sehn.«

Daß die Leute, die im Salzburger Festspielsommer so schön Theater spielten und Musik machten, zum Teil Juden waren und die zahlungskräftigen Fremden, die sie damit ins Land lockten, teilweise auch, interessierte keinen Menschen dort auf dem Land. Aber der propagierte Antisemitismus tat seine Wirkung, indem er jedem Trottel den Genuß verschaffte, jemanden ›unter ihm‹ zu verachten. Da gab es den schiefen Anderl, einen etwas verwachsenen, halbidiotischen Metzgerburschen, mit Sabbermaul, Rinnaugen und einer impotenten Lüsternheit: er kletterte an Häuserwänden hoch, um Liebesleute bei ihrer nächtlichen Zärtlichkeit zu belauschen oder durchs Fenster den Blick auf eine halbnackte Magd zu erhaschen. Der durfte sich jetzt als eine bessere Sorte Mensch, eine ›edlere Rasse‹ empfinden als Max Reinhardt, Bruno Walter oder Stefan Zweig. So fraß das langsam um sich und verbreitete sich wie eine heimliche Seuche, ohne daß wir selbst viel davon bemerkten. Im Gegenteil: als nach dem Begräbnis des von einer Nazibande roh ermordeten Kanzlers Dollfuß in allen Städten Österreichs und auch auf dem Land draußen am Abend die elektrischen Lichter erloschen und in jedem Fenster brennende Kerzen aufgestellt wurden, die Kirchen überfüllt waren, die Menschen sich zu Trauerprozessionen auf den Straßen sammelten, glaubte man in dieser Stunde, die natürlich etwas Ergreifendes hatte, ganz Österreich in der Abwehr gegen die Gewalt von außen und innen geeinigt und die ärgste Gefahr gebannt. Sogar die Gendarmerie wurde, vorübergehend, aktiv, man holte einige Rädelsführer ab, darunter unseren großmächtigen Käser, um sie dann allerdings, wenn ihnen nichts ›nachzuweisen‹ war, nach kurzem Verhör wieder zu entlassen: sie fühlten sich daraufhin als Märtyrer und waren doppelt erpicht auf ihre spätere Entlohnung.

Aber die Menschen, die man liebte und achtete, wie die Familie Mayr, wie unsere Hausmeistersleute, wie eine Mehrheit des einfachen Landvolks, waren und blieben unbestechlich. Sie scharten sich immer enger um den Pfarrer, einen kleinen, unscheinbaren, mutigen Mann, der jeden Sonntag von der Kanzel mit seiner allzeit heiseren Stimme gegen die ›neuen Heiden‹ wetterte und sich nichts daraus machte, wenn ihm ein paar Lausbuben die Fenster einwarfen. Er träumte von dem Tag, an dem der babylonische Turm da draußen einstürzen werde, und von einem christlichen Sozialismus. Außerdem wußte man, daß Mussolini bewaffnet am Brenner stand, weil er seinen späteren Zwangsgenossen Hitler nicht als Nachbarn haben wollte und die Unabhängigkeit Österreichs, wie man so leichthin sagt, garantierte.

In der Zeit nach jener ersten Brückensprengung, mit der man die große Reichsstraße nach Wien zerstört hatte, wurde der Willy, ein Müllersohn, der bei uns und den Mayrs Gärtner war, immer blasser, verstörter, ruheloser. Er war ein prächtiger Bursche, schlank, hochgewachsen, mit federndem, geschmeidigem Gang, er machte seine Arbeit so geschickt und so phantasievoll, daß es eine Lust war, ihm zuzuschauen oder etwas Neues mit ihm zu planen. In den Tagen des mißglückten Putschversuchs und der Dollfußermordung war er so verwirrt und niedergeschlagen, daß er einem nicht mehr ins Auge sehen konnte – und eines Morgens war die Polizei da und verhaftete ihn als den Hauptschuldigen an der Brückensprengung. Jetzt ging es um seinen Kopf; denn auf Sprengstoffvergehen stand, unter dem herrschenden Standrecht, die Todesstrafe. Wir bangten alle um ihn, obwohl er ein Nazi war. Denn – weshalb war er ein Nazi? Es war ziemlich einfach. Seine Braut war bei jenem Käser, der ein paar Dutzend Leute beschäftigte, angestellt. Der Käser war der ›lokale Führer‹, und die Leute, die von ihm abhängig waren, mitsamt ihren Angehörigen, mußten ihm wohl oder übel Gefolgschaft leisten. So hatte es angefangen. Und unser Willy, der etwas phantastisch veranlagt war, mochte vom Abenteuerlichen, Verbotenen, vom Indianer- und Räuberspiel der illegalen Verschwörung gereizt und verlockt worden sein. Darin bestand ein großer Teil der Faszination auf die Jugend: man redete ihnen den Kopf voll, was für Kämpfer, Helden, Volksbeglücker sie wären – und ließ auch gleich ein bißchen Drohung mit einfließen: wer da nicht mitmachte, der könne sich später wundern. Zunächst war es eher eine Spielerei – es war ja ein Spaß, auf einem Berg ein Hakenkreuzfeuer abzubrennen und dann, in einem Baumwipfel versteckt, zuzuschauen, wie der Gendarm nach Spuren suchte. Die Jugend neigt natürlich immer zum Illegalen (und manchmal hat sie damit auch recht). An den Ernstfall, an Mord und Gewalttat, dachten die meisten nicht. Aber dann gab es kein Zurück mehr: eines Tages kam ›der Befehl‹.

