Anaïs Tagebuch - Ralf During - E-Book

Anaïs Tagebuch E-Book

Ralf During

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Beschreibung

Anaïs entführt uns in ihrem Tagebuch weit zurück in ihre Kindheit, wo wir ihre erste Liebe, Hugo kennenlernen, den 5jährigen Jungen aus ihrer Nachbarschaft. Dem folgen die aufregenden Jahre des Heranwachsens in der französischen Provence, den ersten Freundschaften, dem Entdecken des eigenen Körpers, der eigenen Sexualität, die geteilt mit der besten Freundin, geradewegs in den Focus ihrer männlichen Mitschüler und Freunde führt. Der geradlinige Weg ihrer Kindheit verliert sich alsbald auf verschlungenen Pfaden der einsetzenden Pubertät und der ersten echten Liebe, abgrundtiefem Liebeskummer und erwachender Lust, der schüchterne Experimente beim Doktorspiel und heimlich unter der eigenen Bettdecke vorausgehen und den Weg zu einem erfüllten und bewegten Liebesleben ebnen. Dieser Roman begleitet Anaïs auf dem Weg ins Erwachsenwerden und lässt uns manch zaghaften Blick durch das Schlüsselloch ihres Jugendzimmers werfen, macht die Gedanken eines frühreifen Mädchens vernehmbar.

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Seitenzahl: 250

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Ralf During

Anaïs Tagebuch

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Titel

27. Juli 2967

30. Juni 1968

1. August 1968

2. Oktober 1968

25. Dezember 1968

10. März 1969

20. Mai 1969

11. Juli 1969

1. September 1969

11. November 1969

3. Januar 1970

23. März 1970

30. Mai 1970

12. August 1970

23. September 1970

11. November 1970

20. Dezember 1970

8. Februar 1971

2. April 1971

6. Juni 1971

31. August 1971

20. November 1971

14. Februar 1972

1. Mai 1972

4. Juli 1972

9. September 1972

25. Oktober 1972

3. Dezember 1972

1. Januar 1973

23. März 1973

29. Mai 1973

30. Juni 1973

13. September 1973

2. November 1973

10. Januar 1974

30. März 1974

1. Mai 1974

10. Juli 1974

11. September 1974

6. Dezember 1974

3. Februar 1975

7. April 1975

5. Mai 1975

17. Juni 1975

30. August 1975

2. Oktober 1975

28. November 1975

13. Januar 1976

1. März 1976

30. April 1976

25. Juni 1976

7. September 1976

18. Oktober 1976

2. Dezember 1976

21. Januar 1977

15. März 1977

2. Mai 1977

20. Juni 1977

3. Juli 1977

28. August 1977

9. Oktober 1977

11. November 1977

31. Dezember 1977

10. Januar 1978

16. März 1978

15. Mai 1978

3. Juni 1978

4. Juli 1978

30. Juli 1978

12. September 1978

13. Oktober 1978

2. November 1978

24. Dezember 1978

2. Februar 1979

1. April 1979

12. Mai 1979

30. Juni 1979

20. Juli 1979

8. August 1979

1. Oktober 1979

10. November 1979

23. Dezember 1979

15. Januar 1980

1. März 1980

Impressum neobooks

Titel

Das Tagebuch der Anaïs Nin

von

Anaïs

27. Juli 2967

Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Freund. Er war fünf und wohnte in meiner Nachbarschaft. Hugo, Huge Cardot glaube ich, blond, verwegen und mit einem Lächeln, dass mir damals schon die Beine weich werden ließ. Er hatte sogar eine Narbe auf der Wange, weil er sich meinetwegen mit dem Hund unseres Hausmeisters gerauft hatte.

Er war mein Held und ich 4 Jahre alt. Wir gingen zusammen, einen ganzen Sommer lang, bis meine Eltern aus der Stadt aufs Land zogen und wir einen eigenen Hund bekamen, den ich Hugo 2 nannte. Ich war damals traurig, nicht weil ich Jungs mochte, nein, weil mir mein bester Freund fehlte. Mit vier unterscheidet man noch nicht wirklich, an wen man sein Herz verschenkt, aber ich hatte meines verschenkt und es war gebrochen.

Hugo 2, unser Hund, fand rasch Anschluss und da ich die meiste Zeit an seiner Leine hing, kam ich nicht umhin, andere Kinder des Örtchens kennenzulernen. Da waren Sarah, das kleine rothaarige Mädchen mit den vielen Sommersprossen, Clara ihre wenig ältere Schwester und Mathéo, ein Junge in Hugos Alter, der, schüchtern, wie er war, kaum mit meiner ersten Liebe vergleichbar war. Dennoch gefiel er mir mit seinen blauen Auge, die in einem so magischen Kontrast zu seinen schwarzen Haaren standen, dass ich immer öfter an ihn denken musste.

