Anahats Yoga - Hans Rosegger - E-Book

Anahats Yoga E-Book

Hans Rosegger

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Beschreibung

Anahats Yoga erzählt aus dem Leben des Weisen Anahat, der auf dem Planeten Muladra aufwächst und eine schwere, durch Krankheit gezeichnete Kindheit durchlebt. Doch eine ihm innewohnende Kraft führt ihn immer wieder zu magischen Begegnungen mit einer spirituellen Erscheinung, die ihn letztlich von seiner Krankheit heilt. Anahat erweist sich als ein hochbegabter Schüler mit einem eigenen Willen. Er absolviert auf Anraten seiner Lehrer ein Medizinstudium und promoviert zum Arzt. Doch er findet auch im Studium keine Erfüllung. Es treibt ihn eine innere Unruhe, sein aus alten Büchern stammendes Wissen zu erfahren. Deshalb kehrt er der modernen Lebensweise des westlichen Planeten den Rücken und bricht auf eine abenteuerliche Reise in den einfachen Osten Muladras auf. Anahat erlebt die Schulung seines Bewusstseins und die damit verbundenen Auswirkungen auf seine eigene Realität. In den klaren Hochebenen der östlichen Berge lernt Anahat seinen spirituellen Lehrer Namkha kennen, der die Quelle seiner inneren Unruhe ist. In vielen Begegnungen mit Namkha nimmt sein Widerstand ab und er findet seine große Erfahrung. Doch trotz seiner intensiven Gipfelerfahrungen, bleibt sein Leben normal und verläuft in den Bahnen seiner Ängste, Freuden und Wertvorstellungen. Seine Vertraute Amira hilft ihm immer wieder über die Klippen seiner Selbsterkenntnis, bis er selbst die Reife in sich findet, ein Lehrer für andere zu sein.

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EPUB
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Seitenzahl: 249

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Erkenntnisse
Bashra
Aufwachen
Chong
Die Reise
Marope
Der Nula Pass Aufstieg
Geister
Gift
Freude
Suria Draak
Das Kloster
Begegnung
Senong
Zwei Strömungen
Unterweisung
Rückkehr
Haggar-Rid
Entscheidungen
Abschied
Ende

Hans Rosegger

Anahats Yoga

© 2025 Hans Rosegger

Umschlag, Illustration: H.Rosegger

Korrektorat: DeepL.de

Druck und Distribution im Auftrag des Autors :

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland

ISBN: 9798414396734 Paperback

ISBN: 9798336469783 Hardcover

ISBN: 978-3-384-50837-9 e-Book

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland

Wenn der Verstand von seinen eigenen Formulierungen, seinem Glauben und all seinen Ideen befreit wird, entsteht ein Schweigen, indem du dir der Wirklichkeit deines Wesens bewusstwerden kannst. Wenn du dir deines Wesens bewusst wirst, wird eine kreative Energie freigesetzt, die dem gewöhnlichen Menschen unbekannt ist.

Der Weise Namkha

Erkenntnisse

Ich wuchs in Taygeta an den westlichen Steilküsten Muladras auf. Dort wo die endlose Grasprärie steil in den schäumenden Ozean abfällt. Wo der Nebel über das Wasser herankriecht und dann langsam über die Klippen klettert, um das ganze Land in seinen grauen Besitz zu nehmen. Die Menschen in den kleinen verstreut liegenden Dörfern hatten sich ihre Spiritualität bewahrt und so traf ich auf ein für meine Fähigkeiten wohlwollendes Klima, in dem ich mich ungehindert entfalten konnten. Schon als Kind spürte ich die starken spirituellen Kräfte auf mich einwirken. Als ich vier Jahre alt war, wurde mir bewusst, wie dünn der Vorhang ist, der unsere Welt vom Jenseits trennt. Für mich war es seitdem greifbar klar, dass die jenseitige Realität nur einen kleinen Schritt von uns entfernt und unser steter Begleiter ist. Die unsichtbare Welt, die sich hinter dem Schleier unseres eigenen Bewusstseins versteckt, war für mich so real, so wirklich, wie der Boden, auf dem ich stand und die Luft, die ich atmete. Doch, obwohl ich dieses Geschenk spürte, mit dem ich wohl geboren war, konnte ich es nicht begreifen.

