An der Freiheit des anderen kommt keiner vorbei - Reinhard K. Sprenger - E-Book

An der Freiheit des anderen kommt keiner vorbei E-Book

Reinhard K. Sprenger

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Beschreibung

Kein deutscher Autor hat das Denken über Management in den letzten 20 Jahren so geprägt wie Reinhard K. Sprenger. Seine Thesen zu den Themen Freiheit, Selbstverantwortung, Vertrauen und dem richtigen Umgang mit Motivation sind nach wie vor brandaktuell. Dieser Jubiläumsband anlässlich seines 60. Geburtstags versammelt Ausschnitte aus seinen wichtigsten Werken und stellt sie in einen neuen, zusammenhängenden Kontext. Der alles verknüpfende und zentrale Gedanke Sprengers ist die Freiheit, denn der Mensch – im Beruf, als Angestellter, Unternehmer, Manager, aber auch in allen anderen Lebensaspekten – ist ein Freiheitswesen. Dieses Buch ist eine Einladung an alle Neugierigen, Sprenger kennenzulernen, und für die Freunde seines Werks eine inspirierende neue Zusammenstellung seiner wesentlichen Gedanken.

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Veröffentlichungsjahr: 2013

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Leseprobe
Reinhard K. Sprenger
An der Freiheit des anderen kommt keiner vorbei
Das Beste von Reinhard K. Sprenger
Mit Illustrationen von Daniel Balzer
Campus Verlag Frankfurt/New York
Leseprobe
Über das Buch
Kein deutscher Autor hat das Management in den letzten zwanzig Jahren so geprägt wie Reinhard Sprenger. Im Kern seines Denkens steht die Einsicht, dass der Mensch ein Freiheitswesen ist. Was das für ein gelingendes Leben, beruflichen Erfolg, Mitarbeiterführung und das Management von Unternehmen bedeutet, hat Sprenger in zahlreichen Bestsellern eindrucksvoll beschrieben.
Dieses Buch ist eine inspirierende neue Zusammenstellung seiner wesentlichen Gedanken – und eine Einladung an alle Neugierigen, Sprenger kennen zu lernen.
»Der wirkmächtigste deutsche Managementdenker der Gegenwart.«
Hamburger Abendblatt
»Deutschlands Managementautor Nr. 1.«
Handelsblatt
Über den Autor
Dr. Reinhard K. Sprenger, promovierter Philosoph, gilt als profiliertester Management-Berater und Führungsexperte Deutschlands. Er wurde 1953 in Essen geboren und wohnt heute bei Zürich und in Santa Fe, New Mexico. Zu seinen Kunden gehören internationale Konzerne und nahezu alle Dax-100-Unternehmen. Sprenger ist bekannt als kritischer Denker, der nachdrücklich dazu auffordert, neues Denken und Handeln zu wagen.

INHALT

Vorwort von Reinhard Sprengers Verleger
Freiheit
Einleitung
Die Macht der Wahlfreiheit
Der Mythos der Sachzwänge
Ist Willensfreiheit eine Illusion?
Freiheit – »dennoch!«
Selbstgewählte Aufgaben
Die konkrete Utopie: Freiheit
Selbstverantwortung
Einleitung
Selbstbestimmt leben
Die Vorbild-Falle
Selbstverantwortung
Gehen Sie aus dem Weg!
Führen zur Selbstverantwortung
Coaching – oder wie man aus Unternehmen Kindertagesstätten macht
Vertrauen
Einleitung
Warum Vertrauen?
Vertrauen Sie ihnen!
Wie praktiziere ich Vertrauen?
Aktive Wahrhaftigkeit
Vertrauen statt Misstrauen
Motivation
Einleitung
Der Impuls aus der Praxis
Der kurze Hebel der Motivierung
Verdacht als Unternehmenskultur
Sisyphos: Belohnen und Bestechen
Motivation ist nur eine Voraussetzung für Erfolg
Kontakt ist wichtiger als Lob
Fordern statt verführen
Quellen
Register

[Leseprobe] VORWORT VON REINHARD SPRENGERS VERLEGER

Freiheit, Selbstverantwortung, Vertrauen ein praxisgerechtes Verständnis von Motivation: Das sind die vier Säulen des Denkens von Reinhard Sprenger, wobei er die Freiheit über alles andere stellt und die Notwendigkeit von Selbstverantwortung und Vertrauen daraus ableitet – deshalb der Titel dieses Buches. Durch diese Herleitung und Kombination, geschrieben im einzigartigen Sprenger-Stil, unterscheiden sich seine Inhalte von denen aller anderen Management- und Führungsdenker und machen seine Einmaligkeit, seine Unverwechselbarkeit, seine Wichtigkeit und Relevanz aus.
Entsprechend sind Freiheit, Selbstverantwortung, Vertrauen und Motivation auch die vier Säulen dieser Auswahl der besten Passagen aus Reinhard Sprengers Werken. Für uns bei Campus ist es ein Privileg, sie ihm zu seinem 60. Geburtstag vorzulegen und überhaupt mit ihm zusammenzuarbeiten. Er ist ein in jeder Hinsicht herausragender Autor.
Unsere Zusammenarbeit kam dadurch zustande, dass ich ihn wegen eines Zeitschriftenbeitrags angeschrieben habe. Daraus entstand im Jahr 1991 sein erster Bestseller mit dem Titel Mythos Motivation, |7|ein Standardwerk bis auf den heutigen Tag. In den seither vergangenen mehr als 20 Jahren haben wir weitere sieben Bücher von ihm verlegerisch betreut (von den dazugehörigen Hör- und elektronischen Büchern ganz zu schweigen). Gekrönt wurde diese Erfolgsserie von seinem letztjährigen Bestseller Radikal führen.
Campus und ich haben Reinhard Sprenger viel zu verdanken, auch über den wirtschaftlichen und profilbildenden Erfolg seiner Bücher hinaus. In unserer Verlagspraxis und in der vieler anderer Unternehmen haben sich seine Prinzipien bewährt: Mitarbeitern ein Maximum an Freiheit zu geben und ihnen Vertrauen entgegenzubringen. Auch wir versuchen, das von Sprenger postulierte Prinzip Selbstverantwortung mit dem Leitmotiv »Die Entscheidungskompetenz folgt der Sachkompetenz« zu leben. Unsere Entscheidungswege, die Wege eines konzernunabhängigen, inhabergeführten Verlags, sind kurz, damit die Vernunft nicht auf der Strecke bleibt. Wir halten viel von Vertrauen, von Freiheit, davon, Menschen die Wahl zu lassen, von Verhandlungen – obwohl autoritäre Lösungen manchmal leichter zu sein scheinen. Auch deshalb sagen oft Besucher, die in die Verlagsräume kommen: »Bei euch ist es lebendig, man spürt die Neugier und das Interesse über den eigenen Aufgabenbereich hinaus.« Das ist ein großes Kompliment und nicht zuletzt Reinhard Sprengers Prinzipien zu verdanken.
Jedes der Werke von Reinhard Sprenger hat mir helle Lichter für meine Unternehmenspraxis aufgesetzt. Für mich ist es eine Ehre, Ihnen diese Auswahl aus seinen |8|Werken vorzulegen – vom unstrittig wichtigsten Experten für Mitarbeiter- und Unternehmensführung im deutschsprachigen Raum.
Thomas Carl Schwoerer Frankfurt, im Mai 2013|9||10|
FREIHEIT
[Bild vergrößern]
Wovon träumen Sie? Vom nächsten Urlaub, von der nächsten Gehaltserhöhung, von der neuen Liebe, die so ganz anders wäre als die alte? Die Antwort auf Fragen wie diese fällt meistens leicht. Es genügt ein Blick in die Werbe-Einblendungen des Vorabendprogramms, um ein Bild davon zu gewinnen, wovon die meisten Menschen träumen: von dem, was sie nicht haben. Warum aber leben sie ein Leben, das sie offenbar nicht leben wollen? Auch darauf fällt die Antwort selten schwer: weil eben die Umstände so sind, wie sind; weil man morgens eben zur Arbeit muss und wegen der Kinder und so fort. Die Entfernung zwischen dem Leben, wie es sein könnte, und dem, wie es ist – für viele ist sie so groß wie die Entfernung vom Andromeda-Nebel zur Erde.|11||12|
Dies gilt besonders für die Arbeitswelt. Wie anders ist es zu erklären, dass die Umfragen zur Zufriedenheit im Job alljährlich zu erschreckenden Ergebnissen kommen: Jeder Zweite macht nur Dienst nach Vorschrift, jeder Dritte hat innerlich gekündigt, die Chefdiffamierungsbücher boomen. Die Unternehmen scheinen von Zombies bevölkert, die Tag für Tag an ihrem Arbeitsplatz erscheinen, ohne dort je anzukommen oder innerlich anwesend zu sein.
Bekanntlich ist es der Platonische Sokrates, der die Frage, »wie man leben soll«, erstmals ausdrücklich für sich selbst stellt und es ablehnt, darauf eine generelle, unterschiedslos auf alle Menschen zutreffende Antwort zu geben. Es ist der jeweils individuelle Mensch, der nach seinem Weg im Leben sucht. Wäre es anders, bräuchte von Individuum gar keine Rede zu sein. Doch in einer Gruppe, in der Gesellschaft, so die Theorie, |13|sind Einzelne immer bestrebt, ihr Verhalten den Normen und Erwartungen ihres sozialen und kulturellen Umfeldes anzupassen. Wir folgen deshalb selten unseren eigenen Wegen, sondern stattdessen den Mustern, denen eben alle anderen auch folgen. Das spart Zeit, Nerven und die Auseinandersetzung mit schwierigen Fragen. Es hat aber auch Nachteile.
Die Vervielfachung von Angeboten, die Pluralisierung von Werten vergrößern die Möglichkeiten der Selbstbestimmung, der Individualität. Im Gegenzug erhöhen sie die Anforderungen an die Fähigkeit des Einzelnen, seine Werte zu erkennen und ihnen entsprechend zu handeln. Was würden Sie tun, wenn Sie wüssten, dass Sie nur noch zwei Jahre zu leben hätten? Sie würden sehr wahrscheinlich anfangen, das zu tun, was Ihnen wichtig ist, und die Dinge ignorieren, von denen Ihnen andere gesagt hatten, dass Sie sie tun sollen und dass sie wichtig sind. Sie würden sich bewusst entscheiden, sich ans Steuer Ihres Lebensautos setzen und bestimmen, wohin Ihr Leben »führt«.
Jede Wahl, die wir treffen, ist ein Zeugnis für unsere Autonomie, für unser Gefühl der Selbstbestimmung. Fast jeder Politik-, Sozial- oder Moralphilosoph in der abendländischen Tradition seit Platon hat solcher Autonomie eine besondere Bedeutung eingeräumt. Und mit jeder neuen Ausweitung der Wahlmöglichkeiten erhalten wir noch mehr Gelegenheit, unsere Autonomie auszuüben und damit unseren Charakter unter Beweis zu stellen. Wir können heute im Vergleich zu früheren Generationen weitaus freier über unser Leben bestimmen, wissen aber nicht mehr genau, was für eine Art Leben wir führen wollen. Hier beginnt das Problem |14|mit der Freiheit. Denn jede Entscheidung für das eine ist zugleich eine Entscheidung gegen das andere. Was man tut, kann man auch unterlassen. Das ist eine Entscheidung – und sie liegt bei jedem Einzelnen. Zugespitzt haben es die Existenzialisten so formuliert: Der Mensch ist zur Freiheit verdammt.
Was den »freien Menschen« ausmacht, ist nicht die Maximierung seiner Möglichkeiten, sondern das Bewusstsein seiner Wahlentscheidungen und die Bereitschaft, Verantwortung für die Konsequenzen dieser Entscheidungen zu übernehmen, die Kosten, die mit jeder Wahl verbunden sind, anzuerkennen. Während äußere Freiheit eine Größe ist, die sich aus rechtlichen, sozialen und politischen Umständen zusammensetzt, beschreibt innere Freiheit einen Zustand, in dem der Mensch seine eigenen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzt, um auszuwählen. Darin liegt seine Freiheit. Und mit ihr die Voraussetzung für ein gelingendes Leben.|15|

