Hochmut kommt vor dem Farn - Mona Nikolay - E-Book

Hochmut kommt vor dem Farn E-Book

Mona Nikolay

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Beschreibung

Indoor Gardening statt Schrebergarten? Nicht mit Manne und Caro! »Hochmut kommt vor dem Farn« ist der 3. lustige Garten-Krimi rund um die Schrebergarten-Kolonie »Harmonie« in Berlin.  Ausgerechnet eine Fabrik für Indoor-Gardening-Systeme soll auf dem Gelände der Schrebergarten-Kolonie Harmonie in Berlin entstehen – das Schicksal hat offenbar Sinn für schwarzen Humor. Das Lachen ist Ex-Polizist Manne Nowak und Partnerin Caro von Ribbek allerdings längst vergangen, denn es sieht so aus, als hätten die Kleingärtner bereits verloren. Trotz zahlreicher Protestaktionen müssen sie ihr grünes Reich räumen. Dann wird auch noch die Senatorin, die das Projekt auf politischer Ebene betreut hat, tot in der Nähe der Kleingarten-Anlage gefunden. Ist einer der Laubenpieper etwa ein eiskalter Mörder?  Krimi-Autorin Mona Nikolay ist selbst begeisterte Gärtnerin. Auch der 3. Fall für Manne Nowak und Caro von Ribbek punktet mit viel Sinn für Humor und die vergnüglichen Absurditäten des Mikrokosmos Schrebergarten.  Die humorvolle Krimi-Reihe um die Berliner Schrebergarten-Kolonie ist in folgender Reihenfolge erschienen: - Rosenkohl und tote Bete - Amsel, Drossel, tot und starr - Hochmut kommt vor dem Farn

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Seitenzahl: 403

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Ähnliche


Mona Nikolay

Hochmutkommtvor demFarn

Schrebergartenkrimi

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Ausgerechnet eine Fabrik für Indoor-Gardening-Systeme soll auf dem Gelände der Schrebergartenkolonie Harmonie in Berlin entstehen – das Schicksal hat offenbar Sinn für schwarzen Humor. Das Lachen ist Ex-Polizist Manne Nowak und Partnerin Caro von Ribbek allerdings längst vergangen, denn es sieht so aus, als hätten die Kleingärtner bereits verloren. Trotz zahlreicher Protestaktionen müssen sie ihr grünes Reich räumen. Dann wird auch noch die Politikerin, die das Projekt betreut hat, tot in der Nähe der Kleingartenanlage gefunden. Ist einer der Laubenpieper etwa ein eiskalter Mörder?

Inhaltsübersicht

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 1

Es war wieder einmal spät geworden. Solche Tage waren lang und kräftezehrend, gehörten aber zu ihrem Alltag. Ihr Hals kratzte vom vielen Sprechen, und sie hatte Sodbrennen von dem verflixten Büfett. Wann würde sie endlich lernen, dass selbst auf höchster Ebene noch grottenschlecht gekocht wurde? Der einzige Unterschied zur Pommesbude bestand darin, dass die Scheiße hier auf weißen, gestärkten Tischdecken serviert und mit reichlich Champagner runtergespült wurde. Vielleicht hatte sie auch vom Champagner Sodbrennen. Wer wusste das schon?

Aber immerhin, sie war erfolgreich gewesen. Hatte Leute in ihre Schranken gewiesen, alte Absprachen eingehalten und Dinge auf den Weg gebracht; ihrer Karriere mal wieder mehr Schliff und Profil verliehen. Da würde sie auch den Reflux und die hämmernden Kopfschmerzen verkraften. Am Ende würde sich alles auszahlen. Und die vielen Konferenzen und Gespräche dieses Tages waren ja gar nicht das Schlimmste gewesen, das heute auf ihrer Liste stand. Das Schlimmste kam jetzt erst. Allein beim Gedanken daran wurden ihre Knie weich. Aufs Ganze zu gehen hatte sich noch immer ausgezahlt, das galt im Leben wie im Job. Nach der Devise hatte sie immer gehandelt und war damit gut gefahren. Nicht ohne Komplikationen, aber gut. Natürlich, Opfer mussten gebracht werden, und das war nicht immer schön. Doch sie hatte sich noch nie gescheut, sich die Hände schmutzig zu machen. Dieses eine Opfer hätte sie allerdings niemals bringen dürfen. Das wusste sie jetzt.

Bis auf den Nachtwächter war sie vermutlich die letzte Person in dem riesigen Gebäude, aber das machte ihr keine Angst. Die Dinge, die einem wirklich etwas anhaben konnten, kamen meist harmlos daher. Ein Kribbeln im linken Arm, ein geschwollener Lymphknoten. Ein gutes Glas Wein vor der Autofahrt, ein nettes Lächeln, ein attraktives Angebot. Ein schöner Mann. Schlimme Dinge passierten so gut wie nie in leeren, dunklen Gebäuden oder Straßen, und Monster lauerten nicht im Schatten oder unter dem Kinderbett, sondern in maßgeschneiderten Anzügen. In der echten Welt kündigten sich Katastrophen nicht selbstbewusst an. Das Böse hatte gelernt, sich anzupassen. Und sie hatte es auch.

Sie betätigte den Seifenspender und betrachtete sich im Spiegel, während sie die Finger ineinander verschränkte und alles kräftig einseifte. Man sah ihr die Strapazen der letzten Tage und Wochen kaum an, nur wer sie kannte, wusste, dass die Schatten unter ihren Augen ein wenig dunkler und die feinen Linien um ihren Mund tiefer geworden waren. Gut so.

Rasch krempelte sie die Ärmel ihrer Bluse hoch und seifte zusätzlich ihre Unterarme ein. Der Wasserhahn stand auf eiskalt, doch die Kälte stieg ihr leider nicht in den Kopf. Ihr Blick war ruhig und entspannt, aber ihr Herz raste wie seit Jahren nicht mehr. Zum ersten Mal seit Langem spürte sie wieder nagende Angst. Wie hatte sie dem nur jemals zustimmen können?

Doch es war noch nicht zu spät. Endlich würde sie sich wie eine erwachsene, erfolgreiche Frau verhalten und dem Spuk ein Ende machen. Und wenn es nötig war, würde sie auch die Konsequenzen tragen. Ab heute war Schluss. Und was morgen war, würde sie sehen.

Sie fuhr sich mit den feuchten Fingern durch ihr dichtes Haar und band es sorgsam am Hinterkopf zusammen. Dann nahm sie ihren Schmuck ab und legte ihn vorsichtig in die Seitentasche der großen Handtasche, aus der sie nun eine schwarze Kurzhaar-Perücke, Make-up und einen Beutel mit Kleidung zog. Sie hatte sich den Kram auf verschiedenen Webseiten zusammengesucht. Es war nicht perfekt, aber es musste reichen.

Sie prüfte, ob das Pfefferspray auch wirklich in ihrer Tasche lag – zum hundertsten Mal an diesem Tag. Nachdem sie sich umgezogen hatte, stopfte sie ihre Arbeitskleidung achtlos in den mitgebrachten Beutel und dann alles in ihre Handtasche. Die Akten hatte sie ausnahmsweise auf ihrem Schreibtisch zurückgelassen, um Platz für alles andere zu schaffen. Sie wusste nicht, wann sie dieses Haus das letzte Mal ohne Akten verlassen hatte. Im letzten Jahrtausend vielleicht.

Nachdem sie sich verwandelt hatte, betrachtete sie sich noch einmal kritisch im Spiegel und war zufrieden. Es würde funktionieren.

Als sie sich gerade entschlossen hatte, die Damentoilette zu verlassen und es hinter sich zu bringen, hörte sie Schritte auf dem Flur. Schnelle, feste, energische Schritte. Alles in ihr gefror zu Eis. Das war nicht der Nachtwächter. Der schlenderte, seinen Gang kannte sie gut. Außerdem drehte er seine erste Runde erst in etwa dreißig Minuten. Leute, die so schlecht bezahlt wurden, machten sich keine extra Arbeit.

