Arctic Fire - Matthew Reilly - E-Book
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Arctic Fire E-Book

Matthew Reilly

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Beschreibung

Eigentlich wollte die CIA Captain Shane Schofield, genannt Scarecrow, loswerden. Zu oft hat er sich mit seinen unkonventionellen Arbeitsmethoden Feinde gemacht. Doch jetzt droht die Vernichtung der gesamten nördlichen Halbkugel durch eine Superwaffe mit einem Kern aus rotem Uran – noch viel schlimmer und gefährlicher als eine Atombombe. Nur Scarecrow kann die Katastrophe verhindern. Ihm bleiben ganze fünf Stunden, um in der eisigen Kälte der Arktis die Terroristen aufzuspüren und zu besiegen.

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MATTEW REILLY

ARCTIC FIRE

Thriller

Aus dem Englischen

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Die Originalausgabe erschien 2011

unter dem Titel Scarecrow and The Army of Thieves

beim Verlag Macmillan, Pan Macmillan Australia, Sydney

Illustrationen: Laurie Whiddon, Map Illustrations

ISBN 978-3-8437-0607-0

© Karanadon Entertainment Pty Ltd 2011

© der deutschsprachigen Ausgabe

Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2013

Alle Rechte vorbehalten.

Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung,

Verbreitung, Speicherung oder Übertragung

können zivil- oder strafrechtlich

verfolgt werden.

eBook: LVD GmbH, Berlin

Für meine loyalen Leser

Solche Kräfte setzen diese Vorgänge frei, und so eigenartig verhalten sich diese gewaltigen Entladungen, dass mich oft die Angst überkam, die Atmosphäre könnte entzündet werden …

Nicola Tesla, Erfinder

MORUS: Was würdet Ihr tun? Eine breite Straße durch das Recht brechen, um den Teufel zu fassen zu bekommen?

ROPER: Um das zu erreichen, würde ich jedes Gesetz in England abschaffen!

MORUS: Aha? Und wenn das letzte Gesetz abgeschafft wäre und der Teufel sich nach Euch umdrehte – wo würdet Ihr dann Zuflucht suchen?

Robert Bolt, Ein Mann zu jeder Jahreszeit

Die Geschichte schreitet neuerdings recht rasch voran, und Helden und Bösewichter tauschen fortwährend die Rollen.

James Bond, in

DEFENSE INTELLIGENCE AGENCY

HINTERGRUNDBERICHT

EINSTUFUNG: STRENG GEHEIM

AUTOR: RETTER, MARIANNE (D-6)

THEMA: »ARMY OF THIEVES«

VORFALL 1: 9/9

GEFÄNGNISAUSBRUCH IN CHILE

Der erste Vorfall ereignete sich am 9. September und gipfelte in einem Massenausbruch von einhundert Häftlingen aus einem Militärgefängnis in Valparaiso, Chile.

Das Hochsicherheitsgefängnis wurde kurz vor Tagesanbruch im Stil einer militärischen Operation von einem kleinen Trupp schwerbewaffneter Männer mit schallgedämpften Schusswaffen angegriffen. Der Überfall, bei dem sämtliche Gefängniswärter getötet wurden, dauerte weniger als dreißig Minuten.

Unter den befreiten Häftlingen waren zwölf ehemalige hochrangige Angehörige des Comando de Vengadores de Los Martires, der sogenannten »Rächer der Märtyrer«, einer rechtsextremen paramilitärischen Organisation, die im Auftrag des Pinochet-Regimes Entführungen durchführte und Attentate verübte.

Bei ihrer Flucht hinterließen die Angreifer folgende Nachricht auf dem Gefängnistor:

DIE ARMY OF THIEVES ERHEBT SICH!

Sie war mit dem Blut der toten Wärter auf das Tor geschmiert.

VORFALL 2: 10/10

DIE KAPERUNG DER »OCHOTSK«

Einen Monat und einen Tag später, am 10. Oktober, wurde von Unbekannten der russische Frachter OCHOTSK vor der afrikanischen Westküste gekapert.