In den Wochen, in denen der Willy auf seine Aburteilung wartete und jede Stunde mit einem sofort vollstreckbaren Todesurteil durch den Strang rechnen mußte, bekam ich von ihm einen Brief, dem eine kleine, genau gezeichnete Planskizze unseres Gartens beigefügt war. Er hatte kurz vor seiner Verhaftung eine neue, unterirdische Wasserleitung zum Gemüsegarten angelegt, und niemand außer ihm wußte, wo sie an- und abzustellen war. Das ließ ihm keine Ruh – denn falls er sterben müßte, hätten wir unser Wasser nicht mehr regulieren können und beträchtlichen Schaden gehabt. Daß ich selbst einer der von den Nazis bestgehaßten Leute war, dessen Stücke und Bücher im ›Reich‹ verbannt und verbrannt worden waren, daß unser Haus auf der Liste derer stand, die im Fall eines Umsturzes zuerst gesprengt oder besetzt werden sollten, machte für sein kindlich-rechtliches Denken keinen Unterschied.

Er mußte nicht sterben. Er wurde zu langjährigem schweren Kerker begnadigt, wir waren von Herzen froh darüber, und ich schickte ihm manchmal Bücher in seine Haft. Zum Dank dafür malte er uns zu Weihnachten ein reizend primitives Bild von unserer Wiesmühl, das heute noch, da ich es nach dem Krieg wiederfand, in meinem Zimmer hängt.

Später erfuhr ich, als ich schon aus Österreich hatte fliehen müssen, daß er in den Tagen des ›Anschlusses‹, durch den er freigekommen war, eine entfesselte Pöbelbande, die mein Haus – da sie meiner selbst nicht mehr habhaft werden konnten – zu plündern begann, mit der Pistole bedroht und von der Schwelle gejagt hat. Aber das war nun zu spät. Die Treue hatte ihren Sinn verloren, und was er den Plünderern verwehrt hatte, besorgte die Gestapo.

Rückblickend kann ich sagen, daß ich von den Menschen, mit denen man dort gelebt hatte, keinerlei Enttäuschung erfuhr: sie verhielten sich alle so, wie man’s von ihnen erwarten durfte. Am besten hat das unsere gute Ederin, die Hausmeisterfrau, ausgedrückt, in einem Brief, den sie mir dann in die Schweiz schickte: »April is, bal regnets bal scheind di Sun bal schneids, wie das Weter so die Leit. Die vorher lästig warn san jetz ers recht lästig, und die anständig warn san jetz noch anständiger.«

Damals aber, als wir das große Fest feierten, war jene ländliche Gemeinschaft, die im Grunde unzerstörbar ist, noch in voller Blüte. Es war nur ein halbes Jahr, bevor der Unstern über Deutschland aufging, und im siebten Sommer, den ich in Henndorf verlebte, genau gesagt: der ›Frauentag‹, das ist der 15. August, des Jahres 1932.

Schon längst hatten mich die Schützen – der älteste Verein im Dorf, dessen Präsident noch dazu unser hausmeisterlicher Totengräber war – geplagt, ich solle ihnen eine neue Fahne stiften. Denn die alte, hundertjährige, so ehrwürdig sie war, ging schon langsam in Fetzen. Man stellte mir die begehrenswertesten Vorteile in Aussicht, falls ich die Anschaffung einer neuen Fahne ermöglichte, so zum Beispiel, daß über meinem Grab drei Ehrensalven geschossen würden. Aber ich kannte die Bauern und wußte, daß man ihnen nicht zu rasch nachgeben darf, besonders in materiellen Dingen, will man nicht ihren Respekt verlieren und als Trottel oder Verschwender gelten. Jetzt aber, als eine Art von Opfergabe für sieben glückliche Jahre in diesem Ort, entschloß ich mich, ja zu sagen. Der Jubel war unbeschreiblich. Die Fahne wurde beim besten Fahnenmacher in Wien bestellt, sie mußte handgestickt sein, in den rot und weißen Landesfarben, aus schwerer Seide, goldgesäumt, und in der Mitte mit einem Bild der Landschaft verziert. Die Hauptsache aber war das Fest, auf das sich das ganze Dorf schon monatelang freute und dem es in den letzten Wochen geradezu entgegenfieberte. Es wurde in unendlichen Besprechungen und umständlichen Beratungen vorbereitet, alles wurde bedacht, die Einladungen an die Nachbargemeinden, die Schmückung des Dorfes, die Illumination, die kirchliche Feier, der Umzug, die Speisen und Getränke. Es sollte drei Tage und Nächte dauern. Von diesem Fest, sagten die Henndorfer, soll man noch dreißig Jahre sprechen. Und das hätte man auch getan – wenn es nicht in der Zwischenzeit so viel anderen Gesprächsstoff gegeben hätte …

