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Fragen Sie sich auch manchmal, was Ihr Nachbar so in seinem Garten vergräbt? Der humorvolle Garten-Krimi »Drossel, tot und starr« ist der zweite Teil einer Krimi-Reihe rund um die Schrebergarten-Kolonie »Harmonie« in Berlin. Ein Mord in einer Schrebergartenkolonie ist nichts für Hobbygärtner, das weiß jeder. Noch dazu, wenn es sich beim Tatort um die Vorzeige-Kleingartenanlage von Berlin Pankow handelt und beim Opfer um einen honorigen Bezirksvorstand. Kein Wunder also, dass die Pankower Ex-Polizist Manne Nowak und seine Partnerin Caro von Ribbek um Hilfe bitten, die Helden der Kleingartenanlage »Harmonie«. In den perfekt gestylten Gärten ist das Unterholz dichter (und dunkler), als Manne und Caro erwartet haben, dafür treiben Gerüchte ihre prächtigsten Blüten. Doch gegen Mannes Instinkt und Caros Spontaneität ist noch kein Kraut gewachsen! Wie die Autorin Mona Nikolay die Welten von traditionellen und modernen Garten-Freunden aufeinander prallen lässt und Manne und Caro im Kreuzfeuer nach dem Mörder suchen, ist ein großes Vergnügen für alle Fans humorvoller Krimis. Im ersten Teil der Krimi-Reihe, »Rosenkohl und tote Bete«, gerät Manne Nowak selbst unter Mord-Verdacht.
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Seitenzahl: 405
Veröffentlichungsjahr: 2022
Mona Nikolay
Schrebergartenkrimi
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Ein Mord in einer Schrebergartenkolonie ist nichts für Hobbygärtner, das weiß jeder. Noch dazu, wenn es sich beim Tatort um die Vorzeige-Kleingartenanlage von Berlin Pankow handelt und beim Opfer um einen honorigen Bezirksvorstand. Kein Wunder also, dass die Pankower Ex-Polizist Manne Nowak und seine Partnerin Caro von Ribbek um Hilfe bitten, die Helden der Kleingartenanlage »Harmonie«.
In den perfekt gestylten Gärten ist das Unterholz dichter (und dunkler), als Manne und Caro erwartet haben, dafür treiben Gerüchte ihre prächtigsten Blüten. Doch gegen Mannes Instinkt und Caros Spontaneität ist noch kein Kraut gewachsen!
Wie die Autorin Mona Nikolay die Welten von traditionellen und modernen Gartenfreunden aufeinanderprallen lässt und Manne und Caro im Kreuzfeuer nach dem Mörder suchen, ist ein großes Vergnügen für alle Fans humorvoller Krimis.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Das erste Mal seit Monaten ging Schmittchen leichtfüßig in Richtung Vereinsheim. Auf den heutigen Tag hatte er schon sehr lange hingefiebert – so wie die meisten seiner Mitstreiter ebenfalls. Von neunzig Prozent der Gartenfreunde in ihrer Anlage ganz zu schweigen. Die Vorstandssitzung stand an, und er hatte ein gutes Gefühl. Endlich würden diese ewigen Streitigkeiten ein Ende nehmen. Wenn dafür ein bisschen mehr Arbeit an ihm hängen blieb, nun, dann war es eben so. Ihm auch schon egal; alles war besser als der Istzustand.
Der Vorstand tagte zweiwöchentlich im Konferenzraum des Bezirksvorstandes am Eingang zur riesigen Kleingartenanlage Rosenthal. Schmittchen selbst hatte dafür gesorgt, dass sie diese Räumlichkeiten nutzen durften. Er saß in beiden Vorständen. Es war ein wunderschöner Freitagabend, nach einem sehr heißen Tag Anfang September. Für viele die beste Zeit des Jahres; überall roch es nach Grillkohle, und in den Gärten wimmelte es nur so von Menschen. Auch wenn er die Einsamkeit schätzte, mochte er es, die Anlage so voll zu sehen. So sollte es doch sein, oder nicht? Wobei er mit leisem Bedauern feststellen musste, dass die meisten Gartenfreunde ihre Pflichten zugunsten sommerlicher Freuden hatten schleifen lassen. Ein Effekt, der jedes Jahr zuverlässig und unmittelbar nach der Gartenbegehung im Juni eintrat.
Menschlich war das nachvollziehbar, und tatsächlich waren die Gartenarbeiten, die im Frühjahr anfielen, deutlich wichtiger als das Nacharbeiten im Sommer. Schmittchen gefiel es trotzdem nicht.
Dass heute Abend niemand mehr werkelte, war allerdings kein Wunder. In etwas über einer Stunde würde das Fußballspiel Union Berlin gegen Hertha BSC angepfiffen. Ein Heimderby, das ausnahmslos alle Gartenfreunde der Anlage vor die Bildschirme locken würde. In vielen Gärten konnte er schon die Vorberichterstattung laufen hören. Schmittchen schmunzelte in sich hinein. So unkreativ manche bei der Bestückung ihrer Beete waren, so sehr wuchsen sie über sich hinaus, wenn es darum ging, den Fernsehempfang im Garten zu sichern. Er selbst hatte für Fußball nichts übrig, aber heute spielte er ihm in die Hände. Er hatte die Sitzung extra so gelegt, damit sie zeitlich nicht ausartete.
Wie immer kam er ein kleines bisschen zu spät. Schmittchen mochte es nicht, auf andere zu warten, auch, weil er dann Small Talk betreiben musste, was er ebenso wenig mochte. So kam er immer als Letzter, was ihm die Möglichkeit gab, die Sitzung direkt zu eröffnen. Schnell überprüfte er, ob auf jedem Platz eine Tagesordnung lag und an seinem Pult ein Glas Wasser stand, was beides der Fall war.
Schmittchen durchmaß den Raum mit wenigen Schritten, nickte in die Runde und räusperte sich. »Sind wir vollzählig? Gut. Dann kann es ja losgehen.« Er räusperte sich erneut. Tagelang hatte er überlegt, wie er den Tagesordnungspunkt eins umschreiben sollte. Was er sagen sollte. In seinem Kopf hatte er alles immer wieder hin und her gewälzt, es war kaum zum Aushalten gewesen. Zu einem Ergebnis, das ihn zufriedengestellt hätte, war er allerdings nicht gekommen. Manche Dinge konnte man einfach nicht blumig umschreiben.
»Ihr wollt sicher alle schnell wieder zurück in eure Gärten, das Wetter ist ja herrlich, und das Spiel fängt gleich an.« Um ihn herum erhob sich zustimmendes Murren. Seine Vorstandskollegen waren nicht in der Stimmung für eine Sitzung; Schmittchen hatte aus dem Augenwinkel gesehen, wie einige ihre Mollen hinter die Stuhlbeine geschoben hatten, als er reinkam. Bestimmt hatte Theo sie versorgt. Schmittchen fand, man könne ja auch mal eine Stunde auf sein Bier verzichten, doch er hatte keine Lust, sich zu streiten. »Kommen wir also direkt zu Tagesordnungspunkt eins«, fuhr er fort und atmete noch einmal tief durch. »Die Verabschiedung unseres geschätzten Vorstandsmitglieds Maik Reu…«
»Da muss ich einhaken, Schmittchen«, unterbrach ihn Maik Reuter ziemlich unhöflich, und Schmittchen hielt irritiert inne.
»Wieso das?«, fragte er und hob die rechte Braue.
Maik stand auf. Sein Schultheiss ganz offen in der rechten Hand haltend grinste er breit und schaute von einem zum anderen. Schmittchens Herz begann, unangenehm schnell zu klopfen. Er kannte dieses Grinsen. Und er mochte es nicht.
»Weil ich es mir anders überlegt habe, deshalb. Du kannst dir deine Lobeshymnen sparen, Schmittchen, ich bleibe euch erhalten.« Nun grinste er noch breiter, seine Mundwinkel erreichten fast die Ohrläppchen, während Schmittchens linkes Auge zu zucken begann.
