Ange-Pitou - Band 3 - Dumas Alexandre - E-Book

Ange-Pitou - Band 3 E-Book

Dumas Alexandre

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Beschreibung

"Ange Pitou" ist der dritte Teil der vierbändigen Romanreihe "Memoiren eines Arztes", zu der auch "Joseph Balsamo" und "Das Halsband der Königin" gehören, die Dumas zwischen 1846 und 1855 in den Feuilletons der Pariser Zeitung La Presse veröffentlichte. Eine Fortsetzung finden die Memoiren dann noch in "Die Gräfin von Charny".

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Alexandre Dumas

Ange Pitou oder:

Die Erstürmung der Bastille

Band 3

Impressum

Cover: Ölbild "Bildnis junger Mann Ingres" von Jean-Auguste-Dominique (1780-1867)

Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2015

ISBN/EAN: 9783958705401

Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.

www.nexx-verlag.de

Billot fängt an zu bemerken, dass nicht alles rosa bei den Revolutionen ist

Billot, der mit Pitou an allen ruhmwürdigen Opferfeierlichkeiten teilgenommen hatte, fing an zu bemerken, dass die Hefe kam. Als er bei der Kühle des Flusses wieder zum Bewusstsein gelangt war, sagte Pitou zu ihm: Herr Billot, ich sehne mich nach Villers-Cotterets zurück; und Sie?

Diese Worte erweckten, wie eine frische Empfindung von Tugend und Ruhe, den Pächter wieder, so dass er abermals die Stärke fand, durch die Volksmassen sich hindurchzuarbeiten und sich von der Schlächterei zu entfernen.

Komm, sagte er, du hast Recht.

Und er entschloss sich, Gilbert aufzusuchen, der in Versailles wohnte und, ohne seit der Reise des Königs nach Paris zur Königin zurückgekehrt zu sein, der rechte Arm von Necker geworden war, der wieder in das Ministerium eintrat und, den Roman seines Lebens für die Geschichte aller verlassend, die Wohlfahrt zu organisieren suchte, indem er das Elend generalisierte.

Pitou folgte ihm wie immer.

Beide wurden in das Kabinett eingeführt, wo der Doktor arbeitete.

Doktor, sagte Villot, ich kehre zu meinem Pachthof zurück.

Und warum dies? fragte Gilbert.

Weil ich Paris hasse.

Ach! ja, ich begreife, sprach Gilbert kalt: Sie sind müde.

Abgemattet.

Sie lieben die Revolution nicht? Ich möchte sie gern beendigt sehen.

Gilbert lächelte traurig.

Sie fängt ja erst an, sagte er.

Ho! machte Billot.

Das setzt Sie in Erstaunen, Billot? sprach Gilbert.

Was mich in Erstaunen setzt, ist Ihre Kaltblütigkeit.

Mein Freund, fragte Gilbert, wissen Sie, woher bei mir diese Kaltblütigkeit kommt?

Sie kann nur von einer Überzeugung kommen.

Ganz richtig.

Und was für eine Überzeugung ist das?

Erraten Sie.

Es werde alles gut endigen?

Gilbert lächelte noch trauriger als das erste Mal.

Nein, im Gegenteil, von der Überzeugung, es werde alles schlecht endigen.

Billot gab einen Schrei von sich.

Pitou aber sperrte die Augen ungeheuer weit auf: er fand die Beweisführung wenig logisch.

Lassen Sie hören, sprach Billot, indem er sich mit seiner schweren Hand hinter dem Ohr kratzte; denn ich verstehe nicht recht, wie mir scheint.

Nehmen Sie einen Stuhl, Billot, sagte Gilbert, und setzen Sie sich nahe zu mir, so nahe, dass uns niemand hört.

Billot gehorchte.

Und ich, Herr Gilbert, fragte schüchtern Pitou, indem er andeutete, er sei bereit, sich zu entfernen, wenn es der Doktor wünsche.

Bleibe, sprach der Doktor, du bist jung, höre.

Erklären Sie sich, Herr. Warum wird alles schlecht endigen?

Billot, wissen Sie, was ich in diesem Augenblick mache, mein Freund?

Sie schreiben, aber den Sinn dieser Zeilen kann ich nicht erraten, ich, der ich nicht einmal lesen kann.

Pitou erhob schüchtern den Kopf und warf einen Blick auf das Papier, das vor dem Doktor lag.

Das sind Ziffern, sagte er. Ja, das sind Ziffern. Nun denn! diese Ziffern sind zugleich der Ruin und das Heil von Frankreich. Morgen gedruckt, werden diese Ziffern im Palast des Königs, im Schloss der Adeligen und in den Hütten der Armen den vierten Teil von ihren Einkünften fordern.

Wie? machte Villot.

Oh! meine arme Tante Angelique, murmelte Pitou, was für ein Gesicht wird sie schneiden!

Was sagen Sie hierzu, mein Braver? fuhr Gilbert fort. Man macht Revolutionen, nicht wahr? Nun, sie müssen bezahlt werden!

Das ist richtig, antwortete Billot heldenmütig. Gut, es sei, man wird sie bezahlen.

Bei Gott! sprach Gilbert, Sie sind ein überzeugter Mann, und Ihre Antwort hat nichts, was mich in Erstaunen setzt. Aber diejenigen, welche nicht überzeugt sind ...

Sie werden Widerstand leisten, sprach Billot mit einem Ton, der sagen wollte, er würde kräftig widerstehen, wenn man den vierten Teil seines Einkommens von ihm fordern sollte, um ein seiner Überzeugung entgegengesetztes Werk zu vollbringen.

Dann Kampf, versetzte Gilbert.

Doch die Majorität ist da, um ihren Willen durchzusetzen.

