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Kaum haben Jakobli und Meyeli geheiratet, befällt Unheil das Haus der Jowägers. Ihr kleiner Sohn Köbeli erkrankt, und seine Großmutter Anne Bäbi vertraut lieber auf die urtümlichen Heilkünste des Vehhansli, als auf den Dorfarzt zu hören. Als Köbeli schließlich seiner Krankheit erliegt, verliert sich Anne Bäbi in Selbstvorwürfen und stürzt dabei den Hof ins Chaos. Eindrücklich zeigt Gotthelf, wohin nicht nur Aberglaube, sondern auch unverheilte seelische Wunden führen können. Ein psychologisch tiefgründiges Porträt einer Epoche, das seiner Zeit weit vorauseilt.
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Seitenzahl: 797
Veröffentlichungsjahr: 2025
Jeremias Gotthelf
oder Wie Anne Bäbi Jowäger haushaltet und wie es ihm mit dem Doktern gehtZweiter Teil
roman zürcher ausgabe
Herausgegeben von Philipp Theisohn Mit einem Nachwort von Charles Lewinsky
Diogenes
Mit Bangen entlässt der Verfasser diesen zweiten Teil seines Anne Bäbi; an schwere Fragen hat er sich gewagt und fürchtet jetzt, die Art, wie er sie zu lösen versucht, möchte missverstanden werden. Der Verfasser will niemanden seinen Glauben aufzwingen, aber jeden Leser möchte er um den Glauben freundlich bitten, dass es ihm Ernst ums Herz und um Treue und Wahrheit zu tun gewesen. Wer an geistlichen Dingen in einem sogenannten weltlichen Buche sich ärgert, der lege es weg, oder er bedenke, dass auch Gott Irdisches und Geistliches mischt im großen Weltenbuche und im Menschen selbsten und dass jedes weltliche Buch Geistiges enthalten muss, wenn es kein schlechtes sein soll.
An der Verteilung der Rollen möchten andere sich ärgern und dass einem Mitglied des geistlichen Standes eine zugeteilt ist, welche eben keine glänzende Seite darbietet. Die Verteilung der Rollen ist ein Vorrecht des Schriftstellers, über dessen Gebrauch er sich bloß vor dem Throne der Wahrheit zu verantworten hat. Zudem glaubte der Verfasser, diese Rolle gegenüber dem eigentlichen Arzte einem eigentlichen Geistlichen und nicht einem geistlichen Herumzügler zuteilen zu sollen, auch hielt er es für nicht unehrenwert, die Schwächen seines Standes, welchem anzugehören er es sich zur höchsten Ehre rechnet, nicht zu verschweigen.
Sollte aber jemand meinen, die ganze Rolle und die Fragen, welche sie berührt, hätten füglich ausbleiben, weil sie leicht Ärgernis geben können, im Kanton Bern übrigens gar nicht nötig gewesen wären zu berühren, der würde vielleicht von einem Arzte die Bedeutung dieser Fragen am besten vernehmen können, in Beziehung auf den Kanton Bern möchte die Bemerkung erlaubt sein, dass dieses Buch nicht bloß für die lieben Mitbürger bestimmt ist.
Doch statt allen Antworten auf alle Bedenken wiederholt der Verfasser noch einmal die freundliche Bitte: in guter Meinung zu nehmen, was in ehrlicher Treue gegeben worden.
J.G.
An Jakoblis Hochzeittage hatte über seinem väterlichen Hause die Sonne nicht geschienen. Anne Bäbi rumorte übel im Hause herum, wusste aber selbst nicht warum. War es Zorn, dass die Heirat doch nun erzwängt sei, war es das unheimliche Gefühl der Schwiegermutter, der eine Schwiegertochter ins Haus zieht, die Nachfolgerin, vielleicht auch die Nebenbuhlerin in des Hauses Meisterschaft, oder war es gar das merkwürdige Misshagen, welches oft den Menschen ergreift, wenn er etwas erzwängt hat, das ihm hintendrein nicht recht ist, dessen Schuld er lange auf keine fremden Achseln zu schieben weiß. Anderthalb Tage hatte es Jakobli nicht gesehen, und wie viel Liebesangst oder ängstliche Liebe kann nicht in anderthalb Tagen in einem Mutterherzen erwachen, und besonders wenn während diesen anderthalb Tagen das Kind Hochzeit hält? Was konnte Jakobli in dieser Zeit alles erfahren, alles aufgelesen haben, wie konnte er heimkommen zu Fuß und ohne Mähre?
Es ist möglich, dass von allen drei Dingen in Anne Bäbis Herzen war, aber wer will es entscheiden, da unsere Augen so selten ins eigene Herz hinunterschauen, geschweige denn in ein fremdes. Das kam an Tag, dass die innere Pein immer mehr dem armen Meyeli zur Last geschrieben ward, denn immer häufiger entfuhren Anne Bäbi Worte, die wie Täschli, Lumpenmönsch usw. lauteten.
Mädi ermangelte nicht, ins Feuer zu blasen; es mochte Anne Bäbi seinen Ärger gar herzlich gönnen und immer herzlicher, je größer er ward. So wie für sich selbst sagte es, für eine Lustreise sei heute schön Wetter, es wäre heute gut, einen Trossel zu führen, der Regen verderbte ihn nicht. Es nehme ihns nur wunder, ob sie mit zwei Wagen kämen oder nur mit einem und ob es nicht Platz machen sollte, für die Sachen abzustellen. Anne Bäbi sollte ihm raten, ob es die junge Meisterfrau ehren müsse; »säg, Marei« werde wohl zu unhöflich sein für son e Zimpferlige. Hansli, der im Vorbeigehen so was hörte, kam es übers Herz, und er sagte: Es duech ihn, er wollte nicht in Sachen reden, die ihn nichts angingen, und niemanden den Plätz machen, ehe man ihn gesehen.
Diese von Hansli unerhörte Zurechtweisung nahm Mädi bedenklich übel. »So, kömmt das schon so, ehe das Täschli noch im Hause ist«, sagte es, »wohl, das wird schön gehen. Aber es ist gut, dass man mit solchen Leuten nicht verheiratet ist und dass man öppe sy cha, wos ist. O jere, wenn ih de uslah, ih well wyter, de wirds de es schöns Gschryß gäh um mi, u mängi längi Nase wirds gäh; aber i Gottsname, meh as a eys Ort cha e Mönsch nit.«
Auch Hansli war es bang ums Herz, und je näher der Abend kam, umso banger, doch sagte er es niemanden. Aber er stand fast wie genagelt neben dem Brunnenstock, von wo man den Weg nach Raxigen übersah, rauchte aus Leibeskräften, und doch wollte das Pfeifchen nie brennen, und so streng er anzündete, ebenso streng musste er von Neuem Feuer schlagen, was nie mit einem Streiche abging und manchmal nicht mit einem Dutzend. Hansli hatte den Grundsatz, nichts zu g’schänden, daher warf er keinen Feuerstein fort, solange er ihn noch in den Händen behalten konnte, und wenn er auch rund war und nirgends eine Ecke hatte wie ein Marmorkügelchen. Anne Bäbi schnauzte ihn oft deswegen ab, wenn er eine ewige Zeit dängelete, ehe er Feuer hatte, ja, es kramte ihm einmal ein Druckli Streichhölzchen. Das sei eine b’sungerbare Sache, sagte Anne Bäbi, und Chumligers hätte es nichts gesehen noch. Aber Hansli sagte, von solchem hätte sein Vater und sein Großvater nichts gewusst, und wenn nicht der Teufel die Finger darin hätte, so käme es nicht erst jetzt auf. Er kam damit ab Weg, man wusste nicht wohin, und erklärte rundweg, dass, solange er öppis zu sagen hätte, selligs Züg nicht mehr in sein Haus kommen solle. »He«, sagte Anne Bäbi taubs, »was frag ich dem nach; wenn du Freud am Dängele hast, so dängele, aber myr Lebtig krame ich dir nichts mehr, und wenn ich Feuer mangle, so kann ich öppe machen, dass ich von einem Mal zum andern auf der Feuerplatte finde.« Seither hat Hansli oft gesagt, wie er es den Hölzlene gemacht, und wenn d’Regierige so witzig wäre wie er, so verböte sie dieselben ganz, denn die halbe Brünste kämen von dene schießige Hölzlene, u de söll afe alles azündet worde si, wes d’Lüt doch ume v’rliechtsinniget heyge. So tubakete und dängelete Hansli am Brunnenstock, während Sami tränkte und im Stall hantierte.
