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Beschrieben wird ein Jahr, 1979, und vier Freunde und die leise Chronik ihres Weges. Wie sie zu einander finden und sich ihre ihre Freundschaft langsam und leise entwickelt. Dieses Buch ist keine dramatisch-typische Coming-of-Age-Geschichte, sondern eine Sammlung von Momenten, Erinnerungen und Erlebnissen, die in ihrer Einfachheit die Kraft und Schönheit des Alltags enthüllen. So gesehen schon eher eine Geschichte, die den Begriff Coming-through-the-Year- Story tragen könnte. Der Autor beschreibt unaufgeregt die Aufs und Abs eines gemeinsamen Jahres und gewährt dabei kleine Einblicke in das Leben der vier Freunde, ohne die klassische Erzählweise eines Romans zu wählen. Es ist eine poetische Momentaufnahme, die den Leser an die Seite dieser kleinen Truppe stellt, während sie durch die Jahreszeiten und ihren Alltag navigieren. Eine Reflexion über Freundschaft, Zeit und die flüchtigen Wunder des Lebens.
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Seitenzahl: 80
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Unterschiedliche, nicht beeinflussbare Dinge, Verläufe und Gegebenheiten führten uns zum Ende der Neunzehnhundertsiebziger zusammen. Das persönliche, charakteristische Naturell, das jedem von uns innewohnte, ließ eher vermuten, dass wir vier nie hätten Freunde werden können.
Meine Mutter sonderte zu uns gerne Sprüche ab wie: „Freunde kommen und gehen, Familie bleibt!“ oder „Blut ist dicker als Tinte!“ Was nichts anderes als ein Ausdruck von Hilflosigkeit gegenüber Freundschaft war, einer ihr grundsätzlich nicht zugänglichen Form menschlichen Zusammenhalts.
Wir waren keine verschworene Gemeinschaft, wie man wohl denken könnte, sondern vier junge Menschen mit zueinander unterschiedlich starken Verbindungen ohne Ewigkeitsanspruch. Zwanzig, zweiundzwanzig, so um den Dreh waren wir; ein Alter in dem man glaubt, dass einem die Welt offen stünde, dass man sie erobern oder gar beherrschen könne. Ein Alter in dem man sich einfach jede Frage stellt, die man sich so stellen kann, um anschließend darüber in wilden, nächtelangen Diskussionen mit Unmengen billigen Rotweins zu glauben, eine dieser vielen ewigen Wahrheiten zu besitzen, von denen man ebenfalls glaubt, dass es sie gäbe. Ein Alter um viel Unvernünftiges zu veranstalten, eine wichtige Zeit.
Eigentlich hieß er van Duin, Japi van Duin. Wegen seiner unglaublich hellen, dünnen und ziemlich langen Haare nannten ihn alle nur Johnny. Hergeleitet von Johnny Winter, dem Namen eines amerikanischen Bluesgitarristen, dem er aus bestimmten Blickwinkeln wie ein Zwillingsbruder glich.
Johnny wohnte in der oberen Hälfte eines schnuckeligen, kleinen Hauses in den Niederlanden, genauer in Losser, knapp anderthalb Kilometer hinter der Grenze. Es handelte sich dabei um ein für Holland typisches Giebeldachhaus mit Mansardenwohnung.
Das Haus war der Länge nach geteilt und die obere rechte Hälfte hatte er vor kurzem sehr preiswert von Henk, einem alten, recht verschrobenen Mann gekauft. Die linke Hausseite wurde von einer normalen und unscheinbaren Familie bewohnt, komplett.
Auf Johnnys Seite gehörte das Erdgeschoss eben jenem Henk, der ihm die Dachwohnung verkauft hatte und der nun unter ihm mehr oder weniger hauste.
Im Gegensatz zu den meisten Nachbarn kam Johnny richtig gut mit dem Kauz klar; erledigte Einkäufe für ihn, sowie Boten- und Amtsgänge. An der Außenmauer in luftiger Höhe vor Johnnys Wohnung hing zur Straße hin eine große, alte Bahnhofsuhr, die nicht mehr funktionierte. Im Gegensatz zu den analogen Uhren in den Werbeanzeigen, deren Zeiger immer auf Zehn vor Zwei oder auf Zehn nach Zehn standen, war diese bei Zweiundzwanzig nach Acht stehen geblieben. Auffällig war sie allemal.