Also Unterdrückung.

Anfangs sah Billot Herrn Gilbert mit einem Blicke des Zweifels an; dann glänzte ein verständiger Blitz in seinem Auge.

Warten Sie Billot, sprach der Doktor, ich weiß, was Sie mir sagen wollen. Die Adeligen und die Geistlichkeit haben alles, nicht wahr?

Das ist gewiss. Auch die Klöster ...

Die Klöster?

Die Klöster haben Überfluss.

Notum certumque, brummte Pitou.

Die Adeligen bezahlen keine verhältnismäßigen Abgaben. So bezahle ich, ein Pächter, mehr als das Doppelte der Steuern, die die drei Brüder von Charny, meine Nachbarn, bezahlen, welche miteinander mehr als zweimalhunderttausend Livres Einkünfte haben.

Aber sprechen Sie, fuhr Gilbert fort, glauben Sie, die Adeligen und die Priester seien weniger Franzosen als Sie?

Pitou spitzte die Ohren bei diesen Worten, die damals als Ketzerei klangen, wo der Patriotismus nach der Solidität der Ellenbogen auf der Greve gemessen wurde.

Nicht wahr, mein Freund, Sie glauben es nicht. Sie können es nicht anerkennen, dass die Adeligen und diese Priester, die alles verschlingen und nichts wiedergeben, ebenso gute Patrioten seien als Sie?

Das ist wahr.

Irrtum, mein Lieber, Irrtum. Sie sind es mehr, und ich will es Ihnen beweisen.

Ho! ho! ich leugne das.

Nun denn! ich gebe Ihnen die Versicherung, Billot, dass binnen drei Tagen der privilegierteste Mensch in ganz Frankreich derjenige sein wird, welcher nichts besitzt.

Wieso? fragte der Pächter.

Hören Sie, Billot diese Adeligen und die Geistlichen, die Sie der Selbstzucht bezichtigen, fangen an, von dem Patriotismus-Fieber ergriffen, zu werden, das die Runde in Frankreich zu machen im Begriff ist. In diesem Augenblick versammeln sie sich wie die Schafe am Rande des Grabens; sie beraten sich; der Kühnste springt schon morgen, übermorgen, vielleicht heute Abend. Und nach ihm werden alle andren springen.

Was meinen Sie damit, Herr Gilbert?

Damit meine ich, ihren Vorrechten entsagend, werden sie als Lehensherren ihre Bauern frei geben, als Grundherren auf ihre Pachtzinse verzichten, als Adelige mit den Taubenhäusern ihre Tauben loslassen.

Ho! ho! rief Pitou erstaunt, Sie glauben, sie werden dies alles frei geben?

Oh! sagte Billot leuchtend, das ist die glänzende Freiheit. Hernach aber, wenn wir alle frei sind, was werden wir tun?

Ah! versetzte Billot ein wenig verlegen, was wir tun werden? man wird sehen.

Oh! das ist das äußerste Wort, rief Gilbert. Man wird sehen!

Er stand mit einer düsteren Miene auf und ging einige Augenblicke stillschweigend auf und ab; dann kehrte er zum Pächter zurück, nahm dessen schwielige Hand mit einem Ernst, der einer Drohung glich, und sprach:

Ja, man wird sehen. Ja, wir werden alle sehen, du wie ich, ich wie du, er wie ich. Und daran dachte ich gerade vorhin, als du bei mir die Kaltblütigkeit fandst, die dich so sehr in Erstaunen gesetzt hat.

Sie erschrecken mich! Das Volk einig, sich umfangend, sich gegenseitig anschließend, um zur allgemeinen Wohlfahrt beizutragen, das ist ein Gegenstand, der Sie verdüstert, Herr Gilbert?

Dieser zuckte die Achseln.

Dann fuhr Billot seinerseits fragend fort:

Was werden aber Sie von sich selbst sagen, wenn Sie heute zweifeln, nachdem Sie, der neuen Welt die Freiheit gebend, in der alten alles dazu vorbereitet haben?

Billot, erwiderte Gilbert, du hast, ohne es zu vermuten, ein Wort ausgesprochen, das den Sinn des Rätsels enthält. Dieses Wort, das Lafayette ausspricht und das niemand, vielleicht er selbst nicht begreift, ja, wir haben der neuen Welt die Freiheit gegeben.

Ihr Franzosen? Das ist schön!

Das ist schön, aber es wird sehr teuer sein, erwiderte Gilbert traurig.

Bah! das Geld ist ausgegeben, die Rechnung ist bezahlt, sprach Billot heiter. Ein wenig Gold, wie Blut, und die Schuld ist abgetragen.

Ein Blinder! versetzte Gilbert, ein Blinder muss es sein, der in dieser Morgenröte des Westens den Keim des Untergangs von uns allen nicht sieht! Warum sollte ich die Leute anklagen, ich, der ich ihn ebenso wenig. gesehen habe als sie? Der neuen Welt die Freiheit gegeben haben, Billot, ich fürchte es sehr, heißt die alte zugrunde lichten.

Rerum novus nascitur ordo, sprach Pitou mit einer großen revolutionären Dreistigkeit.

Stille, Kind, sagte Gilbert.

War es denn schwieriger, die Engländer zu unterwerfen, als die Franzosen zu beruhigen? fragte Billot.