[Leseprobe] DIE MACHT DER WAHLFREIHEIT

Ein Tag wie jeder andere

Mittwochmorgen. Sie sind gerade aufgestanden, und das einzig Ausgeschlafene in diesem Moment ist die »Einen wunderschönen guten Morgen!«-Stimme der Radiomoderatorin, die das heutige Telefonspiel erklärt. Eine Reise nach Mauritius können Sie gewinnen, wenn Sie jetzt ganz schnell anrufen und den Werbespruch des Senders vorsingen. Auf Mauritius, tja, da wäre es jetzt wärmer. Dort bräuchten Sie nicht den Bericht zu schreiben, den der Chef Ihnen gestern zur »Überarbeitung« wieder auf den Schreibtisch gelegt hat. Und es würden nicht diese gelben Klebezettel an der Tür hängen: »Stromrechnung überweisen!«, »Leere Flaschen wegbringen!« Der Wasserhahn tropft, und Sie erinnern sich dunkel, dass Sie sich schon vor drei Wochen darum kümmern wollten.
Ein Tag, nicht besser oder schlechter als die meisten in Ihrem Leben. Wenn Sie nach Hause kommen, werden Sie auf die immer gleiche Frage »Wie war’s heute im Büro?« die gleiche Antwort wie gestern und an den Tagen zuvor geben: »Wie immer.«
Vielleicht haben Sie sich früher einmal alles anders |16|vorgestellt. Aber das ist lange her. Es hat sich halt so ergeben. Fast wie von selbst. Inzwischen wissen Sie, dass »man sich nach der Decke strecken muss«. Sie funktionieren. Nur manchmal, wenn zusätzlich der Wagen nicht anspringt, der Mantel sich in der Autotür verklemmt und der Hausmeister Sie zum zehnten Mal daran erinnert, das Garagentor zu schließen, möchten Sie das alles abschütteln wie ein nasser Hund den Regen. Von wegen Mauritius!
Neben vielen kleinen Dingen, die einem das Leben schwer machen, gibt es noch die wirklich belastenden Probleme: Vor Kurzem ist auch in Ihrem Unternehmen der Begriff Stellenabbau gefallen. »Sie wissen ja, wir sind in unserem Unternehmen eine große Familie. Und nun hat unser Familienoberhaupt einen Beschluss gefasst: Sie werden bald das Nest verlassen müssen.« Wen wird es zuerst treffen? Welche Zukunft erwartet Sie, wenn Sie den Schwarzen Peter ziehen? In diesen Zeiten scheint es auf jeden Fall klug, sich ruhig zu verhalten und nicht unangenehm aufzufallen. Vielleicht hätten Sie vor einem Jahr die Stelle in München annehmen sollen, die Ihnen angeboten worden war. Damals dachten Sie aber an die Kinder, denen Sie einen Umzug nicht zumuten wollten (sie hatten sich gerade gut eingewöhnt, die lang ersehnten Freunde gefunden – es ging einfach nicht!). Außerdem war da das Häuschen, das Sie wenige Jahre zuvor gekauft und gerade fertig eingerichtet hatten.
Vielleicht sind es auch andere Lebensumstände, die Sie beschäftigen: Sie hetzen von einer Verpflichtung zur anderen und reiben sich auf. In Ihrer Beziehung kriselt es schon seit längerer Zeit. Die Kredite auf das Haus |17|müssen abbezahlt werden. Die Schwiegermutter ist ein Pflegefall. Auf die Pflegestation eines Altenheims wollen Sie sie nicht abschieben, aber Sie haben schon länger keinen richtigen Urlaub mehr gemacht. Da sind möglicherweise die Folgen einer früheren Heirat. Die Unterhaltszahlungen. Als Alleinerziehende: Kochen, Waschen, Kinder betreuen, Geld verdienen. Vielleicht macht es Ihnen auch einfach zu schaffen, dass Sie die großen Ziele aufgegeben haben und Ihre Lebensträume nun im Kino verwirklicht sehen.
»Ja, wenn …«, fangen Sie dann an und zählen all die Umstände, Sachzwänge, Verpflichtungen auf, aus denen die Routine Ihres Alltags besteht und auf die Sie am liebsten sofort verzichten würden. Eine lange Liste? Und eins passt irgendwie zum anderen? Bis Sie am Ende wieder überzeugt sind, dass das alles so sein muss und Sie gar nicht anders können? Nicht, weil Sie es so wollen, sondern weil »die Umstände« so und nicht anders sind?
Ich möchte Ihnen einen Gedanken zumuten, der – anstelle einer Antwort, wie Sie dieses oder jenes Detail in Ihrem Leben abändern könnten – auf den Ausweg verweist und Ihnen das zurückgibt, was Sie brauchen, um der Unzufriedenheit zu entkommen: Wahlfreiheit. Dieser Gedanke lautet: Sie haben Ihr Leben, so wie es jetzt ist, frei gewählt. Diesen Alltag, diesen Job, diesen Chef, diese Kollegen, diese Wohnung, diese Stadt, diesen Partner (oder auch Ihr Single-Dasein) – all das und alle anderen Umstände sowie Begleitumstände Ihres Lebens: Sie haben sie gewählt. Dafür sind Sie verantwortlich. Und nur Sie. Egal, welche Motive Sie hatten, einerlei, was Sie bewog: Sie haben es sich ausgesucht. |18|Sie haben alles, was jetzt ist, entschieden und damit selbst gewählt – und Sie können all dies auch wieder abwählen. Dafür wäre dann wieder ein Preis zu zahlen. Wie hoch der ist, entscheiden nur Sie selbst.
So lässt sich unsere Wahlfreiheit zusammenfassen:
Sie können alles tun.
Alles hat Konsequenzen.
Einfache, klare Sätze. Aber offenbar schwer verdaulich. Ich habe bis heute nahezu ausschließlich Menschen kennen gelernt, die zwar – einerseits – alles tun wollen, aber – andererseits – den Preis dafür nicht zahlen wollen. Mit jeder Wahl sind aber zwangsläufig bestimmte Auswirkungen verbunden, die wir gleichzeitig mitwählen. Es gibt keinen Trick in der Welt, der es uns erlaubt, diesen Konsequenzen auszuweichen. Aber genau das scheinen alle zu erwarten. Und wenn das nicht gelingt, nicht gelingen kann, fangen sie an zu jammern.