Wenn sie jemand jetzt so sah, dann war alles futsch. Instinktiv schloss sie sich in einer der Kabinen ein und presste sich an die hintere Wand. Kurz darauf hörte sie, wie die Tür zu den Toiletten geöffnet wurde.

Sie war nicht mehr allein.

Kapitel 2

Gibt es denn überhaupt nichts, das wir noch tun können?«, fragte Petra zum hunderttausendsten Mal, und Manne seufzte. Seine Frau war gerade dabei, die Küchenschränke in ihrer Laube auszumisten, und er sah ihr mit einer Mischung aus Belustigung und Melancholie dabei zu. Manche der Tassen und Becher, die sie gerade rausräumte und auf die abgegriffene Arbeitsplatte stellte, waren älter als ihr gemeinsamer Sohn Jonas und stammten noch aus der Laube seiner Eltern. Ob das Ding in Falkensee noch stand? Er hatte nie nachgeschaut.

»Was denn?«, fragte er und rieb sich die Stirn. »Wir haben protestiert, Abgeordnete eingeschaltet, Banner von Autobahnbrücken hängen lassen, mit der Klein gesprochen, den Bezirksvorstand genervt, Unterschriften gesammelt und den Landvermessern den Zutritt verwehrt.«

Caro, die in der Ecke am Tisch saß und sich an einer Tasse Tee festhielt, kicherte leise. Ganz offensichtlich waren seiner Kollegin die Erinnerungen daran nicht halb so unangenehm wie ihm. »Das war super«, sagte sie und klang fast schon wehmütig.

Manne schüttelte den Kopf. »Das war kindisch und peinlich und es ist mir heute noch unangenehm, dass wir so tief gesunken sind.«

»Die meisten Sachen, die richtig viel Spaß machen, sind kindisch und peinlich«, gab Caro unbekümmert zurück, und Manne brummte. Zumindest ließ sich mit dieser Einstellung Caros Hang zu bunt gemusterten Gummistiefeln erklären.

»Der Punkt ist, dass wir alle Möglichkeiten des zivilen Ungehorsams und der politischen Einflussnahme ausgeschöpft haben«, erklärte er ruhig und hatte dabei das Gefühl, diesen Satz in den letzten Tagen viel, viel zu oft haargenau so von sich gegeben zu haben. In Einzelgesprächen, auf der Vorstandssitzung, während der Vollversammlung vorgestern Abend.

»Wir könnten die Klein umbringen«, schlug Caro vor und nahm mit absoluter Unschuldsmiene noch einen Schluck Tee. »Habt ihr eigentlich Kekse oder so was da?«

Manne kramte in der Anrichte herum und holte eine Rolle Doppelkekse hervor, aus der er sich zwei Stück herausnahm und sie anschließend Caro zuwarf. »Die Politikerin zu töten würde uns gar nichts bringen.«

»Außer Genugtuung«, warf Caro ein, und Manne grunzte.

»Mehr aber auch nicht. Das Projekt ist durch, die Harmonie wird plattgemacht. So oder so.«

»Das ist einfach falsch«, hörte er seine Frau flüstern. Er ging zu ihr rüber und nahm sie in die Arme.

»Wir wussten immer, dass das passieren kann.« Manne streichelte Petra über den Rücken. »Ich hab schon seit Jahren damit gerechnet.«

»Du bist aber auch ein alter Schwarzmaler«, murrte Petra, und er drückte sie noch ein bisschen fester an sich.

Es stimmte. Manne war ein Schwarzmaler, auch, weil er nicht gern unangenehm überrascht wurde. Lieber ließ er sich vom Gegenteil überzeugen. Und diesmal hatte er einfach recht behalten. Berlin wuchs und wuchs, die Lage auf dem Wohnungsmarkt war unglaublich angespannt. Platz war eine endliche Ressource, und der Grund und Boden, auf dem die Kleingartenanlage stand, gehörte ihnen nun mal nicht.

Überall in der Stadt mussten Kleingartenanlagen weichen. Für Turnhallen und Wohngebäude und Schulen, aber auch für Infrastrukturprojekte. Der öffentliche Nahverkehr wurde ausgebaut, um die Belastung durch Autos in der Innenstadt zu senken. Durch eine benachbarte Kleingartenanlage würde in Zukunft beispielsweise eine Trambahn nach Norden fahren. Manne fürchtete, dass die Tage der Laubenpieper über kurz oder lang gezählt waren. Sie waren nicht modern oder zukunftsorientiert, nicht smart oder effizient. Eher was für Nostalgiker.

»Aber das ist so absurd!«, schniefte Petra, und er tätschelte ihr die Schulter. Das war es tatsächlich.

Denn ihre Kleingartenanlage musste nicht etwa einem Wohnprojekt oder einer Bildungseinrichtung weichen, sondern …

»Das ist es allerdings«, schaltete Caro sich wieder ein. »Ich meine: Warum baut ein australischer Investor eine Fabrik für Indoor-Gärten in Pankow? Von allen Orten dieser Welt?«

Petra runzelte die Stirn. »Was soll das überhaupt sein? Indoor-Gardening? Gewächshäuser?«

Gute Frage. So ganz hatte Manne das auch noch nicht verstanden.

Caro tippte eine Weile auf ihrem Handy herum. »Na endlich! Die Seite ist online. Sie war seit Wochen under construction.« Sie hielt ihm das Handy hin, und Manne nahm es entgegen. Über das Display lief ein Werbevideo, das auf der Startseite des Unternehmens automatisch abgespielt wurde. Eine langsame Kamerafahrt über abgerundete Ecken, gebürsteten Stahl und streifenfrei sauberes Glas. Am Ende sah man das gesamte Gerät.

Aha, dachte Manne.

Was sie hier auf dem Gelände ihrer geliebten Harmonie produzieren wollten, sah aus wie ein Weinschrank für Gemüse. Ein verglaster Kühlschrank voll mit schicken Salaten. Erde sah er keine.

»Aha«, sagte Petra, die nun ebenfalls mit zusammengekniffenen Augen auf das Video starrte. »Und was sind Microgreens?«

»Sprossen, glaub ich«, antwortete Caro mit einem Schulterzucken und nahm ihr Handy wieder entgegen.

»Wieso nennen sie das dann nicht einfach Sprossen?«, fragte Petra, und Manne lachte.

»Weil sie Australier sind. Deshalb.«

Caro seufzte. »Eines ist klar: Ein Unkrautproblem hast du mit so einem Ding nicht.« Sie nahm noch einen Schluck Tee und fing fast augenblicklich an, zu husten. »Achttausend Euro?«

Manne nickte grimmig. »Das ist was für Leute, die gar nicht wissen, wie man sich die Hände schmutzig macht.«

»Achttausend Euro, damit ich mir jeden Morgen mit einer Nagelschere frische Kresse abschneiden kann?« Caro war ganz offensichtlich fassungslos.

»Das kann doch auch keine Freude machen«, murmelte Petra, und Caro gab ein zustimmendes Schnauben von sich.

Manne hingegen wunderte sich über sich selbst. Dass er so ruhig bleiben würde, hätte er nicht gedacht. Die Tatsache, dass die Kleingartenanlage Harmonie e.V. dem Erdboden gleichgemacht werden sollte, erschütterte ihn nicht in seinen Grundfesten, und das fand er schon kurios.

Natürlich hatte auch er gewütet und getrauert. Anfangs, als sie die ersten Briefe bekommen hatten und Manne eine Ahnung davon, was ihnen nun bevorstand. Die Anlage war die letzten zehn Jahre mehr sein Zuhause gewesen als ihre Dachgeschosswohnung in Rosenthal. Und doch konnte er nachts ruhig schlafen.

