Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Die Auswirkungen von Arbeit auf die Psyche der Beschäftigten sind ein Thema, das aktuell in der medialen Öffentlichkeit wie in der Fachwelt intensiv und kontrovers diskutiert wird. Das Werk reflektiert den aktuellen Stand von Forschung und Praxis und wird - in Abgrenzung zu erschienenen populärwissenschaftlichen Publikationen - dabei auch akademisch-wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht. Neben den relevanten medizinisch-psychiatrischen Themen werden Grundlagenaspekte wie soziokulturelle, ökonomische und psychologische Bezüge abgebildet. Die jeweiligen Themen werden ausführlich vertieft inkl. epidemiologischer, ätiologischer, pathophysiologischer, therapeutischer und rehabilitativer sowie salutogenetischer Aspekte.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 685
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Begründet von:
Wolfgang Gaebel
Franz Müller-Spahn (†)
Herausgegeben von:
Wolfgang Gaebel
Peter Falkai
Wulf Rössler
Übersicht über die bereits erschienenen Bände:
• Stefan Weinmann:»Evidenzbasierte Psychiatrie«
• Rolf-Dieter Stieglitz:»Diagnostik und Klassifikation in der Psychiatrie«
• Thomas Becker/Holger Hoffmann/Bernd Puschner/Stefan Weinmann:»Versorgungsmodelle in Psychiatrie und Psychotherapie«
• Hans Joachim Salize/Reinhold Kilian:»Gesundheitsökonomie in der Psychiatrie«
• Tillmann Supprian:»Frühdiagnostik von Demenzerkrankungen«
• Werner Strik/Thomas Dierks:»Biologische Psychopathologie«
• Sabine C. Herpertz/Knut Schnell/Peter Falkai (Hrsg.):»Psychotherapie in der Psychiatrie«
• Wulf Rössler/Birgit Matter (Hrsg.):»Kunst- und Ausdruckstherapien«
• Oliver Gruber/Peter Falkai (Hrsg.):»Systemische Neurowissenschaften in der Psychiatrie«
• Jens Kuhn/Wolfgang Gaebel (Hrsg.):»Therapeutische Stimulationsverfahren für psychiatrische Erkrankungen«
• Wulf Rössler/Vladeta Ajdacic-Gross (Hrsg.):»Prävention psychischer Störungen«
• Wolfram Kawohl/Wulf Rössler (Hrsg.)»Arbeit und Psyche«
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.
Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.
Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.
1. Auflage 2018
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-025762-7
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-025763-4
epub: ISBN 978-3-17-025764-1
mobi: ISBN 978-3-17-025765-8
Prof. Dr. med. Wolfram Kawohl, geb. 1971, ist Chefarzt und Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie bei den Psychiatrischen Diensten Aargau AG. Er ist Titularprofessor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Zürich und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit dem zusätzlichen Schwerpunkttitel Psychiatrie und Psychotherapie der Abhängigkeitserkrankungen. Bis 2016 war er Chefarzt des Zentrums für Soziale Psychiatrie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Nach Promotion und Habilitation zu Themen der klinischen Neurophysiologie beschäftigt sich Wolfram Kawohl seit Jahren klinisch und wissenschaftlich intensiv mit den Zusammenhängen zwischen Arbeit, psychischer Gesundheit und Krankheit. Die Inklusion von Menschen mit psychischer Erkrankung in die Arbeitswelt stellt dabei den zentralen Schwerpunkt dar. Ein besonderes Anliegen ist ihm der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis. Zwischen 2013 und 2015 hatte Kawohl eine Gastprofessur an der Leuphana Universität Zürich inne, im Rahmen derer er sich mit den Themen integrierte psychiatrische Versorgung und Job Coaching beschäftigte.
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wulf Rössler, geb. 1947, war von 1996 bis 2013 ordentlicher Professor für klinische Psychiatrie, speziell Sozialpsychiatrie an der Universität Zürich und gleichzeitig Direktor an der Psychiatrischen Universitätsklinik. Zuvor war er während 15 Jahren am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Dort leitete er u. a. über 7 Jahre das Landesprogramm Psychiatrie Baden-Württemberg, ein Versorgungsforschungsprogramm mit 43 Modelleinrichtungen. 2009 wurde er als Fellow an das Collegium Helveticum, einer gemeinsamen Forschungseinrichtung der Universität Zürich und ETH Zürich berufen und hat dort bis 2017 verschiedene interdisziplinäre Forschungsprojekte durchgeführt. 2009–2017 war er auch Gesamtprojektleiter des »Zürcher Impulsprogramms zur nachhaltigen Entwicklung der Psychiatrie«, ein umfassendes Forschungsprogramm mit neuen Teilprojekten zur Versorgung psychisch kranker Menschen. Nach seiner Emeritierung hat er jeweils Professuren an den Universitäten Lüneburg und Sao Paulo angenommen. Seit 2017 ist er als Seniorprofessor an der Charité in Berlin tätig. Im Fokus seiner Forschung steht die psychiatrische Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung. Er ist Präsident der International Federation of Psychiatric Epidemiology.
Nach jahrelanger Beschäftigung mit dem Thema berufliche Reintegration bei psychischer Erkrankung und dem vielfachen und intensiven Austausch mit Fachleuten verschiedenster Disziplinen zum Thema reifte in den Herausgebern des vorliegenden Werkes der Wunsch, über das eigene Fachgebiet der Psychiatrie und Psychotherapie hinaus eine multidisziplinäre Sicht des Themenkomplexes Arbeit und psychische Gesundheit bzw. Erkrankung, kurz »Arbeit und Psyche«, zusammenzutragen. Dies auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sowohl in der Allgemeinbevölkerung als auch in den Medien und von vielen Fachpersonen dieses interessante Gebiet allzu oft auf Schlagworte wie Burnout und Berentung reduziert wird. Angesichts der in diesem Kontext häufig unterstellten schädlichen Wirkung von Arbeit ist uns an einer differenzierten Sichtweise gelegen, die die potentiell schädliche Wirkung von nicht passender oder gefährlicher Arbeit nicht unterschätzt, andererseits aber auch die positiven Effekte von Arbeit berücksichtigt.
Bereits bei der Beschäftigung mit dem von uns im Kohlhammer-Verlag einige Jahre zuvor herausgegebenen zweibändigen Handbuch »Soziale Psychiatrie« wurde klar, dass das durchaus in beiden Bänden vertretene Thema mehr Raum verdient und dass dies nur im Rahmen eines eigenen Buches möglich sein würde. Dies insbesondere angesichts dessen, dass die zahlreichen nicht-psychiatrischen Bezüge, die hier zu berücksichtigen sein würden, in dem Umfang kaum in ein psychiatrisches Lehrbuch passen, weder inhaltlich noch bzgl. des angestrebten Umfangs. Umso mehr freuen wir uns nun, auch dieses Schwerpunktwerk vorlegen zu können. Es ist uns gelungen, Autorinnen und Autoren eines breiten fachlichen Spektrums zu gewinnen und soziologische, theologische, ökonomische, psychologische, psychiatrische, historische, politische und nicht zuletzt auch die Experts-by-Experience- bzw. Erstpersonen-Perspektiven zusammenzutragen. Es freut uns besonders, dass sich zwei selbst von psychischer Erkrankung betroffene Autoren bereiterklärt haben, ihre Erfahrung mit dem Finden und Behalten eines Arbeitsplatzes und der Beeinträchtigung durch Symptome und unpassende Arbeitsbedingungen niederzuschreiben. Es soll aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass sich im Vergleich zu anderen Buchprojekten der Herausgeber, bei denen in großer Mehrzahl wissenschaftliche Autoren beteiligt waren, die Gewinnung von Autoren aus Wirtschaft und Behörden schwierig bzw. de facto unmöglich gestaltete. Zahlreiche Anfragen an Unternehmensvertreter mit der Bitte, die Unternehmersicht auf das Thema darzustellen, blieben unbeantwortet. Bereits gemachte Zusagen wurden zurückgezogen, dies auch von einer Behörde mit wissenschaftlichem Dienst zu einem Zeitpunkt, als das Projekt bereits weit fortgeschritten war. Das Thema Arbeitsschutz mit besonderer Berücksichtigung der Prävention psychischer Störungen blieb somit unbearbeitet. Auch zum Thema Integrationsfirmen ergingen nach jeweiligen definitiven Zusagen mehrere Absagen.
Spätestens seit der Jahrtausendwende ist das Thema psychische Erkrankungen in das Blickfeld der Ökonomie geraten. Grund dafür ist die Zunahme an Arbeitsunfähigkeitsfällen, Ausfallzeiten und Berentungen, die im Kontext psychischer Erkrankungen stehen. Die von manchen Autoren und Meinungsführern aus dieser Zunahme abgeleitete Ansicht, psychische Erkrankungen hätten generell zugenommen, lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Epidemiologische Studien geben keinen Hinweis darauf, dass wir es mit einer tatsächlichen Zunahme der Inzidenz psychischer Störungen zu tun haben. Vielmehr ist anzunehmen, dass sich die Beschwerdeschilderung Betroffener sowie die diagnostische Aufmerksamkeit geändert haben. Während in den 1990er-Jahren ein von einer Depression Betroffener bei einer hausärztlichen Konsultation vielleicht noch körperliche Beschwerden in den Vordergrund rückte, werden heute auch depressive Symptome wie Schlafstörungen, Antriebsmangel und Libidoverlust eher benannt und sicherlich von ärztlicher Seite auch eher erfragt. Im Zuge dieser von den Massenmedien begleiteten und teilweise mit hervorgerufenen Veränderung, erfuhr das Konzept Burnout eine für ein psychisches Störungsbild ungewöhnliche Popularität. Die zunehmende gesamtgesellschaftliche Beschäftigung mit dem Thema psychische Erkrankungen ist aus psychiatrischer Sicht natürlich erfreulich. Menschen, die unter einer psychischen Störung leiden, sollen die jeweilige indizierte Behandlung bekommen. Die benannte Entwicklung leistet sicherlich ihren Beitrag dazu. Gleichzeitig besteht jedoch die Gefahr, dass Arbeit nicht als etwas Menschliches und Erstrebenswertes, sondern als grundsätzlich krankmachend und bedrohlich gesehen wird. Dies trifft auf stark belastende Arbeitsbedingungen sicherlich zu, sollte aber eben nicht generalisiert werden. Die nicht ganz neue Grundhaltung, dass Menschen, die unter einer psychischen Erkrankung leiden, zunächst nicht arbeiten sollten und dann anschließend nur äußerst behutsam und unter umfassenden Trainings-, Erprobungs- und Therapiemaßnahmen an die Rückkehr zur Arbeit herangeführt werden sollten, hat durch das Thema Burnout sicherlich keine Relativierung, sondern eher noch eine Stärkung erfahren. Dies ist insofern bedauerlich, als dass seit den 1990er-Jahren ein erprobtes Konzept vorliegt, welches erwiesenermaßen sogar Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen ermöglicht, eine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt, also in der freien Wirtschaft, anzunehmen. Dies geschieht nota bene ohne vorherige trainierende oder prüfende Maßnahmen.