Lang schnürfelte die Mähre im Brunnen, und als endlich Sami, der unterdessen gestreut hatte, kam, um sie hineinzujagen, hatte sie fast Mut zu einigen ungattlichen Sprüngen. »Wenn ich Meister gewesen wäre«, sagte Sami, »so wäre mir die auch nicht zwei Tage z’leerem im Stall gestanden, während der Bub z’Hochzeit hat laufen können.«
»He ja«, sagte Hansli, »es ist bald viel zwängt; aber je mehr sie zwängen, desto mehr soll man z’Schuld sein, und sagt man ihnen etwas ab, so hat man Hungs bös bei ihnen.« Er sehe keinen Unterschied, sagte Sami, zwängt oder nit zwängt, es duech ihn, sie seien alle Tage g’hässig. »Und wenn ich es gezwängt hätte«, sagte Hansli, »so hätte es doch nichts abgetragen; laufen oder ryten, man kömmt am Ende doch an einen Ort.« – »Allweg«, sagte Sami, »aber es wäre mir doch wegem allgemeinen Gebrauch, und dass ich auch wüsste, wer Meister wär.« – »Selb wundert mich nicht«, sagte Hansli, »u wegem Bruuch kömmts immer darauf an, ob man es hat oder nicht hat; hat mans (vermag mans), so hat man dem Brauch nichts nachzufragen.«
»So, das ist mir e sufere Sach«, keifte es hinter ihnen. »Während ich mich halb töten muss, machst du, als ob dich die ganze Sache nichts anginge, und wer hets zwängt, ich frage, wer hets zwängt, dass e sellige Schnuderbub scho hochzitet?« – »Es hat mich wundergenommen, ob sie bald kommen«, sagte Hansli. »Und wenn es mich schon wundernähmte«, sagte Anne Bäbi, »so zöge es mir sich doch nicht, dazustehen wie ein Stock und z’ölgötzen. Da will e jedere Schnürfli zwänge, was ihm i Gring schießt, aber dass dann zuletzt alles in der Ordnung sei, dafür zu sehen, ist dann Anne Bäbi gut genug. Aber wenn du Fleisch willst z’Nacht, wie es öppe der Bruch ist an einem Hochzeit z’Nacht, so komm und hau ab, und wenn du Wein willst, so gib Geld oder schick neuere.« – »Wie d’meinst«, sagte Hansli. »Wie d’meinst, wie d’meinst«, sagte Anne Bäbi, »man sollte meinen, was ich zu befehlen hätte, wie d’meinst, u macht es nieders nach seinem Gring, und z’letsch muss ich doch zu allem luegen, wes gut gehen soll, und was für einen Dank hab ich dafür: es Söhniswyb, wie es einem jeden Bettler ab dem Karren fallen könnte.«
»Das dünkt mich wunderlich«, sagte Sami, als Hansli ihm Geld gab für Wein, »dass die in der Küche jetzt ein Mahl machen wollen und tun doch den ganzen Tag nichts als branzen und balgen, dass es einem duecht, Säuerdäpfel sollten ihnen zu viel scheinen.« – »He«, sagte Hansli, »das chunnt vo wegem Zwänge, wenn ih vo Fleisch und Wein gesagt hätte, so hätten wir es mit saurer Milch und halbg’schwellten Erdäpfeln machen können.«
Schon lange war der Wein z’weg und das Fleisch essbar, aber kein junges Ehepaar ließ sich merken. Die Sterne glitzerten immer schöner am Himmel, aber immer dunkler wurden Anne Bäbis Stimmungen, immer deutlicher der Jammer über den Sohn und immer lauter der Ärger über das Söhniswyb. Ja, es kamen ihm sogar Beispiele in Sinn, wo eine Dirne Hochzeiterin geworden, auf dem Heimweg den jungen Mann gemordet und mit Geld und Uhr sich davongemacht, dass man nie ein Wort von ihr gehört, gäb wie man nachgefragt. Es hielt sich nicht dafür, sonst wäre es ihnen längst entgegengegangen mit Mädi und der Laterne. Das Mannevolk schicken mochte es nicht, die sollten nicht wissen, wie es ihm war. Aber mehr als hundertmal sagte es, und Mädi wiederholte es mehr als zweihundertmal, es sei ihm nichts so z’wider als das verflucht Mannevolk. Hätte man es nicht nötig, so stehe es einem allenthalben im Weg, und könnte man es brauchen, so zeige sich kein Schnürfli, und wenn man sie am wenigsten begehre, so hängten sie das Maul in alles, und dann wiederum tät längs Stück kein Stock das Maul auf, und wenn sie etwas sinnen sollten, so sei’s, helf ihm Gott, als ob sie gar kein Hirni hätten. Die Türks Donstige, wenns ume keine hätt’ müsse schmöcke syr Lebtig!
Wenn Anne Bäbi gewusst hätte, wer ungefähr eine Viertelstunde von ihm auf einem Abweissteine saß und weinte und sich gar nicht trösten konnte, es weiß kein Mensch, was es angefangen hätte.
Dort saß Meyeli mehr als eine halbe Stunde, und immer neuer Jammer entströmte seinen Augen, wie bei hartem Regen ein Bach nach dem andern anläuft und dem Hauptstrome sich zustürzt. Vom Stolze, eine reiche Frau geworden zu sein, fühlte es auch nicht die geringste Regung, sondern die Gefühle seiner Niedrigkeit, seiner Armütigkeit, und wie es im neuen Hause sich bewegen solle, dass es recht sei, und wie es Jakobli vergelten könne, dass er ihns erwählet; aber wie es sich diesen Abend schämen müsse in seinem Staate und morgen in seinen Hüdelenen, das tauchte eins nach dem andern auf, und wenn Meyeli einen Jammersturm beg’wältiget hatte, die Tränen abwischen, sich aufrichten wollte, so gärte es neu in den Kammern seines Herzens, neues Schluchzen zuckte in seinem Halse, neue Tränen strömten ihm nach.
Jakobli war es himmelangst bei der Sache, und darum fand er das rechte Trostwort nicht, gäb wie er es suchte, und das machte Meyeli wieder elend, und es dünkte ihns, Jakobli sei schon reuig, und er schäme sich, mit ihm ins väterliche Haus zu ziehen, er sagte ja nichts als »schwyg ume, schwyg« und sagte nicht: »Chum doch recht u stang uf, si werde daheime blange u längi Zyti ha nah is.« Es pressierte Jakobli also selbst nicht, meinte es; so gehe es, wenn ein arm Meitschi einen reichen Burschen heirate, und wenn doch nur alle ein Exempel nähmten an ihm, dachte es. Es dünkte ihns, wenn der liebe Gott ihm nur über die erste Stunde, die ersten Tage helfen wollte, so wollte es sein Lebtag zufrieden sein mit allem, was ihm zustoße, und nie mehr klagen und sich unterziehen Gott und Menschen. Und wie es dieses dachte mit unaussprechlichem Seufzer, zog durch den klaren blauen Himmel ein heller Stern zwischen ihm und Jakobli durch dem elterlichen Hause zu; rascher und rascher glitt er, dass es fast einen Schein gab, und über dem Hause schwand er. Da war es Meyeli, als dränge des Sternes heller Schein in sein dunkles Herz und verscheuche dort des Jammers Gestalten, und eine Verheißung sei ihm gegeben, dass es getrost sein, sich aufmachen solle, Gott werde mit ihm sein. Als seine Mutter noch lebte, hatte sie ihnen einmal erzählt, wenn man schnell einen schönen Wunsch tue, während ein Stern durch den Himmel fahre, so werde derselbe erfüllt. Seither hatte es gar manchmal in den blauen Himmel gesehen, hatte in seinem Herzen einen schönen Wunsch gerüstet und in frohem Bangen auf den Stern gewartet, der ihn vor Gott tragen sollte. Und wenn er kam, vertraute es schnell ihm an, was es ausgesonnen, und allemal war es ihm leicht geworden ums Herz, und in kindlicher Zuversicht legte es sich schlafen, dass sein Wunsch jetzt schon vor Gottes Thron und einem Engel die Erfüllung aufgetragen sei. Jetzt hatte es an keinen Stern gedacht und doch einen frommen, schönen Wunsch im Herzen gerüstet, da sandte ihm Gott selbst einen Stern, der den Wunsch mitnahm und die Zuversicht der Erfüllung einem hellen Scheine gleich durch seinen finstern Jammer hindurch ihm ins Herz warf. Das ist der Segen frommer Gemüter, dass sie solch wunderbaren Tröstungen, von denen die Unfrommen keine Ahnung haben, offen sind, sie empfangen mitten in des Lebens wildestem Sturm, sich an ihnen aufrichten, wenn Last und Druck der Welt am größten sind. Wie Öl, aufs Meer gegossen, desselben sturmbewegte Wellen sänftigen soll, so klärte der helle Stern Meyelis Gemüt, die Fluten erhoben sich nicht mehr, kein Schluchzen brach mehr hervor aus des Herzens Klüften, es fasste sich zum Gehen. Doch vorher hängte es noch die schweren Göllerkettelein aus, von denen es fürchtete, dass die Mutter an ihnen das erste Ärgernis nehmen möchte, die breiten Haften, welche unter dem Tschöpli hervorsahen, hätte es gerne verborgen, das ließ sich aber nicht tun, dann sagte es zu Jakobli: »Ich denke, wir gingen in Gottes Namen.«
Mit jedem Schritt leichtete es Meyeli; heiteres Gottvertrauen breitete sich über seine Seele aus, und es war ihm, als rege sich eine Kraft in ihm, die sich nicht verbittern lässt, die alles duldet, nie das Ihre sucht.
