Arbeiten im Alter? Denkanstöße aus der Antike - Plutarch - E-Book

Arbeiten im Alter? Denkanstöße aus der Antike E-Book

Plutarch

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Beschreibung

Wer rastet, der rostet – das wusste schon Plutarch und empfahl, sich im Alter nicht zurückzuziehen. Man verfügt schließlich über einen reichen Schatz an Wissen und Erfahrung. Neid und Rivalität spielen keine große Rolle mehr. Wäre es da nicht falsch, seine Fähigkeiten der Gesellschaft zu entziehen? Der antike Philosoph beschreibt es in den Moralia als schöne wie erfüllende Aufgabe für ältere Menschen, die Jüngeren zu fördern und einen guten "Dialog der Generationen" zu pflegen.

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Plutarch

Arbeiten im Alter?

Denkanstöße aus der Antike

Aus dem Griechischen von Marion Giebel

Reclam

Leseproben der beliebtesten Bände unserer Reihe [Was bedeutet das alles?] finden Sie hier zum kostenlosen Download.

 

 

2019 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Coverabbildung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2019

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961482-3

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019633-5

www.reclam.de

Inhalt

EinleitungPlutarch: Ob ein Älterer noch tätig sein sollVerzeichnis der PersonennamenLiteraturhinweise

Einleitung

Die Älteren werden gebraucht – und das tut ihnen selbst auch gut. Das ist die Botschaft des griechischen Schriftstellers und Philosophen Plutarch (um 46 v. Chr. – 125 n. Chr.). Er legt sie in einem Brief an einen älteren Freund ausführlich dar: Euphanes ist offenbar verunsichert, denn viele meinen, wie die Teilnehmer an Sportwettkämpfen, so müssten sich auch diejenigen, die ein Amt ausüben, ab einem bestimmten Alter zurückziehen. Plutarch widerspricht. Auch er ist ja schon älter, und er weiß: In einem langen Leben hat man einen Schatz an Wissen angesammelt, an Erfahrung im Umgang mit den Mitmenschen, an Umsicht und Voraussicht, an Handlungsfähigkeit auch in schwierigen Situationen. Und man muss nicht mehr überall der Erste sein, man hat ja genügend Ansehen erworben, so dass man gelassen auf die Erfolge anderer blicken kann, vor allem der Jüngeren. Diese zu fördern, zu beraten, anzuleiten zu einem gelingenden »Dialog der Generationen« sei eine der schönsten und befriedigendsten Aufgaben eines älteren Menschen.

Sich stattdessen aufs Altenteil zurückzuziehen, das wäre doch mit Blick auf die Gesellschaft eine maßlose Verschwendung von Ressourcen. Aber es hat auch eine negative Wirkung auf den Einzelnen. Denn wer nur hinterm Ofen sitzt und nicht mehr gefordert wird, der wird nicht nur körperlich schwach, es leiden auch der Geist, das Erinnerungsvermögen, die Willenskraft, und der Ältere wird schließlich zu einer traurigen Gestalt. Wer rastet, der rostet. Es gab doch bei den Griechen und Römern berühmte Persönlichkeiten, die noch im Alter Bedeutendes geleistet haben. Hier bringt Plutarch, wie er es gerne tut, anschauliche Beispiele, wie den Tragödiendichter Sophokles, den Feldherrn Epaminondas und den Römer Cato (s. zu diesen Personen jeweils das Verzeichnis auf S. 69 ff.).

Sein »Hauptheld« aber ist Homers Nestor, der im Alter noch, zusammen mit seinem ältesten Sohn, am Trojanischen Krieg teilnahm, als Krieger und vor allem als hochgeschätzter Ratgeber. Als solcher verkörpert er die Vorbildfigur der frühen Gesellschaften: Ein Alter verfügt über Weisheit und Erfahrung; er ist der Bewahrer der Tradition, ja er trägt sie aktiv weiter.

