Anindos 134. Leben - Rolf Freiberger - E-Book

Anindos 134. Leben E-Book

Rolf Freiberger

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Beschreibung

In einem Armenviertel von Sri Lanka lebt Anindo, ein achtjähriger Jun­ge. Die Familie ist sehr arm und Anindo muss für den Lebensun­terhalt der Familie betteln gehen. Anindo träumt davon, eines Tages eine Schule besuchen zu können und schreiben und lesen zu lernen. Kann dieser Traum in Erfüllung gehen? Das Buch beschreibt realitätsnah die Lebensumstände sehr armer Menschen in Sri Lanka mit den Augen eines Kindes. Neben der Ein­tönigkeit der Armut und Chancenlosigkeit gibt es auch Freude und Hoffnung, erlebt Anindo schöne wie traurige Momente. Auf verschlun­genen Pfaden treibt ihn das Schicksal durch eine unvollkommene Welt. Der größte Tsunami der Neuzeit zerstört seine Heimat. Kraft fin­det Anindo in seiner Familie, vor allem bei seinem Opa und seinem besten Freund Ramesh.   Anindo erlebt den Zauber der ersten Liebe wie den Hauch des Todes und die Wandlung seiner Heimat durch die Globalisierung.   Du nimmst teil an spannenden Erlebnissen, erlebst überraschende Wendungen und lernst nebenbei eine Menge über das Leben in Sri Lanka und seine wundervollen Menschen.

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Seitenzahl: 180

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Rolf Freiberger
Anindos 134. Leben
Die spannenden Erlebnisse eines achtjähri­gen Jungen

Impressum

Anindos 134. Leben

Rolf Freiberger

Copyright: © 2014 Rolf Freiberger

published by: epubli GmbH, Berlin

Vorwort

Die Basis für dieses Buch war ein Experiment. Als sog. Lesepate un­terstütze ich ehrenamtlich leseschwache Kinder. Die Gründe für die Leseschwäche sind vielfältig. Häufig besitzen solche Kinder auch nur ein geringes Selbstvertrauen und erhalten wenig Bestätigung. Sie brauchen deshalb Unterstützung.

Während der Lesestunden keimte die Idee auf, die Fantasie und Le­sefreude meines Lesekindes durch Formulieren eigener Geschichten zu stärken und den Wortschatz zu bereichern. Dazu haben wir uns wechselweise sechs beliebige Wörter (zwei Substantive, zwei Verben und zwei Adjektive) genannt und kleine Geschichten entwickelt, in de­nen die Wörter vorkommen mussten. Hieraus entstand dann bei mir die Idee, nicht immer neue Geschichten zu erfinden, sondern eine große Geschichte zu schreiben und zu einem Buch zu entwickeln.

Von meinem Lesekind habe ich zu jedem Kapitel neue Wörter be­kommen, die ich einfließen lassen musste. Die Wörter durften der Si­tuation angepasst z. B. im Plural oder in anderen Zeiten verwendet werden.

Kapitel 1 - Wie die Familie lebt

Wohnung, Schule, schreiben, spielen, nass, kaputt

Anindo Bandanage ist ein achtjähriger Junge. Er wohnt im Armenvier­tel von Chenkaladi auf der Insel Sri Lanka. Auf Sri Lanka leben haupt­sächlich Singhalesen und im Norden eine größere Anzahl Tamilen. Anindo ist Singhalese und er träumt schon lange immer wieder einen vielleicht unerfüllbaren Traum.

Chenkaladi liegt in der Nähe der Hauptstadt des gleichnamigen Dis­trikts Batticaloa. Batticaloa heißt auf Singhalesisch „Schlammige La­gune“. Das Armenviertel befindet sich außerhalb des Dorfes Chenka­ladi. Über der Ansammlung selbstgebauter Hütten schwebt das durchdringende Parfüm von Armut, eine Duftfahne, in der sich Staub, Urin und Kotgeruch, Müllgestank und Brandgeruch vermengen. Zwi­schen den Hütten winden sich schmale Rauchfahnen von den Feuer­stellen hoch, um sich über den Hütten zu einem Schleier auszubrei­ten. Der schwache Wind, der manchmal vom Meer herüber weht, ver­schafft den Bewohnern klare Luft und Erlösung vom Gestank. Die Be­hausungen der Armen sind ohne eine verbindende Ordnung einfach irgendwo errichtet worden, wo gerade Platz war.

