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Die beiden jungen Höhlenbewohner Amba und Ombo sprühen vor Entdecker- und Erfindergeist. Durch Viehzucht, Ackerbau, Metall, die Erfindung des Rades und der Schrift wandelt sich das Leben ihrer Sippe, um die allmählich eine dörfliche Gemeinschaft entsteht, wobei auch Eifersucht und Streit nicht fernbleiben. Amba und Ombo folgen ihrer Neugier, um die Welt jenseits ihres Horizonts zu erforschen. Sie schließen Freundschaft mit Fischern, Schafhirten und lassen sich schließlich am großen See nieder, wo sie gemeinsam mit Gleichgesinnten ihre Vorstellungen eines neu geordneten, friedlichen Zusammenlebens verwirklichen wollen. Schritt für Schritt entstehen um sie herum menschliche Siedlungen. Gegen vielfältige Widerstände folgen Amba und Ombo ihrem Traum eines geeinten Friedlands. Amba und Ombo ist eine fiktive und geraffte Abenteuergeschichte menschlicher Zivilisation, die neben den bahnbrechenden Erfindungen vor allem dem Entstehen eines sozialen, moralischen und religiösen Bewusstseins nachspürt.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
AMBA
Und
OMBO
Bernhard pree
RBM Publishing
Amba und Ombo
© 2023 Dr. Bernhard Pree
1. Auflage
Autor: Dr. Bernhard Pree
Umschlaggestaltung: Mag. Christian Stierschneider
Buchsatz: Richard Wagner
ISBN:
978-3-949772-74-0 (Print)
978-3-949772-75-7 (Hardcover)
978-3-949772-76-4 (eBook)
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Cover
Titelblatt
Urheberrechte
VORWORT
1. AUF JAGD
2. AUS DEM BODEN
3. EIN RAD DREHT SICH
4. DER MANN MIT DEN SCHWARZEN HÄNDEN
5. HÄRTER ALS STEIN
6. VERRAT
7. DER ÜBERFALL
8. HINTER DEM HORIZONT
9. AM SEE
10. BEI DEN HIRTEN
11. WÍE DER WÍND
12. IM MORGENGRAUEN
13. RÜCKKEHR UND NEUBEGINN
14. DIE ZWEI DÖRFER AM SEE
15. STREIT UND FRIEDE
16. ZU WEICH, ABER ES GLÄNZT
17. VERBÜNDEN FÜRS LEBEN
18. AMNEBELHORN
19. EIN LEICHTER SIEG
20. ABENTEUER IM WALD
21. FRIEDLAND
22. IM TAL DER FARBEN
23. NELO AUS DER STADT
24. WEISSBURG
25. DIE ALTE GRAUE MUTTER
26. EIN STEINTISCH DES FRIEDENS
27. GLÜCK UND ZWIST
28. INMITTEN DER NACHT
29. DIE ERSTE SCHLACHT
30. GERECHTIGKEIT
31. WETTKÄMPFE DES FRIEDENS
32. HAGAZUSSA
33. NEUE FREUNDSCHAFTEN
34. DER TOD DES ALTEN URLU
35. XACH WESTEN
36. DOLO
37. TÜCKE
38. DIE BEDROHUNG
39. DIE ZWEITE SCHLACHT
40. DER GÄRTNER
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1. AUF JAGD
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40. DER GÄRTNER
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VORWORT
Als unser Sohn Jonathan zu seinem vierten Geburtstag SteinzeitPlaymobil geschenkt bekam, wünschte er sich am Abend eine Geschichte aus dieser Zeit. Auf meine Frage, wer dabei vorkommen solle, meinte er spontan „Amba und Ombo“. So begann unser gemeinsames Abenteuer. Ich liebte es seit jeher, Geschichten zu erzählen und mich in sie hineinzuleben. Mit Amba und Ombo begann eine gemeinsame Reise in eine geraffte und fiktive Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Neben den bahnbrechenden Erfindungen und Entdeckungen waren es vor allem die Fragen des Entstehens eines gesellschaftlichen, moralischen und religiösen Bewusstseins, denen wir nachgingen. Abend für Abend erzählte ich und war stets selbst gespannt darauf zu erfahren, welche Abenteuer unsere Heldinnen und Helden erleben würden. Nach der Geschichte von „Amba und Ombo“ bedurfte es einer Fortsetzung „Benamba und Benombo“, um den Traum von Friedland zu verwirklichen.
Rund zwei Jahre später wollte auch Jonathans jüngere Schwester Johanna in diese Geschichte mitaufgenommen werden. Wiederum einige Jahre später forderten die Kinder, nochmals in die Welt von Amba und Ombo einzutauchen. Diesmal hielt ich, jeweils nach dem Erzählen, die einzelnen, auf Jugendliche angepassten Episoden schriftlich fest.
In einer Zeit, der gegenseitiges Unverständnis, Ausgrenzung und Konflikte nicht fremd sind, ist es ein Geschenk, sich ein letztlich verwirklichtes friedliches Miteinander der Völker zu erträumen und dabei die Hoffnung zu wahren, dass nach vielfältigen schmerzlichen Erfahrungen eine Gewissheit bleibt: „Alles besiegt die Liebe“.
1
AUF JAGD
Ich würde auch gerne einmal mitgehen, wenn die Männer ein Mammut jagen“, verkündete Amba und legte zwei dicke Äste auf die Feuerstelle, sodass die große Höhle jäh in helles Flammenlicht getaucht wurde.
„Stimmt schon“, antwortete Ombo, sein 10-jähriger Cousin, der wie Amba in ein Fell gekleidet mit den anderen Kindern der Sippe die Feuerstelle bewachte.
„Was bildet ihr euch ein? Ich bin um zwei Sommer älter als ihr und komme also vor euch dran“, raunzte ein gedrungener Junge mit pechschwarzen Haaren und einer hervorstechenden Hakennase. Er lehnte gelangweilt in einem dunklen Winkel und blickte verächtlich auf die rund 20 Kinder, die sich um das Feuer gelagert hatten.
„Es kommt nicht nur auf das Alter an Tschet“, entgegnete Inda, ein hübsches Mädchen mit goldbraunem langen Haar, das neben Amba und Ombo saß.
„Klar, dass du dich für deine beiden Helden stark machst“, fauchte Tschet verächtlich. „Ombo ist ja auch der Sohn des Sippenchefs und Amba sein Lieblingscousin. Aber ich und meine kleine Schwester Jela hier stammen auch vom alten Urlu ab und sind mindestens genauso viel Wert wie ihr. Größer und stärker bin ich noch dazu. Du bist überhaupt nur irgendein Findelkind, das wer weiß wo herstammt.“
„Es kommt aber nicht nur auf die Stärke, die Größe oder von wem du abstammst an“, entgegnete Inda giftig. „Du bist nur neidisch, weil Urlu uns gezeigt hat, wie man die Farben für die Bilder an den Wänden hier mischt und nicht dir.“
„Pah, glaubst du, ich würde gerne Beeren, Pflanzen, Fett und Erde und was sonst noch mischen und dann damit die Wände vollschmieren?“, meinte Tschet geringschätzig.
„Nun hör aber auf!“, brauste Inda auf. „Alle finden die Jäger und Tiere hier an den Wänden sehr schön. Und es kostete viel Mühe sie so darzustellen, dass man glaubt, sie würden lebendig sein.“
Viele Kinder gaben ihr murrend recht und schauten Tschet böse an. Ein kleines Mädchen piepste kaum hörbar: „Außerdem war es Inda, die bemerkt hat, dass unsere Tongefäße über dem Feuer hart werden – und, dass sie kein Wasser durchlassen, wenn wir sie mit einer bestimmten Paste vorher einschmieren.“ Tschet wandte sich verächtlich ab, während Inda ihrer Fürsprecherin einen dankbaren Blick zuwarf.
„Ich glaube ich gehe einmal hinaus, um zu sehen, wie weit die Männer mit den Waffen sind. Und außerdem möchte ich wissen, wie groß das Netz, das die Frauen knüpfen, schon geworden ist“ meinte Ombo und erhob sich. „Kommst du mit?“, wandte er sich an seinen Cousin.