Wenn man Menschen nach der Bedeutung und der Aufgabe von Arbeit im Sinne von Erwerbstätigkeit fragt, wird zunächst meist die Sicherung des Lebensunterhaltes genannt. Auch von Sinnstiftung wird die Rede sein und, hat man es mit einer therapeutisch geschulten Person zu tun, von Tagesstrukturierung. Diese Punkte sind jedoch grundsätzlich auch ohne Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt erreichbar. Der Lebensunterhalt lässt sich, wenn auch auf in der Regel niedrigerem Niveau, zur Not auch über Transferleistungen sicherstellen. Sinn finden viele Menschen nicht nur durch Arbeit, sondern in ihrer Familie, ihrem sozialen Netz, durch Hobbies und bei ehrenamtlichen Tätigkeiten. Ähnliches gilt für die Tagesstruktur. Ein vierter Punkt, der meist ungenannt bleibt, ist jedoch für die meisten Menschen nicht befriedigend ohne Erwerbsarbeit zu erreichen. Es handelt sich hierbei um die soziale Einordnung. Sowohl ältere als auch zeitgenössische soziologische Modelle gesellschaftlicher Struktur nehmen neben horizontalen Positionierungen auch eine vertikale Einordnung vor. Die gängigen Schichtmodelle mit Einteilungen in obere, mittlere und untere Schichtungen sind hier zu nennen. Zumindest im Bereich der unteren und mittleren Schichten wird die gesellschaftliche Einordnung durch arbeitsbezogene Faktoren bestimmt. Kreckel hat 1992 das Konzept der meritokratischen Triade vorgelegt. Demnach bestimmen die drei Faktoren Bildungsabschluss, Stellung im Erwerbsleben und Einkommen die soziale Ungleichheit. Sobald sich an einem dieser drei Faktoren etwas ändert, verändert sich auch die gesellschaftliche Position. Jeder, der eine Beförderung, Gehaltserhöhung oder das Erreichen eines angestrebten Abschlusses erlebt hat, weiß dies zumindest implizit. Jeder, der einen beruflichen Abstieg, Gehaltseinbußen oder gar die Aberkennung oder Entwertung eines Titels erlebt oder am Beispiel von einigen Politikern miterlebt hat, weiß dies ebenso. Und wer dies ebenso weiß sind die Menschen, die aufgrund einer psychischen Störung ihren Arbeitsplatz verloren haben. Es ist daher unserer Meinung nach nicht empfehlenswert, dieses Moment zu verharmlosen und zu versuchen, einer Person zu suggerieren, dass sich durch die Arbeitslosigkeit für sie nicht so viel ändere, so lange nur für ausreichend Mittel, z. B. durch eine Rentenversicherung, Tagesstruktur und Sinnstiftung, z. B. durch eine therapeutische Maßnahme oder durch eine Tätigkeit auf dem zweiten oder dritten Arbeitsmarkt, gesorgt sei. Schilderungen Betroffener nach wiedererhalt eines Arbeitsplatzes auf dem ersten Arbeitsmarkt sprechen hier eine deutliche Sprache.
Das vorliegende Werk soll gleichermaßen allgemeinverständliche Darstellungen liefern wie auch wissenschaftlichen Grundsätzen genügen. Im Gegensatz zu referierten Publikationen, z. B. aus den von den Herausgebern durchgeführten verschiedenen prospektiven Studien zum Thema, ermöglicht eine Buchveröffentlichung jedoch zumindest in Teilen ein größeres Ausmaß an Subjektivität. Dies fängt bei der Themenauswahl an und mag sich, bei allem wissenschaftlichen Anspruch, über die Schwerpunktbildung in den einzelnen Kapiteln bis in die Darstellungen des jeweiligen Gegenstandes und in die getroffenen Schlussfolgerungen hinein erstrecken. Dies gilt es u. E. nicht zu vermeiden, sondern diese Subjektivität kann und soll zum Diskurs beitragen und das Themenfeld somit voranbringen. Wir haben daher bei der redaktionellen Bearbeitung der Kapitel den Autorinnen und Autoren möglichst große inhaltliche Freiheit gelassen. Hinzu kommt die nicht unwesentliche Tatsache, dass ein so breites Themengebiet nicht von ein oder zwei Herausgebern überblickt werden kann und daher dem Expertenstatus der einzelnen Autorinnen und Autoren ein besonders großes Gewicht zukommt.
Im ersten Kapitel stellt der Historiker Manfred Füllsack die Geschichte der Arbeitsrationalisierung dar und gibt eine Prognose zur Arbeit der Zukunft ab. Er schlägt hierbei dir Brücke zur Umverteilungsdebatte sowie zum Umgang mit dem Thema prekäre Arbeit ( Kap. 8). Vier soziologische Autorinnen und Autoren beleuchten im Kapitel 2 aus arbeitssoziologischer Perspektive insbesondere das Thema Belastung durch Arbeit und identifizieren drei Herausforderungen für das betriebliche Belastungsmanagement: Arbeits- bzw. Selbstorganisation, Kommunikation und Kooperation sowie Selbst- bzw. Lebensführung. Die ökonomische Perspektive, unterteilt in die Bereiche Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft, kommt im dritten Kapitel zum Zuge. Die Rollen und die Bedeutung verschiedener Stakeholder für die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit psychischen Erkrankungen werden hier analysiert.
Auch die Theologie hat sich vielfach mit dem Thema Arbeit auseinandergesetzt, zumal insbesondere die christliche und die jüdische Religion das allgemeine Konzept der Arbeit entscheidend beeinflusst haben. Die politischen Regelungen und kollektiven Einstellungen zur Arbeit sind sogar, wie im vierten Kapitel dargelegt, ohne den Einfluss der Religion nicht vollständig zu verstehen. Auch wenn sich religiöse Einflüsse in unserer Gesellschaft momentan auf dem Rückzug zu befinden scheinen, erschien es uns wichtig, diesen Einflüssen im vorliegenden Werk ausreichend Platz einzuräumen, zumal der theologische Diskurs durchaus aktuelle Themen wie Nachhaltigkeit umfasst. Ein Werk über die Arbeit und deren Wechselwirkung mit psychischer Gesundheit und Krankheit ist ohne Darstellung der unternehmerischen Sicht nicht vollständig. Umso mehr bedauern die Herausgeber, dass sich trotz intensiver Bemühungen und anfänglicher Zusagen kein Unternehmensvertreter finden ließ, der sich inhaltlich und zeitlich in der Lage sah, einen entsprechenden Beitrag zu leisten. Durch eine ungefähr zeitgleich mit dem Beginn der Arbeit am vorliegenden Werk begonnene Unternehmensbefragung der Arbeitsgruppe eines der Herausgeber (WK) wird nun im Kapitel 5 dennoch auch die Unternehmerperspektive dargestellt. Mit Ursula Engelen-Kefer konnte hingegen eine prominente Gewerkschaftsvertreterin gewonnen werden, die im sechsten Kapitel über Arbeit und Arbeitslosigkeit und deren Auswirkungen auf die Psyche aus gewerkschaftlicher Sicht berichtet. Naturgemäß besteht in diesem Kapitel ein besonders enger Bezug zur Situation in Deutschland.
Die Schlagworte Integration und Inklusion sind aus dem Themenfeld Arbeit und Psyche nicht wegzudenken, werden jedoch teilweise recht beliebig und austauschbar verwendet. Dass sie insbesondere letzteres nicht sind, wird im siebten Kapitel ausführlich von dem Soziologen Dirk Richter dargestellt. Dies nicht ohne den Hinweis, dass Arbeit nur ein Aspekt der Inklusion ist, wenngleich aber der dominante.
In der klinischen und wissenschaftlichen Arbeit der Herausgeber und auch im vorliegenden Werk kommt die Grundhaltung zum Ausdruck, dass Arbeit ein hohes und grundsätzlich erstrebenswertes Gut ist, auch für Menschen, die von psychischer Erkrankung bedroht sind, darunter leiden oder in der Vergangenheit betroffen waren. Gleichzeitig sollte aber auch berücksichtigt werden, dass nicht jede Form von Arbeit per se erstrebenswert oder gar gesundheitsförderlich ist. Ein Beispiel für problematische und potentiell gesundheitsschädliche Formen von Arbeit sind prekäre Arbeitsverhältnisse, die dem Arbeitnehmer keine ausreichende finanzielle oder planerische Sicherheit zu geben vermögen. Diesem nicht ausreichend beforschten und gleichzeitig hoch relevanten Thema wird in Kapitel 8 Raum gegeben. Nicht nur in medizinischen Fachgebieten wie Arbeitsmedizin, Psychiatrie und Psychotherapie und Allgemeinmedizin nimmt die Arbeit eine zentrale Rolle ein. Die Psychologie widmet ihr mit der Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie drei zueinander in enger Beziehung stehende Teilgebiete. Kapitel 9 liefert einen entsprechenden Überblick. In der Medizin wiederum ist die Einschätzung von Arbeitsfähigkeit einerseits eine Alltäglichkeit, andererseits aber nicht ohne Fallstricke. Während bei manchen Ärzten die Grundhaltung zu bestehen scheint, jeden Patienten vor der Arbeit schützen zu müssen, finden sich andererseits immer wieder auch ärztliche Kollegen, die mit geradezu detektivischer Aktivität ihren Patienten oder Gutachtensprobanden deren Arbeitsfähigkeit beweisen wollen. Über den medizinischen Bereich hinaus haben die Themen Arbeitsfähigkeit und Invalidität auch juristische Implikationen, die in den Kapiteln 10 und 11 dargestellt werden, wobei sich das elfte Kapitel besonders auf die Begutachtung fokussiert.