Im Raum hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Die anderen Vorstandsmitglieder schauten so entgeistert drein, wie er sich fühlte. Maik schien es entweder nicht zu bemerken, oder es interessierte ihn nicht.
»Aber … aber ihr habt doch gebaut!«, sagte Schmittchen nun, weil ihm nichts anderes einfiel. »Du hast den Pachtvertrag gekündigt.«
»Schon«, bestätigte Maik. »Aber du klagst doch seit Jahren über zu viel Arbeit. Und da es hier sowieso immer einen Mangel an Freiwilligen für die Vorstandsarbeit gibt, dachte ich, es könnte nicht schaden, dabeizubleiben. Um dich und euch alle weiter zu unterstützen.« Maik wippte fröhlich auf seinen Flip-Flops auf und ab. »Ich finde das ziemlich nobel von mir, immerhin ist der Job verdammt schlecht bezahlt. Freut ihr euch denn gar nicht?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Nein, ich lass euch nicht hängen. So einer bin ich nicht.« Triumphierend sah er in die Runde. »Und wo ich gerade stehe: Ich brauche noch Freiwillige für die Baumschnittaktion in unserem Wäldchen am Samstag. Ich schlage einen Aushang am Schwarzen Brett vor. Machst du das, Schmittchen?«
»Ja … also … gut … also.« Schmittchen stotterte. Und er hasste es. Sein Blick huschte von einem Vorstandsmitglied zum nächsten und zum übernächsten. Keiner sagte auch nur ein Wort. Und bei einigen war das auch sehr, sehr viel besser so. Der Kopf seines Kassenwarts Ralf stand kurz vor der Explosion, und Marianne sah aus, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. Gabi gab ihm mit Blicken sehr eindeutig zu verstehen, dass sie von ihm erwartete, Maik rauszuwerfen. Wenn er nicht wollte, dass die Situation eskalierte, musste er dringend handeln. Nur wie?
Er nahm einen Schluck Wasser. Das war nicht gut. Es war überhaupt nicht gut. Mit zitternden Fingern ordnete er die Papiere vor sich auf dem Pult. Er hinterließ schwitzige kleine Abdrücke.
»Ja. Gut. Dann … ähm. Dann kommen wir also zu Tagesordnungspunkt zwei …«
Mannes Rücken schmerzte. Vor allem der untere Bereich tat höllisch weh, und er wusste nicht, wie er sich noch hinsetzen sollte. Zum wiederholten Male versuchte er, eine Position in seinem alten Autositz zu finden, die wenigstens halbwegs komfortabel war, doch er scheiterte. Wie immer. Wie hatte er die unzähligen Fahrten bis an den Gardasee in diesen Sitzen eigentlich ausgehalten? Demnächst würde sich sein Steißbein durch die Haut ins Polster bohren.
Caro warf ihm einen halb irritierten, halb amüsierten Blick zu. »Kannst du nicht mal ’ne Minute still sitzen?«, fragte sie. »Du bist wie ein Kleinkind, das aufs Klo muss.« Seine Kollegin runzelte die Stirn. »Musst du?«
»Nein. Und selbst wenn, würde es dich nichts angehen.« Wenn Manne über eine Sache jetzt ganz sicher nicht sprechen wollte, dann über seine Verdauung. Er fühlte sich auch so schon alt genug. Die Rückenschmerzen reichten vollkommen.
Außerdem hatte Manne ein ganz anderes Thema, das er mit Caro diskutieren musste, bisher aber noch nicht die Gelegenheit gefunden, es anzuschneiden. Oder den Mut.
»Du kannst ruhig eine Pause machen, wenn du willst. Dir die Beine vertreten. Ich pass schon auf.«
Manne schüttelte den Kopf. »Es geht schon, danke. Außerdem fällt es irgendwie auf, wenn ständig einer von uns aus dem Auto steigt, sich anschließend wieder reinsetzt und trotzdem nicht losfährt. Ich will hier nicht umsonst rumhocken.«
Caro runzelte die Stirn. Ihr Blick wanderte zu der Bar auf der gegenüberliegenden Straßenseite, deren weit geöffnete Eingangstür und gut gefüllten Außenbereich sie jetzt schon seit Stunden anstarrten und deren Geschäftigkeit mit jeder Minute einladender wirkte. Selbst auf Manne, der nicht viel mehr als brennende Kerzen sah. Ihr Schein brach sich auf Bierflaschen und Cocktailgläsern. Er erkannte nackte Beine und ab und zu weiße Zähne in einem lachenden Mund. Der Rest wurde von der Dunkelheit verschluckt. Doch Manne wusste auch so, wie es gerade dort auf der Terrasse aussah. Seine Erinnerungen hatten alles gespeichert.
Obwohl die Sonne längst untergegangen war, war es immer noch sehr warm im Auto. Die Klamotten klebten ihm am Körper, und er hätte jetzt wirklich gern ein Bier gehabt. Die da draußen hatten alle kühle Getränke in der Hand; er selbst hatte nur eine Flasche mit lauwarmem Wasser. Aber Observationen waren nicht der beste Zeitpunkt, um Bier zu trinken.
»Meinst du, sie würden uns bemerken?«
Er zuckte die Schultern. »Das kann man nie wissen. Wenn wir einmal auffliegen, ist der ganze Auftrag futsch.«
Caro seufzte. »Und die Kundin zahlt wirklich gut.«
Sie lehnte sich auf dem Beifahrersitz zurück und ließ die Hand in eine riesige Tüte Gummiwürmer gleiten, die sie, zusammen mit einer Unmenge anderer Snacks, in der Tür verstaut hatte.
Wenn Manne zu Beginn ihrer Bekanntschaft noch gedacht hatte, ein so zartes Persönchen würde nichts anderes als Apfelspalten zu sich nehmen, so war er schnell eines Besseren belehrt worden. Caro aß eigentlich ununterbrochen, und vieles von dem, was sie sich in den Mund schob, würde seine Frau Petra wohl als »Zellgift« bezeichnen. Manne selbst musste wirklich aufpassen; die Monate mit Caro hatten ihn deutlich runder werden lassen. Das viele Herumsitzen im Auto tat sein übriges.
»Ich weiß nicht, warum ich immer mitkomme«, murmelte er und streckte seine Hand aus, in die Caro ganz selbstverständlich einen sehr klebrigen und viel zu weichen Gummiwurm legte. »Ich sehe nachts sowieso nichts.«
»Weil ich mich allein zu Tode langweilen würde und weil dein Auto kleiner ist als unseres.«
»Ich langweile mich auch mit dir zu Tode«, grummelte Manne und schob sich das Gummitier in den Mund.
»Warst du es nicht, der gesagt hat, ein Großteil unserer Arbeit bestünde aus Warten?«, fragte Caro mit vollem Mund.
»Hm«, machte Manne.
»Und wolltest du damit nicht sagen, das Ganze wäre vielleicht nichts für mich?«
Manne schluckte und spülte mit lauwarmem Wasser nach. Das klebrige Tier kroch nur sehr langsam die Speiseröhre hinab. »Ich wollte dir damit nur verdeutlichen, dass diese Arbeit vielleicht nicht so spannend ist, wie du sie dir vorgestellt hast.«
»Also ich bin hier nicht diejenige, die sich langweilt«, gab Caro grinsend zurück und legte noch einen Gummiwurm nach. »Im Gegenteil. Ich amüsiere mich prächtig.«
»Ach«, sagte Manne, weil ihm sonst nichts einfiel. Musste sie immer so gut gelaunt sein? Das war einfach nicht richtig. Da sie ihm jetzt aber so schön auf die Nerven ging, konnte er ihr im Gegenzug auch ein bisschen zusetzen. Mal schauen, ob sie dann immer noch grinste.