Neue Welt, wiederholte Gilbert, das heißt reiner Platz, glatter Tisch; keine Gesetze, keine Missbräuche, keine Ideen, aber auch keine Vorurteile. In Frankreich dreißigtausend Quadratmeilen für dreißig Millionen Menschen, das heißt: im Falle einer Teilung des Platzes kaum für jeden eine Wiege und ein Grab. Dort, in Amerika finden sich zweimalhunderttausend Quadratmeilen für drei Millionen Menschen; ideale Grenzen mit der Wüste, das heißt der Raum mit dem Meer, mit der Unermesslichkeit; bei diesen zweimalhunderttausend Meilen haben wir auf tausend Meilen schiffbare Flüsse, Urwälder, das heißt alle Elemente des Lebens, der Zivilisation und der Zukunft. Oh! wie leicht ist es, Billot, wenn man Lafayette heißt und den Degen zu führen versteht, wenn man Washington heißt und die Überlegenheit des Geistes besitzt, wie leicht ist es, gegen Mauern von Holz, von Stein, von Erde oder von Menschenfleisch zu kämpfen! Wenn man aber, statt zu gründen, zerstört, wenn man in der alten Ordnung der Dinge, die man angreift, einstürzende Mauern von Ideen, und hinter die Trümmer dieser Mauern selbst so viele Leute und so viele Interessen sich flüchten sieht; wenn man, nachdem man den Gedanken gefunden hat, wahrnimmt, man werde dieses Volk, um ihm den Gedanken beizubringen, erst dezimieren müssen, dezimieren vom erinnerungsvollen Greis bis zum schülerhaften Kind, vom monumentalen Gedächtnis an bis zum keimenden Instinkt: dann, oh dann, Billot, ist es eine Aufgabe, die diejenigen beben macht, welche jenseits des Horizonts sehen. Billot, ich habe ein scharfes Gesicht, und ich bebe. Verzeihen Sie, mein Herr, sagte Billot mit seinem gesunden Verstand, Sie beschuldigten mich vorhin, ich hasse die Revolution, und nun machen Sie mir sie abscheulich.

Habe ich dir denn gesagt, ich verzichte?

»Errare humanum est,« murmelte Pitou, »sed perseverare diabolicum.«

Und er zog seine Füße mit den Händen an sich.

Ich werde dennoch beharrlich sein, fuhr Gilbert fort, denn während ich die Hindernisse sehe, erschaue ich auch das Ziel, und das Ziel ist glänzend; es ist nicht nur die Freiheit Frankreichs, die ich träume, es ist die Freiheit der ganzen Welt. Es ist nicht nur die physische Gleichheit, es ist die Gleichheit vor dem Gesetz; es ist nicht nur die Verbrüderung zwischen den Bürgern, es ist die Verbrüderung zwischen den Völkern. Ich werde dabei meine Seele aushauchen und meinen Leib lassen, fügte Gilbert schwermütig bei; doch gleichviel, der Soldat, den man zur Erstürmung einer Festung schickt, sieht die Kanonen, sieht die Kugeln, die man hinein ladet, sieht die Leute, die man ihnen gegeben hat; er fühlt, dass dieses Stück Eisen ihm die Brust durchbohren wird – aber er geht, die Festung muss genommen sein. Nun denn! wir sind alle Soldaten, Vater Billot. Vorwärts! und auf unsern umhergestreuten Leibern möge eines Tags die Generation vorwärts schreiten, deren Vorhut dieses Kind hier ist.

Ich weiß wahrhaftig nicht, warum Sie verzweifeln, Herr Gilbert, etwa weil ein Unglücklicher auf der Greve ermordet worden ist?

Warum hast du dann Abscheu? Gehe, Billot, morde auch.

Welchen Rat geben Sie mir also, Herr Gilbert?

Willst du deinem Vaterland, der Nation, deinen Brüdern, der Welt nützlich sein, so bleibe hier; nimm einen Hammer und arbeite in der Werkstätte Vulkans, wo die Blitze für die Welt geschmiedet werden.

Bleiben, um morden zu sehen, um vielleicht dazu zu kommen, dass ich selbst morde? Wieso? versetzte Gilbert mit einem bleichen Lächeln. Du morden, Billot, was sagst du denn da?

Ich sage, dass, wenn ich hier bleibe, wie Sie mich dazu auffordern, rief Billot ganz zitternd, ich sage, dass der erste, den ich einen Strick an eine Laterne binden sehe, ich sage, dass ich diesen mit meinen Händen aufhänge.

Gilbert vollendete sein feines Lächeln.

Ah! Du verstehst mich, und du bist nun auch Mörder, sagte er.

Ja, Mörder von Schurken.

Sprich, Billot, du hast Losme, de Launay, Flesseles, Foulon und Berthier ermorden sehen?

Ja.

Welche Namen erhielten sie von jenen, durch die sie ermordet wurden?

Schurken, ja, aber ich habe recht, versetzte Billot.

Du wirst Recht haben, wenn du aufhängst, ja; doch wenn du gehenkt bist, so wirst du Unrecht haben.

Billot neigte das Haupt unter diesem Keulenschlage, doch plötzlich erhob er es voll Adel wieder und sprach:

Werden Sie behaupten, diejenigen, welche wehrlose und unter dem Schutz der öffentlichen Ehre stehende Personen ermorden, seien Franzosen, wie ich einer bin?

Ah! erwiderte Gilbert, das ist etwas anderes. Ja, es gibt in Frankreich mehrere Arten von Franzosen. Es gibt vor allem das französische Volk, von dem Pitou ist, von dem ich bin, von dem du bist; ferner gibt es die französische Geistlichkeit und dann den französischen Adel. Drei Arten von Franzosen in Frankreich. Jeder ein Franzose aus seinem Gesichtspunkt, nämlich aus dem Gesichtspunkt seiner Interessen, und zwar abgesehen vom König von Frankreich, einem Franzosen auf seine Weise. Ah! Billot, hier siehst du, in der verschiedenen Manier, Franzose zu sein, in der verschiedenen Manier aller dieser Franzosen, eben hierin steckt der Grund der Revolution. Du wirst Franzose sein auf deine Art, der Abbé Maury wird Franzose sein auf eine andre Art als du, Mirabeau wird Franzose sein auf eine andere Art als der Abbé Maury, der König endlich wird Franzose sein auf eine andre Art als Mirabeau. Nun! Billot, mein vortrefflicher Freund, Mann mit dem redlichen Herzen und dem gesunden Verstande, du bist soeben in den zweiten Teil der Frage, die ich behandle, eingegangen ... Mache mir das Vergnügen und wirf einen Blick auf dieses, fügte Gilbert bei.