Vielleicht lag es daran, dass er schon einmal sein Leben hatte neu denken müssen. Nach der Netzhautablösung, als er den Polizeidienst verlassen musste. Damals hatte er das Gefühl gehabt, von nun an zum alten Eisen zu gehören. Aussortiert worden zu sein und nicht mehr von Interesse. Ein Fall für den Wühltisch. Vielleicht lag es auch an der Erfahrung, des Mordes an einem Freund verdächtig zu sein. Um ein Haar wäre er im Gefängnis gelandet, jedenfalls hatte es sich zu dem Zeitpunkt verdammt danach angefühlt. Das war eine existenzielle Erfahrung für Manne gewesen. Trotzdem hatte sich beide Male alles irgendwie gefügt, und er vertraute darauf, dass es sich auch jetzt wieder fügen würde. Die Frage war nur, wie.

Wie gesetzlich vorgeschrieben würden den Pächtern der Harmonie woanders in Berlin Parzellen angeboten werden, um neue Gärten aufzubauen. Neue Lauben, neue Beete. Aber Manne wusste nicht, ob er das noch mal wollte: komplett von vorne anfangen. Allein beim Gedanken daran, eigenhändig eine Laube zu bauen, brach ihm der Schweiß aus.

In ihrer Anlage hatte er ein paarmal bei so etwas mitgeholfen und wusste daher, was für eine Heidenarbeit das war. Manne wollte diese, seine Laube und Schluss. Allerdings war ihm klar, dass ihn kindischer Trotz nirgendwohin führen würde. Seine Finger schlossen sich gedankenverloren um einen Motivbecher der Fußball-WM von 1994.

Er zuckte zusammen, als jemand hektisch gegen seine Laubentür hämmerte.

»Manne, bist du da?«, hörte er eine Stimme rufen und runzelte die Stirn.

»Die Tür ist offen«, antwortete er und löste sich von Petra. Seine Nackenhaare stellten sich auf.

Im nächsten Augenblick flog die Tür auf und Eckhard, der Kassenwart, stand schnaufend vor ihnen. Allein der Anblick war alarmierend. Der Kassenwart war ein gemütlicher, sehr massiger Mann, der sich eigentlich nie schneller bewegte als unbedingt nötig. Jetzt sah es so aus, als wäre er tatsächlich gerannt, er bekam kaum Luft und stützte sich japsend auf seine Oberschenkel.

»Was ist denn los?«, fragte Manne, und Eckhard wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Ihr müsst kommen. Caro und du. Jetzt gleich. Wir … da ist … also … haben ein Problem.«

»Was für ein Problem denn?«, fragte Caro, doch Eckhard schüttelte nur den Kopf. Er rang nicht nur nach Luft, sondern auch nach Worten.

»Ich … das … das müsst ihr euch selbst anschauen.«

Petra legte ihr Handtuch zur Seite und setzte sich in Bewegung.

»Nein«, rief Eckhard ungewöhnlich scharf und hob die rechte Hand. Mannes Frau blieb abrupt stehen.

»Petra, bitte. Tu dir selbst einen Gefallen und bleib hier«, sagte Eckhard, ein wenig ruhiger. »Es ist … nichts, woran man sich erinnern möchte. Mir jedenfalls wäre das deutlich lieber.«

In Mannes Magen bildete sich ein dicker Knoten. Er drückte die Hand seiner Frau und nickte ihr zu. Sie nickte zurück, merklich blasser als noch vor wenigen Minuten.

Das hier war mehr als nur ein Streit zwischen Nachbarn oder eine Protestaktion, die aus dem Ruder gelaufen war. Viel mehr. Er tauschte einen kurzen Blick mit Caro. Mittlerweile kannten sie sich so gut, dass er in ihrer Miene lesen konnte. Und sie dachte gerade dasselbe.

Kapitel 3

Das war eine Hinrichtung«, schoss es ihr durch den Kopf, als sie mit Manne und Eckhard bei der großen Birke ankam, um die ein paar Gartenfreunde mit bleichen Mienen standen und ihnen entgegenblickten – mit den Rücken zu der Frau, die jemand an den Stamm gebunden hatte. Es dämmerte bereits und das Licht zwischen den Bäumen war schummrig, trotzdem konnte sie selbst von Weitem erkennen, wie zerschunden der Körper war, der dort – ja, was eigentlich? Hing? Stand? Klemmte?

Jemand hatte die Frau mit einem dicken Spanngurt am Baum so befestigt, dass ihre bleiche Gestalt weithin sichtbar war und nur der Kopf nach vorne hing. Caro war dankbar dafür. Ein Gesicht hätte sie gleichzeitig nicht auch noch verkraftet, sie hatte schon Mühe, zu begreifen, was sie hier eigentlich sah.

Die Gartenfreunde brummten erleichterte Grüße in ihre Richtung, und Caro wunderte sich im Stillen, was sie eigentlich alle hier zu suchen hatten. Insgesamt zählte sie zehn Leute. An einem kalten Freitagabend im Frühling.

Sie selbst war noch nie in diesem Bereich der Anlage gewesen. Warum auch? Das Wäldchen trennte die Kleingartenanlage Harmonie e.V. von der nahen Autobahn und war wenig einladend. Sie hatte während des Sommers so manchen Kleingärtner mit einem Spaten darin verschwinden sehen; wahrscheinlich, wenn die Abwassergrube voll und die Toilette deshalb nicht benutzbar gewesen war. Von vielen Anwohnern wurde der »Grünstreifen« überdies zum Müllabladen zweckentfremdet. Mehrere gute Gründe also, die dagegensprachen, die Baumreihen zu durchwandern.

Unweit der großen Birke lag ein kaputter Kühlschrank im Unterholz, und irgendetwas an dieser Tatsache machte die Situation für Caro noch schlimmer. Die Frau war nackt und wehrlos und gut sichtbar zwischen einem Haufen Müll platziert worden. Geschunden und eingeschnürt und verdreht.

Respektloser ging es wohl kaum. Caro dachte daran, dass in vergangenen Zeiten die Hingerichteten an den Stadtmauern aufgehängt worden waren. Zur Abschreckung. Um dort von Getier zerfressen zu werden. Hektisch fischte sie in ihrer Handtasche nach den Pfefferminzbonbons. Mittlerweile hatte Caro herausgefunden, dass die richtig scharfen Bonbons gut gegen diese spezielle Übelkeit waren, die der Anblick toter Menschen bei ihr hervorrief. Sie steckte sich gleich drei in den Mund und biss beherzt darauf, weil sie fühlte, dass ihre Eingeweide rebellierten. Auf keinen Fall wollte sie hier noch irgendwo hinkotzen. Mit dem scharfen Pfefferminzgeschmack auf der Zunge konnte sie wieder etwas freier atmen. Auf Dauer war dieses Vorgehen sicher nicht gut für die Magenschleimhaut, aber irgendwas war ja immer.

Sie hörte, wie Manne neben ihr tief Luft holte. »Okay. Also, wer von euch hat sie entdeckt?«

Heide, die Wirtin der Kneipe, hob die Hand. »Ich. Und dann hab ich erst mal ’nen Kurzen gebraucht und na ja. Hatte auch kein Handy dabei. Bin ich also zurück in den Schankraum.«

Caro nickte. Das erklärte zumindest die Ansammlung von Leuten. Wahrscheinlich war es aus Heide herausgeplatzt, und daraufhin hatte sich die gesamte Kneipe auf den Weg hierher gemacht. »Wann war das?«, fragte sie.

Heide zuckte die Schultern. »Vor ’ner halben Stunde? Oder wie lange könnte das insgesamt gedauert haben?« Sie schaute ihren Mann Walter an, und der nickte. »Zwanzig Minuten vielleicht auch nur.«

»Was hattest du überhaupt hier zu suchen?«, wollte Manne wissen. Heide schoss ihm einen garstigen Blick zu, als fände sie die Frage allein ungebührlich.

