Am selben Tag, später - Grace Paley - E-Book

Am selben Tag, später E-Book

Grace Paley

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Beschreibung

Im Mittelpunkt von Grace Paleys Storys steht die Stadt New York mit ihren Vororten. Ihr Figurenensemble aus Freundinnen, Liebhabern und Exmännern macht Schulpolitik und geht gegen Krieg, Rassismus und Umweltzerstörung auf die Straße. Männer und Frauen sind älter geworden, treiben neuerdings Yoga, interessieren sich für gesunde Ernährung und unternehmen Exkursionen "kreuz und quer durch die Hälfte der meisten beinahe-sozialistischen Länder", nach China und zurück in die verwahrloste South Bronx. Sie müssen sich abgrenzen von den eigenen Eltern, zugleich aber behaupten gegen die nachrückenden zornig-zynischen Kinder. Dabei reden die Freundinnen über die Liebe unter den veränderten Vorzeichen des Älterwerdens und wie man es aushält, wenn ein Mann sich in eine fiktive Figur verliebt. Bei aller Selbstironie gegenüber den liebenswert verrückten Idealisten von einst sind Paleys Geschichten nie harmlos, sondern handeln von zutiefst menschlichen Themen.

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Seitenzahl: 254

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Inhalt

[Cover]

Titel

Liebe

Träumer in einer toten Sprache

Im Garten

Woanders

Lavinia. Eine alte Geschichte

Freundinnen

Zu jener Zeit oder: Die Geschichte eines Scherzes

Besorgnis

In diesem Land, aber in einer anderen Sprache, weigert sich meine Tante, die Männer zu heiraten, die ihr jeder ans Herz legt

Mutter

Ruthy und Edie

Ein Mann erzählte mir die Geschichte seines Lebens

Der Geschichtenhörer

Dies ist eine Geschichte über meinen Freund George, den Spielzeugerfinder

Zagrowsky erzählt

Der kostspielige Augenblick

Zuhören

Interview mit Grace Paley (1985)

Leben und Werk

Glossar

Autorenporträt

Übersetzerporträt

Über das Buch

Impressum

Liebe

Zuerst schrieb ich dieses Gedicht:

Den Schieferpfad des Collegeparks hinaufspazierend

unterm beinahe vollen Mond   die braunen

                                   Eichenblätter

sind rot wie Ahorn

und ich hab den jungen Leuten zugesehen

sie plaudern und umarmen einander

ihretwegen dachte ich würde ich herabsteigen

in die Erinnerungen an die Liebe also seilte ich

                                   mich ab

Stück für Stück

bis meine Füße die Erde berührten und die Gärten

der Vesey Street

Ich erzählte meinem Mann, dass ich gerade ein Gedicht über die Liebe geschrieben hätte.

Was für eine gute Idee, sagte er.

Dann erzählte er mir von Sally Johnson am Lake Winnipesaukee, die zwölfeinhalb war, als er vierzehn war. Dann erzählte er mir von Rosemarie Johanson am Lake Sunapee. Dann erzählte er mir von Jane Marston von der Concord High, und dann erzählte er mir von Mary Smythe vom Radcliffe College zu der Zeit, als er Dichter in Harvard war. Dann erzählte er mir von zwei berühmten Dichterinnen, eine blond und eine dunkel, beide inzwischen tot, zu der Zeit, als er heimlich dichtete, während er in einem fensterlosen Büro eine passable Stelle hatte. Als er endlich zu meiner Zeit kam – das heißt, zu den letzten fünfzehn Jahren oder so –, erzählte er mir von Dotty Wasserman.

Stopp, sagte ich. Wen meinst du mit Dotty Wasserman? Sie ist eine Figur in einem Buch. Sie ist nicht mal eine Person.

Okay, sagte er. Wieso dann die Vesey Street? Was war da, hm?