Beide verließen die Höhle und traten in die kühle Nachtluft hinaus. Der breite Eingang, der von einer weit vorspringenden Felsenplatte überdacht war, diente auch als Abzug für den Rauch des ständig in der Höhle genährten Feuers. Hinter den Knaben stieg die Felswand rund zehn Manneslängen beinahe senkrecht nach oben. Davor erstreckten sich sanfte, teils bewaldete, teils mit Buschwerk bedeckte Hügel. Nur auf der westlichen Seite lag ein ebener, mit saftigem Gras bewachsener Landstrich, der allerdings ebenfalls in der Ferne von kleinen Hügelkuppen begrenzt wurde. Oberhalb des Höhleneingangs sprudelte eine muntere Quelle aus dem Felsen, die ein natürliches Wasserbecken füllte und sich dann in einem kleinen Bächlein am Felsen entlang in westlicher Richtung verlor. In östlicher Richtung erhoben sich hinter dichten Wäldern bergige Felsformationen, die Amba und Ombo wegen der nächtlichen Dunkelheit jetzt nicht erkennen konnten.
Den Platz vor dem Höhleneingang hatte die Sippe in mühevoller Arbeit gesäubert und eingeebnet. Dort saßen nun rund um ein zweites Feuer die Männer. Sie schärften ihre Waffen, Spieße und Keulen mit kantigen Steinspitzen sowie im Feuer gehärtete Pfeile mit scharfen Stein- und Knochenstücken.
„Ah, kommt ihr, um unsere Waffen zu bewundern?“, dröhnte ein vierschrötiger Kerl mit einem etwas groben Gesicht und schallender Stimme. „Da werden sich die Männer von der Waldhöhle aber anstrengen müssen, wenn sie morgen bei der Jagd mit uns mithalten wollen. Das Netz haben die Frauen auch schon fast fertig. Ich hoffe nur, dass Oskuro Wort hält und die andere Sippe die Fallgrube tief genug gegraben hat. Heute in der Früh sah es noch nicht so gut aus damit.“
„Warum gehst du gemeinsam mit Oskuro auf die Jagd, wenn du ihm nicht so recht traust, Vater?“, erkundigte sich Ombo.
„Weil Ataombo, dein Vater, und seine Männer nicht genug sind, um auf Mammutjagd zu gehen“, beantwortete Urlu, der alte Großvater, Ombos Frage bedächtig. „Es war schon immer so: Zur Mammutjagd müssen sich mehrere Sippen zusammenschließen.“
„Nun gut“, gab Ombo klein bei. „Wir sehen mal nach dem Netz.“
„Passt aber auf, wenn ihr im Dunkeln jetzt zu der Fallgrube geht. Den Weg werdet ihr finden, und die Frauen haben ein helles Feuer brennen. Aber seid auf der Hut vor den wilden Tieren. Ich hörte vorhin einen Säbelzahntiger brüllen. Dem solltet ihr nicht begegnen“, meinte der alte Urlu besorgt. „Es ist erstaunlich, denn früher gab es viel mehr von diesen schlimmsten aller Raubkatzen. Es ist schon lange her, dass ich dieses heisere Brüllen hörte. Aber ich täusche mich nicht.“
Amba und Ombo zuckten mit den Schultern und deuteten auf ihre Speere, die sie geschultert hatten. Dann hielten sie zwei Äste ins Feuer, um genügend Licht für den Weg mitzuhaben, und verschwanden darauf in der Nacht. Der Weg führte sie zunächst durch niedriges Buschwerk, das später durch einen dichten Laubwald abgelöst wurde, durch den die Männer einen gut begehbaren Pfad gebahnt hatten.
„Glaubst Du, dass die Baumgeister es gerne sehen, wenn wir des Nachts ihre Ruhe stören?“, fragte Amba seinen Cousin. Doch die Antwort auf diese Frage, sollte er nicht hören. Gerade in diesem Moment leuchteten zwei grünliche Augen vor ihnen am Wegsaum auf, und es erhob sich ein heiseres Fauchen.
„Ein Säbelzahntiger!“, entfuhr es dem entsetzten Ombo. „Gehn wir vorsichtig zurück!“
Aber es war zu spät. Die riesige Wildkatze hatte sich schon zum Sprung bereit gemacht. Beide Jungen rissen ihre Spieße hoch. Es erfolgte ein heftiger Aufprall, der sie zu Boden schleuderte. Doch hatte eine Steinspitze das Untier genau in den Rachen Getroffen. Es brüllte auf. Rasch war Amba auf den Beinen und stieß seinen brennenden Ast dem Säbelzahntiger ins Auge, während Ombo den abgebrochenen Speer ergriff und dem Tiger eine zweite klaffende Wunde in seinem aufgerissenen Maul zufügte. Amba holte erneut mit dem brennenden Ast aus und traf das noch unverletzte Auge genau. Nun trieb auch Ombo seine Fackel mit aller Kraft in den Schädel des Tiers, sodass sie zersplitterte. Von dem Kampfeslärm alarmiert, stürmten die Männer herbei, allen voran Ataombo. Stumm vor Schrecken, aber stoßförmig atmend, standen Amba und Ombo erstarrt und blickten auf die riesige Wildkatze, die keinen Laut mehr von sich gab. Wortlos bückte sich Ataombo nieder, rammte dem Säbelzahntiger sein Steinmesser ins Herz und erhob sich.
„Seht die beiden Jäger hier!“, rief er dann laut. „Wer einen Säbelzahntiger zur Strecke bringt, ist würdig zu den Jägern zu gehören“, fügte er feierlich hinzu. Es erhob sich zustimmendes Gemurmel.
„Zieht der Bestie das Fell ab, nehmt ihr die Krallen und die Zähne und kommt dann zurück zum Feuer“, befahl der Sippenchef seinen Männern. Erst dann betrachtete er seinen Sohn und seinen Neffen näher.
„Seid ihr auch wirklich nicht verletzt?“, fragte er besorgt.
„Nur ein paar Kratzer“, meinten sie beide, wenn auch noch immer mit zitternden Knien, bevor sie Ataombo in Richtung Höhle folgten.
Der Sieg über den Säbelzahntiger machte großes Aufsehen in der Höhle. Stolz empfingen Amba und Ombo noch am selben Abend je eine Hälfte des weichen Fells und eine Kette, an der jeweils einer der riesigen Säbelzähne baumelte. Mit finsterem Blick verharrte Tschet im Hintergrund, während die anderen Kinder die beiden Helden umringten, die nochmals und nochmals ihre Geschichte erzählen mussten.
„Wahrscheinlich war die Katze schon tot, als ihr hinkamt“, spottete Tschet bösartig, doch niemand achtete auf ihn. Kurze Zeit später kehrten auch die Frauen von ihrer Arbeit an dem großen Netz für die Fallgrube zurück und hörten mit Entsetzen und Staunen, was die beiden Knaben erlebt hatten.
„Schlaft nun auf euren Fellen! Die Kraft des Tigers soll über euch kommen!“, beendete Ataombo schließlich den begeisterten Aufruhr. „Denn morgen müsst ihr bei der Jagd ausgeschlafen sein!“
Und so wurde es langsam still in der Höhle. Vor dem Einschlafen raunte Ombo seinem Cousin noch zu: „Was sagst du – jetzt sind wir Jäger?“ Amba meinte leise: „Aber Glück haben wir schon gehabt – oder waren es die Baumgeister, die auf uns geschaut haben? Ich weiß es nicht.“
Am nächsten Morgen versammelten sich die Männer der beiden Sippen rund um die Fallgrube, um ihre Vorgangsweise abzustimmen. Oskuro, der Chef der Waldhöhle, war ein riesiger Kerl mit einem wilden Gesichtsausdruck. Man sah es ihm an, dass er keinen Widerspruch duldete.
„Nehmt ihr jetzt auch schon Kinder auf die Jagd mit?“, knurrte er und deutete auf Amba und Ombo, die stolz inmitten der Männer Ataombos standen.
„Die beiden haben gestern Nacht einen Säbelzahntiger erlegt und gehören nun zu meinen Jägern“, erklärte Ataombo stolz.