Das Licht im dunkeln Hause wurde glänzender, und Jakobli schien es, als rutsche der Weg ihm unter den Füßen weg und das Haus auf den Hals, dass es eine grüsliche Sach sei, und endlich sagte er dem Meyeli, er hülf nicht so laufen. Ihm war es noch bitter angst; er war von denen einer, die merken, was kommen kann, aber in sich keinen Rat finden, auf das Kommende einzuwirken, abzuwenden und herbeizuführen, was in der Menschen Kräfte liegt. Kaum wird es diesen übler gehen als denen, die in selbstbewusster Kraft dem Ereignisse entgegengehen; jedenfalls geht es ihnen besser als denen, welche in vorwitziger Üppigkeit in das Rad des Schicksals greifen; aber das schwere Bangen vor den entscheidenden Stunden ist ihr eigentümlich Teil, dem sie nicht loswerden, während der, welcher seiner Kräfte sich bewusst ist, besonnen sie braucht, gefassten Mutes in die Gefahren geht.
Schon hörte er den Brunnen rauschen, sah aber keinen Menschen, keinen Schatten sich bewegen; das war ihm ein bös Zeichen. Er hatte erwartet, dass ihnen wenigstens Sami entgegenkommen werde, wenn nicht der Vater selbst, und dass die andern ums Haus herumstehen würden zu einem freundlichen Empfang. Man glaubt gar nicht, wie schwere Lasten man durch ein Entgegenkommen abnehmen und wie leicht ein freundlicher Empfang vor dem Hause den Eintritt in ein Haus machen kann.
Endlich regte sich etwas, aber Jakobli erschrak, er meinte, der Brunnenstock spalte sich in zwei Teile, und der eine Teil schwanke hin und her. Aber es war Hansli, der ausguckte, von wannen sie kämen, und dem, als er endlich sie erkannt hatte, es sich zweiete, sollte er sie begrüßen oder den ersten Gruß Anne Bäbi gönnen, da bekanntlich Anne Bäbi in sonderbarem Grade die Kunst besaß, bei übler Laune an jeder Rede und jeder Handlung Anstoß zu nehmen; daher Hansli sich sehr ausgebildet hatte in der Kunst, weder zu reden noch zu handeln, sobald bei Anne Bäbi die böse Laune im Anzug war. So bildet ein Mensch den andern Menschen. Indessen gewann diesmal doch das Bewusstsein des Vaters die Oberhand, und er trat unter dem Dachtrauf hervor und hieß sie willkommen in Gottes Namen.
Meyeli konnte nicht satt werden, des neuen Vaters raue Hand zu schütteln und zu drücken, aber Hansli sagte, sie sollten machen und hineinkommen, sie hätten afe längi Zyti nach ihnen gehabt, und je weniger lang das Weibervolk warten müsse, desto besser sei es. Dem Meyeli nahm er trotz dessen Sträuben den Bündel weg und sagte, er sei ihm ja nur im Weg, und er wolle ihn gleich dahin tun, wo er hingehöre. »He nu, so nimm den auch gleich«, sagte Jakobli und reichte dem Vater den andern Bündel; es ward ihm so leicht, als ob das Säcklein 7 Zentner schwer gewesen wäre.
»Si chöme, si chöme«, rief Mädi, das, wenn es wollte, seine Ohren offen haben konnte, wenn schon sein Maul ging. »Meinethalb«, schnauzte Anne Bäbi, »wären sie doch nur geblieben, wo sie gewesen sind; ist das afe e Manier, heyz’cho ame ne Hochzyt? Schon vor mehr als einer Stunde hats sieben geschlagen.« Indessen gewann doch auch bei Anne Bäbi die Mutter die Oberhand über den Kyb, und als eine freundliche Stimme unter der Türe sagte: »Guten Abend geb Euch Gott, segnihs Gott Usgang und Ygang und b’hütis vor allem Bösen in alle Ewigkeit«, so sagte Anne Bäbi: »He nu so de, su sygs eso, bis Gottwilche, du wirst doch das neu Sühniswyb sölle sy?« – »Ih sött«, sagte Meyeli, »u wes Gottes Wille ist, so will ich öppe tue, dass si niemere über mi z’erchlage het u Jakobli si nit reuig wird, so nes arms Meitschi g’no z’ha.« – »He nu so de«, sagte Anne Bäbi, »mi cha de luege; öppe zu dene wüstiste Hünge bist o nit cho u musst dy Sache öppe ha, wed scho nüt ykehrt hest, u wär’s ume Jakoblis d’wege. D’rnebe v’rspricht mänge alles Guts u git notti d’r wüstist Hung ab. Aber chömit yche, mir wey esse, es kaltet sonst alles.« Bei der Wendung nach der Türe sah Meyeli Mädi beim Schüttstein stehen, ging auf ihns zu, bot ihm die Hand und sagte: »Bis mir auch Gottwilche, du wirst z’Mädi sy; Jakobli hat mir viel b’richtet, wie du ihm abgewartet und ihm g’luegt heygist.« Mädi wusste, während es sich die Hand am Fürtuch abstrich, nicht, sollte es rauen wie eine Katze oder schnauzen wie ein Hund, von wegen es konnte beides, und sagte daher nur: »Ih darf d’r d’Hang fast nit gäh, ih ha gar e wüesti, vo wege die het gar wenig Sundig g’ha; die junge Meitscheni hey se jetz scho zimpferer. He nu ja so de, su bis m’r mynetwege o Gottwilche!«
Mädi hätte gerne etwas angehängt, aber Anne Bäbi sagte: »Rüf, m’r welle esse.«
»Rüf, m’r welle esse!«, wiederholte Mädi im Hinausgehen, »da meint der alte Sturm, als mangle es nichts als z’bifehle; aber bim Wetter, gäb ih m’r de myr Lebtig geng so will lah bifehle, gohn ih lieber u häyche mi. Ihr söllit yche!«, brüllte es Hansli und Sami an, auf die es draußen im Schopfe stieß. Während Sami am Handtuch in der Küche seine Hände abtrocknete, fragte er Mädi boshaft: »U wie g’fallt si dr, ist sie so hübsch wie du?« – »Gang yche u lue selber, du Möff«, sagte Mädi. »Um mängs tusig Pfung möcht ich kes selligs G’fräß ha, wo me z’ganz Jahr ire Drucke ha muss wie z’Sundekappe, wes nit abschieße söll, und wo brämt (von Ruß geschwärzt) wird, wes e Mönsch aluegt u b’sungerbar de so ne Drecksami.«
»Du hast recht«, sagte Sami, »wenn ich es hätte wie du, es wäre mir auch so. Es mag deinem Gesicht geben, was es will, wüste kann es nicht, ume hübsche. Und da weiß ke Tüfel, wenn recht viel darüber geht, und wenn du hundertjährig wirst, wie hübsch du zuletzt noch wirst, vielleicht wie eine Königstochter.«
»Emel hübscher als du, weißt’s, du Karrensalbküng du, was du bist, u du wärist froh, wenn du o hundertjährig würdest. Aber d’Lüs werde di lang vorher g’fresse ha, wennd ne nit öppe z’fast steychst.« – »Du wirst dich meinen«, sagte Sami und wollte das Gefecht fortsetzen, aber Hansli sagte, er hülf, si wette yche, selligi Wort ame sellige Tag trage nüt ab. Man sollte immer achtgeben, was man rede, aber b’sungerbar a sellige Tage, da bedeutete alles etwas, un öppis Wüsts werd chum öppis Guts bidüte, darum duechte es ihn witziger, sie schwiegen.
Mädi deckte seine Zähne ab und wusste nicht, was machen, denn so war Hansli ihm noch nie gekommen; aber ehe es sich besonnen hatte, war derselbe in der Stube.
Drinnen stand die Lampe auf dem Tisch, die Kaffeekanne auf dem Ofen, und Jakobli und Meyeli saßen oben am Tisch und hatten Eiertätsch auf einem Teller und Brot daneben. Meyeli hatte sich untenan setzen wollen, wo sonst d’Jumpfere hocket; das hatte Anne Bäbi b’sunderbar gefallen, und bei sich selbst hatte es gedacht: »He nu so de, so ist’s doch no es manierligs Mönsch, wes scho nüt het. – Seh, hockit da obe a Tisch nebeangere, so ist’s der Bruch, we me Hochzit g’ha het, morn prediget de scho en Angere.« Und Meyeli war ohne Zimpferigi da oben hingesessen, hatte sich gehorsam unterzogen, saß auch still da oben, ließ Anne Bäbi machen und einschenken und vorlegen, kein Zeichen tat Meyeli, Anne Bäbi etwas abnehmen, vorlegen oder einschenken zu wollen. Von wegen auf dem Lande besteht die Meisterschaft im Selbstmachen und nicht im Zusehen und Befehlen, und ein Söhnisweib, das mit städtischer Zuvorkommenheit der Schwiegermutter ihre Geschäfte abnehmen wollte, würde sich nicht nur bei einem Anne Bäbi, sondern noch bei ganz andern schlecht empfehlen. Das chöm nicht gut, würde es heißen, schon den ersten Abend hätte sie die Finger in allem haben, alles regieren wollen.