»Wenn wir altes Brot haben, bring ich es immer hierher. Für die Vögel und Rehe«, antwortete sie und schob trotzig ihre Unterlippe vor.

»Ich bin nicht sicher, ob das gut für die Tiere ist«, sagte Manne stirnrunzelnd.

Motte von Parzelle 31 schnalzte mit der Zunge. »Is’ es sicher nicht. Die können das nicht gut verdauen, das weiß man doch mittlerweile.«

»Ist das jetzt nicht egal?«, fragte Heide.

Caro nickte. »Finde ich auch. Aber Heide, die Polizei wird da nachhaken. Hast du das Brot noch?«

Die Wirtin deutete auf eine große Plastiktüte.

»Gut. Da müssen die Rehe heute eben leer ausgehen. Hat jemand von euch hier irgendwas angefasst?«, fragte Caro, und alle schüttelten den Kopf.

»Wir wissen doch, dass man das nicht soll«, bemerkte Eckhard. »Hab auch drauf geachtet, dass wir nicht zu nah rangehen. Kenn ich ja von meiner Arbeit.«

Der Kassenwart der Harmonie e.V. war Inhaber eines Schlüsseldienstes und wurde somit auch öfter von der Polizei gerufen, wenn eine Wohnung aufgebrochen werden musste. Er war neben Manne und ihr selbst wohl der Einzige, der es schon mal mit einem Tatort zu tun gehabt hatte.

»Gut. Also hat niemand sie angefasst?«, fragte Manne, und Caro grub in ihrer Tasche nach der Tüte mit den Einmalhandschuhen, die sie seit Gründung ihrer Detektei immer bei sich hatte.

Wortlos reichte sie Manne ein Paar, während Motte »Hast du uns etwa nich’ zugehört?« fragte.

»Ich will nur ganz sichergehen, Motte. Das ist wichtig. Nehmt es mir bitte nicht übel.«

Caro holte die Stabtaschenlampe hervor und knipste sie an.

»Wer sich das nicht antun möchte, sollte jetzt besser gehen. Ich finde, ihr habt schon genug gesehen«, sagte Manne an niemand Bestimmtes gerichtet. »Aber bleibt bitte in der Kneipe. Wir kommen gleich.«

In der Runde ertönte zustimmendes Brummen, doch niemand rührte sich. Caro schmunzelte verstohlen. Nichts war größer als die Neugier eines Kleingärtners. Nicht mal die Angst.

Sie tauschte einen kurzen Blick mit Manne, der nickte, und sie setzten sich in Bewegung.

Es war einer der ersten warmen Frühlingstage gewesen, doch sobald die Sonne weg war, wurde es schnell empfindlich kalt, gerade zwischen den Bäumen. Caro fröstelte, während sie die wenigen Meter bis zum Baum überbrückten und sich im Schein der Taschenlampe das gesamte Ausmaß des Schreckens zeigte. Dieser Körper wies so viele klaffende Wunden auf, dass sie kurz die Augen schließen und bis drei zählen musste. Sie war froh, dass die Kleingärtner nicht zurück in die Kneipe gegangen waren. Je mehr Menschen um sie herum, desto besser für ihre Nerven. Denn die geschundene Leiche im Dämmerlicht umgeben von dunklen Bäumen – das war haargenau wie in einem Horrorfilm. Das Licht der zahllosen Autoscheinwerfer, das immer wieder zwischen den Baumstämmen hindurchzuckte, half auch ganz und gar nicht. Der Gedanke, dass gerade jede Menge Pendler an ihnen vorbei aus der Stadt heraus zu ihren Familien fuhren und vielleicht genau jetzt ihren Lieblingssong voll aufdrehten, machte sie fertig. Ihr gesamter Körper überzog sich mit Gänsehaut. Das war grotesk.

Gleichzeitig hatte die Leiche etwas an sich, das sie unecht wirken ließ, wie eine Requisite. Zu bleich war sie. Zu sauber. Caro schüttelte den Kopf und versuchte, sich zu konzentrieren.

»Meine Güte, das ist ein Schlachtfeld«, murmelte Manne, und sie nickte.

»Hier hat jemand ganze Arbeit geleistet.«

Vorsichtig tasteten ihre Augen jeden Zentimeter der Leiche genau ab. Langsam, aber sehr aufmerksam. Blaue Flecken und Schürfwunden zogen sich über die Vorderseite des Körpers dieser Frau, doch das Schlimmste waren die tiefen Fleischwunden. Am Bauch, den Beinen, den Armen, am Hals. Caro wollte nicht wissen, wie die Rückseite des Körpers wohl aussah. Dass so etwas Monströses nur wenige Meter von ihrer Anlage entfernt hatte geschehen können, brachte sie völlig aus der Fassung.

Zwar hatte Caros Mann Eike gleich an ihrem ersten Tag in der Kleingartenanlage eine Leiche in ihrem Gemüsebeet gefunden, doch der Körper des Toten namens Karl Wischnewski war im Vergleich zu diesem hier geradezu ein Fall für die Sesamstraße gewesen. Und Maik Reuters Leiche hatte sie nur ganz, ganz kurz gesehen, weil sie sich nach wenigen Sekunden in die Büsche übergeben hatte. Doch Caro war bewusst, dass sie hinsehen musste. Und zwar ganz genau. Das war sie sich selbst schuldig und auch der Frau, die sie vor sich hatte. Sie musste schließlich lernen, mit allen Aspekten ihrer Arbeit umzugehen. Das schaffte sie mit ruhigen, tiefen Atemzügen und einer gehörigen Portion Pfefferminzbonbons. Sie steckte sich noch einmal drei Stück in den Mund.

»Es sieht aus wie eine Hinrichtung«, murmelte Caro, und Manne umrundete den Baum.

»Der Körper zeigt zur Anlage; sobald man das Wäldchen betritt, kann man sie kaum übersehen«, gab Manne zurück.

»Versteckt hat der Täter sie jedenfalls nicht.«

Caro nickte und stellte sich neben die Frau. Von der Birke konnte man den beleuchteten Apfelstieg erkennen, der die Anlage nach außen abgrenzte, und die Rückseite zweier Lauben. War das das Letzte, das diese Frau hatte sehen müssen?

»Keine Handtasche, keine Klamotten, keine Schuhe«, brummte Manne. »Der Täter war nicht kopflos, so viel kann man sagen. Der Spanngurt scheint gebraucht zu sein.«

Caro nickte. »Die werden bei Transportunternehmen viel genutzt. Oder in der Baubranche. Um Paletten zu sichern.«

»Ja, aber die kannst du für alles Mögliche benutzen.«

Caro warf einen flüchtigen Blick auf den schmutzigen Gurt, dann wandte sie sich wieder der Leiche zu.

»Die sind alle ungefähr gleich groß«, murmelte sie, während ihr Blick über den Körper und von Wunde zu Wunde glitt. Es gelang ihr tatsächlich, auszublenden, dass sie ein menschliches Wesen vor sich hatte. Jemanden, der Eltern hatte, vielleicht Geschwister, vielleicht eigene Kinder. Eine Frau mit einer Geschichte. Es ging besser, wenn man das vergessen konnte.

»Ist mir auch aufgefallen«, sagte Manne. Ohne etwas zu berühren, hatte er sich direkt vor die Leiche gestellt. Das lange, schmutzig verfilzte Haar der Frau hing in Strähnen herunter und war von Blättern und kleinen Ästen durchzogen. Sie verdeckten das Gesicht zusätzlich. Manne duckte sich und versuchte, der Leiche ins Gesicht zu sehen. Dann runzelte er die Stirn.

»Gib mir mal die Taschenlampe, Caro«, forderte er mit ausgestreckter Hand, doch Caro trat neben ihn und leuchtete den hängenden Kopf an.

