ALT BÖSE TOT - Ingrid J. Poljak - E-Book

ALT BÖSE TOT E-Book

Ingrid J. Poljak

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Beschreibung

Dahinwelken im Altersheim? Die ehemalige Krimiautorin Melli will das nicht! Doch dann findet sie im Lainzer Tiergarten eine Leiche und ruft die Polizei. Vorbei ist es mit Dahinwelken, ihre kriminalistischen Instinkte erwachen. Aber Chefinspektor Angermann ist gar nicht begeistert, dass ihm nun eine 82-jährige Hobby-Detektivin ins Handwerk pfuscht. Und dann passieren auch noch weitere Morde. Ein vergnüglicher und spannender Wien-Krimi mit Witz und Wiener Schmäh und einer ungewöhnlichen Ermittlerin im Stil einer frechen Miss Marple.

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Seitenzahl: 338

Veröffentlichungsjahr: 2023

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ALT BÖSE TOT

Ingrid J. Poljak

Ingrid J. Poljak war nach abgeschlossenem Studium an der TU Wien viele Jahre als Architektin und nebenberuflich als Grafikerin tätig. Seit sie den Beruf aufgegeben hat, widmet sie sich ganz dem Schreiben.

Ihr bisher erfolgreichstes Buch:

der Psychothriller

DIABELLIS INFERNO

Website der Autorin:

www.ingrid-j-poljak.com

ALT BÖSE TOT

Ingrid J. Poljak

© Ingrid J. Poljak 2023

Umschlag, Illustration: © Ingrid J. Poljak 2023

Lektorat, Korrektorat: Hans Peter Röntgen

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland

ISBN

Paperback

978-3-347-87664-4

e-Book

978-3-347-87668-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter:

tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Dies ist ein Roman. Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Ebenso erfunden ist Mellis Altersheim, die Zustände dort sind den Zuständen in tatsächlichen Heimen nachempfunden, jedoch stark karikiert darstellt. Wie es sich eben für eine Satire gehört.

Die Örtlichkeiten in der weiteren Umgebung entsprechen der Wirklichkeit, ebenso der Lainzer Tiergarten samt Hermesvilla und den sonstigen Gebäuden. Das genannte Einkaufszentrum Riverside und die Friedhöfe samt Umgebung gibt es ebenfalls.

Viel Spass beim Lesen!

Für alle Leserinnen und Leser, die einige wenige Ausdrücke im Wiener Dialekt nicht kennen, gibt es am Ende des Buchs ein Glossar.

HANDZEICHNUNG EINER 80-JÄHRIGEN HEIMBEWOHNERIN NACH MELLI POSPISCHILS ANGABEN

Inhalt

Cover

Halbe Titelseite

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01 Dienstag

13:00 h

Melli hatte nie genug Zeit. Zehn Minuten wartete sie jetzt auf diesen Scheiß-Bus, und an der Umsteigstelle würde sich nochmals zehn Minuten warten. Das waren insgesamt 20 Minuten Wartezeit. 20 Minuten vergeudete Zeit. Ja, Zeitvergeudung! Als sie jung war, störte sie diese Zeitverschwendung nicht, da hatte sie noch das ganze Leben vor sich. Aber jetzt war sie 82.

Sie stieg in den Bus.

Der Bus blieb länger in der Station stehen, weil eine Alte aus dem Heim mit ihrem Rollator angetrippelt kam. Sie musste ja unbedingt den Bus erreichen.

Der Fahrer stieg aus und half ihr. Der gute Herr Erdic. Immer hilfsbereit.

Inzwischen fuhr der Gegen-Bus ein. Ein paar vom Heim stiegen aus, darunter der Stinke-Joe. Der arme Erdic! Wenn sie sich vorstellte, was er und seine Kollegen täglich alles aushalten mussten …

Na endlich! Erdic stieg wieder ein und der Bus fuhr ab. Joe verschwand im Eingang zum Heim. Den Göttinnen sei Dank: Sie waren einander nicht begegnet.

Diesmal musste Melli beim Umsteigen nicht lange auf den anderen Bus warten. Zehn Minuten später schritt sie fröhlich durch das Tor. Ihr zweites Paradies. Das erste war immer noch ihre kriminelle Fantasie.

Diese Hermesvilla. Vielleicht sollte sie hier einmal einen richtig makabren Mord geschehen lassen. Leichenteile mussten in den Vitrinen einer Ausstellung verfaulen oder von den Kronleuchtern hängen. Geil! – Ja, geil und grauslich! Genau das musste es sein, wenn man heutzutage Erfolg haben wollte …

Hinter den Nebengebäuden der Villa hielt sie kurz an. Im steinernen Brunnen lagen Münzen, hauptsächlich Fünf-Cent-Stücke. Aberglaube regiert die Welt.

Melli schaute genauer hin: Da lag doch eine Uhr im Wasser, eine Armbanduhr! Sie schob den rechten Ärmel hoch und griff ins Becken. Eiskalt! Sie fischte die Uhr heraus, legt sie auf den Brunnenrand, betrachtete sie. Wassertröpfchen hafteten daran, keine Ablagerungen. Keine grünlichen Algen, wie sie an den Brunnenwänden klebten. Diese Uhr war noch nicht lange im Brunnen gelegen. Sie wischte die Uhr mit einem Papiertaschentuch trocken und inspizierte sie dann genauer. Eine HOREX, sicher sauteuer.

Sie steckte die Uhr ein, lächelte und marschierte weiter. Ob sie die Uhr irgendwo abgeben sollte? Eine Uhr, die jemandem gehörte, der sich auch einen Ersatz dafür leisten konnte. Der nicht arm war wie eine alte Pensionistin, die auch früher kein Vermögen gescheffelt hatte.