Sarah wurde bald meine beste Freundin und zusammen mit ihrer Schwester und Mathéo bildeten wir ein unschlagbares Quartett, dem sich einen Sommer später noch Leon, der Junge des Metzgers anschloss. Leon war schon älter, fast 10 und überragte uns um mindestens einen Kopf. Aber er war nicht besonders helle, weshalb er sich mit uns Kleinen bestens verstand. Er wollte meistens der Anführer sein, doch kaum wurde es etwas brenzlig, war der Hasenfuß der erste, der das Weite suchte.

Ich dachte immer seltener an Hugo. Aber manchmal, wenn ich allein auf meinem Bett saß und mit meinen Puppen spielte, stellte ich mir vor, was passiert wäre, wenn wir nicht umgezogen wären. Ob Hugo und ich ein Paar geworden wären, geheiratet und Liebe wie die Großen gemacht hätten? Ich wusste nicht, was es bedeutete „Liebe zu machen“, doch ich fand, es klang schön und ich wollte unbedingt mit Hugo „Liebe machen“. Stellvertretend verheiratete ich in diesen Tagen meine Puppe Emma mit meiner anderen Puppe, die ich notwendigerweise Clément nannte, und ließ sie die Beziehung führen, von der ich dachte, dass Hugo und ich sie einst gehabt hätten.

Emma sah hinreißend aus in ihrem Brautschleier aus einem alten Stück Gardine und Clément machte sich gut in seinen schwarzen Hosen und einem Schal, weil ich kein männliches Oberteil hatte. Emma war sehr häuslich und wartete immer sehnsüchtig auf ihren Clément, bis der endlich vom Stall, der Ernte oder aus dem Wirtshaus kam, um ihm sein Essen hinzustellen. Vorher hatte sie sich hübsch gemacht und nette Unterwäsche angezogen. Das hatte ich mal bei meiner Mutter beobachtet, als wir Besuch bekamen und mein Vater auf einer Messe für Traktoren war.

Emma und Clément waren meine Familie, vor allem, als sie ihr Baby bekamen, einen kleinen Teddy, den mir einst mein Großvater aus Deutschland mitbrachte. Es war aufregend für ein Mädchen von vier Jahren ihre Puppen aufeinander zu legen und sie wie die Erwachsenen Liebe machen zu lassen. Clément musste natürlich oben liegen und Emmas Puppenbeine waren weit gespreizt. Ich hatte das bei meinen Eltern gesehen, als sie an einem Abend im Sommer dachten, ich würde schon schlafen. Anschließend verkündete ein kleines Kissen unter Emmas Kleid die frohe Botschaft.

30. Juni 1968

Ein Jahr später, als der Lavendel wieder blühte und ich meinen fünften Geburtstag feierte, brachte mir Mathéo einen selbst gepflückten Feldblumenstrauß mit. Es war das erste Mal, dass mir ein Junge Blumen schenkte, und auch später bekam ich nie mehr einen solch schönen Strauß. Meine Mutter war ganz gerührt von diesem kleinen Kavalier in seinen kurzen Hosen und dem weißen Hemd, das er sonst nur am Sonntag in der Kirche trug. Verlegen nahm ich die Blumen und hauchte Mathéo auf Drängen meiner Mutter einen Kuss auf die Wange. Meine Lippen brannten wie Feuer, ebenso unsere Gesichter und peinlich berührt hatten wir die erste halbe Stunde meiner kleinen Gartenfeier kaum Worte für einander. Zum Glück kamen Sarah und ihre Schwester, was das unangenehme Schweigen beendete. Ein Blick von Mathéo und ich wusste, dass dieser erste Kuss unser Geheimnis bleiben würde.

Clara hatte damals schon einen richtigen Freund. Er hieß Bernard und ging bereits zur Schule, eine Klasse über Clara, die dieses Jahr eingeschult werden würde. Ich war ein bisschen neidisch, auch weil Bernard ein wirklich hübscher Junge war. Zudem erinnerte er mich an Hugo. Wie er war er blond und braun gebrannt. Keiner in unserer Clique konnte schneller laufen oder weiter werfen als er, selbst Leon nicht. Auch konnte Bernard schon schwimmen, während ich mich kaum weiter als bis zu den Beinen in den kleinen Weiher unseres Örtchens traute. Bernard war auch der erste Junge, den ich nackt sah, unfreiwillig zwar, aber dennoch war es ein unvergessliches Erlebnis.