»Mach mal ein bisschen Platz«, sagte sie, während sie mit ihrer freien Hand einen Kugelschreiber aus der Tasche zog. Mit diesem schob sie vorsichtig den Vorhang aus Haaren zur Seite und erstarrte, als sie nun endlich in das Gesicht blickte, das ihnen mit milchigen Augen entgegenstarrte. Caro kannte dieses Gesicht. Es war ihr in letzter Zeit sogar vertrauter geworden, als ihr lieb war. Und damit war sie nicht allein.

»Das darf doch nicht wahr sein«, flüsterte Manne ungläubig und zog Caro am Arm ein paar Schritte zurück, als hätte er Angst, attackiert zu werden. Sie blickte in seine vor Schreck geweiteten Augen. Dann fuhr er sich mit der flachen Hand durchs Gesicht und sah aus, als wollte er am liebsten ganz laut schreien.

Caro hingegen fühlte, wie ihr die Tränen kamen. Die Emotionen, die alle gleichzeitig in ihr hochstiegen, überforderten sie enorm. Scheiße. Vor nicht einmal einer Stunde hatte sie noch gewitzelt, diese Frau selbst umbringen zu wollen, dabei war sie da schon längst tot und ganz in der Nähe gewesen. Und jetzt stand Caro vor dem geschundenen Leichnam der Abgeordneten, die das Ende ihrer Kleingartenanlage besiegelt hatte, und fand keine Worte. Durch ihren Kopf schossen eine Million Gedanken gleichzeitig. Sie konnte nicht glauben, dass das hier gerade passierte. Warum rief denn niemand »Cut« und machte dem Spuk ein Ende?

»Was ist denn los, Manne?«, hörte sie Heides Mann Walter rufen, doch der Angesprochene schüttelte nur ungläubig den Kopf, den Blick fest auf die Leiche gerichtet.

Caro drehte sich um und holte tief Luft.

»Das ist Hanneke Klein«, sagte sie laut, und in dem Moment, in dem sie es aussprach, spiegelte sich das gesamte Ausmaß der Katastrophe in den Gesichtern der Umstehenden.

»Scheiße, bist du sicher?«, fragte Motte. Der hartgesottene Kleingärtner hatte die Augen aufgerissen, und Walter schloss seine wimmernde Frau in die Arme.

»Hundertpro«, gab sie nickend zurück und schluckte. »Es gibt keinen Raum für Zweifel.«

»So eine verfluchte Scheiße!«, brüllte Manne da aus voller Kehle, schob sich an ihr vorbei und trat mehrfach mit ganzer Wucht gegen den am Boden liegenden, kaputten Kühlschrank. Dabei stieß er Laute aus, die sie von ihm noch nie gehört hatte. Kurz darauf ließ er sich ächzend neben das kaputte Gerät sinken. Bei dem Anblick musste Caro trotz allem lächeln. Ach, Manne.

Sie hockte sich neben ihn zwischen die Blätter.

»Das war nicht die beste Idee, die du je hattest, oder?«, fragte sie und sah, dass Manne vor Schmerz die Tränen in die Augen getreten waren.

Er schnaufte und schüttelte den Kopf. »Ich hatte aber auch schon schlechtere«, presste er hervor, während er seine schmerzende Fußspitze umfasste. »Es hat irgendwie gutgetan.«

»Wir müssen Lohmeyer anrufen«, raunte sie, worauf Manne nickte.

»Ich weiß«, brummte er. »Aber ich will nicht.«

»Ich will auch nicht. Aber wenn wir es nicht tun, sieht es noch schlimmer aus, als es sowieso schon aussieht.«

»Ich weiß.«

»Wir gehen jetzt erst mal in die Harmonie und besorgen dir Eis für deinen Fuß«, sagte Caro.

»Und ’n Kurzen«, ergänzte Manne.

»Oder zwei.« Sie tätschelte ihm den Arm. »Kannst du laufen?« Manne stemmte sich, anstatt zu antworten, mit seinem gesamten Gewicht auf ihre Schulter.

»Na, dann los«, sagte sie und zog sich hoch, nachdem Manne sie losgelassen hatte. »Lösen wir diese Versammlung hier erst mal auf.«

Kapitel 4

Die Stimmung war ungefähr so ausgelassen wie auf einer Beerdigung. Der Kneipenraum, der sonst erfüllt war von Gemurmel und Tellergeklapper, beherbergte jetzt nur blanke Fassungslosigkeit.

Die Uhr über dem Tresen zeigte zehn nach acht, und draußen war es so kühl, dass sie davon ausgehen konnten, dass sich nicht noch jemand in die Vereinskneipe Harmonie 2 verirren würde. Außer natürlich das LKA. Ihm war das ganz recht so. Er wollte den Moment, in dem er anderen erklären musste, was geschehen war, so lange wie möglich hinauszögern.

Jan Lohmeyer war nicht an sein Telefon gegangen, was ihm ebenfalls ganz recht so war. Also hatte er in der Zentrale des LKA angerufen, und die Kollegen hatten ihm zugesichert, jemanden zu schicken.

Manne, der mit einem Eisbeutel auf dem geschwollenen Fuß auf einer der Eckbänke saß und sich an einem schaler werdenden Bier festhielt, ahnte, warum seine Laubenpieper, die sonst vor nichts und niemandem haltmachten und nicht gerade für ihr Taktgefühl bekannt waren, nun schwiegen. Sie wussten genauso gut wie er, dass eine tote Hanneke Klein auf ihrem Gelände eine waschechte Katastrophe war. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte: Das hier deutete auf ihren Verein. Darauf, dass einer von ihnen der Täter gewesen war. Wie sonst ließ sich diese schreckliche Szene draußen im Birkenwäldchen erklären? Hanneke Klein hatte in dieser Anlage unzählige, teils verbitterte Feinde. Sie würden durchleuchtet werden. Einer nach dem anderen und ohne Ausnahme. Und das war natürlich auch gut so; Manne hatten der Trubel und das Ungemach der letzten Monate aber locker für den Rest seines Lebens gereicht. Auch ohne eine tote Politikerin.

Ihm gegenüber machte sich Caro geschäftig Notizen. Manne kannte das schon von ihr, sie war einer von diesen Menschen, die der Meinung waren, völligem Chaos mit Listen, Notizen und einem hohen Maß an Organisation Herr werden zu können. Manne glaubte nicht so recht dran, wünschte sich aber im Stillen, sich eine Scheibe von Caros Pragmatismus abschneiden zu können. Statt in düsteren Gedanken versank sie gerade in ihrem Notizbuch, das sie wie immer beinahe mit der Nasenspitze berührte. Die Haltung seiner Kollegin war eine absolute Katastrophe. Das war sicher schlecht für den Rücken. Und die Augen.

»Wir müssen herausfinden, wer die letzten Tage hier auf dem Gelände war«, murmelte sie mehr zu sich selbst, und Manne schmunzelte.

Sie ging ganz selbstverständlich davon aus, dass sie in diesem Fall wieder ermitteln würden; so wie sie es in den letzten beiden Mordfällen getan hatten, die Berliner Kleingartenanlagen betrafen. Ihre Anlage, ihre Angelegenheit. Ganz einfach. Aber konnten sie das wirklich? Oder war eine Abgeordnete eine Nummer zu groß für sie, und überhaupt die Sache zu nah? Wollte er wirklich die eigenen Leute ins Visier nehmen?

Jeder in dieser Anlage hatte Hanneke Klein in den vergangenen Monaten den Tod an den Hals gewünscht. Wiederholt im Privaten und einige sogar in aller Öffentlichkeit. Er selbst und Caro eingeschlossen. Wenn das alles wieder von vorne losging, dann … Er rieb sich die Stirn und starrte in sein Glas.