„Kinder sind sie trotzdem!“, versetzte Oskuro verächtlich. „In meiner Sippe gäbe es so etwas nicht. Aber du musst ja wissen, was du tust. Sag mir lieber, wie du dir die Sache vorstellst, damit die Jagd beginnen kann! Außerdem müssen wir nochmals über die Verteilung der Beute reden.“
„Das können wir nach der Jagd noch immer tun, denn die Beute zu verteilen, bevor wir sie erlegt haben, macht doch keinen Sinn“, stellte Ataombo fest. „Wollt ihr hier bei der Grube bleiben oder die Tiere hierher treiben?“
„Ihr könnt das Treiben übernehmen, denn wir sind die besseren Kämpfer!“, meinte Oskuro geringschätzig. „Aber das sage ich dir jetzt schon, dass wir dafür den Hauptteil erhalten werden.“
„Es ist von alters her so, dass gerecht geteilt wird“, versetzte Ataombo. Außerdem haben unsere Frauen das Netz geknüpft und wir haben mit dem Ausheben der Grube begonnen. Also genau halbehalbe! Das war schon so, als unsere Vorfahren noch nicht in Höhlen wohnten, sondern herumzogen.“
„Wie willst du wissen, was von alters her üblich ist?“, fragte Oskuro höhnisch. „Oder sprechen jetzt schon die Toten zu dir?“
„Der alte Urlu sagt es und der weiß solche Sachen immer“, gab Ataombo ungeduldig zurück. „Aber reden wir erst nach getaner Arbeit weiter, denn dann wissen wir mehr.“
Brummend erhob sich Oskuro und begab sich zu seinen Männern. Ataombo führte nun seine Jäger über die Lichtung in die Gegend, wo sich noch gestern eine kleine Herde Mammuts aufgehalten hatte. Auch Amba und Ombo folgten ihm. Dann aber blieb Ombo plötzlich stehen und deutete seitwärts zum Waldrand, wo einige wilde Rinder grasten. Die scheuen Tiere erhoben beim Nahen der Menschen den Kopf und suchten dann rasch das Weite. Nur eine Kuh, die offenbar ein verletztes Bein hatte, vermochte nicht zu fliehen. Zwei junge Kälber standen bei ihr, die die Mutter nicht verlassen wollten.
„Sollten wir die dort nicht auch jagen?“, fragte Ombo seinen Vater. Dieser schaute kurz hin und meinte: „Naja, es sind zwar keine Mammuts, aber Fleisch geben Wildkühe auch – und zwar ein sehr zartes, wenn sie noch so jung sind. Gut, ihr beiden könnt es ja versuchen, aber wir anderen gehen auf Mammutjagd. Es gibt ja kaum mehr welche.“
Vorsichtig näherten sich Amba und Ombo der verletzten Kuh. Diese knickte immer wieder mit einem Bein ein und muhte nervös, als sie die beiden Knaben auf sich zukommen sah. Ombo zog einen Baststrick hervor und schlang ihn ihr rasch um den Hals.
„Sollten wir das Tier nicht gleich hier töten?“, fragte sein Cousin.
„Warum? Wir müssten dann die Körper bis zu unserer Höhle schleppen. Die Kälber werden wohl hinter der Mutter her laufen. Und so ersparen wir uns die ganze Mühe, wenn wir die Kuh dazu bringen, mit uns zu humpeln. Außerdem habe ich da noch eine andere Idee“, sprach Ombo geheimnisvoll.
„Nun gut, so komm braves Mädchen“, meinte Amba und zog gemeinsam mit Ombo am Strick. Langsam ließ sich die ermattete Wildkuh dazu bewegen, den jungen Jägern zu folgen, und die Kälber trotteten unsicher hinterdrein. So erreichten sie nach einer knappen halben Stunde den Platz vor ihrer Höhle, an dessen westlicher Seite frisches grünes Gras wucherte. Erschöpft ließen sich Amba und Ombo in die Wiese sinken und die humpelnde Kuh begann zu grasen. Inda hatte ihr Kommen beobachtet und kam nun zu der kleinen Gruppe gelaufen.
„Was bringt denn ihr da daher?“, erkundigte sie sich. „Schaut, wie nett die Kälber sind. Sie wollen bei der Mutter trinken. Müssen wir die wirklich töten?“
„Natürlich du Heulsuse!“, schaltete sich der eben dazugekommene Tschet ein. „Sollen wir sie etwa durchfüttern?“
„Naja, meinte Ombo, vielleicht lassen sie sich zähmen. Dann könnten wir sie zum Steineschleppen verwenden. Außerdem hat der alte Urlu einmal erzählt, dass man die Milch von Wildkühen trinken kann – oder?“
„Genau!“, rief Inda begeistert „Das können wir ja gleich ausprobieren, denn diese Kuh kann nicht weglaufen.“
Sie kniete sich nieder und versuchte Milch aus einem Euter zu pressen, was ihr schließlich auch gelang. Sie hatte eine kleine Rindenschale dabei, hielt sie darunter und sammelte die Milch darin auf.
„Das schmeckt großartig“, strahlte sie. „Lassen wir die Kuh am Leben, dann haben wir ständig Milch. Und die Kleinen geben ohnehin noch nicht genug Fleisch. Die sollen ruhig noch wachsen. Wir müssen aber eine Begrenzung um diesen Platz herummachen, damit die Tiere wissen, dass sie nicht weglaufen dürfen.“
Amba und Ombo stimmten zu. Tschet aber schimpfte: „Total verrückt seid ihr alle drei. Ihr werdet schon sehen, was die Männer sagen.“
Gegen Mittag kam der alte Urlu zur Höhle und berichtete, dass zwei Mammuts in die Falle gegangen seien. „Für jede Sippe eines“, meinte er. „Aber Oskuro will zumindest die Zähne auch unseres Mammuts. Deshalb streiten sie gerade. Man müsste etwas finden, dass man Dinge, an die man sich erinnert, auch festhalten kann. Damit gäbe es keinen Streit mehr darüber, was früher wie ausgemacht war.“
„Und warum zeichnen wir es nicht ganz einfach auf?“, überlegte Amba.
„Aufzeichnen? Wie meinst du das?“, erkundigte sich der Großvater interessiert.
„Ganz einfach, wie ich es sagte. Wir malen das, was ausgemacht ist in Bildern auf Steinwände mit deinen Farben. Die halten lange – und man kann dann nachschauen, wie was ausgemacht war“, erklärte Amba.