Am Vorabend gab es kein Haus mehr in der Umgebung, das nicht im Schmuck von Blumen und Girlanden und Lichtern prangte. Tagelang hatte man die Pferde geputzt und gekämmt, die die Festwagen zu ziehen hatten, ihre Mähnen und Schweife waren kunstvoll geflochten und mit rot-weißen Seidenbändern durchwirkt. Auch in unserem Haus herrschte festliche Erregung. Alle Fenster und Türen standen auf, die warme Sommerluft strich herein, der Aufgang zur Küche draußen war weit geöffnet und unsre Wohnstube in ein ländliches Schlaraffenland verwandelt. Überall, auf den schweren Holztischen, den Fenstersimsen, der Kredenz, waren rustikale Eßwaren verteilt, dort stand ein ganzer Schinken, frisch angeschnitten, hier ein kompletter Käse, die Würste hingen an Stricken von den Deckbalken herab, die Butterstriezel waren groß und lang wie Brotlaibe, und das mächtige runde Schwarzbrot lag auf flachen Holztellern. Unser ›Dodey‹ verzapfte ohne Pause Bier aus einem Faß, das vor der Haustür im Hof stand, sein roter Schnurrbart triefte vor Schaum, denn er fühlte sich verpflichtet, den Gästen vorzukosten. Ein Fäßchen mit Lagrein Kretzer, der, wenn er echt sein soll, einen fast hellbraunen Farbton haben muß, war in der Stube aufgebaut, und für die, welche rasch eine Hilfe brauchten, war altersgoldener slowenischer Sliwowitz in großen Glaskrügen bereit.

Sechzehn Gäste waren damals im Haus, und es kamen immer noch mehr, denn in Salzburg war Festspielzeit, und es wimmelte von Freunden und Bekannten. Ein Teil wohnte auch bei uns, und wie sie alle einen Platz fanden, ist mir heut noch ein Rätsel. Die meisten Damen, besonders die jüngeren und hübscheren, hatten sich in die ländliche Tracht gehüllt, und je weiter sie herkamen, desto landes- und traditionsgerechter hatten sie sich bei Lanz in Salzburg eingekleidet. Unsere Gäste waren bunt zusammengewürfelt und hatten doch eine Art von geheimer Harmonie. Traumgefährten – wo seid ihr hin? Da war Schaljapin, der große russische Sänger, mit seiner Frau, ein paar Freunden, seinen entzückenden Töchtern, der brünetten Dasja und der weizenblonden Marina – ein ganzes russisches Dorf! Da war ein holländischer Privatgelehrter, der damals der Stadt Wien ein kostbares Musikarchiv eingerichtet hatte. Da war der Leiter eines oberbayrischen Bauerntheaters, der jüngst erst mit neunzig Jahren verstorbene Schultes Bertl, mit seinen Lederhosen und seinem Policinellgesicht. Da war mein väterlicher Freund Friedrich von Erxleben, genannt Petrus, katholischer Prälat, der aus Deutschland herübergekommen war, um die Feldmesse zu lesen, mit seinem flammenden weißen Haar, seinen lodernden Augen und seinem von Erden- und Himmelsliebe strahlenden schönen Gesicht. Und dann ein paar Damen und Herren von den Landhäusern der Salzburger Umgebung, und ein paar Schriftsteller, Schauspieler und Künstler mit ihren Frauen oder Bräuten oder was sie so nannten. – Aber die Hauptpersonen waren die Bauern, und der Inhalt und Sinn des Festes war das Dorf. Tag und Nacht hörte man das Singen aus den Wirtshäusern, das Stampfen der Tanzschritte, das Schmettern der Musik. Auch die Kinder wirkten mit – die Locken der kleinen Mädchen waren seit einer Woche mit Zuckerwasser und Schweineschmalz präpariert und über Nacht in Papier eingedreht. Als sie aber am Vorabend des Festtags mit ihren weiß-gestärkten Battistkleidchen in langer Reihe in unseren Hof einrückten, um zu Ehren der Hausfrau, die als Stifterin die Fahnenmutter hieß, einen vom Dorflehrer einstudierten historischen Reigen zu tanzen, da brach genau mit dem ersten Takt der Blockflöten das unvermeidliche Gewitter los – und mit dem ersten Donnerschlag floh das Ballett auseinander, wie eine Schar aufgestörter Feldhühner. Dieser Anblick war für unsere Gäste, die sich an allen Fenstern als Zuschauer verteilt hatten, bestimmt viel amüsanter, als der historische Reigen gewesen wäre. Und das Gewitter gehört zum ländlichen Fest, wie das Salz in die Suppe. Auch der große nächtliche Fackelzug fand noch unter Blitz und Donner statt, und der Regen trommelte uns aufs Haar, als wir, am Kriegerdenkmal, zu Ehren der Gefallenen, drei Minuten die Hüte abnehmen mußten. Dann aber troff plötzlich das grelle Mondlicht durch die Wolken, die rasch zerstoben, es roch nach Laub und nach der nassen Erde, und es zeigte sich nicht der Schatten einer Wolke mehr, solang das Fest dauerte.