Sarah und ich wollten eines Morgen, es waren gerade Sommerferien, zum Beerensammeln in den benachbarten Wald, als wir Clara und Bernard trafen, die mit den Rädern zum Weiher fuhren. Bernard schlug vor, doch gemeinsam baden zu gehen und während Clara noch überlegte, ob auch sie uns dabei haben wollte, sagten Sarah und ich zu. Aufregt liefen wir in den Hof zurück und holten unser Badezeug. Auf dem alten Rad meiner Mutter strampelten wir dann zu zweit Clara und ihrem Freund hinterher, wobei einmal ich und einmal Sarah in die Pedalen traten, während die andere auf dem Gepäckträger saß.

Es war eine schöne Fahrt, quer durch die Lavendelfelder, mit wehenden Haaren an einem strahlenden Sommertag bis Sarah und ich am Weiher antrafen. Dort wartete Clara bereits auf ihrer Decke und las. Noch musste sie sich die Buchstaben laut vorsagen, doch sie war stolz, bereits lesen zu können und zeigte das auch. Sarah verzog nur das Gesicht und warf ihr Handtuch wie zufällig gegen das Buch ihrer Schwester, das ihr auf die Nase schlug. Wütend sprang Clara auf und ich verzog mich lachend hinter die dicht herab hängenden Zweige einer Trauerweide, um mich umzuziehen.

In deren Schutz streifte ich mein Kleid ab und suchte in meiner Tasche nach dem Badeanzug, als es in hinter einer Hecke raschelte und ich mich erschrocken umdrehte. Noch heute spüre ich mein Herz bis in den Hals hinauf schlagen, als ich mit Nichts außer einem Armreif bekleidet einem ebenso nackten Jungen gegenüberstand und vor Scham im Boden versinken wollte. Doch ich war wie gelähmt und starrte nur unfähig zu einem klaren Gedanken auf diesen kleinen Wurm zwischen Bernards Beinen. Ich erinnere mich kaum noch an Details, weder, wann ich mich aus der Starre löste und bedeckte, noch wie Bernard reagierte, einzig sein kleines Glied faszinierte mich so sehr, dass ich noch heute daran denken muss.

1. August 1968

Einige Monate vor unserem Umzug aufs Land wurde meine kleine Schwester Marcelle geboren. Als meine Mutter aus der Klinik nach Hause kam und ich Marcelle das erste Mal sah, ahnte ich, dass nichts mehr so sein würde, wie es war. Ich hatte mir so sehr einen Bruder gewünscht, doch jetzt drehte sich alles nur um das Baby und ich hasste sie dafür. Selbst mein Vater, für den es bisher nur eine Prinzessin gegeben hatte, kümmerte sich die meiste Zeit um das schreiende Ding in der Wiege. Vielleicht auch, weil er immer öfter abends länger im Büro blieb, um Überstunden zu machen. Mutter meinte, er tue das für die Familie, weil wir wegen des Babys mehr Geld bräuchten. Ich aber dachte, er wollte nur dem ständigen Schreien entgehen.

Deshalb war ich sehr froh, als wir damals zu meinen Großeltern in die Provence zogen, auch wenn ich Hugo vermisste und meine Eltern das Baby mitnahmen. Hier aber hatten wir mehr Platz als in der Stadtwohnung, meine Großeltern kümmerten sich um mich und ich konnte mit Hugo 2 in den Wiesen und Wäldern herumtollen. In der Stadt gab es bisher nur Autos, Straßen und Dreck. Hier aber schien jeden Tag die Sonne, es war grün und ich sah zum ersten Mal richtige Tiere, die nicht hinter Gittern im Zoo lebten. Auf dem Hof meiner Großeltern gab es Schweine, zwei Kühe, einen Hahn und viele, frei herum laufende Hühner, denen Hugo 2 für sein Leben gern nachjagte.

Mathéo hatte auch einen Hund, einen Terrier namens Frida, die genauso alt wie Mathéo war und damit eine alte Dame. Sie und Hugo 2 verstanden sich gut, auch wenn Frida mittlerweile zu langsam für die Hühnerjagd war und sich lieber von mir den haarigen Bauch kraulen ließ. Mathéo und ich saßen immer öfter zusammen bei uns auf dem Hof, schauten den balgenden Hunden zu oder beobachteten die Wolken am Himmel. Manchmal fragte er mich, ob ich in der dicken Wolke über uns auch einen Pferdekopf erkennen würde oder wieso manchmal die Sonne scheint, obwohl es gleichzeitig regnet. Wegen des Regenbogens, antworte ich dann und sah versonnen auf die Wolke, die eher wie ein Herz als ein Pferdekopf aussah.