Anindos Familie lebt in einer kleinen aus Abfällen, Ästen und Plastik­folien zusammengebauten Hütte. Zwei nicht verschließbare Öffnun­gen dienen als Eingang und Fenster. Obwohl die Hütte sehr klein ist, schafft es das Tageslicht nicht, bis in die letzten Winkel zu kriechen. Schutz vor der sengenden Sonne und Regen bietet das Dach aus mehreren Lagen Palmwedeln. Möbel sucht man vergebens, der einzi­ge Luxus sind mit Pflanzen gepolsterte Schlafstellen auf dem Boden. Diese Hütte dient als Wohnung für Anindos Eltern, Oma und Opa, An­indo und seine zwei Schwestern. Beena ist fünf, Ragini drei Jahre alt.

Anindos Eltern sind sehr arm, sie können nicht einmal regelmäßig et­was zu essen kaufen. Für jeden der Familie gibt es am Tag nur eine handvoll Reis. Für die Kinder streuen die Eltern ein paar Kristalle Zucker darauf, weil es ihnen sonst nicht schmeckt und sie nicht genug essen. Den Reis kocht die Mutter in einem verbeulten Metalltopf über einem offenen Feuer.

Die Hütte besitzt weder Strom noch Wasser. Wasser muss sich die Familie wie alle anderen Armen in Kanistern aus dem Dorf holen. Dort gibt es einen alten Trinkwasser-Brunnen mit einem verrosteten Handschwengel. Von lautem Quietschen begleitet lässt sich der Schwengel nach widerwilligem Auf- und Abbewegen dazu herab erst ein paar Tropfen und dann ein unregelmäßiges Rinnsal herzugeben. Die Pumpe spuckt eine leicht trübe nach Salz schmeckende Brühe aus. Das Wasser muss immer abgekocht werden, bevor man es trin­ken kann, es ist nicht keimfrei. Das Wasserholen erledigt meistens Anindos Mutter. Es bereitet ihr große Mühe, die schweren Kanister die weite Strecke zu tragen.

Wasser zum Waschen gibt es im Armenviertel nicht. Die Menschen gehen mehrmals in der Woche zu einer nahe gelegenen Wasserstelle an einem kleinen Fluss, hier können sie sich reinigen. Ein Stück da­neben waschen sie ihre wenige Wäsche.

Tagsüber sitzt die Familie vor ihrer Hütte, die unerträgliche Hitze des Tages und die Enge zwingen sie nach draußen. Ihr Leben ist eintönig und anstrengend, aber die Familie erträgt ihr Schicksal, denn sie glaubt an eine Wiedergeburt nach ihrem Tode. Es kann ein Leben als Affe, Schlange, als Hungergeist oder auch wieder als Mensch sein, je nachdem, wie man vorher gelebt hat. Niemand weiß es. Ihr Gott heißt Buddha, was soviel bedeutet wie „der Erwachte“. Zu ihm beten alle jeden Tag für ein besseres nächstes Leben. Führt man ein gutes Le­ben, wird das nächste besser. Vielleicht ist Anindos Leben das fünfte oder zweihundertvierundsechzigste, das kann niemand sagen. Auch Anindo weiß es nicht und hat für sich beschlossen, es ist das einhun­dertvierunddreißigste.