Als Hansli und Sami hineinkamen, stand Meyeli auf, und zu Hansli sagte es, es wolle jetzt in der Stube innen ihm noch die Hand geben und ihm nicht nur wünschen, dass Gott ihm einen guten Abend gebe, sondern ein langes Leben und G’sundheit bis äne us. Dann ging es zu Sami, gab auch ihm die Hand und sagte, das werd Sami sein allem an. Es denk’, sie wollen im Frieden beieinandern sein, an ihm solle es nicht fehlen, und wie Jakobli säg, werd sich das mit Sami schon machen. Den beiden Schnürflene, wie Anne Bäbi sie gewöhnlich nannte, wurde es ganz wunderlich; es war ihnen fast, als ob man ihnen mit rohen Zwiebelen im Gesicht herumgefahren wäre, aber Anne Bäbi sagte schnell: z’rühmen mangle sich da nichts, und sie sölle niederhocke u näh, es kalte sust. »Aber wo bleibt Mädi, die schießige Knieppe« (eine, die nicht vorwärtskömmt), sagte Anne Bäbi und rief zur Türe hinaus: »Warum chunnst nit?« – »He, es het mi niemere heiße ychecho«, antwortete Mädi. »So, das wär m’r afe, we me no d’Jumpfere apparti sött heiße cho esse, wo me gnue z’tüe het, dene Stopfine nahz’laufe, u wed nie hättist welle cho, oder mi hät di g’heiße, du liefest längst nit meh da ume, dä Sturm«, sagte Anne Bäbi zur Stube hinein. Endlich kam Mädi wie eine Wolke voll Blitz und Donner, die nur aufs Anrühren wartet, um zu platzen und das gewaltigste Wetter loszulassen aus ihrem Bauche.
So saßen endlich in düsterm Lampenschein die Sechse beisammen, die unter einem Dach fürder leben sollten, sie aßen und tranken, wer aber die Blicke sah, die verstohlen herumfuhren von einem Gesicht zum andern Gesicht, der merkte wohl, dass bei Essen und Trinken die Seelen der Sechse nicht waren. Gar hell glänzte oben am Tische Meyeli, seine blauen Augensterne strahlten freundlich über den Tisch weg, aber auch seine großen silbernen Haften glänzten und wollten sich nicht verdecken lassen, gäb was Meyeli auch versuchte; denn Mädis Augen hefteten sich darauf wie Katzenaugen auf das Mäuseloch. Je schneller die Blicke sich kreuzten, desto langsamer bewegte sich die Rede um den Tisch herum, wie die Tritte eines Furchtsamen an einem dunkeln Orte, der oft stillesteht, lange tappet, ehe er einen Fuß weitersetzt. Was ist unsere Rede anders als eine unsichtbare Hand, wunderbar und vielfach gefingert, mit welcher wir fahren über unserer Mitmenschen Gemüter. Und diese Gemüter sind die Instrumente, aus denen Töne quellen bei jeder Berührung, himmlische und himmelschreiende, eben je nach der Berührung. Jedes Instrument gibt einen andern Ton, eine andere Antwort dem Finger, der darüber hinfährt, und wie die Harfe Wind und Wetter fühlen und je nach Regen oder Sonnenschein andere Töne geben soll, so gibt des Menschen Gemüt andere Töne des Morgens, andere des Abends, andere vor dem Essen, andere nach dem Essen, andere nach einem Glas Wasser, andere nach einem Glas Wein, andere nach jedem andern Gesicht, das man gesehen, andere nach jedem Blick, den eine Hausfrau in Küche und Keller getan oder gar auf eine Staubdecke, die nicht sein sollte und doch ist. Das ist nun die unendliche, nie auszulernende Kunst, und Takt wird sie genannt, die Tasten der Gemüter immer so zu berühren, dass sie nicht gen Himmel schreien, nicht donnern, nicht toben, nicht züngeln spitzig und giftig, sondern fein manierlich aufquellen, wohllautend und schön tönend in mannigfachen harmonischen Weisen sich ergehen und rührsam und wohltuend verklingen, sodass ein süßer Ton in der Seele nachklingt, wie wenn Götter verschwinden ein himmlischer Duft die Luft erfüllt, nach des Teufels Abgang aber ein bestialischer Gestank. Dieser Takt wird wie anderer Takt mehr angeboren als angelernt; aber wie alles auf Erden unvollkommen ist, so ist auch der noch nicht gefunden worden, der taktfest war auf jedem Instrument, dem es nicht entgegengixete und -gaxte, wenn er zur zartesten Melodie angesetzt zu haben glaubte. Es gibt musikalische Tölpel, die fahren mit ihren Fingern überall und zu jeder Stunde herum, und wie grässlich es ihnen entgegenklingt, sie haben ihre Freude dran, wenn es nur klingt. Kunstverständige setzen mit großer Vorsicht sich hinter ein fremdes Instrument, und eines, von dem sie wissen, dass es verstimmt ist, lassen sie stehen, bis es anders gestimmt ist. Aber das ist der Gugger mit dem Instrument in des Menschen Brust, dass dieses gerade, wenn es am verstimmtesten ist, am meisten nach Fingern verlangt, welche auf ihm herumfahren. Aber nicht immer, um Laut zu geben und so recht vaterländisch wüsten, sondern um gar keinen zu geben, denn gerade wer kupen will, der wird am täubsten, wenn niemand zu ihm reden will, von wegen, wenn niemand einen anredet, so hat man auch niemanden zu antworten, und wer merkt es da, dass man eigentlich kupe, und warum kupet man, als dass man es merke? Ich frage. – Ach, wie mancher arme Teufel hat es erfahren, was es heißt, nicht reden zu jemand, der kupen will, oder auch nichts reden zu jemand, der verstimmt ist. Der wusste fürder, wie man aus dem Regen in die Traufe kommen kann. Das ist übrigens ein Kapitel, über welches junge Ehemänner sich eigene Vorlesungen sollten halten lassen und sie schön honorieren. Doch bewahre, dass ich damit sagen will, dass nur junge Weiberherzen verstimmt sein können, bewahre! Es gibt der alten Weiberherzen in die Tausende, die ruggen und raxen, wenn man sie anrührt nur von Weitem mit einem Stecklein, wie die Türen unserer leeren Kornhäuser ruggen und raxen würden, wenn man sie wieder einmal öffnen täte. Aber alte Ehemänner haben sich etwas angelernt, wie dumm sie daneben sein mögen, sie wissen ungefähr, was sie zu sagen haben, dass es am wenigsten macht, wenn die Frau die Verstimmig hat, und gar mancher findet sich am besten dabei, wenn er geradezu mit dem Finger düpft, als ob seine Frau eine geladene Elektrisierguttere wäre, ein Schlag oder zwei, und der Teufel ist raus, das Wetter vorbei; aber eben, was gut ist, lernt man nur durch Erfahrung und bei gutem Willen.
Offenbar schwebte Bangigkeit über dem Tische, wo die Sechse aßen und tranken, und band die Rede der Mehrzahl. Mädi saß da wie ein geladener Katzenkopf, um den oft das Pulver weit herumliegt und sich entzündet, ehe man noch dabei ist, und Anne Bäbi glich einem Bienenstock, von dem man glaubt, er wolle stoßen, und der es oft gerade nicht tut, wenn man es am meisten glaubt.