Sarah war verliebt in Mathéo. Zumindest gestand sie mir das eines Tages und ich zuckte mit den Schultern. Seit unserem Umzug hatte ich nie wieder das merkwürdige Gefühl im Bauch gehabt, wie ich es von der Zeit mit Hugo kannte. Ich mochte Mathéo, aber er konnte mir das Herz nicht brechen, das gehörte Hugo, dem Hugo, der unendlich weit in der Stadt zurückgeblieben war. Doch Mathéo reagierte nicht auf Sarahs Werben, er spielte lieber mit mir und unseren Hunden und wenn Sarah dazu kam, verabschiedete er sich oft schon nach wenigen Minuten. Wir waren fünf Jahre alt und hatten noch alles vor uns.

Ich hatte Sarah nie von dem Kuss erzählt, den ich Mathéo an meinem Geburtstag gegeben hatte. Sie war meine beste Freundin und wir teilte alle unsere Geheimnisse, doch das, so fühlte ich damals, war keines, von dem sie wissen wollte. Ebenso wenig, dass Mathéo einige Wochen nach meinem Geburtstag versucht hatte, mich nochmals zu küssen.

Wie so oft saßen wir im Heuschober meines Großvaters, versteckten uns vor den Erwachsenen und malten uns aus, wie es wäre, wenn wir mal groß sind. Plötzlich sagte Mathéo, dass er mich dann heiraten würde und griff nach meiner Hand. Es war wie elektrischer Schlag. Erschrocken zog ich meine Hand weg und sah, dass Mathéo näher gerückt war. Unsicher, was ich tun sollte, wartete ich ab, bis er plötzlich die Augen schloss und mit seinem Mund versuchte, mein Gesicht zu treffen. Ich wich zurück und spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. Da sprang Mathéo auf und rannte ohne ein weiteres Wort aus dem Stall.

2. Oktober 1968

Ich sah Mathéo lange nicht mehr. Fast war es, als ob er mir aus dem Weg ging, und als wir uns doch wieder trafen, taten wir, als ob nichts geschehen wäre. Wir sprachen nie wieder darüber, auch wenn er mich später noch viele Male geküsst hat. Der Sommer ging langsam zu Ende und Clara kam in die Schule. Sarah und ich aber hatten noch ein Jahr, das wir sorgenfrei spielend bei unseren Familien verbringen konnten. Unsere liebsten Spiele damals waren Hüpfgummi, Haarkränze aus Butterblumen flechten oder auf der Ziege von Sarahs großem Bruder zu reiten.

Leider ereilte die Ziege ein tragisches Unglück, als auch Leon, der Metzgerjunge, auf ihr reiten wollte. Er war zu groß und zu schwer für das Tier und als er sich auf sie schwingen wollte, strauchelte Martha, die Ziege, knickte um und brach sich den Vorderhuf. Sie musste geschlachtet werden, was Leons Vater übernahm. Sarah weinte drei Tage lang und ihr Bruder drohte an, uns windelweich zu prügeln, wenn wir jemals wieder auf einem seiner Tiere reiten würden.

Sarah wollte nichts mehr mit Leon zu tun haben, so dass nun nach Mathéo auch der zweite Junge einen großen Bogen um uns machte. Uns war das egal, wir lachten den ganzen Tag, tollten durch die Wiesen oder vergnügten uns an den letzten warmen Spätsommertagen am Weiher. Ab und zu begegneten wir Bernard, dem ich noch immer nicht in die Augen gucken konnte, so sehr schämte ich mich beim Gedanken an unsere unfreiwillige Begegnung damals hinter der Hecke am See.

Bernard musste nach der Schule oft seinem Vater im Stall helfen. Doch sobald er ausbüchsen konnte, trieb er sich gerne auf unserem Hof herum, tat als wartete er auf Clara. Ich mochte ihn, mehr noch die Erinnerung an sein kleines Geheimnis, das ich nackt zwischen seinen Beinen gesehen hatte und dessen Anblick mich seither nicht mehr losließ. Natürlich hatte ich schon oft Jungs gesehen, wie sie sich mit weitem Strahl an einem Baum erleichterten, aber nie darüber nachgedacht, womit sie das taten. Sarah und ich mussten dann immer kichern, während wir uns hinhockten, um es ihnen gleichzutun. Nun aber stand etwas zwischen Bernard und mir, ein Geheimnis, das meine Neugier weckte und ich fing an, die Jungs in meiner Umgebung zu beobachten, versuchte einen Blick zu erhaschen, wenn sie sich umdrehten, um ihr Würmchen hervorzuholen und zu pinkeln.

