American Woman - Gayle Tufts - E-Book

American Woman E-Book

Gayle Tufts

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Beschreibung

„Sonderklasse!“ Der Spiegel 

Seit über 25 Jahren baut Gayle Tufts eine Brücke zwischen ihrer alten und ihrer neuen Heimat, ein völkerverbindender Spagat. Frech und funny, intelligent, informativ und im Moment wichtiger denn je. Wer sind die Menschen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Lebt er noch, der American Dream? Was hat Frischluft mit der Tagesschau zu tun? Ist Lässigkeit eine Tugend? Und who puts the fire in the Feierabend? Kann uns das bitte mal einer erklären?

Yes, she can!

Gayle Tufts beobachtet mit scharfem Blick und schreibt mit viel Humor und Feingefühl nicht nur über ihr Leben als Amerikanerin in Deutschland, sondern auch über ihre alte Heimat. Sie schildert Alltag und Angewohnheiten im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, erzählt vom Heimweh nach dem New York der 80er Jahre, vom wiedererwachten politischen Engagement angesichts der Präsidentschaftswahl, sie beschreibt das gleißende Licht am Cap Cod, schreibt über ihre Liebe zur Tagesschau, über Frischluft und Birkenstock und davon, wie es sich anfühlt, mit einem Schlagerstar vor Millionenpublikum Weihnachtslieder zu singen. 

Mit einer Liste der Germanys next Top-Worte und Begriffen, die es wohl nie in den Duden schaffen werden.

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Seitenzahl: 171

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Über Gayle Tufts

Gayle Tufts, geboren 1960 in Brockton, Massachusetts, ist laut Stern die bekannteste in Deutschland lebende Amerikanerin. Seit 1991 wohnt Tufts in Berlin, wo sie über 25 erfolgreiche Bühnenshows inszenierte. Darüber hinaus ist sie regelmäßig in Funk und Fernsehen zu erleben.

Im Aufbau Verlag sind von ihr außerdem lieferbar: »Weihnacht at Tiffany´s« und »Some like it heiß«.

Mehr Informationen zu der Autorin unter www.gayle-tufts.de

Informationen zum Buch

»Sonderklasse!« Der Spiegel

Seit über 25 Jahren baut Gayle Tufts eine Brücke zwischen ihrer alten und ihrer neuen Heimat, ein völkerverbindender Spagat. Frech und funny, intelligent, informativ und im Moment wichtiger denn je. Wer sind die Menschen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Lebt er noch, der American Dream? Was hat Frischluft mit der Tagesschau zu tun? Ist Lässigkeit eine Tugend? Und who puts the fire in the Feierabend? Kann uns das bitte mal einer erklären?

Yes, she can!

Gayle Tufts beobachtet mit scharfem Blick und schreibt mit viel Humor und Feingefühl nicht nur über ihr Leben als Amerikanerin in Deutschland, sondern auch über ihre alte Heimat. Sie schildert Alltag und Angewohnheiten im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, erzählt vom Heimweh nach dem New York der 80er Jahre, vom wiedererwachten politischen Engagement angesichts der Präsidentschaftswahl, sie beschreibt das gleißende Licht am Cap Cod, schreibt über ihre Liebe zur Tagesschau, über Frischluft und Birkenstock und davon, wie es sich anfühlt, mit einem Schlagerstar vor Millionenpublikum Weihnachtslieder zu singen.

Mit einer Liste der Germanys next Top-Worte und Begriffen, die es wohl nie in den Duden schaffen werden.

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Gayle Tufts

American Woman

How I lost my Heimat und found my Zuhause

Inhaltsübersicht

Über Gayle Tufts

Informationen zum Buch

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1. Die Qual der Wahl

Von Brockton, Massachusetts zu Cottbus-am-Meer

Das kann ja lustig werden

Links nach Peter Kloeppel

Back to life, back to reality

2. Getrumpt

Gayle – (zum Glück nicht) Allein zu Haus

Weit weg von den großen Ozeanen

SUPERWOMAN im Anflug

3. Fünfzehn Things I love about Amerika

Freundlichkeit

Optimismus

Gelassenheit

Enthusiasmus

Cape Cod Light

Showbiz

Oscars

Freiheit

Cookie Dough In A Cup

Supermärkte

Wide Open Spaces

Lady Liberty

Sitcoms

Michelle Obama

Happy End

4. Back in the US(S)A

Oh, Brother!