Pffh, nichts Besonderes. Eine Zeitlang war ich da verliebt in einen Typen, der Sträucher einkaufte. Als es in der City noch wundervolle Geschäftsviertel gab, war die Vesey Street downtown das Gartenzentrum der Stadt. Ich fuhr da oft die Kleinen spazieren, als sie noch vor sich hin dösende Kinderwagenmäuse waren, und nahm manchmal die Fähre nach Hoboken. Jahre später fuhr ich sonntags mit dem Rad runter und gondelte dann dort durch die Gegend. Wenn’s hochkommt, hab ich ihn dreimal gesehen.

Du meinst es ernst, sagte mein Mann. Wieso weiß ich nichts von dem Kerl?

Mannomann, wie dämlich kann ein Geliebter sein. Es geht hier um dich, sagte ich. Aber egal. Was soll der Unfug mit dir und Dotty Wasserman?

Nicht der Rede wert. Sie war so ein durchgedrehtes junges Ding, das in den Bars rumhing. Trank aber nichts. In Wahrheit ging es um die Männer, weißt du. Und genauso viel trank ich – nicht zu viel, meine ich. Hoffte bloß, ab und zu eine flachlegen zu können, oder einer zu begegnen, in die ich mich wahnsinnig verknallen würde.

Er ist so ein Romantiker. Mitunter frage ich mich, ob mich zu lieben in diesem trauten Leben in mittleren Jahren, mit zwei Paar Schlafzimmerpantoffeln, eins nach Sandalenart für den Sommer und das andere gefüttert mit kuschligem Lammfell – für ihn muss das eine einzige Enttäuschung sein.

Höflich ging er über meine Mutmaßungen hinweg. Jahre später, sagte er, als wir noch alle mit Kommunalpolitik zu tun hatten und ich mit Josephine verheiratet war, da war sie auch eine von diesen komischen Müttern im Park. Dotty und ich waren beide Delegierte bei diesem berühmten National Meeting of Town Meetings in Kansas City. NMTM. Erinnerst du dich? Eine Frau halt.

Nein, sagte ich, stimmt nicht. Sie ist ausgedacht, eine reine Erfindung aus den späten Fünfzigern.

Oh, dann war es später, sagte er. Muss ihr wohl später begegnet sein.

Er kann ganz schön stur sein, also ließ ich das Thema fallen und ging los, um die Einkäufe zu erledigen. Unsere schrumpfende Familie braucht mehr Kaffee, mehr Eier, mehr Käse, weniger Butter, weniger Fleisch, weniger Orangensaft, mehr Grapefruits.

Wie ich so die Straße langging, ohne einem Nachbarn zu begegnen, summte ich ein Trällerliedchen vor mich hin und fuhr fort, mithilfe meines braven Auskundschafterhirns gegen das Verstreichen der Zeit anzurennen. Da war ich, roch wieder die alte Erde der Vesey Street und atmete aufmerksamer ein und aus, als man das sonst am späten Morgen so tut – vermutlich alles wegen der Liebe. Wie seltsam sie doch hin und her gleitet zwischen wahren Gespenstern der Erinnerung und handfesten erfundenen Gestalten. Bei Gott, dachte ich, wer liebt, den gibt es wirklich. Das Herz des Liebenden hat Bestand; von Geburt an wurde einem das weisgemacht.

Ich kam an unserem hiesigen Buchladen vorbei, der gut lief und dessen Wohlstand vor allem auf The Joy of All Sex beruhte. Der Besitzer schenkte mir, einer verlässlichen Käuferin von weniger beworbenen Büchern, ein warmherziges Lächeln. Er hatte großen Erfolg. (Er wusste nicht, dass drei Jahre später seine Miete verdreifacht werden, er ein trauriger Versager sein und der Hauseigentümer, der sich dabei glänzend fühlte, als ein ausgebuffter Unternehmer, Stern am mikroökonomischen Himmel, sich seinerseits sonnen würde in Ruhm und Erfolg.)