Wie alt stellte man sich den »greisen Nestor« vor? Als géron, Greis, wurde üblicherweise jemand ab sechzig Jahren bezeichnet. Dieser konnte dann Ämter in ständigen Gremien übernehmen, wie in der Gerusia in Sparta, da er, auch in Kriegszeiten, nicht mehr zum Wehrdienst einberufen wurde. Heutige Lebensalter-Schemata, die von einem Durchschnittsalter der antiken Bevölkerung von maximal dreißig Jahren oder gar noch weniger ausgehen, rechnen die in der Tat hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit mit ein, wobei aber nicht bedacht wird, dass Griechenland und Rom niemals weite Teile der damaligen Welt beherrscht hätten, wenn ihnen die Männer, die zum Krieg oder zur Kolonisation ausgeschickt wurden, vorher schon weggestorben wären (und: wer hätte die Veteranensiedlungen gegründet?). Die Älteren aber, die in diesen Bereichen tätig gewesen waren, verkörperten ein Wissen, ein Know-how, das unverzichtbar war, und sie wurden entsprechend geschätzt.

Wurden sie dafür vom Gemeinwesen im Alter auch finanziell unterstützt? Im Allgemeinen lebte der Personenkreis, von dem wir heute ausreichende schriftliche Überlieferungen besitzen, von den Erträgen seines Landbesitzes, oder als Kaufleute und Händler in Griechenland etwa vom Export und Import von bzw. nach Athen oder von bzw. in die neugründeten Städte in Kleinasien und Italien (Neapolis!). Solche Einnahmequellen versiegten auch nicht, nachdem der Senior sich zurückgezogen hatte. Die Nachkommen oder tüchtige Kräfte aus der Klasse der Sklaven oder Freigelassenen sorgten dafür, dass Amphoren mit Wein weiter ausgeführt oder Weizen eingeführt wurde. Außerdem gab es in Griechenland eine gesetzlich festgeschriebene Unterhaltspflicht der Kinder gegenüber den Eltern, deren Einhaltung sehr ernst genommen wurde: Bei höheren Beamten wurde vor ihrem Amtsantritt untersucht, ob gegen sie auch keine Klagen wegen unterlassener Hilfe gegenüber den Eltern vorlagen – andernfalls könnte ihre Tätigkeit nicht vom Wohlwollen der Götter begleitet sein. Diese Alimentationspflicht war auch im römischen Recht genau festgelegt und findet sich noch detailliert im Codex Iustinianus (529 n. Chr.).

In Rom war die Wertschätzung der älteren Generation nicht zuletzt dokumentiert durch die Riten beim Begräbnis: die pompa funebris, die Prozession mit den Ahnenbildern, sowie die laudatio funebris, die öffentliche Leichenrede. Beides zeigte den Verstorbenen als ein Glied in der Kette seiner angesehenen Ahnen, dem die Jüngeren nacheifern mussten. Aus Griechenland kennen wir die anrührenden Grabdenkmäler, die männliche und weibliche Verstorbene in liebender Vereinigung mit ihrer Familie zeigen.

 

Plutarch hat also recht, wenn er die Älteren als einen bedeutenden Faktor im Gesellschaftssystem ansieht und ihnen einen wichtigen Tätigkeitsbereich zuweist. Die Tätigkeit, um die es ihm in diesem Text geht, nennt er politiké, den Dienst an der Polis, der Stadtgemeinde.* Die griechische Polis – wie wir sie vor allem aus Athen kennen und wie sie auch Plutarch im Blick hat – beruhte auf den drei Säulen Isonomie, der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, Isotimie, dem gleichen Anrecht aller Bürger auf die öffentlichen Ämter und Ehrenstellen, die dementsprechend ausgelost wurden, und Isegorie, dem gleichen Rederecht aller Bürger in den Versammlungen. Die Polis besaß also eine eigenständige demokratische Organisation mit verschiedenen Institutionen, an denen alle Bürger mitwirken konnten, die in die Bürgerlisten eingetragen waren. Da die póleis, die Stadtstaaten, seit der Frühzeit öfters im Krieg miteinander lagen, war festgesetzt, dass nur freie männliche Bürger, die ihren Wehrdienst abgeleistet hatten (sie hatten dafür möglichst auch ihre Ausrüstung zu stellen), in diese Verzeichnisse eingetragen wurden. Um politische Einflussnahme von außen auszuschließen, mussten – in Athen – Vater und Mutter Athener sein. Jeder, der in die Bürgerliste seines Heimatortes eingetragen war, konnte Anträge einbringen, die in der Ratsversammlung, der boulé, dem Rat der 500 (Personen über dreißig Jahren), beraten und dann der versammelten Bürgerschaft in der Volksversammlung zur Abstimmung vorgelegt wurden. Auch im Gerichtswesen waren Bürger tätig; durch Losentscheid zu Geschworenen gewählt, hatten sie private und öffentliche Klagen zu verhandeln. Da die Amtszeit im Allgemeinen begrenzt war (oft ein Jahr), konnte eine hohe Zahl von Einwohnern ihr Bürgerrecht ausüben. Es wurden Aufwandsentschädigungen gezahlt, die sog. Diäten (allerdings in geringer Höhe), auch für die Teilnehmer an der Volksversammlung, damit auch Einwohner aus dem Umland ihr Tagwerk ruhen lassen und in die Stadt kommen konnten. In der Verwaltung der Stadt und des Umlandes, in Handel und Verkehr und in der Pflege der Beziehungen zu den Nachbarstaaten sowie im Kult gab es viele, oft kostspielige Aufgaben: die Leiturgien (daher »Liturgie«, der Dienst des Priesters), die von einzelnen Bürgern übernommen wurden, also Ehrenämter. Dazu gehörten auch die Theaterwettbewerbe, die jährlichen Aufführungen von Tragödien, Komödien und Chören sowie die Ausrichtung von Götterfesten.