Schlampig

Love, Actually

5. Heim/weh

Die vierte Wand

Hausbesuch

Comfort Food

Tagesausflug

Viva Provincetown!

Life During Wartime

6. New York State of mind

Broadway Baby

Fellini auf LSD

I Love The Nightlife

Miss Manhattan

Phoenix aus der Asche

Spaziergang mit Woody

Schockzustand

The Great Work Begins

Love Train

Rosa Luxemburg Goes Amerika

7. My Nacht mit Florian Silbereisen

8. We can be heroes

Helden

Heldinnen

9. Miami Vice – das Musical

The Sunshine State

Zauberhaftes Königreich

Quiet Please, Students Sleeping

Soccer. Beer. BMW.

Geil!

Pina Coladas zum Abschied

10. Fünfzehn Dinge I love about Germany

SO Deutsch!

Luft schnappen

Nachdenken

Einstein

Tagesschau

Stiftung Warentest

Kartoffeln

Pilates

Autobahn

Rügen

Birkenstock

Klassik

Claus Ogerman

Apotheken

Sonntag

11. The Donald

The People’s Billionaire

Donald T. trifft Dieter B.

Un-Happy Meal

First Lady To Go

12. Germanys next Top-Worte

Chillen am Phone oder online

Von After bis Anti

Schein, pseudo, falsch, fake

Handy: praktisch, nützlich, geschickt, bequem, handlich

Schöne Leiche

Von Gottschalk bis Gymnasium

An die Wand gefahren

Drunter und drüber

Und jetzt alle:

13. Aufgepasst, Konrad Duden!

14. Let’s get Deutsch!

Born To Run

Trump Bump

Bremer Romantik

Bürgeramt

Let’s Get Deutsch!

Ein Stück Papier

Danke/Thank you!

Anmerkung

Impressum

Show up. Dive in. Stay at it.

Barack Obama, Abschiedsrede, Januar 2017

1. Die Qual der Wahl

Als ich vor kurzem in meine Jackentasche griff, klebte plötzlich etwas Braunes an meinen Fingern: drei geschmolzene M&M’s – vertrocknete Schokolade, unappetitlich, die bunte Umhüllung zersplittert. Die Reste der limitierten Red, White and Blue Edition vom 8.November, dem Tag der Wahl, erinnerten mich an den Moment, als aus Yes We Can – No We Couldn’t wurde.

Diese Nacht sollte ich auf der Wahlparty der Bertelsmann-Stiftung in Berlin Mitte verbringen. Es war eine sehr exklusive Einladung, ein gesellschaftliches Event voller Prominenter aus Kultur, Politik und Journalismus. Das Ergebnis der Greatest Show on Earth, auf das alle seit Monaten hingefiebert hatten, wurde in den Bars und Lounges auf drei Etagen live auf große Bildschirme übertragen. Deutsch-amerikanische Freundschaft mit amerikanischem Fingerfood und Mini-Berlinern, Bud Light Beer und Champagner.

Ich war eingeladen, weil ich als Kolumnistin für n-tv arbeitete, den privaten Nachrichtensender aus Köln. Als charmante Kommentatorin sollte ich immer wieder mal von dieser Party aus live auf dem Bildschirm erscheinen und durch die Wahlnacht führen. Es sollte ein schicksalsträchtiger Abend werden, schließlich wäre Hillary die erste Präsidentin der USA! In wenigen Stunden würden wir nie wieder sein hinreißend schönes Gesicht sehen und seine hate-filled Tweets lesen müssen. Und ich durfte eine stolze Vertreterin meiner Heimat sein, live aus der aufregendsten Stadt der Welt, die seit 25 Jahren mein Zuhause ist.