In Kapitel 12 werden die Auswirkungen von Stress auf die psychische Gesundheit referiert. Ein Teilaspekt dieser Thematik stellt das Burnout-Konzept dar, welches durch die nicht nur in Laienkreisen fast schon inflationär zu nennende Verwendung des Begriffs Burnout einer besonders kritischen Würdigung bedarf. Andererseits sollte nicht vergessen werden, dass die psychiatrische Praxis zeigt, dass manche Menschen durch die breite gesellschaftliche Akzeptanz des Konzepts Burnout eher bereit sind, psychiatrisch-psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wer die »Diagnose« Burnout bekommen hat, muss aus Laiensicht ja für eine Sache buchstäblich gebrannt haben, während jemandem mit einer Depression fälschlicherweise eher Willensschwäche attestiert werden wird. Eine Bezugnahme auf die im ersten Kapitel dargestellte protestantische Arbeitsethik drängt sich hier geradezu auf. Ein medizinisches Fachgebiet, welches so eng wie nur denkbar mit dem Gegenstand Arbeit verbunden ist und ihn sogar im Namen trägt ist die Arbeitsmedizin. Im 13. Kapitel wird auf die arbeitsmedizinische Sicht der Arbeit und Psyche unter besonderer Berücksichtigung des Arbeitsschutzes eingegangen. Dabei fällt auf, dass Arbeitsschutzmaßnahmen vor allem der Prävention körperlicher Schäden dienen, während ein Arbeitsschutz vor psychischen Erkrankungen zumindest noch nicht spezifisch formuliert wurde.
Während, wie in den Kapiteln zu prekärer Arbeit ( Kap. 8), zu Stress ( Kap. 12) und zur Arbeitsmedizin ( Kap. 13) dargestellt, nicht passende, ausbeuterische oder gefährliche Arbeit schädlich sein kann, darf nicht vergessen werden, dass dasselbe für die Arbeitslosigkeit gilt. Nicht ohne Grund gibt es einen Zusammenhang zwischen Arbeitslosenraten und Suiziden. Wie wir mittlerweile wissen, ist nicht nur der Anstieg der Arbeitslosenraten während der Wirtschaftskrise ab 2008 international mit einem Anstieg der Suizidraten einhergegangen. Statistische Modulationen konnten sogar zeigen, dass neunmal so viele Suizide wie durch den bloßen Anstieg anzunehmen mit Arbeitslosigkeit assoziiert sind. Da zudem psychische Störungen klar als mit einem höheren Suizidrisiko einhergehend belegt sind, haben wir es bei psychisch kranken Arbeitslosen also mit einem Hochrisikoklientel zu tun. Insbesondere in einem Umfeld mit einer niedrigen Grundarbeitslosigkeit ist der Anstieg von Suiziden besonders ausgeprägt. Dies könnte damit zu erklären sein, dass die gesellschaftliche Grundannahme, einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt zu haben, verletzt wird. Der Anstieg der Suizidraten tritt bereits sechs Monate vor dem Anstieg der Arbeitslosenraten auf. Bereits die Aussicht, den Arbeitsplatz zu verlieren, wirkt sich also auf die Suizidrate aus. Die Suizidprävention sollte sich in diesem Zusammenhang also beispielsweise auf die Schulung von Fachpersonen, die in Personalabteilungen und Arbeitsämtern beschäftigt sind, richten. Diese Fachpersonen haben bereits vor Eintritt der tatsächlichen Arbeitslosigkeit mit den Betroffenen zu tun und sollten in der Lage sein, Hinweise auf Suizidalität wahrzunehmen und entsprechend zu handeln. Kapitel 14 widmet sich dem zentralen Thema der Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die psychische Gesundheit.
In den Kapiteln 15, 16 und 17 zur beruflichen Rehabilitation und zur praktischen Anwendung evidenzbasierter psychiatrischer Rehabilitation werden Wege aus der Arbeitslosigkeit und Möglichkeiten der Verhinderung eines Arbeitsplatzverlustes durch psychische Erkrankung aufgezeigt. Die Supported Employment-Methode Individual Placement and Support stellt den Goldstandard beruflicher Rehabilitation bei psychischer Erkrankung dar, wobei zu beachten ist, dass Arbeit hier nicht nur als Ziel der Rehabilitation gesehen wird, sondern als rehabilitatives Mittel selbst.
Ein von Autoren akademischer Provenienz dominiertes Werk wie das vorliegende sollte nicht auf die Darstellung durch Experten aus Erfahrung (experts by experience) verzichten. Zwei psychiatrierfahrene Menschen haben sich bereiterklärt, ihre Sicht und ihre Erfahrungen mit dem Wechselspiel aus Arbeit, psychischer Erkrankung und psychischer Gesundheit mit dem Leser zu teilen. Die im entsprechenden Kapiteln 18 enthaltene Unmittelbarkeit der Darstellungen wird so sicher von keinem Autor erreicht werden, der nicht aus einer solchen Erstpersonenperspektive (hier wie auch im internationalen Schrifttum als First-Person-Account bezeichnet) auf die Thematik blickt.
Die Kapitel 19 und 20 beschäftigen sich mit traditionellen psychiatrisch rehabilitativen Maßnahmen wie Arbeitstherapie und heute sog. Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigungen. Auch hier konnten internationale Experten gewonnen werden, sodass die Situation in Deutschland, Österreich und der Schweiz abgebildet wird. Zusätzlich zu dem hier beschriebenen sog. »Zweiten Arbeitsmarkt« existiert der beispielsweise in der Schweiz als »Dritter Arbeitsmarkt« bezeichnete Bereich des Ehrenamtes bzw. der Freiwilligenarbeit. Dieser wird im Kapitel 21 thematisiert. Das Buch schließt mit einem Kapitel zum betrieblichen Gesundheitsmanagement und zur betrieblichen Gesundheitsförderung (BGM) ab. BGM umfasst heute auch den Bereich der psychischen Gesundheit. Gleichzeitig ist es von einem bloßen Absenzenmanagement, welches, falsch angewandt, sogar nachteilige Effekte auf die Gesundheit haben dürfte, abzugrenzen.
Bei der Beschäftigung mit dem Buch mag dem aufmerksamen Leser auffallen, dass einzelne Themen, die eigene Kapitel verdient hätten, fehlen oder in übergeordneten Kapiteln behandelt werden. Wir hoffen, in einer eventuellen späteren Auflage das Spektrum noch erweitern zu können und freuen uns über Rückmeldungen hierzu aus der Leserschaft.
Die Herausgeber
Einführung
Wolfram Kawohl & Wulf Rössler
1 Geschichte und Zukunft der Arbeitsrationalisierung
Manfred Füllsack
1.1 Die Mühen der Arbeit und ihre Folgen
1.2 Arbeit durch Arbeit
1.3 Arbeitsteilung
1.4 Rationalisierung
1.5 Der komparative Kostenvorteil
1.6 Umdenken
2 Arbeitssoziologische Belastungsforschung zu neuen Arbeitsformen
Norbert Huchler, Stephanie Porschen-Hueck, Tobias Ritter & Stefan Sauer
2.1 Der Arbeitssoziologische Blick auf Arbeit und Belastung
2.2 Selbstsorganisation und Belastung am Beispiel agiler Entwicklungsprozesse
2.3 Belastungen durch Kooperation und Kommunikation am Beispiel Projektarbeit
2.4 Selbst-/Lebensführung und Belastung am Beispiel entgrenzter Arbeit
2.5 Gesundheitspolitik als breite Aufgabe
3 Ökonomische Aspekte der Arbeitsmarktintegration von Menschen mit psychischen Erkrankungen
Stephan A. Boehm & Beatrix Eugster
3.1 Einleitung
3.2 Bedeutung einer verstärkten Arbeitsmarktintegration von Menschen mit psychischen Erkrankungen – eine Stakeholderanalyse
3.3 Zusammenfassung und Kernerkenntnisse
4 Zur Arbeit berufen? Ethik der Arbeit aus theologischer Perspektive
Torsten Meireis
4.1 Einleitung
4.2 Zur historischen Veränderung der Arbeitskategorie
4.3 Gegenwart und Zukunft der Arbeit: Herausforderungen aus theologisch-ethischer Perspektive
5 Einstellung von Unternehmensvertretern zur Beschäftigung von Menschen mit psychischen Erkrankungen
Rebekka Schneider, Wolfram Kawohl & Barbara Lay
5.1 Einführung
5.2 Perspektive von Arbeitgebenden
5.3 Profil der Unternehmen, die Personen mit einer psychischen Erkrankung beschäftigen
5.4 Voraussetzungen für eine Beschäftigung
5.5 Kenntnis von Unterstützungsangeboten
5.6 Relevanz von Unterstützungsangeboten
5.7 Ausblick
6 Arbeit und Arbeitslosigkeit aus der Gewerkschaftsperspektive
Ursula Engelen-Kefer
6.1 Arbeit, Arbeitsbedingungen und Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik
6.2 Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne, Armut
6.3 Paradigmenwechsel in Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik
6.4 Brain Drain, Brain Gain, Brain Circulation
6.5 EU-Jugendarbeitslosigkeit – Vorfahrt für Solidarität
7 Inklusion, Exklusion und Integration: Schlüsselkonzepte für die psychiatrische (Arbeits-) Rehabilitation
Dirk Richter
7.1 Soziale Integration: Das Ziel der frühen Sozialpsychiatrie
7.2 Inklusion und Exklusion: Theoretische Perspektiven
7.3 Exklusion statt Integration: Die soziale Realität für viele Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung
7.4 Individuum und Gesellschaft: Exklusion durch Nicht-Passung
7.5 Unterstützte Inklusion: Die Rolle des Hilfesystems
7.6 Schlussfolgerung: Real Life First?
8 Prekäre Arbeit und psychische Gesundheit
Helen Schmidt & Wolfram Kawohl
8.1 Armut und psychische Gesundheit
8.2 Working Poor
8.3 Arbeitsplatzfaktoren
8.4 Psychische Gesundheit von Working Poor
8.5 Fazit
9 Arbeit und Psyche aus arbeits- und organisationspsychologischer Sicht: Ein Überblick mit Fokus auf Hobfolls (1989) Theorie der Ressourcenerhaltung