Anindos schmaler Körper ist von schlechter Ernährung gezeichnet. Seinen Kopf bedeckt schwarzes leicht gelocktes Haar, das bis zu den Schultern reicht. Seine großen dunklen Augen blicken lebhaft umher und funkeln im Licht wie zwei polierte schwarze Glaskugeln. Das ha­gere Gesicht trägt oft die Spuren des Spielens in Form von getrock­netem Lehm. Obwohl er nicht sehr muskulös ist, bewegt Anindo sich schnell und kraftvoll. Das Besondere an diesem kindlichen Gesicht, das nicht oft gewaschen wird, ist die Lebensfreude, die es ausstrahlt. Beim Lachen bilden sich um die Nasenflügel kleine verschmitzte Falten und seine schneeweißen Zähne blitzen durch den leicht geöffneten Mund. Ein strahlender Kontrast zu der goldbraunen Farbe seiner Haut. Über einem zum Lendenschurz gebundenen Tuch trägt er ein zerrissenes viel zu großes T-Shirt mit dem Aufdruck Hard Rock Cafe Las Vegas. Ein Tourist schenkte es ihm letztes Jahr, als Anindo ihn im Dorf angebettelt hatte.

Seine Mutter ist eine kleine zierliche Frau. Wenn man sie ansieht, hat man das Gefühl, in das Gesicht einer gütigen Fee zu blicken. Ihre langen schwarzen Haare flechtet sie zu einem kräftigen Zopf zusam­men. Meistens legt sie ihn über die rechte Schulter nach vorne und er ist so lang, dass sein Ende bei jedem Schritt über ihre Oberschenkel pendelt. Anindos Mutter trägt ein dunkelrotes Wickelkleid mit golde­nen Rändern entlang der Schultern und dem seitlichen Abschluss. Alle Frauen hier tragen solch ein Wickelkleid, das man Sari nennt, und jede wickelt es mit ihrer eigenen speziellen Technik. So sieht selbst bei gleichem Sari-Stoff jede Frau individuell aus. Wenn Anin­dos Mutter in ihrem kunstvoll gewickelten Sari durch das Dorf schrei­tet, spürt sie, wie ihr die Blicke der Bewunderung folgen. Sie lächelt still in sich hinein und genießt diesen Moment der unausgesproche­nen Anerkennung.

Anindos Mutter hat von ihrer Mutter und die von ihrer die Technik der Batik erlernt. Das sind Bilder auf Stoff, die durch ihre besondere Her­stellung ein unverwechselbares Aussehen erhalten. Die Bilder ver­kauft die Mutter an Touristen, denen das sehr gut gefällt. Manchmal arbeitet sie die ganze Nacht hindurch bei Kerzenschein, weil sie bis zum nächsten Morgen ein Wunschmotiv fertig stellen muss. Groß­mutter hilft ihr häufig bei der Arbeit.

Anindos Vater ist ein schweigsamer, geduldiger Mann, der seine Frau und drei Kinder innig liebt. Er ist sehr unglücklich darüber, dass er ih­nen kein besseres Leben bieten kann. Für einfache Menschen gibt es aber hier so gut wie keine Arbeit. Man hilft sich untereinander und es gibt dafür dann mal einen Laib Brot oder Gemüse, selten mal ein Huhn. In der Hauptstadt Batticaloa gibt es einige reiche Leute in großen weißen Villen mit Swimmingpool, bei denen wenige Men­schen aus Chenkaladi arbeiten. Die Reichen wollen aber kein Perso­nal, das nicht lesen und schreiben kann. So gelingt es nur We­nigen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der Vater geht jeden Tag ins Dorf, um vielleicht eine kleine Gelegenheitsarbeit zu bekommen.

Anindos Vater ist trotz seiner Armut in Chenkaladi und Umgebung ein berühmter Mann. Immer wenn Besucher kommen, fragen sie: „Wo wohnt der Wundermensch?“ Vaters linke Hand trägt einen sechsten Finger neben dem kleinen. Da das jeder sehen will, lässt er sich ein kleines Trinkgeld dafür geben. Touristen lassen sich mit ihm foto­grafieren und bedanken sich mit einem besonders großzügigen Trink­geld. Es kommen aber zu wenige, davon leben könnte die Familie nicht.