Sie stapfte den steilen Waldweg hinauf bis zur Brücke. Von dort nahm sie nicht mehr den Waldweg, sondern wanderte auf der Fahrstraße weiter. Während sie die große Kehre in Richtung Rohrhaus passierte, roch sie das erste Mal Schweine. Wildschweine.

Der Gestank nach Wildschweinen wurde immer intensiver. Ein Grunzen drang an Mellis Ohr. Da erblickte sie auch schon das Vieh. Links von der Straße, auf dem leicht abfallenden Waldboden. Es stand bis zum Bauch im Schlamm, bohrte die Nase in den Grund. Schmatzte und sabberte.

Es hob den Kopf, schaute eine Sekunde lang zu Melli herüber. Sie fasst ihre Walking Sticks fester, bereit sich zu verteidigen, wenn das Schwein angreifen sollte.

Doch es stand wie angewachsen da und rührte sich nicht.

Blöde Sau! – Oder war es ein Eber?

Melli fuchtelte mit den Stöcken in der Luft herum, das Vieh beeindruckte das nicht. Im Gegenteil, es steckte den Rüssel wieder in den Schlamm und wühlte und grunzte. Weit und breit keine Jungen, keine Rotte. War es ein einsamer, alter Eber? Es schnüffelte und zerrte an einem großen Ding herum, das dort im Morast lag.

Melli stakte vorsichtig den leichten Abhang hinunter. Stützte sich auf ihre Stöcke. Sie näherte sich dem Schwein. Ragten da nicht große Zähne seitlich aus dem Maul? Die Hauer eines Keilers?

Ihre Brille lief an. Da trat sie auf etwas Glitschiges, riss die Arme in die Höhe, schwankte, hielt sich gerade noch aufrecht.

Sie selbst stand jetzt im Schlamm, schnaufte. Der Eber warf ihr einen langen Blick zu, dann drehte er sich um und trottete davon. Einfach den Hang hinunter, dem dichteren Wald entgegen.

Den Göttinnen sei Dank!

Froh, dass sie nicht selbst im Schlamm gelandet war, putzte sie die Brille und schnäuzte sich. Während sie das Taschentuch einsteckte, erkannte sie es:

Da lag eine Leiche.

14:00 h

Melli rettete sich auf den festen Waldboden nahe der Straße. Sie nestelte ihr Smartphone aus der Tasche und wählte die Nummer der Polizei. Dann suchte sie sich in der Nähe einen Baumstumpf und wartete.

Dass sie das noch erleben durfte! Eine echte Tote! Echte Polizei würde aufkreuzen! Hoffentlich war es nicht die Leiche einer Frau, die zufällig das Zeitliche gesegnet hatte. Nach einem Herzinfarkt oder einer tödlichen Krankheit. Oder die einem Unfall zum Opfer gefallen war. Hoffentlich war es ein richtiger Mord!

Die Leiche lag 20 Meter von der Straße entfernt, vielleicht 25. Ein Pärchen spazierte vorüber, schaute kurz zu Melli her, winkte, bemerkte aber glücklicherweise nichts von der Toten. Doch was, wenn andere Leute hier auftauchten, die neugieriger waren als diese zwei? Wie sollte sie diese Leute verscheuchen? Schließlich war es IHRE Tote! IHR Mord!

So ein Glück, dass das Schwein verschwunden war.

Aber halt! War nicht Joe vor einer Stunde ins Heim zurückgekehrt? War er nicht mit dem Gegen-Bus angekommen! Er konnte hier gewesen sein, hier im Lainzer Tiergarten. Schließlich kam er öfter her. – Vielleicht war er hier gewesen, hier! Vielleicht hatte er …!

Melli wartete auf die Polizei. Genau wie ihr der Beamte am Telefon geraten hatte. Sie müssten ohnehin bald da sein.

Aber wenn Joe …

Im Augenblick war niemand unterwegs, weder die Polizei noch irgendwelche Ausflügler. Melli stand von ihrem Baumstumpf auf. Sie spähte hinüber zu dieser unförmigen, mit Schlamm bedeckten Leiche. Auf ihre Stöcke gestützt ging sie näher. Woran war die Tote gestorben? Erstochen? Erwürgt? Mit einem Stein auf den Kopf geschlagen? Man konnte doch von der Todesart auf den Täter schließen. Das hatte sie in ihren Romanen geschrieben.

Vorsichtig arbeitete sie sich näher, immer bedacht, dass sie nicht das Gleichgewicht verlor. Sie kam bis auf zwei Meter an die Leiche heran.

Kein Zweifel, es war eine dicke Frau, die da mit dem Gesicht im Schlamm lag. Mellis Nackenhärchen stellten sich auf. Sie zog ihre Jacke fester an sich. Sie hatte Leichen oft beschrieben, aber gesehen? Mit eingezogenem Kopf schaute sie sich um, ob nicht bald die Polizei auftauchte.

Da riss es ihr auf den glitschigen Untergrund einen Fuß weg. Sie ruderte mit den Armen, fuchtelte mit den Stöcken. Landete auf dem Hintern im Laub. Scheiße!

Während sie versuchte aufzustehen, knallten auf der Straße Autotüren. Zwei Polizisten eilten auf sie zu. Der kleinere half ihr auf die Beine, verlor dabei die Kappe. Den anderen riss es beinahe selbst von den Füßen. Zu dritt kämpften sie sich aus der Schlammfalle. Unten im Wald grunzte ein Schwein. Ob es dasselbe war?

Melli stand am sicheren Straßenrand. Die Feuchtigkeit, die sich unter dem Laub verbarg, hatte nicht vor ihrer Hose Halt gemacht. Vermutlich hatte sie am Hintern einen großen dunklen Fleck. Wie peinlich! Sie griff sich an den Hosenboden. Da klebten auch Blätter dran!