Als ich älter wurde, versuchte ich einige meiner Erfahrungen und mein Wissen mit meinen Eltern zu teilen, doch sie erschraken mehr darüber, als sie sich freuten. Sie brachten mich zu Doktor Puram, dem Arzt des Dorfes, der auch die Messe las. Er war ein liebenswerter hagerer Mann, zu dem ich schnell Vertrauen fasste. Ihm verdanke ich es, dass ich bereits sehr früh die Schule besuchen konnte und im Laufe der Zeit in den Besitz von Büchern kam, die wie zufällig auftauchten, wenn ich mich mit einem Thema intensiv beschäftigte. Schon im Alter von acht Jahren las ich Schriften über uralten Yoga und archaische Philosophien. Und je mehr ich mich damit befasste, desto mehr schien es mir, dass ich bereits vieles davon wusste. Es war, als ob eine dicke Staubschicht aus meinem Gehirn gewischt wurde und darunter strahlte ein Wissen in einer Klarheit und Kraft auf, die mich, meine Lehrer und Eltern gleichermaßen erstaunten. Obwohl es mir sehr viel Freude machte mich zu entwickeln und immer mehr Wissen freizulegen, so blieben doch aus jedem Buch stets einige Fragen, ein Rest Unwissenheit übrig, die mir die Lektüre nicht hatte klären können. Es war mir nicht möglich, diese sich ansammelnde Unzufriedenheit zu erklären, denn für meine Lehrer galt ich bereits als ein wunderbares Phänomen, das sie gütig und liebevoll pflegten, obwohl ich in vielen Bereichen ihr Wissen längst überholt hatte. Heute weiß ich, dass diese Unzufriedenheit daher rührte, dass es nur die Ideen waren, die mein Wissen freilegten. Eine Idee ist aber kein tatsächliches Erleben und schon gar keine Wirklichkeit. So wuchs in mir der unbändige Wunsch heran, mein Wissen auch in der Welt zu erleben.

Im Sommer meines vierzehnten Lebensjahres, als ich an meinem Lieblingsplatz zwischen den Steinen saß und auf die schäumende Brandung unter mir schaute. Elmura stand schon tief und war so hell, dass ich meine Augen schloss und mich drüber wunderte, dass es nicht schwarz und dunkel wurde, sondern dass ich ein orange-rotes Licht sah. Daraus trat ein Gesicht hervor. Ich erinnerte mich an diese Züge, aber es war nicht möglich, darin eine bekannte Person zu erkennen. Das Gesicht sprühte förmlich vor Leben. Es strahlte so stark, dass ich es fühlte und mir schien, dass seine Augen direkt in mich hineinsahen. Dieses Gesicht lebte, so wie ich selbst lebte, jetzt und hier an diesem Ort. Dann hörte ich eine Stimme sagen: „Das Wort ‘Leben’ oder die Idee von ‘Leben’ ist nicht das Leben. Kein Name ist das, was er bezeichnet. Auch dann nicht, wenn es sich um den Geist selbst handelt. Alle Lehrer und alle Priester versuchen, dir zu erklären, was ‚Leben‘ ist, aber sie können dir nicht mehr als eine Idee davon vermitteln. Aber eine Idee vom Leben ist nicht das Leben. Es ist vielmehr so, dass eine Idee ein kleiner Teil vom Leben ist und wer sich darauf beschränkt, wird auch nur einen kleinen Teil vom Leben erfahren. Deshalb bringt der Mensch so viele Ideen hervor, die ihm dann die Illusion vermitteln ein intensives Leben zu leben. Doch alles, was er damit bewerkstelligt ist, seine Trennung von mir zu vergrößern. Mein Sohn, wenn es an der Zeit ist, werde ich dir alles erklären.“