„Man könnte auch ein Zeichen für jeden Laut erfinden“, schlug Ombo begeistert vor. „Für ein A ein Zeichen, für ein I und so weiter. Dann hätten wir eine gezeichnete Sprache, mit der man auch Dinge ausdrücken könnte, die man nicht gut malen kann.“
Der Großvater betrachtete seine beiden Enkel mit wachsendem Interesse und meinte dann: „Darüber reden wir heute noch. Aber warum leben denn die Wildkühe? Getraut ihr euch nicht sie zu töten?“ Die Kinder erzählten dem alten Urlu von ihrer Idee, sie nicht zu schlachten, sondern im Gegenteil zu hüten. Zuerst blickte er etwas verwirrt drein. Dann aber lächelte er und meinte: „So viele gute Einfälle an einem Tag. Das ist ja schon fast zu viel. Ich werde mit eurem Vater sprechen, denn es wird ein wenig dauern, bis er damit einverstanden ist – denke ich mir.“
Gegen Abend kamen schließlich die Männer nach Hause. Sie waren sehr zufrieden. Ataombo strahlte: „Der Bachgeist hat uns recht gegeben. Das Holz, das wir hineinwarfen, schwamm auf unsere Seite. Da konnte auch Oskuro nichts dagegen sagen, auch wenn er sehr wütend war.“
„Ihr habt also den Bachgeist entscheiden lassen?“, erkundigte sich der alte Urlu. „Das war eine kluge Idee von dir, denn sonst hätte es einen Kampf zwischen den Sippen gegeben, und das hilft nun wirklich niemandem.“
Dann nahm er seinen Sohn zur Seite und brachte ihm die Ideen der Kinder näher. Zuerst schüttelte Ataombo ungläubig den Kopf: „Das mit dem Aufschreiben der Sprache verstehe ich nicht ganz, aber ich bin nicht dagegen. Dass wir die Kuh und Kälber leben lassen und sogar noch aufziehen sollen, will nicht in meinen Kopf. Da lachen sie mich ja alle aus.“
„Denk daran, dass sie auch lachten, als Amba und Ombo den Einfall hatten, im Winter Schnee und Eis in die hinterste Höhle zu schaffen, damit unsere Nahrungsmittel auch im Frühling und Sommer gut gekühlt sind. Zuerst hat das keiner verstanden und jetzt sind doch alle froh - oder?“
Ataombo brummte unverständlich in seinen Bart, rief aber dann die restlichen Männer zu sich. Es waren mit Amba und Ombo, die ja nun als Jäger galten, zwölf, die sich um ein Feuer setzten, um das Weitere zu beraten. Danach meinte der alte Urlu zu Amba und Ombo: „Wir hatten Glück, dass uns die Kühe gerade heute zugelaufen sind, denn wenn wir nicht ein Mammut erlegt hätten, würden die Männer nicht so einfach eurer Idee zugestimmt haben. Auch, dass ihr morgen losgeschickt werdet, um zu versuchen, noch andere Wildkühe zu fangen, hätte ich nicht geglaubt, wenn mir das jemand vorher gesagt hätte. Inda ist schon ein schlaues Mädchen, dass sie die Männer die Milch kosten ließ. Aber nun kommt mit! Wir wollen über die Zeichen für die Laute reden.“
Tags darauf fingen Amba und Ombo tatsächlich noch zwei junge Wildkühe und sogar einen kräftigen Jungstier ein. Die Tiere hatten sich teils in Dornen verhangen, teils aber war es dem Einfall von Amba zu verdanken, der von einem Baum aus auf den Rücken des jungen Stieres sprang und ihm ein Fell vor die Augen hielt, sodass der Bulle, völlig überrascht, die Gegenwehr vergaß. Ihn zur Höhle zu schaffen, bedurfte es aber der Mithilfe von Ataombo und Urlu. Mit herumliegenden Steinen hatte die ganze Sippe eine niedrige Mauer rund um den saftigen Grasplatz der Rinder abgezäunt und die Zwischenräume mit Erde ausgestopft. So standen nun schon sechs Wildkühe auf der kleinen Weide. Es wurde den Kindern der Sippe aufgetragen, darauf zu achten, dass die Tiere nicht davon liefen. Von nun an sollten die Bewohner der Höhle stets mit Milch versorgt sein. In kargen Zeiten gäbe es ohnehin noch immer die Möglichkeit, Fleisch aus den Tieren zu gewinnen. Mit den Jahren wuchs die Herde noch um ein Vielfaches an.
2
AUS DEM BODEN
Stellt euch vor“, berichtete Inda begeistert. „Nona hat die Ähren, die ich gestern mitbrachte, zerstampft und mit Wasser gemischt. Dann hat sie noch irgendetwas dazugegeben und über das Feuer gehalten. Es schmeckt gut! Ich soll morgen wieder hin, um noch solche Pflanzen zu bringen.“
„Das ist toll“, strahlte Ombo. „Vielleicht wird unser Essen dann abwechslungsreicher.“
Am nächsten Morgen zog Inda gemeinsam mit Amba und Ombo aus, um noch weitere Ähren zu finden. Sie führte sie an eine höhergelegene Lichtung im Wald, die mit Pflanzen bestanden war, die reiche goldfarbene Ähren trugen. Sie beluden die mitgebrachten Weidenkörbe.
„Wie wachsen eigentlich solche Pflanzen?“, fragte Ombo.
„Urlu nennt es Korn und meint, dass sie aus den Körnern entstehen“, gab Inda zur Antwort. „Schade ist nur, dass wir immer hier her gehen müssen, um etwas davon zu bekommen.“
„Und wie wäre es, wenn die Pflanzen zu uns kommen?“, fragte Amba.
„Das geht aber nicht“, lachte Ombo.
„Warum nicht? Wie wäre es, wenn wir die Körner bei uns in der Wiese neben der Höhle ausstreuen und etwas Erde darauf geben? Könnten sie dann nicht bei uns wachsen?“, gab Amba zurück. „Wie sieht denn hier der Boden aus? Seht, die Erde hier ist dunkel. Aber die Erde auf der Wiese ist das weniger. Außerdem fressen dort ja die Rinder.“
„Ich weiß, wo es so eine Erde gibt“, meinte Ombo. „Dort, wo das dichte Buschwerk ist. Wenn wir das niederbrechen, die Büsche ausreißen, haben wir mehr Platz vor der Höhle und können ja das mit dem Korn versuchen – oder?“
„Schon wieder so eine verrückte Idee“, spottete Tschet am Abend, als die Sippe beim Feuer zusammensaß. „Genau wie vor einigen Tagen, als ihr zwei junge Wölfe in die Höhle mitschlepptet, weil ihr sie friedlich machen wolltet.“
„Die Idee war nicht blöd“, verteidigte sich Ombo. „Wenn wir es geschafft hätten, dass die Wölfe zahm werden, hätten wir jemanden, der uns vor anderen wilden Tieren oder sonstigen Eindringlingen warnt. Aber ihr wolltet sie ja nicht in der Höhle dulden.“
Amba zwinkerte seinem Cousin zu und flüsterte, als Tschet wegschaute: „Wenn der wüsste, dass wir Lup und Po auf der Rückseite des Berges in einer Höhle halten, würde er schön schauen.“
„Also“, erhob Ataombo seine Stimme. „Wie denkt ihr nun über dieses Korn und über den Vorschlag, dass wir eine höhere Mauer vor der Höhle errichten sollen, wie die beiden meinen?“ Dabei deutete er auf Amba und Ombo.
„Dass wir die Büsche wegräumen, macht mir nichts“, meinte Ke, ein kräftiger Jäger und Bruder des Ataombo. „Das ist schnell gemacht. Ob diese Körner dann wachsen, ist mir gleich. Aber eine Mauer zu errichten, wie die beiden es nennen, kostet viel Arbeit und Mühe. Wie sollen wir die Steine herschaffen? Da bin ich dagegen.“ Die meisten anderen schlossen sich Kes Ansicht an. Ataombo wollte nicht gegen die Mehrheit entscheiden, noch dazu wegen so einer Kleinigkeit, wie er fand, und wandte sich daher mit den Worten an die Knaben: „Gut. Wenn ihr einen Weg findet, wie wir die Steine herbeischaffen können, dann reden wir nochmals darüber.“
Enttäuscht zogen sich Amba und Ombo in einen Winkel der Höhle zurück und Inda folgte wieder einmal. „Ich will das grinsende Gesicht von Tschet nicht sehen“, meinte sie. „Da muss ich mich nur ärgern. Es ist schon traurig, dass die anderen Männer den Sinn von einer Mauer nicht verstehen. Bei den Rindern war es zuerst auch so – und jetzt sind sie froh, dass wir sie haben. Aber seht die Sache positiv. Das Aussäen der Kornpflanzen können wir versuchen.“
„Du hast recht, Inda“, blickte Ombo auf. „Außerdem ist noch nicht gesagt, dass uns betreffend die Steine gar nichts einfällt.“
„Es wäre schön, wenn sie gleich oben auf dem Höhlendach herumlägen, denn dann bräuchten wir sie nur herunterrollen lassen. Leider sind die schönsten Brocken hinter den Felsen auf der anderen Seite des Bergrückens zu finden. Und man braucht schon eine Zeit bis man herübergeht. Mit schweren Steinen wohl einen halben Tag oder länger.“
„Was hast du gesagt?“, fuhr Ombo plötzlich hochspringend auf. „Ich glaube, ich habe eine Idee. Aber ich weiß nicht, ob sie auch funktioniert.“
„Was ist es?“, erkundigte sich Inda neugierig.