Bernard tat mir den Gefallen nicht, noch nicht, aber er verbrachte mehr und mehr Zeit mit mir, ohne sich wie sonst noch nach Clara zu erkundigen. Auch Sarah fiel das auf, aber auch, dass ich immer weniger Zeit für sie zu haben schien und zusammen mit ihrer Schwester stellten sie mich eines Tages zur Rede und verboten mir, mich weiter allein mit Bernard zu treffen. Ich versprach es, hatte ich doch Angst, meine beste Freundin zu verlieren. Auch interessierte ich mich gar nicht für Bernard. Ich war gern in seiner Nähe, hörte mir seine Geschichten von Waldgeistern und Trollen an, die er angeblich jagen ging, und dachte an Hugo, an den mich Bernard vom ersten Tag an erinnerte. Aber Sarah und ihre Schwester waren meine Freundinnen und da hielt man zusammen.

Hugo übrigens sah ich kurz nach dem Tod der Ziege wieder. Meine Mutter hatte mich auf einen Ausflug in die Stadt mitgenommen und zufällig kamen wir an unserer früheren Wohnung vorbei. Hugo stand wie selbstverständlich in der Tür des kleinen Tabakladens im Erdgeschoss und winkte mir. Fast hätte ich ihn nicht erkannt. Er war gewachsen und trug einen Strohhut, so wie die Jungs bei uns auf dem Lande. Er stand ihm gut und wieder spürte ich dieses vertraute Ziehen unterhalb des Herzen bei seinem Anblick.

25. Dezember 1968

Für uns Kinder war eine Jahreszeit von ganz besonderem Reiz. Der Winter. Hatte er doch in diesem Jahr früh Einzug gehalten und unseren Ort seit Wochen unter einer weißen Schneeschicht begraben. Überall auf der Straße hörte man es am Morgen kratzen und schaben. Die Leute räumten die Bürgersteige vor ihren Häusern und ich drehte mich nochmal in meinem kuscheligen Federbett um. Nur schlafen konnte ich nicht mehr, zu aufgeregt wartete ich, dass es endlich hell genug wäre, damit wir auf den See konnten. Ich hatte neue Schlittschuhe zu Weihnachten bekommen und brannte darauf, sie auszuprobieren. Die Eisschicht auf dem Weiher war mittlerweile so dick, dass man sogar mit einem Pferdegespann den Weg zum Nachbarort abkürzen konnte.

Doch noch mehr freute ich mich, Mathéo wieder zu sehen. Wir hatten uns seit dem verunglückten Kuss mehrmals getroffen, oft zufällig. Manchmal aber schien es mir, passte er mich ab, wenn wir von der Kirche oder aus der Stadt zurückkamen. Dann stand er meist am Tor unseres Hauses oder half meinem Großvater beim Heuwenden im Stall. Wir sprachen nicht viel miteinander. Manchmal erzählte ich ihm, wie es in der Stadt gewesen war, manchmal unterhielt er mich mit Mutproben, die die Jungs im Dorf für gewöhnlich anstellten, um die Mädchen zu beeindrucken. Doch Mathéo war noch viel zu jung, um da mit zu machen.

Heute aber würde er Sarah, ihre Schwester und mich auf den See begleiten und vielleicht würden wir wie früher Hand in Hand übers Eis laufen.

Ich hatte meinen dicksten Winterpulli angezogen, den roten, den ich so gern mochte und von dem meine Großmutter immer sagte, er würde so gut zu meinen dunkelblonden Haaren passen. Dazu eine weiße Daunenjacke mit Latzhose. Die Pudelmütze mit der roten Bommel passte hervorragend zu meinem Pullover. Ich liebte es, so dick angezogen in der Kälte herum zu toben, den eigenen Atem aufsteigen zu sehen und so zu tun, als ob man heimlich rauchen würde.