Die Präsenz dieser Worte erschreckte und erschütterte mich bis in den hintersten Winkel meines Wesens. Ich bekam Schüttelfrost und Fieber, sodass man mich ins Bett steckte und den Doktor rief. Ich fühlte mich heiß an, doch der Arzt stellte kein Fieber fest. Das Thermometer zeigte nur die übliche Körpertemperatur. Doktor Puram saß an meinem Bett, schaute auf die Skala, legte dann seine Hand auf meine Stirne und schüttelte immer wieder den Kopf. Er fragte mich dies und dass, doch ich behielt meine Erfahrung für mich, so sehr hatte sie mich betroffen. Meine besorgten Eltern gaben mir Rum mit Milch zu trinken und aufgeschlagenes Ei zur Stärkung, denn sie dachten, ich litte an einer schweren Erkältung. Nach ein paar Tagen bekam ich Angstzustände, denn das Atmen fiel mir schwer. Der Doktor besuchte mich daraufhin jeden Tag und untersuchte mich sehr gründlich. Er fand heraus, dass mein Thymus stark gewachsen war und dadurch Herz und Atmung beeinflusste. Ich sah ihm seine Ratlosigkeit an. Über einen Monat lag ich im Bett, unfähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen oder mehr zu sprechen als ja und nein. Manchmal wütete die Hitze so stark, dass ich vor Schmerz in eine leichte Ohnmacht fiel. Wenn ich daraus wieder erwachte, waren meist viele Stunden verstrichen. Oft dachte ich dann, dass ich sterben werde, so elend fühlte ich mich. Wenn diese Zustände sich häuften, saßen der Doktor oder meine Mutter an meinem Bett und tupften mir den Schweiß der Stirne. Viele Tage lang sah ich nur in sorgenvolle Gesichter.

Doch eines Morgens hörte ich die Stimme laut und deutlich sagen: „Steh auf und geh nach draußen. Renne und springe zum Meer!“. Augenblicklich sprang ich aus dem Bett, als ob nie etwas gewesen wäre, streifte meine Kleider über und rannte hinaus. Von diesem Augenblick an war ich vollkommen gesund und was ich damals nicht wusste, ich würde nie wieder schwer erkranken. Ich war so überglücklich. Ich wusste plötzlich, dass es keinen Tod gibt. Dass ich in einer anderen Wirklichkeit existierte, obwohl ich einen physischen Körper hatte, der in die Welt geboren war und auch darin sterben würde. Ich oder besser mein Wesen, lebte in einer Wirklichkeit, die keinen Tod kannte und die weiter reichte als unsere physische Welt. Unsere Welt entsprach einer kleinen schillernden Seifenblase, die in dieser größeren Wirklichkeit schwebte. Dieses Wissen sprudelte in mir hoch, als ich in übermütigem Spurt aus meinem Krankenzimmer zum Meer rannte. Und als ich schwer atmend und mit wild pochendem Herzen am Strand stand, weitete sich etwas in mir aus, so dass ich nicht mehr unterscheiden konnte, was ich, das Meer oder der Himmel war. Ich hatte von solchen Erfahrungen in den alten Büchern gelesen und nun erfuhr ich es. Das also war der Unterschied. Das war der Unterschied zwischen der Idee und dem Leben. Ich sank auf meine Knie und der weiche warme Sand nahm mich auf. Es floss dahin, so wie die heißen Tränen, die über mein Gesicht rannen.

Als ich nach einigen Stunden wieder zuhause ankam, herrschte helle Aufregung. Sie hatten bemerkt, dass ich nicht mehr im Bett lag. Auch Doktor Puram war gekommen und ich werde seinen Gesichtsausdruck nie vergessen, als er mich sah. Vollkommen gesund, mit blühender Hautfarbe und sprühend vor Leben. Er untersuchte mich nochmals gründlich, fand aber rein gar nichts mehr. Dann setzten wir uns in den Garten. Meine Mutter brachte Tee und ich beantwortete alle Fragen, die der Doktor mir stellte. Wir saßen lange und unser Gespräch wurde häufig durch Pausen unterbrochen, in denen der Doktor wohl nachdachte. In diesen Unterbrechungen breitete sich ein angenehmes Schweigen aus. Manchmal empfand ich mich dann in großer Höhe über mir schwebend, doch sobald das Schweigen durch ein Wort oder ein Geräusch gebrochen wurde, war ich völlig präsent. Saß neben dem Doktor im Garten, trank Tee und führte mit meinen vierzehn Jahren Gespräche, wie ein Erwachsener. Diese neuen Erfahrungen faszinierten mich, auch wenn ich sie im Moment nicht verstand. Jede Einzelne erinnerte mich an das, was ich in den Yoga-Büchern gelesen hatte, und so wurden die alten Schriften zu meinen wertvollsten Besitztümern.