»Weißt du, was noch amüsanter wäre? Wenn du dich mal um das ganze Unkraut in deinem Garten kümmern würdest.«
Caro hörte auf zu kauen und sah ihn an.
»Guck nach vorne«, mahnte Manne. »Nicht dass wir sie jetzt auch noch verpassen.«
Caro wandte den Blick wieder in Richtung Kneipeneingang, runzelte aber verärgert die Stirn. »Du kommst auch von Kuchenbacken auf Arschbacken. Was soll denn dieser Themenwechsel jetzt?«, fragte sie gereizt.
»Tut mir leid, ich wusste nicht, wie ich da elegant hinleiten soll.«
»Gar nicht?«, schlug Caro vor, und Manne lachte.
»Das geht leider nicht.«
»Du weißt doch, wie wenig Zeit wir haben«, verteidigte sich Caro. »Eike muss arbeiten, und wir beide haben auch gut zu tun. Und Kinderarbeit ist verboten.«
Manne verschluckte sich fast am Rest seines Gummiwurms. »Ich weiß«, hustete er. »Aber so, wie euer Garten jetzt gerade aussieht, kann er auf keinen Fall bleiben!«
»Es ist eben ein Wildgarten«, sagte Caro spitz und verschränkte die Arme. »Ein Biotop.«
»Ein Schrebergarten ist kein Biotop und soll auch gar keins sein«, gab Manne streng zurück.
Caro legte den Kopf schief. »Steht in unserer Satzung nicht auch etwas darüber, dass wir angehalten sind, Insekten und Vögel zu schützen?«
»Schon, aber …«
»Schau. Die haben bei uns viel mehr Lebensraum als bei anderen Leuten. Bei euch zum Beispiel. Und soweit ich weiß, steht in der Bundeskleingartenverordnung auch gar nichts über Unkraut.«
»Natürlich nicht, aber …«
»Außerdem«, fuhr Caro ungerührt fort, »ist Unkraut Ansichtssache. Giersch beispielsweise ist essbar, der schmeckt gar nicht mal so schlecht.«
Manne musste gegen seinen Willen grinsen. »Du hast dich aber gut vorbereitet«, sagte er. »Man könnte meinen, du hättest diese kleine Rede auswendig gelernt.«
Er streckte die Hand aus, und Caro klatschte einen weiteren roten Gummiwurm darauf. Ein bisschen fester, als nötig gewesen wäre. Das Ding klebte unangenehm. Eigentlich wollte er es gar nicht essen. Aber jetzt musste er.
Caro verschränkte die Arme erneut. »War ja klar, dass du mir damit irgendwann kommen würdest. Herr Vorstandsvorsitzender.«
Manne schlug einen beschwichtigenden Tonfall an. »Schau mal, genau das ist das Problem. Ich bin nun mal der Vorsitzende unseres Vereins und muss dafür sorgen, dass unsere Regeln eingehalten werden. Und zwar von allen Mitgliedern! Wie stünde ich denn da, wenn ich ausgerechnet bei dir ein Auge zudrücken würde?«
»Wie ein anständiger Mensch?«, schlug Caro gereizt vor.
»Aber Caro, es haben alle ziemlich hart gearbeitet, damit ihr einen schönen Garten habt. Es ist nicht gut für die Stimmung, wenn ihr ihn so … verkommen lasst.«
»Wir lassen ihn doch nicht verkommen!«, protestierte Caro schnaubend. »Wir haben nur eine andere Vorstellung vom perfekten Garten.«
»Um eure Vorstellung geht es aber nicht. Es geht nicht mal um meine. Mir wäre es offen gestanden egal, was ihr in eurem Garten treibt, wenn der Bezirksvorstand nicht alles so genau im Auge behalten würde. Und wir wollen ja wohl beide keinen Ärger mit Schmittchen.«
Caro schnaubte erneut, sagte aber nichts, sondern kaute sehr angestrengt auf ihrem Gummitier herum. Manne konnte sehen, dass sie eigentlich gern einlenken wollte, aber noch nicht ganz bereit war, sich geschlagen zu geben. Das Gefühl kannte er von sich selbst nur allzu gut. Und eigentlich hatte er überhaupt keine Lust, mit ihr zu streiten. Er wusste ja, dass Caro nicht faul oder nachlässig war, ganz im Gegenteil.
Die vergangenen Monate wären für jeden normalen Menschen überwältigend gewesen. Caro hatte im Frühjahr mit ihm gemeinsam einen gefährlichen Mörder gefasst, und sie hatten beide eine Prüfung bei der IHK Berlin abgelegt, um eine Detektei gründen zu können. Entgegen Mannes düsteren Prognosen waren ihre Dienste seitdem sehr gefragt, ihr Auftragsbuch war voll. Dafür hatte die Berliner Klatschpresse gesorgt, nachdem sie Kalles Tod aufgeklärt hatten. Zwischen all die neuen Verpflichtungen auch noch Gartenarbeit zu quetschen, war eine Herausforderung, gerade für einen Gartenneuling wie Caro. Trotzdem war es seine Pflicht, sie zu ermahnen. Was für ein Scheißjob. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum außer ihm selbst niemand bereit war, ihn zu machen.
»Was passiert denn, wenn Schmittchen Ärger macht?«, erkundigte sich Caro und klang dabei ein wenig verunsichert.
Manne seufzte. »Im schlimmsten Fall könnte er euch den Garten wegnehmen.«
Caro riss die Augen auf. »Das kann er nicht!«
»Doch. Leider. Wir sind nur Unterpächter beim Bezirk Pankow und auf die Gnade von Schmittchen und seinen Kollegen angewiesen. Und denen sind wir von der Harmonie sowieso schon ein Dorn im Auge.«
»Warum das denn?«
Manne lächelte. »Vermutlich, weil es bei uns ein bisschen wilder zugeht als woanders. Wenn ich Schmittchens Mentalität hätte, dann würde jede Hecke bei uns in der Anlage mit einem Lineal geschnitten.«
Caro schnaubte. Dann seufzte sie. »Okay, okay. Ich geb mir Mühe.«
»Das wollte ich hören«, sagte Manne zufrieden. In dem Moment begann sein Telefon zu vibrieren, und er runzelte die Stirn. Es war kurz vor halb zwölf. Wer rief denn um diese Zeit noch an?
Als er auf sein Display schaute, wuchs seine Verwunderung um ein Vielfaches.
»Was ist denn?«, fragte Caro.
»Es … es ist Schmittchen.«
Sie ließ Manne während des Gesprächs mit Schmittchen nicht aus den Augen. Caro wusste nicht viel über den ernsten, ruhigen Mann aus dem Bezirksvorstand. Sie war ihm erst einmal begegnet, und da war er ihr vorgekommen wie jemand, der einen Besenstiel im Ganzen verschluckt oder noch genauer: im Hintereingang stecken hatte. Doch Manne sprach immer sehr respektvoll von ihm, auch wenn er, wie eben, durchblicken ließ, dass Schmittchen eher konservativ eingestellt war. Umso rätselhafter, dass er freitags um diese Uhrzeit anrief. Auf jeden Fall schien es wichtig zu sein, Manne wirkte auf einen Schlag wie elektrisiert.
»Was ist passiert?«, hörte sie ihren Kollegen fragen, dessen Stirn sich beeindruckend kräuselte. Caro spitzte die Ohren, um zu hören, was Schmittchen am anderen Ende sagte, doch sie hatte keine Chance.
»Maiks Laube … was?«
Manne kniff die Augen zusammen, wie es Leute manchmal taten, wenn sie das Gegenüber nicht richtig verstanden.
»Ja, aber … jetzt beruhige dich doch bitte. Wir … wir sind hier gerade … ja … ja …«
Caro spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. Offenbar hatte dieser Anruf zu später Stunde einen ernsten Hintergrund. Mannes Halsader pochte.