Weder Vater noch Mutter, erst recht nicht die Großeltern können schreiben oder lesen. Die nächste Schule ist vor ungefähr 20 Jahren in Batticaloa gebaut worden, da waren sie schon zu alt dafür. Es gibt kaum Schulen in der Nähe der kleinen Dörfer und die Lehrer unter­richten lieber in den Großstädten, weil sie da mehr verdienen. Anin­dos Eltern sind viel zu arm, um ihre Kinder unterrichten zu lassen, selbst wenn es hier eine Schule gäbe. Sehnsüchtig wünscht sich An­indo, trotzdem einmal eine Schule besuchen zu können. Er ist jetzt schon acht Jahre alt und verbringt fast den ganzen Tag mit Betteln. Das Geld, das ihm mitfühlende Menschen schenken, gibt er seinen Eltern, um Reis zu kaufen. Etwas von dem Erbettelten hält er jeden Abend zurück und spart es, um irgendwann davon eine Schule be­zahlen zu können. Er legt das Geld in eine Plastiktüte, die er einem kleinen Erdloch in der Höhle anvertraut. Seine Eltern könnten das Geld zwar gut gebrauchen, aber sie denken auch an Anindos Zukunft und freuen sich, dass er so beständig sein Ziel verfolgt. Nur manch­mal, wenn das Geld so gar nicht reicht, muss Anindo mit seinem Er­sparten aushelfen. Das rückt seinen Traum weiter in die Zukunft, er macht es jedoch gerne, denn seine Familie ist wichtiger als alle seine Wünsche.

So vergeht jeder Tag wie der vorherige und es bleibt ihm nur sehr we­nig Zeit zum Spielen. Spielzeuge kennen Anindo und seine Freunde nicht. Sie denken sich selber irgendwelche Spiele aus. Manchmal stellen sie sich vor, ein bestimmtes Tier zu sein, etwa ein Krokodil oder ein Elefant. Sie versuchen dann, sich genauso zu benehmen, wie das ausgedachte Tier. Manchmal erfinden sie Geschichten und spielen sie anderen Kindern vor. Sie sind inzwischen gute Schauspie­ler und die Kinder, die zusehen, strahlen vor Begeisterung.

Wenn Anindo nach einem Betteltag wieder die alte Plastiktüte, die er wie einen Schatz hütet, aus dem Erdloch hervorkramt und Geld hin­ein gibt, muss er daran denken, dass ein großer Teil des Geldes lei­der nicht mehr da ist. Und das kam so.

Eines Nachts gab es einen riesigen Tumult im Dorf, man hörte Men­schen vor Angst schreiend aufgeschreckt herumlaufen. Einige wilde Elefanten hatten das Dorf überfallen und das Wenige, das die Be­wohner besaßen, zerstört. Auch die Hütte von Anindo war nicht mehr da. Man sah nur noch die Reste des Mülls, aus dem sie mal zusam­mengebaut wurde. Die Familie stand verzweifelt vor dem, was mal ihr Zuhause war und konnte nicht glauben, dass jetzt alles kaputt war.

Der Großvater erinnerte sich daran, dass es in der Nähe des Ortes noch eine alte Höhle gab. Hier könnte die Familie erst mal Unter­schlupf finden. Sie suchten in dem Schutthaufen ihrer Hütte nach brauchbaren Gegenständen wie Geschirr und Töpfen und jeder nahm soviel auf, wie er tragen konnte. Dann machten sie sich auf den Weg. Die Höhle war geräumig und bot Schutz vor der heißen Sonne. Aus Ritzen in den Wänden drang Wasser in die Höhle und der Boden war an einigen Stellen nass. Sie suchten sich eine trockene Stelle in der Nähe des Eingangs, wo noch viel Licht hereinfiel und legten ihr mitge­brachtes Hab und Gut dort ab.