Ich war schon wieder viel zu spät dran. Um 18 Uhr sollte ich da sein. Um viertel nach fünf stand ich vor meinem Kleiderschrank – in Spanx und Schaffellpantoffeln. Unentschlossen suchte ich nach dem richtigen Outfit. Die Uhr tickte. Seit ich in den Wechseljahren, auf englisch ›the change of life‹, bin, komme ich immer ein bisschen zu spät. Vielleicht hatte ich schon früher ein Problem mit der Pünktlichkeit, aber seit zwei Jahren schiebe ich alles auf die Wechseljahre – von Zornesfalten bis Verspätungen, von Unentschlossenheit bis hin zu permanenter Streitbereitschaft.

Was trägt man zu einer Wahlparty? Ich wollte schön aussehen, aber auch seriös. Keck, aber elegant. Amerikanisch, aber nicht kitschig. Was ist »amerikanisch« anyway? Cowboyhut und Bluejeans? Shorts and Sneakers? Flanellpyjama – das Alltagsoutfit jeder amerikanischen Studentin? Wegen des schmuddeligen Berliner Novemberwetters wäre ein flauschiger Schlafanzug durchaus passend und, weil es eine extrem lange Nacht werden würde, auch unheimlich praktisch gewesen. Die sechs Stunden Zeitunterschied zur Ostküste bedeuteten, dass die ersten Resultate aus New York, New Jersey und Massachusetts erst kurz nach Mitternacht eintreffen würden. Ergebnisse aus den umstrittenen Swing States würden noch viel später kommen. Um die Zahlen aus Ohio, Michigan und Wisconsin wach zu erleben, würde ich eine gute Portion Schwung brauchen, also entschied ich mich für ein lässiges Kleidchen mit dezentem Sternenmuster – patriotisch, aber nicht zu patriotisch – und ein Jeansjäckchen mit einem Pro-Hillary-Button: »I’m With Her«. Blue-Suede-High-Heels, rote Lippen, and I was ready to roll.

Von Brockton, Massachusetts zu Cottbus-am-Meer

Im Taxi Richtung Unter den Linden guckte ich aus dem Fenster und dachte an das Lied Truckin’ von The Grateful Dead: »What a long, strange trip it’s been«. Ich komme aus Brockton, Massachusetts, einem Vorort von Boston, den ich gerne als »Cottbus-am-Meer« beschreibe. Es ist eine working class town, eine Arbeiterstadt with the Anmutung of a lange, endlose Bruce Springsteen-Ballade – rau, hart und herzlich – voller Menschen wie meine Eltern: zweite Generation europäische Einwandererfamilie, mein Vater ein Barkeeper, meine Mutter eine Supermarktkassiererin. Die fanciest Partys, die wir als Familie erlebten, waren italienische Hochzeiten und irische Beerdigungen.

In meinem Flur in Schöneberg hängt ein schon verblichenes Foto meiner lächelnden Eltern auf der Hochzeit von Freunden, aufgenommen ungefähr 1972. Mein Vater hat eine Bierflasche in der Hand und meine Mutter im Arm. Sie strahlt heiter in die Kamera, erhitzt von Wodka oder Valium oder Liebe oder einer berauschenden Mischung aus allem. Es sieht so aus, als ob sie in The Elks Lodge gerade von der Tanzfläche kommen, eine Art Freimaurermehrzweckhalle, in der jede Festivität in Brockton stattfand – von Bingo bis Bar Mitzwas. The Elks Lodge sah aus wie der Drehort für einen Retro-Porno. Das Ambiente eines Kleinstadt-Steak-Houses: weinrote Vorhänge über rauchvergilbter Holzvertäfelung, große runde Tische, eingedeckt mit übriggebliebenen Valentine’s Day-Papiertischdecken und goldenen Plastik-Kandelabern. Für meine Eltern war es die tollste Partylocation überhaupt – süffige Drinks, pfiffige Musik – everything tanzbar von Tommy Dorseys Big Band bis zum neuesten Discoknaller von Tony Orlando & Dawn – und eine Tanzfläche mit farbiger, dimmbarer Beleuchtung! Es war nicht weit bis nach Hause, sodass mein Vater auch angesäuselt noch heimfahren konnte.