Ein wunderbares Geschenk

Jede Ameise weiß, was sie zu tun hat, sobald sie dem Ei entschlüpft ist. Sie hat – wie alle Tiere – ein festes Programm, nach dem sie lebt. Sie hat einen Instinkt, der ihr auf jeden Reiz unverrückbar die Reaktion vorgibt.
Anders der Mensch. Er folgt keinem Schema F. Er wird nicht einfach von Instinkten gesteuert. Er ist frei – das heißt, er kann wählen, was er in einer bestimmten Situation tut. Ein Tier verhält sich, der Mensch handelt. Eigentlich ein wunderbares Geschenk, oder?|19|
Das Problem ist: Die meisten Menschen haben vergessen, dass sie wählen. Sogar täglich wählen. Sie vergessen einfach, dass sie sich für diese Lebensumstände täglich neu entscheiden. Dass sie sie auch abwählen könnten, wenn sie wollten, und es aus Gründen nicht tun, für die nur sie selbst verantwortlich sind. Dass sie diesen Ehepartner, der vielleicht schon länger nicht mehr ihre Leidenschaft entfacht, jeden Tag wieder und wieder wählen. Dass sie zu diesem Chef, über den sie sich mit periodischer Regelmäßigkeit bis zur Weißglut ärgern, jeden Tag Ja sagen. Ebenso zu dem Stau, in dem sie jeden Morgen stehen. Die Vereinskollegen, die so furchtbar lahm sind und überhaupt nicht aus den Sträuchern kommen – sie wählen sie täglich. Ihr Übergewicht, auch das wählen sie täglich. Das Gehalt, das natürlich immer ein wenig zu niedrig ist, auch das wählt jeder Einzelne von uns an jedem Letzten oder Ersten des Monats.
Ein Beispiel: Sie sollten eigentlich die Unterlagen für die Versicherung bearbeiten, die schon vergangene Woche angemahnt wurden. Stattdessen lesen Sie dieses Buch. Was Sie momentan eigentlich tun wollen, ist – dieses Buch zu lesen! Wenn Sie etwas »eigentlicher« wollten, würden Sie es tun. Mehr noch: Es gibt in Ihrem Leben im Augenblick nichts Wichtigeres, als dieses Buch zu lesen.
Eine etwas vollmundige Behauptung? Prüfen Sie den Gedanken: Wenn es etwas Wichtigeres gäbe, würden Sie es schlicht tun. Sie würden keine Sekunde zögern. Sie würden jetzt das Buch zur Seite legen. Niemand könnte Sie aufhalten. Wenn Sie also weiterlesen, dann haben Sie Preise verglichen, sich entschieden, es sich ausgesucht.|20|
Das, was Ihr Leben im Moment ausmacht, ist der Weg, den Sie gewählt haben. Es gibt immer auch einen anderen Weg, etwas zu tun. Meistens auch mehr als einen. Doch viele halten an einer Methode fest, ein Ziel zu erreichen oder ein Problem zu lösen. Sie kommen gar nicht auf die Idee, einen anderen, vielleicht den eigenen, den besonderen Weg zu gehen. Statt es auf eine alternative Weise anzugehen, verdoppeln sie ihre Anstrengungen. Und wenn es dann nicht funktioniert, resignieren sie. Schließlich geben sie auf. Dabei liegt die Wahl immer in ihrer Hand.

Hinter selbst gewählten Gittern

Viele Angestellte rechtfertigen beispielsweise ihre Versetzung in eine andere Stadt oder gar in ein anderes Land gegenüber ihrer Familie oft damit, dass sie »keine andere Wahl« gehabt hätten. Ich will nicht Entscheidungsprozesse verharmlosen, die persönlich oft als dramatisches Wechselbad der Gefühle erlebt werden. Ich kenne diese innere Zerrissenheit aus eigener Erfahrung und weiß, wie belastend sie ist. Wenn sie sich aber so entschieden haben und was immer sie dabei auch empfinden: Sie haben die Ansprüche ihrer Familie abgewählt zugunsten der Ansprüche ihres Unternehmens.
Vielleicht bedroht diese Klarheit ihr Rollenverständnis vom guten Vater oder von der guten Mutter. Schließlich wollen sie als fürsorglicher Elternteil gelten. Da ist es naheliegend, auf einen bekannten Trick zurückzugreifen: Die anderen werden Verständnis haben, wenn |21|sie erzählen, dass sie doch letztlich keine Wahl hatten. Doch! Die hatten sie. Sie wollen aber für ihre Entscheidung nicht geradestehen. Wie Kinder, die glauben, nicht gesehen zu werden, wenn sie die Augen schließen.
Auf einer Zugfahrt kam ich mit einem städtischen Beamten ins Gespräch, der sich über die weitaus besseren Verdienstmöglichkeiten in der Wirtschaft beklagte. Ich wandte ein: »Als Sie Beamter wurden, wussten Sie doch, dass Sie mit dieser Wahl das Gelübde auf lebenslange Armut abgegeben haben. Außerdem können Sie doch jederzeit Ihren Beamtenstatus aufgeben und sich einen Job in der Wirtschaft suchen.« »Aber die Arbeitsplatzsicherheit, der Leistungsdruck, die Pension …«
»Darf ich es in meinem Leben so haben, wie ich es gerne hätte?« Sie haben es so! Auch wenn es sich noch so hart anhört: Sie sind nicht gezwungen worden, Ihr Leben in der gerade praktizierten Form zu leben. Dem liegen Entscheidungen und damit abgelehnte Alternativen zugrunde. Mögen diese auch noch so abwegig sein. Immer dann, wenn Sie anfangen, über etwas zu lamentieren – dann haben Sie vergessen, dass Sie es sich ausgesucht haben.

Preisvergleich

»Ich möchte dich gerne heiraten«, sagt die Frau zu ihrem Geliebten. »Glaube mir, ich wünsche mir nichts sehnlicher auf dieser Welt. Aber ich kann mich nicht von meinem Mann trennen. Er würde es nicht überstehen. Er braucht mich. Ohne mich kann er nicht |22|leben.« Worte, die in so manchem Liebesdrama fallen und die Sie so ähnlich vielleicht auch schon einmal gehört haben. Jedoch: Kann sich diese Frau nicht trennen? Ist es nicht die Loyalität gegenüber ihrem Mann und ihre Sorge um sein Wohlbefinden, die sie bei ihm bleiben lassen? Hat sie sich nicht für bestimmte Werte und gegen andere entschieden?
Alle Menschen wollen ein gutes, ein gelungenes Leben führen. Aber nur wenige sind bereit, den Preis zu zahlen, der in der Regel dafür fällig ist. Sie sind nicht bereit, das Opfer zu bringen. Sich anzustrengen. Etwas anderes hintanzustellen. Eventuell sogar Regeln zu brechen, die ihnen Tradition und Erziehung mit auf den Weg gegeben haben. Wie oft träumen wir davon, alles stehen und liegen zu lassen: das langweilige Vorstadtdasein, die freudlose Arbeit, den Chef, der nicht sieht, was wir leisten, und stattdessen permanent Druck macht. Wäre es nicht toll, einfach einen Schnitt zu machen? Noch einmal völlig neu anzufangen? Am besten an einem anderen Ort? Wir spüren, welche Potenziale noch in uns schlummern und wie viel Energie wir freisetzen würden, wenn wir genügend Freiraum hätten.
Gerade Menschen in der Lebensmitte leiden häufig unter einer Art »Festlegung«: Wenn nichts Entscheidendes geschieht, werde ich die mir verbleibenden Lebensjahre auf die immer gleiche Weise verbringen. Alle Entscheidungen sind getroffen. Meine Ehe ist so, wie sie ist; mein Beruf steht ebenso fest … Zweifel nagen: War das alles richtig so? Hätte ich Besseres erreichen können, wenn ich mich anders entschieden hätte? Ist es jetzt zu spät, die Weichen neu zu stellen? War das jetzt schon alles?|23|
Auch wenn es sich seltsam anhört: In jeder Sekunde unseres Lebens sind wir frei, alles über den Haufen zu werfen und neu zu beginnen. Dennoch schöpfen die meisten Menschen diese Freiheit nur selten aus, ja sie sind sich ihrer Freiheit gar nicht bewusst. Der Preis scheint zu hoch. Aber sind die Folgen einer Neuentscheidung wirklich so schrecklich? Was würde schlimmstenfalls passieren, wenn Sie einen Strich zögen und zum Beispiel Ihren Job hinwerfen würden? Erwartet Sie die Arbeitslosigkeit? Fürchten Sie Statusverlust, einen Karriereknick? Würden Sie die Selbstachtung verlieren, weil Sie glaubten, versagt zu haben? Hätte das Wohlleben ein Ende? Müssten Sie vielleicht Ihr Auto verkaufen?
Oder was würde geschehen, wenn Sie jemandem die Freundschaft aufkündigten? Wenn Sie ihm in aller Deutlichkeit sagten, dass Sie mit ihm nichts mehr zu tun haben wollen? Oder: Was, meinen Sie, wären die Folgen, wenn Sie etwas täten, das niemand in Ihrem Freundeskreis oder Ihrer Familie von Ihnen erwartet hätte? Fürchten Sie Liebesverlust? Dass die anderen Sie nicht mehr mögen? Wenn das zutrifft, dann ist es Ihnen wichtiger, als Ihr eigenes Leben zu leben. In Ordnung, dafür haben Sie sich entschieden.
Ich argumentiere hier nicht moralisch. Mir geht es um die Definition des Preises. Niemandem steht es an, für jemand anderen zu definieren, dass dieser oder jener Preis höher oder niedriger zu bewerten sei. Das ist ausschließlich eine Frage der persönlichen Einschätzung.
Wofür der eine seinen Job kündigt, ringt dem anderen nur ein müdes Lächeln ab. Wofür der eine sein Leben hingibt, gilt dem anderen nichts. Auch wer sich |24|umbringt, wählt die – aus seiner Sicht – bessere Alternative. Wenn Sie aber mit allen Gegebenheiten in Ihrem Alltag leben können, nur zum Beispiel nicht mit der Tatsache, dass Ihre Wohnung an einer viel befahrenen Straße liegt, dann gibt es Hunderte von Wohnungen, die ruhiger gelegen sind. Sie können dort hinziehen. Dafür ist dann ein Preis fällig. Auch wenn Sie mit allen Umständen in Ihrem Job leben können, nur nicht mit der Tatsache, dass Sie zu wenig Geld verdienen, dann gibt es zahlreiche Alternativen, die Ihnen ein Vielfaches einbringen. Auch dafür ist dann ein Preis fällig. Der neue Job ist vielleicht nicht so angenehm oder liegt in einer anderen Stadt und setzt sogar die Trennung von Ihrer Familie voraus. Vielleicht verlangt er Ihnen auch ab, sich die Hände schmutzig zu machen oder gar Ihre Haut zu Markte zu tragen. Das wollen Sie nicht? Dann ist es Ihnen auch nicht wichtig genug, mehr Geld zu verdienen. Dann haben Sie sich dagegen entschieden.
Grundsätzlich gilt:
Wer sagt: »Ich kann nicht«, der will nicht.
»Das ist doch Theorie!« Ist es das? Alles nur Theorie? Das Argument trifft daneben, wobei ich weit entfernt bin, jemandem zu empfehlen, er solle seinen Job aufgeben. Viele Menschen indes haben sich im Laufe der Jahre derart im Wohlstand eingerichtet, dass schon allein die Verlustangst zur Zwangsjacke und die Freiheit der Wahl vergessen wird.
Konsequent gedacht: Man ist nicht bereit, die Annehmlichkeiten zu opfern, auf der anderen Seite aber |25|bereit, täglich zu einem verhassten Arbeitsplatz zurückzukehren und sich schikanieren zu lassen. Dieser Preis wird gezahlt, der andere nicht. Das ist die Entscheidung. Sie hätte auch anders getroffen werden können.