Der kleine Polizist setzte seine Kappe auf und rief ihr zu:

„Sie haben uns angerufen, Gnädigste? – Jetzt rennen S’ nicht davon.“

Von Rennen konnte keine Rede sein mit dem Laub, das ihr am Hintern pickte. Außerdem wollte Melli gar nicht davonrennen. Sie hatte die Leiche gefunden, die Polizei sollte sie fragen. Aber die Polizisten waren beschäftigt, rot-weiße Plastikleinen weitläufig um das Schlammloch herum zu spannen.

Jessas! Sie hätte die Leiche fotografieren sollen!

„Wollen S’ net was wissen von mir?“ Sie schaute sich um: Sie war die Einzige, die hier etwas aussagen konnte.

„Gnädigste, Sie müssen auf die Kripo warten. Mir san nur der Streifendienst.“

Ach ja, auch in ihren Romanen dauerte es immer eine Weile, bis die Kommissare und die Kriminaltechniker anrückten. Dabei hätte sie denen schon jetzt einen Tipp geben können.

„Ich bin öfter in der Gegend, wissen S’“, sagte sie. „Man kennt die Leut’, die immer wieder herkommen.“

Sie dachte dabei an den Joe. Der war ja heute hier gewesen. Vor einer Stunde war sie in den Bus gestiegen und er aus dem Bus.

„Ich könnt’ Ihnen a paar Leut nennen, die S’ fragen könnten.“ Nein, nicht verdächtigen, nur fragen. Schließlich konnte es ja ganz anders gewesen sein. Auch in ihren Romanen hatte sie die Leser immer mit Wendungen überraschen müssen.

Die Blätter fielen langsam von ihrem Hosenboden ab, sie half mit den Händen nach. Der Stoff fühlte sich bereits trocken an. Gerade rechtzeitig, denn da kamen schon zwei Autos mit rotierenden Blaulichtern die Straße herauf.

Aus dem ersten Wagen stiegen ein Mann und eine Frau. Der Mann war ein stämmiger, mittelalterlicher Typ mit rundem Gesicht und einer blonden Stoppelglatze. Genau wie der Inspektor aus dem Wiener Tatort. Die Frau etwas jünger und rundlicher. Nicht so, wie Melli bisher ihre Kriminalbeamtinnen beschrieben hatte. Und auch nicht so, wie sie manchmal in den Fernsehserien auftauchten mit ihren kantigen Gesichtern und dem entschlossenen Blick. Die Dame hier schien ein eher gemütlicher Typ zu sein.

Der Mann kam auf sie zu.

„Haben Sie die Tote gefunden?“ Er nahm sich nicht einmal die Mühe zu grüßen. Melli nickte nur. Die Leiche jetzt zu fotografieren, konnte sie sich in die Haare schmieren.

„Haben S’ ihre Daten schon den Kollegen durchgegeben?“

„Wir sind noch nicht lang da, Herr Inspektor.“ Der kleine Polizist hob die Absperrleine und ließ den Herrn Inspektor durchschlüpfen. „Achtung, rutschig“, sagte er, da zog es diesem Griesgram auch schon die Beine weg. Nur mit der Hand landete der Herr Inspektor im Gatsch (*), den Aufsitzer konnte er gerade noch vermeiden. Ziemlich gelenkig für sein Figur. Melli verbiss sich das Grinsen.

Er wischte sich die Hand mit einem Papiertaschentuch ab. „Ihre Daten können S’ der Frau Kollegin sagen.“ Damit entließ er Melli. Auch so ein arrogantes Mannsbild.

Die Kollegin war umso freundlicher. „Inspektor Gitti Sokol.“

„Melanie Pospischil“, sagte Melli. „Zweiundachtzig und drei Monate.“

„Sieht man Ihnen gar nicht an, Frau Pospischil.“

Melli hörte das gern.

„Wohnen tu ich im Pensionistenheim, im Haus Abendrot, nicht weit von hier mit dem Bus, aber mit einmal Umsteigen.“ Sie sagte Adresse, Handy-Nummer und E-MailAdresse dazu und die Beamtin tippte alles in ihr Tablet.

Drüben beugte sich der Griesgram über die Leiche.

„Ist das Ihr Boss?“

„Das ist er. Hier meine Karte und seine.“

Während Melli sich die Namen auf den Visitenkarten einprägte, sagte Frau Inspektor Brigitte Sokol:

„Heute ist er schlecht gelaunt.“ Sie verdrehte kurz die Augen.

Soso, schlecht gelaunt. Jetzt hockte er neben der Toten. Melli stellte sich vor, wie bei Aufstehen seine Knie knackten und er ein zweites Mal das Gleichgewicht verlor, diesmal nachhaltiger. Er würde in der Schweinesuhle landen.

Ihr eigener Hintern fiel ihr ein. Sie brauchte dringend ein Klo.

Als hätte sie ihre Gedanken gehört, sagte diese Sokol: „Wenn Sie nach Hause wollen – Ihre Daten haben wir. Wir rufen Sie an, wenn wir Sie brauchen.“

Melli schaute auf die Uhr. Zur Jause würde sie noch zurechtkommen. Die Sokol winkte ihr zu. Melli packte ihre Stöcke fester und marschierte zurück in Richtung Hermesvilla.

Die Feuchtigkeit an ihrer Hose war nur oberflächlich, Gott sein Dank. Daraufhin gönnte sie sich im Restaurant einen Apfelstrudel. Sie holte ihr Handy hervor und fotografierte den Strudel. Damit sie wenigstens etwas hatte, das sie zuhause herumzeigen konnte. Oder auf Facebook ins Netz stellen. Obwohl sie dieses Protzen mit Essen auf Facebook hasste.