»Mach dir nicht so viele Gedanken«, hörte er Caro sagen und hob den Blick. Sie zeigte vorwurfsvoll mit dem Kugelschreiber auf ihn.

»Ich kann dich bis hierhin grübeln hören, Manfred Nowak. Lass es. Kein Gedanke dieser Welt kann ungeschehen machen, was geschehen ist, und verhindern, was passieren wird.«

»Hast du das heute Morgen auf einem Teebeutel gelesen?«, fragte Manne mürrischer, als er beabsichtigt hatte.

»Auf diesen Teebeuteln stehen manchmal kluge Sachen drauf. Aber nein, habe ich nicht. Das ist von mir.« Sie hob die Brauen. »Ich brauche auch keine Teebeutel, um zu wissen, das Selbstmitleid wirklich nie hilft. Gute Vorbereitung allerdings schon.« Caro tippte auf ihre Notizen. Dann zeigte sie auf Mannes Glas. »Und ein Schluck Bier vielleicht.«

Manne hob gehorsam das Glas zum Mund und trank ein bisschen. Das Schulti schmeckte alt und abgestanden. Als wäre es noch von letztem Jahr.

Die Saison, die nun anbrach, würde die letzte in ihrer Anlage werden. Und sie fing echt beschissen an. Sein Blick fiel auf das Wirtsehepaar. Sie standen wie immer hinter dem Tresen, der vollkommen aufgeräumt war, die Gläser blitzeblank. Trotzdem fuhrwerkten sie da noch herum, als dürften sie sich nicht auch einfach mal hinsetzen. Ihre Hände brauchten immer etwas zu tun. Die Kneipe selbst war ihr Motor, das wusste Manne. Sehr gut sogar, denn er kannte dieses spezielle Gefühl, das einem nur eine gute Aufgabe geben konnte. Er fühlte sich schlecht, weil er die beiden noch nicht gefragt hatte, wie es für sie nächstes Jahr weiterging. Die Kneipe war nicht ihre Existenz, hatte ihnen aber immer ein schönes Zubrot zu ihrer Rente beschert. Und einen Ort, an den sie gehörten. Außerdem hatte Heide die Leiche entdeckt. War als Erste da gewesen. Allein.

»Hör auf damit!«, forderte Caro erneut und trat ihn unterm Tisch gegen den heilen Fuß.

Manne verzog gequält das Gesicht und nahm noch einen Schluck Bier. »Schönen Dank auch, jetzt tun mir beide Beine weh.«

»Es geht doch nichts über vollendete Symmetrie«, gab Caro ungerührt zurück und legte den Kopf schief. »Seit wann bist du so grüblerisch?«

Er hatte keine Ahnung, was er ihr auf diese Frage antworten sollte.

»Also, das bist du ja immer, aber im Moment ist es besonders schlimm. Aber vielleicht brauchst du auch nur etwas zu essen.«

Sie stand auf und ging zum Tresen. Manne schaute ihr hinterher. Es stimmte, er war in sich gekehrter in letzter Zeit, aber war das wirklich ein Wunder? Sein Sohn würde in Kürze heiraten und Vater werden. Er wurde Opa. Die Harmonie wurde abgerissen. Und jetzt hatten sie eine tote Politikerin in ihrem Wäldchen. Da würde doch jeder verrücktspielen, oder übertrieb er?

Manne hatte viel von der sogenannten Midlife-Crisis gehört, aber die war völlig spurlos an ihm vorbeigegangen. Gab es etwas Ähnliches, das später kam, eine Zweidrittelkrise?

Caro kam mit einem Schälchen gesalzener Erdnüsse zurück, und Mannes Magen knurrte fast wie auf Kommando. Nachdem er sich zwei Hände voll genehmigt hatte, ging es ihm tatsächlich schon besser. Er lächelte, und Caro grinste breit.

»Du bist nicht du selbst, wenn du Hunger hast«, sagte sie.

Manne lachte. »Gesprochen wie eine echte Werbefachfrau.«

Caro nahm sich auch eine Erdnuss und hob die Brauen. »Sagst du mir jetzt, was dich umtreibt?«

»Ist einfach ein bisschen viel im Moment.« Er zuckte die Schultern und wünschte sich, Caro würde nicht immer solche Fragen stellen. Er kam sich vor wie unter dem Mikroskop. Aber sie konnte es einfach nicht lassen.

Sie setzte schon wieder an, diesmal mit diesem warmen, wissenden Glanz in den Augen, den er so gar nicht mochte. Ein klebriger Blick, dem er nicht entrinnen konnte. Doch er wurde gerettet, denn in diesem Moment ging die Tür auf, und ein Gesicht schob sich durch den Spalt, das Mannes Stimmung tatsächlich ein bisschen hob. Und auch seine Kollegin ließ endlich von ihm ab.

»Carsten!«, rief Caro fröhlich und winkte wild in Richtung des LKA-Beamten, wie Forest Gump auf dem Krabbenkutter. Als wäre es schwer, sie in dem großen und beinahe leeren Raum zu entdecken.

Manne merkte, wie sich auch auf sein Gesicht ein Lächeln schob. Offenbar kamen sie um die schreckliche Laune und den bohrenden Blick des LKA-Hauptkommissars Lohmeyer, seines Zeichens humorlosester Mensch der Welt, zumindest heute Abend herum. Und das war definitiv eine gute Sache.

»Tut mir leid, ich hab ’ne Weile gebraucht, um die Kneipe zu finden!«, sagte Carsten, hinter dem noch zwei andere Beamte den Raum betraten. »Mit Google Maps kommt man hier ja nicht weiter.«

»Nein, man muss sich schon auskennen«, sagte Manne vergnügt und reckte dem jungen Kriminaler die Hand hin.

»Ich habe die KT schon mitgebracht, das hat auch ein bisschen gedauert, aber bevor wir hier alle einzeln herumfahren …«

Er gab ihnen beiden mit einem Lächeln die Hand, und Caro fragte: »Nicht, dass ich mich beschweren möchte, aber: Wieso bist du hier und nicht dein Terrier von Chef?«

Carsten Blume lachte gutmütig.

»Lohmeyer ist krankgeschrieben«, sagte er. »Schon seit Wochen. Wir wissen nicht, was da los ist. Scheint was Größeres zu sein.«

»Hm«, machte Manne und wusste nicht, ob Jan Lohmeyer ihm jetzt leidtun sollte oder nicht. Dieser Mann hatte ihm bei den letzten beiden Gelegenheiten, zu denen sie aufeinandergetroffen waren, das Leben zur Hölle gemacht. Einmal hatte er es allerdings auch gerettet.

»O Mann, das klingt ja gar nicht gut«, sagte Caro und verzog mitfühlend das Gesicht, womit sie ihm die Verpflichtung zu einer angemessenen Reaktion abnahm.

»Wir werden sehen. Er ist ein zäher Hund.« Carsten zeigte auf Mannes Fuß: »Und was ist mit dir passiert?«

»Ich bin mit einem Kühlschrank in Konflikt geraten«, antwortete der, und Carstens Brauen schossen in die Höhe.

»Was Manne sagen möchte, ist, dass er wie ein frustrierter Teenager auf das Ding eingetreten hat«, fühlte sich Caro berufen, mit zuckersüßem Augenklimpern zu erklären.

Carsten schüttelte amüsiert den Kopf. »Und warum dieses unerwachsene Verhalten? Weil Union abgesoffen ist?«

Himmel, das Spiel hatte Manne in der Aufregung völlig vergessen. Na, schönen Dank auch.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, weil die Leiche von Hanneke Klein an einem unserer Birkenbäume hängt.«

»Ich verstehe, entschuldige. Das war wahrscheinlich selbst für so einen erfahrenen Ermittler wie dich ein Schock. Eure Anlage zieht Unglück magisch an, was?« Er musterte Mannes Fuß. »Kannst du denn laufen?«

Manne wusste es nicht genau, doch er nickte. Auf keinen Fall wollte er sich vor dem Jüngeren eine Blöße geben. Und er hatte sich den Schmerz selbst zuzuschreiben, jetzt musste er da auch durch.