Anindo und seine zwei Schwestern untersuchten erst einmal jeden Winkel der Höhle genauestens. Der hintere dunkle Teil machte sie besonders neugierig. Dieser Teil der Höhle war von einem heftigen Geflatter erfüllt, das die Kinder am Anfang ziemlich beunruhigt hat. Manchmal spürten sie einen ungewohnten Luftzug um sich herum, der sie mächtig erschreckte. Sie rannten dann schnell nach vorne zum Licht. Sie fühlten sich aber immer wieder von dem dunklen Ge­heimnis angezogen und versuchten, das eigenartige Geräusch zu er­gründen. Die Höhle war der Lebensraum von Hunderten Fledermäu­sen. Nachts haben sie die Höhle in Schwärmen verlassen, um Insek­ten zu erbeuten und zu fressen.

Sobald sich die Familie in der Höhle eingerichtet hatte, begann der Vater, die zerstörte Hütte aus den übrig gebliebenen Resten so gut es ging, wieder aufzubauen. Anindo half dabei fleißig mit. Mit seinem Va­ter lief er immer wieder in den Wald, um Äste für das Hüttendach zu suchen. Auch Palmwedel für die Abdeckung des Daches mussten sie besorgen. Anindos Vater musste dazu auf die Palmen klettern und die großen Blätter abschneiden. Anindo hat dabei von seinem Vater ge­lernt, wie man an dem glatten Stamm entlang läuft. Sie haben sich dazu ein paar junge Palmen mit einem nicht zu dicken Stamm ausge­sucht, den Anindo mit seinen kleinen Armen umfassen kann. Er hat den Stamm mit beiden Armen fest umklammert und versucht, die Füße dagegen zu stemmen. Das war am Anfang sehr anstrengend und schwierig. Sobald er einen Fuß gelöst hat, ist der andere wieder herunter gerutscht. So sehr er sich auch bemühte, er kam einfach nicht höher. Nach etlichen Versuchen gelang es Anindo dann endlich durch entsprechende Fußstellung und den richtigen Abstand zwi­schen Armen und Füßen, das erste kleine Stück zu erklimmen. Von den vielen Versuchen hatte er einen riesigen Muskelkater und ziem­lich abgeschürfte Arme. So nach und nach klappte es aber immer besser.

Leider konnte Anindo in dieser Zeit nicht mehr betteln gehen und er musste einen großen Betrag seiner jahrelangen Ersparnisse zum Kauf von Reis hergeben. Nach vier Wochen harter Arbeit stand wie­der so etwas wie eine Hütte da. Sie war jetzt noch ärmlicher als vor­her, die zerstörten Teile hat Anindos Vater nur notdürftig flicken kön­nen. Einige Gegenstände waren überhaupt nicht mehr zu gebrau­chen.

Die Familie zog wieder in die Hütte ein, Anindo ging jeden Tag zum Betteln ins Dorf, der Vater versuchte, etwas von der wenigen Arbeit zu bekommen, für die man Geld bekam, und die Mutter kümmerte sich um die Großeltern und die kleinen Mädchen.

Kapitel 2 - Anindos Freund ist sehr krank

Kinder, Brief, schmerzen, lesen, sicher, gerade

Anindo besitzt nur wenige Freunde. Sein bester Freund ist Ramesh. Ramesh ist 10 Jahre alt und erfahrener als Anindo, der erst acht ist. Ramesh hat Anindo einiges beigebracht, z. B. wie man beim Betteln den richtigen verzweifelten Gesichtsausdruck macht, um etwas zu bekommen. Sie haben das tagelang geübt, bis Ramesh zufrieden war. Ramesh lehrte Anindo: „Du musst die Mundwinkel ein ganz klei­nes Stück nach unten ziehen. Schließe die Augen ein klein wenig und sieh die Person nicht an, sondern stelle dir vor, du siehst durch sie hindurch. Wenn du die Augen nicht bewegst, werden sie von ganz al­lein ein wenig feucht und es sieht aus, als würdest du gleich weinen. Wenn nicht, stellst du dir was sehr Trauriges dabei vor. Gleichzeitig legst du deine Hände zu einer Schale zusammen und bewegst sie bittend auf und ab. Du erzählst, du hast Hunger und schon zwei Tage nichts mehr gegessen. Wenn die Leute weggehen, folgst du ihnen. Viele nervt das und sie geben dann etwas. Versuche es besonders bei Touristen. Sie sollten nicht zu reich aussehen. Wenn sie mit ihren Kindern unterwegs sind, bekommst du sicher eine großzügige Spen­de. Kinder möchten nicht, dass Kinder leiden. Deshalb überreden sie ihre Eltern, zu helfen. Bedanke dich mit mehreren tiefen Verbeugun­gen und wünsche dem Spender ein langes glückliches Leben!“ Meis­tens gehen Anindo und Ramesh zusammen ins Dorf, trennen sich aber dann, um an verschiedenen Plätzen des Dorfes ihr Glück zu ver­suchen.