Sebastian Fischer
9.1 Einleitung
9.2 Stresserleben entlang der Theorie der Ressourcenerhaltung
9.3 Leistungs- und Termindruck
9.4 Konflikte mit Kollegen und Führungskräften
9.5 Schwierigkeiten in der Arbeitsorganisation
9.6 Handlungsspielraum und eigeninitiatives Handeln
9.7 Arbeitslosigkeit und Arbeitsplatzverlust
9.8 Fazit
10 Arbeitsunfähigkeit
Ulrike Hoffmann-Richter
10.1 Einleitung
10.2 Begriffsklärung
10.3 Beurteilung der Leistungsfähigkeit als ärztliche Aufgabe?
10.4 Methodologie und Methodik
10.5 Praktisches Vorgehen
10.6 Operationalisierungshilfen
10.7 Literaturhinweise
11 Ausgewählte forensisch-psychiatrische Aspekte bei der Begutachtung der Arbeitsfähigkeit
Michael Liebrenz & Roman Schleifer
11.1 Einführung
11.2 Das Gutachten als „Brückenschlag“ zwischen Medizin und Recht
11.3 Das Gutachten als Messinstrument mit einem Fokus auf der Funktion
11.4 Grenzen gutachterlicher Tätigkeit
11.5 Abklärungstiefe und die Forderung nach der Anpassung an die Vorgaben des Auftraggebers
11.6 Ethische Aspekte der Begutachtung
11.7 Die Begutachtung von Menschen mit Migrationshintergrund/unzureichenden Sprachkenntnissen der Landessprache(n)
11.8 Umgang mit anderen Professionen und Disziplinen
11.9 Kasuistiken aus der Gutachtenspraxis
12 Stress und psychische Erkrankungen
Bernd Krämer & Wolfram Kawohl
12.1 Historische Veränderung der Arbeit und der Arbeitsbedingungen
12.2 Arbeit und Stress
12.3 Stressfolgestörungen bei Akutem Stress
12.4 Stressfolgestörungen bei Chronischem Stress
12.5 Zusammenfassung
13 Arbeit, Arbeitsschutz und Psyche aus arbeitsmedizinischer Sicht
Brigitta Danuser
13.1 Einleitung
13.2 Evolution von Arbeit und Gesundheit
13.3 Funktioniert das Management von Arbeit und Gesundheit in der Schweiz?
13.4 Schlussfolgerungen
14 Arbeitslosigkeit und psychische Gesundheit
Helga Gumplmaier & Matthias Jäger
14.1 Präambel: zur Bedeutung von Arbeit für psychisches Wohlbefinden
14.2 Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und psychischer Gesundheit
14.3 Risikofaktoren für psychische Probleme bei Arbeitslosigkeit
14.4 Folgen von Arbeitsplatzverlust und -unsicherheit
14.5 Wirtschaftliche Lage
14.6 Maßnahmen zur Verbesserung der psychischen Gesundheit
15 Inklusion in den allgemeinen Arbeitsmarkt als Ziel der Rehabilitation
Dorothea Jäckel & Holger Hoffmann
15.1 Einleitung
15.2 Arbeit und psychische Gesundheit
15.3 Arbeitsrehabilitation im Wandel
15.4 Teilhabe am Arbeitsleben – von der Integration zur Inklusion
15.5 Konzept der Funktionalen Gesundheit – ICF
15.6 Indikation und Ziele von Arbeitsrehabilitation
15.7 Black Box oder Evidenzbasierung in der Arbeitsrehabilitation
15.8 Wirkfaktoren in der Arbeitsrehabilitation: Förderfaktoren und Barrieren für den arbeitsbezogenen Outcome
15.9 Best Practice in der psychiatrischen Arbeitsrehabilitation
15.10 Zusammenfassung und Ausblick
16 Supported Employment
Holger Hoffmann, Dorothea Jäckel & Wolfram Kawohl
16.1 Grundsätze des Supported Employment
16.2 Die SE-IPS Fidelity Scale-15
16.3 Wissenschaftliche Evidenz für die Überlegenheit von SE-IPS
16.4 Ist SE-IPS auch außerhalb der USA erfolgreich?
16.5 Wer profitiert von SE-IPS?
16.6 Stärken und Chancen des SE-IPS
16.7 Schwächen und Risiken des SE-IPS
16.8 Fazit
17 Praktische Aspekte des Job Coachings
Bettina Bärtsch & Micheline Huber
17.1 Einleitung
17.2 Job Coaching in der Praxis
17.3 Störungsspezifische Aspekte des Job Coachings
17.4 Fallbeispiele
17.5 Fazit
18 First-Person-Account
18.1 Der lange Anfang
M. U.
18.2 Ich will es schaffen
O. R.
19 Arbeitstherapie/klinische Arbeitstherapie
Albrecht Konrad
19.1 Tradition und Entwicklung der Arbeitstherapie
19.2 Begriffsklärung und Hintergründe zum besseren Verständnis
19.3 Bedeutung des Selbstbildes in Bezug zur Arbeit
19.4 Ausgangssituation Arbeitsmarkt/Arbeitswelt
19.5 Historie
19.6 Klinische Arbeitstherapie am Beispiel der PUK Zürich (Stand 2016)
19.7 Patientenperspektive auf die klinische Arbeitstherapie
19.8 Faktoren einer erfolgreichen (Re-)Integration
19.9 Beispiele aus der Praxis
19.10 Kritische Schlussbemerkung
20 Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigungen
Irmgard Plößl, Kurt Orlandi (Schweiz) & Maria Egger (Österreich)
20.1 Die Situation der Werkstätten für behinderte Menschen in Deutschland
20.2 Rechtliche Rahmenbedingungen
20.3 Angebotsbreite der Werkstätten zur beruflichen Teilhabe
20.4 Werkstätten als Ort der Qualifizierung: Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich
20.5 Werkstätten als Ort der beruflichen Teilhabe: Arbeitsbereich
20.6 Werkstätten als Ort der Persönlichkeitsentwicklung
20.7 Werkstätten als Teil der Wirtschaft
20.8 Finanzierung der Werkstätten
20.9 Werkstätten als Weg zu beruflicher Teilhabe und Inklusion
20.10 Die Situation in der Schweiz
20.11 Die Situation in Österreich
21 Ehrenamt und Freiwilligenarbeit
Matthias Jäger & Wolfram Kawohl
21.1 Einleitung
21.2 Begriffliche Definitionen und Abgrenzung
21.3 Verbreitung in der Gesellschaft
21.4 Motivationale Faktoren
21.5 Zusammenhänge mit physischer Gesundheit und Mortalität
21.6 Zusammenhänge mit psychischer Gesundheit
21.7 Einflussfaktoren
21.8 Gesundheits- und gesellschaftspolitische Implikationen
21.9 Offene Fragen und Forschungsdesiderate
22 Betriebliches Gesundheitsmanagement und psychische Gesundheit am Arbeitsplatz
Brita Müller-Kanneberg & Sebastian Fischer
22.1 Betriebliches Gesundheitsmanagement
22.2 Psychische Gesundheit im BGM
22.3 Zusammenfassung
Autorenverzeichnis
Das Thema Arbeit wird gegenwärtig vor allem im Hinblick auf zwei miteinander verwobene Problemfelder diskutiert: Zum einen ist dies die zunehmende Klage vieler Berufstätiger, in ihrer Arbeit mit psychisch belastenden Aspekten wie Stress, Burnout oder auch Mobbing und Demotivation konfrontiert zu sein (Ehrenberg 2004). Die Zahl der Fehlzeiten infolge psychischer Erkrankungen ist im letzten Jahrzehnt dramatisch gestiegen (Hillienhof 2014). Interessanterweise geht die Überbelastung vieler Arbeitender mit dem Anwachsen der seit den 1990er-Jahren etwas verharmlosend als Sockelarbeitslosigkeit bezeichneten Beschäftigungsproblematik einher, was implizieren würde, dass ein Teil der europäischen Gesellschaft zu viel arbeitet, während ein anderer zu wenig oder keine Arbeit hat.
Zum anderen wird das Thema Arbeit zurzeit wieder vermehrt mit der Frage in Verbindung gebracht, ob denn die fortschreitende Rationalisierung und Automatisierung, vor allem die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie, zu einem nachhaltigen Abbau von Erwerbsarbeitsplätzen führt. Bisher war man diesbezüglich von einem sich schlimmstenfalls beschleunigenden ökonomischen Strukturwandel ausgegangen, der im Prinzip den Schwund an Arbeitsplätzen, den er in einem Bereich verursacht, durch Schaffung neuer Arbeitsplätze in anderen Bereichen auffängt – irgendjemand muss die Maschinen und Roboter ja schließlich auch entwerfen und bauen, so das gängige Argument. In den letzten Jahren wurden allerdings vermehrt Stimmen laut, die darauf hinweisen, dass die Geschwindigkeit der Automatisierung die der Schaffung neuer Arbeitsmöglichkeiten zu übersteigen beginnt und dass überdies die Rationalisierung mittlerweile auch jene Dienstleistungsbereiche erfasst, die bislang als die großen Hoffnungsträger für die Unterbringung der in der Industrie nicht mehr benötigten Arbeitskräfte betrachtet wurden. Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee (Brynjolfsson & McAfee 2009) vom Massachusetts Institute of Technology beispielsweise meinen, dass der technische Fortschritt erstmals in der Geschichte der Menschheit in der Tat mehr Arbeitsplätze vernichtet als er neue schafft. Und Carl Frey und Michael Osborne von der Oxford Martin School (Osborne und Benedikt 2013) halten von den mehr als 700 in den USA erfassten Berufen fast die Hälfte für akut Rationalisierungsgefährdet. Angesichts jüngster Medien-Meldungen über automatisch generierte Zeitungsnachrichten (Stadler 2014), maschinell erstellte Krankheitsdiagnosen (Cohn 2013) und Forschungsergebnisse (Schmidt und Lipson 2009), aber auch komplexere Pflegeaufgaben, die bereits weitgehend von Haushaltsrobotern übernommen werden1, scheint die Möglichkeit nicht mehr ganz von der Hand zu weisen, dass die Ökonomie der Zukunft bei gleicher Produktivität deutlich weniger menschliche Arbeitskräfte benötigt als dies heute der Fall ist. Wenn dem so ist, stellt sich freilich die Frage, wie denn der maschinell erzeugte Wohlstand unter die Menschen gebracht werden soll. Wenn Arbeitsleistung nicht mehr ausschließlich von Menschen gekauft werden muss und damit an Lohnzahlung gebunden ist, werden andere Formen der Umverteilung von Produktivitätsgewinnen notwendig.
Obwohl für uns moderne Arbeitende die beiden Problemfelder – einerseits steigende Belastung, andererseits maschinelle Rationalisierung – auf den ersten Blick ein wenig divers wirken, sind sie doch in ihren Bedingungen aneinandergeknüpft. Gerade der Umstand nämlich, dass Arbeit als mühevoll erlebt wird, als anstrengend und mitunter krankmachend, hat immer schon einen entscheidenden Impuls dafür gegeben, die Arbeit zu rationalisieren. Diesen Wurzeln und Prinzipien der Rationalisierung lässt sich bis in die ferne Vergangenheit nachspüren.