Die kalten Duschen des Lebens

Oft erscheint nichts schwieriger, als eine klare, bewusste Entscheidung zu treffen. Wir werden kaum alle Auswirkungen unserer Entscheidung gedanklich vorwegnehmen können. Wir sind fast immer gezwungen, aufgrund unvollständiger Informationen zu wählen. Die vielen Möglichkeiten liegen gewissermaßen hinter einer Milchglasscheibe. Oder, wie der Philosoph Immanuel Kant es einst ausdrückte: »Die Notwendigkeit zu entscheiden übersteigt die Möglichkeit zu erkennen.« Warten auf uns vielleicht hinterher noch mehr Probleme als vor unserer Entscheidung?
Außerdem sind wir natürlich äußeren Einflüssen ausgesetzt. Wählen ist natürlich nur im Rahmen der Naturgesetze möglich; wir können das Gravitationsgesetz nicht außer Kraft setzen. Und die wenigsten von uns leben einsam auf einer Insel. Wir sind soziale Wesen und brauchen andere, um unsere Ziele zu erreichen. Nicht zuletzt stoßen uns Ereignisse zu, die nicht im Bereich unserer Kontrolle liegen: politische, wirtschaftliche, gesundheitliche. Oft tun wir uns auch einfach nur schwer mit den Konsequenzen unserer Entscheidungen. Sie sind nicht immer vorhersehbar und |26|vor allem nicht immer angenehm. Ja, es gibt sie, die kalten Duschen des Lebens. »Das habe ich nicht gewählt«, protestieren wir dann, »das ist mir zugestoßen!« Mag sein.
In einem erweiterten Sinne haben Sie aber die Konsequenzen Ihrer Wahl der Möglichkeit nach alle mitgewählt. Das Leben ist immer lebensgefährlich. Der Philosoph Martin Heidegger schreibt: »Wenn der Mensch geboren ist, ist er bereit zu sterben.« Wenn ich bei einem Erdbeben von der herabstürzenden Zimmerdecke erschlagen werde, so geht dem – so absurd es zunächst auch klingen mag – die Wahl voraus, in überdachten Räumen zu leben. (Einige Naturvölker weigern sich deshalb, Häuser zu betreten.) Oder die Klage über den sogenannten »Zufall«, dass jemand an der nächsten Straßenecke überfahren wurde. So tragisch und traurig das im Einzelfall sein mag: Wenn jemand gewählt hat, am Straßenverkehr teilzunehmen, hat er grundsätzlich auch die Möglichkeit mitgewählt, überfahren zu werden.
Das mag manchem zu allgemein und grundsätzlich sein. Aber Sie werden sich kaum dem Gedanken verschließen können, dass Sie zumindest verschiedene Wahlmöglichkeiten haben, auf die Ereignisse zu reagieren. Dass Unvorhersehbares auftritt, mag nicht Ihre Wahl sein. Wie Sie darauf reagieren, schon.|27|

[Leseprobe] DER MYTHOS DER SACHZWÄNGE

Wer sitzt am Steuer?

Wer sitzt am Steuer Ihres Lebensautos? Sie selbst oder Ihr Chef? Sie oder Ihr Ehepartner? Sie selbst oder das Geld, das Schicksal, die Verhältnisse? Lassen Sie »die Umstände« steuern? Oder sind Sie gar Opfer einer mächtigen internationalen Verschwörung mit dem Namen »die anderen«?
Sachzwänge scheinen besonders geeignet, der Freiheit eine Absage zu erteilen. Denn wer sich dem Sachzwang beugt, tut, was zu tun ist, beziehungsweise lebt so, wie alle leben. Man will ja kein Außenseiter sein. In der Tat ist der Weg der Notwendigkeit viel gebahnter als der der Freiheit. Das ist vertrautes Gelände, die Sicherheit des Bewährten. Aber gibt es Sachzwänge wirklich? Ist der Hinweis darauf nicht vielmehr eine Denkfaulheit, Bequemlichkeit, ein vorgeschobenes Argument? Meine These ist:
Es gibt keine Sachzwänge.
»Ich hatte doch damals keine Wahl!«, heißt es empört, und schnell sind sie zur Stelle: Familie oder Immobi|28|lie. Vielen ist einfach nicht bewusst, dass sie gewählt haben. Sie bauen sich über Jahre und Jahrzehnte ihre Lebensumstände zusammen, als deren Opfer sie sich danach erleben. Richtig aber ist: Alles, was im Augenblick ist und geschieht, ist die Folge von Entscheidungen, die Sie irgendwann vorher in Ihrem Leben getroffen haben – ob Ihnen das nun gefällt oder nicht. Sie haben vielleicht nicht auf genau dieses Ergebnis gezielt, das mag sein. Aber dennoch ist es eine Konsequenz Ihrer früheren Entscheidung. Vielleicht haben Sie diese Entscheidung auch nicht sehr bewusst, nicht sehr aufmerksam, nicht in klarer Sicht der Alternativen getroffen und halten sie deshalb nicht für eine Entscheidung. Oder die abgewählte Alternative erschien Ihnen so absurd, dass Sie sie nicht wirklich in Erwägung gezogen, nicht wirklich ernsthaft geprüft haben. Diesem »Nicht-wirklich-in-Erwägung-Ziehen« ist aber schon immer eine Wahl vorausgegangen, die meist eine Entscheidung für ganz bestimmte Werte oder Lebensweisen beinhaltete. So wurde Ihre Berufswahl vielleicht vom Gedanken beeinflusst: »Bei einem anderen Job droht mir später doch die Arbeitslosigkeit.« Das schien Ihnen keine »wirkliche« Alternative, die Sie hätten wählen können, weil Sie zuvor schon eine Entscheidung für ein Leben »jenseits der Sozialhilfe« getroffen hatten.
Ein Bekannter erzählte mir, er sei als kleiner Junge fasziniert von der Seefahrt gewesen. Das Meer, die großen Schiffe, die weite Welt hätten auf ihn eine ungeheure Anziehungskraft ausgeübt. Seine Eltern erzählten aber allen Bekannten schon seit er drei Jahre alt war, dass er sicher einmal Mediziner würde und die elterliche Praxis übernähme. Nach dem Abitur lieb|29|äugelte er tatsächlich kurzzeitig mit der Idee, zur See zu fahren. Die Nachricht von der drohenden Medizinerschwemme bewegte ihn stattdessen, noch eben das Studium anzuhängen. Im Urlaub am Meer, den er sich nach dem Studienabschluss gönnte, ergriff ihn wieder die Sehnsucht. Doch als er zurückkehrte und der Universitätsprofessor ihm nachdrücklich zur Promotion riet, begrub er seinen »unrealistischen« Traum endgültig. Heute, mit gut gehender Praxis, erscheint ihm der Gang der Dinge irgendwie »natürlich« und »vernünftig«. Heimlich bedauert er, das Seemannsleben nie ausprobiert zu haben. Er hat aber auch nicht das Gefühl, dass jemals wirklich eine Entscheidung anstand. Was er nicht sieht: Er hat eine Wahl getroffen. Er hat sich früh entschieden, den Kampf mit den Eltern nicht aufzunehmen. Er hat sich für die Fortsetzung der Familientradition entschieden sowie für Wohlstand, soziales Ansehen und Sicherheit. Gleichzeitig hat er die Möglichkeit eines aufregenden, spannenden, abenteuerlichen Lebens, das mit vielen Unwägbarkeiten einhergeht, abgewählt. Und er wählt sie jeden Tag erneut ab. Darüber zu urteilen steht niemandem an. Aber weil er die Alternative nicht ernsthaft geprüft hat, erinnert er sich nicht mehr, dass er gewählt hat und wählt.
Für viele gehört der Sachzwang einfach nur zu jener Diagonale des Erfolgs, die von links unten nach rechts oben verläuft. Viele haben sich ihren Sicherheitscontainer so luxuriös ausmöbliert, dass es ihnen geradezu absurd erscheint, etwas davon aufs Spiel zu setzen. Die Ketten aus Gold binden ebenso wie die Ketten aus Eisen. Das führt dann zu der bekannten Verfettung der Herzen und der Bankkonten.|30|
Und in der Tat kann der Preis aus der Sicht des Einzelnen außerordentlich hoch sein. Doch darum geht es mir hier gar nicht, denn keineswegs will ich jemandem leichtfertig nahe legen, seinen Wohlstand und die Sicherheit stabiler materieller Verhältnisse zu opfern. Das Problem ist, dass viele nicht bereit sind, für die Auswirkungen ihres Festhaltens Verantwortung zu übernehmen, sie als Resultat ihrer Entscheidung anzuerkennen und die Unbeweglichkeit als Preis zu zahlen.
Je mehr Dinge Sie haben, desto mehr haben die Dinge Sie.
Jeder Komfort muss bezahlt werden. Es heißt ja nicht zufällig »Immobilie« – sie macht immobil. Und so kenne ich zahlreiche Menschen, die bereit sind, in ihrem Arbeitsleben täglich Abwertungen und Respektlosigkeiten hinzunehmen sowie ihre Würde und ihren aufrechten Gang zu opfern, die aber nicht bereit sind, auf ihren Sechszylinder zu verzichten. Dazu entscheiden sie sich täglich. Das ist ihre Wahl.
Gehen wir ins Extrem und jeder prüfe sich selbst: Wer hindert Sie, den Traumjob als Segellehrer in der Karibik anzunehmen? Wer hindert Sie, die fehlende Ausbildung nachzuholen, die Arbeitsgenehmigungen zu beantragen, die Einreisebestimmungen zu prüfen? Sie selbst ganz allein. Sonst niemand. Sie wollen auf die Annehmlichkeiten Ihres vollklimatisierten Sicherheitscontainers nicht verzichten. Das will ich keineswegs kritisieren. Aber beschuldigen Sie nicht Ihre Familie, die Umstände … All das können Sie abwählen, wenn Sie wollen. Wenn Sie es nicht wollen und weiter so leben wie bisher, dann tun Sie es in dem Bewusstsein, |31|diese Umstände gewählt zu haben. Sie haben die Wahlfreiheit! Damit entfällt jede Grundlage der Schuldzuweisung. Und damit entfällt jede Grundlage des »Ich kann ja nicht, weil …«