»Dann los«, sagte Carsten und erhob seine Stimme, um den gesamten Raum anzusprechen. »Und Sie geben meinen beiden Kollegen bitte Ihre Kontaktdaten und alles, was Sie berichten können, zu Protokoll. Dann können Sie nach Hause fahren. Sollten Sie in den nächsten Wochen eine Reise geplant haben, geben Sie das bitte ebenfalls an, die Osterferien stehen ja vor der Tür. Ansonsten muss ich Sie bitten, vorerst mit niemandem über den Tod der Abgeordneten zu sprechen, egal, wie schwer es Ihnen fällt. Je länger wir die Presse auf Abstand halten können, desto besser.«

Carsten sah sich langsam im Raum um und nahm sich die Zeit, jeden der zehn Kleingärtner einzeln zu fixieren. Niemand sagte ein Wort oder wagte es auch nur, sich zu bewegen.

»Ich muss Ihnen nicht erklären, wie brisant das Ganze ist. Bitte überlassen Sie die Verbreitung der Nachrichten den Leuten, die sich damit auskennen. Vielen Dank fürs Warten, ab hier übernehmen jetzt die Kollegen.« Er zeigte auf die beiden Beamten, die er mit in die Kneipe gebracht hatte, und die nickten freundlich.

Manne erhob sich und stellte erleichtert fest, dass sein Fuß zwar wehtat, die ganze Sache jedoch halb so wild zu sein schien. Im Laufe seines Lebens hatte er schon ziemlich oft vor Wut gegen etwas getreten, auch wenn es in den letzten Jahren immer seltener vorgekommen war. Nachher würde er die verletzten Zehen mit Panzertape aneinanderkleben, wie er es schon immer getan hatte, und damit gut.

Draußen warteten bereits die Kriminaltechniker mit mehreren Handwagen voll Equipment. Sie hatten auf jeden Fall gut mitgedacht, das musste man ihnen lassen. Mit dem Auto kam man auf der Anlage nicht weit und in einem Birkenwäldchen schon gar nicht.

Manne nickte in die Runde, und die Techniker nickten zurück. »Habt ihr Flutlicht dabei?«, fragte er.

»Natürlich. Aber wir brauchen von irgendwo noch Strom!«, sagte Carsten.

Manne war regelrecht erleichtert, das zu hören. So hatte er eine Entschuldigung, sich kurz rarzumachen. Er musste mal ein bisschen allein sein. »Ich kümmere mich darum. Zeigst du ihnen den Weg, Caro?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand er zwischen den Hecken.

Es dauerte etwas, bis er in seinem Schuppen die Trommel mit dem extralangen Kabel gefunden hatte, die er früher immer zum Rasenmähen gebraucht hatte. Bevor sie sich einen Akkurasenmäher zugelegt hatten. Zwischendurch hatte er sich schon Sorgen gemacht, Petra könnte sie verliehen oder aussortiert haben, doch schließlich fand er sie unter einem luftleeren Planschbecken, das seine Frau letztes Jahr für Caros kleine Tochter Greta gekauft hatte. Er steckte das Kabel in die einzige Steckdose und hielt inne. Ihm schoss durch den Kopf, dass auch dieser Werkzeugschuppen bald Geschichte sein würde. Wie alle ihre Lauben. Und damit etwas Unwiederbringliches verschwinden würde.

Da sie sich mit ihrer Anlage auf dem Gebiet der ehemaligen DDR befanden, genossen ihre kleinen Häuschen mit Schlafzimmern, Badezimmern, Werkzeugschuppen und gern mal fünfzig Quadratmetern Grundfläche noch Bestandsschutz, obwohl sie nach bundesdeutschen Maßstäben viel zu groß und komfortabel waren. So etwas durfte heutzutage nicht mehr in einem Kleingarten errichtet werden. Diejenigen, die sich entscheiden würden, eine der Ausweichparzellen zu pachten, die die Stadt bereitstellte, würden sich neue Lauben bauen müssen. Mit maximal 24 Quadratmetern Grundfläche und ohne Badezimmer oder Werkzeugschuppen. Vielleicht sogar ohne Toilette. Keine schöne Vorstellung.

Und Hanneke Klein war das Gesicht dieser Misere. Es war ihre Idee gewesen, das Grundstück der Kleingartenanlage freizugeben. Sie hatte den Kontakt nach Australien hergestellt, sie hatte für das Projekt im Abgeordnetenhaus geworben. Das alles trug ihren Stempel. Daran gab es nichts zu rütteln. Es war schwer, die Frau, für die er so viel Wut empfand, mit dem Leichnam zusammenzubringen, dessen Anblick extremes Mitleid in ihm auslöste. Etwas in ihm sträubte sich bei diesem Widerspruch. Nun konnte er sie nicht mal mehr guten Gewissens verachten.

Mit der Trommel in der Hand umrundete er die Laube. Durch die Fenster konnte er Petra sehen, wie sie mit einem Buch auf den Knien vor dem Gasofen saß, eine Tasse Tee neben sich. Er hätte zu ihr reingehen können, doch noch wollte er ihr nicht erzählen, welche ganz spezielle Hölle gerade über sie alle hereinbrach. Vor wenigen Stunden hatte er noch gedacht, eine lebendige Hanneke Klein wäre sein größtes Problem.

Missmutig stapfte er zurück Richtung Wäldchen und sah schon von Weitem die Lichtkegel der Taschenlampen um den großen Baum tanzen. Augenblicklich schämte er sich für sein billiges Selbstmitleid. Was dachte er sich eigentlich? Vielleicht war es sogar besser, wenn die Harmonie plattgemacht wurde. Hier passierten eindeutig zu viele Verbrechen – und der Vorsitzende war zu allem Überfluss ein selbstbezogener Grummler.

Die Kriminaltechniker nahmen die Kabeltrommel dankbar entgegen, und Manne hoffte, dass seine alten Sicherungen hielten. Wenn seine Laube abbrannte, war auch keinem geholfen.

Binnen Minuten wurde ihr vermülltes Wäldchen in gleißend helles Licht getaucht. Ebenso wie die Leiche. Nun blieb leider wirklich gar nichts mehr der Fantasie überlassen. Manne vermied es, allzu genau hinzusehen, doch der Spanngurt, der sich an diversen Stellen in das geschwollene Fleisch der nackten Frau schnitt, würde ihm wohl ewig im Gedächtnis bleiben. So etwas bekam man nie mehr aus dem Kopf.

Caro und Carsten waren schon ins Gespräch vertieft, als er sich zu ihnen gesellte.

»Manne, wann hast du die Abgeordnete zum letzten Mal gesehen?«, fragte Caro ohne Umschweife. »Letzte Woche?«

Manne nickte. »Als wir die Unterschriften zum Abgeordnetenhaus gebracht haben. Da konnte ich noch mal kurz mit ihr sprechen.«

»Sie hat sich nicht entschuldigen lassen?«, fragte Carsten mit hochgezogenen Brauen, und Manne schüttelte den Kopf. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie die KT die Leiche fotografierte. Die Männer und Frauen in ihren weißen Ganzkörperanzügen wirkten immer wie effiziente, fleißige Ameisen auf ihn. Sie kamen, dokumentierten alles akribisch, nahmen einen Haufen Kram mit und verschwanden wieder, ohne eigene Spuren zu hinterlassen. Wenn jemand in der Lage war, den perfekten Mord zu begehen, dann ganz sicher ein Mitglied der Kriminaltechnik. Kein schöner Gedanke. Er wandte sich wieder seinen Gesprächspartnern zu.