Sarah hatte eine grüne Winterkombination an, unter der sie ebenfalls einen roten Pulli trug. Sie stand darauf, dass wir uns manchmal wie Zwillinge anzogen, auch wenn sie mit ihren roten Haaren und den grünen Augen eher meiner Schwester Marcelle glich, als mir. Noch mehr aber liebte sie es, grüne Sachen anzuziehen. Sie hatte viele grüne Kleider, die es unmöglich machten, sie im Wald zu finden, wenn wir im Sommer dort Verstecken oder Fangen spielten. Heute aber würde sie im Weiß des Sees für jedermann weithin sichtbar und ich die Unsichtbare sein.

Nicht so für Mathéo. Unverkennbar hatte er nur Augen für mich, ignorierte Sarahs Werben und half mir auf, wenn ich über meine eigenen Füße stürzte. Er konnte schon ziemlich gut Schlittschuh laufen, viel besser als ich damals, aber er war ja auch ein Jahr älter. Leon hingegen blieb dem See fern. Er traute dem Eis nicht, seit er – ungefähr in meinem Alter – beim Eisfischen mit seinem Vater eingebrochen und fast ertrunken wäre. Manche sagen sogar, er war für Minuten bewusstlos und ist seitdem etwas langsam im Kopf. Ich aber kenne ihn nur so. Zumindest meidet er das Eis und alles, was man Tolles darauf anstellen kann.

Am meisten aber freute sich Hugo 2. Er tobt den lieben langen Tag hinter uns her, rutschte bäuchlings über das Eis und bellte, wenn wir ihn mit Schneebällen bewarfen. Einige der älteren Dorfbewohner spielten auf einer extra frei geräumten Bahn Eisstockschießen und schimpften, wenn mein Hund dem Zielpuk nachjagte und ihn mit seiner Schnauze verschob. Wie selbstverständlich gingen wir am späten Nachmittag Hand in Hand zurück nach Hause. Sarah rechts und ich links, Mathéo in der Mitte.

10. März 1969

Ich habe Ärger mit Sarah. Irgendwie steht Mathéo zwischen uns. Er ist mir ein wirklich guter Freund geworden und ich mag ihn sehr. Aber noch mehr mag ich meine Freundin und habe deshalb ein wirklich schlechtes Gewissen, wenn mich Mathéo besucht. Wir haben viel Spaß miteinander, radeln durch den ausbrechenden Frühling oder helfen meiner Großmutter im Garten beim Anlegen der Beete. Manchmal bringt er mir ein Stück Kuchen oder Blumen mit, die er auf dem Weg zu unserem Hof gepflückt hat. Doch jedes Mal, wenn ich Sarah davon erzähle, reagiert sie abweisend. Neulich fing sie sogar zu weinen an, weil ihr Mathéo gesagt hatte, keine Zeit zu haben, während er bei mir war.

Es ist wie damals bei Bernhard. Auch hier hatte ich Ärger mit Clara und gehe Bernard seitdem aus dem Weg. Das will ich mit Mathéo nicht schon wieder machen, weiß aber nicht, ob Sarah das verstehen kann. Immerhin bin ich mit beiden befreundet und kann nichts dafür, wenn er sie weniger gern hat als mich.

Als ich einmal fragte, wie er Sarah fände, zuckte er nur mit den Schultern und meinte, ganz ok. Das habe ich ihr gar nicht erst erzählt, sonst wäre sie wohl wieder in Tränen ausgebrochen. Maman meint, ich solle einfach mehr Zeit mit beiden verbringen, doch das wollen komischerweise weder Sarah noch Mathéo und nun bin sich so schlau wie zuvor. Bei Clara und Bernard hat es geklappt, doch ich glaube nicht, dass sich Mathéo mehr für Sarah interessiert, wenn ich ihn nicht mehr treffe. Deshalb spiele ich neuerdings auch öfters mit anderen Mädchen aus der Nachbarschaft und sogar mit Leon, nur um nicht zu viel Zeit allein mit Mathéo zu verbringen.

Neulich hat Leon versucht, eines dieser Nachbarsmädchen zu küssen. Cloé, so heißt sie, war mit einem Schrei aufgesprungen und lief hochroten Kopfes davon. Leon lachte, fragte mich aber, warum sie sich so aufregt. Ich ahnte den Grund und war froh, dass er nicht versucht hatte, mir seinen Mund aufs Gesicht zu drücken. Ich war erst einmal von einem Jungen geküsst worden, von Mathéo, und das auch nur auf die Wange, aber ich fand es wunderschön. Doch von Leon wollte auch ich mich nicht küssen lassen. Er war irgendwie grob und plump und benahm sich oft ungeschickt beim Spielen mit uns Mädchen. Immer wollte er bestimmen, was wir tun, und wenn ihm eine widersprach, knuffte er sie in den Arm oder nahm ihre Spielsachen weg.