Laut Frachtliste beförderte das Schiff Holz, Treibstoff und Baumaterialien, die für Simbabwe bestimmt waren, und man nahm zunächst an, es sei von westafrikanischen Piraten gekapert worden. Doch dann entsandten die Russen ihre halbe Atlantikflotte, um nach dem Schiff zu suchen.

Unsere Nachforschungen haben ergeben, dass sich an Bord der OCHOTSK in Wirklichkeit eine umfangreiche Waffenlieferung befand, die an drei mit einem Embargo belegte afrikanische Regimes verkauft werden sollte. Die Ladung des Schiffs bestand aus:

• 310 AK-47 Sturmgewehren• 4,5 Millionen Schuss 7.62 mm MUNITION für diese Gewehre• 90 RPG-7 Panzerfäuste• 9 STRELA-1 Flugabwehr-Amphibienfahrzeuge, jedes mit vier 9M31 Boden-Luft-Raketen ausgestattet• 12 ZALA-421–08 unbemannte Luftüberwachungsdrohnen• 18 JEEPS mit Maschinengewehren• 9 BORD-TORPEDOWAFFENBEHÄLTER mit jeweils vier APR-3E Torpedos• 2 MIR-4 DRSV Mini-Rettungs-U-Boote

An Bord des Frachtschiffs befanden sich zehn Angehörige einer Speznas-Spezialeinheit.

Aufgrund letzteren Umstands ist äußerst unwahrscheinlich, dass die OCHOTSK von afrikanischen Piraten gekapert wurde. Afrikanische Piraten sind in der Regel arme Fischer, die Handelsschiffe angreifen, um ein Lösegeld zu erpressen, und bei den ersten Anzeichen, dass sich militärisches Personal an Bord befindet, umgehend die Flucht ergreifen.

Die Männer, die die OCHOTSK kaperten, wussten jedoch genau, was das Schiff geladen hatte, und waren so gut ausgebildet, dass sie ein Team russischer Elitesoldaten ausschalten konnten, um es in ihren Besitz zu bringen.

Die OCHOTSK ist bis zum heutigen Tag nicht wieder aufgetaucht.

VORFALL 3: 11/11

EIN RAUBÜBERFALL ÜBER GRIECHENLAND

In den frühen Morgenstunden des 11. November verschwand vom Himmel über Nordgriechenland ein nicht gekennzeichneter deutscher Gulfstream Jet, der neun Milliarden Euro von Deutschland nach Griechenland bringen sollte.

Die aus Bargeld bestehende Fracht des Flugzeugs war Teil der jüngsten Rettungsbemühungen für Griechenland.

Das Flugzeugwrack wurde am nächsten Morgen entdeckt. Ein Besatzungsmitglied fehlte; die anderen drei waren aus nächster Nähe per Kopfschuss getötet worden.

Das Geld war verschwunden.

Auf die Innenwände des Flugzeugs war das gleiche Zeichen gepinselt wie auf das Tor des chilenischen Militärgefängnisses: ein Kreis mit einem »A« in der Mitte und darunter der höhnische Hinweis »DIE ARMY OF THIEVES WAR HIER!«.

VORFALL 4: 12/12

ANGRIFF AUF EINEN STÜTZPUNKT DES MARINE CORPS

PROVINZ HELMAND, AFGHANISTAN

In den frühen Morgenstunden des 12. Dezember griff eine schwerbewaffnete, über 100 Mann starke Truppe einen abgelegenen Stützpunkt des United States Marine Corps im Süden Afghanistans an.

Bei dem Angriff, der mit Präzision, militärischem Know-how und überwältigender Durchschlagskraft erfolgte, wurden alle 22 Pioniere und Wartungstechniker getötet, die auf dem abgelegenen Stützpunkt stationiert waren.

Das Ziel der Angreifer war jedoch allem Anschein nach nicht die Ermordung der US-Soldaten. Vielmehr ging es ihnen darum, die Fluggeräte des Stützpunkts in ihren Besitz zu bringen.