Opfer der Umstände?

Ich erinnere mich noch gut an die Reaktion meines Vaters, als wir über den Gedanken der Wahlfreiheit sprachen. Väterlich milde und seine ganze Lebenserfahrung ausspielend, meinte er: »Das hast du wohl auf der Universität gelernt. Das Leben, das sieht doch ganz anders aus.« Zum Beweis verwies er auf seine Erinnerung an die NS-Zeit: »Man hätte uns doch damals an die Wand gestellt.« Bums! Da war es, das Mega-Argument, von denen ich später in meinem Berufsleben noch so viele ähnliche hören sollte (neuerdings: »Ich kann da als Politiker nichts machen, ich folge nur den Vorschriften aus Brüssel!«). Das Rädchen-Gerede der Manager, die Befehlsnotstands-Entschuldigung der Elterngeneration: Man verliert sich in der Bodenlosigkeit extremer existenzieller Bedrohungen, um das Prinzip der Wahlfreiheit zu widerlegen.
Es steht Kindern niemals an, die Motive ihrer Eltern zu bewerten. Dazu haben sie kein Recht. Und auch mir steht es nicht zu, die Entscheidung meines Vaters, sich nicht dem Widerstand gegen Hitler angeschlossen zu haben, zu kritisieren. Aber es gab Menschen, die haben sich »an die Wand stellen lassen«. Es war wählbar. Ich sage nicht, dass das eine moralisch hochstehend, das |32|andere feige ist. (In dieser Hinsicht sollten wir Zeitgenossen uns an die eigene Nase fassen.) Ich sage nur: So hoch der Preis auch sein mag, für die Konsequenzen seiner Entscheidung trägt mein Vater die Verantwortung.
Die Freiheit ist ein wundersames Ding. Die meisten von uns sehnen sich danach, schätzen sie als höchstes Gut. Gleichzeitig aber erschreckt sie viele Menschen zu Tode. Weil aus ihr auch Schuld resultieren kann. Schauen wir uns beispielsweise an, wie in modernen Gesellschaften Verbrechen reflektiert werden. Der Bildungsbürger führt sie auf die Gräuel desolater Familienverhältnisse, auf seelische Defekte und soziale Missstände zurück. Da müsse man ja geradezu »zwangsläufig« kriminell werden! Menschelnd werden die Dinge ins Gegenteil verkehrt: aus Tätern werden Opfer. Sie sind von vornherein unmündige Personen; ihr Rechtsbruch insofern verstehbar, ein Unfall. Der Unhold gehört dann in die Gesellschaft der Kranken, Armen und Ausgestoßenen, denen fürsorglich und therapeutisch zu begegnen ist. Ähnlich wie Krankheit heute kaum mehr der körperlichen Verfassung und der individuellen Lebensführung zugeschrieben wird, sondern dem Stress, dem Leistungsdruck oder anderen bösen Mächten, so werden Verbrechen entkriminalisiert: »Die Verhältnisse« sind schuld, nicht der Verbrecher.
Der Zweck dieser Umwidmung ist offensichtlich: Freiheit, Verantwortung und Schuld sollen ausgelöscht werden. Indem man das Böse zur seelischen Entgleisung verniedlicht und den Täter zum gestrauchelten Mitmenschen inmitten widriger Umstände verharmlost, ist letztlich niemand mehr für die Tat dingfest zu machen. Außer |33|natürlich: »die Verhältnisse«. Dabei hält dieser Trick nicht einmal der einfachsten logischen Prüfung stand. Wie viele Menschen weisen ähnlich misslungene Biografien auf, ohne kriminell zu werden? Wie viele Menschen fristen ein trostloses Dasein, ohne andere zu schädigen?
Für unsere Gesellschaft hat der Verweis auf »die Verhältnisse« katastrophale Folgen: Indem man Täter zu Opfern einer biografischen Fehlentwicklung umtauft, lädt man dazu ein, sich selbst als Opfer zu fühlen. Der Einzelne mag sich fragen: Habe ich nicht auch ein Handicap, weil meine Eltern sich trennten, als ich erst vier Jahre alt war? Bin ich nicht auch benachteiligt, weil ich nicht studiert habe? Darf ich mich nicht jetzt – im Umkehrschluss – schadlos halten am Staat, an den Sozialversicherungen, den anderen?
Vielleicht können sich noch einige von Ihnen an Plakate aus der Zeit des Kalten Krieges erinnern: »Stell dir vor, es gibt Krieg und keiner geht hin.« Sie mögen über die freche Wendung geschmunzelt haben – worauf hier so überraschend und provokant hingewiesen wurde, war die Tatsache, dass nicht Generäle, Verteidigungsminister oder der »militärisch-industrielle Komplex« den Krieg diktieren. Es ist jeder Einzelne, der sich entscheidet, in den Krieg zu ziehen. Niemals kämpft »eine Nation« oder »ein Volk«. Auch wenn es sich sehr unbequem anhört: Es sind die Einzelnen, die die Wahlentscheidung für oder gegen den Krieg treffen. Damit sage ich nicht, dass ein Krieg geführt oder nicht geführt werden sollte. Ich sage, dass Kriege geführt werden, weil Individuen sich entschieden haben, die Uniform anzuziehen und das Gewehr zu schultern. Individuen, keine Nation oder eine Gruppe von Nationen. Das gilt |34|auch für die Verbrechen vom 11. September 2001: Es war nicht Al Quaida, es war nicht der Islam, schon gar nicht der Irak, der die Flugzeuge entführte und in die Twin-Towers flog – es waren einzelne Menschen, die sich entschieden hatten, so zu handeln.
Das Problem der Wahl stellt sich hier in aller Schärfe. Denn das Problem mit dem Rattenfänger ist niemals der Rattenfänger, es sind immer die Ratten. Solange sich kein Widerstand regt, kann jeder – wer auch immer – davon ausgehen, dass die anderen mit seinem Handeln einverstanden sind. Sonst würden sie ja aufmucken. Auch Regierungen sind bekanntlich nur so gut wie die Menschen, die ihnen Beine machen. Wenn deutsche Historiker behaupten, »dass Deutschland nach 1933 ein ›besetztes Land‹ war« (Hans Rothfels), in dem es einem »Verbrecherclub« gelungen war, das deutsche Volk »zwölf Jahre hindurch in seine Gefolgschaft zu zwingen« (Friedrich Meinecke), dass der Nationalsozialismus »eine satanische Verfälschung echter deutscher Tradition« gewesen sei (Gerhard Ritter), dann ist diese Opferrolle als Gegenerzählung zu Schuld und Verdrängung menschlich verständlich, aber faktisch Unfug. Gerade wir in Deutschland sollten nie vergessen: Niemals macht der Diktator die Verhältnisse; immer machen die Verhältnisse den Diktator.

Spielball des Arbeitsmarkts?