„Es hat mit dem Rollen zu tun. Das müsste man ausnützen. Aber ich muss noch mehr überlegen, fürchte ich“, antwortete Ombo vor sich hinblickend. „Na, macht nichts. Morgen widmen wir uns dem Roden der Büsche. Alles zu seiner Zeit, wie der alte Urlu immer sagt.“
Am nächsten Tag versammelten sich alle Sippenangehörigen, um die Büsche auszureißen, die nicht weit vom Höhleneingang wucherten. „Dieses trockene Zeug zerkratzt einem alles!“, schimpfte Jela, Tschets jüngere Schwester.
„Das verdankst du den tollen Einfällen der beiden da“, maulte nun auch Ke, ihr Vater, der sich an einem Dorngesträuch aufgerissen hatte.
Da sprang Amba auf und rief plötzlich: „Halt! Alles aufhören mit dem Ausreißen!“
„Und warum jetzt das“, giftete Tschet säuerlich. „Hat unser Wunderdenker wieder eine noch bessere Idee? Das nächste Mal bitte bevor ich mir die Haut vom Fleisch reiße oder reicht es dir selbst auch schon?“
„Nein, pass auf und geh zurück!“, sprach Amba, nahm eine Fackel und hielt sie an die Dornen. Es begann zu knistern und rasch sprang eine hohe Flamme aus dem Busch. „Der Wald wird nicht brennen, das Gras auch nicht; die sind zu feucht, aber die Büsche schon. Bringt aber jedenfalls Wasser her, damit wir löschen können, wenn das Feuer zu weit geht!“
Zunächst waren alle erschrocken, aber dann liefen sie zum Wasserbecken neben dem Höhleneingang, das bis oben gefüllt war. Sie schöpften Wasser in lederne Beutel und warteten ab. Es dauerte auch gar nicht lange – und die vorhin dicht bestandene Fläche lag voll Asche vor ihnen, aus der hie und da noch kleinere Brandherde glommen.
„Du hast Glück gehabt“, stellte der alte Urlu fest. „Das hätte auch ganz anders ausgehen können. Ich weiß nicht warum, aber die Geister sind mit euch.“
„Ja, es scheint so. Mir kamen auch Bedenken, als ich den Busch angesteckt hatte“, grinste Amba. „Aber oft fällt einem etwas ein, wenn man sich über jemanden ärgert.“
„Und was tun wir, wenn das Feuer aus ist?“, wollte Inda wissen.
„Dann drehen wir die Erde um, damit die Asche nach unten kommt, reißen die Wurzeln aus – ja, und dann streuen wir die Körner hin“, antwortete Ombo wie von selbst.
„Wir sollten dabei aber schöne gerade Reihen anlegen“, meinte Inda. „Dann tun wir uns bei der Ernte leichter. Außerdem habe diesmal ich mir etwas überlegt. Unsere Werkzeuge passen für die Feldarbeit nicht so recht. Schaut, was ich hier habe.“ Sie hatte aus kleinen Holzstücken ein Ding gebastelt, das eine Stange und daran breite Zacken aufwies.
Amba und Ombo betrachteten erstaunt das Ding und Ombo schüttelte den Kopf: „Mit dem Winzling kann man aber nicht viel anfangen.“
„Das weiß ich auch. Das ist ja nur ein Modell für ein großes Gerät, das wir Pflug nennen könnten. Es sollte uns in die Lage versetzen, gerade Furchen in den Boden zu ziehen, in die wir dann die Körner werfen“, gab Inda Bescheid. „Übrigens habe ich mir überlegt, dass wir auch Beerensträucher und noch andere Pflanzen, die man essen kann, direkt hier bei uns ansiedeln könnten. Wir würden uns eine Menge Zeit und Mühe sparen, weil wir sie dann nicht mehr suchen müssten.“
Und so geschah es. Die Menschen hatten den Ackerbau entdeckt und staunten Monate später über die reiche Ernte. Einen Teil der Körner brachten sie wieder auf dem Feld aus. Der andere wurde trocken und kühl gelagert. In der kalten Jahreszeit hatten sie so genügend Mehl für Brot, das sie in Fladen buken.
3
EIN RAD DREHT SICH
An einem kühlen Herbstmorgen saß Ombo konzentriert vor der Höhle und zeichnete mit einem Holzstab Linien und Kreise in den sandigen Boden.
„So müsste es gehen“, meinte er schließlich und trat zurück. Er nahm einen zweiten kürzeren Stab und verband die beiden Hölzer durch eine Bastschnur. Dann steckte er den längeren Stab in den Boden, spannte die Schnur und zog einen Kreis mit dem kürzeren Holz. „Jetzt ist es wirklich ganz rund“, stellte er befriedigt fest. „Und die Mitte haben wir auch gleich.“
„Was ist ganz rund?“, fragte Inda interessiert und blickte von ihrer Arbeit auf. Sie war gerade dabei, Fellstücke mit knöchernen Nadeln und Sehnen zusammenzunähen.
„Das Rad, über das ich schon seit Monaten nachdenke“, erklärte Ombo bereitwillig. Es rollt. Wenn du zwei hast und sie durch eine Stange verbindest und dann noch einmal zwei, kannst du Bretter darauf legen und etwas leicht befördern; Steine zum Beispiel. Wir könnten dieses Gefährt einen Wagen nennen.“
„Was erzählst du da von einem Gefährt, mein Sohn?“, schaltete sich der eben hinzutretende Ataombo ein.
„Ich glaube, wir haben jetzt die Möglichkeit, schwere Dinge von einem Ort zum anderen zu schaffen – oder gar uns selbst“, meinte Ombo. Und er erklärte den Umstehenden, wie er sich einen Wagen vorstellte, der von Rindern gezogen werden könnte.
„Du hast nur eines vergessen, Cousin“, betrachtete Tschet die Zeichnung mitleidig. „So rundes Holz und so gerade Stangen gibt es nicht. Wie willst du überhaupt wissen, was ganz gerade ist und was ganz rund ist?“
„Das mit dem Rund ist kein Problem. Wir nehmen Holzscheiben und bearbeiten sie so lange, bis sie genau so groß sind, wie mein Kreis hier. Dann bohren wir in die Mitte ein Loch. Das einzige, von dem ich weiß, dass es in der Natur völlig gerade ist, ist die Wasseroberfläche. Wir bearbeiten einen Holzstab so lange, bis er uns gerade scheint. Dann halten wir ihn an die Wasseroberfläche. Da müssten wir eigentlich erkennen, wenn noch irgendwelche Unebenheiten vorhanden sind“, gab Ombo zurück.
„Ja, ja, träume nur immer so weiter“, ätzte Tschet und fügte nach kurzem Überlegen noch hinzu: „Wenn sich die geraden Stäbe drehen, dann rutschen die Bretter, die du drauf befestigen willst, einfach zu Boden.“
„Nicht, wenn wir Klammern verwenden, die ein Drehen der Stangen ermöglichen“, erklärte Ombo.
Mit Hilfe des alten Urlu hobelten, maßen und fixierten die jungen Erfinder mehrere Wochen über an geeignet scheinenden Hölzern. Und siehe da, noch vor der Wintersonnenwende stand ein – wenn auch gebrechliches – Fahrzeug in der Höhle, das von allen bestaunt wurde.
„Nur zu dumm, dass jetzt Schnee draußen liegt“, stellte Ke hämisch fest. „Da nützt uns der Wagen, wie ihr das Ding da nennt, gar nichts.“
„Jetzt nicht, aber im Frühling“, gab Ombo selbstsicher zurück. „Jetzt brauchen wir einen Schlitten.“
„Einen was?“, glotzte Ke verständnislos.
„Einen Schlitten. Du nimmst zwei vorne nach oben gebogene Hölzer, verbindest sie mit Verstrebungen und spannst ein Fell darüber. Ganz einfach eigentlich, denn auf dem Schnee gleitet so ein Schlitten mühelos dahin, weil er nicht einsinkt“, verblüffte Ombo den erstaunten Onkel. Ke wandte sich wortlos ab.
Es war noch im Winter, da meinte Ataombo besorgt: „Die wilden Tiere werden immer dreister. Sie kommen der Höhle Tag für Tag näher, besonders in der Nacht. Aber wir können ja nicht die ganze Zeit wachen, um die Rinder zu schützen.“
„Wir nicht, aber Lup und Po können das“, strahlte Inda den Sippenchef an.