„Haben S’ g’sehen, Herr Franz?“, fragte sie den Ober. „Die Polizei ist vorhin raufgefahren.“

„Ja, bei der Hubertuswarte haben angeblich Jugendliche randaliert.“

Das war ihr neu. Hatten diese Burschen die Uhr in den Brunnen geworfen?

Der Herr Franz wusste also noch nichts von dem Mord. „Haben S’ vielleicht auch den Stink…“ Fast hätte Melli Stinke-Joe gesagt. „… den Joe Müller hier gesehen?“

„Den? Klar hab ich den gesehen, der benützt ja immer unser Klo! Heute schon wieder."

„Wann?“

„So um zwölf herum.“

Das passte. Um eins war er vorm Heim aus dem Bus gestiegen. Melli zahlte und machte sich auf den Weg nach Hause.

Im Bus blieb sie neben dem Fahrersitz stehen. „Hallo, Herr Erdic. Machen S’ heut wieder die PensionistenRunde?“

Er grinste und nickte. Auf dieser Strecke kam er an drei Pensionistenheimen vorbei. Und die Alten suchten oft eine Ansprach’ bei ihm.

Melli überfiel ihn gleich mit der nächsten Frage. „Den Joe Müller haben S’ heut nicht gerochen?“

Erdic lachte. „Mein Kollege hatte das Vergnügen.“

Der Ausflug hatte Melli nichts eingebracht außer einer Leiche, einer feuchten Hose und einer teuren Uhr. Sie musste an dem Fall dranbleiben, aber sie wusste nicht, wie.

16:30

Schon bei der Rezeption kam ihr Olga entgegen. Wie immer mit geblümten Kopftuch und in einem Sack von Kleid, mit Stickerei am oberen Rand. Und mit diesem kläffenden Schoßhündchen.

Vermutlich war Olga unterwegs zur öffentlichen Grünfläche vorm Supermarkt. Dort breitete sie immer eine Gratiszeitung fürs Gackerl aus und setzte ihre Fifi darauf ab. Und nützte die Gelegenheit zu rauchen.

Melli ging in ihr Appartement, wechselte die Jeans und die Unterhose. Dann nestelte sie die Uhr aus ihrem Gürteltäschchen hervor und die beiden Visitenkarten. Sie legte sie vor sich auf den Tisch. Landeskriminalamt Wien Süd stand in fetten Buchstaben darauf, darunter die Namen von Chefinspektor Paul Angermann auf der einen, Inspektor Brigitte Sokol auf der anderen Karte. Die beiden hatten die gleiche Telefonnummer.

Wenn diese Sokol nur anrufen würde. Sie würde ihnen berichten, dass sie oft am Fundort der Leiche vorbeiging. Und dass manchmal alte Leute aus den Heimen dort vorbeispazierten. Zum Beispiel Joe Müller. Dass Joe Müller heute mittags dort unterwegs gewesen war. Ganz sicher. Auch der Herr Franz hatte ihn gesehen.

Joe wohnte im gleichen Stock wie Melli, nur ein paar Zimmer weiter. Sie wusste genau, wann er an ihrer Tür vorbeiging. Sie roch ihn.

Wir rufen Sie an, wenn wir Sie brauchen. Warum rief diese Sokol jetzt nicht an?

Vielleicht sollte sie sich ein paar Notizen machen. Damit sie nicht lange überlegen musste, wenn doch jemand anrief. Sie setzte sich an den Schreibtisch und schaltete den Laptop ein. Tod im LTG nannte sie die Datei. LTG stand für Lainzer Tiergarten. Kaum hatte sie das Datum eingetragen, läutete das Handy.

„Nur du?“

Zum Glück war Elfi schwerhörig. „Buhuu“, sagte sie.

Sie waren Freundinnen seit dem Gymnasium und sie begrüßten einander oft so. Dann kicherten sie immer. Auch diesmal.

„Du trägst jetzt nicht deine Hörgeräte?“

„Die liegen in der Lade. Du musst lauter reden, damit ich dich verstehe.“

„Verschieben wir das auf Abend? Ich hab was Dringendes zu erledigen“

„Okay.“ Manchmal verstand Elfi auch etwas ohne ihre Verstärker. Und sie nützte die Unsicherheit, die dadurch bei ihren Gesprächspartnern entstand, ungeniert aus.

Melli legte auf. Schließlich wartete sie auf einen wichtigen Anruf.

Der kam leider nicht.

Fünf Minuten später wählte sie die Nummer auf den Karten. Sie lauschte.

„Angermann.“

Oje, das klang stressig.

Sie holte Luft. Sie sei die Zeugin, die die Tote gefunden habe … zu mehr kam Melli nicht. Angermann schrie herum, und es klang, als wäre er mit anderen Leuten am Tatort.

„Hallo?“ Diesmal bellte er ins Telefon.

„Soll ich hinkommen?“ Die Idee war gerade in ihr aufgeblitzt.

„Nein. Auf Wiederschauen.“

Zack!

Auch gut. Er wusste noch nicht, wie lästig Melli werden konnte.

Sie schaute nach dem Busfahrplan, der an ihrer Tür hing. Die Abfahrtszeit passte.

Fünf Minuten später sagte sie zum Fahrer: „Noch immer auf der Strecke, Herr Erdic?“

„Heute die letzte Runde.“

Als sie ausstieg, wünschte sie ihm einen schönen Abend.

Um zehn vor sechs passierte sie zum zweiten Mal das Eingangstor zum Tiergarten. Es war taghell und das Tor würde erst um halb neun schließen. Sie marschierte los in Richtung Schweinesuhle. Vielleicht würde sie dort noch auf Polizei stoßen.

Auf der Höhe des Forsthauses kam ihr ein Streifenwagen entgegen. Zwei Polizisten in Uniform saßen drin. Das Geräusch der polizeilichen Autoreifen verebbte langsam hinter ihr.