Ich wähle ein anderes rigoroses Beispiel zur Verdeutlichung der Wahlfreiheit und Verantwortung des Ein|35|zelnen: Nehmen wir für einen kurzen Augenblick an, das Unternehmen, für das Sie gearbeitet haben, ist in Konkurs gegangen, und Sie stehen plötzlich »auf der Straße«. Vergegenwärtigen Sie sich einen Augenblick das bedrückende Gefühl der Nutzlosigkeit, wenn Sie plötzlich Ihren Job verlieren. All Ihre Erwartungen, all Ihre Pläne … Über Arbeit jammert man so lange, bis man keine mehr hat. Was dann kommt, ist wirklich nicht lustig.
Ich weiß um die Problematik dieses Themas; dennoch die Frage: Wer ist verantwortlich für Ihre Arbeitslosigkeit? Es fallen Ihnen sicher etliche Leute ein, auf die Sie mit dem Finger zeigen könnten: das Management Ihres Unternehmens, die gnadenlosen Wettbewerber, der Wirtschaftsminister, der Ihre Branche nicht weiter subventionieren will, die EU, die den Markt nicht reguliert hat, die Gewerkschaften, die sich bei den Tarifverhandlungen nicht gemäßigt haben.
Aber fragen Sie sich weiter: Wer hat sich dieses Unternehmen ausgesucht? Wer hat damals die Alternativen ausgeschlagen? Wer hat sich für diesen Job entschieden? Wer hoffte auf bessere Zeiten, als die ersten Warnsignale unüberhörbar waren? Was haben Sie in den letzten Jahren unternommen, um Kontakte zu knüpfen, Alternativen vorzubereiten, sich fortzubilden, Ihre Qualifikation zu erweitern?
Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog rief in einer damals viel beachteten »Berliner Rede« zur Selbstverantwortung auf. Unter diesem Stichwort sagte er: »Ich mache den 35-jährigen Kohlekumpeln, die in Bonn für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes demonstriert haben, keinen Vorwurf.« Sein Vorwurf gelte vielmehr |36|jenen, die den Bergleuten eingeredet hätten, ihr Beruf habe uneingeschränkte Zukunft.
Da sind sie wieder: Opfer, so weit das Auge reicht. Sie hatten es ja nicht wissen können. Sie sind nicht verantwortlich für ihre Berufswahl. Sie können nichts für ihr Ausharren in einem Arbeitssektor, der ein völlig überteuertes Produkt herstellt (das niemand braucht) und der deshalb seit über 40 Jahren von Steuergeldern lebt. Würden die Bauern in Schleswig-Holstein Ananas züchten und dafür den Beistand des Steuerzahlers fordern, würden wir sie nicht auch für verrückt halten? Ist es also angebracht, von Opfern zu sprechen? Nein, Selbstverantwortung fragt anders: Warum haben die Bergleute sich die Zukunftsfähigkeit ihres Berufs einreden lassen? Und mit welchem Recht glauben sie, weiterhin auf Kosten anderer leben zu dürfen? Wenn ich dann lese, dass Jugendliche auch heute noch weiterhin Bergleute werden wollen und auf jede Lehrstelle sechs Bewerber kommen, dann verschlägt es mir die Sprache.
Ein Studienkollege von mir ist zur Zeit der »Lehrerschwemme« ausgebildet worden und hat keine Anstellung erhalten. Lange fuhr er Taxi und wartete darauf, doch noch Lehrer werden zu können. Er wartete darauf, dass andere aktiv werden und etwas für ihn tun, nämlich ihm eine Lehrerstelle anbieten. Mittlerweile sind einige Jahre ins Land gegangen, die Kulissen sind verschoben, die Chance, in seinem Alter noch Lehrer zu werden, ist gering. Er fährt immer noch Taxi. »Das sind die mir doch schuldig!« Was? »Die Anstellung.« Wer? »Der Staat.«
Zugegeben: Nicht jeder hat immer und gleichzeitig alle Möglichkeiten. Nicht alle können den Weg vom Polier |37|zum Programmierer, vom Bergmann zum Barmann, vom Zugführer zum Fremdenführer gehen. Es gibt viele Hindernisse, viele Unbequemlichkeiten, viele Hürden. Und einige unter Ihnen würden mir jetzt sicher gerne erzählen, was Sie schon alles versucht haben, um einen Job zu bekommen: »Ich habe über 200 Bewerbungen geschrieben, niemand will mich!« Ja, ich kenne viele Menschen in ähnlicher Situation. Aber sich einreihen in die Schlange vor der Klagemauer hilft nicht. Wenn Sie das Problem wirklich lösen wollen, würde es Sie sogar schwächen.
Viele verpassen den Zeitpunkt, wo der Preis, das Spielfeld zu verlassen, noch vergleichsweise niedrig ist. Sie halten fest, möchten bleiben, wollen gleichsam »überwintern«. Sie hoffen, dass der Kelch an ihnen vorübergeht. Wie bei dem Gedanken an den möglichen Verkehrsunfall: »Mich wird es schon nicht treffen.« »Rekordscheidungsraten? Aidsgefahr? Ich doch nicht!« Und dann erwischt es einen doch.
Wenn Sie wirklich das Problem lösen wollen, handeln wollen, dann müssen Sie die eingefahrene Denkschiene verlassen. Wenn Sie auf einem Spielfeld spielen, wo die anderen Mitspieler auf Sie verzichten können und wollen – gehen Sie weg! Sonst beendet der andere früher oder später das Spiel. Und wenn Sie nicht als Arbeitnehmer unterkommen, können Sie auf die Seite der Arbeitgeber wechseln. Prüfen Sie den Gedanken, in die Selbstständigkeit zu wechseln! Ein arbeitsloser ehemaliger Kaufhausdetektiv betreibt heute mit großem Erfolg eine Suchmaschine, die verflossene Jugendlieben wieder ausfindig macht, alte Militärkameraden in aller Welt sucht und Schulfreunde für Klassentreffen zusammenführt. Ein befreundeter Arzt fand nach vie|38|len Bemühungen und mancher Enttäuschung eine vorzügliche Anstellung in Norwegen. Und Sie? Nehmen Sie wirklich alle Möglichkeiten wahr?
Arbeitslosigkeit ist immer auch das Ergebnis eigenen Handelns beziehungsweise Nicht-Handelns. Wer keine Arbeit hat, hat diese Arbeit nicht. Eine andere könnte er haben. Vielleicht nicht dauerhaft, vielleicht nicht so gut bezahlt, vielleicht nicht seiner Ausbildung entsprechend, vielleicht in einer anderen Branche, einer anderen Stadt, einem anderen Land. Aber ohne Arbeit müsste er nicht sein.
Das mag hart klingen, insbesondere, wenn Sie selbst betroffen sind. Und dass wir als Gesellschaft alle Anstrengungen unternehmen müssen, um möglichst allen Menschen ein Leben in Würde, das heißt mit sinnvollen Arbeitsmöglichkeiten, zu eröffnen, steht wohl außer Frage. Aber, auf den Einzelnen geschaut, gilt:
Jammern hilft nicht!
Wenn Sie auf ein Spielfeld gehen, dann wählen Sie gleichzeitig auch die Spielregeln, nach denen dieses Spiel gespielt wird. Nach den Regeln unseres Wirtschaftssystems haben Sie als Angestellter die Möglichkeit mitgewählt, vom Unternehmen versetzt, befördert, gefeuert zu werden. Diese Fremdbestimmung haben Sie sich ausgesucht … was weder gut noch schlecht ist; es hat nur Konsequenzen. Ganz im Gegensatz zum Selbstständigen: Dieser hat ein anderes Spiel gewählt. Er trägt allerdings auch andere Risiken – keine Aufträge zu erhalten und damit ebenfalls arbeitslos zu werden. Aber auch diese Gefahr besteht eigentlich nicht; es |39|besteht lediglich die Gefahr, dass er diese Arbeit nicht mehr ausführen kann.
Wie Sie es auch drehen und wenden: Sie haben die Möglichkeit des Verlusts Ihres Arbeitsplatzes ebenso gewählt wie die Art und Weise, in der Sie auf den Verlust reagieren. Sie können sich lange damit beschäftigen, den Schuldigen ausfindig zu machen. Sie können in Selbstmitleid versinken und zur Flasche greifen. Sie können alle Samariter dieser Welt herbeirufen. Sie können dem Staat die Bürde aufhalsen, er habe gefälligst dafür zu sorgen, dass es Ihnen gut geht. Sie können abwarten, dass es von alleine besser wird, dass andere etwas für Sie tun, dass der Märchenprinz kommt, der alles wieder zum Guten wendet. Sie können Stoßgebete zum Himmel schicken und die Engel als schnelle Eingreiftruppe erflehen. Sie können den Kopf in den Sand stecken. Aber:
Wer heute den Kopf in den Sand steckt, knirscht morgen mit den Zähnen.
Ich behaupte: Wenn Sie andere für Ihre Arbeitslosigkeit verantwortlich machen, werden Sieimmer arbeitslos bleiben! Ich will damit nicht mit Blick auf die Vergangenheit beschuldigen, sondern für die Zukunft ermutigen. So zu denken, ist sehr praktisch. Wenn Sie die Verantwortung für Ihre Arbeitslosigkeit nicht übernehmen, übernehmen Sie auch nicht die Verantwortung für den Neubeginn. Dann vertrauen Sie den Politikern oder den Unternehmern mehr als sich selbst. Dann – und nur dann – haben Sie ein echtes Problem.
Wenn Sie denken, die Unternehmer, die Konjunktur, |40|der Wettbewerber oder die Ausländer seien für Ihre Situation verantwortlich, dann geben Sie die Macht an all diese Menschen und Institutionen ab. Sind Sie sich bewusst, dass Sie damit Ihr Leben in die Hände anderer legen? Dass Sie Ihr Leben von anderen leben lassen? Wollen Sie das wirklich? Wenn Sie Ihre Arbeitslosigkeit überwinden wollen, dann brauchen Sie Macht über Ihr Leben. Die Kraft für den Neuanfang bekommen Sie nur, indem Sie nichts von anderen erwarten. Nichts vom Staat. Nichts vom Zufall. Nichts von äußeren Mächten. Indem Sie alles von sich selbst erwarten. Praktischer also ist es, sich zu fragen: Was kann ich jetzt tun? Was sind meine Handlungsmöglichkeiten? Darum geht es:
Handeln statt Jammern!
»So leicht geht das aber nicht!« Einverstanden. Ich habe auch nicht gesagt, dass es leicht sei. Ich habe gesagt: Sie haben die Wahl! Übrigens: Wenn Sie als Angestellter in einer Firma arbeiten, haben Sie auch die Möglichkeit mitgewählt, Ihren Chef zu feuern. Und rein statistisch verlassen zigmal mehr Arbeitnehmer ihre Arbeitgeber als umgekehrt. Jeder, der einmal einen Chef oder eine Firma abgewählt hat, kennt das Gefühl der Befreiung, das sich plötzlich und gleichsam aus dem Stand einstellt. Es ist, als würden Sie das Licht anknipsen. Prüfen Sie den Gedanken: In Wirklichkeit sind immer Sie der Arbeit-Geber. Und Sie sind derjenige, der sich die Freiheit nehmen kann, zu wählen und zu handeln – und so Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen.|41|

[Leseprobe] IST WILLENSFREIHEIT EINE ILLUSION?