Kern der politischen Aktivität war die Volksversammlung, die meist von 5000 bis 6000 Bürgern besucht wurde. Geleitet wurde sie von den Archonten, in Athen neun durchs Los jährlich gewählte Beamte; der oberste war der árchon epónymos, der dem Jahr seinen Namen gab (man sagte z. B.: Etwas geschah »im Jahr, als xy Archon war«). Die Archonten hatten auch den Vorsitz bei den kultischen Veranstaltungen, fungierten als Richter, kümmerten sich um das Kriegswesen wie auch um die Finanzen. Sie stellten Anträge von Bürgern in der Volksversammlung zur Abstimmung vor. Hier war ihre Redegabe gefragt, und zwar besonders die der Älteren, die die Anträge aus der Sicht des Machbaren und Wünschenswerten kommentierten und eventuelle Änderungen vorschlugen.

Ehemalige Archonten konnten in Athen Mitglieder im Areopag sein, dem altehrwürdigen Kollegium, das Gerichtsfälle behandelte, wobei es sich im Erb- und Familienrecht auch um die Ansprüche von Witwen und Waisen kümmerte. Außerdem hatte es die Amtsführung von Beamten nach Ablauf von deren Dienstzeit zu überprüfen.

Es gab also in den griechischen Stadtstaaten – sei es in Athen, Sparta oder Theben – viele Gremien, in denen man als Bürger tätig sein konnte. Plutarchs Freund Euphanes gehörte zum Rat des Areopag, hatte also vormals als Archon fungiert; er war somit lebenslang Mitglied in einem überregional organisierten Kollegium mit wichtigen Aufgaben. Plutarch hatte in Athen gelebt und an der platonischen Akademie studiert – der Philosophie Platons fühlte er sich zeitlebens verbunden; später wurde er zum Ehrenbürger ernannt. Er hielt sich längere Zeit in Rom auf, wo er gewissermaßen als »Kulturbotschafter« wirkte, indem er die enge Verbindung von Griechen und Römern auf kultureller Grundlage unterstützte, was auch der kaiserlichen Politik entsprach. Plutarch gewann sich Freunde am Kaiserhof, die ihm das römische Bürgerrecht verschafften und denen er einige seiner Werke widmete. Auch Kaiser Trajan war Adressat einer seiner Schriften.* Die Frucht dieser Tätigkeit waren seine Parallelbiographien, in denen er jeweils einen Griechen und einen Römer einander gegenüberstellte, wie Alexander und Caesar. Dann kehrte Plutarch in seine Heimatstadt Chaironeia in Böotien zurück: damit sie nicht noch kleiner werde – so sagte er auf die Frage, warum er aus Rom in eine so kleine Stadt zurückkäme (Vita des Demosthenes2,2). Dort übernahm er Ämter in der Stadtverwaltung. Er wurde auch Oberpriester in Delphi und Vorsitzender des Bundes der zu Delphi gehörenden Städte.