Ausgerechnet auf dem steilsten Straßenstück vernahm sie andere Geräusche: schnelle Schritte und ein Keuchen. Das Gatter im Weidezaun stand offen, genau dort überholte sie ein Läufer. Während sie durch die Seitentür das riesige Wildgehege betrat, balancierte er übers Viehgitter. Er trug eine dicke Hornbrille und japste und stöhnte.

„Mei’ Frau, mei’ Frau.“ Jedenfalls war es das, was Melli verstand. Sie wollte ihm etwas zurufen, aber auf der jetzt abfallenden Straße beschleunigte er wie ein Rennpferd.

Melli traf ihn wieder bei der scharfen Kurve, wo die Straße ihre tiefste Stelle erreichte. Er saß zusammengekauert auf der Bank, hielt sich die Hände gegen Brust und schnaufte. Ein rotblonder, dünner Mensch mit Sommersprossen, wieder so ein blödes Mannsbild, das sich maßlos überschätzte. Die dünnen, quergelegten Fäden auf seinem Kopf hingen ihm jetzt bis über die Nase.

Melli setzte sich neben ihn, war versucht, ihn anzusprechen. Er starrte sie aus verheulten Augen an. Sie rückte ein paar Handbreit von ihm ab. Vom Wald her schwebte Wildschweingestank.

Melli ahnte Böses.

„Was ist mit Ihrer Frau?“

Er sank noch tiefer in sich zusammen, zog den Rotz auf. „Ich muss hin!“

Ein grauer Kastenwagen rollte die Straße entlang und passierte die Kurve. Das Motorengeräusch schwoll an, weil es von hier an wieder bergauf ging.

Melli lehnte sich zurück. Sie seufzte. „Ist eh schon zu spät.“ Nach ein paar Sekunden wandte sie sich nochmals an den Mann. „Lassen Sie sich Zeit“, sagte sie, stand auf und stapfte los.

Für sie war es nicht zu spät. Einige Beamte standen um die Tote herum. Sie hatten sogar Bretter auf den Boden rund um die Leiche gelegt, damit sie bei ihren Amtshandlungen nicht bis zu den halben Waden im Schlamm versanken. Auch der Herr Chefinspektor handelte noch Amt.

Aus dem Kastenwagen zogen zwei Mann in grauen Arbeitsmänteln den Blechsarg heraus. Sie beachteten sie nicht. Als sie an die Absperrleine herantrat, drehte sich dieser arrogante – wie hieß er bloß? –Angermann um.

„Sie schon wieder?!“

Nicht gerade ein freundlicher Empfang. Melli versuchte es anders.

„Da unten“, sie deutete auf die letzte Kurve der Straße, „da unten kommt grad der Mann der Toten herauf.“

„Na und?“

„Er könnte die Tote identifizieren.“

„Verschwinden Sie.“

Arschloch.

Melli rührte sich nicht von der Stelle, ließ aber die Absperrleine los. Vorsichtig trat sie an den nächsten Baum und hielt sich daran fest. Kein schlechter Aussichtspunkt, von hier hatte sie die Leiche im Blickfeld.

Die Frau lag jetzt mit dem Gesicht nach oben im Schlamm. Ihr praller Bauch überragte den Rest. Die Beamten hatten das Gesicht gereinigt und fotografierten sie. Das hatten sie vermutlich auch schon, als sie auf dem Bauch gelegen war. Der linke Ärmel ihrer Bluse war aufgerissen, der Unterarm voll Schlamm und Blut. Melli nützte die Gelegenheit und fotografierte ebenfalls. So gut sie von weitem konnte.

Kein Anschiss! – Obwohl sie ein „Fotografieren verboten!“ erwartet hatte. Schnell ließ sie das Handy wieder verschwinden. Man ignorierte sie!

Auch der höfliche Herr Angermann hatte aufgehört, sich um sie zu kümmern. Er machte sich wichtig, indem er die Männer mit dem offenen, leeren Blechsarg auf den richtigen Weg über die Bretter dirigierte. Der erste rutschte trotzdem mit einem Fuß ab und trat in den Schlamm. Melli hielt sich an ihrem Baum fest. Außerdem spähte sie nach dem Marathonläufer. Hoffentlich war er tatsächlich der Ehemann, wie sie angekündigt hatte. Leider war der Knabe nirgends zu sehen.

Die grauen Männer packten die Frau an Armen und Beinen und wollten sie in den Sarg heben. Ohne Erfolg. Einer von ihnen, der schon einmal ausgerutscht war, rutsche nochmals aus. Klar, an seinen Sohlen klebte fingerdick der Schlamm. Auf Angermanns Anweisung kam einer der Uniformierten zu Hilfe. Zu dritt hoben sie die Tote in den Sarg. Sie war schon steif wie ein Stock. Und ziemlich gewichtig.

Die Männer legten den Deckel auf den Sarg und trugen ihn zum Leichenwagen. Der Rest der Mannen begann, die Sachen und Utensilien einzusammeln und zu verstauen. Die Alukoffer schnappten zu. Angermann redete mit den Leuten; die Frau Inspektor war nicht mehr da. Schade. Die hätte Melli sicher mehr Dank für die angebotene Hilfe gewusst.

Autotüren knallten. Auch Angermann stapfte hinauf zur Straße.

Das Spektakel war beendet.

18:00 h

Der Kastenwagen stand noch da. Melli gönnte sich eine Schnaufpause.

Plötzlich tauchte der Marathonläufer neben dem Wagen auf. Im Lärm waren weder seine Tritte noch sein Keuchen zu hören gewesen. Jetzt war es ruhig, und die zwei, drei Mann, die einpackten, schauten hin. Er hielt sich an der Bordwand des Leichenwagens aufrecht. Angermann schnauzte ihn an.