»Nein. So war sie nicht. Hanneke Klein saß schon ewig im Stadtparlament, ich habe sie im Laufe der Jahre immer mal wieder getroffen. Sie hat sich nicht weggeduckt und sich auch nicht verbogen. Eine toughe Frau. Geradeheraus.«

»Und welchen Eindruck hattest du von ihr ganz persönlich?«, wollte Casten wissen.

Manne machte eine abwägende Handbewegung. »Sie war immer freundlich, aber bestimmt. Es gibt so Leute, neben denen man sich klein fühlt, selbst wenn man ihnen auf den Kopf spucken kann. So eine war sie. Aber das mochte ich eigentlich. Weil ich mir Politiker immer genau so vorgestellt habe.«

»Wie eine Schuldirektorin«, ergänzte Caro.

»Exakt. Jemand, der die Zügel in der Hand hält.«

Carsten nickte. »Ich wohne in Schöneberg, mir sagt Hanneke Klein ganz wenig. Wisst ihr, ob es Skandale gab? Feinde? So was?«

Caro lachte laut auf. »Na ja. Sie hat unsere Anlage zum Abschuss freigegeben, also dürfte sie im nahen Umkreis schon wirklich viele Feinde haben.«

Nun sah der Kriminaler überrascht von seinem Notizbuch auf. »Sie hat was?«

»Wie? Das wusstest du nicht?« Caro klang regelrecht fassungslos.

»So was steht in keiner Zeitung, Caro«, bemerkte Manne. »Unsere Harmonie interessiert den Rest der Stadt nicht die Bohne.«

Carsten runzelte nachdenklich die Stirn. »Doch, doch, irgendwas habe ich da gelesen. Ist es wegen diesem Australier?«

»Genau dem«, bestätigte Manne grimmig.

»In dem Artikel ging es hauptsächlich um diesen Investor und die Tatsache, dass er in Berlin ein Werk bauen möchte. Die Kleingartenanlage war dabei nur eine Randnotiz, deshalb habe ich es mir nicht gemerkt«, erklärte Blume entschuldigend, und Manne schnaubte. Das war genau das Problem.

Der Kriminalbeamte dachte eine Weile schweigend nach, wobei sein Blick von Caro zu Manne und wieder zurück huschte.

»Das sind verdammt viele Probleme auf einmal, dabei haben wir noch nicht mal angefangen, zu ermitteln. Was machen wir jetzt?«, fragte er.

Manne zog irritiert die Brauen hoch. »Wie meinst du das?«

Carsten gestikulierte in Richtung der Leiche. »Na, euch muss doch klar sein, wie das aussieht. Da hängt eine angesehene Politikerin, die eure Kleingartenanlage wirtschaftlichen Interessen und wahrscheinlich ihrer eigenen Karriere geopfert hat. In unmittelbarer Nähe zur Anlage. Sehr …«

»Tot?«, half Caro nach, und über Carstens Gesicht huschte ein winziges Lächeln.

»Mehr als das … geschunden trifft es wohl eher.« Er kratzte sich am Kopf. »Die Sache ist delikat, die Präsidentin wird ordentlich Druck machen und von der Presse will ich gar nicht erst sprechen. Wenn ich eines gelernt habe in den letzten beiden Fällen, an denen ihr beteiligt wart, dann, dass wir ohne euch gegen einen Haufen Wände rennen werden. Kleingärtner sind …« Er ließ das Ende des Satzes erneut hilflos in der Luft hängen und tat Manne fast schon ein bisschen leid.

»Stur«, beendete er für den Kriminaler den Satz, und der nickte heftig.

»Ich könnte mir vorstellen, gerade weil Hanneke Klein eine gemeinsame Feindin war, wenn man so will, dass es noch schwieriger für uns werden wird, da durchzudringen. Bei euch herrscht doch sicher gerade jetzt besondere Solidarität.«

Manne und Caro tauschten einen kurzen Blick.

»Du brauchst uns«, stellte Caro nicht ohne Genugtuung fest.

Carsten nickte. »Ich fürchte, ja. Ihr habt auch das ganze Hintergrundwissen, könnt uns sagen, wie die Sache bisher gelaufen ist und so weiter. Und außerdem kann ich ja wohl nicht davon ausgehen, dass ihr euch zurücklehnen und uns einfach das Feld überlassen werdet, oder? Wir werden sowieso ständig in euch reinlaufen, so wie immer.«

Caro grinste. »Und wir werden euch einen Schritt voraus sein. So wie immer.«

»Das würde ich gerne vermeiden«, sagte Carsten und zwinkerte Caro zu. »Wie heißt es so schön? Wenn du sie nicht schlagen kannst, verbünde dich. Aber diesmal würde ich es gerne richtig machen. Natürlich müssten wir zuallererst den Zeitstrahl aufstellen und eure Alibis überprüfen, falls ihr welche habt. Wenn ich mir die Leiche so anschaue, betrifft das höchstens die letzten 24 Stunden.«

Manne nickte. »Lückenlos nachweisbar, sofern du Aussagen meiner Frau, meiner Kollegin und anderer Vereinsmitglieder belastbar genug findest.«

Caro nickte. »Dasselbe bei mir. Plus Gretas Grundschullehrer und zwei Hausnachbarn.«

»Wir nehmen das gleich noch auf und überprüfen es direkt als Erstes«, versprach Carsten. »Immerhin kommt ihr offiziell ebenso als Täter infrage wie alle anderen Kleingärtner hier. Wenn sich alles nachvollziehen lässt, dann hätte ich euch gerne an Bord. Ich könnte es allerdings verstehen, wenn ihr das nicht wollt. Gegen die eigenen Leute ermittelt man nicht gern.«

»Es sagt ja auch niemand, dass wir das müssen«, versetzte Manne.

»Ihr müsst überhaupt nichts. Ihr seid im Gegensatz zu mir freiberuflich tätig und könnt Aufträge annehmen oder ablehnen.« Der junge Kommissar legte den Kopf schief. »Klingt eigentlich ganz verlockend, wenn ich so darüber nachdenke. Vielleicht sollte ich bei euch einsteigen.«

»Du hast mich falsch verstanden«, sagte Manne. »Ich meinte nur: Ob wir gegen unsere eigenen Leute ermitteln müssen oder nicht, wird sich noch zeigen. Frau Klein war eine erfolgreiche, parteilose Politikerin. Sie hat sicher im Laufe ihrer Karriere mächtigeren Leuten als uns ans Bein gepinkelt.«

»Stimmt«, gab Carsten zu. »Nur dass die anderen Angepissten wahrscheinlich keine Parzelle hier in diesem Kleingartenverein haben.«

»Hm«, machte Manne. »Da sprichst du ein wahres Wort gelassen aus. Gut. Ich möchte nur nicht, dass voreilige Schlüsse gezogen werden. Das ist immer schlecht.« Er warf Carsten einen scharfen Blick zu, woraufhin der schnell wegschaute. Der Kommissar dachte wohl ebenso an den ersten Fall, als sie Kontakt zueinander hatten und Manne direkt zu Beginn in den Fokus der Ermittlungen geraten war. Kein schönes Erlebnis. Und Grund genug, sich hier einzumischen. Sei es auch nur, um seinen Gartenfreunden dieses Schicksal zu ersparen, wenn er konnte.

»Da hast du natürlich recht. Entschuldigt, ich bin auch etwas nervös. Das sind die ersten Ermittlungen, die ich im Alleingang leite. Ich bin es normalerweise gewohnt, herumkommandiert zu werden. Das ist zwar nicht immer schön, aber unkompliziert. Also. Machen wir es diesmal richtig, und ich schaue, ob ich einen Beratervertrag für euch bekomme, wenn wir eure Alibis überprüft haben. Okay?«

Caros Augen begannen zu leuchten. »Heißt das, wir arbeiten zusammen? So richtig?«