Meyeli kannte die Gemüter zu wenig und war daher in großer Verlegenheit, was es reden sollte, ohne Anstoß zu geben oder vorlaut zu scheinen, und schweigen schicke sich auch nicht, das fühlte es wohl. Es rühmte den Eiertätsch; sein Lebtag hätte es keinen sellige gegessen, sagte es. Ho, öppe g’spart hätte es nichts daran, sagte Anne Bäbi, »u wenn es dich gut duecht, so nimm«, und somit schlenggete es ein gewaltiges Stück auf Meyelis Teller. Es möge wäger, wäger nicht mehr, gäb wie gut es sei, sagte Meyeli. »So?«, sagte Anne Bäbi, »warum rühmst de? Aber du wirst auch eins von dene junge Täschlene sy, wo meine, mi chön e alti Frau für e Narre ha, wie me well.« Da sagte Jakobli, sie wollten teilen, wenn es den einen Teil nehmen wolle, so wolle er sehen, ob er den andern möge, er sei wirklich b’sungerbar gut, aber d’Mutter v’rstangs. »Ho«, sagte Anne Bäbi, »du wirst das jetzt grad nimme glaube, wo du jetzt e Jungi hest, u die wey hützutag alles besser wüsse als öppe e Mönsch, der afe e Plätz d’rby g’si isch.« Meyeli hätte gerne noch den Kaffee gerühmt, aber es merkte, dass heute nicht Wetter fürs Rühmen sei, und ein drittes Kacheli Kaffee begehrte es auch nicht. Hansli frug, um dem verlegenen Kinde zu Hülfe zu kommen, ob noch mehr Hochzeit, oder ob sie alleine gewesen? »Mi muss doch e Göhl sy, selligs z’frage«, sagte Anne Bäbi, »fahren sie an einem Freitag nicht schwallsweis herum, wie Käfer im Maien? Es duecht mi, es sötte i ere jedere Chilche es halb Dotze sy dere Göhle. Aber es meint es jeders Schlärpli, wes chum cha über e Milchhafe us luege, su muss e Ma zuche.« Während Anne Bäbi jede Rede auf diese Weise auffing und wiedergab, war Kaffee und Eiertätsch, der erste Gang, vollbracht, und der zweite, Fleisch und Schnitz und Wein, marschierte auf. Sami wischte ab Mund und Löffel und wollte sich zurückziehen, aber bei aller Hässigi gönnte Anne Bäbi das Essen den Seinigen und meinte nicht, dass sie zu keinen Zeiten am Bessern teilnehmen sollten, bestund das Bessere aus was es wollte. Es war einmal eine Mutter, die hatte eine Tochter, und diese hatte einen Bräutigam, und dieser aß gerne Haferbrei. Wenn nun der Bräutigam kam, so ward ein Haferbrei gekocht und als Dessert damit aufgewartet, aber wohlverstanden nur dem Bräutigam und der Braut, und wenn es wohl ging, auch derselben Papa, die andern konnten gehen oder zusehen. So aber war Anne Bäbi nicht, und Sami musste sich setzen und Mädi, nachdem es aufgetragen, auch. Essen und Trinken ging von Neuem an, und Anne Bäbi streute sonder Unterlass Salz und Pfeffer dazu, und wenn Meyeli nicht alles versorgen konnte, was es essen sollte, so sagte Anne Bäbi, sie könnten ihm nicht helfen, sie gäbten, wie sie es hätten, und wenn es das nicht schätze, so sei es bös zweg bei ihnen. Mädi, durch Anne Bäbis Reden und den Wein kuraschiert gemacht, begann in abgebrochenen Worten seinen Senf beizugeben, und da ihm niemand darauf antwortete, so ward es immer kuraschierter und sah die Wetter nicht, die in manchem Auge aufstocketen; es sah nur das schöne Fraueli oben am Tisch neben Jakobli, fühlte nur die Bosheit, ihm seinen Platz zu verbittern, und meinte unter Anne Bäbis Schutz sich sicher und durch dessen Beispiel dazu sich berechtigt.
Meyeli hatte eine Ecke seines Fürtuchs aufgenommen und über den Schoß zurückgelegt, hatte auch noch das Nastuch ausgebreitet, überhaupt die größtmögliche Sorgfalt an den Tag gelegt. Als aber dennoch ein Stücklein Fleisch entwischte, hinunterfiel und Meyeli eben nicht wusste, wohin, daher aufsprang, als ob es auf eine Biene gesessen, und sich nicht beruhigen konnte, bis es bestimmt wusste, dass es keinen Flecken gegeben, so sagte Anne Bäbi, albetz hätten sie es kommoder gehabt und nicht solche Angst ausstehen müssen; da hätten sie Kleider gehabt, die solches hätten erleiden mögen, und die gewiss weniger gekostet hätten als selligi Fetzlein.
O, hürmehi heyg alles Geld genug, sagte Mädi, und mi müss z’Sach öppe ha, dass si z’säme akkidiere. Sellig Haften hätte es auch noch nie gesehen, und es nähmte ihns wunder, was es Paar sellige kosteten.
»Aber mi düecht, das sött di gar nüt agah«, sagte Anne Bäbi, »es wird dir für die, wo es hat, niemere z’Geld heusche, u we du sellig witt, su frag de d’r Gürtler.« – »Z’Frage wird doch erlaubt sy«, sagte Mädi. »He ja«, antwortete Anne Bäbi, »was dich angeht, kannst du fragen, so viel du willst.« – »So, ist das so gemeint«, antwortete Mädi, »so, es soll mich nichts mehr angehen, und ich soll nichts mehr fragen? O, ich verstehe das wohl, den Verstand braucht man mir nicht mit dem Holzschlegel ychez’dopple. Schon morgen kann ich gehen, schon heute, wenn man will. O Jere, Mädi findet Platz genug! Aber dass es mir so gehen werde, hätte ich keinem Menschen geglaubt, gäb wie er sich verflucht hätte. Aber unser Heiland sagt nicht vergebens, das sei der Welt Lohn. Fünfzehn Jahre treu dienet und am einzige King z’Lebe g’rettet, u jetz geyt me dä Weg mit m’r um. Aber es ist graglych, es ist gut, dass e g’rechte Gott im Himmel ist u dass der alles g’seht un o, wie me mit arme Mönsche umgeyt; und es wird öppe nit v’rgebe heiße, dass de am Jüngste Tag alles werd a d’Sunne cho.« Somit stund Mädi auf, nahm seinen Teller mit und schoss in die Küche hinaus wie eine Bombe in eine Festung, rumorte draußen eben auch akkurat wie eine geplatzte Bombe in einem Gemach von irdischen und gebrechlichen Dingen. Drinnen sagte Anne Bäbi zu Meyeli, dessen Augen voll Wasser standen: »Häb’s nit ungern, das ist öppe nit viel d’ra g’lege, was das sagt. So uv’rschant ist es öppe nit geng, u de währts o öppe nit lang, mi cha das de öppe angers mache, we me will. Es ist hützutag mit frömde Lüte nüt meh z’schaffe, u wed Lüt öppe wäre, wie si sy sötte, u werchete, wie me albetz g’werchet het, mi manglete a mengem Ort weder Jumpfere noch Knecht, mi chönnt z’Sach selber mache. Du bruchst’s nüt ungern z’ha, Sami, aber ih säge z’Sach, wie’s mi duecht.« – »Ih ha das nit ungern«, sagte Sami, »ih ha das scho mengist g’hört, un ih denke, we me mi nimme well, so werd me mi scho heiße gah, u we nes mir nimme g’fallt, su cha nih o mache, wie ih will. Gut’ Nacht mitenangere«, sagte er und ging. Da sagte Meyeli, es begehre niemand zu vertreiben, aber arbeiten wolle es, was man ihm vorgebe, es sei daran gewohnt und tue es gern. Es werde nie vergessen, dass es arms sei und dass es mit Werchen seine Sache machen müsse. Man solle ihm nur befehlen, und wenn es etwas nicht recht mache, es ihm sagen, es werde alles gerne annehmen und alles auszurichten suchen, wie man es begehre, und zufrieden wolle es sein mit allem, nur ein wenig liebhaben soll man es. Vater und Mutter seien ihm gestorben, und fremd sei es in der Welt gewesen, und es duechts, wenn es e Vater und e Mutter wiederfänd, es wär im Himmel, und syr Lebtig wett’s nit es Brösmeli meh klage. So redete Meyeli, bot beiden Alten die Hand, und dicht liefen ihm die Tränen d’Backen ab. »Bis nit e Göhl«, sagte Anne Bäbi und wischte sich auch die Backen ab, »öppe fresse wird di niemere. Ih ha di nit gern g’seh cho, ih will’s grad’ use säge, und es hat mi es strengs duecht, dass ih d’Mutter sy sött u nüt d’rzue säge söll. Aber wed öppe tust, wie’s d’r Bruch ist u aständig, su bin ih de notti ke Tüfel nit, u das bi nih nit, si möge mi de v’rbrülle, wie si wey. Nüt hest, das ist wahr, aber sövli hey m’rs o nit nötig; stoß m’r aber nit öppe d’r Gring mit dene Schnürflene z’säme oder gar mit Mädi, dem Uflat, de wirds scho gah, u viellicht, dass m’rs öppe mache cheu, ohne dass frömd Lüt z’Mul bruche i üsi Sach z’häyche. Aber trinkit, seh, mach us, d’r Wy sött dir seltsam sy, du wirst öppe nit all Tag d’rzu cho sy. Mir hei ne o nit all Tag, we mers scho v’rmöchte, aber ih ha daicht, wed scho nit wert chömist, ih well notti tue, was öppe d’r Bruch syg. Ke Mönsch hätt dra daicht weder ih, u wes nit g’scheh wär us unger d’Lüt cho wär, so hätt ih doch a allem sölle z’Schuld sy, u’s Mädi, die Täsche, wär z’Erste g’si, wo’s wär ga usbrülle. Aber wart das ume, dem lütet es einist ung’sinnet Fürabe.« Anne Bäbi, durch Mädi entladen, kam nach und nach in glücklichen Zug und ward durch den Wein immer redseliger und fand sein Glück im Rühmen, wie gut Meyeli geheiratet, wie reich, wisse es noch lange nicht, und wie reich Jakobli hätte heiraten können, wenn er nicht so den Narren an ihm gefressen, könne es sich nicht vorstellen. Aber das mache jetzt nichts, sie hätten notti z’esse, un es werd scho gah; aber z’Mädi, dä Struß, dä müß me nit Meister lah, u erst jetz well es ihm afah zeige, wer eigetlich z’bifehle heyg.