Und er reichte dem Pächter ein gedrucktes Papier.

Was ist das? fragte Billot, während er das Papier nahm. Ei! Sie wissen wohl, dass ich nicht lesen kann.

So sage es du, Pitou.

Pitou stand auf, erhob sich auf den Fußspitzen und schaute über die Schulter des Pächters.

Das ist nicht Französisch, sagte er; das ist nicht Lateinisch, das ist auch nicht Griechisch.

Das ist Englisch, erwiderte Gilbert.

Ich verstehe das Englische nicht, sprach höflich Pitou.

Ich verstehe es, sagte Gilbert, und ich werde euch dieses Papier übersetzen; doch lest die Unterschrift.

Pitt, las Pitou, doch was ist das, Pitt?

Ich will es euch erklären, erwiderte Gilbert.

Die Pitt

Pitt, sprach Gilbert, dies ist der Sohn von Pitt.

Ah! sagte Pitou, gerade wie in der h. Schrift; es gibt also einen Pitt den Ersten und einen Pitt den Zweiten.

Ja, und dieser Pitt der Erste, meine Freunde ... Hört wohl, was ich Euch sagen werde:

Dieser Pitt der Erste war dreißig Jahre lang der geschworene Feind Frankreichs; er bekämpfte aus seinem Kabinette heraus, an das ihn die Gicht fesselte, Montcalm und Vaudereuil in Amerika, den Bailly von Suffren und d'Estaing auf dem Meer, Noailles und Broglie auf dem Festland. Dieser Pitt der Erste hatte den Grundsatz gehabt, man müsse die Franzosen von Europa entthronen; dreißig Jahre hindurch nahm er uns, eine um die andre, alle unsre Kolonien, eines um das andre, alle unsre Kontors, das ganze Uferland von Indien, fünfzehnhundert Meilen in Kanada; dann, als er sah, dass Frankreich zu drei Vierteln zugrunde gerichtet war, stiftete er seinen Sohn gegen dasselbe an, um es vollends zugrunde zu richten, den Sohn des Pitt, den Ihr schon kennt, Vater Billot, den Pitou kennt, den das Weltall kennt und der im vorigen Mai dreißig Jahre alt gewesen ist. Ihr seht, ob er seine Zeit gut angewendet hat, meine Freunde ... nun, schon seit sieben Jahren regiert er in England, sieben Jahre bringt er die Theorien seines Vaters in Ausführung.

Wir haben also noch einige Zeit an ihm, versetzte Billot.

Ja, umso mehr, als der Lebensatem bei den Pitt kräftig ist. Lasst mich einen Beweis davon geben.

Im Jahre 1778 lag unser Feind im Sterben. Die Ärzte hatten ihm angekündigt, sein Leben hänge nur noch an einem Faden, und die geringste Anstrengung würde diesen Faden zerreißen. Man stritt damals im vollen Parlament über die Frage, ob man die amerikanischen Kolonien ihrem Verlangen gemäß nicht freigeben sollte, um den Krieg zu unterdrücken, der von den Franzosen angeregt, den ganzen Reichtum und alle Soldaten Großbritanniens zu verschlingen drohte.

Das war in dem Augenblick, wo Ludwig XVI., unser guter König, dem von der ganzen Nation der Titel: wahrer Vater der französischen Freiheit, erteilt worden war, feierlich die Unabhängigkeit Amerikas anerkannt hatte; dort, auf den Schlachtfeldern und im Rate waren das Schwert und das Genie der Franzosen überwiegend gewesen. England ließ Washington, das heißt dem Haupt der Insurgenten, die Anerkennung der amerikanischen Nationalität anbieten, wenn sich die neue Nation gegen die Franzosen umdrehen und sich mit England verbinden wollte.

Aber mir scheint, sagte Billot, das war kein redlicher Vorschlag, weder um ihn zu machen, noch um ihn anzunehmen.

Mein lieber Billot, man nennt das Diplomatie, und in der politischen Welt bewundert man sehr diese Art von Ideen. Nun denn! Billot, für so unmoralisch Sie die Sache hielten, vielleicht hätte man, trotz Washingtons, des Redlichsten der Menschen, Amerikaner gefunden, die geneigt gewesen wären, um den Preis dieser schmählichen Einräumung gegen England den Frieden zu erkaufen.

Aber Lord Chatam, der Vater von Pitt, dieser ans Krankenbett Gebannte, dieser Sterbende, dieses Gespenst, das schon bis an die Knie ins Grab getreten war, gab seinen Arm seinem Sohn William Pitt, damals ein junger Mensch von neunzehn Jahren, und seinem Schwiegersohn; er hatte kostbare Kleider angezogen, eine Hülle, die seiner gerippeähnlichen Magerkeit zu spotten schien. Bleich wie ein Gespenst, das Auge halb tot unter den erschlaffenden Lidern, ließ er sich zu seiner Bank führen, während alle Lords, erstaunt über die unerwartete Erscheinung, sich bewunderungsvoll verbeugten, wie es der römische Senat bei der Rückkehr des schon toten und vergessenen Tiberius hätte tun können.