Im Laufe der Zeit kam ich zu der Überzeugung, dass ich Dinge tat, die in den Büchern beschrieben waren, doch ich machte sie ohne Bewusstheit darüber. Ich tat Vieles, ohne Angst vor dem Ergebnis zu haben und ohne Sorgen über den Verlauf meines Tuns. Das brachte meinen Eltern manch aufregenden Augenblick, obwohl sie akzeptiert hatten, dass ich anders als die anderen Kinder war.

Die Jahre meiner Jugend in Taygeta flogen dahin, mein Gemüt entwickelte sich aber mein Wissensdurst wurde nicht gestillt. Zwischen Doktor Puram und mir entstand eine tiefe Freundschaft und so kam es wohl auch zu der Idee, dass ich ein Medizinstudium an der Universität in Muladra Stadt beginnen sollte. Doch es stellte sich schnell heraus, dass dieses Studium meinem inneren Drang nach Erfahrung nichts zu bieten hatte. Es erschien mir als ein allumfängliches Auswendiglernen von Fakten. Ohne Leben und ohne wirkliche Kraft. So schloss ich mein Medizinstudium widerwillig und ohne große Motivation ab. Gerade so, dass ich kein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Eltern hatte, die mich während des Studiums an der Akademie mit allem unterstützt hatten. Da ich meinen Doktortitel nur aus all der Langeweile heraus errungen hatte, wollte ich die nächste Gelegenheit nutzen, mich aus dem Zentrum der muladrischen Zivilisation zu verabschieden. Mich drängte es, in jenes Land zu reisen, von dem die alten Bücher berichtet hatten. Dieses Land lag weit im Osten Muladras und war eine abenteuerliche Reise entfernt. Da ich über kein nennenswertes Vermögen verfügte, buchte ich die billigste Passage auf einem der älteren Transportschiffe, die regelmäßig von Bashra nach Haggar-Rid auf der anderen Seite des Planeten ausliefen. Ich verstaute meine Habseligkeiten in einigen großen Holzkisten und trat die lange Bahnreise nach Bashra an. Bashra lag an der Ostküste Muladras. Die Stadt war der Drehpunkt für alle Seereisen auf den östlichen Kontinent. Bashra lebte vom Handel mit den Ostgebieten, die kaum etwas mit der westmuladrischen Zivilisation gemein hatten. Der östliche Kontinent hatte seinen Charakter seit ewigen Zyklen behalten. Die Menschen dort lebten nach einem anderen Rhythmus, mit anderen Werten und nach der Religion Siras, die im Westen verboten war. Das hatte zur Folge, dass sich das Leben dort viel ursprünglicher gestaltete. Die Gesellschaft hatte sich dort an die geografischen Lebensbedingungen angepasst. Die Wüsten und Hochgebirge bestimmten das Leben und die gesellschaftlichen Umtriebe. Es gab eine eher archaische Gesellschaftsordnung, die hier im Westen völlig unakzeptabel war. Dort aber allgemein anerkannt wurde. Der Westen trieb nur wenig Handel mit dem Osten. Vor allem bezog er Traki-Seide, Xylon Wolle, Salz und Metalle von dort. Weigerte sich aber, bis auf wenige Ausnahmen, Technologie dorthin zu exportieren. In der Gewissheit, dass ich als Arzt in der westlichen Welt nicht glücklich werden würde, beschloss ich, mich in der Einfachheit des Ostens ausprobieren. So wie es mir die alten Bücher beschrieben hatten, gab es dort in den Klöstern noch Lehrer, die den Kern des Yoga an ihre Schüler weitergaben. Ob ich mit den Berichten über ihren religiösen Fanatismus zurechtkommen würde, konnte ich nur durch eigenes Erleben herausfinden. Ich fand in meinen Überlegungen keinen Grund, der mich von dieser Reise abhalten würde, und so fand ich mich einige Tage später am Hafen von Bashra wieder.