Anne Bäbi hätte vielleicht die Nacht durch geschwatzt, aber es begann die Lampe düsterer zu werden, kam dem Erlöschen immer näher, und endlich merkte es Anne Bäbi und hieß Jakobli das Ölkrüglein holen. Aber Jakobli fand es nicht. Anne Bäbi hieß ihn einen Stürmi, öppis nit z’finge, wo ja es jeders King wüss, wo’s syg. Aber Anne Bäbi fand es selbsten nicht, gäb wie es suchte; es rief Mädi, aber Mädi gab wohlweislich keinen Bescheid; es schimpfte über Sami, der es vielleicht im Stalle hätte, aber dort es suchen war ihm z’wider. Im Keller war noch Öl, aber Hansli wehrte und meinte, es wär am besten, sie gingen nieder, so möchten sie am Morgen auch auf. Anne Bäbi musste sich darein ergeben, aber unter vielem Schimpfen über die böse Zeit, wo man im eigenen Hause nicht mehr so viel Meister sei, aufzubleiben so lang man wolle, und nichts mehr sicher sei, wo es hundert Jahre lang gestanden und Mutter und Großmutter es blindlings gefunden; aber warten die nur, morgen sei auch noch ein Tag, und wer ihm das Krüglein verstellt habe, der solle sehen, was er gemacht, dem wolle es es verleiden, eins für alle Male. So räsonierte Anne Bäbi, bis ihm der Schlaf die Augen zudrückte; es hörte das Kichern nicht, welches schadenfroh im Dunkel des Gadens hörbar ward.
Seltsam war es am Morgen Meyeli zumute, als es, von keinem Vetter aufgerufen, statt in einem rußigen Gaden in einem freundlichen Stübchen erwachte, der Tag an die Fenster hoschete, durch die Umhänge zwitzerte und an der Wand ein loses Spiel trieb. Das Bett war so weich und warm, wie es keines noch gesehen, was das für ein anderes Dackbett war als das dünne Häutchen, mit dem es sich sonst decken musste, und welch Unterbett gegen das, auf dem es sonst lag und durch welches hindurch man die Bettladen wenn nicht zählen, doch fühlen konnte. Da war an Federn nicht gespart, und man sah es wohl, dass, je mehr derselben in die Ziehen gingen, desto größere Freude die Bäuerin, welche sie füllte, gehabt haben musste: Das war so von den Betten eins, in dem man bei müden Gliedern den jüngsten Tag bequem verschlafen könnte. Es war Meyeli schwer, es zu verlassen. Man glaubt gar nicht, was so ein weiches, warmes Bett für eine Wohltat ist, wenn man an Wind und Wetter gewesen einen lieben langen Tag, und was es für eine Gewalt übt über die, welche in schlechten Betten manche liebe lange Nacht durch geschlottert und von weichen, warmen Betten nur haben reden hören, und so ein weiches, warmes Bett ihnen vorkam ungefähr wie ein Vorhof zum Himmel. Wenn eine Magd von den bessern ist und nicht ihr Geld alles an Fatzenetleni und Gäugelei hängt, so sinnet sie an ein Bett, und hat sie ein gutes Bett sich angeschafft, so wohlet es ihr; es ist ihr, als ob sie nicht mehr verlassen wäre, als ob sie für ihre alten Tage gesorgt hätte, sie hat ja ein Hey, sie weiß, wo sie ihr Haupt hinlegen kann.
Aus dem Bette aber sah Meyeli auf einem Tischchen seinen Hochzeitsstaat und nebenan in der Ecke seine zwei Bündelchen stehen; dieser Anblick störte sein Behagen, trieb ihns auf. Es packte aus, und erst jetzt, wo es alles nebeneinander auf ein Tischchen legen musste und noch dazu die Sonne daraufschien, sah es, wie seine Hüdeli und sein Staat gegeneinander abstachen, und da war keine Vermittlung, keine Brücke von einem zum andern, rechts lag einer Bäurin reiche Kleidung, links die baueligen Fetzleni eines Gottswillenkindes, dort alles währschaft und in Fülle, hier alles durchsichtig, zu eng und zu kurz.
Vor alten Zeiten sprach man von einer Bäurin, welche ihren Mägden Hemden zum Gutjahr gegeben, von denen jedes acht Pfund gewogen habe, an diesen waren Kuder und Knöpfe nicht gespart, und die müssen ein handlich Tragen gewesen sein. So handlich waren Meyelis Hemdchen nicht, aber sie waren durchsichtig, kurz und klein, die Hühner konnten den Hafer dadurch picken, und vornen wollten sie ihm fast nicht übereinander. Das Kitteli war viel zu kurz, der Mond schien durch dasselbe und zeigte die bösen alten Strümpfe, von denen man nicht mehr wusste, waren sie gewoben, gelismet oder genäht. In gleichem Styl war das Tschöpli, und wenn Meyeli einmal drinnen war, so machte es ihm den ganzen Tag Kummer, wie am Abend wieder hinaus. Diesen Staat musste es nun heute anziehen und damit vor dem Publikum erscheinen, vor dem es gestern in reichem Hochzeitgrust aufgezogen war, musste das Zeugnis an sich herumtragen, dass es nur ein Gottswillenkind gewesen und gleichsam nur d’r Gottswille da sei; denn die Leute fassen es nicht, dass wir alle, König und Schelm, eigentlich nur d’r Gottswille da sind, wo wir sind, und dass hier kein Unterschied ist zwischen dem Menschen und keine Ausnahme von der Regel.
Meyeli weinte, und wer will es ihm verargen? So konnte es ja nicht einmal in die Kirche gehen, weder das eine noch das andere schickte sich, und wenn jemand ins Haus kam, so durfte es sich weder in dem einen noch im andern zeigen; das eine schickte sich nicht für ordinäri Tage, das andere nicht für eine junge Bauersfrau. Sagen durfte es nichts, musste ihnen es überlassen, Verstand zu haben, dem Mangel abzuhelfen; aber jetzt musste es doch in seinen alten Kleidlene hinunter, im Gloschli konnte es nicht bleiben, so wenig als im Bette. Es durfte Jakobli nicht einmal sein Herzenleid klagen; Meyeli brachte nur in Anschlag, was es mit Jakobli erhielt; was er durch ihns erhielt, dem gab es keine Schatzung; Meyeli war noch demütig. Meyeli hatte von der Art junger Weiber keinen Begriff, die zu profitieren wissen oder die meinen, weil sie dem Manne die Ehre angetan, ihn zu nehmen, so sei es nun seine Hundspflicht und Schuldigkeit, ihnen zu allem zu verhelfen, was ihnen einfällt, und nie satt werden mit Begehren und Drangsalieren und von keinen Rücksichten was wissen; die zu meinen scheinen, ein Mann sei eigentlich nichts als ein großer Lulli, an dem man sauge, bis nichts mehr darin sei, und sei nichts mehr darin, so schreie man wie ein Kind und mache ein Lätschmaul je größer je lieber, und wenn’s so groß würde wie der lange, lange Schweif des letzten Kometen.
Meyeli hatte von dem keinen Begriff, es erhielt ihn auch nie, sagte sein Lebtag nie: »Es tut ihms sauft, dem Hung, dem Uflat, dem Muffi.« Es wischte endlich seine Tränen ab, zog seine Kleidleni an und ließ schüchtern sich hervor.
Gut Wetter war nicht obhanden. Anne Bäbi hatte das Ölkrüglein nicht vergessen, und das Erste am Morgen, was es vornahm, war ein Forschen nach dem Krüglein, und siehe, es stund zwar nicht an seinem ordinäri Platz, doch dicht dabei, wo, wie Anne Bäbi behauptete, man es hätte sehen müssen, wenn es gestern da gewesen wäre. Aber alles Forschen war umsonst, kein Mensch wollte es angerührt, weggenommen, hingestellt haben. Anne Bäbi hätte selbst und zuletzt es in Händen gehabt, behauptete Mädi, und es duech ihns nicht kurios, brummte es vor sich her, dass man am Abend etwas nicht gesehen habe, was am Morgen einem blinzlige in die Augen falle, es sei schon manchem Menschen so gegangen. Meyeli achtete man kaum, doch glaubte es von Mädi einen spöttischen Seitenblick abgekriegt zu haben, was ihns noch mehr in Verlegenheit setzte, denn zu dem Bewusstsein, was für Kleider es anhätte, kam nun noch die Angst, wo es jetzt stehen, absitzen, was es anrühren solle, damit es niemand an seinem Orte stehe und niemand etwas anrühre, welches dieser Jemand nicht angerührt haben wollte.