Die Angreifer erbeuteten vier AH-1 Cobra-Kampfhubschrauber und zwei Marine Corps V-22 Osprey »Warbird« Gunships (von denen eines acht Kisten mit neuer USMC Kaltwetter-Arktis/Gebirgskriegsführungsbekleidung enthielt, die für die während des Winters in Afghanistan eingesetzten US-Truppen bestimmt war).

Auf die Wände eines Zelts schmierten die Angreifer »FROHE WEIHNACHTEN, YANKEE-SCHWEINE! WÜNSCHT DIE ARMY OF THIEVES!« und darunter das »A«-Zeichen.

VORFALL 5: 1/1

EIN ZWEITER AUSBRUCH (DARFUR)

Am 1. Januar wurde kurz nach Mitternacht ein UN-Gefangenenlager in der sudanesischen Region Darfur von einem Trupp maskierter Männer überfallen.

Dabei wurden aus dem Lager 102 als »Aufständische, militante Islamisten und Drogensöldner« deklarierte Gefangene aus verschiedenen afrikanischen Staaten befreit. Bis auf zwei wurden alle Wachmänner des UN-Lagers getötet.

Die zwei überlebenden Wärter berichteten, die Angreifer seien mit verschiedenen russischen Angriffswaffen und zwei amerikanischen Cobra-Kampfhubschraubern ausgerüstet gewesen. Die Angreifer entkamen mit den über hundert befreiten Häftlingen in zwei V-22 Osprey Gunships mit Kennzeichen der US Marines.

Bevor sie sich zurückzogen, sprühten sie an eine der Wände des Lagers: »DIE ARMY OF THIEVES IST GERADE STÄRKER GEWORDEN …«

VORFALL 6: 2/2

BOMBENANSCHLAG AUF MOSKAUER WOHNHAUS

Über die aufsehenerregende Zerstörung eines zwanzigstöckigen Moskauer Luxuswohnhauses am 2. Fe­bruar wurde in den Medien ausführlich berichtet.

In Unkenntnis gelassen wurden die Medien jedoch über die Graffiti an den Mauern des an das zerstörte Gebäude grenzenden Parkplatzes. Sie waren mit Hunderten von Kreisen mit einem A in der Mitte besprüht worden.

VORFALL 7: 3/3

DIE FOLTERUNG EINES AMERIKANISCHEN POLITIKERS

Am 3. März drang in Georgetown kurz nach Mitternacht eine kleine Gruppe bisher unbekannter Männer in das Haus des ehemaligen amerikanischen Außenministers ein, tötete seine zwei Bodyguards und entführte den Exminister.

Am nächsten Morgen wurde der gefesselte Minister im Rock Creek Park von zwei Wanderern entdeckt.

Er war der Folter des Waterboarding unterzogen worden.

In seine Brust war folgendes Zeichen geritzt:

Als der Minister nach seiner Befreiung zu dem Vorfall befragt wurde, wies er Symptome eines schweren Schocks auf. Er rief immer wieder: »Hütet euch vor der Army of Thieves! Hütet euch vor der Army of Thieves!«

SCHLUSSFOLGERUNGEN

An den sieben oben geschilderten Vorfällen lässt sich in recht blutigen Details die Entstehung einer nichtstaatlichen Organisation verfolgen, die sich »Army of Thieves« nennt.

Wo sich ihr Sitz befindet und wer ihr angehört, ist nicht bekannt.

Bekannt ist nur: Es ist ein Zusammenschluss von Einzelpersonen mit militärischer Ausbildung, die sich im Lauf der letzten sieben Monate einen beachtlichen Vorrat an Waffen, Kapital und Personal zugelegt haben.

Religiös oder kulturell bedingte Gründe für die Anschläge dieser »Armee« sind, zumindest bisher, nicht zu erkennen. Wir wissen nicht, was ihre Motive sind.

Aber sie möchten zweifellos auf sich aufmerksam machen.