Bereits die Begründer der europäischen Kultur, etwa das antike Griechenland und das römische Reich, fassten ihre Arbeit in Begriffen, die die Mühen und Anstrengungen erkennen lassen, die sie mit Arbeit assoziierten und die die Gründe zur Rationalisierung der Arbeit lieferten. Die Griechen zum Beispiel fassten den Aspekt der Mühe als ponos. Die Römer bezeichneten das Schwanken ihrer Sklaven unter einer Last als laborare, das – leicht erkennbar – zur Wurzel des englischen labour oder des italienischen lavoro wurde. Als tripalium bezeichneten sie eine Art Joch, das zur Folter und Bestrafung von Sklaven und Arbeitsunwilligen eingesetzt wurde und damit die Wurzel des französischen travail und des spanischen trabajo darstellt. Eine Vielzahl von Berichten schildert die Leiden und Entbehrungen antiker Arbeitender, schon damit verbunden aber auch die Versuche, diese durch téchne – altgriechisch für zielorientierte Wissensanwendungen von Handwerkern – zu minimieren (Füllsack 2009).
Mit dem Schaffen dieser téchne und ihren entsprechenden Manifestationen, also allem voran etwa den Werkzeugen, verband sich der zweite wichtige Aspekt der antiken Arbeit, nämlich die Erarbeitung des ergon, des Werkes, also des bleibenden, des nicht verkonsumierten Teils des Arbeitsprodukts. Diese bleibenden Werte der Arbeit fassten die Römer als opera und machten es damit zur Wurzel etwa des französischen œuvre oder des künstlerischen Opus. Ebenfalls den Aspekt des Hervorbringens benennen lateinische Begriffe wie facere und faber, aus denen sich zum einen das Faktum, das Gemachte, und andererseits, leicht erkennbar, die Fabrik oder die Fabrikation herleiten. Nicht zuletzt im Englischen kennt man bis heute die Unterscheidung der mühevollen und der hervorbringenden Aspekte der Arbeit, also von labour und work.
Offensichtlich arbeiten also Menschen, und übrigens auch manche Tiere, so effektiv, dass nicht alle Arbeitsprodukte sofort und vollständig konsumiert werden müssen. Arbeit erzeugt bleibende Werte, was von weittragender Bedeutung ist – vor allem für die Arbeit selbst. Genau damit ersparen sich nachfolgende Generationen nämlich, die vorgeleistete Arbeit ihrer Vorfahren zu wiederholen. Sie müssen das Rad nicht immer wieder von Neuem erfinden. Diese Ersparnis, die später prominent unter dem Begriff »Kapital« gefasst wurde, steht nachfolgenden Generationen zur Verfügung, um sie in die je aktuelle, in die »lebendige« eigene Arbeit zu investieren und so die Chancen zu steigern, die Welt neuerlich effizient zu bearbeiten. Genau dies schuf aber bisher auch stets neue Arbeitsaufgaben. Hatte die Vorgeneration unter Kälte gelitten, so stand nun, nach »Erarbeitung« des Feuers, vielleicht die Versorgung mit trockenem Brennmaterial an. Mühten sich die Vorgänger mit der Statik ihrer Bauwerke, so sorgten die Mathematik und die Architektur für das Problem rasant wachsender Städte. Und war für die Vorgeneration mangelnde Mobilität ein zentrales Problem, so machte nun, nach Erarbeitung von Kraftfahrzeugen, der Treibstoffnachschub, der Ausstoß von schädlichen Abgasen oder die Parkplatzknappheit in großen Städten Probleme, an denen von Neuem gearbeitet werden musste. Kurz, die Welt der nachfolgenden Generation wurde durch die bleibenden Arbeitsprodukte der Vorgänger zu einer anderen Welt. Die Arbeitsprodukte, die die Vorgänger generierten, aber nicht oder nicht ganz verbrauchten, ersparten der Nachfolgegeneration zwar einerseits Arbeit, bildeten gleichzeitig aber auch den Ausgangspunkt für je neue Arbeit, sie bildeten den Status quo, anhand dessen sich zeigte, welche Probleme und Knappheiten es nun mittels Arbeit zu bewältigen galt. Arbeit – und dies war bisher eine vielfach bestätigte Regel – erzeugte, wenn sie auch nur halbwegs erfolgreich verrichtet wurde, stets notwendig und unausweichlich Bedarf für weitere Arbeit. Grundsätzlich ist dies auch weiterhin so, Arbeit macht Arbeit (Priddat 2010). Die Frage, die sich dazu heute allerdings stellt, ist, ob diese Arbeit noch in jedem Fall von Menschen verrichtet werden muss.
Das Prinzip von Arbeit durch Arbeit gilt dabei nicht nur für die Rationalisierung mit Artefakten, Werkzeugen etwa, welche als nicht konsumierte Arbeitsprodukte in den Arbeitsprozess rückinvestiert werden. Es bezieht sich vielleicht mehr noch auf die Arbeitsteilung, die als notwendige Bedingung jede Form von Rationalisierung begleitet. Ein bekanntes Beispiel (Baecker 2002), das ich hier vereinfacht wiedergebe, beleuchtet diesen Umstand recht anschaulich. Es bezieht sich auf eine idealtypische frühe menschliche Gesellschaft, die im Wesentlichen von nur einer einzigen Art zu arbeiten lebt, also zum Beispiel von der Jagd nach wilden, vielleicht auch gefährlichen Tieren. Um diese zu erjagen, brauchen die Jäger dieser Gesellschaft, außer Kraft, Geschick und Ausdauer, auch viel Mut und vielleicht sogar ein wenig Aggression. Eine solche Jagdgesellschaft wird deshalb gut daran tun, sich auf ihre Jagd einzustimmen, sich aufzuputschen, für einen entsprechenden Adrenalinspiegel zu sorgen, der ihr ermöglicht, den Gefahren erfolgreich zu trotzen. Und sie wird darüber hinaus gut daran tun, dafür zu sorgen, dass sie sich nach der Jagd wieder entsprechend beruhigt. Aufgeputschte und blutrünstige steinzeitliche Jäger sind kein geeigneter Umgang für daheimgebliebene Frauen und Kinder. Diese Gesellschaft wird also Bedingungen dafür schaffen müssen, die Jäger vor und nach ihrer Arbeit geeignet zu umsorgen, sie also zum Beispiel in einer Art »Quarantänestation« mit spezifischen Ritualen auf die Jagd vorzubereiten und danach wieder abzureagieren, bevor sie auf ihre Familien treffen.
Tatsächlich zeigen ethnologische Studien, wie sie etwa Stanley H. Udy (Udy 1970) beschrieben hat, dass Jagdgesellschaften solche Quarantänestationen – oftmals Kult- oder Zeremonienstätten am Rande des Dorfes – vorsahen und dass sie darüber hinaus, je nach Prosperität der Gesellschaft, auch entsprechend ausgeschmückte Rituale zur Vor- und Nachbereitung der Jäger kannten. Nicht selten wurden diese Zeremonienstätten dabei auch von spezialisiertem Personal betreut, von Priestern etwa, die sich mit verschiedensten Kulthandlungen, Tänzen, Gesängen sowie der Verabreichung Mut machender Mittel um die passende Gestimmtheit der Jäger kümmerten. Diese Vor- und Nachbereitung der Jäger beschäftigte mitunter sogar mehrere Mitglieder derselben Gesellschaft und wurde in der Regel, wenn sie erfolgreich zur Produktivitätssteigerung der Jagd beitrug, auch sukzessive erweitert. Die Kulthandlungen erhielten damit zunehmend Bedeutung und begannen sich allmählich gegenüber der Jagd zu verselbstständigen. Nicht mehr nur die Jäger, sondern nun auch die Priester und Zeremonienmeister und die sonstigen mit dieser »Kultur« beschäftigten Gesellschaftsmitglieder arbeiteten nun mit an den Belangen dieser Sozietät. Aus einer Gesellschaft, die – so haben wir angenommen – zunächst nur jagte, um ihr Dasein zu sichern, wurde, gerade indem sie sich darum bemühte, ihre Arbeit zu effektivieren, eine arbeitsteilige Gesellschaft. Sie bestand nun (zumindest) aus Jägern und Priestern.
Dies ist keine zufällige Entwicklung. Arbeit hat grundsätzlich die Tendenz, sich zu differenzieren. Wo immer Arbeitsabläufe effektiviert werden, um sich die damit verbundenen Mühen zu sparen, und diese Effekte auf die Arbeit zurückwirken, entsteht neue Arbeit. Wenn durch Ausbildung von Arbeitskräften etwa komplexere Aufgaben zu bewältigen sind, so entsteht unvermeidbar Bedarf an Lehrern und Schulen. Wenn durch sinnvolle Organisation Produktionsabläufe effektiviert werden, so entsteht Bedarf an Management und Kontrolle. Und wenn sich durch technische Innovationen Steigerungen an Output und Wirtschaftswachstum erzielen lassen, so entsteht Bedarf an research and development, an Wissenschaft im weitesten Sinn. Mit anderen Worten: Arbeit macht Arbeit, und das unablässig und in sich beschleunigendem Ausmaß.
Schon in Gesellschaftsformen, die gerne als einfach beschrieben werden, finden sich deshalb zahlreiche Differenzierungen, die auch für die moderne Arbeitswelt von Bedeutung sind. Interessant scheint zum Beispiel der Umstand, dass schon Jägergesellschaften in gewissem Sinn zwischen Arbeitsplatz und Wohnort unterscheiden und damit verbunden soziale Kompetenzen entwickeln. Anders als die meisten Jäger im Tierreich nehmen Menschen die Mühe auf sich, ihre Jagdbeute auch über weitere Strecken zu ihrer Höhle oder Behausung zu transportieren, um sie da mit anderen Mitgliedern der Gemeinschaft zu teilen. Dieses Teilen der Beute als grundlegender sozialer Akt erfordert, wenn er effizient sein soll, die Beobachtung und Administration der Beute, die die anderen einbringen, also erste sozioökonomische Überlegungen und Kalkulationen. Anthropologen vermuten, dass dies half, die Schwankungen der Nahrungsmittelversorgung durch Jagd zu mildern, was insbesondere für die Versorgung noch nicht angelernter Kinder und Jugendlicher wichtig war. Zumindest Nahrungsmittel dürften dabei interessanterweise auch vom frühen Menschen niemals wirklich gerecht unter allen Gemeinschaftsmitgliedern aufgeteilt worden sein, sondern immer schon unter Bevorzugung bestimmter Mitglieder (Stanford 1999).