Stillschweigend, mit einer tiefen Aufmerksamkeit hörte er die Rede von Lord Richmond, dem Urheber des Antrags, und als dieser geendigt hatte, stand Chatam auf, um zu antworten.

Da fand dieser tote Mann die Kraft, um drei Stunden zu sprechen; er fand Feuer in seinem Herzen, um den Blitz seiner Blicke zu entzünden; er fand in seiner Seele Töne, die alle Herzen bewegten.

Es ist wahr, er sprach gegen Frankreich, er hauchte seinen Landsleuten den Hass ein, er hatte alle seine Kräfte und sein ganzes Feuer heraufbeschworen, um das Land, den verhassten Nebenbuhler des seinigen, zugrunde zu richten und zu verschlingen. Er verbot, dass Amerika als unabhängig anerkannt würde, er verbot die ganze Verhandlung und schrie: Krieg! Krieg! Er erklärte, es sei die Pflicht jedes Engländers, eher zugrunde zu gehen, als zu dulden, dass eine Kolonie sich vom Mutterland losreiße.

Er beendete seine Rede, schleuderte seine letzte Drohung hin und fiel, wie vom Schlag getroffen, nieder.

Er hatte nichts mehr auf dieser Welt zu tun; man trug ihn verscheidend weg. Einige Tage nachher war er tot.

Ho! ho! riefen gleichzeitig Billot und Pitou, was für ein Mann ist dieser Lord Chatam!

Das war der Vater des jungen Mannes von dreißig Jahren, der uns beschäftigt, sprach Gilbert, Chatam starb mit siebzig Jahren. Sein Sohn ist der Mann, der Großbritannien regiert, der zu dieser Stunde Ludwig XVI. einen tödlichen Hass geschworen hat; der Verfasser der Abhandlung von 1778; derjenige endlich, welcher nicht frei atmen wird, solange es in Frankreich noch eine geladene Flinte und eine volle Tasche gibt. Fangt Ihr an zu begreifen?

Ich begreife, dass er Frankreich sehr hasst. Ja, das ist wahr, aber ich sehe noch nicht recht ...

Nun, so lest diese vier Worte.

Und er reichte das Papier Pitou.

Englisch, versetzte dieser.

Do not mind the money, seht nicht auf das Geld, sagte der Doktor. Und später, da er auf dieselbe Ermahnung zurückkommt:

Heißt sie das Geld nicht sparen und mir keine Rechenschaft ablegen.

Dann bewaffnen sie, sagte Billot.

Nein, sie bestechen.

An wen ist dieser Brief gerichtet?

An jedermann und an niemand. Dieses Geld, das man gibt, ausstreut, verschwendet, man gibt es Bauern, Arbeitern, Elenden, Leuten endlich, die uns die Revolution verderben werden.

Vater Billot neigte das Haupt. Dieses Wort erklärte viele Dinge.

Hätten Sie de Launay mit einem Kolbenschlag getötet?

Hätten Sie Flesselles mit einem Pistolenschuss umgebracht?

Hätten Sie Foulon gehenkt? Hätten Sie das blutige Herz von Berthier auf den Tisch der Wähler gebracht?

Schändlichkeit! rief Billot. Das heißt, wie strafbar auch dieser Mensch sein mochte, ich hätte mich in Stücke hauen lassen, um ihn zu retten; und zum Beweise mag dienen, dass ich in seiner Verteidigung verwundet worden bin.

Nun denn! Sehen Sie, Billot, es gibt viele Leute, die handeln werden, wie Sie, wenn sie nur eine Unterstützung in ihrer Nähe fühlen. Überlässt man sie aber den bösen Beispielen, dann arten sie aus, werden boshaft, grimmig, wütend; und wenn einmal das Übel geschehen ist, dann macht es niemand ungeschehen.

Aber, entgegnete Billot, ich gebe zu, dass Herr Pitt, oder vielmehr sein Geld, am Tod Flesselles, Foulons, Berthiers Anteil gehabt hat, welchen Nutzen wird er daraus ziehen?

Gilbert lachte auf jene stille Art, welche die Einfältigen in Erstaunen setzt, und die Denker beben macht.

Welchen Nutzen er daraus ziehen werde, fragen Sie? Ich will es Ihnen sagen: Sie lieben die Revolution sehr, nicht wahr? Sie, der Sie im Blut gewatet sind, um die Bastille zu nehmen?

Ja, ich liebte Sie.

Wohl, nun lieben Sie sie weniger. Nun sehnen Sie sich nach Villers-Cotterets, nach der Ruhe Ihrer Ebene, nach dem Schatten Ihrer großen Wälder zurück.

Oh! ja. Sie haben recht, sprach Billot.

Nun denn! Sie, Vater Billot, Sie, der Pächter, der Grundeigentümer, Sie, das Kind der Ile-de-France und folglich ein alter Franzose, Sie repräsentieren den dritten Stand, Sie sind von dem, was man die Majorität nennt. Sie aber sind der Sache überdrüssig.

Ich gestehe es.

Dann wird die Majorität überdrüssig werden wie Sie! Und eines Tages strecken Sie die Arme den Soldaten des Herrn von Braunschweig oder des Herrn Pitt entgegen, die im Namen dieser zwei Befreier Frankreichs kommen werden, um Ihnen die gesunden Lehren zurückzugeben.

Nie.

Bah! warten Sie doch!

Flesselles, Berthier und Foulon waren im Grunde Schurken, wagte Pitou einzuwenden.