Aber fühlen wir uns automatisch gut, wenn wir die Verantwortung für unser Leben übernehmen? Offensichtlich nicht immer: Ein Teil der Menschheit sucht stets nach einer Instanz, der man die Verantwortung für das eigene Tun aufbürden kann. Früher machte man vor allem Gott, die Vorsehung, dann – wie oben gezeigt – die Politik verantwortlich. Heute scheinen einige Naturwissenschaftler diese Rolle übernehmen zu wollen und kommen damit einem Bedürfnis nach naturwissenschaftlicher Sicherheit nach. Sie unterscheiden zunächst zwischen Handlungsfreiheit und Willensfreiheit. Die Handlungsfreiheit besteht in der Wahl der Mittel und Wege zu bestimmten Zielen. Die Handlungsfreiheit sagt: »Wir können tun, was wir wollen.« Die Willensfreiheit ist davon zu scheiden. Sie besteht darin, sich ohne fremdes Diktat eigene Ziele zu setzen. Hier lautet die Frage: »Können wir auch wollen, was wir wollen?« Das heißt, ist der Mensch frei in der Wahl seiner Beweggründe? Kann er sich befreien von Herkunft, Tradition, Erziehung? Die Angriffe einiger Naturwissenschaftler zielen auf diese »Willensfreiheit«. Vieles ist hier übertrieben und massenmedial inszeniert, wenn sie zum Beispiel melden, sie könnten nun »Gedanken lesen«, weil ihr Scanner mit 60 |42|Prozent Wahrscheinlichkeit voraussagt, ob die Versuchsperson nun den rechten oder linken Arm heben wird. Aber es gibt doch ernsthafte, irritierende Sachfragen: Was ist mit einem Kind, das von Eltern, Lehrern oder gar von einem totalitären Staat indoktriniert wird? Was ist mit der objektiven, vom Einzelnen aber unbemerkten Manipulation durch Tradition und Kultur? Determiniert das nicht unser Denken, unser Wollen und letztlich auch unser Handeln?
Die Frage wurde schon im Mittelalter diskutiert, und es mag für viele eine akademische Diskussion sein, unterscheidet doch der Alltagsverstand diese beiden Freiheitsdimensionen nicht. Allerdings hätte ein Beweis fehlender Willensfreiheit erhebliche Konsequenzen für unser Menschenbild und damit für die Gesellschaft, die wir auf dieses Menschenbild bauen. Stünde dann nicht sogar die Freiheit grundsätzlich infrage? Wie frei sind wir wirklich?
Die Hirnforscher popularisieren und ergänzen dabei Erkenntnisse des amerikanischen Neurophysiologen Benjamin Libet aus den 70er Jahren, der nachweisen konnte, dass im Gehirn elektrische Erregungsveränderungen auftreten, bevor uns unser Wollen bewusst wird. Es geht also um die Reihenfolge: Wir glaubten bisher, dass wir erst entscheiden und danach handeln. Umgekehrt sei es richtig: Wir tun nicht, was wir wollen; sondern wir wollen, was wir tun. Offenbar beschließt das Gehirn eine Handlung und erst danach wird dem Handelnden dieser Beschluss bewusst. Die von Libet gemessene Zeitverzögerung von einigen Hundert Millisekunden konnte man noch als Fehlmessung kritisieren. Spätere Forschungen (zum Beispiel von John-Dy|43|lan Haynes) haben zwischen Hirnaktivität und bewusster Entscheidung sogar bis zu zehn Sekunden gemessen. Das war nun nicht mehr zu ignorieren.
Obwohl die Datenlage schmal und die Interpretation umstritten ist, haben diese Untersuchungen große Aufmerksamkeit gefunden. Bis heute werden sie als Beleg dafür genommen, dass das Gehirn gleichsam »an uns« und unserem freien Willen »vorbei« entscheidet: »Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst.« In Wirklichkeit denke da niemand, sondern das Gehirn spiele sein eigenes Neuronenspiel. Demzufolge hätten wir keinen bewussten freien Willen, auch anders handeln zu können, als wir gehandelt haben. Im Grunde seien wir determiniert, neuronale Verschaltungen legten uns fest. Damit sei die »ganze« Freiheit letztlich Illusion. Verantwortung? Schuld? Was kann ich dafür? Ich war es nicht! Mein Gehirn war es! Seitdem stehen etliche Elefanten im Porzellanladen – zum Beispiel bei der Frage, wie man Kinder und Kranke behandeln soll. Verbrecher sind nicht verantwortlich für ihr Tun, weil sie vom Hirn gesteuert wurden. Die zentrale Kategorie des Christentums, die freie Entscheidung für oder gegen Gott, alles nur Einbildung. Wir sollten den Neurobiologen aber für diese Behauptung nicht allzu böse sein: Sie sind ja nicht selbst dafür verantwortlich, sondern wurden von ihrem Hirn gesteuert.
Man könnte das Ganze also als Sturm im Wasserglas abtun, wenn man auf dünner Forschungsbasis derart fundamentale Aussagen über die menschliche Natur abzuleiten glaubt. Und Libet selbst hat später erklärt, dass zwar der Willensprozess unbewusst eingeleitet werde, aber immer noch genug Zeit bleibe, sodass |44|die Bewusstseinsfunktion die Handlung noch steuern könne, und dass das »Ich« also gleichsam ein Vetorecht habe. Das wurde jedoch nicht mehr gehört – die Neuroparty lief. Denn schon der bloße Hinweis auf die Hirnforschung genügt, um die Illusion von harten Fakten zu erzeugen und die Freiheitsliebenden als neu-romantische Spinner abzutun.
Man muss sich nicht im Dickicht der neurologischen Argumente verirren, um die Dinge zu klären. Dafür will ich zwei Irrtümer aufzeigen und eine praktische Überlegung anstellen:

Die Verwechslung von Freiheit und Zufall

Niemand hat je bestritten, dass unsere Freiheit Grenzen hat. Eine grenzenlose Freiheit wäre leer – über sie könnte man schlicht keine Aussagen machen. Man könnte sie einfach nicht von Nicht-Freiheit unterscheiden. Erst wenn ich Bedingungen einführe, kann ich den Kontrast sehen. Deshalb ist Freiheit immer innen – innerhalb von Grenzen. Gäbe es diese Grenzen nicht, dürften wir nicht mehr von Freiheit sprechen, sondern von Zufall oder Chaos.
Die Handlungsfreiheit zum Beispiel hat faktische Grenzen. Ich kann nicht ohne Hilfsmittel 10 Meter hoch springen; wer im Gefängnis sitzt, kann nicht gehen, wohin er will; wir können nicht wählen, ewig zu leben (jedenfalls nicht im Diesseits).
Und genau so ist es auch mit der Willensfreiheit. Ein von unseren Erfahrungen, Prägungen und Erinnerun|45|gen losgelöster Wille wäre eben kein Wille mehr, sondern purer Zufall, Beliebigkeit. Aber keine unserer Entscheidungen ist zufällig. Sie ist gebunden an unzählige kleine Ursachen, Erfahrungen in Kindheit und Beruf, Menschen, denen wir begegnet sind, Bücher, die wir gelesen haben. Insofern sind Entscheidungen begründbar. Wir können sie uns bewusst machen, aber diese Prozesse finden auch ohne unsere Beobachtung statt. Und einerlei ob bewusst oder unbewusst, kein anderer Mensch auf dieser Welt hat exakt dieselben Erfahrungen in Kindheit und Beruf, ist denselben Menschen in gleicher Weise begegnet, hat kulturelle Prägungen in gleicher Weise verarbeitet.
Wie anders sollten wir diese Unterschiede bezeichnen, wenn nicht als »Ich«? Schon bei simpler Selbstbeobachtung wird einem klar, dass ganz bestimmte Verhaltensweisen fremder Kulturen für einen selbst völlig ausgeschlossen sind. Man käme »überhaupt nicht auf die Idee«. Um das festzustellen braucht es keine Hirnforschung. Insofern sind Freiheit und Determiniertheit keine Widersprüche, sondern bedingen einander. Die Krux der Willensfreiheit liegt nicht im »Dass« der Bedingtheit, sondern in ihrem »Wie«. Auf der Basis und im Rahmen von Grenzen erlebe ich mich als frei – das heißt, zu freien Entscheidungen fähig.