Auch begann der Mensch früh damit, seine Nahrung nicht roh zu verschlingen, sondern sie zumindest ansatzweise aufzubereiten. So wurden beispielsweise mit Fellen ausgelegte und mit Wasser gefüllte Bodenvertiefungen gefunden, in die heiße Steine gelegt wurden, um erste Kräutersuppen und Ähnliches zuzubereiten. Darüber hinaus begann der Mensch bald, seine Beute durch Darstellung etwa auf Höhlenwänden oder in Form von Skulpturen ins Bild zu setzen: Das nahm ihr zum einen den Schrecken, den sie als in der Regel unvorhersehbar aus dem Dickicht hervorbrechende und damit kaum jemals »in Ruhe« betrachtbare »Bestie« ausübte; zum anderen ließ sie sich damit auch »analytisch« erfassen. Mithilfe gezeichneter Darstellungen konnten etwa spezifische Verhaltensweisen der Beute vorab erörtert werden, junge Jäger konnten auf verwundbare Stellen der Tiere aufmerksam gemacht und mit weiteren Informationen versehen werden, die für den Jagderfolg wesentlich waren, – dies umso effizienter, je genauer die Darstellungen waren. Wenig verwunderlich also, dass bereits aus der Zeit von vor circa 35 000 Jahren Höhlenmalereien vorliegen, deren Detailliertheit ahnen lässt, dass hier Spezialisten am Werk waren, die vielleicht gar nicht mehr nur nebenbei und gelegentlich auf Wänden zeichneten. Möglich, dass sich zumindest wohlhabendere Gemeinschaften schon zu dieser Zeit so etwas wie Künstler leisteten, die zumindest partiell von den unmittelbaren Tätigkeiten der Nahrungsbeschaffung freigestellt waren – dies freilich nicht, um l’art pour l’art, sprich eine im modernen Sinn »handlungsentlastete« Kunst zu generieren, sondern, um mithilfe »darstellender Analyse« die Jagdergebnisse zu effektivieren (Füllsack 2009).
Auf der einen Seite unterstützten also die analytischen Aufgaben dieser frühen Künstler die mühevollen und gefährlichen Tätigkeiten der Jäger. Auf der anderen Seite erbrachten deren Aktivitäten, wenn sie durch diese Art der Unterstützung besser gelangen, jenes Surplus an Arbeitsprodukten, hier etwa Nahrungsmittel, mit dem den Höhlenmalern die Spezialisierung auf ihre Kunst ermöglicht wurde. Eine vergleichbare Form der wechselwirkenden Arbeitsteilung hatte der griechische Philosoph Aristoteles früh im Hinblick auf die Entstehung der Mathematik geltend gemacht. Von ihm stammt die scharfsinnige Beobachtung, dass sich die Mathematik eigentlich der Prosperität der ägyptischen Wirtschaft verdankt, die es aufgrund regelmäßiger Nil-Hochwasser manchen Ägyptern – Aristoteles stellt diesbezüglich die Priester heraus – erlaubte, sich auf geistige Tätigkeiten, eben unter anderem auf das Rechnen zu spezialisieren. Nur weil die Arbeit der Bauern wegen des fruchtbaren Nil-Schlamms so produktiv war, dass damit auch andere, nicht Landwirtschaft treibende Gesellschaftsmitglieder versorgt werden konnten, wurde es diesen möglich, sich geistigen Dingen, unter anderem der Mathematik zu widmen, die dann ihrerseits, etwa durch die Berechnung von günstigen Saat- oder Erntezeiten, von Sonnenständen, von Lagerbeständen oder auch bei der Planung von Getreidespeichern oder sonstigen Bauwerken auf die Verrichtungen der körperlichen Arbeit zurückwirkte.
Aristoteles fasste diese nicht unmittelbar körperlichen Tätigkeiten unter dem Begriff scholé zusammen, was gewöhnlich als Muße übersetzt wird, aber als Wurzel des deutschen Wortes Schule darauf schließen lässt, dass damit eine weitreichende Arbeitsteilung zwischen körperlichen und eher geistigen Tätigkeiten angesprochen ist. In der späteren Industriearbeit führte eine ähnliche Teilung zwischen manueller blue-collar-Arbeit und eher geistiger, weil administrativer white-collar-Tätigkeit schließlich dazu, die heute auch politisch noch maßgebliche Differenzierung von Arbeitern und Angestellten und schließlich von verarbeitendem und Dienstleistungsgewerbe einzuleiten.
Systematisch beginnt die entsprechende Differenzierung bereits im Mittelalter Fuß zu fassen, wo als Vorläufer der industriellen Produktion die Manufaktur verschiedene Handwerke in sogenannten Arbeitshäusern zusammenzufassen begann. Eigenständige Berufsstände, die zuvor verstreut und dezentral ihre Produkte und Leistungen anboten, begannen zentral unter einem Dach zu produzieren. Drechsler, Gerber, Schlosser, Vergolder und andere schlossen sich zum Beispiel zur Kutschenmanufaktur zusammen; Schmiede, Schlosser, Nadler etc. zur Stecknadelmanufaktur.
Mit diesen Zusammenschlüsse wurde es möglich, die Arbeit systematisch aufzuteilen. Die vielfältigen Tätigkeiten, die zuvor etwa ein Nadler im Zuge des Herstellens von Stecknadeln verrichtet hatte – von der Eisenbearbeitung über das Ziehen des Metalls, das Schneiden, das Zuspitzen, bis hin zur Verpackung, Verkauf, Rechnungsführung etc. – konnten von einzelnen, sich jeweils spezialisierenden Arbeitern in Einzelschritten verrichtet werden, was, wie der Ökonom Adam Smith (Smith 1776/1937) dann hervorhob, die Produktivität erheblich zu steigern erlaubte.
Gleichzeitig wurde damit allerdings die geachtete Arbeit von Handwerkern auch allmählich entwertet: Für die Verrichtung der verschiedenen Einzelschritte war kein außergewöhnliches Spezialwissen mehr nötig, das dem Arbeitenden Prestige und Nachfrage sicherte. Darüber hinaus brachte der zerstückelte Prozess den Arbeitenden um den Bezug zu seinem Produkt. Das fertige Werk verschwand aus seinem Blickfeld. Beides waren Probleme, die die aufkommende Industriearbeit maßgeblich und fortlaufend belasteten.
Worauf beruht aber nun der enorme Produktivitätsgewinn im Detail, mit dem die industrielle Arbeit die Welt so maßgeblich zu verändern begann? Um dies im Detail zu verstehen, empfiehlt es sich, die Möglichkeiten zur Rationalisierung der Arbeit anhand eines einfachen theoretischen Beispiels durch zu überlegen.
Zum Inbegriff der industriellen Produktionsweise wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekanntlich das Fließband, an dem Arbeitsprozesse in einzelne Schritte aufgeteilt und in stets gleiche Handgriffe zerstückelt wurden. Die damit verbundene Rationalisierung führt sich auf die Möglichkeit zurück, Regelmäßigkeiten im Arbeitsvorgang zu nutzen und die sich dabei wiederholenden Teile oder Abschnitte des Prozesses zusammenzufassen, sie gleichsam zu bündeln. Man stelle sich, um diesen Effekt genauer zu sehen, kurz einen Gestrandeten auf einer einsamen Insel vor, einen Robinson etwa, der, um auf seiner Insel zu überleben, Fische zu fangen versucht. Eine der Regelmäßigkeiten dieses Arbeitsprozesses könnte darin bestehen, dass sich Fische an kleinen Haken, auf denen ein Köder angebracht ist, relativ leicht aus dem Wasser ziehen lassen. Einen Fisch dagegen nur mit den Händen aus dem seichten Wasser ans Land zu werfen, gelingt zwar vielleicht auch schlecht und recht, benötigt aber im Schnitt, sagen wir, sechs Stunden Zeit. Mit Haken schafft es Robinson durchschnittlich alle zwei Stunden einen Fisch zu fangen. Und mit nur einem davon lassen sich gewöhnlich gleich mehrere Fische fangen. Der Haken »verkörpert« also gleichsam einen sich wiederholenden Aspekt in diesem Arbeitsprozess. Im Haken ist, wie dies Karl Marx ausdrückte, Arbeit »geronnen«. Die Wiederverwendbarkeit des Hakens bewahrt den sich wiederholenden Aspekt des Hakenherstellens auf.
Während dieser Haken allerdings hergestellt wird – nehmen wir dafür eine Dauer von 6 Stunden an –, kann Robinson keine Fische fangen. In ökonomischen Termini birgt der Haken so genannte »Opportunitätskosten« und zwar in der Höhe der in seiner Herstellungszeit nicht gefangenen Fische. Wenn wir annehmen, dass Robinson noch über weitere Nahrungsquellen verfügt, die ihm vielleicht sogar lieber sind als Fisch, so scheint es für ihn wenig verlockend, 6 Stunden lang an der Herstellung eines Hakens zu arbeiten, dabei auf Nahrungsmittelproduktion zu verzichten, weil ja dafür keine Zeit bleibt, nur um hier und da einen Fisch zu fangen. Wie leicht nachzurechnen ist, rentiert sich der Haken in diesem Beispiel erst ab dem zweiten Fisch. Diese Menge zu fangen dauert (im Schnitt) ohne Haken 2 × 6 = 12 Stunden und mit Haken 6 + 2 × 2 = 10 Stunden.
Das heißt, der Haken erspart Arbeit erst ab einer bestimmten Wiederholungsdichte. Nur wenn Robinson in der Tat hinreichend oft Fische zu fangen gedenkt, rentiert sich für ihn die Investition in den Haken. Sobald dies aber der Fall ist, steigt die Rendite schnell an: je mehr Wiederholungen, desto höher die Arbeitsersparnis. Bei fünf Fischen beträgt die Ersparnis bereits 14 Stunden, bei 10 bereits 34 Stunden. Anders gesagt, die Wiederanwendung des Hakens ist äußerst attraktiv, und zwar im Wortsinn, wie wir gleich sehen werden.
Ein aus Holz oder Knochen unter primitiven Bedingungen geschnitzter Angelhaken mag freilich nicht allzu viele Wiederanwendungen erlauben. Ein modernes Computerprogramm dagegen, dass, einmal geschrieben, im Prinzip nahezu kostenfrei kopiert werden kann, erlaubt tendenziell unendlich viele Anwendungen.
Was aber nun, wenn dieser Robinson Fische nicht sonderlich schätzt? Woher kommt dann die benötigte Wiederholungsdichte? Die Antwort liefert hier, wie so oft, die Gesellschaft. Ein Freitag an Robinsons Seite, der Fisch mag und bereit ist, ihn gegen andere Produkte zu tauschen, würde die Hakenherstellung schnell rentabel werden lassen.