„Wer sind Lup und Po?“, wollte der erstaunte Ataombo wissen. „Kannst du dich noch an die Wolfsbabys erinnern, die wir nicht mit in die Höhle bringen durften?“, fragte Inda. „Sie sind gewachsen und zahm. Sie können für uns aufpassen, damit kein wildes Tier ungesehen und ungehört in die Höhle mit den Rindern hineinschleicht.“
„Ihr tut wohl immer das, was ich euch sage?“, seufzte Ataombo. „Aber, wenn die zwei Wölfe wirklich zahm sind, dann wollen wir es mit ihnen versuchen.“
„Seht ihr – ist doch ganz leicht gegangen“, raunte Inda Amba und Ombo zu.
„Ja, du schaffst es immer, meinen Vater umzustimmen“, lächelte Ombo. „Er kann dir nichts abschlagen.“
„Mit seinem Sohn habe ich weniger Glück“, lachte Inda. „Oder bist du schon dazu bereit, die Schatten zu messen?“
„Ich verstehe nicht, was das bringen soll“, stöhnte Ombo.
„Wenn wir die Länge der Schatten messen, wissen wir, wann die Sonne wieder zu steigen beginnt. Es ist doch jedes Mal dasselbe. Steht sie tief, sind die Schatten lang, steigt sie höher, werden die Schatten kürzer. Wenn wir eine Regelmäßigkeit herausfänden, könnten wir im Vorhinein wissen, wann die kalten und die warmen Zeiten wechseln werden. Wir wüssten auch dann besser, wann wir säen und ernten können“, beharrte Inda.
„Nun gut, du gibst ja ohnehin keine Ruhe mehr. Morgen beginnen wir. Wir stecken eine lange Stange in den Boden und messen immer die Länge des Schattens, wenn die Sonne am höchsten steht. Zufrieden?“ „Voll und ganz“, lächelte Inda mit einem treuherzigen Augenaufs chlag.
Als nun der Frühling kam, sah man die Höhlenbewohner fleißig bei der Arbeit. Sie bereiteten den Boden für die Aussaat. Täglich aber fuhren einige Männer mit dem Wagen, vor den eine Kuh gespannt war, auf die andere Seite des Felsrückens und holten Steine, die – unter der Anweisung Ambas und Ombos – zu einer festen Mauer rund um den weiten Platz vor der Höhle aufgetürmt wurden. Es war eine mühevolle Arbeit, weil das Gefährt nur wenige Steine trug. Wenn der Wagen zu schwer beladen war, kam es vor, dass eine Achse brach, die dann wieder ersetzt werden musste.
„Toll wäre es, wenn wir etwas härteres als Holz hätten“, stöhnte Ombo und kroch unter dem reparierten Gefährt hervor. „Aber ich wüsste nicht, was wir ansonsten verwenden könnten.“
„Irgendwann werden wir schon etwas finden“, meinte Amba. „Es braucht einfach Zeit und vielleicht hilft uns ja der Zufall.“
Bis zum Sommer war die Mauer auf Manneshöhe angewachsen und umschloss nun beinahe vollständig die Kuhweide und sogar das Kornfeld. Nur gegenüber dem Höhleneingang war ein breiter Einlass freigelassen worden, der des Nachts mit gekreuzten Balken blockiert werden konnte.
4
DER MANN MIT DEN SCHWARZEN HÄNDEN
Eines Tages erschien Oskuro mit einigen Männern vor der Mauer und traute seinen Augen nicht. „Was ist denn hier geschehen?“, fragte er mit neidvollem Blick. „Seid ihr noch Jäger oder habt ihr mit dem Jagen aufgehört? Ich glaube es ja nicht – da stehen Rinder auf der Wiese und keiner erlegt sie.“
Stolz wies Ataombo mit dem Arm um sich und meinte: „Natürlich gehen wir auch noch jagen, aber wir leben nicht mehr nur davon. Wir haben Rinder, die uns Milch, Fleisch und Häute geben, Korn und Früchte und leben noch dazu jetzt sicherer hinter dieser Mauer. Ich würde euch vorschlagen, Ähnliches zu machen, denn das Leben wird so leichter. Mammuts haben wir schon seit dem letzten Sommer nicht mehr gesichtet. Die Säbelzahntiger bleiben sowieso aus. Ich weiß nicht warum, aber ich denke, die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen.“ „Alles Blödsinn!“, schimpfte Oskuro. „Wir bleiben Jäger. Wir wollten euch eigentlich nur fragen, ob ihr auf Mammutsuche mitkommt, aber das scheint euch ja nicht mehr zu interessieren!“
„Warte noch ein wenig, Chef“, meinte ein beinahe ebenso großer junger Mann, der aus irgendwelchen Gründen ganz schwarze Hände hatte. „Ich finde das hier alles sehr bemerkenswert.“
„Du schon wieder, Angar!“, bellte Oskuro „Hier braucht dich nichts zu interessieren, außer das, was ich sage!“
„Ja, aber Ataombo hat recht. Es ist doch gut, wenn man auch andere Wege beschreitet, als nur immer zu jagen“, entgegnete der Gemaßregelte trotzig.
„Vielleicht sollen wir wie du in der Erde wühlen und nach deiner Kohle, wie du das Zeug nennst, suchen. Seht ihn euch an! Seine Hände sind noch immer schwarz“, verlachte der Häuptling der Waldhöhle seinen aufmüpfigen Jäger.
„Was ist Kohle?“, erkundigte sich Ombo interessiert.
„Du weißt doch wie Holz aussieht bevor es zu Asche zerfällt. Es schrumpelt zusammen und wird koksig. Zufällig, als ich ein Loch für unsere Vorräte im Wald graben wollte, fand ich unter der Erde eine Schicht von so ähnlichem Zeug. Weil ich nichts Besseres zu tun hatte, versuchte ich es anzuzünden. Es gibt viel mehr Hitze als Holz und glüht unglaublich lange“, berichtete der Gefragte. „Aber Oskuro hat mir verboten, die Kohle in die Waldhöhle zu bringen. Dort drüben im Wald auf dem Weg zu euch habe ich übrigens auch so eine Kohle gefunden. Darum sind meine Hände schwarz. Das ist alles.“
„Schluss jetzt!“, befahl Oskuro ungeduldig. „Wer wird sich denn so einen Blödsinn anhören? Ihr seht ja, dass wir hier vergebens nachfragen. So gehen wir halt zu der Sippe, die im Osten von hier in den Bergen wohnt. Auf jetzt – kommt!“
Mit einem bedauernden Blick folgte Angar seinem Häuptling, winkte aber verstohlen zum Abschied.
„Jetzt hat uns dieser Angar nicht mehr erzählt, wo er die Kohle gefunden hat“, bedauerte Ombo.
„Ja, ja, es ist schon schade, dass Oskuro nicht einsehen will, dass etwas Neues zu versuchen gut ist“, sprach der alte Urlu. „Es wird noch die Zeit kommen, da wir Probleme mit ihm haben werden.“
Die Sonnenwende war schon lange vorüber, die Ernte eingebracht, da fegten eines Nachts Sturm und Regengüsse über das Land. Am Morgen danach besichtigte die versammelte Sippe den Schaden, der entstanden war.
„Wir hatten Glück“, stellte Ataombo fest. „Nur an einigen Stellen hat die Mauer nicht gehalten. Gut, dass die Ernte schon vorüber ist und dass wir die Rinder noch rechtzeitig in die Höhle bringen konnten.“ „Ich möchte wissen, wie es auf der anderen Seite des Berges aussieht“, meinte Inda. „Wahrscheinlich kam das entsetzliche Donnern heute in der Nacht von da drüben.“
„Ja, lasst uns nachsehen“, stimmte Ombo zu. „Es klang ja, als ob der Berg auseinanderbrechen würde.“
Es waren vor allem Kinder, die sich auf den Weg zur Rückseite ihres Berges machten. Auf der anderen Seite angelangt, staunten sie nicht schlecht.