»Wir kommen so schnell wie möglich. Bleib ruhig und … ja … gut.«
Manne legte auf und starrte sein Telefon an, als hätte es ihn soeben gebissen.
»Was ist denn los?«, fragte Caro, die es hasste, dass man aus Manne alles herauspressen musste.
»Bei Maik brennt die Hütte.«
»Maik?«, fragte Caro stirnrunzelnd. »Ich dachte, du hättest mit Schmittchen gesprochen.«
»Hab ich auch.«
»Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr.«
»Die Hütte von Maik Reuter brennt. Oben in der Kolonie Rosenthal.«
»Da brennt wirklich eine Hütte?«
Manne nickte. »Eine Laube. Schmittchen möchte, dass wir sofort kommen.«
Caro riss die Augen auf und fummelte am Sicherheitsgurt herum. »Meint er, es war Brandstiftung?«
»Ich konnte nicht alles verstehen. Er ist sehr aufgebracht.«
»Dieser menschliche Aktenordner?«
Manne grinste, wenn auch widerwillig, wie es schien. »Im Rahmen seiner Möglichkeiten.«
Caro kicherte. »Warum dürfen ihn eigentlich alle Schmittchen nennen? Wenn er so konservativ ist, meine ich?«
»Weil die Alternative für ihn noch schrecklicher wäre. Sein Vorname ist Edelhart.«
Caro prustete. Was sich manche Eltern bei der Namensgebung ihrer Kinder dachten, war ihr immer wieder schleierhaft. »Okay. Und Eddi ist natürlich auch keine Alternative.«
»Natürlich nicht.« Manne wurde wieder ernst. »Schmittchen ist wirklich in Ordnung. Er hat mir schon oft geholfen, und ich vergesse so was nicht.«
»Na dann, auf nach Rosenthal!«, sagte Caro enthusiastisch.
Manne wedelte mit der Hand in Richtung Kneipe. »Und was machen wir jetzt mit Herrn Heidenreich? So nah sind wir seit Wochen nicht an ihn rangekommen.«
Caros Aufregung bekam einen Dämpfer. Im Lichte des Telefonanrufs schien es ihr vollkommen absurd, noch eine Minute länger hier in diesem Auto sitzen zu bleiben und auf die Tür einer Szenekneipe zu starren. Entschlossen legte sie die Kamera zur Seite und ihre rechte Hand auf den Türöffner.
»Wo willst du denn hin?«, fragte Manne überrascht.
»Ich regle das«, entgegnete Caro, stieg aus und knallte die Tür zu. Sie wusste nicht, warum sie das, was sie jetzt vorhatte, nicht schon viel früher getan hatte.
Zielstrebig durchquerte sie den proppenvollen Außenbereich und betrat die Kneipe. Kurz vor der Bar hielt sie inne und schaute sich in dem fast leeren, hip eingerichteten Gastraum um. Links saß eine Gruppe Studenten in müder, trunkener Zufriedenheit beisammen und diskutierte angeregt, an der Bar polierte eine absurd schöne Frau ein paar Gläser. Dabei ließ sie sich von einem Ventilator abkühlen.
»Kann ich dir helfen?«, fragte sie.
»Ich suche die Toilette«, sagte Caro mit einem breiten Lächeln.
»Dahinten die Treppe runter«, antwortete die Barkeeperin und zeigte nach rechts.
Das Glück war auf ihrer Seite. Mit festen Schritten ging Caro in Richtung der Treppe, die ins Untergeschoss führte, an dem knutschenden Pärchen vorbei, das verschwitzt und eng umschlungen im hinteren Teil des Raumes zugange war.
Wenn sie schon mal hier war, beschloss sie, konnte sie auch tatsächlich auf die Toilette gehen. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, musste sie sowieso ein paar Minuten unten bleiben.
Nachdem sie sich die Hände gewaschen hatte, schlich sie die Treppe, so vorsichtig sie konnte, wieder hinauf, ihr Handy in der Hand, den Kameramodus eingeschaltet. Die Musik in der Bar war glücklicherweise laut genug, um ihre Schritte auf den metallenen Stufen zu übertönen.
Als sie das Pärchen im Fokus hatte, drückte sie ein paarmal auf den Auslöser, wobei sie darauf achtete, dass das Gesicht des Mannes mittig und gut zu erkennen war. Dann steckte sie das Telefon wieder ein.
Während sie die letzten Stufen geräuschvoll nach oben ging, kam ihr kurz der Gedanke, dass die Bilder, die sie jetzt auf dem Telefon hatte, das Leben des spindeldürren Mannes, der sich wie ein Ertrinkender an die kurvige Blondine klammerte, mächtig durcheinanderwirbeln, vielleicht sogar zerstören würden.
Auf der anderen Seite war es seine eigene Schuld, oder nicht? Caro warf der schönen Barkeeperin ein flüchtiges Lächeln zu und war kurz darauf wieder am Auto, grinsend wie ein Honigkuchenpferd. Ihr Atem ging schnell, sie musste unbewusst die Luft angehalten haben während der Aktion.
Manne war schon auf den Beifahrersitz ausgewichen. Er konnte bei Dunkelheit nicht mehr fahren.
»Hab ihn«, rief Caro triumphierend. Sie feixte und warf ihm ihr Handy zu. »Der Auftrag ist beendet. Also, wo soll ich hinfahren?«
Sie zog den Fahrersitz nach vorne, damit ihre Füße überhaupt an die Pedale kamen, und beobachtete amüsiert, wie sich Manne durch die Bilder arbeitete.
»Donnerwetter«, hörte sie ihren Kollegen murmeln. Dann sah er auf. »Caro, das war ganz schön riskant.«
»Warum das denn?«, fragte sie. »Was hätte er denn tun sollen, selbst wenn ich aufgeflogen wäre? Mich mit einem Cocktailspieß erstechen?«
»Haha. Du weißt doch, dass es besser ist, unbemerkt zu bleiben. Unsere Kundin hat vielleicht noch gar keinen Plan, was sie mit unseren Informationen anfangen wird. Wenn das Objekt herausfindet, dass es beobachtet wird, eskaliert die Situation garantiert.«
Caro zog die Brauen hoch. »Hat Frau Heidenreich den Eindruck auf dich gemacht, als wüsste sie noch nicht, was sie mit ihrem Mann tun würde, sollte sich ihr Verdacht bestätigen? Der Typ da drinnen hat gerade die letzten schönen Stunden für eine sehr lange Zeit, da bin ich mir sicher.«
»Menschen ändern ihre Meinung«, gab Manne zurück. »Vor allem in so einer Situation. Wir haben ihr versprochen, diskret zu sein.«
»Ja, weil sie sichergehen wollte, dass sie die Bombe selbst platzen lassen kann. Aber mach dir keine Gedanken. Die beiden waren so beschäftigt, die haben nichts bemerkt. Der ganze Außenbereich ist voll, da geht bestimmt ständig jemand aufs Klo und an ihnen vorbei.« Caro schnallte sich an und schüttelte schnaubend den Kopf. »Danke, o du meine brillante Kollegin, dass du den Sack zugemacht hast, damit wir dem edlen Besenstiel Schmittchen zu Hilfe eilen können. Was für ein Geniestreich.«
Manne lachte und gab ihr das Handy zurück. »Gut gemacht, o du bescheidenste aller Detektivinnen. Und jetzt fahr endlich. Wir müssen zur Schillerstraße in Pankow.«
Sie fuhren los durch das nächtliche Berlin. Zum Glück war nicht viel Verkehr und der Weg vom Prenzlauer Berg bis in die Schillerstraße mit dem Auto auch nicht zu weit.