Die letzten vier Tage ist Anindo allein ins Dorf gegangen. Ramesh ging es nicht gut. Er lag geschwächt auf seinem Ruheplatz und war oft schweißnass. Dann wieder lag er da und schüttelte sich wild, als hätte er in eine Steckdose gefasst. Trotz der unerträglichen Hitze sagte er: “Ich friere fürchterlich und mein Magen schmerzt schreck­lich.“ Wenn Anindo vom Betteln zurückkam, ging er immer sofort zu Ramesh, um zu sehen, wie es ihm geht. Er streichelte seine dürren Ärmchen und sprach tröstende Worte. Rameshs Gesichtszüge ent­spannten sich dabei und manchmal schlief er vor Erschöpfung ein. Anindo blieb dann immer noch ein bisschen sitzen und dachte daran, was ihm diese Freundschaft bedeutete und was er von Ramesh alles gelernt hatte. Er trottete missmutig und besorgt nach Hause zu seinen Eltern und gab ihnen das erbettelte Geld. Als Rameshs Zustand nach einer Woche immer noch nicht besser ist, nimmt Anindo einen Teil von seinen Ersparnissen und geht zu einer alten Frau, die schon bei manchen Krankheiten mit speziellen Kräutern helfen konnte. Sie hat keine medizinische Ausbildung, hilft aber seit vielen Jahren mit ihrem Wissen über die Wirkung von Kräutern und Pflanzenteilen den Kranken, die sich keinen Arztbesuch leisten können.

Die Frau, manche nennen sie boshaft Kräuterhexe, wohnt am Rande des Dorfes in einer kleinen Hütte, deren Mauern aus lose übereinan­der gestapelten Steinen bestehen. Auf den Mauern stützen mehrere armdicke Äste ein Dach aus Palmwedeln als Schutz gegen Regen und Sonne. Aus der Hütte dringt ein ungewohnter Duft, den Anindo zuvor noch nie gerochen hat. Über dem Eingang hängt ein handge­maltes Schild, auf dem ist zu lesen: Heilerin. Die Alte sitzt den ganzen Tag vor der Hütte und wartet auf Kunden. Wer vorbeigeht, wird von ihr freundlich begrüßt und über die neuesten Heilmittel und die dazu­gehörigen Krankheiten informiert.

Als Anindo dort ankommt, sieht sie verwundert auf. „Anindo, was treibt dich hierher? Bist du etwa krank?“ Sie sieht ihn mitfühlend an. Anindo spürt einen dicken harten Kloß im Hals und das Sprechen fällt ihm schwer. Er berichtet von den Schweißausbrüchen und dem Schüttelfrost von Ramesh. „Kannst du Ramesh helfen, ich glaube er erholt sich nicht mehr. Er ist seit einer Woche krank und wird jeden Tag schwächer. Essen behält er auch nicht im Magen?“ Er fügt hinzu: „Ich habe auch Geld dabei.“ Die Alte sieht Anindo lange gütig und schweigend an. Ihre Miene scheint besorgt.