„Seht, ein ganzes Stück Felsen ist samt den darauf befindlichen Bäumen abgebrochen. Überall liegen Steinbrocken herum“, deutete Amba auf eine bizarr zerklüftete Felswand.
„Was der Stein dort für eine komische Farbe hat“, bemerkte Jela. „Rot, braun und blau – das gefällt mir.“
„Und was sollen wir damit anfangen?“, fragte ihr Bruder Tschet herablassend.
„Ich weiß es nicht, aber die Farben gefallen mir“, gab Jela kleinlaut zurück.
„Du hast recht“, meinte Inda. „Schau einige dieser bunten Steine liegen direkt hier vor unseren Füßen. Nehmen wir uns die färbigsten mit. In der Höhle werden sie sich sicher gut machen.“
Ombo betrachtete nachdenklich einen tief roten Stein und überlegte: „Es sieht so aus, als wenn in dem Stein noch etwas anderes drinnen ist, das gar nicht dort hingehört, wie ein Bach, der durch den Felsen geflossen ist und ihn rot gefärbt hat. Man sieht es auch dort an der Felswand, seht die Streifen.“
„Nun gut, sammeln wir einige Steine ein – oder?“, schlug Amba vor. „Und gehen wir wieder zurück. Jetzt wissen wir, dass der Sturm wirklich den Felsen zerrissen hat.“
Es war Mittag, als die kleine Schar wieder vor der Mauer anlangte. Die beiden gezähmten Wölfe Lup und Po, die wie üblich beim Zugangsweg wachten, bellten plötzlich zornig auf.
„Was können sie nur haben?“, fragte Inda. „Sind wilde Tiere in der Nähe?“
In diesem Moment hörten sie jemanden durch den östlich gelegenen Wald auf sich zustürmen. Die Zweige und Äste des Unterholzes brachen und ein Mann rannte in vollem Lauf auf den Eingang der Mauer zu.
„Das ist doch dieser Angar – seht, er ist verletzt und blutet am Kopf!“, rief Inda erschrocken aus.
Ja, es war wirklich der Mann mit den schwarzen Händen, der auf sie zu rannte. An der Stirn hatte er eine klaffende Wunde, sodass ihm das Blut über die Augen auf Mund und Nase rann. Mit anscheinend letzter Kraft hetzte er durch den Zugang und ließ sich dann erschöpft zu Boden sinken.
„Sie sind hinter mir her!“, brachte er stockend hervor.
„Hol bitte meinen Vater, Inda. Wir anderen verrammeln den Zugang!“, ordnete Ombo rasch an. „Und jemand muss sich um die Wunde kümmern.“ Erst dann wandte er sich wieder fragend an Angar: „Wer verfolgt dich? Was ist geschehen“
„Oskuro und die anderen! Es gab Streit – ich musste fliehen!“, keuchte der noch immer im Gras Liegende.
Raschen Schrittes eilte Ataombo, gefolgt von Inda und einigen Höhlenbewohnern, herbei. Gleichzeitig stürmten aber auch mehrere Männer aus dem Wald, an ihrer Spitze Oskuro. Dieser tobte vor Zorn. Auch er schien verletzt zu sein, denn Blut sickerte unter seinem Fell hervor und rann über seinen nackten Oberarm.
„Wo ist der Kerl? Gebt ihn mir! Er hat mich, seinen Chef, geschlagen und beleidigt. Das schreit nach Blut!“, rief er schon von weitem. Als er aber den Mauerdurchgang versperrt vorfand, hielt er verblüfft an und brüllte: „Was soll das? Lasst mich sofort durch – da liegt ja der Kerl!“
„Jetzt beruhige dich erstmal“, versuchte es Ataombo gemäßigt. „Angar ist verletzt und muss versorgt werden. So wütend, wie du jetzt bist, darf ich dich nicht zu ihm lassen. Als Chef der Felshöhle dulde ich keinen Kampf innerhalb der Mauer.“
„Angar geht dich nichts an – er ist mein Mann! “, brüllte Oskuro in ungemindertem Ton.
„Er hat Schutz hinter unserer Mauer gesucht – und darum geht er mich sehr wohl etwas an!“, versetzte Ataombo nachdrücklich. „Warum kam es denn zu dem Streit?“
„Der Kerl hat mir den Gehorsam verweigert. Er hat eine Wildkuh nicht getötet, weil er sie mit zur Waldhöhle schleppen wollte, um so wie ihr zahme Schoßtiere zu haben. Als ich ihn deswegen züchtigte, wurde er ungehalten und lief weg“, berichtete der Häuptling der Waldhöhle noch immer grollend.
„Was heißt gezüchtigt?“, erkundigte sich Ataombo ernst.
„Ich habe ihm nur ein paar mit dem Riemen übergezogen. Das ist bei uns so Sitte“, gab Oskuro kalt zurück.
„Das hätte ich mir auch nicht gefallen lassen“, stellte Ataombo klar.
„Pah, um das geht es gar nicht. Wir verfolgten ihn also und es gelang mir schließlich ihn einzuholen. Ich gab ihm eins mit dem Faustkeil auf den Kopf, aber er wehrte sich und stach mir mit seinem Steinmesser in die Schulter. Das schreit nach Blut!“, fuhr Oskuro fort. „Also gebt ihn heraus und dann ist die Sache erledigt.
„Für mich nicht – wir werden darüber beraten, was zu tun ist. Wartet hier, bis wir euch Antwort geben“, entschied Ataombo.
„Beraten? Was soll das heißen? Wenn ihr Angar nicht bis zum Abend herausgebt, bedeutet das Feindschaft zwischen uns!“, polterte Oskuro und erhielt dafür Zustimmung von den drei Kerlen, die ihn begleiteten.
Von einigen Frauen wurde Angars Kopfwunde ausgewaschen und mit einem Huflattichverband versorgt. Dann wurde er in die Höhle geführt, wo er sich auf Fellen niederließ. Inzwischen hatte Ataombo die Jäger der Sippe zusammengerufen und setzte sich mit ihnen im Kreis um ein Feuer. Er begann die Unterredung mit den Worten: „Also, was sagt ihr? Sollen wir Angar ausliefern oder ihn vor der Rache Oskuros schützen?“
„Was geht uns dieser Angar an?“, fragte Ke. „Geben wir ihn heraus, dann haben wir Ruhe. Was sollten wir auch sonst mit ihm anfangen?“
In das darauf folgende Schweigen sprach der alte Urlu: „Es stimmt schon, er gehört nicht zu uns. Aber er ist zu uns gekommen, um Hilfe zu erhalten. Das dürfen wir nicht übersehen.“
„Wie wäre es, wenn wir Angar in unsere Sippe aufnehmen?“, bemerkte Amba. „Oskuro will ihn ohnehin nur umbringen. Bei uns könnte er eine gute Arbeitskraft sein.“
„Ja, außerdem möchte ich mehr über die Kohle wissen“, stellte Ombo fest. „Oskuro sucht nur einen Grund, um nicht mit uns in Frieden leben zu müssen. Nehmen wir Angar auf – ich bin dafür.“
„In die Sippe aufnehmen geht nicht so einfach“, meinte Ataombo. „Außerdem wissen wir ja gar nicht, was Angar selbst will.“
„Dann fragen wir ihn einfach“, schlug Ombo vor.
„Fragen, ja, ja, das könnten wir tun“, überlegte Ataombo. Dann erhob er sich und trat hinüber zu Angars Lager. Bevor er diesen ansprechen konnte, meldete sich der Verwundete mit den Worten: „Ich würde gerne zu eurer Sippe gehören. Ich bin stark und kann alles arbeiten, was ihr wollt. Hauptsache ich bin diesen Tyrannen los – bitte nehmt mich auf.“
Ataombo kratzte sich am Bart und sagte: „Nun gut – wir wollen abstimmen. Weil das aber wichtig ist, schreib das Ergebnis auf unsere Felswand, Ombo.“
„Ja, Vater“, erhob sich dieser zustimmend.
Es waren dreizehn Jäger, denn seit einigen Wochen durfte sich auch Tschet zu ihnen zählen.