Caro erinnerte sich noch gut an den Sitz des Bezirksvorstandes. Sie waren im Frühjahr mit der ganzen Familie dort gewesen, um einige Unterlagen zu unterzeichnen, bevor sie den Garten in der Harmonie hatten in Besitz nehmen können, nur um dort noch einmal Unterlagen zu unterzeichnen. Da der Verein die gesamte Anlage vom Bezirk pachtete, hatten sie den doppelten Papierkram erledigen und sich zwei Ansprachen über ihre Pflichten als Gartenfreunde anhören dürfen. Caro dachte an das Unkraut in ihrem Garten und schämte sich. Zum Glück war Schmittchen schon eine Weile nicht mehr in der Harmonie gewesen, sonst hätte sie spontan in Erwägung gezogen, Reißaus zu nehmen. Obwohl: wahrscheinlich nicht. Sie war viel zu neugierig.
Auf dem Parkplatz vor der Anlage standen einige Autos. Kein Wunder, es war warm, auch jetzt im September noch, und viele Familien übernachteten in ihren Hütten, vor allem am Wochenende. Es gab einige, die zwischen Juni und September kaum mehr nach Hause fuhren. Auch sie hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, zumindest an den Samstagen auf ihrem Gartengrundstück zu schlafen. Ein bisschen wehmütig dachte sie an Eike, der jetzt vielleicht noch mit einem Glas Weißwein vor ihrer Laube saß, zufrieden auf den Ausgang des Spiels trinkend, während Caro und Manne sich die Nacht um die Ohren schlugen. Ihr Leben war nicht gerade ruhiger geworden in letzter Zeit.
»So, da wären wir«, sagte Manne und schob sich mit etwas Mühe aus dem Autositz hinaus auf den Vorplatz. Er wirkte müde und angespannt. Caro hingegen spürte eine gewisse Vorfreude, für die sie sich gleichzeitig schämte. Aber sie konnte es nicht ändern: Eine brennende Hütte war deutlich aufregender und interessanter als ein untreuer Ehemann. Sie atmete einmal tief durch und schnupperte.
»Hier riecht es verbrannt«, sagte sie, und Manne nickte.
»Es ist gar nicht so selten, dass Lauben abbrennen, aber in den letzten Jahren zum Glück zumindest bei uns in Pankow nicht mehr vorgekommen.«
»Warum brennen Lauben ab?«
»Alte Kabel, unsachgemäß gelagerter Spiritus, alte Öllappen und so weiter.«
Caro runzelte die Stirn. »Öllappen?«
Manne nickte. »Können sich selbst entzünden, wenn sie in einem kleinen Raum gelagert werden. Ist selten, kommt aber vor.«
Mit Unbehagen dachte Caro an ihren kleinen Schuppen. Lag da irgendwo ein Öllappen herum? Ausschließen konnte sie es nicht. Sie unterdrückte den Impuls, Eike anzurufen. Der würde sie für verrückt erklären, wenn sie ihn jetzt anwies, im stockdunklen Schuppen nach Öllappen zu suchen.
»Komm«, sagte Manne. »Schauen wir uns das Ganze mal an.«
Gemeinsam gingen sie den Hauptweg entlang. Caro hatte sich bei Manne untergehakt und blickte sich in den Gärten um. Was sie sah, war ihr nicht unbedingt sympathisch.
»Du hast recht. Hier ist es wirklich ganz anders als bei uns«, murmelte sie und dachte noch: zum Glück. Die Gärten in dieser Anlage waren irgendwie alle gleich. Die kleinen Häuschen sahen einander unheimlich ähnlich, die Gärten schienen gleich groß, die Hecken gleich hoch, und alles war so ordentlich, als wäre die Anlage gar nicht echt, sondern aus Legosteinen erbaut. Wobei die natürlich nicht brennen würden wie Zunder. Einzig Unterschiede in der Gartendeko gaben einen Hinweis darauf, dass hier verschiedene Charaktere werkelten.
»Ja, es ist eine mustergültige Anlage«, bestätigte Manne. »Wie würde der Bezirksvorstand sonst dastehen? Hier wird besonders genau hingeschaut, das kann ich dir sagen. Wir müssen nach links.« Er kniff die Augen zusammen und sah in den Himmel. »Sehe ich da was Rotes?«
Tatsächlich. Ein roter, flackernder Schein zog sich über eine dunkle Baumreihe, die einen Teilbereich der Anlage von einem anderen trennte. Auch glaubte Caro, dass es wärmer wurde. Also, noch wärmer, als es ohnehin schon war.
Ein paar Schritte weiter konnten sie es sehen: Eine der Hütten brannte lichterloh. Sie gingen eilig voran.
Hinter der nächsten Ecke quoll die Anlage, die in weiten Teilen so ruhig gewirkt hatte, schier über vor Geschäftigkeit und Menschen. In den angrenzenden Grundstücken und auf dem Weg standen sich die Leute die Füße platt, machten große Augen und verschränkten die Arme. Wasserschläuche aus verschiedenen Nachbargärten und ein großer Schlauch, der an einen Hydranten angeschlossen war, führten auf das Grundstück. Die Rufe wurden lauter. Nun war die Hitze, die von der brennenden Hütte ausging, auch nicht mehr zu ignorieren, und Caro fühlte, wie ihr frischer Schweiß ausbrach. Sie zog ihr Handy hervor und machte ein paar Fotos.
Zwischen den Schaulustigen stand der ernste Schmittchen und blickte in die Flammen. Manne winkte ihm zu, und der Vorstand kam zu ihnen herüber.
»Gut, dass ihr da seid. Ihr wart ja doch schneller, als ich dachte.«
»Ja«, antwortete Manne und zeigte mit dem Daumen auf Caro. »Meine Kollegin hat die Sache beschleunigt.«
Schmittchen warf Caro ein zerstreutes Lächeln zu.
Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie mehrere Gartenfreunde in Crocs und Badelatschen, die zum Teil komplett im Matsch versanken, mit Feuerlöschern und Gartenschläuchen gegen die Flammen kämpften, angeführt von einem großen, älteren Mann, der den dicken Löschschlauch bediente und gleichzeitig kommandierte. Die Aktion wirkte furchtbar unorganisiert und riskant auf sie.
»Habt ihr die Feuerwehr gar nicht gerufen?«, fragte Caro.
Schmittchen legte die Stirn in Falten. Dann seufzte er. »Nein. Deshalb habe ich euch ja angerufen. Die anderen wollten nicht, und unser Gartenfreund Thomas war früher bei der freiwilligen Feuerwehr. Er macht das hervorragend und hat den Brand schnell in den Griff bekommen. Offen gestanden ist es mir auch lieber, wenn niemand von außen sich der Sache annimmt.«
»Wie meinst du das?«, fragte Manne, der in seinen Hosentaschen herumwühlte. Caro ahnte, dass er nach etwas Zuckrigem suchte, das er sich in den Mund schieben konnte. Sie kramte eine angebrochene Packung Traubenzucker aus der Handtasche und hielt sie ihm wortlos hin. Wenn Petra jemals herausfand, womit Caro ihren Mann so fütterte, würde sie mächtig Ärger bekommen, das wusste sie.
Doch mit Manne zu arbeiten bedeutete auch, seinen Blutzuckerspiegel konstant hoch zu halten. Wenn er unterzuckert war, wurde er unbrauchbar.
Manne schob sich ein Stück Traubenzucker in den Mund, und Schmittchen deutete auf das Grundstück.
»Der Garten gehört unserem Vorstandsmitglied Maik Reuter«, erklärte er. »Maik ist …«
Schmittchen schien nach den richtigen Worten zu suchen, doch Manne kam ihm zuvor. »Ein Arschloch«, sagte er schlicht, und Schmittchen nickte mit einem sparsamen Lächeln.