Cloé war wie ich sechs Jahre alt und die Tochter eines der Bauern, mit denen meine Großeltern befreundet waren. Sie war oft krank und wirkte sehr blass mit ihren flachsblonden Haaren und einer Haut, die im Sonnenlicht wie Pergament schimmerte. Oft trug sie dunkle Ringe unter ihren wasserblauen Augen und wirkte niedergeschlagen. Als sie sich einmal beim Spielen Saft über ihre Hose gegossen und diese zum Waschen ausgezogen hatte, sah ich dunkelblaue Flecken auf ihren Oberschenkeln und fragte, was da passiert sei. Ihr schoss das Blut ins Gesicht und sie zog ihre Hose, nass wie sie war, rasch wieder an. Sie wäre gefallen, flüsterte sie, wollte aber nie wieder darüber sprechen.

Ich mochte Cloé und war ziemlich traurig, als mir meine Mutter kürzlich mitteilte, dass sie zusammen mit ihrer Mutter weggezogen sei. Ich wunderte mich, weil Cloé nie etwas von einem Umzug erzählt hatte und kaum ohne sich zu verabschieden gegangen wäre. Wir waren gute Freundinnen und hatten schon oft über die Zeit gesprochen, wenn wir endlich zur Schule gehen konnten. Und nun war sie von heute auf morgen verschwunden? Vielleicht war sie krank, doch deshalb hätte sie nicht wegziehen müssen. Keiner antwortete auf meine Fragen und ich hoffte, dass mir Cloé wenigstens eines Tages schreiben würde.

20. Mai 1969

Jungs sind komisch. Mit dieser Überschrift hätte ich viele meiner Tagebucheinträge beginnen können. Aber ein Ereignis blieb mir besonders im Gedächtnis. Es war Kirmes in unserem Dorf. Einmal im Jahr kamen die Budenaufsteller und Karussellbetreiber und ließen für sieben Tage für uns Kinder die Zeit stillstehen.

Wochen vorher schon malten Sarah und ich uns aus, wieviel Zuckerwatte, kandierte Äpfel oder gebrannte Mandel wir schaffen würden und welches Fahrgeschäft in diesem Jahr wohl neu wäre. Die Jungs hingegen prahlten, wie oft sie den Überschlag auf der Schiffsschaukel schafften oder wer sich traut beim Fahren mit der Himmel- und Höllebahn aufzustehen. Bernhard hielt den Rekord mit drei Überschlägen nacheinander, was Clara uns zu erzählen nicht müde wurde. Sie war sehr stolz, als einzige in ihrer Klasse schon einen Freund zu haben, mit dem sie Händchen hielt. Sie würden das erste Mal als Paar auf die Kirmes gehen und sorgten damit für jede Menge Getuschel.

Umso anstrengender wurde Clara wenige Tage vor der Eröffnung. Es drehte sich bei ihr alles nur noch um ihre Frisur und was sie anziehen solle. Sarah und ich verzogen uns, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot, und spielten mit Hugo 2 oder Mathéo, der sich anscheinend wenig aus dem Volksfest machte. Ihm war es egal, wer in diesem Jahr Sieger der Schiffsschaukel wurde oder wem als erstes auf dem Kettenkarussell schlecht werden würde. Er saß meist schweigend in unserer Nähe, kaute auf einem Grashalm oder warf Stöckchen mit Hugo 2.

Der Tag der Eröffnung ging einher mit dem Einzug der geschmückten Bierkutsche vom Wirt unserer einzigen Gastwirtschaft. Er betrieb auch das Festzelt auf der Kirmes, wohin er die aufgestapelten Bierfässer kutschierte. Die Kapelle des Heimatvereins schepperte hinter der Bierkutsche her und spornte uns Kinder dazu an, laut mitsingend nebenher zu rennen. Die einzelnen Vereine hatten sich herausgeputzt und folgten in kleinen Gruppen, bei denen immer ein Bannerträger vorausging. Es war alles sehr festlich und sogar meine Eltern hatten ihre Sonntagskleidung angezogen und begleiteten den Zug zusammen mit den übrigen Dorfbewohnern.

Clara trug ein weißes Kleid mit Häubchen und hatte ihre Haare zu zwei Schnecken geformt. An ihrer Hand führte sie Bernard wie ein Haustier an den staunenden Mädchen ihrer Klasse vorbei und lachte die ganze Zeit, ohne dass wir wussten worüber. Bernard sah weniger fröhlich aus, vielleicht auch, weil ihn die übrigen Jungen hänselten und sich über das tolle Liebespaar lustig machten. Auch Mathéo grinste, sah dann aber mit einem merkwürdigen Blick zu mir herüber, als ob es ihm peinlich war, gelacht zu haben. Mir war das egal. Ich freute mich für Clara und hoffte, selbst einmal mit einem Jungen aufs Fest zu gehen.