Die Army of Thieves hat in den vergangenen sieben Monaten jeden Monat jeweils eine Operation durchgeführt. Auffällig an diesen Anschlägen ist, dass sie immer zu einem Zeitpunkt erfolgten, an dem die Zahl für Tag und Monat identisch waren. Deshalb sollten wir uns vorsehen, denn morgen ist der 4. April …

SCARECROWS

Der Stützpunkt auf Dragon Island aus der Luft gesehen mit Blickrichtung nach Norden

PROLOG

DIE INSEL

OSTROW SMEJARKTISCHER OZEAN 4. APRIL, 05:00 UHR

Unter heftigem MG-Beschuss jagte das Flugzeug die Startbahn hinunter, bevor es abrupt abhob und über das Eis des Arktischen Ozeans hinwegschwebte.

Der Pilot des Flugzeugs, der 60-jährige russische Wissenschaftler Dr. Wassili Iwanow, wusste, dass er nicht weit kommen würde. Er hatte beim Abheben die zwei Strela-1-Luftabwehrfahrzeuge gesehen, die ihm auf der Startbahn gefolgt waren, um sich in Feuerstellung zu bringen; die jeepähnlichen Amphibienfahrzeuge waren mit jeweils vier 9M31-Boden-Luft-Raketen ausgerüstet.

Ihm blieben vielleicht noch dreißig Sekunden, bis sie ihn vom Himmel holten.

Iwanows Maschine war eine hässliche Berijew Be-12, eine uralte sowjetische Schrottmühle aus den sechziger Jahren. Vor langer Zeit, als junger Rekrut bei den Sowjetischen Luftverteidigungsstreitkräften, hatte Iwanow genau diesen Flugzeugtyp geflogen, bevor man seine Begabung als Physiker entdeckt und ihn zum Direktorat für Sonderkampfmittel versetzt hatte. Als er am Morgen als Passagier im eiskalten Frachtraum des Flugzeugs auf Dragon Island angekommen war, war ihm bewusst geworden, wie viele Ähnlichkeiten er mit der Berijew hatte. Beide waren sie alternde Ackergäule, die immer noch im Einsatz waren, auch wenn sie einer längst vergangenen Ära angehörten: Die Berijew war ein altes, ausrangiertes Flugzeug, mit dem alte, ausrangierte Teams wie seines zu alten, ausrangierten Stützpunkten hoch oben im Norden befördert wurden; Iwanow selbst war nur alt, und sein buschiger Schiwago-Schnurrbart wurde von Tag zu Tag grauer.

Er hätte auch nie gedacht, jemals wieder selbst eine Berijew zu fliegen, aber die Ankunft seines Teams auf der Insel war nicht nach Plan verlaufen.

Erst vor zehn Minuten, nach einem Nachtflug vom Festland, war die Berijew langsam über Dragon Island gekreist, das fernab jeglicher Zivilisation hoch oben am Polarkreis lag.

Der Stützpunkt auf Dragon Island Ostrow Smej hatte einmal ähnlich strenger Geheimhaltung unterlegen wie das Nuklearforschungszentrum Arsamas-16 in Sarow oder das Wektor-­Institut in Kolzowo, in dem neue biologische Kampfstoffe entwickelt wurden. Seit ihrer Stilllegung wurden die ausgedehnten Forschungsanlagen auf der Insel jedoch nur noch von turnusmäßig ausgetauschten Rumpfteams des Sonderkampfmittel­direktorats wie dem Iwanows notdürftig vor dem endgültigen Verfall bewahrt. Iwanow war in der Berijew zusammen mit zwölf Speznas-Männern zu einem achtwöchigen Einsatz auf die Insel geflogen.

Bei ihrer Ankunft war ihnen nichts Ungewöhnliches aufgefallen.

Da sich der Winter seinem Ende zuneigte und sich in der Arktis zum ersten Mal seit Monaten die Sonne wieder blicken ließ, begann das zugefrorene Meer um Dragon Island allmählich aufzubrechen. Die riesige Eisfläche, die sich bis zum Nordpol erstreckte, sah aus wie eine mit einem Hammerschlag zertrümmerte Rauchglasscheibe: Sie war von unzähligen Rissen durchzogen.