»Irgendwie beruhigend, dass du das auch so siehst, Manfred. Ja, er hat vielen auf der Anlage das Leben nicht gerade leicht gemacht.«
»Ich kenne ihn nicht«, sagte Caro. »Was ist er so für ein Typ?«
Schmittchen seufzte. »Maik ist ein klassischer Wichtigtuer. Ein kleines Licht, Maurergeselle. Als er die Möglichkeit hatte, als Mitglied des Vorstands Autorität zu erhalten und die dann auch auszuüben, hat er sich gleich darauf gestürzt.«
»Das heißt, er schikaniert hier die Leute?«, fragte Caro, und Schmittchen verzog das Gesicht.
»Einige würden es definitiv so ausdrücken. Er hat große Töne gespuckt, aber immer andere für sich arbeiten lassen. Immer so getan, als sei er der große Gärtner, obwohl jeder weiß, dass sich seine Frau um den Garten kümmert und er nur in den späten Abendstunden illegal seinen Müll in einer Tonne hinter der Laube verbrennt und ansonsten Sprüche klopft. Er beraumt immer aufwendige Arbeitseinsätze an, die er dann lediglich überwacht, was bedeutet, dass er mit einem Bier in der Hand bei Theo in der Kneipe sitzt und sich rapportieren lässt. Ständig droht er Leuten mit Rausschmiss, die ihm nicht passen. Und er lässt jeden wissen, dass er im Vorstand ist.«
»Klingt nach einem richtigen Herzchen«, sagte Caro.
»Ja, wir lieben ihn alle sehr.« Schmittchens Mundwinkel zuckten leicht, und Caro war überrascht. Mit Humor hatte sie nicht unbedingt gerechnet.
»Warum ist er denn überhaupt Mitglied des Vorstands, wenn er so ein unerträglicher Zeitgenosse ist? Wieso habt ihr ihn nicht einfach rausgeschmissen?«
»Vorstandsarbeit ist ein undankbares, zeitraubendes und aufwendiges Ehrenamt«, schaltete sich Manne ein. »Und immer weniger Leute erklären sich dazu bereit.«
Das stimmte natürlich. Caro selbst konnte sich zum Beispiel beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie ein solches Amt noch in ihr Leben quetschen sollte.
Schmittchen nickte. »Wir wären ihn ja auch gern losgeworden. Aber es fand sich niemand, der bereit war, den Posten zu übernehmen. Deshalb waren wir ja auch so froh, als er seine Parzelle gekündigt hat und sich die Sache so quasi von selbst erledigen würde.«
»Ach?« Mannes Brauen schossen fragend in die Höhe. »Hat er das?«
»Ja.« Schmittchen drehte den Kopf und beobachtete eine Weile, wie die letzten Flammen unter sehr viel Wasser und weißem Schaum verschwanden. Die Luft stank nach Rauch, verbranntem Holz und Chemikalien. Und noch ein paar mehr Dingen, die Caro nicht zuordnen konnte.
»Aber dann hat er uns heute Abend bei der Vorstandssitzung eröffnet, dass er die Parzelle zwar gekündigt hat, sein Amt aber behalten will. Und seitdem brennt die Hütte.« Der Bezirksvorstand rückte seine Brille zurecht. »Im wahrsten Sinne des Wortes.«
»Verstehe. Du glaubst, jemand aus der Anlage hat die Hütte angezündet, um ihn doch noch zu vergraulen, und möchtest das intern klären«, sagte Manne.
Schmittchen verzog das Gesicht. »Offen gestanden glaube ich sogar, dass Maik es selbst war. Er hat bisher alle Bewerber abgelehnt, die sich das Grundstück angeschaut haben. Hat die Warteliste des Bezirks durch und niemanden akzeptiert.« Er senkte die Stimme. »Es wäre doch der perfekte Zeitpunkt. Er eröffnet uns auf der Sitzung, dass er bleiben möchte, um den Verdacht von sich wegzulenken, und zündet das Ding dann am heißesten Abend des Jahres an, an dem erstens fast alle in der Anlage sind und zweitens auch fast alle grillen. Die Bäume und Wiesen sind ausgetrocknet, die Funken fliegen. Ehrlich gesagt habe ich mir den ganzen Abend schon Sorgen gemacht, dass irgendwas Feuer fangen könnte.« Er zuckte mit den Schultern. »Die Versicherung wird keine großen Fragen stellen und die sechzigtausend auszahlen.«
Manne riss die Augen auf. »Bitte?«
Schmittchen nickte grimmig. »In den Kleinanzeigen steht sie für fünfundvierzig drin. Und ein Anruf bei der Feuersozietät hat gereicht, um herauszufinden, dass er die Hütte noch höher versichert hat. Dabei war sie ziemlich runtergekommen von innen.«
Manne pfiff durch die Zähne. »Die haben doch alle Kommodenlack gesoffen«, raunte er.
»Das heißt, du glaubst, Maik möchte lieber die Versicherungssumme einstreichen und hat deshalb die Laube angezündet?«, fragte Caro halb ungläubig, halb fasziniert.
»Es würde mich jedenfalls nicht wundern«, sagte Schmittchen.
»Was sagt Maik selbst denn dazu?«, fragte Manne, der sich nun suchend umblickte, als hoffe er, Maik irgendwo im Gewusel zu erblicken. Was bei seiner Sehschwäche sowieso unmöglich war.
»Der geht nicht ans Telefon. Und er geht sonst immer ans Telefon.« Schmittchen schnaubte. »Deshalb glaub ich ja auch, er hat die Finger im Spiel. Ist wahrscheinlich gerade schön weit von der Anlage weg in irgendeiner Kneipe und unterhält sich lautstark über das Spiel. Und fällt dann morgen aus allen Wolken.«
Manne nickte. »Er wäre nicht der erste Idiot, der so was versucht, und wird wohl nicht der letzte sein. Aber Schmittchen, was willst du jetzt von uns?«
»Ich möchte einen unabhängigen Blick auf die Sache. Dass ihr herausfindet, wer die Hütte angezündet hat. Ganz gleich, wer es war. Wir sind so voreingenommen, dass wir sowieso glauben, Maik hätte es selbst getan. Betrachtet es bitte als ganz normalen Auftrag und ermittelt so, wie ihr es bei jedem anderen tun würdet. Der Verein zahlt selbstverständlich auch das normale Honorar.«
»Wir haben wirklich sehr viel zu tun.« Manne kniff die Augen zusammen und schaute zweifelnd zu dem schwelenden Gerippe der Gartenlaube hinüber.
»Schmittchen, ich habe nur wenig Ahnung von Bränden. Da sind Spezialisten gefragt. Für so was muss man sich lange ausbilden lassen.«
»Ich will ja auch nicht, dass du mir sagst, wo der Brand gelegt und was als Beschleuniger benutzt wurde. Ich will, dass ihr mit den Leuten und vor allem mit Maik sprecht. Findet heraus, was heute Nacht hier gelaufen ist. Damit die Sache nicht größer gemacht wird, als sie sowieso schon ist.«
Als Manne weiterhin kritisch dreinblickte, rang sich Schmittchen noch zu einem »Bitte« durch, und Manne seufzte erneut.
»Na gut«, sagte er. »Wir können uns den Schlamassel ja mal anschauen.«
Mit diesen Worten stapfte Manne los und grüßte sich nickend durch die umstehenden Schaulustigen, die teils freundlich zurückgrüßten. Caro beeilte sich, ihm zu folgen. Sie grüßte ebenfalls links und rechts und versuchte, dabei möglichst souverän zu wirken und unauffällig noch ein paar Fotos von der Laube zu machen. Plötzlich fühlte sie sich gar nicht mehr wie die draufgängerische Detektivin, die sie noch vor einer Dreiviertelstunde gewesen war, sondern wie ein Schulmädchen. Den Effekt, den skeptisch dreinblickende Schrebergärtner auf sie hatten, konnte sie auch nach einem halben Jahr in deren Mitte nicht abschütteln. Nach Mannes Standpauke über das Unkraut in ihrem Garten kein Wunder. Fast fühlte sie sich, als stünde Pflanzenkiller quer über ihre Stirn geschrieben.