In Chaironeia versammelte er in der Art einer Privatakademie Freunde und Schüler (auch Frauen) um sich und behandelte mit ihnen wissenschaftliche, vor allem philosophische Themen. Daraus entstand eine Sammlung von Schriften, später Moralia genannt, weil in einer grundlegenden Ausgabe die moralphilosophischen Texte an den Anfang gesetzt waren. Plutarch wählte häufig die Form eines Dialogs, oft mehrerer Personen. So konnte er, wie es seinem Wesen entsprach, undoktrinär mehrere Auffassungen zur Diskussion stellen. Es finden sich hier sehr unterschiedliche Themen, unter denen heute besonders diejenigen Interesse finden, die Plutarch als für seine Zeit modernen Autor zeigen, etwa mit seiner Haltung zu Frauen, zur Ehe, zu Kindern, zu Tieren.

Ansprechend ist auch seine mit Nachdruck vertretene Auffassung von der Verpflichtung des Menschen zum Handeln in der Gemeinschaft. Der Mensch ist ja, wie die bekannte Definition des Aristoteles lautet, ein zoon politikón, ein auf Gemeinschaft hin angelegtes Wesen, und diese Gemeinschaft funktioniert nur, wenn alle daran mitarbeiten. Dies ist keine lästige Pflicht, sondern ein Lebensinhalt. Plutarch greift die Definition des Aristoteles auf und schaltet sich gleichzeitig in die philosophische Debatte um die Voraussetzungen für ein glückliches Leben ein. Sein Credo lautet: »Das glückliche Leben ist ein Leben, das der Gemeinschaft verpflichtet, von Liebe und Freundschaft bestimmt, besonnen und gerecht ist.«* Er wendet sich gegen Epikur und dessen Spruch »Lebe im Verborgenen«, aber auch gegen diejenigen Stoiker, die kluge Schriften über die staatliche Gemeinschaft verfasst, aber selber keinen Finger gerührt haben. Es ist für ihn selbstverständlich, dass man diese Tätigkeit für die Gemeinschaft nicht einfach irgendwann ablegen kann, wie etwa ein militärisches Kommando. »Der Mensch – eben das zahme, gesellig und in einer Gemeinschaft lebende Geschöpf [wie bei Aristoteles] – ist in der ihm zugeteilten Zeit dazu bestimmt, für die bürgerliche Gemeinschaft, gemäß rechten Grundsätzen und für das Wohl der Menschheit zu leben.«* Der humane Anspruch verstärkt sich noch in den zu dieser Stelle zitierten Versen wie:

Lasst uns niemals aufhören, den Menschen Gutes zu tun.

Doch benachteiligt man nicht die Jüngeren, die nachrücken wollen, wenn man sozusagen am Sessel klebt? Die Älteren müssen durchaus nicht, meint Plutarch, in jedem Gremium sitzen, alle Ämter übernehmen, die sie nur ergattern können – ihre Rolle ist die eines Elder Statesman, der sich nicht aufdrängt, aber hilft, wenn er gebraucht wird. Der Ältere hält sich über die politischen Entwicklungen auf dem Laufenden, und wenn er gefragt oder sogar geholt wird, dann ist er da. In einem Streitfall kann er seine auf Lebens- und Altersweisheit begründete Kunst ausspielen: Kritik üben, Änderungen vorschlagen, ohne Anstoß zu erregen. Offenbar war Plutarch selbst ein fähiger Mediator. Er beschreibt, wie man vorgehen muss, um, wie man heute sagt, ein konstruktives Feedback zu erreichen: Kritik niemals in großer Runde, am besten unter vier Augen; also niemals einen Lehrer vor seinen Schülern kritisieren. Und vorsichtig anfangen, damit der andere nicht gleich »zumacht«: »Du meinst doch sicher auch …« Wenn es sich um schwerwiegende Dinge handelt, den anderen nicht zerschmettert zurücklassen, sondern wie ein guter Arzt nach der Operation lindernde Mittel verabreichen, als taktvoller Kritiker in freundlichem Ton von dem Zurechtgewiesenen scheiden.*