Aber es war immer noch bitterkalt. Das Forschungsgelände auf Dragon Island war von einer dünnen Raureifschicht bedeckt.

Dennoch sah es beeindruckend aus.

Der hohe Turm in der Mitte der Anlage hatte selbst dreißig Jahre nach seiner Erbauung noch etwas Futuristisches. Er war so hoch wie ein zwanzigstöckiges Hochhaus und sah aus wie eine auf einem mächtigen Betonpfeiler sitzende fliegende Untertasse, in deren flacher, von zwei spitzen kleineren Türmen flankierter Glaskuppel die Kommandozentrale der Anlage war.

Aus dieser luftigen Höhe überblickte man die ganze Insel wie von einer Art Raumzeitalter-Leuchtturm. Während der Turm etwas stilvoll Elegantes hatte, standen die zwei riesigen Entlüftungsschächte, die östlich davon aufragten, für brutale Kraft und Leistung. Sie sahen aus wie die Kühltürme eines Atomkraftwerks, waren aber doppelt so groß.

Die einst so spektakuläre Anlage wies die üblichen Anzeichen zunehmender Vernachlässigung auf: Nur an vereinzelten Stellen – in Büros und Wachhäusern und in dem diskusförmigen Turmaufsatz – war noch Notlicht zu sehen.

Die Forschungsanlage war wie eine Festung angelegt; dank ihrer Bauweise und ihrer Lage war sie so gut geschützt, dass sie selbst von einer so kleinen Rumpftruppe wie der Iwanows gegen Angriffe von außen verteidigt werden konnte. Um Dragon Island einzunehmen, wäre eine ganze Armee nötig gewesen.

Als die Maschine mit Iwanow und den Speznas-Männern an Bord zur Landung auf der Insel angesetzt hatte, hatte der alte russische Wissenschaftler von seinem Sitz im Frachtraum eine Wolke aus matt schimmerndem Gas aus den gigantischen Auslasstürmen in den Himmel aufsteigen und nach Süden treiben sehen. Das war ungewöhnlich, aber nicht besorgniserregend; wahrscheinlich ließ Kotskis Team nur überschüssigen Dampf aus dem geothermischen Rohrleitungsnetz ab.

Nach der Landung auf dem Flugplatz der Insel war Iwanow mit seinem Speznas-Team aus der Berijew gestiegen und auf den Hangar zugegangen, von dem ihnen Kotski zugewunken hatte. Iwanow hatte das Flugzeug zusammen mit einem jungen Speznas-Mann, der ihm das neue Samowar-6-Laseroptik-Kommunikationsgerät hatte tragen helfen, als Letzter verlassen.

Diese kurze Verzögerung hatte den beiden das Leben gerettet.

Gerade als Iwanows Speznas-Team das Rollfeld, wo es vollkommen ungeschützt war, zur Hälfte überquert hatte, wurde es von den MG-Salven mehrerer unsichtbarer Angreifer, die ihnen offensichtlich in den Hangars aufgelauert hatten, ohne Vorwarnung niedergemäht.

Daraufhin hatte sich Iwanow mit dem jungen Speznas-Mann kurz entschlossen in das Cockpit der Berijew zurückgezogen. Er war in den Pilotensitz gesprungen, hatte die Maschine angelassen und war wieder gestartet – und so war es zu seiner überstürzten Flucht von Ostrow Smej gekommen.

Auf Russisch schrie Iwanow in das Funkgerät des Flugzeugs: »Direktorat Basis! Hier Beobachter Zwei …!«

Elektronisches Rauschen bestürmte seine Ohren.

Sie hatten den Satelliten blockiert.

Er probierte es über das terrestrische System. Fehlanzeige. Das gleiche Problem.