Sie betraten den Garten, und unter ihren Füßen schmatzte und quietschte es, so vollgesogen war der Rasen vom Löschwasser, das hier und da in Pfützen stand oder in Rinnsalen Dreck und Ruß vom Haus in Richtung Weg transportierte.
Die Leute, die teilweise schon Bier in den Händen hatten, machten ihnen schweigend Platz, als wären sie keine Detektive, sondern Richter auf dem Weg zu einer Urteilsverkündung. Bei der Laube angekommen, die von verschiedenen Notlampen und den Grundstücken ringsum angeleuchtet wurde und noch immer vor sich hin schwelte, blieben sie stehen. Die Ruine strahlte eine bedrohliche Hitze ab. Sie wirkte beinahe wie etwas, das nach einem langen Kampf besiegt worden war. Wasser tropfte überall herunter, es dampfte und zischte. Wie ein Ungeheuer, dachte Caro. Der Drache in einem Märchen.
»Was für eine Sauerei«, murmelte Manne, und Caro konnte ihm nur beipflichten. Alles war dreckig und kaputt. Viel sehen konnte man allerdings nicht, außer dass die Hütte vollkommen hinüber war.
Caro kramte in ihrer Handtasche und förderte ihre schwere Stabtaschenlampe zutage. Zwar war es nicht so gut für ihre Schultern, das Ding ständig mit sich herumzuschleppen, aber da es sowohl Werkzeug als auch Schlagstock in einem war, nahm sie die Schlepperei gern auf sich. Und in Momenten wie diesen war es unbezahlbar. Caro trat einen Schritt auf die Laube zu.
»Geh da bloß nicht zu nah ran!«, rief der Mann mit dem Löschschlauch.
Sie drehte sich um und warf ihm einen fragenden Blick zu. »Es brennt doch nicht mehr«, gab sie zurück.
»Das nicht. Aber die Hütte kann einstürzen. Und manchmal entzündet sich irgendwo noch ein Funke. Außerdem wissen wir nicht, ob Maik nicht vielleicht Benzin oder ’ne Gaskartusche da drin hat, die noch hochgehen könnte!«
Caro schluckte. Das waren tatsächlich keine sonderlich angenehmen Aussichten. Doch ihre Neugier war größer als die Angst, auch wenn sie wieder ein paar Schritte von dem Objekt zurücktrat.
Sie knipste die Lampe an und leuchtete in die schwelende Ruine hinein. Mit wachsendem Unbehagen betrachtete Caro die Zerstörung. Das Feuer hatte die meisten Möbelstücke zu unförmigen Klumpen verbrannt, doch manches – wie die kleine Einbauküche – war noch zu erkennen. Die Schränke standen offen. Kabel hingen lose herum, und Aschefetzen schwebten durch die Luft wie Federn.
»Und?«, hörte sie Manne hinter sich fragen.
»Nichts Besonderes«, sagte sie und ging zur Rückseite des Gebäudes. Hier lagen die Fenster so hoch, dass sie nur mit Mühe in die Laube hineinspähen konnte; und auch nur wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte.
Caro blickte sich um. Auf dem Nachbargrundstück stand ein kleiner Aufstellpool, aus dem eine Leiter ragte.
»Kann ich mir die mal ausleihen?«, fragte sie den Nachbarn, der mit grimmigem Blick über seine halb verkohlte Hecke lugte.
Er nickte und verschwand aus ihrem Blickfeld. Kurz darauf wurde die Leiter auch schon über die Hecke gehoben.
»Vorsicht, die ist heiß«, warnte der Mann. Und tatsächlich war die Leiter so heiß, dass Caro sie vor Schreck erst einmal fallen ließ. Der Nachbar warf ihr wortlos ein Paar Gartenhandschuhe über die Hecke. Na, der war ja ein Herzchen.
Caro streifte die Handschuhe über und schleppte die Leiter mit entschlossener Miene zurück in Richtung Ruine. Sie wusste selbst nicht, warum sie so einen Aufwand betrieb, aber etwas machte sie nervös. Es lag quasi in der Luft.
Sie kletterte auf die Leiter und ließ ihren Lichtstrahl durch die geborstene Fensterscheibe ins Innere wandern.
Außer Verwüstung war in dem großen, offenen Raum, der wohl als Wohnzimmer gedient hatte, nichts zu erkennen. Auch im hinteren Teil der Küche entdeckte Caro nichts Ungewöhnliches. Sie wollte es schon dabei belassen, da das letzte kleine Fenster an der engsten Stelle lag und sie dem Haus gefährlich nahe kommen würde, andererseits mochte sie keine halben Sachen. Hatte sie etwa den Aufwand betrieben, um dann ins letzte Fenster gar nicht reinzuschauen? Nein.
Caro hievte die Leiter also noch ein Stück weiter Richtung Hecke und kletterte ein drittes Mal hinauf.
Nach einem Blick in den kleinen Raum, der wohl mal ein Schlafzimmer gewesen war, wäre sie beinahe wieder runtergefallen. Mit ihrer freien Hand hielt sich Caro so krampfhaft an der Leiter fest, dass ihre Finger schmerzten, während die Welt um sie herum anfing, sich viel zu schnell zu drehen.
Sie blinzelte und zwang sich, noch einmal genauer hinzusehen, ließ den Strahl der Taschenlampe über das wandern, was dort in der Laube auf einem pechschwarz verkohlten Bett lag.
»Manne!« Sie wollte eigentlich rufen, doch was aus ihrer Kehle drang, war mehr Krächzen als alles andere. Als ihr Kollege nicht sofort kam, rief sie noch einmal, diesmal lauter. Es klang so panisch, wie sie sich fühlte. »Manne! Komm her!«
Endlich bog er um die Ecke. Caro hörte ihn nur, ihr Blick war noch immer auf das kleine Fenster gerichtet.
»Caro, verflucht, du sollst doch nicht so nah rangehen. Was, wenn da wirklich noch irgendwas drin ist.«
Sie schluckte. »Manne, da ist noch was drin. Oder … oder vielmehr jemand.«
Manne riss die Augen auf. »Was?«
Caro atmete einmal tief durch. »Da drin liegt jemand.«
»Bist du sicher?« Ihr Kollege starrte sie entgeistert an.
Sie nickte. »Ja. Auf dem Bett.«
»Scheiße.«
Manne war schon wieder auf dem Weg zu Schmittchen, während Caro noch mit weichen Knien die Leiter hinabstieg. Ihr Magen fühlte sich an, als wären die Gummiwürmer zum Leben erwacht. Die warmen, klebrigen …
Noch einmal atmete sie tief durch und versuchte, sich zu sammeln. Dann wurde ihr plötzlich klar, dass es kein Grillgeruch war, der ihr dabei in die Nase stieg, und sie erbrach sich in die Hecke.
Manne presste die Kiefer schmerzhaft fest aufeinander, so angespannt war er, als er zu Schmittchen zurückstapfte. Konnte Caro wirklich eine Leiche in der Hütte gesehen haben? Es fiel ihm schwer, das zu glauben, immerhin war es dunkel, und in der Laube herrschte ein Chaos aus Trümmern, Wasser und Dreck. Das konnte alles sein. Alte Decken oder eine Schaufensterpuppe oder …
Auf der anderen Seite kotzte sie sich gerade die Seele aus dem Leib, wie er unschwer hören konnte, und ihre Augen waren weit besser als seine eigenen.
Schmittchen stand noch immer auf dem Weg, nun ins Gespräch mit diversen Gartenfreunden vertieft. »Eins nach dem anderen«, hörte Manne ihn sagen. »Wir können doch das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Warten wir doch erst mal ab, was Manne und Caroline herausfinden.«
»Schmittchen«, rief Manne, der keine Lust hatte, die Neuigkeit mit der Leiche vor aller Augen und Ohren herauszuposaunen.