Ich guckte durch den Novembernieselregen auf das Brandenburger Tor und fragte mich, was meine Eltern wohl über diesen verrückten, viel zu langen Wahlzirkus denken würden. Als der republikanische Präsidentschaftskandidat bekanntgegeben wurde, hörte ich, wie sich mein Vater im Grab umdrehte. Auch meine Mutter war ein Leben lang eine leidenschaftliche Demokratin, ja sogar eine katholische Kennedy-Besessene gewesen. Und obwohl sie seit Jahren nicht mehr auf der Erde ist, hatte ich ihre Stimme mit ihrem Kommentar zum Pussy-Grabbing laut und deutlich im Ohr: »Yuck! That’s disgusting!«

There were certainly genug ekelerregende Momente in diesem Wahlkampf. Ich hatte für n-tv eine Serie von Video-Kolumnen produziert – ein humorvoller, sehr subjektiver Blick auf dieses Spektakel. Ich wollte die Show hinter der Politik kommentieren. Meine Grundthese war: Das Nationalmotto der USA ist nicht »In God we trust«, sondern: »There’s no business like show business!«. Die Grenze zwischen Politik und Entertainment war bei uns schon immer etwas verschwommen – aber nun war sie hoffnungslos überschritten. Ich verkleidete mich als Freiheitsstatue, sang die Nationalhymne, zitierte Ralph Waldo Emerson und Arnold Schwarzenegger und fragte, ob Lassie und Flipper nicht vielleicht doch auch irgendwann Mitglieder im House of Representatives waren.

Das kann ja lustig werden

Beruflich nenne ich mich »Entertainerin«, weil ich für das, was ich tue, bis heute kein passendes deutsches Wort gefunden habe. Ich schreibe, ich singe, ich erzähle witzige Geschichten. Und manchmal kann man bei meinen Liedern weinen. I’m a Showgirl! So wie meine Great American Vorbilderinnen Bette Midler, Liza Minelli und Barbra Streisand. Deswegen war ich einigermaßen überrascht, als ich einen Brief vom n-tv-Geschäftsführer bekam. Wäre es für mich interessant, bei einem Meeting in Köln über eine mögliche Zusammenarbeit während der bevorstehenden US-Wahl zu sprechen? Ich bin keine Journalistin, und der Sender hat kein Unterhaltungsprogramm – ich dachte mir: Das kann ja lustig werden.

Also bin ich an einem frühsommerlichen Tag im Mai nach Köln geflogen. Von meiner ersten Begegnung with the Nachrichtenwelt habe ich ehrlich gesagt nicht besonders viel erwartet. Aber ein Meeting kann man immer machen. Und warum eigentlich keine Zusammenarbeit? Ich bin ein begeisterter News Junkie, lese immer noch Tageszeitungen auf Papier und kaufe mehrmals in der Woche die Printausgabe der International New York Times für 3,20EUR, obwohl ich auch das viel preiswertere Online-Abo habe. Als Jugendliche hatte ich meine abendliche Dosis amerikanischer TV-Nachrichten-Legenden wie Walter Cronkite, Dan Rather und Tom Brokaw abbekommen. Journalisten erklärten mir die Welt und kämpften für Gerechtigkeit. Seit ich in Deutschland bin, höre ich jeden Morgen Inforadio. Ich finde Steffen Seibert sexy! Und ich bin ein bisschen verknallt in Claus Kleber. Die Möglichkeit, hinter die Kulissen eines Nachrichtensenders zu schauen, wollte ich mir nicht entgehen lassen.