Auch hier lässt sich freilich zunächst ein Einwand machen, der das Beispiel infrage stellt, bei genauerem Hinsehen aber Gründe dafür verdeutlicht, warum Arbeit im Zuge ihrer Rationalisierung tatsächlich produktiver zu werden scheint. Es dürfte leicht vorzustellen sein, dass Freitag, als profilierter Insulaner, sowohl wesentlich effektiver Fische fängt als Robinson, wie auch die dazu nötigen Haken in kürzerer Zeit herstellt. Freitag benötigt, sagen wir, nur eine Stunde pro Haken und eineinhalb Stunden, um damit einen Fisch zu fangen. Warum sollte also der geschickte Freitag mit dem ineffizienten Robinson überhaupt tauschen? Alles was Robinson zu Wege bringt, dauert länger als wenn Freitag es selbst tut. Robinsons Arbeit scheint Freitag eher zu bremsen, anstatt Arbeit zu sparen.
Warum es trotzdem auch für Freitag rational sein könnte, zu tauschen, beantworten erneut die Opportunitätskosten der Arbeit. Sie liegen dem zugrunde, was David Ricardo »komparativen Kostenvorteil« nannte. Würden sowohl Robinson wie auch Freitag ausschließlich als Selbstversorger leben, so würde Robinson in diesem Beispiel mindestens 10 Stunden arbeiten müssen, um einen Haken herzustellen und zwei Fische zu fangen. Freitag wäre wesentlich schneller, würde aber ebenfalls noch vier Stunden für dasselbe Ergebnis benötigen.
Wenn sie sich dagegen zu tauschen entschließen und Robinson den Fischfang und Freitag die Hakenherstellung übernimmt, so würde, um dasselbe Ergebnis, nämlich insgesamt zwei Haken und vier Fische zu erzeugen, Robinson nur 8 Stunden (für vier Fische) und Freitag nur zwei Stunden (für zwei Haken) arbeiten müssen. Beide würden sich bei gleichem gesellschaftlichen Output jeweils zwei Stunden Arbeit ersparen, die sie, anstatt wirklich zu sparen, im Sinne der industria, also der fleißigen Arbeit, in erhöhte Arbeitsaktivität und damit Produktivität investieren könnten. Beide hätten damit großen Anreiz, sich auf die Herstellung nur eines der beiden, in diesem Beispiel relevanten Güter zu spezialisieren und ihre Produkte zu tauschen. Und dies gilt in analoger Weise auch für beliebig viele weitere Akteure und ihre Produkte.
Das Um und Auf des Rationalisierungsprozesses und der damit verbundenen Produktivitätssteigerung ist also die Bündelung von Wiederholbarem, von Regelmäßigkeiten. Im Hinblick auf die heutige Digitalisierung vieler Arbeitsschritte lässt sich dies auch informationstheoretisch anschaulich zeigen. Die bekannte Fibonacci-Sequenz beispielsweise für, sagen wir, ungefähr hundert Stellen zu berechnen, macht, obwohl sie sehr einfach ist, doch einige Arbeit. Den Algorithmus »Wiederhole 100-mal Fn = Fn-1 + Fn-2 mit F0 = 0 und F1 = 1« dagegen niederzuschreiben, erspart einiges dieser Arbeit, einfach, weil das zugrundeliegende Prinzip der Sequenz – die Addition der je vorhergehenden beiden Zahlen – damit auf einen sich wiederholenden Teilaspekt reduziert und damit einer möglichen Spezialisierung zugänglich gemacht wird. Im Bereich der menschlichen Arbeit wurde diese Art von Spezialisierung, etwa im Zuge der Industrialisierung, zunehmend (und zunehmend auch systematisch) Fachkräften anheimgestellt, die sich allerdings, weil ihrer Arbeit Regelmäßigkeiten zugrunde lagen, etwas später durch Maschinen ersetzen ließen. Heute leisten solche Spezialisierung eben vielfach die Rechner.
Nun wird an dieser Stelle allerdings immer wieder eingewandt, dass sich nicht jeder Prozess so einfach rationalisieren lässt. Viele menschliche Tätigkeiten seien zu komplex, um sie vollständig in sich wiederholende Teilaspekte zu zerstückeln. Frey und Osborne etwa machen als Rationalisierungs-Flaschenhals Aufgaben aus, die Wahrnehmung und Manipulation, sowie kreative und soziale Intelligenz erfordern (Osborne und Frey 2013). Gerade aktuell so wichtig werdende Arbeitsarten wie die Erziehung, die Pflege, die Bildung unserer Mitmenschen scheinen sich damit, zusammen mit vielen administrativen Tätigkeiten, maschineller Verrichtung zu sperren. Es scheint schwierig, in diesen Arbeitsprozessen Wiederholbares zu finden, das sich dann einfach automatisieren ließe. Die Suche danach scheint unsere Möglichkeiten zu übersteigen.
Interessanterweise lässt sich aber gerade diese Suche nach Rationalisierungsmöglichkeiten ihrerseits recht gut an Rechner auslagern. Diese orientieren sich dabei paradoxerweise ausgerechnet an der Natur. Sie imitieren dazu Evolutionsprozesse, die davon ausgehen, dass jeder noch so simple Organismus in seiner Nische, in der er die dort gegebenen Regelmäßigkeiten energetisch nutzt, eine solche Suche erfolgreich absolviert hat. Seinen Metabolismus etwa im Winter, wenn kaum Nahrung zu finden ist, regelmäßig herunterzufahren und zu schlafen, dafür aber im Sommer bei großem Ressourcenangebot aktiv zu sein, ermöglicht es dem Murmeltier die saisonalen Wiederholungen der Jahreszeiten energetisch zu nutzen. Allerdings wendet die Natur bei dieser Suche nun ein Prinzip an, das kulturellen Wesen in der Regel verschlossen bleibt. Die Natur selektiert einfach knallhart diejenigen aus, die beim Finden nutzbarer Regelmäßigkeiten keinen Erfolg haben. Sie lässt, anders gesagt, nur die Erfolgreichen leben und spürt genau damit die versteckten »Rationalisierungsmöglichkeiten« auf.
Den Umstand, dass wir – so ist zumindest zu hoffen – Personen, die unter den hochdynamischen Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen moderner Gesellschaften keine nutzbaren Regelmäßigkeiten aufspüren, nicht einfach sich selbst überlassen, sind wir mittlerweile zumindest teilweise in der Lage, mithilfe von Rechnern zu kompensieren. In der Computertechnologie wird die evolutionäre Selbst-Optimierung zum verbreiteten Standard. Mit Hilfe Genetischer Algorithmen lassen sich Computerprogramme, die an sich bereits hoch komplexe Anordnungen von Wiederholbarem darstellen, einem evolutiven Wettbewerb aussetzen, im Zuge dessen die Effizienz Jahrtausende währender Evolution im Aufspüren und Anpassen an Regelmäßigkeiten in wenigen Sekunden nachvollzogen wird (Hoos 2012). Robotersysteme – deren Bestandteile deswegen heute nicht mehr so oft nach den slawischen Bezeichnungen für Sklave und Arbeit (rab, rabota), sondern eher als Brain based devices bezeichnet werden – sind in der Lage, ihre Aufgaben durch Auslese der dafür am besten geeignetsten Instanzen in kürzester Zeit optimal zu erfüllen. Da wir – bisher zumindest – wenig dabei empfinden, ein ineffizientes Computerprogramm einfach zu löschen, bzw. einen schlecht arbeitenden Roboter einzustampfen, scheint die Vision des Computertechnikers Ray Kurzweil (Kurzweil 2005) einer schon in näherer Zukunft verfügbaren, sich selbst optimierenden Maschinengeneration nicht mehr ganz abwegig. Da diese Maschinen selbständig und rasend schnell Rationalisierungsmöglichkeiten aufspüren, könnten auch Arbeitsformen, die wir aktuell für nicht rationalisierbar halten, in Zukunft von Rechnern und Maschinen ausgeführt werden. Die jüngsten »Erfolgsmeldungen« aus diesen Bereichen, die weitreichende Veränderungen in Verwaltung, Erziehung, Ausbildung und nicht zuletzt in der Beschäftigung ankündigen, scheinen in diese Richtung zu deuten.
Zugegeben, noch ist es nicht so weit. Von wirklichem »jobless growth«, wie ein völlig von Arbeit entkoppeltes Wirtschaftswachstum zuweilen genannt wird, kann noch keine Rede sein. Einstweilen schürt die Beschäftigungsintensität der Dienstleistungswirtschaft in vielen europäischen Volkswirtschaften noch die Hoffnung, dass in der Industrie wegrationalisierte Arbeitskräfte zumindest zahlenmäßig im Servicesektor beschäftigt werden können (Marterbauer 2007). Für den Einzelnen bietet dies freilich meist wenig Trost. In der Dienstleistung finden bei weitem mehr Jüngere Aufnahme, als in der Industrie Ältere abgebaut werden. Der ökonomische Strukturwandel lässt damit vor allem ältere Arbeitnehmer der »Generation 50+« außen vor. Und da Jüngere dies vermehrt wahrnehmen können und dabei auch aktuell schon nicht gerade einfach ins Berufsleben einsteigen, steigt allgemein die Beschäftigungsunsicherheit. Diese Unsicherheit, die zusätzlich von einer voranschreitenden Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse gesteigert wird, sorgt heute, mehr als die schweißtreibenden Mühen der körperlichen Arbeit, für jene Belastungen, denen sich der moderne Arbeitende ausgesetzt sieht. Das paradoxe Fazit daraus lautet, dass die Belastung offensichtlich steigt, gerade weil der moderne Mensch Erfolg zu haben scheint, sich immer größerer Teile seiner Arbeit zu entledigen. Der eigentliche Grund für diese Paradoxie ist dabei leicht auszumachen: es ist die nach wie vor selbstverständliche und wenig hinterfragte Konvention, Produktivitätserfolge ausschließlich über Arbeitslöhne umzuverteilen. Nur wer arbeitet, soll auch zu essen haben, lautet die jahrhundertealte Devise. Wenn freilich der Mensch in der Tat nicht mehr in jedem Arbeitsbereich für die Produktion notwendig ist und die entsprechenden Bereiche mit technologischem Fortschritt eher mehr zu werden scheinen, so scheint es an der Zeit über andere Formen der Umverteilung von Produktivitätserfolgen nachzudenken und den Menschen von den Mühen und Lasten der Arbeit zu befreien.
Baecker D (Hrsg.) (2002) Archäologie der Arbeit, Berlin: Kadmos.
Brynjolfsson E & McAfee A (2009) Race against the machine: How the Digital Revolution is Accelerating Innovation, Driving Productivity, and Irreversibly Transforming Employment and the Economy. Digital Frontier Press.