Bashra

Meine Ungeduld hatte mich viel zu früh nach Bashra geführt und mein Schiff würde erst in einigen Tagen ablegen. So mietete ich mich in einer der kleinen Unterkünfte ein, die in der Stadt überall den Reisenden eine Bleibe boten. Von hier aus streifte ich oft durch das exotische Gewühl der Gassen, ohne ein genaues Ziel zu haben oder zu wissen, was ich suchte. Ich fühlte etwas in mir suchen, aber wie schon so oft in den letzten Jahren, konnte ich mir selbst nicht erklären, was der Grund für diese innere Unruhe war. Es dauerte nicht lange und ich traf in einer der ruhigeren Seitengassen auf einen dürren, dunkelhäutigen Mann, der scheinbar plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war. Zumindest erschien es mir so, dass ich mich einen Augenblick zuvor noch allein in der Gasse befunden hatte, in deren schattigen Säulengängen die Waren zum Verkauf gestapelt lagen. Die Händler saßen im dunkleren Teil ihrer Läden, der ihnen etwas Kühlung und Schutz vor den brennenden Strahlen Elmuras boten. Sie rauchten ihre Wasserpfeifen, sprachen miteinander oder spielten das allgegenwärtige Chong. Ein einfach aussehendes Brettspiel, dessen Regeln mir zwar bekannt waren, es mir aber bisher nicht gelungen war, auch nur ein einziges Spiel zu gewinnen. Die Anwendung der Chong-Spielregeln ergab eine so große Menge an Möglichkeiten, die man wohl nur in jahrelanger Erfahrung und Übung zu erfassen und nutzen vermochte. Der Mann winkte mir freundlich zu und bedeutete mir, zu ihm zu kommen. Als er sah, dass ich seinem Winken folgte, trat er zwischen die Säulen zu meiner Linken und sprach mit einem Jungen, der daraufhin sofort in den hinteren Räumen verschwand. Er kehrte mit zwei Hockern, einer Wasserpfeife und einem Chong-Brett wieder zurück, bevor ich bei ihnen ankam. Der Mann lud mich mit einer freundlichen Geste ein, Platz zu nehmen, und fragte mich, ob ich eine Partie Chong mit ihm spielen wolle. Dabei sah er mich mit einem Blick an, der wieder etwas in mir auslöste, was ich nicht begriff. Seine klaren Augen strahlten in einem Blau, das ich noch nie gesehen hatte. Eine eigenartige Helligkeit leuchtete aus ihnen und ich merkte sofort, dass diese Begegnung einer jener Zufälle war, die mich immer wieder an wichtigen Punkten meines Lebens ereilt hatten. „Suchen dir lieber jemand anderen! Ich habe noch nie ein Chong-Spiel gewonnen. Ein besserer Spieler wäre ein geeigneterer Gegner für dich!“, rief ich ihm zu. Aber der Mann lachte nur, bot mir einen der Shisha - Schläuche an und bereitete das Spielbrett vor. Er setzte die ersten weißen und schwarzen Spielsteine auf die Felder, während ich den würzigen Rauch aus dem Schlauch einsog. Dann zogen wir die ersten Steine und nach wenigen Zügen waren wir tief auf das Spiel konzentriert. Einem plötzlichen Lichtreflex folgend, sah ich auf und fand mich über den Dächern von Bashra schwebend wieder. Neben mir schwebte eine dürre Gestalt, eingehüllt in eine viel zu weite, hellgraue Kutte. Ein lichter Schein umgab uns. Einer Aura ähnlich, wie sie hin und wieder um Elfado erschien. Der dürre Mann neben mir ergriff meine Hand und wir flogen augenblicklich über weite grüne