Alles flutschte. Ich kam überraschend pünktlich in Köln-Deutz an, und der Taxifahrer fand sofort die riesigen ehemaligen Messehallen, den Hauptsitz der RTL Mediengruppe. Picassoplatz 1 – ein vielversprechender Name. Als ich die Rolltreppe in den nur mit Sicherheitsausweis zu betretenden Bereich nahm, fühlte ich mich mit einem Mal wie Mary Tyler Moore in ihrer legendären TV-Sendung aus den Siebzigerjahren, in der sie die stets optimistische Journalistin Mary Richards spielte. Die attraktive Mary, eine emanzipierte Singlefrau, zieht nach Minneapolis, um ein neues Leben als Nachrichtenredakteurin zu beginnen. Als formbarer Teenager habe ich jeden Samstagabend beim Babysitting ihre Sendung eingeschaltet. Mary war mein Traum vom Erwachsensein: intelligent, unabhängig und frei – mit einem tollen Job, einer fabelhaften Wohnung, fantastischen Klamotten und vielen lustigen und liebevollen Kollegen und Freunden. Mary war mein American Dream. Hier und jetzt war sie für einen kurzen Moment in mir wiederauferstanden – in Köln-Deutz.

Am Empfang erwartete mich eine verbindliche Assistentin und führte mich durch ein ausgetüfteltes Labyrinth: lange Gänge voller Schallschutzfenster mit Einblicken in Hightechfernsehstudios, eine konzentrierte Atmosphäre, aufmerksam, aber gelassen.

Sie flüsterte: »Dies ist das erste technikerfreie Fernsehstudio Europas. Außer den Moderatorinnen gibt es nur fliegende Kameras und Greenscreens.« Alles war auf das Notwendigste konzentriert. Das hier war serious business. Der Raum gegenüber war leicht abgedunkelt. Vor einer Videowand aus 40 Fernsehmonitoren saßen drei Redakteure und schauten sich die Nachrichtenprogramme aus aller Welt an. Auf den Bildschirmen blitzten Explosionen auf, die Schemen flüchtender Menschen und Großaufnahmen von halbwegs vertrauten Politikergesichtern. Unter ihren Kopfhörern sahen die Redakteure wie Ego-Shooter-Spieler aus, auf der Jagd nach der nächsten Top-Meldung. Ich war beeindruckt.

Links nach Peter Kloeppel

Ich hatte bis jetzt nicht realisiert, dass n-tv ein Teil des RTL Kosmos ist. Das hier war auch the home of DSDS und EXPLOSIV, GZSZ und EXCLUSIV. Schon von den lebensgroßen Wandplakaten der RTL-Stars im Innenhof – Frauke Ludowig und Birgit Schrowange! – war ich leicht überwältigt. Kurz nach Peter Kloeppel bogen wir links ab – und waren bei n-tv.

Mental hatte ich mich auf einen viel zu starken Kaffee und eine kurze Plauderei im Büro der Chefredakteurin vorbereitet und war fast erschrocken, als ich einen vollverglasten Konferenzraum sah, gefüllt mit zwölf ernst aussehenden, keine-Zeit-für-zu-viele-Worte-habenden Nachrichtenmenschen. Alle sahen hochgebildet aus, erfahren, pflichtbewusst und so, als würden sie sogar noch gedruckte Zeitschriften lesen. Eine Sekunde lang wurde mir schwindelig. Ein Schnelldurchlauf von Hollywood-Reporter-Filmen flashte durch meinen Kopf: His Girl Friday mit Cary Grant, Die Unbestechlichen mit Dustin Hoffmann, und Robert Redford, Network mit William Holden und Faye Dunaway, Spotlight mit Michael Keaton.

Besessene Journalisten, gespielt von wahnsinnig attraktiven Schauspielern, streiten für eine bessere Welt. Ich wollte genauso sein: feurig, engagiert und seriös!

Seit 25 Jahren arbeite ich als Entertainerin in Deutschland, aber es ist extrem selten, dass jemand takes me seriously. Vielleicht ist das fester Bestandteil meines Berufsbildes – was lustig ist, muss leicht und oberflächlich sein. Doch für mich ist Entertainment serious Business! Es verlangt Handwerk, Disziplin und Durchhaltevermögen. Deutschland aber macht eine Trennung zwischen »E« und »U« – zwischen »ernsthaft« und »Unterhaltung«. Und ernsthaft ist natürlich viel wertvoller. Das Wort Unterhaltung ist sowieso erniedrigend – es fängt schon mit »unter« an. Ernsthaftigkeit ist erstrebenswert und wertvoll. Deutschland ist the Heimat of Nietzsche und Kant und Hegel und Einstein! Das Land der Straßenverkehrsordnung und von Konrad Duden. You are ernsthafte people in einem ernsthaften Land.