Cohn J (2013) The robot will see you now. The Atlantic, February 20, 2013.
Ehrenberg A (2004) Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart. Frankfurt, Campus.
Füllsack M (2009) Arbeit. Wien: UTB.
Hillienhof A (2014) Arbeitsunfähigkeit: Zahl der Krankschreibungen gestiegen. Deutsches Ärzteblatt 2014; 111(11): A-427/B-371/C-355.
Hoos HH (2012). Programming by Optimization. Communication of the ACM vol. 55 no. 2, pp. 70–80.
Kurzweil R (2005) The Singularity Is Near: When Humans Transcend Biology. Viking Books.
Marterbauer M (2007) Wem gehört der Wohlstand? Perspektiven für eine neue österreichische Wirtschaftspolitik. Szolnay, Wien.
Osborne M, Frey CB (2013) The Future of Employment. How susceptible are jobs to computerization? http://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/downloads/academic/The_Future_of_Employment.pdf, Zugriff am 12.05.2014.
Priddat B (2000) Arbeit an der Arbeit: Verschiedene Zukünfte der Arbeit. Marburg: Metropolis.
Schmidt M, Lipson H (2009) Distilling Free-Form Natural Laws from Experimental Data. Science vol. 324 no. 5923 pp. 81–85.
Smith A (1776/1937) An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. New York.
Stadler R (2014) Roboter helfen Journalisten. Neue Zürcher Zeitung. http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/medien/roboter-helfen-journalisten-1.18269711, Zugriff am 12.05.2014.
Stanford CG (1999) The Hunting Apes: Meat Eating and the Origins of Human Behavior. Princeton: Princeton University Press.
Udy SH (1970) Work in Traditional and Modern Society. Englewood Cliffs, NJ.: Prentice Hall.
1 Robotics-VO (2013) A Roadmap for US-Robotics. From Internet to Robotics. 2013 Edition. http://www.robotics-vo.us/node/332 (accessed 15.5.2014)
Mit dem Wandel von Arbeit verändern sich auch die Belastungsformen. Belastungen wie Beanspruchungen lassen sich immer weniger an einzelnen Tätigkeitsaspekten festmachen, sondern müssen ganzheitlich und zugleich individuell erfasst und gestaltet werden. Zugleich kann dies nicht mehr Aufgabe eines zentralen betrieblichen Bereichs (z. B. dem Gesundheitsmanagement oder HR) oder einer Fachdisziplin sein. Insbesondere die Auseinandersetzung mit neuen Belastungen erfordert eine Einbindung aller betrieblichen Akteure und eine disziplinübergreifende Zusammenarbeit. Der folgende Beitrag skizziert kurz typische arbeitssoziologische Zugänge zu Belastung und stellt dann vor dem Hintergrund des aktuellen Wandels von Arbeit in den Feldern Arbeits- bzw. Selbstorganisation, Kommunikation und Kooperation sowie Selbst- bzw. Lebensführung beispielhaft drei Herausforderungen für das betriebliche wie individuelle »Belastungsmanagement« vor.
Die Arbeitssoziologie nimmt aktuelle konkrete Arbeit unter Einbezug der Strukturprinzipien ihrer historischen Entwicklung in den Blick und verbindet systematisch die Ebenen soziologischer Analyse – Makro/Meso/Mikro bzw. Gesellschaft/Betrieb/Subjekt (Böhle et al. 2010). So ist der Wandel der Arbeitsgesellschaft vor dem Hintergrund sich ausdifferenzierender kapitalistischer Wirtschafts- und Organisationformen (z. B. Veränderungen des Arbeitsmarktes oder des Normalarbeitsverhältnisses) ebenso Untersuchungsgegenstand wie die betriebsförmig verfasste Organisation von Arbeit oder das Handeln der Subjekte und deren Arbeitskraft. Zunehmend wird im Sinne eines ganzheitlichen Blicks auf Arbeit als menschliche Tätigkeit auch die Arbeits- und Lebenswelt jenseits der klassischen Erwerbsarbeit systematisch miteinbezogen.2 Wie nun steht diese erweiterte Mehrebenenperspektive in Zusammenhang mit Arbeit und Psyche?
So befasst sich die Arbeits- und Industriesoziologie zum Beispiel mit der Technisierung von Arbeit sowohl vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Voraussetzungen für Technikgestaltung als auch mit Blick auf die Intention von Einsatz und Nutzung von Technik und den daraus resultierenden Folgen für die lebendige Arbeit (vgl. Pfeiffer 2010). Bei der Organisation der Arbeit wird deren Ver- und Zuteilung auf Individuen oder Gruppen sowie die Ungleichverteilung von Chancen auf Teilhabe, Macht und Kontrolle betrachtet. In einem konfliktreichen Bestimmungsverhältnis wird Arbeit sowohl als Grundlage menschlicher Existenz, Entwicklung und gesellschaftlicher Teilhabe, aber auch als Produktionsfaktor gesehen (vgl. Moldaschl 2010). Auf der Handlungs- bzw. Subjektebene wird Arbeit als menschliche Tätigkeit bzw. »Arbeitshandeln« gefasst (Böhle 2010a), aus dem sich soziale Beziehungen wie Kooperations- und Kommunikationsstrukturen ergeben. Hier stehen zum Beispiel die individuellen Voraussetzungen und Aneignungsformen, etwa mit Bezug auf Qualifikation, im Umgang mit Anforderungen und Belastungen oder in der Auseinandersetzung mit Arbeitsgegenständen im Fokus.
Der arbeits- und industriesoziologische Blick, der die Ursachen und Folgen von Technisierung und Rationalisierung mit dem arbeitenden Subjekt, seiner Verfasstheit und seiner Teilhabe an Gesellschaft verbindet, schließt immer auch Interessenpolitik und Gesundheits- bzw. Belastungsaspekte mit ein; insbesondere als Referenzrahmen für die Gestaltung von humaner Arbeit (Böhle 2010b). Gerade für die disziplinäre Auseinandersetzung mit Belastungen im Zusammenhang von Arbeit und Psyche ist dieser Zugang zentral. So wird Belastung in der Arbeitssoziologie nicht als unabhängige Kategorie bestimmt, sondern erst mit Blick auf die Anforderungen, die menschlichem Arbeitsvermögen (Pfeiffer 2004) abverlangt werden.
Im historischen Rückblick ist der zentrale Bezugspunkt für die Entwicklung einer arbeits- und industriesoziologischen Belastungsanalyse die Einführung des tayloristischen Produktionsmodells und der damit verbundene Wandel von Arbeit (vgl. Böhle 2010b). Im Mittelpunkt stand zunächst die Hoffnung auf abnehmende körperliche Belastung durch zunehmende Technisierung, geprägt durch den Technikfortschrittsglauben der 1950er- und 1960er-Jahre (Mallet 1969, Schelsky 1957, Pfeiffer 2010). Diese Hoffnung hat sich nur partiell erfüllt. Nach wie vor konnten Belastungen etwa durch monotone Arbeit, Lärm, Schmutz und Gefahrenstoffe identifiziert und über Belastungsindikatoren gemessen werden (Rohmert und Rutenfranz 1975). Eine entscheidende Erweiterung erfuhr die arbeitssoziologische Belastungsanalyse durch die Beobachtung einer Intensivierung horizontaler und vertikaler Arbeitsteilung. Hier traten neben körperlichen Anforderungen und den entsprechenden Rahmenbedingungen von Arbeit auch die Handlungsspielräume der Arbeitenden und die Anforderungen an tätigkeitsbezogene Qualifikation in den Blick.3 Aus einer ganzheitlichen Perspektive auf Arbeit als Grundlage menschlicher Entwicklung und als gegenstandsbezogene, sinnhafte Tätigkeit folgte die Kritik an ihrer Rationalisierung durch eingeschränkte qualifikatorische Anforderung und durch mangelnde Dispositionschancen, die als psychische Belastungsfaktoren erkannt wurden. Die gesellschaftliche Relevanz entsprechender Belastungen wurde spätestens mit dem 1974 aufgelegten Forschungs- und Entwicklungsprogramm »Humanisierung der Arbeit«4 auch politisch aufgegriffen. Dabei richtet sich das Programm auf eine Korrektur der vorherrschenden Rationalisierung, ohne das Postulat eines grundsätzlichen Gegensatzes zwischen Ökonomie und humaner Arbeit. Besonders die Entwicklungsbestrebungen hin zum Job-Enrichement (Schmidt 1983) standen unter diesem Vorzeichen. Prägend für die Entwicklung der darauffolgenden Belastungsforschung war unter anderem das Konzept der Mehrfachbelastung (Volkholz 1977), mit dem die kumulative Wirkung unterschiedlicher Belastungen (als Anforderungen an die Arbeitenden) beschrieben wird sowie das Konzept der Gesamtbelastung (Mergner 1976), mit dem darüber hinaus alle weiteren Bedingungen abhängiger Arbeit berücksichtigt und das betriebliche System als Ganzes in die Belastungsanalysen einbezogen wurde. Mit dem Konzept der integrierten Belastung (Naschold & Tietze 1978) wurden auch langfristige Belastungs- und Beanspruchungsfolgen sowie subjektive Bewältigungsformen erfasst.
Indem die Subjektperspektive in die Belastungsanalyse einbezogen wurde, konnten unter den Bedingungen tayloristischer Arbeit problematische Defizite bei den Selbstverwirklichungschancen ebenso identifiziert werden wie subjektive Potenziale bei der Bewältigung von Belastungen. Der Subjektperspektive kommt auch für die Belastungsanalysen neuer Arbeitsformen besondere Bedeutung zu.
Mit dem »Ende der Arbeitsteilung« (Kern & Schumann 1984) wurde nicht das Ende industrieller Arbeit, jedoch ein grundlegender Wandel von Belastungen identifiziert (Böhle 2010b). Nach den zunächst positiven Einschätzungen der Entwicklung von Arbeit durch zunehmende Anforderungen an Qualifizierung und Verantwortung gerieten die damit einhergehenden neuen Rationalisierungsmuster und entsprechenden neuen Belastungsformen in den Blick. In Reaktion darauf hat das Konzept »widersprüchlicher Arbeitsanforderungen« (Moldaschl 2001) die organisatorischen Rahmenbedingungen zur Analyse der Entstehung von relationalen Belastungsfaktoren, die nicht als solche, sondern nur im Kontext der gesamten Arbeitssituation entstehen, systematisch berücksichtigt (vgl. Böhle 2010b).
Mit diesem analytischen Rahmen können folglich neue Belastungsfaktoren