Wahrhaftig! wie Herr von Sartines und Herr von Maurepas Schurken waren; wie es Herr d'Argenson und Herr Philippeaux vor ihnen waren, wie Herr Law einer war, wie es die Duvernye, die Leblanc und die Pairs waren; wie Herr Fouquet einer, wie Mazarin ein andrer war; wie Samblancey, wie Enguerand von Marigny Schurken waren; wie Herr von Brienne einer für Herrn von Calonne, und Herr von Calonne einer für Herrn Necker ist – und wie Herr Necker einer für das Ministerium sein wird, das wir in zwei Jahren haben werden.

Ho! ho! Doktor, murmelte Billot, Herr Necker ein Schurke, niemals.

Wie Sie, mein lieber Billot, ein Schurke für den kleinen Pitou sein würden, wenn ein Agent des Herrn Pitt imstande wäre, ihm unter dem Einfluss von einem Schoppen Branntwein und zehn Franken für den Tag, gewisse Theorien im Aufruhrmachen beizubringen. Dieses Wort Schurke, sehen Sie, mein lieber Billot, ist das Wort, mit dem man in der Revolutionszeit den Menschen bezeichnet, der anders denkt, als man selbst denkt; wir sind bestimmt, es alle zu tragen, mehr oder weniger. Einige werden es soweit tragen, dass es ihnen ihre Landsleute noch auf ihr Grab schreiben, andre noch weiter, dass die Nachwelt den Beinamen bestätigen wird. Das ist es, mein lieber Billot, was ich sehe, und was Sie nicht sehen. Billot, Billot, die redlichen Leute dürfen sich also nicht zurückziehen.

Bah! erwiderte Billot, wenn die redlichen Leute sich zurückzögen, so würde die Revolution darum nichtsdestoweniger ihren Fortgang nehmen; sie ist einmal entfesselt!

Ein neues Lächeln trat auf die Lippen Gilberts.

Großes Kind! sagte er, wer verlässt den Pflug, wer spannt die Pferde aus, und sagt: Gut, der Pflug bedarf meiner nicht, er wird seine Furche ohne mich ziehen. Aber, mein Freund, diese Revolution, wer hat sie denn gemacht? die ehrlichen Leute, nicht wahr?

Frankreich schmeichelt sich damit. Mir scheint, Lafayette, Bailly, Necker sind ehrliche Männer; mir scheint, Herr Elie und Herr Hullin, Herr Maillard, welche mit mir kämpften, sind ehrliche Leute; mir scheint endlich, Sie selbst ...

Nun denn, Billot, wenn die ehrlichen Leute sich zurückziehen, wer wird dann arbeiten? Diese Elenden, diese Mörder, diese Schurken, die Lohnknechte von den Handlangern des Herrn Pitt.

Antworten Sie ein wenig hierauf, Vater Billot, sagte Pitou überzeugt.

Nun denn, erwiderte Billot, man wird sich bewaffnen und sie niederschießen wie Hunde.

Wer wird sich bewaffnen?

Jedermann.

Billot, Billot, wollen Sie sich nur eines Umstandes erinnern, mein guter Freud, wollen Sie sich erinnern, wie man das, was wir in diesem Augenblicke treiben, nennt?

Das nennt man Politik, Herr Gilbert.

Wohl, in der Politik gibt es kein absolutes Verbrechen, man ist ein Schurke oder ein redlicher Mann, je nachdem man die Interessen desjenigen, welcher uns beurteilt, verletzt oder ihnen dient. Sobald wir einmal so weit sein werden, nehmen wir uns in Acht, Billot. Es sind Leute am Sterz und Pferde an den Strängen des Pfluges. Er geht, Billot, er geht, und zwar ohne uns.

Das ist erschrecklich, sagte der Pächter. Doch wenn er ohne uns geht, wohin wird er gehen?

Gott weiß es! erwiderte Gilbert, ich weiß es nicht.

Nun denn! wenn Sie es nicht wissen, Sie, der Sie ein Gelehrter sind, Herr Gilbert, um so viel weniger kann ich es wissen, ich, der ich ein Ungelehrter bin. Ich entnehme also hieraus das Beste, was wir, Pitou und ich, tun können. Wir kehren nach Pisseleux zurück. Wir werden wieder zum Pfluge greifen, ich meine den wahren Pflug, den von Eisen und Holz, mit dem man die Erde umwühlt, und nicht den von Fleisch und Knochen, genannt das französische Volk, das hinten ausschlägt, wie ein zuchtloses Pferd. Wir werden Getreide bauen, statt Blut zu vergießen, und frei und freudig als Herren bei uns leben. Kommen Sie, kommen Sie, Herr Gilbert! Teufel, ich mag gern wissen, wohin ich gehe.

Einen Augenblick Geduld, mein wackeres Herz, sprach Gilbert, nein, ich weiß nicht, wohin ich gehe, ich habe es Ihnen gesagt, und ich wiederhole es; doch ich gehe und will immer gehen. Meine Pflicht ist vorgeschrieben, mein Leben gehört Gott; aber meine Werke sind eine Schuld, die ich dem Vaterland zu bezahlen habe. Ich verlange bloß, dass mir die Stimme meines Gewissens zurufen kann: Gehe, Gilbert, du bist auf gutem Wege! Das ist alles, was ich brauche. Ich harre aus, Billot. Irrtum oder nicht, ich fahre fort. Gott behüte mich, dass ich behaupte, das Ereignis werde meine Ohnmacht nicht beweisen. Auf, Billot, lasst uns nicht selbstsüchtig sein. Nutzen wir uns ein wenig ab, mein Freund; bleibe bei mir, Billot.

Wozu, wenn wir das Böse nicht verhindern?

Billot, wiederhole dieses Wort nie, denn ich würde dich weniger schätzen. Du hast Fußtritte, hast Faustschläge, Kolbenstreiche, du hast selbst Bajonettstiche bekommen, als du Foulon und Berthier retten wolltest.