Durch die offene Ladetür deutete der Mann auf den Sarg. „I bin der Mann.“ Er schnappte nach Luft. „Der Werner Pichler. Der Mann von ihr.“

„Ach, Sie? Hab ich Ihnen nicht am Telefon gesagt, Sie sollen zu Hause bleiben?!“

Melli ließ ihren Baum los und tappte zum nächsten. Jetzt wurde es spannend.

„Woher wissen S’ denn überhaupt, dass Ihre Frau ausgerechnet hier ermordet worden ist?“

Melli erwischte nur einen dünnen Baum.

„Mei Hendi geht immer da hinauf.“ Pichler schnäuzte sich.

„Aha.“

Endlich ratlos, der Herr Chefinspektor? Die Sekunden, die er nicht reagierte, zogen sich dahin. Melli hätte am liebsten aufgejault.

Werner Pichler trommelte auf das Fußende des Sarges. Angermann regte sich endlich. Er riss Pichler vom Sarg weg. Pichler stürzte, schlug auf dem Straßenbankett auf, krümmte sich auf dem Boden. Da sprang aus einem der Autos ein Mann heraus, einer von denen, die grad wegfahren wollten. Ein hagerer, älterer Mann. Er beugte sich über Pichler, entschuldigte sich, half ihm auf die Beine. Zu Angermann sagte er:

„Bist deppert, Paul?“

Melli wagte sich vor. Bis auch sie neben dem Leichenwagen stand. Parkett, erste Reihe.

Angermanns Blick streifte sie. Er schüttelte sich und brüllte die Umstehenden an. „Nehmt seine Daten auf!“

Damit stieg er in sein Auto und fuhr weg.

Auch der Leichenwagen setzte sich in Bewegung. Allgemeiner Aufbruch, nur Pichler, der alte Samariter und zwei jüngere Beamte blieben zurück.

Melli ging auf den Alten zu. Er erinnerte sie mit seiner ausgemergelten Statur an Stinke-Joe, aber geruchsfrei und 20 Jahre jünger. Sie fand ihn sympathisch.

„Ich bin die Melli Pospischil, ich hab die tote Frau gefunden. Meine Daten hat die Inspektorin, die zu Mittag da war.“

Der Alte wischte gerade dem Pichler das Gesicht ab und zwinkerte ihr zu. „Kein guter Tag heut für den Chef. Hat erfahren, dass sein Freund Lungenkrebs hat. Vom Rauchen.“

Erst als Melli das hörte, bemerkte sie den Geruch in der Luft, der nicht von den Schweinen stammte. „Sie rauchen aber auch.“

„Schon seit fünf Jahren nicht mehr.“

Ja ja, so ein Gestank hielt sich, jahrelang. Ohne dass die Leute selber etwas davon ahnten. Wie bei ihrem Exfreund.

„So“, sagte der Alte und betrachtete den aufgelösten Pichler von der Seite. „Jetzt können S’ mit dem anderen Herrn Inspektor da reden.“ Er winkte einen jungen Mann zu sich.

Inspektor? Der schaute ja aus wie ein halbes Kind. Mit Drei-Tage-Flaum im Gesicht. Der Knabe setzte sich auf einen der herumliegenden Baumstämme und klappte ein Notebook auf. Die Anwesenheit des Alten wirkte beruhigend auf Pichler. Der antwortete stockend auf die Fragen, die das Flaumgesicht stellte. Melli verstand nicht jedes Wort. Sie wollte ihn später selber fragen. Jetzt, wo Angermann sich ihrem Zugriff entzogen hatte. Zugriff. Dieses Wort aus der Polizistensprache gefiel ihr. Sie wartete.

Während die Finger des Flaumigen emsig über die Tastatur tanzten, rang Pichler nach Luft. Seine Augen suchten nach Hilfe. Melli winkte ihm zu. Er hielt inne, schaute herüber und schien verwirrt. Die Hand mit dem Schnäuztuch zuckte, schnell wandte er sich wieder dem Flaumgesicht zu.

Da machte sich der Alte bemerkbar. „Seid ihr bald fertig?“ Der Junge nickte, tippte noch ein paar Mal auf die Tasten und klappte den Laptop zu.

Melli machte sich bereit.

Zugriff.

Der Alte schob sich dazwischen. „Schluss für heute, Adi. Fahrt nach Hause.“ Er berührte Pichler an der Schulter. „Und Sie? Ich kann Sie bis zum Lainzer Tor mitnehmen.“

Langsam dämmerte der Abend herauf.

Und Pichler, das arme Würstchen, sagte nicht nein. Er ließ sich von diesem Samariter, diesem Ex-Raucher, zu dessen Wagen führen. Der half ihm beim Einsteigen.

Die Polizei, dein Freund und Helfer!

02 Mittwoch

08:30 h

Sie saßen beim Frühstück, Melli vor ihrer Schüssel mit Müsli, Joghurt und mitgebrachten Himbeeren, Elfi vor ihrem Teller, angehäuft mit Semmeln, Butter, Käse und Wurst vom Buffet.

„Heut bist aber sparsam“, sagte Melli.

„Wieso?“ Elfi sprach laut. Keine Verstärker in ihren Ohren.

„Nur fünf Radeln Wurst.“ Melli kicherte.

„Du mit deiner Diät …“

Das Ritual wiederholte sich fast jeden Morgen. Heute unterbrach Melli das Spiel: „Ich fahr dann wieder.“

„Schon wieder Lainzer Tiergarten?“

„Ist ja das einzige Stück Grünland in der Gegend, wo man sich als Frau allein noch sicher fühlen kann.“

Elfi räusperte sich und grinste.