Täler, durch die ein silberner Fluss floss. Das silbern schillernde Wasser erinnerte mich an den sich windenden Leib einer Schlange. Wir überflogen endlose Wälder und uralte Ruinenstädte. Dann ließ er meine Hand los und ich sah einen kleinen Ort, hoch in den zerklüfteten Bergen. Bunte Stoffwimpel wehten im Wind und die Luft war wie von Kristall. Vor einem kleinen Tempel saß ein junger Mann in der rostroten Kutte der Priester. Mit seinen leuchtend grünen Augen schaute er direkt zu mir herauf. Dann winkte er mir unmissverständlich zu. Gleichzeitig wurde mir plötzlich bewusst, dass ich nun meinen Lehrer gefunden hatte. Meine Quelle von Weisheit und Wissen. Sofort ging ich hinunter und spürte schon den Boden unter den Füßen, als ich, wie aus einem Traum aufschreckte und auf das Chong-Brett starrte. Unsicher sah ich zu meinem Gastgeber hinüber, doch der lächelte nur unergründlich und forderte mich auf, den nächsten Stein zu setzen. Wie vorhergesehen verlor ich auch dieses Spiel ebenso wie alle anderen davor. Auch reagierte mein Gastgeber in keiner Weise auf meine tastenden Fragen, ob er etwas Besonderes bemerkt hätte. Erst, als ich aufstand, um mich zu verabschieden, fiel mir der feine Schein auf, der sein Gesicht umspielte und es zu durchsetzen schien. Für einen kurzen Augenblick erinnerte es mich plötzlich an das Antlitz in meiner Vision und ich spürte wieder diese tiefe, unerklärliche Liebe aufwallen. Doch ich war nicht mehr vierzehn Jahre alt und die Menge meines erlernten Wissens, die Regeln des Zusammenlebens und so manches mehr überlagerten dieses Gefühl, erstickten es mit der alten staubigen Reitdecke der Erfahrung. Der Mann erhob sich ebenfalls. Lächelnd reichten wir uns die Hände, als er sagte: „Du wirst den Golf von Bashra überqueren, durch das Schlangental, die Tigerwälder hinauf, über die Hochebenen der Alten reisen, bis du Suria-Draak erreichst. Dort wirst du erwartet. Geh nun, wir sehen uns dann wieder!“. Ich war so verblüfft, dass ich nichts erwiderte, sondern wortlos die Straße zurückging, mich immer wieder umsehend, als ob ich dem Erlebten dadurch eine größere Wirklichkeit gegeben hätte. In den folgenden Stunden grübelte ich darüber, wie ich diese Reise nach Suria-Draak anstellen sollte. Am nächsten Tag kehrte ich noch einmal in der Absicht zu jener Adresse in der Gasse zurück, wo ich den Mann getroffen hatte. Doch dort gab es weder Händler noch Säulengänge. Die enge Straße war von Viehställen gesäumt und es stank dort ganz abscheulich. So kehrte ich, bar jeder Hoffnung noch weitere Informationen zu bekommen, wieder zu meiner Unterkunft zurück. Unterwegs kaufte ich mir verschiedene Landkarten und in einem Antiquariat fiel mir ein altes Buch in die Hände, in dem die örtlichen mystischen Geschichten aufgeschrieben waren. Alle Bemühungen weitere Informationen zu bekommen, scheiterten kläglich. In den Karten gab es keinen Ort Suria-Draak. Und es gab weder ein Schlangental noch Tigerwälder oder eine Hochebene der Alten. Nur der Golf von Bashra lag unzweifelhaft vor mir. Ärgerlich und unsicher entschied ich mich, diese Reise in den Etappen zu machen, wie sie sich mir erschlossen.