Der Bezirksvorstand blickte in seine Richtung. Seit das Feuer nicht mehr brannte, wirkte er deutlich weniger angespannt. Nun, das würde sich gleich ändern. Scheiße.
»Komm mal bitte.«
Schmittchen trat auf ihn zu. »Was ist denn los?« Offenbar hatte er die Besorgnis auf Mannes Gesicht erkannt, denn nun wirkte er selbst auch wieder vollkommen ernst.
»Ich fürchte«, raunte Manne so leise, dass nur Schmittchen ihn hören konnte, »dass du aufhören kannst, Maik anzurufen.«
Schmittchen runzelte die Stirn. »Wieso das denn? Ich muss ihm doch sagen, was hier los ist. Es ist immer noch sein Garten.«
»Schmittchen, du verstehst nicht.« Manne atmete einmal tief durch. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass es nichts brachte, unangenehme Nachrichten hinauszuzögern. Und dennoch fiel es ihm schwer. Jedes Mal aufs Neue.
»Caro hat da drin eine Leiche entdeckt.«
Schmittchen starrte ihn an, als wollte er geradewegs durch Mannes Kopf hindurch in die verbrannte Hütte gucken, dann schwankte er leicht und hielt sich an Mannes Schulter fest.
»Eine …« Er schluckte. Sein Blick wanderte in den hinteren Bereich des Gartens, wo sich Caro gerade zitternd aufrichtete.
»Ist sie sich da sicher?«, fragte Schmittchen.
»Sieht sie aus, als wäre sie nicht sicher?«
Schmittchen sagte nichts, sondern starrte ins Leere, während Caro mit leicht wackeligen Schritten auf sie zukam. Dabei kramte sie in ihrer riesigen Handtasche und steckte sich kurz darauf einen Kaugummi in den Mund. Eines musste man ihr wirklich lassen: Sie hatte immer alles dabei.
»Geht’s wieder?«, fragte Manne freundlich, und Caro nickte. Er hatte großes Mitgefühl mit ihr. Manne wusste, wie schrecklich es war, einen Toten zu finden. Und eine Brandleiche war noch einmal heftiger. Ein Anblick, den man nie wieder vergaß. Grausam und surreal.
»Ja, es war nur ein ziemlicher Schock. Und der Geruch …« Sie verzog das Gesicht, und Schmittchen hielt sich wieder an seiner Schulter fest.
»Er liegt im kleinen Zimmer da hinten auf dem Bett.« Caro zeigte auf ein schmales Fenster. »Die Leiche sieht irgendwie merkwürdig aus.«
»Wie meinst du das?«, erkundigte sich Manne.
»Die Arme und Beine stehen in die Luft«, erklärte Caro.
Manne schloss die Augen. Damit hatte sie auch den letzten Zweifel ausgeräumt, dass da drin wirklich ein toter Mensch lag. Er nickte seufzend.
»Was du da gesehen hast, ist die sogenannte Fechter- oder Boxerstellung. Durch die Hitze des Brandes ziehen sich die Muskeln zusammen, Arme und Beine richten sich auf.« Manne wandte sich an Schmittchen. »Es ist definitiv ein Mensch. Ich fürchte, um externe Einmischung kommen wir jetzt nicht mehr herum. Möchtest du die Polizei rufen?«
Schmittchen fuhr sich mit der flachen Hand über den fast kahlen Kopf und blickte seufzend zu dem Grüppchen auf dem Weg hinüber. Es herrschte beinahe so was wie Volksfeststimmung. Ohne die Gespräche zu hören, wusste Manne, dass sie gerade Theorien zusammensponnen und Gerüchte austauschten. Die Gartenfreunde genossen das Gefühl einer eigenhändig abgewandten Katastrophe sichtlich.
»Ich mach das«, sagte Schmittchen abwesend und entfernte sich ein Stück von ihnen.
Caro und Manne sahen einander an.
»Hast du noch ein Kaugummi?«, fragte Manne, der das Bedürfnis hatte, seinen mahlenden Kiefern etwas zu tun geben zu müssen, damit seine Zähne keinen Schaden nahmen.
Caro reichte ihm eines und schaute skeptisch. »Die sind aber zuckerfrei«, sagte sie mit einem hintergründigen Lächeln, und Manne knuffte sie gegen die Schulter. Sie war echt hart im Nehmen.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Caro.
»Wir bleiben hier und warten auf unseren geschätzten Kollegen Lohmeyer, fürchte ich«, entgegnete Manne.
»Meinst du wirklich, dass ausgerechnet er kommt?«
Manne verzog das Gesicht. »Wenn er Dienst hat, sicher. Soweit ich weiß, sind die LKAler immer nach Bezirken aufgeteilt. Und wir sind nun mal – schon wieder – in Pankow.« Leider, fügte er noch im Stillen hinzu. Auch er hatte kein Bedürfnis, Kriminalhauptkommissar Jan Lohmeyer wieder zu begegnen. Immerhin hatte er Manne noch vor einem halben Jahr sehr hartnäckig des Mordes an seinem Jugendfreund Kalle verdächtigt und lange nicht lockergelassen. Dieser Kerl war ein klassischer Karrierist und Wadenbeißer. Während seiner aktiven Zeit als Polizist waren ihm so Typen immer mal wieder untergekommen. Dass Lohmeyer Caro und ihm selbst im Endeffekt das Leben gerettet hatte, machte die Sache nicht besser. Im Gegenteil.
»Sollten wir uns dann nicht lieber aus dem Staub machen?«, fragte Caro mit hochgezogenen Brauen. »Der flippt doch aus, wenn er uns sieht.«
Manne legte den Kopf schief. »Du hast die Leiche gefunden. Wir können hier nicht weg. Außerdem hat Schmittchen uns offiziell beauftragt, wir haben also ein Recht, uns hier fürs Erste aufzuhalten. Und drittens werde ich Schmittchen sicher nicht mit dem LKA und dieser Situation allein lassen. Zumal sie viel schlimmer ist, als er selbst befürchtet hat, als er mich anrief.«
Er musterte seine Kollegin, die sich die Arme um die Schultern geschlungen hatte. »Soll ich dir eine Jacke organisieren?«, fragte er besorgt, und Caro lächelte.
»Die Kälte kommt eher von innen, aber danke. Mein Kreislauf hat nach dem Anblick da drinnen den Dienst quittiert und ist nach Thailand ausgewandert, fürchte ich.«
Manne rang sich ein Lächeln ab. Er war froh, dass nicht er die Leiche gefunden hatte, auch wenn das ein schäbiger Gedanke war. »Ich weiß, dass es nicht leicht ist, so was zu sehen.«
»Schon gut. Ich schaff das«, sagte sie lächelnd. »Es gehört schließlich dazu.«
Ja, dachte Manne. Es gehört dazu. Genau wie die Albträume hinterher. Aus jahrelanger Erfahrung bei der Kripo wusste er das. Und er wusste, dass Ablenkung und Arbeit die zwei zuverlässigsten Wunderwaffen gegen den Schrecken waren. Nicht Freizeit, nicht Familie. Gerade nicht Familie. Auch wenn die Angehörigen von Kriminalern das nur selten verstanden. Nach so einem Ereignis konnte man nie ganz zur Ruhe kommen, erst recht nicht im Kreise seiner Lieben. Weil der Tote in den Albträumen immer wieder das Gesicht wandelte. Seine Toten sahen seit Jahren aus wie Petra und Jonas. Als sein Sohn noch klein gewesen war, war es am schlimmsten gewesen. Er hatte ihn von Dachbalken baumeln und auf Bahnschienen liegen sehen. Gebrochen und kaputt. Manne hoffte, dass Caro die nächsten Nächte nicht von einer brennenden Greta träumen würde.
»Du hast nicht zufällig Flatterband in deiner großen Tasche?«, fragte Manne.