„Anindo, das ist ein sehr großes Problem. Ramesh ist von dieser ver­fluchten Mücke gestochen worden.“ „Was meinst du damit? Mich ha­ben schon oft Mücken gestochen und ich bin nicht krank geworden.“ „Diese Mücke ist keine normale Mücke. Sie trägt den Tod in sich.“ An­indo schossen die Tränen in die Augen. „Muss Ramesh jetzt ster­ben?“ „Nein Anindo. Die Krankheit bleibt lange im Körper und wird Ramesh immer wieder heimsuchen. Wenn Buddha ihm Glück schenkt, muss er nicht sterben und wird noch viele Jahre leben.“ „Woher weißt du das alles?“, will Anindo wissen. Die Heilerin spricht weiter: „Die Krankheit heißt Malaria, Malaria ist unheilbar. Auch dieDoktoren in den reichen Ländern haben keine Medizin dagegen.“ „Woher weißt du das alles?“, bohrt Anindo erneut nach. „Anindo, ich habe in meinem langen Leben schon vielen Menschen geholfen. Ich weiß es aus Erfahrung. Ich bekomme auch immer wieder Briefe von Menschen, die sich für die Heilung bedanken.“

Die Heilerin greift in eines von vielen Gläsern mit Kräutern und fährt fort: „Ich gebe dir eine Medizin mit, die Ramesh kräftigt und das Fie­ber senkt. Aus dem, was ich dir mitgebe, muss morgens und abends ein Sud mit heißem Wasser gemacht werden. Den muss Ramesh in kleinen Schlucken trinken.“ Anindo ist besorgt aber trotzdem einiger­maßen beruhigt und voller Hoffnung. Kann er doch zumindest versu­chen, Ramesh zu helfen. „Was bekommst du für die Medizin?“ will Anindo wissen. „Gehe zu Ramesh und sorge dafür, dass er regelmä­ßig die Medizin trinkt! Komme in drei Tagen wieder zu mir! Wenn es Ramesh wieder besser geht, gebe mir was du willst. Wenn nicht, be­komme ich nichts.“ Anindo bedankt sich und läuft so schnell er kann zu Ramesh.

Ramesh liegt bleich und heiß vom Fieber reglos auf seiner Schlafstät­te. Anindo schüttelt ihn aufgeregt und redet auf ihn ein, dass er Medi­zin für ihn habe und dass jetzt alles wieder gut wird. Ramesh öffnet mühsam die Augen und sieht Anindo gequält an. „Ich gehe jetzt zu deinen Eltern, damit sie den Sud aus der Medizin machen“, erklärt Anindo. „Bleib wach, ich bin gleich zurück!“ Die Eltern, die vor der Hütte mit Nachbarn reden, hören das Gespräch mit an und Rameshs Mutter macht sofort Wasser heiß, um die Medizin zuzubereiten. Nach 10 Minuten, die Anindo endlos vorkommen, ist der Sud fertig und er führt den Becher mit dem Sud vorsichtig an Rameshs Mund, damit er davon einen kleinen Schluck trinkt. Das wiederholt er so oft, bis der Becher geleert ist. Ramesh schläft kurz darauf sehr erschöpft ein. An­indo verabschiedet sich von den Eltern und bittet sie, am nächsten Morgen diese Prozedur zu wiederholen, da er ja erst abends kommen kann. Anindo eilt nach Hause und legt sich sofort auf seine Schlafstel­le. Er kann von all den Erlebnissen gar nicht einschlafen, obwohl er sehr müde ist. Anindo spricht noch ein kurzes flehendes Gebet und bittet Buddha, Ramesh wieder gesund zu machen, dann fallen ihm die Augen zu.

Am nächsten Abend, als er bei Ramesh ankommt, sitzt der auf der Schlafmatte und erwartet Anindo bereits. Er hat eine Banane geges­sen und das Fieber ist nicht mehr so hoch. Nach zwei weiteren Tagen wirkt Ramesh deutlich erholt, so dass er herumlaufen kann und wieder problemlos Essen im Magen behält. „