Ich dagegen bin nicht nur eine Unterhalterin, ich bin auch Amerikanerin – und mittendrin in einem Wahlkampf, in dem einer der Kandidaten ein Reality-TV-Star ist und die andere, die Ehefrau eines Ex-Präsidenten, whose Regierung beinahe über einen Skandal um einen Blowjob stolperte. Es ist schwer for anyone to take America seriously.

Amerika ist ein sehr junges Land, nicht einmal 250 Jahre alt – so gesehen sind wir der pubertierende Teenager der Welt: hyperaktiv, albern und unberechenbar. Und obwohl wir der Welt Harvard University und MIT, NASA und MOMA, Steve Jobs und Bill Gates gegeben haben, denkt ihr alle, dass wir dumm sind.

Bei diesem Nachrichtensender hatte ich endlich die Chance, mich selbst, meinen Beruf und meine Heimat zu rehabilitieren. Die Möglichkeit, to be serious in the Heimat of Seriousness, to zeige a little amerikanische Pfiffigkeit, to take Unterhaltung out of the darkness in das Licht!

Als ich in das n-tv-Journalisten-Terrarium trat, hatte ich jedes Stückchen Mary Tyler Moore-Optimismus verinnerlicht und folgte nur noch einer Mission: make the German Newspeople love me!

Back to life, back to reality

Sechs Monate später stehe ich an der Bar in der VIP-Lounge der Bertelsmann-Stiftung neben dem Geschäftsführer des Senders. Wir prosten einander mit einem doppelten Espresso zu. Nach einem halben Jahr Zusammenarbeit duzen wir uns, und ich bin immer noch begeistert, dass ich überhaupt an diesem Event teilnehmen darf. Drei Etagen Heiterkeit – jeder Stehtisch mit roten, weißen und blauen Rosen gedeckt, Minipackungen von Limited Edition M&M’s als Mitbringsel und genügend Luftballons, um eine komplette Tournee von Nena auszustatten.

Um Mitternacht ist die Stimmung noch gespannt, aber positiv, was wahrscheinlich mit dem nicht enden wollenden Angebot von Dunkin Donuts und Jack Daniels Bourbon zu tun hat. Prominente und Politiker mischten sich immer wieder unter die Gäste – in einer Ecke nimmt Berlins Regierender Bürgermeister einen Video-Abschiedsgruß für Barack Obama auf, in einer anderen macht Ursula Karven ein Selfie mit einem Hillary Clinton-Pappaufsteller. Alle fünfzehn Minuten werde ich nach meiner Meinung gefragt und bleibe hoffnungsfroh: »The Situation in the USA sieht für uns in Berlin vielleicht komplett crazy aus. Aber man darf nicht vergessen: Wir sind ein sehr buntes und sehr demokratisches Land. Es wird Hillary, keine Sorge.«

Nach der Schlammschlacht um das Weiße Haus gibt es endlich Licht am Ende des Tunnels. Die Ergebnisse von New York, New Jersey, Massachusetts trudeln ein – go Hillary! Riesenapplaus und unendliche Erleichterung. Alles wird gut.

Ich nehme mir einen Donut und freue mich, John Emerson, den amerikanischen Botschafter, und seine Frau Kimberly im Blitzlichtgewitter durch die riesige Bertelsmann-Tür kommen zu sehen. Zufällig habe ich Kimberly als Sitznachbarin bei meinem letzten transatlantischen Flug kennengelernt und fand sie freundlich, charmant und klug. Sie spricht sogar deutsch, und ich bin froh, dass mit ihr und ihrem Mann endlich mal wieder ein vernünftiges Botschafterpaar in Berlin lebt.