Über Ulf, einem Freund und ehemaligen Schulkameraden hatte ich ihn kennengelernt. Johnny war bis in die Haarspitzen voll mit Energie und körperlich angespannt wie eine extrem harte Metallfeder; zugleich geschmeidig wie zehn Katzen, konnte er aus dem Stand wohl anderthalb Meter in die Luft springen. Wenn man selber nicht über solch körperliche Attribute verfügte, fühlte man sich in seiner Gegenwart sehr sicher, zumindest wenn man ihn als Freund hatte.
In Discos konnte er zwei Stunden pausenlos, wie ein Berserker tanzähnliche Sprünge und wilde Bewegungen durchführen, ohne den Eindruck geringsten Energieverlustes zu erwecken. Folglich war ´Jump´ von Van Halen auch sein absoluter Lieblingssong.
Wenn der Song mal lief, dann raste und hüpfte er über die Tanzfläche, schwitzte nach kurzer Zeit wie ein Tier, schnellte nach zwei, drei Minuten zurück an den Tisch an dem er saß, griff sich mit einer Affengeschwindigkeit seine Wasserflasche, tanzte mit ihr am Mund einmal quer durch den Laden, um nach dessen Durchrundung die leere Flasche wieder auf den Tisch zurück zu stellen. Er brauchte nur Wasser!
Ulf kannte ich schon seit meinem zehnten Lebensjahr von einer weiterführenden Schule, einer Klosterschule mit Internen und Externen. Ich war dort Insasse, also ein Interner und Ulf war einer der wenigen Externen. Es handelte sich bei dieser Anstalt um ein Franziskanerkloster. Katholisch bis auf die Grundmauern und zugleich der Grund dafür, dass Ulf als einzig evangelisch Getaufter ständig von irgendwelchen Idioten verprügelt wurde. Zumindest versuchsweise.
Jahrelang hatte es keinen Kontakt gegeben, dann, durch einen Zufall, der durch einen anderen Zufall bedingt war, gab es ein Wiedersehen, ein Wiedererkennen, ein Wiederverstehen. Er lebte, wie Johnny, nahe der Grenze, allerdings auf der deutschen Seite.
Nachdem ich damals, nach nicht einmal zwei Jahren, von besagter Schule wegen Leistungsverweigerung geflogen war, trennten sich unsere Wege. Er machte noch seinen mittleren Abschluss, um danach eine Ausbildung zum Kunstglaser zu durchlaufen. Davon auf Dauer angeödet, entschloss er sich die Laufbahn eines Künstlers einzuschlagen. Maler, Dichter und Liedermacher. Gitarre spielen konnte er eh und seine Fähigkeiten mit der deutschen Sprache umzugehen waren, neben dem malerischen Können, ebenfalls richtig gut.
Er bewohnte ein kleines Heuerhaus inmitten von Wiesen und Feldern. Es lag ziemlich genau auf halbem Weg von Gronau nach Bad Bentheim; jahrelang hatte es leer gestanden. Wenn man in Bentheim war und dort von der Burgzinne hinuntersah, lag es mehr oder weniger in der Tiefebene. Allerdings so weit weg, dass man es selbst bei bestem Wetter kaum erkennen konnte, es war mehr ein Vermuten.
Erreichen konnte man das Häuschen nur von der Verbindungsstraße zwischen Gronau und Bad Bentheim. Mitten im Nirgendwo führte, dort abzweigend, ein Feldweg in Richtung Heuerhaus. Der endete allerdings nach ca. 400 Metern auf einer kleinen, runden Lichtung in einem Wäldchen. Dort musste man dann sein Auto stehen lassen, um den Rest des Weges, circa 200 Meter, an einem Ackerrand entlang, gesäumt von einem Weidezaun, zu Fuß zurückzulegen. Das ging nicht anders, da der Bauer, dem das alles gehörte, den ehemals befahrbaren Weg vom Wald bis zum Haus in Ackerfläche verwandelt hatte. Fälschlicherweise hielten viele diesen Zustand für romantisch, doch in Wahrheit war es hochgradig nervig, jedes nur erdenkliche Teil vom Wald bis zum Haus schleppen zu müssen oder umgekehrt.
Die eine Hälfte des Hauses war Wohnraum, die andere Hälfte bestand aus den ehemaligen Stallungen, in denen früher die Kötter ein wenig Vieh für die Selbstversorgung hielten. Meist eine Kuh, zwei, manchmal drei Schweine. Die Hühner hatten einen eigenen Holzverschlag. Zusammengebrochene Reste davon standen noch etwas abseits an der Rückseite des Hauses.