Mellis gedämpfte Stimme führte diesmal nicht dazu, dass Elfi noch lauter sprach. „Ich glaub eher“, sagte Elfi und beugte sich vor. „Du bist hinter dem da her.“ Ihre rollenden Augen wiesen zu einem anderen Tisch. Dort stand der Stinke-Joe gerade auf. Der Sessel kratzte auf dem Steinboden.

„Und wenn’s so wäre?“

Beide brachen in Gelächter aus. Über den Fund der Uhr erzählte Melli nichts.

„Ich geh“, sagte sie schließlich und machte sich auf den Weg zum Parkplatz.

Der Täter kehrt immer an den Tatort zurück.

War das nicht eine der Binsenweisheiten, die jeder, der ein Verbrechen aufklären wollte, wissen musste?

Diesmal wartete sie, bis Joe in den Bus gestiegen war. Sie kroch in ihren Fiat-500 und fuhr dem Bus hinterher. Auf dem Parkplatz vorm Tiergarten parkte sie und blieb im Auto sitzen, bis der Bus der anderen Linie in die Endstelle einfuhr. Sie reckte den Hals, aber Joe stieg nicht aus. Ihn würde sie nie übersehen, er war an die eins neunzig. Er ging zwar etwas gebeugt, aber jetzt ging er gar nicht, jedenfalls nicht hier.

Hätte sie den Bus genommen, wäre sie seinem Geruch gefolgt.

Sie packte ihre Stöcke und marschierte durchs Tor. Bei der Hermesvilla war nicht viel los. Sie ging um den ganzen Komplex herum, jetzt langsamer, weil sie hoffte, dass Joe doch noch auftauchen würde. Sie setzte sich auf den Brunnenrand. Dachte an die Uhr.

Ein sauteures Protzstück.

Als sie die Brücke beim Forsthaus erreichte, rollte von oben ein Auto heran. Auf dem Dach ein angedocktes Blaulicht, das aber nicht leuchtete. Drinnen saß der Chefinspektor. Melli hob die Arme, wedelte mit den Stöcken. Wenn er sie wieder anschnauzte, würde sie ihm eine Frechheit sagen.

Der Wagen blieb ein paar Meter vor ihr stehen. Der Inspektor ließ die Seitenscheibe herunter. Er nahm die Sonnenbrille ab und streckte sogar den Kopf heraus. Winkte Melli näher. Heute weniger arrogant?

„Sie haben doch die Tote gefunden …“

Und gestern hatte es ihn nicht interessiert!

„Sind Sie öfter hier?“

„Sehr oft. Warum wollen S’ denn das wissen?“

„Was haben Sie mir denn gestern sagen wollen?“ Oh, scheißfreundlich, aber er wich ihrer Frage aus.

„Das hab ich Ihrer netten Kollegin schon gesagt.“ Sie betonte das nett.

Ganz langsam sagte sie: „Ich hab jemanden gesehen.“ „Aha“, sagte der Inspektor. „Und wen haben S’ gesehen?“

Reiß dich zusammen, Melli, jetzt wird es ernst.

„Und wann und wo?“

„Den Müller. Den aus dem Heim.“

„Wer soll das sein? – Jetzt reden S’ schon.“

Melli schluckte. Sie hatte den Joe ja nicht am Tatort gesehen.

„Er war zu Mittag hier, der Ober in der Hermesvilla hat ihn auch gesehen.“ Mellis Mund trocknete langsam aus. Petz’n! Ihre innere Stimme.

Der Inspektor ließ die Hand aus dem Seitenfenster baumeln. Er blinzelte gegen die Sonne.

„Aha, der Ober,“ sagte er. „Und wer ist der Müller?“

Machte er sich lustig über sie? Und sie war ein paar Sekunden lang der Meinung gewesen, er wäre heute weniger arrogant!

„Wenn Sie’s nicht interessiert, Herr Chefinspektor …“ Aber Melli wusste nicht weiter. Ihre Worte waren ein aufgelegter Elfer für ihn.

Sie wartete, aber er sagte nichts.

Sie beugte sich vor, lehnte sich auf ihre Stöcke, sah einen plattgewalzten Käfer auf der Fahrbahn. Wenn es Angermann interessiert hätte, hätte er jetzt gefragt. Aber er fragte nicht.

Also gut, nichts würde er von ihr erfahren, keinen Tipp, keinen Hinweis, damit er schneller den Täter fassen konnte. Sie würde der Sache selber nachgehen. Wäre doch gelacht, wenn sie den Mörder nicht entlarven könnte.

Sie stampfte mit den Stöcken auf dem Boden auf und wandte sich zum Gehen.

„Hallo, Gnädigste!“

Nein, sie wollte nicht mehr. Sie drehte sich ein letztes Mal um und winkte ihm zu.

Er setzte die Sonnenbrille wieder auf und ließ den Wagen langsam anrollen. Der Kies knirschte unter den Rädern.

„Hallo, Frau Pospischil!“

Ach, jetzt wusste er plötzlich ihren Namen! Hatte er sich doch mit der Frau Inspektor beraten? Über sie gesprochen?

„Ich wollt Ihnen nur sagen“, begann er und beugte sich näher. Streckte die Hand wieder aus dem Wagen. Aber nur, um den Rückspiegel neu einzustellen. Als ob er das nicht auch von innen hätte bewerkstelligen können. „Ich wollte Ihnen nur sagen“, setzte er fort, „dass wir auf den Obduktionsbericht warten.“

„Oh!“ Mehr fiel ihr nicht ein.

Bedeutete das, dass er später auf sie zurückkommen würde, sobald der Bericht da war?

10:30 h

Klar, an den Obduktionsbericht hatte Melli nicht gedacht.