Und alles dies umsonst, fügte Billot bei.

Nun, wenn Ihr statt zu zehn oder zwanzig von Eurem Mute zu sein, zu zweihundert, dreihundert gewesen wäret, so würdet ihr den Unglücklichen seinem grässlichen Tod entrissen und der Nation eine Schmach erspart haben. Darum, statt dass du nach dem Land zurückkehrst, das ziemlich ruhig ist, darum verlange ich von dir, soweit ich etwas von dir verlangen kann, mein Freund, dass du in Paris bleibest, damit ich unter der Hand einen starken Arm, ein rechtschaffenes Herz habe, damit ich meinen Geist und mein Werk auf dem redlichen Probierstein deines gesunden Verstandes und deiner reinen Vaterlandsliebe erprobe, damit endlich du – wenn ich statt Gold, das wir nicht haben, die Liebe für das Vaterland und das öffentliche Wohl verbreite – bei einer Menge unglücklicher Verirrter mein Agent sein mögest; damit du mein Stab seist, wenn ich am Ausglitschen bin, mein Stock, wenn ich zu schlagen habe.

Der Hund eines Blinden, sagte Billot mit einer erhabenen Einfachheit.

Ganz richtig, erwiderte Gilbert mit demselben Ton.

Nun denn, ich nehme das an, sprach Billot; ich werde sein, was Sie verlangen.

Ich weiß, dass du alles verlässt, Vermögen, Frau, Kinder, Glück! Doch sei unbesorgt, das wird nicht für lange sein. Und ich, fragte Pitou, was werde ich tun?

Du, erwiderte Gilbert, indem er den naiven, kräftigen, auf seinen Verstand sich wenig einbildenden Jungen anschaute, du wirst nach Pisseleux zurückkehren, um die Familie Billots zu trösten und ihr die heilige Sendung zu erklären, die er übernommen hat.

Auf der Stelle! rief Pitou, indem er bei dem Gedanken, zu Katharine zurückzukehren, vor Freude zitterte.

Billot, sagte Gilbert, geben Sie ihm Ihre Anweisungen.

Höre, sprach Billot.

Katharine ist von mir zur Gebieterin des Hauses ernannt. Verstehst du?

Und Frau Billot? versetzte Pitou, ein wenig erstaunt über diese Hintansetzung der Mutter zu Gunsten der Tochter.

Pitou, sprach Gilbert, nachdem er den heimlichen Leitgedanken Billots an einer dem Familienvater zur Stirn gestiegenen, leichten Röte schnell erraten hatte, erinnere dich des arabischen Sprichworts: Hören ist gehorchen.

Pitou errötete ebenfalls; er hatte seine Unbescheidenheit beinahe begriffen und gefühlt.

Katharine ist der Geist der Familie, sprach Billot ohne Umstände, um seine Gedanken zu punktieren.

Gilbert verbeugte sich beipflichtend.

Ist das alles? fragte der Junge.

Für mich, ja, antwortete Billot.

Aber nicht für mich, sagte Gilbert. Pitou, du wirst mit einem Briefe von mir nach dem College Louis-le-Grand gehen; du wirst diesen Brief dem Abbé Berardier einhändigen; er wird dir Sebastian übergeben, und du wirst ihn zu mir bringen. Wenn ich meinen Sohn umarmt habe, führst du ihn nach Villers-Cotterets, wo du ihn dem Abbé Fortier übergibst, damit er mir nicht zu viel Zeit verliert. An den Sonntagen und Donnerstagen wird er mit dir ausgehen; lass ihn, ohne etwas zu fürchten, durch Wald und Flur wandern; es taugt mehr für meine Ruhe und für seine Gesundheit, wenn er dort ist.

Ich habe begriffen, rief Pitou, darüber entzückt, zugleich die Freundschaften aus der Kinderzeit und die unbestimmten Regungen eines gereifteren Gefühls in sich zu finden, das bei dem zauberhaften Namen Katharines in ihm erwachte.

Er stand auf, und nahm von Gilbert, der lächelte, und von Billot, der träumte, Abschied.

Dann lief er weg, um Sebastian Gilbert, seinen Milchbruder, beim Abbé Berardier zu holen.

Und wir, sagte Gilbert zu Billot, wir wollen arbeiten.

Medea

Auf die furchtbaren moralischen und politischen Aufregungen in Versailles war ein wenig Ruhe gefolgt.

Der König lebte wieder frisch auf, und während er zuweilen an das dachte, was sein bourbonischer Stolz bei dieser Fahrt nach Paris zu leiden gehabt hatte, tröstete er sich mit dem Gedanken seiner wiedererlangten Volksbeliebtheit.

Während dieser Zeit organisierte Herr Necker und verlor ganz sachte seine Popularität.

Was den Adel betrifft, so fing er an, seinen Abfall oder seinen Widerstand vorzubereiten.

Das Volk wachte und wartete.

In sich selbst zurückgezogen, überzeugt, dass sie der Zielpunkt alles Hasses sei, machte sich die Königin mittlerweile sehr klein, sie verstellte sich; denn sie wusste wohl, dass sie, während sie der Zielpunkt von vielen Gehässigkeiten, zugleich auch das Ziel von vielen Hoffnungen war.

Seit der Reise des Königs nach Paris hatte sie Gilbert kaum wiedergesehen.

Einmal übrigens war er ihr in dem Vorzimmer, das nach den Gemächern des Königs führt, begegnet.

Und hier, da er sich tief vor ihr verbeugte, fing sie zuerst das Gespräch an.

Guten Morgen, mein Herr, sagte sie. Sie gehen zum König?