„Wer findet, dass wir Angar ausliefern sollten?“, eröffnete Ataombo die Abstimmung. Nur zwei Hände fuhren in die Höhe; die von Tschet und seinem Vater Ke.
„Schreib zwei Hände, Ombo!“, ordnete der Vater an. „Und wer ist dafür, dass wir ihn in den Stamm aufnehmen?“
Er selbst, Urlu, Amba, Ombo und noch fünf weitere hoben die Hände. „Wie ist es mit euch beiden, die ihr überhaupt nicht die Hand gehoben habt?“, wandte er sich an zwei seiner Männer.
„Es spricht etwas dafür und etwas dagegen, dass wir Angar aufnehmen, darum möchte ich gar nichts sagen“, meinte der eine Gefragte und erhielt ein zustimmendes Nicken von dem Zweiten. „Geht das überhaupt – gar nicht abzustimmen?“, fragte Ataombo. „Natürlich – diese Stimmen zählen weder für noch gegen die Vorschläge und werden nicht mitgezählt“, schlug der alte Urlu vor.
„Also, dann steht es 9:2 und Angar gehört ab heute zu uns. Oskuro wird toben. Nehmt lieber eure Waffen mit, aber so, dass er sie nicht sieht!“, befahl der Sippenchef. Die Männer folgten ihm geschlossen aus der Höhle hin zum Mauereingang, wo Oskuro und seine finsteren Kerle ungeduldig warteten.
„Na, das hat ja lange gedauert“, bellte der Chef der Waldhöhle, als ihm Ataombo gegenüber trat. „Wo ist Angar? Ihr schafft ihn doch her – oder?“
„Nein!“, sagte Ataombo mit fester Stimme. „Wir haben Angar auf seinen Wunsch hin in unsere Sippe aufgenommen. Wir wollen aber keine Feindschaft mit euch. Du wolltest ihn töten. Stell dir vor, du hättest es getan und lass die Sache ruhen.“
„Du bist wohl toll geworden!“, schimpfte Oskuro. „Du willst mir nur meine Männer ausspannen!“
„Dafür sorgst du schon selbst“, entgegnete Ataombo mit einem bitteren Lächeln. „Ich habe die Striemen auf Angars Rücken gesehen. Ich mache dir ein Angebot: Wenn einmal jemand aus unserer Sippe zu euch wechseln will, halte ich ihn auch nicht auf. Ich glaube aber, dass das nicht so bald vorkommen wird.“
„Du willst es also nicht anders? Von nun an ist Unfriede zwischen uns!“, rief Oskuro mit lauter Stimme. Wir werden euch aber nicht gleich angreifen, sondern abwarten. Eines Tages kommt die Rache! Aber hütet euch jetzt schon davor, in die Nähe der Waldhöhle zu kommen!“
Er schleuderte seinen Faustkeil gegen die Steinmauer. Als er sah, wie die Waffe zersplitterte, wurde er unsicher. „Über diese Mauer kommen wir auch noch drüber, wartet nur!“
Dann zog er sich mit den Seinen zurück.
Als Inda gleich darauf Angar vom Ergebnis der Unterhandlungen mit Oskuro berichtete, war dieser voll Dankbarkeit: „Warum habt ihr das für mich getan? Ich habe euch den Unfrieden gebracht.“
„Den Unfrieden hat Oskuro gebracht, wie der alte Urlu richtig feststellte“, meinte Ombo. „Dir nicht zu helfen wäre feige gewesen.“ Inda lachte und meinte: „Ja, und außerdem möchten Amba und Ombo zu gern etwas über diese Kohle wissen. Ich habe sie im Verdacht, nur deshalb für dich gesprochen zu haben“, scherzte sie.
„Ich kann sie euch gleich zeigen“, wollte sich Angar von seinem Lager erheben.
„Du bleibst noch liegen“, drückte ihn Inda sanft auf sein Lager zurück. „Du hast viel Blut verloren. Aber morgen geht es ja vielleicht schon.“
5
HÄRTER ALS STEIN
Es dauerte dann doch noch mehrere Tage, bevor Angar kräftig genug war, sich von seinem Krankenlager zu erheben. Er war ein dankbarer Patient, freundlich und fröhlich, weshalb ihn alle bald ins Herz schlossen. Fast alle muss man sagen, denn Tschet und Ke blieben bei ihrer anfänglichen Abneigung. Jela hingegen schien sich mit dem blonden Hühnen, der Angar nun einmal war, recht gut zu verstehen, denn sie lachte über seine Scherze und zeigte sich ihm gegenüber gesprächiger, als es sonst bei dem ernsten Mädchen der Fall war. Eines Morgens aber erhob sich Angar, streckte sich und stellte fest: „Wenn ich noch länger liegen bleibe, verschimmle ich. Wenn ihr wollt, zeige ich euch heute die Kohle.“ Amba, Ombo, Inda, der alte Urlu und auch Jela erklärten, sofort mitgehen zu wollen. Ataombo meinte: „Na, da braucht ihr mich sicher nicht dabei. Ihr könnt mir ja das Zeug, das so schwarze Hände macht, mitbringen.“
Und so brachen sie zu sechst auf. Angar führte sie in den Wald, der östlich des Felsenhöhlentals lag. An einer Stelle, wo ein Erdrutsch tiefere Stellen des Erdreichs freigelegt hatte, blieb er halten. „Das ist Kohle“, deutete er auf die schwarze Schicht, die sich zu ihren Füßen ausbreitete. „Ich glaube, dass das Holz ist, das lange unter der Erde gelegen hat, ohne Luft zu bekommen und dann zu Kohle geworden ist.“
„Und das brennt so heiß?“, erkundigte sich der alte Urlu.
„Ja, du wirst es sehen oder besser spüren“, lachte Angar, indem er ein Stück vom Boden aufhob, mit trockenem Laub umgab, das er mit seinem Feuerstein entfachte.
„Seht, wie heiß es wird und wie dieses Ding glüht. Es wird ja ganz weiß“, staunte Jela begeistert. „Es hält die Wärme viel länger als Holz.“ „Genau“, strahlte Angar.
Ombo blickte sinnend vor sich hin, bis er endlich zu sprechen begann: „Glaubst du, dass wir selber diese Kohle machen könnten? Ich meine, wenn wir Holz aufeinander türmen, mit Lehm luftdicht verschließen, das Holz dann anzünden, damit es langsam dahinschmort – ja, und wenn wir dann irgendwie die Luft herausleiten könnten, dann müssten wir selber Kohle machen können.“
„Es klingt ein wenig kompliziert, aber wir sollten es einmal ausprobieren“, schlug Angar vor. „Jetzt sammeln wir aber ein, was wir zu tragen imstande sind und bringen es zur Höhle.“
Am Abend versammelten sich die Sippenangehörigen um einen vor der Höhle errichteten kleinen Lehmofen, in dem Angar die Kohlestücke geschichtet hatte. Staunend erfreuten sich alle an der lang anhaltenden Hitze.
„Du bist doch wirklich zu ungeschickt, Schwesterlein“, spottete Tschet, als Jela beim Versuch die Hände möglichst nahe über die Glut zu halten, wegen der großen Hitze die bunten Steine fallen ließ, die sie in der Hand gehalten hatte. „Da schleppst du sie die ganze Zeit mit dir herum, nur um sie doch ins Feuer zu werfen.“
Jela wollten schon die Tränen in die Augen treten. Aber der alte Urlu beruhigte sie: „Macht doch nichts – wenn die Kohlen kalt sind, holen wir deine Steine wieder heraus.“
Jela blickte wieder etwas hoffnungsfroher, blieb aber die ganze Zeit vor dem Ofen sitzen. Plötzlich rief sie: „Seht, was da geschieht!“
Die anderen, allen voran die neugierigen Amba, Ombo und Inda eilten hinzu.
„Tatsächlich, die Steine verändern sich“, staunte Ombo. „Seht den Grünen da, er glüht und etwas Weiches tritt daraus hervor. Das ist nicht Stein. Das ist etwas anderes.“
„Lasst sehen“, drängte sich Angar näher heran und betrachtete die schmelzende Masse. „Das ist ein neuer Stoff.“