So eine junge Dame weiß gar nicht, was es heißt, Sühniswyb sein und als Sühniswyb in ein Haus eintreten; entweder zieht sie in ihr eigen Menage, oder aber, wenn sie am Morgen gefrühstückt hat, macht sie die Toilette, setzt sich an ihren eigenen Arbeitstisch und niggelet etwas, bis Visite kömmt oder sie Visite macht, und wenn die Köchin gekocht hat, so sitzt sie ane, und wenn sie gegessen hat, so streicht sie sich, und wenn man nicht den eigenen Weiberteufel im Leibe hat, der nur im Zanken leben kann wie der Fisch nur im Wasser, so kommen Schwiegermutter und Schwiegertochter parfaitement bien aus, es sei dann, die Schwiegertochter sei auch vom Ehrteufel geplagt, wolle die Honneurs machen und die G’ästimiertere sein. Auf dem Lande aber, da ist es anders, da gibt es weder appartigi Arbeitstischchen noch appartigi Menage, weder Visite noch Appartements, da ist ein gemeinsamer Haushalt, der beschafft sein will durch alle vorhandenen Hände. Kommen nun frische Hände dazu, wo sollen sie angreifen, und wer macht ihnen Platz? Wenn böser Wille da ist, so trifft man es nicht, man mag es machen, wie man will. Greift ein Sühniswyb ungeheißen zu, so heißt es, schon am erste Tag hätte es gemacht, wie wenn es da alleine Meister wäre; wartet es aber, bis man es heißt, oder fragt es, was es machen solle, so heißt es: Wwenn es V’rstang hätte, so käme ihm selbst z’Sinn, was zu machen wäre, und man sagt ihm, wenn man höflich ist: »He öppe, was gern witt, mir heys bis dahi chöne mache, mir hätte niemere meh g’manglet.« Ist man unhöflicher, so sagt man: »Mira, was d’witt, mir hey ihs g’wahnet z’werche u hey nit d’r Zyt, enangere d’Nase uf z’Sach z’stoße; es sött öppe es nieders g’seh, was z’mache ist.«
Ist ein Hauptwerk da, Anpflanzen im Frühling, Heuet, Ernte, Säet, so macht sich die Sache am leichtesten, da nimmt ein Sühniswyb das Werkholz und geht aufs Feld und trägt Mittag und abends, wenn es sich einkaufen will, der Schwiegermutter ungeheißen Holz und Wasser zu und hilft abwaschen und rüsten, was es sich ergeben mag. Jetzt war aber gerade die eigentümliche Zeit, wo man es in jedem Bauernhause anders hat und ungeheißen kein Fremder viel zu machen weiß, die Zeit, wo der Herbst in den Winter übergeht, der Säet zu Ende, die Erdäpfel aus sind, aber Dreschen und Spinnen noch nicht angefangen haben, die Zeit, wo man draußen und drinnen fertig macht, sich z’wegnistet zu behaglichen Winterquartieren. Die einen haben mit Rüben zu tun, andere mit Waschen, mit Obst und Eingraben, mit Fahren und Dörren, mit Plätzen und Fegen, mit Brechen und Hecheln, kurz mit vielen Dingen, und fast in jedem Hause mit etwas anderem, und fast bei jeder Sache ist in jedem Hause ein anderer Brauch, und wenn nicht alles akkurat diesem Brauch nachgeht, so hat man nicht den mindesten Glauben zur Sache, sondern sagt: »Öppis Dumms eso, üser Lebtig chunt das nit gut.« Jetzt denke man sich eine Schwiegermutter und ein Söhniswyb beim Wäscheeinlegen, beim Kabiseinmachen, beim Kücheln, und jedere denkt, wenn die andere die Hand rührt, »Herr Jeses, wie dumm, das chunt üser Lebtig nit gut!« Wie das in beiden worget und kochet. Endlich sagt die Schwieger: »Nit e so, üser Lebtig nit, wie wett das gut cho.« – »Mir hey das daheim geng e so g’macht, u niemere het g’seit, es syg lätz, z’Kunträri, d’Arbeitslüt hey nie g’nue chöne rühme«, antwortet die neue Tochter. Ho, das müsse wunderlig g’si sy, antwortet die Schwieger, »hie fräßes d’Säu nit, we mes so miech.« Somit ist die Kriegserklärung gemacht. Abends sagt die Schwieger zu ihrem Mann: »Mir sy ung’fellig g’si, es dümmers Mönsch hätt üse Hans nit chöne übercho, u we es si no öppe ließ b’richte, aber e Gring hets wie ne beinige Esel. Du, ih hätt mir Lebtig nit glaubt, dass es Lüt gäb, wo d’r Kabis so ginge ga g’schänge u d’Storze usehaue, die sy ja grad am chüstigste u hey am beste dar.«
Das Sühniswyb aber pläret dem armen Mann die ganze Nacht die Ohren voll, es g’stangs dä Weg nimme us, es well wieder hey, u gäb es Kabisstorze fress, well es lieber gar nüt.
Und aus ist es mit dem Frieden, es gutet nimmer, bis eins nach dem andern die Augen zutut und ins stille, kalte Kämmerlein muss, wo alles Reden aus und niemand mehr Kabis einmacht. Ja, es ist wirklich ein Elend, wie des Menschen Elend so oft aus nichts entsteht, nur aus unserm Kopf hervorgeht, wie die Welt aus nichts entstanden, nur aus Gottes Willen hervorgegangen ist.
Meyeli hatte dieses sich nicht ausgedacht, aber etwas davon fühlte es, und es war ihm, als es in die Küche trat, als sollte es sein nacktes Füßchen setzen in ein aufgeregtes Wespennest. »Guten Tag geb euch Gott miteinander«, sagte es, und ob ihm jemand dankte oder ob nur das Feuer spretzelte und die Kacheln rasselten, vermochte es nicht zu unterscheiden. »Kann ich etwas helfen«, frug es, »etwa Holz tragen oder Wasser holen?« – »Wir haben im Brauch, das zu holen, ehe wir z’Morgen kochen«, antwortete Anne Bäbi. Da Mädi grade das z’Morgen hineintrug, sagte Meyeli »soll ich dir helfen?«, und wollte die Schüssel mit Rösti fassen. »Häb nit Müh«, sagte Mädi, »ich habe das schon lange alleine gemacht, es braucht mir niemand zu helfen.« – »Soll ich zum Essen rufen?«, fragte Meyeli. Niemand antwortete, aber Mädi schoss an ihm vorbei wie ein Hurnuss und brüllte »ihr söllit cho esse«, dass man unten im Dorfe bei vielen Häusern meinte, man habe bei ihnen gerufen, und das Mannevolk daherkam und mit dem Weibervolk, das nicht fertig war und nicht gerufen haben wollte, z’branzen anfing.
Drinnen wollte Meyeli zuunterst am Tische absitzen, da fuhr ihns Mädi an, es werde ihns doch nicht von seinem Platz vertreiben wollen, wo es bald hundert Jahr g’hocket sei, und als Meyeli mit dem Weinen zuvorderst in der Stube stand und nicht wusste, wo zum Tisch, dass es recht sei, sagte Anne Bäbi, »warum chunst nit cho hocke, soll me di no apparti heiße?« Es wisse nicht recht, wo es zuche söll, sagte Meyeli, dass es niemere am Weg syg. »G’sehst de nit, dass da uf em Vorstuhl (der bewegliche Stuhl vor dem Tisch) Platz isch«, schnauzte Anne Bäbi. Meyeli hatte den Platz wohl gesehen, da er aber oberhalb Anne Bäbi war, so saß es nicht gerne ungeheißen da ab und ebenso wenig unterhalb, wo der Platz derjenigen war, die über Tisch les honneurs machte.
Über Tisch war die Rede vom heutigen Tagwerk, und es war beschlossen, die Rüben herbeizumachen. Es werde sie doch nicht alleine ziehen sollen, frug Mädi, es werde jetzt wohl neuer da sein, der ihm helfe. Mädi gramselte es schon vor Freude in allen Gliedern, mit dem armselig gekleideten Sühniswyb durchs Feld auf den Acker zu gehen, und hatte bereits daraufhin schon den bessern Kittel an, ein währschaft Fürtuch zurechtgelegt und eine Kappe, an welcher der Sammet noch schwarz war. Beim ordentlichen Wetter war sicher das Feld voll Leute und alle neugierig, die neue Frau zu sehen, die noch niemand kannte. Und im ganzen Feld, dachte es, werde kein Christenmönsch sein, der nicht denke, was Jakobli für ein Löhl sei, ein solches Faggeli un es selligs Häggeli (das Erstere bezieht sich auf schlechte Kleider, das Letztere auf einen schlechten, d.h. schmächtigen Leib) zu nehmen, wo er es doch näher und zehnmal besser hätte haben können. Z’Jowägers Jumpfere, z’Mädi, wär ihm doch de hundertmal lieber g’si. Kein römischer Held konnte sich auf seinen Triumphzug mehr gefreut haben als Mädi auf seinen Gang durchs Feld mit dem armen Meyeli.