Schon aus einem halben Block Entfernung sah ich in der Kiste vorm Gemüseladen den Kohl liegen, die dunklen Blätter funkelnd von Eissplittern. Als bildliche Erwiderung stellte ich mir oben im Norden die Felder meines Mannes vor, den Frost des Spätherbsts auf dem runzligen Grün. Ich fing an, ein neues Gedicht zu murmeln:

In der Kiste vorm Gemüseladen funkelt der Kohl

hoch oben im Norden wächst er

gezuckert mit Frost

dunkel und kraus im Garten voll lohhellem Heu

und zartem weißen Schnee …

Zartes Weiß … gedankenversunken sagte ich das ein paarmal vor mich hin. Auf einmal sahen meine äußeren Augen eine gut aussehende Frau namens Margaret, die seit zwei Jahren kein Wort mit mir geredet hatte. Viele Jahre lang waren wir politisch einer Meinung gewesen, ehe uns Fragen, die die Sowjetunion betrafen, auseinanderbrachten. In den zornerfüllten Monaten, als wir in vielerlei Hinsicht beide recht hatten, zog sie meine beste Freundin Louise, meine lebenslange Park-, PTA- und Antikriegsbewegungsschwester Louise, zu sich in ihr politisches Lager und ihre tägliche Freundschaft.

In einem schemenhaften Wust aus Liebe und grünem Blattgemüse erblickte ich Margarets gutes Gesicht, und bevor ich mich unserer ernsten Differenzen entsann, lächelte ich. Im selben Augenblick erkannte sie mich und lächelte auch. So töricht ist der wahrhaft Liebende, wenn seine Empfindung erwidert wird, dass ich im Vorbeigehen ihre Hand nahm, mich zu ihr hinabbeugte, sie mir an die Wange presste und mit den Lippen berührte.

Beim Abendessen beschrieb ich das alles meinem Mann. Na ja, kein Wunder, sagte er. Verstehst du nicht? Du hast zwar Margaret zugelächelt, vermisst aber in Wirklichkeit vor allem Louise, weshalb der Kuss auch Louise galt. Aha!, machten wir beide. Dann redeten wir über das SALT-Abkommen und wieso dessen Obergrenze eher einer Untergrenze ähnelte, lasen ein Gedicht, das eine seiner Töchter geschrieben hatte, sahen uns eine Fernsehshow über die Zerstörung der europäischen Textilindustrie an und schliefen miteinander.

Weißt du, du bist mir schon so eine Liebende, sagte er am Morgen. Ehrlich, sagte er, das bist du wirklich. Du erinnerst mich in vielem an Dotty Wasserman.

Träumer in einer toten Sprache

Die Alten sind bescheiden, sagte Philip. Der eine will den anderen gar nicht unbedingt überleben.

Klingt geistreich, sagte Faith, aber je länger man drüber nachdenkt, umso weniger steckt dahinter.

Philip ging zu einem anderen Tisch, wo er es auf der Stelle wiederholte. Faith fand ein gewisses Maß an Uneinsichtigkeit an beinahe jedem Liebhaber schön. Also gut, sagte sie, in Ordnung …

Nur, wieso dachten sie überhaupt nach über die Alten und gaben Sprüche über sie zum Besten, wieso taten sie das in der quirligsten Zeit ihres Lebens, in der man vollauf damit beschäftigt ist, aufzustehen und sich wieder hinzulegen?

Weil Faiths Vater, einer der dichtenden Bewohner des Children of Judea, Heim für das Goldene Alter, Zweigstelle Coney Island, wieder mal ein Lied verfasst hatte. Das erstaunte beinahe jeden im Green Coq, jener Spelunke voller Künstler, Unternehmer und arbeitenden Frauen, die sich allesamt selber durch den Kakao zogen. Fast so wie heute entstanden in jenen Jahren erstaunliche Gedichte und rührselige Geschichten schon in der dritten Klasse, streng genommen sogar der ersten, wo die Kinder vieler Trinker und Tratschtanten die eigene Kreativität entdeckten. Aber die Alten! Das ist sehr interessant, sagten einige. Das geht zu weit, sagten andere. Überhaupt nicht, sagten die Unternehmer, passt auf – das ist der neue Trend.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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