Schwer atmend nahm er das neue Samowar-Funkgerät, das er nach Dragon Island mitgenommen hatte, von dem Sitz hinter ihm. Mittels eines neuartigen Laseroptik-Übertragungssystems, das eigens zum Schutz gegen die gängigen Störtechniken entwickelt worden war, stellte es die Verbindung zu einem Satelliten nicht über Funkwellen her, sondern über einen auf direkter Sichtlinie verlaufenden Laserstrahl.

Iwanow stellte das Hightech-Funkgerät auf das Armaturenbrett, schaltete es ein und richtete seinen Laserpeiler in den Himmel.

»Direktorat Basis, hier Beobachter Zwei! Bitte melden!«

Wenige Augenblicke später kam eine Antwort.

»Beobachter Zwei, hier Direktorat Basis. Verschlüsselungsprogramme für das Samowar-Sechs-System sind noch nicht vollständig in Betrieb. Der Funkverkehr könnte abgehört …«

»Das ist jetzt völlig egal! Auf Dragon Island ist jemand! Sie haben uns aufgelauert und mein Team unmittelbar nach Verlassen des Flugzeugs angegriffen! Sie haben uns ohne Vorwarnung auf dem Rollfeld niedergemäht! Mir ist es zwar gelungen, wieder von der Insel zu starten, werde aber unter Beschuss genommen …«

Während er das sagte, sah Iwanow wieder die Gaswolken, die aus den riesigen Auslasstürmen der Anlage aufstiegen. Ihm schoss ein beängstigender Gedanke durch den Kopf.

Sie werden doch nicht …

»Basis«, stieß er bestürzt hervor. »Führen Sie einen UV-Vier-Scan der Atmosphäre über Ostrow Smej durch. Ich fürchte, die Eindringlinge haben die atmosphärische Waffe aktiviert.«

»Sie haben was …?«

»Aus den Auslasstürmen steigt Gas auf.«

»Das darf doch nicht …«

Iwanow wollte noch mehr sagen, aber in diesem Moment schlug eine 9M31-Luftabwehrrakete, die eins der Strelas abgefeuert hatte, in die Berijew ein. Das gesamte Heck der alten Maschine wurde abgerissen, und sie stürzte auf der Stelle ab.

Wenige Sekunden später schlug die Berijew auf dem Eis des Polarmeers auf, und Wassili Iwanows Stimme verstummte.

Seinen Notruf an das Funkdirektorat der Russischen Streitkräfte hatte allerdings noch jemand mit angehört.

Ein KH-12 »Improved Crystal«-Spionagesatellit des US Na­tional Reconnaissance Office.

Wie das bei allen abgefangenen Funksprüchen des russischen Militärs üblich war, wurde der Notruf automatisch heruntergeladen und dechiffriert, und als darin die Schlüsselwörter Dragon Island, UV-vier-SCAN und ATMOSPHÄRISCHE WAFFE auftauchten, wurde er unverzüglich an die zuständigen Stellen im Pentagon weitergeleitet.

SITUATION ROOM DES WEISSEN HAUSESWASHINGTON D.C. 3. APRIL, 16:45 UHR (45 MINUTEN SPÄTER)

05:45 (4. APRIL) AUF DRAGON ISLAND

»Das ist jetzt völlig egal! Auf Dragon Island ist jemand!«

Wassili Iwanows Stimme gellte durch den großen unterirdischen Raum. Weil Iwanow Russisch sprach, übersetzte ein Dolmetscher der US Army den Funkspruch ins Englische.

Der Präsident der Vereinigten Staaten und sein Krisenteam hörten in betretenem Schweigen zu.

»Sie haben uns aufgelauert und mein Team unmittelbar nach Verlassen des Flugzeugs angegriffen! Sie haben uns ohne Vorwarnung auf dem Rollfeld niedergemäht!«

Das Team bestand aus Generälen und Flaggoffizieren von Army, Navy, Marines und Air Force sowie dem Nationalen Sicherheitsberater des Präsidenten und hochrangigen Vertretern von NRO, CIA und DIA. Einzige Frau unter den Anwesenden war Deputy Director Alicia Gordon von der DIA.