Dann fügte sie mit einem Lächeln bei, unter dem eine gewisse Färbung von Ironie durchdrang: Als Rat oder als Arzt?

Als Arzt, Madame, antwortete Gilbert. Ich habe heute den Dienst.

Sie winkte Gilbert, ihr zu folgen. Beide traten in einen kleinen Salon ein, der vor dem Zimmer des Königs kam.

Nun! mein Herr, sagte sie, Sie sehen wohl, dass Sie mich täuschten, als Sie mir neulich, bei Gelegenheit der Fahrt nach Paris, versicherten, der König laufe keine Gefahr.

Ich, Madame? versetzte Gilbert erstaunt.

Allerdings; ist nicht auf den König geschossen worden?

Wer sagt dies, Madame?

Alle Welt, mein Herr, und besonders diejenigen, welche die arme Frau beinahe unter die Räder des Wagens Seiner Majestät haben fallen sehen. Wer das sagt? Herr von Beauveau, Herr d'Estaing, die Ihren zerrissenen Rock, Herr Gilbert, Ihren durchlöcherten Busenstreif gesehen haben.

Madame!

Die Kugel, die Sie gestreift hat, mein Herr, konnte den König wohl töten, wie sie die arme Frau getötet hat; denn die Mörder wollten weder Sie, noch die arme Frau töten.

Ich glaube nicht an ein Verbrechen, erwiderte Gilbert zögernd.

Das mag sein. Doch ich, ich glaube daran, sprach die Königin, Gilbert fest anschauend.

In jedem Fall, wenn es ein Verbrechen gewesen ist, darf man es nicht dem Volk zuschreiben.

Die Königin heftete ihren Blick noch schärfer auf Gilbert.

Ah! sagte sie, und wem muss man es denn zuschreiben? Sprechen Sie.

Madame, fuhr Gilbert, den Kopf schüttelnd fort, ich sehe und studiere das Volk. Das Volk, wenn es in Revolutionszeiten mordet, das Volk tötet mit seinen eigenen Händen; es ist dann der Tiger in Wut, der gereizte Löwe. Der Tiger und Löwe nehmen keine Mittelsperson, keine Agenten zwischen der Gewalt und dem Opfer; sie töten, um zu töten; sie vergießen das Blut, um es zu vergießen; sie lieben es, ihren Zahn damit zu färben, ihre Klaue darein zu tauchen.

Davon sind Foulon und Berthier Zeugen, nicht wahr? Aber ist nicht Flesselles mit einem Pistolenschuss getötet worden? Ich habe es wenigstens sagen hören; doch im Ganzen, fuhr die Königin mit Ironie fort, vielleicht ist das nicht wahr, wir sind so sehr von Schmeichlern umgeben, wir gekrönten Häupter.

Gilbert schaute seinerseits die Königin fest an und sagte:

Oh! bei diesem glauben Sie ebenso wenig als ich, Madame, dass ihn das Volk getötet hat. Bei diesem gab es Leute, die dabei interessiert waren, dass er starb.

Die Königin dachte nach.

Das ist in der Tat möglich, sprach sie.

Somit ... versetzte Gilbert, indem er sich verbeugte, als wollte er die Königin fragen, ob sie ihm noch etwas zu sagen habe.

Ich begreife, mein Herr, sprach die Königin, während sie den Doktor sanft durch eine beinahe freundliche Gebärde zurückhielt. Wie dem auch sein mag, lassen Sie mich Ihnen sagen, dass Sie den König mit Ihrer Kunst nie so tatsächlich retten werden, als Sie ihn mit Ihrer Brust gerettet haben.

Gilbert verbeugte sich zum zweiten Mal.

Doch da er sah, dass die Königin blieb, blieb er auch.

Ich hätte Sie wiedersehen sollen, sagte sie nach einer Pause von einem Augenblick.

Eure Majestät bedurfte meiner nicht ...

Sie sind bescheiden.

Ich möchte es nicht sein.

Warum?

Wäre ich weniger bescheiden, so wäre ich auch weniger schüchtern und folglich mehr geeignet, meinen Freunden zu dienen oder Feinden zu schaden.

Warum sagen Sie: Meine Freunde, und sagen Sie nicht: Meine Feinde?

Weil ich keine Feinde habe, oder vielmehr, weil ich es nicht anerkennen will, dass ich welche habe, wenigstens von meiner Seite.

Die Königin schaute ihn erstaunt an.

Damit will ich sagen, fuhr Gilbert fort, diejenigen seien allein meine Feinde, welche mich hassen; ich aber hasse niemand.

Weil?

Weil ich niemand mehr liebe, Madame.

Sind Sie ehrgeizig, Herr Gilbert?

Ich habe einen Augenblick gehofft, es zu werden, Madame, und diese Leidenschaft ist in meinem Herzen nicht zur Reife gekommen.

Es bleibt Ihnen jedoch eine, sprach die Königin mit einer Art von ironischer Feinheit.

Mir, Madame? Und welche, bei Gott?

Die ... Vaterlandsliebe.

Gilbert verbeugte sich.

Oh! das ist wahr, sprach er, ich bete mein Vaterland an und werde ihm alle Opfer bringen.

Ach! sagte die Königin mit einem unbeschreiblichen Zauber der Schwermut, es gab eine Zeit, wo ein Franzose diesen Gedanken nie mit den Worten ausgedrückt hätte, deren Sie sich eben bedienten.

Was will die Königin damit sagen? fragte er.

Ich will damit sagen, mein Herr, dass es in der Zeit, von der ich rede, unmöglich war, sein Vaterland zu lieben, ohne zugleich seinen König und seine Königin zu lieben.