Immerhin gab es fließendes Wasser in Küche und Bad - allerdings kalt. Im Badezimmer, diesem feuchten, kargen und schlecht gekachelten Raum stand ein großer, anderthalb Meter hoher Heißwasserboiler, dem mit Holz eingeheizt werden musste, wenn man ein Bad nehmen wollte; so wie auch alle anderen Räume des Hauses ausschließlich mit Kanonenöfen erwärmt wurden.
Zentrum des Hauses, wie in älteren Bauernhäusern üblich, war die Küche mit der sogenannten Kochmaschine, diesem emaillierten Herd mit schweren gusseisernen Platten, einem Backofen und dem unvermeidlichen Rundumlauf, der den Eindruck eines Handlaufs machte aber nur zur Trocknung von Tüchern und Wäsche gedacht war, außerdem zum Aufhängen der Schürwerkzeuge, wie Haken, Besen und der Aschenschüppe diente.
Es gab noch zwei Schlafzimmer und ein Wohnzimmer. Alles ziemlich klein geraten. Aber zu dieser Zeit und in dem Alter war man ja recht anspruchslos.
Ulf lebte dort in einer Art Wohngemeinschaft mit einem Typen namens Jens, den ich vorher nur vom Sehen aus der Stadt kannte. Hier im Haus tauchte er meist spät abends auf, um zu Übernachten. Morgens war er in aller Regel ziemlich früh wieder weg. Das Ganze diente ausschließlich der Kostenteilung, denn viel zu sagen hatten sich die beiden nicht.
Umgeben war das Kleinstgehöft von nicht bewirtschafteten Wiesen, was zur Folge hatte, dass das Häuschen im frühen Sommer wie eine Insel in einem Meer von gelbem Löwenzahn lag, um nach dessen Blüte in einem Ozean von Pusteblumen zu versinken. Bei entsprechendem Wind gab es geradezu spektakuläre Bilder von Wolken mit kleinen, fliegenden Schirmchen zu bestaunen. Glück musste man aber schon haben, denn die Flugphase dauerte maximal eine Woche; Wind und Trockenheit vorausgesetzt.
Petra-Hildegard hieß sie richtig aber bei diesem Vornamen war der Ruf- und Spitzname Pille kaum zu verhindern. Es störte sie auch nicht. Sie stammte aus Bentheim und studierte irgendwas in Bochum, Lehramt oder so. Alles war ihr wichtig! Nicht nur intellektuell, sondern auch emotional. Was ihr oft zum Nachteil gereichte, da sie von den kleinsten Kleinigkeiten so dermaßen mitgenommen wurde, dass sie kein Leben im herkömmlichen Sinne führen konnte; eigentlich schade.
Bis vor einem Jahr war Pille mit einem ausgemachten Arschloch und Porschefahrer namens Jürgen zusammen gewesen. Die Automarke ist in diesem Zusammenhang nur deswegen interessant, weil sie nach ihrer Trennung von besagtem Vollpfosten hier und da schon mal mit ihrem Hausschlüssel Liniengrafittis im Lack besagter Fahrzeuge hinterließ, die zufällig irgendwo am Straßenrand geparkt waren. Gerne nach Partys, gerne nachts, gerne auf dem Nachhauseweg, gerne dabei fröhlich singend. Sehr emotional eben.
Voran kam sie mit ihrem Studium zu dieser Zeit nicht. Es war auch nicht klar, wann sie genau studierte, denn sie hatte zusammen mit ihrer Freundin Ele eine Wohnung in Gronau, in der sie ständig anzutreffen war.
Ele - klein, etwas drall, umwerfend schön und jedem das Gefühl gebend: Du bist es! Das exakte Gegenteil von Pille – vielleicht der Grund dafür, weshalb sie so dicke miteinander waren. Eine Melange aus Calvinismus und barocker Lebenslust.
Wenn seitens Pille überhaupt mal von der Uni Bochum die Rede war, ging es meist darum, wie viele Studenten sich dort umbrachten. Ihr komplett geistiges und gefühlsmäßiges Dasein umrundeten ständig und immer wieder Schuld, Angst und karges Leben. Sechs Tage die Woche morgens und abends drei Finncrisp mit etwas Margarine bestrichen und dünn mit Billigkäse belegt, mittags nichts - kein Problem für sie. Die beiden gestalteten allerdings, so oft es ihre knappen Geldverhältnisse hergaben, viele Abende zusammen. Immer der finanziell vorherrschenden Lage entsprechend, entweder mit Billigwein und Flips in den eigenen vier Wänden - oder ab und an in der Disco.