»Mir ist es zwar gelungen, wieder von der Insel zu starten, werde aber jetzt unter Beschuss genommen …«

Die digitale Abspielkonsole wurde von Lucas Bowling bedient, einem jungen Analysten des National Reconnaissance Office.

»Zentrale. Führen Sie einenUV-Vier-Scan der Atmosphäre über Ostrow Smej durch. Ich fürchte, die Eindringlinge haben die atmosphärische Waffe aktiviert.«

Bowling stoppte die Aufnahme.

»Was ist ein UV-Vier-Scan, und haben wir auch schon einen durchgeführt?«, fragte der Army-General.

Der Nationale Sicherheitsberater des Präsidenten, ein ehemaliger 4-Sterne-General des Marine Corps namens Donald Harris, antwortete: »UV-Vier ist ein Bereich des Lichtspektrums, der für das menschliche Auge nicht sichtbar ist, der vierte Bereich der UV-Strahlung.«

»Ich habe das Ergebnis des Scans hier, Sir«, sagte Bowling mit einem Blick auf den Präsidenten. »Aber bevor ich ihn Ihnen zeige, wären vermutlich, mit Verlaub, ein paar Vorbemerkungen hilfreich. Nach Erhalt dieses abgefangenen Funkspruchs hat die NRO mit Hilfe von UV-Vier-Overlays noch einmal alle unsere Satellitenbilder der oberen Arktis gescannt. Dabei handelt es sich um eine Montage von Aufnahmen, die von sechs IMINT- Multispektral-Aufklärungssatelliten gemacht wurden und die die oberen Bereiche der nördlichen Hemisphäre zeigen, wie sie vor sechs Wochen im UV-Vier-Spektrum ausgesehen haben.«

Auf dem Bildschirm erschien eine Satellitenaufnahme:

Darauf war die nördliche Hemisphäre abgebildet, wie sie sich von einem Punkt direkt über dem Nordpol gesehen darstellte. Zu erkennen waren das Nordpolarmeer und die größeren Inselgruppen wie Spitzbergen, Franz-Josef-Land und Sewernaja Semlja und an den Rändern Europa, Russland, China, Japan, der Nordpazifik, die Vereinigten Staaten und Kanada.

Nur bei genauem Hinsehen war auch zu erkennen, dass von einer kleinen Insel nicht weit vom Nordpol eine dichte Wolke aus dunklem Rauch aufstieg. In Wirklichkeit war diese Wolke durchsichtig, aber ein UV-Filter ließ sie schwarz erscheinen.

Sie kam von einer Stelle, die als »Dragon Island« eingezeichnet war.

Bowling fuhr mit seinen Ausführungen fort: »Dieses Satel­litenbild ist, wie gesagt, sechs Wochen alt. Es zeigt eine kleine Wolke gasförmiger Materie, die aus einem alten sowjetischen Kampfstofflabor in der Arktis aufsteigt, das unter dem Namen Ostrow Smej oder auch Dragon Island bekannt ist.«

»Sieht aus wie die Aschewolke dieses isländischen Vulkans, die vor einiger Zeit den Luftverkehr zum Erliegen gebracht hat«, bemerkte der Vertreter der Army.

»Was ihre Verteilung in der Atmosphäre angeht, besteht tatsächlich eine große Ähnlichkeit«, sagte Bowling, »aber auf die Zusammensetzung der Wolken selbst trifft das nicht zu. Die Aschewolke bestand aus staubkörnchengroßen Partikeln vulkanischen Gesteins. Bei dieser Wolke dagegen handelt es sich um ein ultrafeines Gas, das in die untere und mittlere Atmosphäre aufgestiegen ist.