Der Tag des Auslaufens nach Haggar-Rid kam und mein Abenteuer begann in der östlichsten Hafenstadt Muladras. Damals wusste ich noch nicht, dass ich den ersten Schritt in das größte Abenteuer meines Lebens getan hatte. Ein Abenteuer, das bis heute noch nicht zu Ende gekommen ist.

Das Schiff hatte die Hälfte der Reise über den Golf von Bashra bei gutem Wetter bewältigt. Doch dann zog ein schwerer Sturm auf. Der Katamaran wurde in den wütenden Wellen hin und her geworfen, so dass schließlich die meisten Passagiere seekrank in ihren stickigen Kabinen blieben. Auch mir erging es so. Als ich in dem schlingernden Rumpf auf meinem Bett lag, machte ich eine weitere bemerkenswerte Erfahrung. Ich hatte durch die Übelkeit innerlich bereits aufgegeben und wollte in Haggar-Rid sofort umkehren und mein Leben als Arzt zuhause auf dem Land fristen. All meine Pläne und Gedanken kamen mir vor dem Hintergrund meines erbärmlichen Zustands mehr denn je als Spinnerei vor. Ich zweifelte an mir und jedem und allem. Genau da eröffnete sich mir in einem Traum eine Karte, die mir nur zu gut bekannt war. Ich sah jedes Detail in absoluter Klarheit und eine Stimme sagte: „Gehe nach Suria-Draak!“, und beschrieb mir alle Details meiner Reise, jedes besondere Vorkommnis und jede Begegnung. Als sie verstummte, hatte ich den Eindruck, mit Wissen überfüllt worden zu sein, und musste mich prompt übergeben. Doch mein Körper beruhigte sich wieder, aber danach waren mir jedoch die meisten Informationen entfallen. Nur ein sehr tiefer Frieden und die Gedankenstille der Gewissheit blieben. Als ich am nächsten Morgen erwachte, hatte sich der Sturm gelegt und kristallklare Luft lag über dem noch immer aufgewühlten Ozean. Der Wind wehte stark und der Katamaran flog über die Wellen, fast ohne sie zu berühren. Das Frühstück wurde an Deck serviert. Erst jetzt bemerkte ich meinen Hunger, da ich seit dem Ausbruch des Sturms nichts mehr gegessen hatte. Ich fühlte mich offenbar besser als so manch anderer Passagier, denn ich saß längere Zeit allein an Deck und fand in dieser Stille schließlich Zeit, mich mit dem in Bashra gekauften Buch zu beschäftigen. Ich habe wohl eine halbe Stunde gelesen, als das Deck sich allmählich füllte. Der Geräuschpegel nahm merklich zu, Tische und Stühle wurden zurechtgerückt, Geschirr und Besteck klapperte und das Gemurmel der Stimmen schwoll an. Plötzlich verstummte alles. Alle starrten auf einen, in eine weiße Tunika eingehüllten Mann, der das gleißende Licht Elmuras so reflektierte, dass er kaum zu erkennen war. Er stand zwischen den Tischen. Es erweckte den Eindruck, als ob er geradewegs dort erschienen wäre, und er sagte: „Sagt ihm, dass ich sehr erfreut darüber bin, dass er tut, was ich ihm aufgetragen habe!“. Seine Worte waren noch nicht verklungen, da war die Erscheinung auch schon wieder verschwunden. Das Gemurmel schwoll erneut an. Offenbar diskutierte man über das, was gerade passiert war, und einigte sich im Laufe der nächsten Stunden darauf, dass es sich um ein Wetterphänomen nach dem Sturm gehandelt habe. Doch ich fühlte die tiefe Kraft, die diese Worte in mir ausgelöst hatten. Ich kannte die Wahrheit dieses Ereignisses, doch ich behielt sie für mich. Die nächsten Tage verliefen ohne Sensationen. Erst als ich von ferne die dunstige Silhouette Haggar-Rids auftauchen sah, fühlte ich den großen Moment näherkommen. Es war ein Gefühl der Stille, des Friedens und des Wissens auf dem richtigen Weg zu sein. Doch es dauerte nur einen kurzen Augenblick. Gerade so lang, bis es von meiner Aufregung darüber übertönt wurde, dass ich bald jemanden kennenlernen würde, dem ich bisher noch nie begegnet war, der mir aber näher war als jeder andere. Die Intuition brachte mein Herz in Unruhe. Ähnliches hatte ich einige Male an der Universität erlebt, wenn ich mich in eine Kommilitonin verliebte.

Nach wenigen Stunden liefen wir in den Hafen von Haggar-Rid ein. Das Schiff war kaum vertäut, als auch schon eine Armada von jungen Männern heranstürmte und sich als Gepäckträger zu verdingen suchten. Es entstand in kürzester Zeit ein undurchsichtiges Chaos, das sich über das Schiff und die Anlegestelle ausbreitete. Ich verlor keine Zeit an Land zu gehen und war plötzlich von Dutzenden Männern umringt, die sich darum prügelten, mein Gepäck zu tragen. Es kam, wie es kommen musste. In dem Gewühl zerrten zu viele Hände an den gleichen Sachen und ihre Kraft überstieg die meine. Mein Koffer entglitt mir und verschwand in einem wimmelnden Haufen von Leibern. Ich versuchte, mich zu bücken und nachzufassen, doch dabei verlor ich die Balance und stolperte hinterrücks in die Menge. Etwas Hartes traf mich am Kopf. Dann verschwand plötzlich alles in undurchdringlichem Schwarz.

Aufwachen