„Sie ist doch erwürgt worden, oder?“ Sie konnte sich selbst nicht erklären, wie sie auf die Vorstellung gekommen war, der Stinke-Joe könnte die Frau nur erwürgt haben. Hatte nicht alles darauf hingedeutet? Melli hatte keine Wunden gesehen außer diesen Abschürfungen am Arm.

Der Chefinspektor saß in seinem Wagen ein paar Schritte vor ihr. Jetzt lächelte er sogar. „Aber es könnte genauso gut ein Unfall gewesen sein.“ Damit wünschte er ihr einen schönen Tag und fuhr davon.

Dieser Falott!

Melli schnaubte.

Er war von oben gekommen, vom Fundort der Leiche. Nur, was hatte er allein und so früh am Tag da oben gesucht? Oder war er gar nicht allein gekommen? Hatte er Kollegen bei der Schweinesuhle abgesetzt? Suchten sie noch nach Spuren?

Die Uhr. Melli tastete nach der Uhr in ihrer Tasche. Wie war diese Uhr in den Brunnen gekommen? Außerdem war es eine Herrenuhr. Der Mörder wird sie kaum der Toten gestohlen und dort versenkt haben. Vielleicht stammte sie vom Mörder selbst. Melli ging am Forsthaus vorbei, bergauf die Straße entlang. Sie passierte den Wildzaun. Das Gatter stand natürlich offen. Ein Chefinspektor war nicht dazu da, ein Gatter hinter sich zu schließen.

Sie suchte nach einer Bank. Die nächste war oben in der Kurve, wo sie diesen armen Pichler getroffen hatte.

Schließlich erreichte sie die Bank.

Die Uhr könnte vom Arm der Toten stammen. Eine HOREX. Diese sauteure Marke. Das bedeutete nicht, dass sie dem Mörder gehört hatte. Oder doch? Aber warum im Brunnen? Wer hatte sie hineingeworfen?

Sie hatte einmal im Film gesehen, wie eine Krähe dem Beobachter die abgelegte Brille stahl und in den nahen Brunnen fallen ließ. Ihre Kraxi kam ja immer nur auf den Balkon, um sich Nüsse zu holen. Vielleicht sollte sie einmal eine Brille hinlegen und schauen, was Kraxi damit machte. Oder eine Uhr? Ein Kaffeelöffel würde genügen.

Trotzdem ihrer Bedenken war sie froh, dass sie das Ding gefunden und der Polizei nichts davon gesagt hatte. Möglicherweise hielt sie einen Trumpf in der Hand.

Sie marschierte weiter. In fünf Minuten brachte sie das steile Stück der Straße hinter sich. Hinter der letzten Kurve leuchteten die Absperrbänder zwischen den Bäumen hervor. Das Schutzzelt war abgebaut, Polizeiautos standen keine in der Nähe.

Aber hinter den Bändern bewegte sich jemand. Ein Mann suchte etwas im Schlamm. Vorsichtig schlich sie näher.

„Hallo!“

Er erschrak, richtete sich plötzlich auf. Schaute herüber. Ruderte mit den Armen. Er hielt sich gerade noch aufrecht.

Pichler!

Melli schlüpfte unter der Absperrleine durch. „Herr Pichler, was machen Sie denn hier?“

Er kam ein paar Schritte näher, schwankend, fasste nach dem nächsten Baum. Ein Schwall Gestanks nach aufgewühlter Suhle stieg ihr in die Nase.

Pichler nickte ihr zu und stotterte: „Nett, Sie zu sehen.“ Steif wie der Baum, an dem er sich festhielt.

„Setz’ ma uns wohin.“ Melli deutete auf den Baumstumpf, auf dem sie gestern gesessen war. Da war Platz für zwei. Sie stakte dorthin.

Er kam nur zögernd nach. Kämpfte unterwegs mit seiner Jacke, nestelte ein Papiertaschentuch hervor. „Darf ich?“

Melli rückte ein wenig zur Seite, und tatsächlich setzte er sich. Er nahm die Hornbrille ab und schnäuzte sich. Stützte dann die Ellbogen auf die Knie und schüttelte den Kopf.

„Ich wollt’ nur sehen, wo sie g’legen ist. Mei Henni.“

Melli spitzte die Ohren. „Ist das der Name Ihrer Frau?“ Am Vortag hatte sie Hendi verstanden.

„Henriette.“ Er schluchzte und wischte sich das Gesicht ab. Der Ärmel seiner Jacke verrutschte. Gab den kurzen Blick auf seinen Unterarm frei. Ein großes Heftpflaster klebte an seinem linken Handgelenk.

Ein Mann unterwegs ohne Uhr? Dafür eine Abschürfung, wo die Uhr fehlte?

Melli tastete in ihre Hosentasche. Sie war noch da.

„Haben Sie vorhin was gesucht?“

Er drehte ihr das Gesicht zu. Schaute sie ratlos an. Er hatte wohl seit gestern nicht aufgehört zu heulen. Aber so waren die Männer nun einmal. Betrogen ihre Frauen und nachher heulten sie Rotz und Wasser. Oder waren es nur die Sommersprossen, die sein geschwollenes Gesicht wie einen Paradeiser ausschauen ließen?

Sie versuchte es mit ihrem sanftesten Tonfall. „Was haben S’ denn vorhin gesucht?“

Er schüttelte den Kopf. „Nichts. Ich wollt nur den Ort sehen. Ihre Spur, ihren Abdruck.“

Fast tat er ihr leid.

Die Uhr? Sollte sie ihm die Uhr zeigen? Irgendetwas musste es doch mit dieser Uhr auf sich haben … eine HOREX. Die bekam man nicht unter zehntausend Euro. Pichler sah nicht danach aus, als hätte er einige tausend Euro für eine Armbanduhr locker gemacht. Absurd.