Was Bauern bei einem solchen Fest leisten können, ist kaum zu glauben, und wir alle taten unser möglichstes, um mit ihnen Schritt zu halten. Aber, nachdem wir erst gegen drei ins Bett gekommen waren, standen nur wenige mit mir auf, als um vier schon wieder die Blechmusik anrückte, um nach einer halben Maß Bier das Morgenständchen zu bringen. Um sechs begann der Aufmarsch der befreundeten Vereine: aus zweiunddreißig anderen Gemeinden Österreichs waren sie herbeigekommen, um die neue Henndorfer Fahne zu ehren, und es dröhnte und schmetterte, daß die Gäule stiegen. Vor dem Ehrenwagen, mit dem wir zur Feldmesse und feierlichen Weihung der Fahne gefahren wurden, waren zwei junge Hengste eingespannt, die schönsten im Dorf, und wir können von Glück sagen, daß wir wieder lebendig herausgekommen sind. Die Messe fand auf einer großen baumumhegten Wiese unter freiem Himmel statt, mein Freund Petrus sang den lateinischen Text mit seinem italienischen Akzent, den er sich bei den Jesuiten in Rom angewöhnt hatte. Meine Frau, von zwei mächtigen Bäuerinnen flankiert, die Bänder zur Fahne gestiftet hatten – ein buntgesticktes für Hochzeiten, ein schwarzes für Leichenzüge –, hatte einen Vers aufzusagen und mehr Lampenfieber als eine Schauspielerin, die zum ersten Male die Jungfrau von Orleans spielen soll. All die zweiunddreißig Fahnen der Besucher neigten sich und ›küßten‹ zur Begrüßung die neue, frisch geweihte. Sie sollte von nun an bei allen, ernsten und frohen, Feiern in der Mitte des Volkes getragen und geschwenkt werden, sie sollte die Menschen froh machen mit ihrem hellen Tuch und ihnen das einfache und starke Gefühl des Zusammengehörens, das Bewußtsein gegenseitigen Vertrauens und gegenseitiger Hilfe verleihen. Sie sollte sie daran erinnern, daß sie nicht nur eigensüchtige und kleine Menschen seien, sondern daß über ihnen ein Himmel und unter ihnen die harte Erde der Bauern allen gemeinsam ist, so daß jeder für den andren zu stehen habe, weil auf dieser Welt jeder den andren braucht. So ungefähr sagte es mein Freund Petrus in seiner Ansprache, die am Schluß immer rascher wurde, denn er hatte seit Mitternacht nüchtern bleiben müssen, und es wurde schon bald wieder Mittag.

Das Fest dauerte von Samstag abend bis tief in die Montagnacht, es wurden einige zehntausend Liter Bier und Wein verzapft, und es gab keinen Armen, der hungrig blieb. Die Musik spielte, wir wurden alle zusammen photographiert, und keiner verließ das Fest, oder wenn, dann nur, um unter den Bäumen draußen der Natur zu opfern oder ein Mädchen zu küssen. Getanzt wurde ohne Unterlaß. Die Hofbäuerin, mit der ich den Ehrenwalzer zu überstehen hatte, wog zweieinhalb Zentner und schwitzte wie ein Gaul. Aber die schönen Frauen und Mädchen schwangen sich leicht herum, sie legten den Kopf schief beim Tanzen und schlossen die Augen halb.