Doch dann passierte etwas, von dem ich heute noch nicht genau weiß, warum. Wie in jedem Jahr versammelte sich eine große Schar Schaulustiger um den Hau-den-Lukas und feuerten den jeweils Hammerschwingenden an. Auch Clara wollte zusehen, doch als sie Bernhard fragte, ob er nicht auch mal den Lukas schlagen wolle, reagierte dieser abweisend. Selbst ihr Bitten und Betteln änderte daran nichts, und als ihn dann auch noch die ersten Jungen neckten und ein feiges Huhn schimpften, riss er sich von Clara los und verschwand in der Menge. Aufgeregt machten wir uns auf die Suche nach ihm, doch keiner unserer Freunde hatte Bernard gesehen. Weder bei der Schiffsschaukel, noch der Himmel- und Höllebahn war er, auch nicht am Kettenkarussell oder an einer der Süßigkeitenbuden, wo wir sonst immer standen. Er tauchte erst am nächsten Tag wieder auf und hatte, wie uns Clara später tränenreich mitteilte, ohne eine Begründung mit ihr Schluss gemacht.

11. Juli 1969

Es war der Sommer, in dem meine Freundin Clara ihren ersten Liebeskummer hatte und ich meinen Stoffbären Mr. Bee bekam. Meine Tante Eugenie hatte ihn mir zum Geburtstag geschenkt und ich konnte ihn einfach nicht mehr aus der Hand legen. Überall war er dabei, im Stall, in der Kirche, am See und natürlich in meinem Bett. Wir knuddelten den ganzen Tag und wenn mich damals einer gefragt hätte, wer mein bester Freund ist, hätte ich auf Mr. Bee gezeigt. Er war hellbraun und hatte ein flauschiges Fell, große schwarze Knopfaugen und weiche Ohren. Einzig seine Schnauzewar hart.

Es war aber auch der Sommer, in dem ich das erste Mal Ballettunterricht nahm. Eine Lehrerin an der Grundschule hatte in Claras Klasse gefragt, wer Spaß am Tanzen hätte und weil es dort zu wenige Mädchen gab, sollten die ihre jüngeren Geschwister fragen. So trafen Sarah und ich eines sonnigen Nachmittags in der Schulturnhalle auf acht weitere Mädchen aus unserem Dorf und bestaunten die ersten Schrittfolgen, die uns die Lehrerin vortanzte. Vermutlich war sie damals selbst noch nicht lange aus der Schule raus, für uns aber war sie die erste Respektperson neben dem Pfarrer und der Frau hinter dem Backstand. Das würde sich mit der Einschulung ändern, wurde meine Mutter nicht müde, uns zu drohen, doch in diesem Sommer hatten wir noch Schonfrist.

Auch meine kleine Schwester Marcelle tanzte für ihr Leben gern. Kaum hörte sie von irgendwoher Musik, drehte sie sich in ihrem süßen Kleidchen, hielt einem ihre pummeligen Babyarme hin und quiekte vor Freude. Als ich ihr aber sagte, dass sie noch zu klein fürs Ballett wäre, hatte sie fürchterlich geweint. Trotzig hielt sie sich an meinem Rock fest und fast fürchtete ich, er könne reißen, als meine Mutter Marcelle energisch losmachte, auf den Arm nahm und ins Haus trug.

Sophie, unsere Ballettlehrerin unterrichtete eigentlich Musik und Sport an Claras Schule. Ballett betrieb sie nur in ihrer Freizeit und hatte Freude daran, ihre Anmut und Grazie an uns weiterzugeben. Natürlich sahen die Anfänge alles andere als anmutig und grazil aus. Es war furchtbar schwer, nur auf den Zehen zu stehen, das Gleichgewicht zu halten oder sich gar noch zu drehen.

Mir tat nach einer solchen Stunde alles weh, vor allem die Füße, aber auch die Beine und der Rücken. Sophie tröstete uns und versprach, dass sich das mit der Übung legen würde. Zum Beweis ließ sie sich in einen Spagat sinken und legte ihren Oberkörper auf ihr ausgestrecktes Bein. Die Hände umfassten einen ihrer Füße und mir schmerzte es schon vom Zusehen zwischen den Beinen.