Ein Hauch von eiskaltem Novemberwind weht durch den Raum. Ich schlage den Kragen meiner Jeansjacke hoch und schlängle mich Richtung Ambassador. Mittlerweile wird es ernst. Virginia, Ohio, Pennsylvania. Ich schaue zu Emerson, der besorgt auf seinem Blackberry tippt. »John?«, sage ich, und biete ihm einen Donut an. »Don’t worry! We got this, oder?«

Emerson guckt mich an mit einem Blick, der mich an den Gesichtsausdruck meines Vaters erinnert, als er mir erzählte, dass wir unseren Hund Igor nach 14 Jahre einschläfern müssten. Leise sagt er auf Deutsch: »Es sieht nicht gut aus.«

2. Getrumpt

Gayle – (zum Glück nicht) Allein zu Haus

Um 4:30 Uhr verlor ich jedes Gefühl für den Grund unter mir. Zusammengekrümmt und heulend lag ich auf meinem Schlafzimmerboden in Schöneberg.

What the fuck is going on?

Mein Bremer brachte mir Wärmflaschen, schob ein Kissen unter meinen Kopf und packte mich in eine dicke Decke. Ich zitterte und japste nach Luft. Ich war fassungslos. Ich war verzweifelt.

What the fuck is going on?

Erst noch unmerklich, dann immer schneller hatte der Abend eine schreckliche Wendung genommen. Das Licht am Horizont war nicht mehr der Anbruch eines neuen Tages, es war das Scheinwerferlicht eines enormen Monstertrucks – and it was coming for us all. Das Unvorstellbare war plötzlich möglich geworden: die Republikaner haben die Industrie-Bundesstaaten gewonnen: Michigan, Ohio, Wisconsin, Pennsylvania, – fucking Pennsylvania – home of Benjamin Franklin, Andy Warhol und Philadelphia Frischkäse!

What the fuck is going on?

Obwohl ich schon auf dem Fußboden lag, verlor ich mein Gleichgewicht. Der Raum begann zu schwanken und es fühlte sich an, als ob die ganze vierte Etage meines Wohnhauses Richtung Erde kippen würde. Als Ex-New-Yorkerin bin ich unendlich dankbar für meine prächtige Berliner Altbauwohnung – ein robustes Überlebensmittel mit hohen Decken, dem wunderschönen Stuck, ihren riesengroßen Fenstern. Ich genieße den Blick auf das Rathaus Schöneberg und den John F.Kennedy Platz, wo der junge Präsident seine flammende »Ik bin ain Beeerlinar«-Rede hielt, wo Willy Brandt Bürgermeister war, wo täglich die Freiheitsglocke läutet – ein Geschenk aus Philadelphia, Pennsylvania! Auf der anderen Seite erreichen ihre Schallwellen den Hans-Rosenthal-Platz und das Gebäude des ehemaligen RIAS-Rundfunk im Amerikanischen Sektor. Wenn meine geschichtsträchtige Nachbarschaft nach Amerika umsiedeln würde, könnte sie ein Freizeitpark namens »Democracyland« werden, und höhere Eintrittspreise als Disney World verlangen. Nachkriegsdeutschland-Demokratie liegt in der Luft.

Ich aber konnte nicht mehr atmen und geriet immer mehr in Panik. Ich war unfreiwilliger Fahrgast in einem außer Kontrolle geratenen roller coaster, unterwegs in einen bisher undenkbaren Abgrund. ER wird Präsident.

What the fuck is going on?

Ich hätte eigentlich abgehärteter sein sollen. Seit Jahren lebe ich mit der Mitten-in-der-Nacht-Anruf-Angst. Jeder erwachsene Mensch weiß, that when the Telefon um 4 Uhr morgens klingelt, es selten erfreulich ist. Und wegen des Zeitunterschieds erwartet jeder im Ausland lebende Amerikaner in the wee small hours of the morning schlechte Nachrichten: Scheidungen, Krebsdiagnosen, den Tod der Eltern. Irgendwann werde ich meine Festnetznummer abschaffen, weil meine Familie die einzigen Menschen sind, die sie immer noch benutzen und deren Vor-Sonnenaufgang-Anrufe garantiert traumatisierend sind.