Da sagte Hansli, Mädi hätte die Rüben schon manchmal alleine gezogen, und wenn es sie heute nicht möge, so könne man noch morgen daran machen. Es wolle gerne mit, sagte Meyeli, es sei ja da, für etwas zu machen. »Das wird’s schon noch geben«, sagte Hansli, »u daheim wird wohl noch etwas zu machen sein.« – »Wes doch gern käm«, sagte Mädi, »und zweimal zu laufen trägt auch nichts ab.« – »Du hast’s gehört«, sagte Anne Bäbi, »was Hansli gesagt hat.« – »He nu so de«, sagte Mädi, »so sygs de mira« und schoss hinaus, als wenn es ein Habicht wäre, der einer Taube nachfährt. Anne Bäbi hatte Mädis Absicht halb erraten, halb ärgerte es sich selbst über Meyelis Aufzug, und so gerne es demselben die Schande gegönnt hätte, so fühlte es doch, dass dieselbe auf ihr eigenes Haus zurückfiele, denn einmal war Meyeli jetzt Jakobli Jowägers Frau, und daran war nichts zu ändern, was man gegen ihns hatte, konnte man an ihm auslassen, doch es nicht unter die Leute lassen. So alt Anne Bäbi war, so wusste es doch nicht, wie unklug es ist, eine ertaubte Jumpfere allein auf ein Feld zu schicken, auf dem viele Leute sind und zu dem man vom Hause weg nicht sieht.
Mädi schoss hinaus wie ein entronnener Wolf, der nicht warten mag, bis er seine Zähne ins erste beste Fleisch schlagen kann. Natürlich war Mädi eine willkommene Erscheinung im Freien: »Wo us, wo wottsch, warum alleini, ih ha glaubt, du sygist z’Hochzyt?«, so redete man ihns allenthalben an, und jeder stellte sich bei ihm, und wo auf einem Acker Leute waren, da riefen sie »chum, los neuis«, und Mädi ließ umsonst sich nicht rufen. Und allenthalben packte es seinen Grimm aus, und wenn man ihns fragte, warum die junge Frau nicht mitgekommen, man hätte geglaubt, Anne Bäbi möge nicht warten, bis es sie schicken könne, Rüben zu ziehen, so zog es seine Maulecken zu den Augen herauf, stellte die Fäuste in die Seiten und sagte: »Es ist Anne Bäbi nit wegem borge g’si, o Jere, das borget niemere, aber es het si g’schämt, g’schämt het es si, uf my armi Türi, wie ne Hung. I d’r ganze G’meind ist kes Bettlermönsch schlechter b’kleit as das neu Sühniswyb, dem g’seht mes o so recht a, dass es ab d’r Gasse chunt, die leydist Jumpfere chunt besser daher«; und Stück für Stück legte es Meyelis Kleider aus und dann sein ganzes Wesen, wie es nichts anders sei als ein akahreter Hauenstiel u no vo de Leydere eine. Hatte man es so lange auf einem Acker stehen sehn, so nahm es begreiflich die Leute auf dem andern Acker auch wunder, was Mädi zu b’richten hätte mitten im halben Tag, es musste auch ihnen sein Herz leeren, sodass es nicht lange nachher, als Mädi in ihre Rüben zu stehen kam, Mittag läutete.
Das arme Mädi sah das ganze Feld voll Leute für seine besten Freunde an, die den innigsten Anteil nähmten an seinem Zorn und das lebhafteste Bedauern fühlten über seine erlittene Behandlung; es ließ sich nicht träumen, dass alle den köstlichsten Spaß an seinem Zorne hätten und alle es ganz begreiflich fänden, dass man so mit ihm umgehe und nicht anders.
Während Mädi die Posaune machte auf dem Felde herum, ging auch daheim etwas vor.
Anne Bäbi hatte Meyelis Kleidung übel vermerkt und sah ihm mit sauern Augen nach, aber lange sagte es nichts, es hätte lieber gehabt, Jakobli oder Hansli würden davon anfangen, aber die hüteten sich wohl, sie wussten, dass die Mutter am Ende den Verstand habe, sobald nur niemand ihr ihn machen wolle. Richtig brach sie endlich auch mit der Frage los »warum leyst du dich so an, leyder kommt hier kein Straßenmensch.« – »Verzeiht, Mutter«, sagte Meyeli, »das sind meine besten Kleider. Ich habe sie erhalten, als ich vom Herren kam, und seither ließ mir der Götti keine andern machen, und Geld habe ich keins gehabt, um selber anzuschaffen, ich habe mich müssen leiden.«
»Schäme söttst di, e sellige Götti z’ha«, sagte Anne Bäbi, »wes m’r nit um e Jakobli wär u dass d’Lüt nit müsste d’Freud ha, uf my Armi, ih ließ d’r ganz Winter di so desumelaufe. E sellige Staat ga z’ha am Hochzyt u de morndrisch ke gute Fetze am Lyb. Aber so hets die hütigi Welt, du wirsch o es rechts Täschli sy, sust hättist meh V’rstang g’ha as e so.«
»Mutter«, sagte Jakobli, »z’Meyeli v’rmah si desse nüt, es het d’Hochzytkleider nit selber a’gschaffet, u angeri Kleider, het me denkt, chön me ihm de lah mache, wes hie syg.«
»Wer het de die schöne Kleider a’gschaffet«, fragte Anne Bäbi, »emel du o nit, oder sy si öppe gar no entlehnt?«
»Ney, Mutter«, sagte Jakobli, »z’Wirtstochter z’Raxige het z’Sach g’macht.«
»Wer seyst?«, schnauzte Anne Bäbi. »Z’Wirtstochter z’Raxige!«, antwortete Jakobli.
»Jetz no gar, nei, jetz ist m’r nüt meh z’helfe«, antwortete Anne Bäbi, »jetz ist afe Zyt, dass ih da dänne chume, u lieber hüt as morn; zur Mutter, wo eim ungerm Herze treyt het, het me kes z’Zutraue u lauft zu nere Wirtshusmore. O, wie nih doch die Trücher (träg und sinnlich) hasse! Die wird di schön b’schisse ha, wohl, u huse mir doch sövli. He nu so de, mira, su gang jetz zu dere u säg, si söll d’r o lah Kleider mache für e Werchte, ih wott mih nüt drymischle, wott nüt säge. Es einzigs King u macht eims e so, laht d’Mutter hocke u so ne donnerschießige Schlarp im Geld krüschle. So geyts hützutag, wohl, albetz hätt mes e so selle mache. Es nähm mi ke wunger, we scho üse Herrgott d’Welt ume ne Stud umeschlug, bis si i tusig Fetze fuhr, nei, v’rwungere täts mi nit.«
Jakobli hatte Mühe, die Mutter zu besänftigen; je mehr er sich unterzog, desto mehr Ursache glaubte Anne Bäbi zum Aufbegehren zu haben, das ganze Wetter, welchem Meyeli gestern entronnen war, brach heute los, aber es machte schon nicht mehr halb so viel, war es doch nicht mehr der erste, sondern der zweite Tag. Da es immer wieder darauf zurückkam, wie das Donnstigs Trüch ihn werde b’schisse ha, so hatte endlich Jakobli den glücklichen Gedanken, die Mutter zu bitten, sie möchte kommen und z’Sach g’schaue, sie werde dann selbst sagen müssen, dass z’Sach recht sei us niemere wöhlfeler hätt chöne mache. Anne Bäbi rurete gewaltig über diese Zumutung, sellig Hoffertschiss begehre es nicht zu sehen, sagte es. Indessen war doch in Anne Bäbi des Weibes Ferse (sein weicher Punkt) getroffen, der immer und alleweil verwundbar ist, gäb wie sonst Leib und Seele geharnischt sind. Wenn von Kleidern die Rede ist, die zu kaufen oder zu sehen sind, da wird wohl selten ein Weib sein, das nicht Ohren hat dafür und nicht Augen, und auf Erden ist sicher keine Schwiegermutter, welche nicht zu bewegen wäre, den Hochzeitstaat ihrer Schwiegertochter in Augenschein zu nehmen.
Es geht die Rede, wenn man einem wilden, jungen Kühlein (um es so höflich als möglich zu sagen) einen nassen Lappen übers Kreuz lege, so schlage es nicht mehr, sondern werde zahm wie ein Lamm, aber würde nicht (wohlverstanden, nicht zusammengezählt) noch manche junge Frau zahm und zärtlich wie eine Taube, wenn ihr der Mann jeweilen, ich will nicht sagen was Nasses, sondern was Neues, einen schönen Shwal