Die Trennung von Hirn und Person

Menschen denken gern in Gegensätzen. »Entweder-oder« ist ein beliebtes Stück, das auch in der aktu|46|ellen Diskussion gerne aufgeführt wird. Wer ist das, der da entscheidet? Ich oder Neuronen? Freiheit oder Hirn? Eigentümliche Gegensatzpaare. Der freie Wille schwebt ja nicht völlig losgelöst irgendwo herum in einem Paralleluniversum. Mein Gehirn – das bin ja auch ich! Jedenfalls lassen sich mein Hirn und seine Ströme auf mich als Person zurückführen und auf niemand anderen. Es mag sein, dass ich noch mehr bin als nur Gehirn, aber mein Gehirn ist von mir als Einheit nicht zu trennen. Wenn ich sage: »Ich habe aus freiem Willen entschieden«, dann sage ich nicht: »Ich habe ohne jegliche Ursache und völlig willkürlich entschieden.« Ich sage nur: »Ich habe aufgrund bestimmter Ursachen entschieden, von denen mir einige bekannt sind, einige unbekannt, die aber in jedem Fall mich als Person voraussetzen.« »Ich«, das ist kein Zufallsgenerator, sondern ein Mensch mit seiner – und nur seiner – Geschichte.
Vielleicht hilft der Vergleich mit einem Eisberg. Bekanntlich ragen nur etwa 10 Prozent seines Volumens aus dem Wasser. Das ist unsere bewusste Denktätigkeit. 90 Prozent liegen unter Wasser – das sind die unbewussten und nur schwer zu beobachtenden Prozesse in unserem Gehirn. Aber die eisberghafte Masse ist eine Einheit, auch wenn nur ein kleiner Teil sichtbar ist. Es mag mithin sein, dass alle unsere Entscheidungen von kausalen Prozessen in unserem Gehirn bestimmt sind. Na und? Wo ist das Problem? Deshalb erlebe ich mich doch als frei im Sinne von selbstbestimmt, das heißt, ich werde nicht gezwungen, handele nicht zufällig und erlebe mich als Urheber der Entscheidung. Und auch der Gesetzesbrecher weiß, dass er ein Gesetz bricht.|47|

Willensfreiheit ist intuitiv und praktisch

Bislang kannten wir als Gattung Mensch die drei großen Kränkungen: die des Kopernikus, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls sei; die des Darwin, der mit seiner Evolutionstheorie das Schöpfungsvorrecht des Menschen bestritt; und die des Freud, dass nicht das »Ich«, sondern das Unbewusste Herr im Hause sei. Dazu käme jetzt als vierte Kränkung noch die der Hirnforschung, die uns zu Robotern erklärt, die von der Natur so programmiert sind, dass sie es gar nicht merken. Aber schon oft haben wissenschaftliche Erkenntnisse unser Bild von uns und der Welt zu verändern gesucht – mit wenig konkreten Konsequenzen. Abends geht für die meisten Menschen immer noch die Sonne unter, obwohl wir seit Langem wissen, dass sich die Erde dreht. Unser Menschenbild mit den Kernbestandteilen Selbstbewusstsein, Freiheit und Verantwortung wird sich auch diesmal wieder als erstaunlich stabil erweisen. Warum? Weil die simple Intuition gegen die Erkenntnisse der Hirnforscher spricht. Wir erfahren uns in unseren alltäglichen Handlungen als Wählende, insofern Freie. Wer mehrmals täglich »Ich will!« gesagt hat, für den ist sein freier Wille zweifelsfrei. Wir können uns unseren freien Willen einfach nicht wegdenken. Wer in einem Restaurant sitzt und zwischen Erbsensuppe und Linsensuppe entscheiden muss, der kann sich nicht einfach weigern, seinen Willen auszuüben. Denn auch das wäre eine Willensentscheidung. Und unser alltägliches Moralbewusstsein funktioniert unausrottbar gleich, auch wenn wir vorher einen Vortrag über die »Illusion der Willensfreiheit« gehört haben. |48|Das alles kann also durch den Determinismus nicht beunruhigt werden. Und deshalb prallen die Steinwürfe der Hirnforschung regelmäßig an unserer Lebenswelt ab. »Die Erfahrung«, so Friedrich Schiller vor 200 Jahren, »beweist die Freiheit. Wie kann die Theorie sie verwerfen?«
Aber noch aus einem anderen Grund ist diese Debatte für das tatsächliche Leben kaum von Bedeutung: Die Willensfreiheit ist praktisch. Wie brauchen sie. Wir könnten gar nicht handeln ohne die Voraussetzung eines freien Willens. Selbst wenn wir von einer vollständigen Determiniertheit unseres Willens überzeugt wären, müssten wir doch leben, als ob wir einen freien Willen hätten. Die Annahme eines freien Willens ist eben ein bestimmtes kulturelles Konzept, mit dessen Hilfe wir unser Verhältnis zur Welt bestimmen. Dieses Konzept ist hilfreich und praktisch. Oder anders formuliert: Die Willensfreiheit muss nicht bewiesen werden, sie wird unterstellt. Und diese Unterstellung ist die Voraussetzung für unser Zusammenleben. Ohne sie ist Gesellschaft nicht denkbar. Sie mag sogar tatsächlich vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus eine Illusion sein. Aber dann gehört sie zu den praktischen Illusionen, ohne die wir nicht leben können – ebenso wie Wahrheit, Gott, Verstehen, Zeit, Liebe, Schuld. Man hat Leute, denen man vorher den Determinismus »bewiesen« hat, virtuelle Entscheidungen treffen lassen – mehrheitlich ließen die Probanden ihrem Egoismus, ja bösen Willen freien Lauf. Hingegen versuchten jene Versuchspersonen, ihre Motive moralisch zu kontrollieren, die von ihrer persönlichen Zurechenbarkeit überzeugt waren. Und im antiken Athen, so wird |49|erzählt, habe einmal ein Dieb vor Gericht gesagt, zu stehlen sei ihm vom Schicksal vorherbestimmt worden. Worauf der Richter sagte: »Mag sein, aber auch, Prügel dafür zu bekommen.«
Die eigentlich interessante Frage aber ist, warum die Ergebnisse der Hirnforschung auf so breite Resonanz stoßen. Was macht die Idee, es gäbe keinen freien Willen, so attraktiv? Mündige Bürger, die problemlos täglich hundertfach »ich« sagen, verspüren offenbar tiefe Genugtuung, wenn sie erfahren, dass sie aus Sicht ihres Hirns gar nicht existieren. Begeistert stürzen sie sich in die Bugwellen der Selbstauslöschung, wenn sie darüber aufgeklärt werden, dass ihre Liebe und ihr Begehren zerebrale Verrücktheiten sind, die auch ohne ihr Zutun stattfinden. Jubelnd berauscht man sich an der Nachricht, dass man sein eigenes Erleben (»Ich kann auch anders«) eintauschen kann gegen die Diktatur des limbischen Systems. Warum? Nun, es ist ein Erlösungsversprechen. Eine Entschuldigungskulisse. Die Annahme, alles sei Schicksal und programmiert, verspricht Entlastung von Verantwortung. Sie schützt uns gegen die Fröste der Freiheit und entbindet uns von der Pflicht zur Autonomie. Man kann sie als Alibi für Nicht-Handeln missbrauchen und so unsere Welt einfacher und de-komplexer machen.
Das ist es also, was die Naturwissenschaften bereitstellen: Trost. Sie mildern die tägliche Anstrengung, des eigenen Glückes Schmied sein zu müssen. Sie erklären Schuld und Scheitern, entlasten von Selbstanklage und Reue-Blues. Unversehens fühlt man sich entlastet vom weißen Rauschen der vielfachen Überlegungen, mit denen wir zu einem Ja oder einem Nein kommen sol|50|len. Entscheidungen verlieren ihr drückendes Gewicht. Welche Möglichkeit des Ausruhens! Wie freundlich das auch klingt: »Du hast Mist gemacht und du fühlst dich auch schuldig, aber tröste dich, du kannst nichts dafür, es war dein Hirn.« Ein Freispruch erster Klasse.
In einer geradezu weltformelhaften Drehung unserer geistigen Tradition sind wir an einen Punkt gekommen, an dem das Fehlen von Willensfreiheit nicht schwächt – sie stärkt das offenbar überforderte »Ich«. Wer Stärkung sucht, der findet sie hier. Ist es nicht tröstlich, im Falle eine Niederlage einfach sein Hirn anklagen zu können und festzustellen, wir konnten gar nicht gewinnen? Man bedenke allerdings, dass das dann auch für den Erfolg gilt. Auch der fand dann ohne unser »Zutun« statt. Will das jemand mit Wirklichkeitssinn behaupten? Und kann man die darin liegende Entmutigung der Menschen übersehen?
Das größte Geschenk, das uns als Menschen gemacht wurde, ist die Freiheit der Wahl. Wir können jederzeit über verschiedene Verhaltensweisen nachdenken und diejenigen auswählen, die unser Leben gelingen lassen. Und der Mensch kann alles dadurch adeln, dass er es will. Natürlich sind wir in dem Gebrauch dieser Freiheit beschränkt. Wie sollte es auch anders sein? Umso wertvoller ist der Spielraum, der uns bleibt. Für ihn muss man kämpfen. Und selbst das Hirn ist zu kostbar, um es den Hirnforschern zu überlassen. So wie die Freiheit zu kostbar ist, um sie von der Politik, der Wirtschaft oder den Organisationen, in denen wir tätig sind, über Gebühr einschränken zu lassen. Gerade in Unternehmen ist die angewandte Freiheit wichtiger denn je.|51|

FREIHEIT – »DENNOCH!«

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