Es ist so extrem fein, dass es, mit dem bloßen Auge betrachtet, wie Hitzeflimmern aussieht. Aber im UV-Spektrum ist es, wie Sie hier sehen können, ganz deutlich erkennbar. Das liegt daran, dass es eine aus Triethylboran, kurz TEB, gewonnene chemische Verbindung ist. In den siebziger und achtziger Jahren haben sowjetische Wissenschaftler ausgiebig mit TEB experimentiert.«

»Und was ist das für ein Zeug?«, fragte der Admiral. »Es ist doch hoffentlich kein Gift, das über die Luft übertragen wird?«

»Nein, ein Gift ist TEB nicht«, sagte der Vertreter der Air Force. »Es ist etwas noch Schlimmeres. TEB ist eine extrem leicht entflammbare chemische Verbindung, die normalerweise in festem Zustand gelagert wird. Im Prinzip ist es ein Raketentreibstoff. Wir verwenden es auch. Es ist eine pyrophore Verbindung, die in Staustrahltriebwerken wie dem der SR-71 Blackbird als Festtreibstoff eingesetzt wird. In Verbindung mit Triethylaluminium wird es zum Zünden der Triebwerke der Saturn-V-Rakete verwendet.«

»Es ist eine der am leichtesten entzündbaren Substanzen, die uns bekannt sind«, fügte der Nationale Sicherheitsberater, an den Präsidenten gewandt, hinzu. »Es brennt extrem hell, heiß und weitflächig.«

Er wandte sich den Vertretern von DIA und CIA zu. »Aber wenn ich das richtig verstanden habe, sind TEB und seine Va­rianten in flüssigem Zustand stabil, wenn sie in einer Hexan-Lösung gelagert werden. Und ich war eigentlich immer der Auffassung, die Russen würden es in Hexantanks aufbewahren.«

»Das tun sie auch«, bestätigte Deputy Director Alicia Gordon von der DIA. »Zum Beispiel in Anlagen wie auf Ostrow Smej. Nur sind die dortigen Einrichtungen nicht mit normalen Maßstäben zu messen. Sie nehmen eine Sonderstellung ein. Wenn unsere Informationen richtig sind, war das dortige Forschungszentrum in den achtziger Jahren ein regelrechtes Horrorkabinett. Es unterlag strengster Geheimhaltung, und die sowjetischen Wissenschaftler konnten dort tun, was sie wollten. Und zum Teil ist bei diesen Experimenten richtig abartiges Zeug herausgekommen. Völlig neuartige elektromagnetische Waffen, fleischfressende Insekten, molekulare Säuren, explosive Plasmen, spezielle Nuklearwaffen, hypertoxische Gifte.

In der Endphase des Kalten Kriegs befassten sich die Sowjets auf Dragon Island mit der Erforschung extrem toxischer kaustischer Gase aus der Atmosphäre der Venus, die von zwei der sowjetischen Venera-Sonden auf die Erde zurückgebracht worden waren. Es gibt Vermutungen, dass es ihnen gelungen ist, Verbindungen aus TEB und einigen der besonders tödlichen Gase von der Venus herzustellen.

Allem Anschein nach wollten die Sowjets einen hautverätzenden Säureregen, wie wir ihn aus der Atmosphäre der Venus kennen, entwickeln und das Ganze dann über Amerika abregnen lassen. Sie hätten eine riesige Gaswolke, die aus einer Verbindung aus TEB und irgendwelchen exotischen Gasen von der Venus bestand, in den Jetstream über dem Pazifik aufsteigen lassen, damit dieser sie bei entsprechender Großwetterlage nach Amerika befördert hätte, wo sie dann als hautverätzender supersaurer Regen heruntergekommen wäre.

Selbst der Umstand, dass sie dafür Dragon Island als Standort ausgewählt haben, ist kein Zufall. Es befindet sich in unmittelbarer Nähe der Polkappe und somit am Ausgangspunkt des spiralförmigen Starkwindbands, das wir als Jetstream bezeichnen. Alles, was über Ostrow Smej in die Atmosphäre aufsteigt, wird in kürzester Zeit über Europa und den Süden Russlands hinweg nach China, Japan und über den Pazifik nach Amerika getrieben. Verantwortlich dafür ist der gleiche Jetstream, der die Vulkanasche von Island über Europa verbreitet hat. Die Sache ist allerdings …« Die stellvertretende Direktorin der DIA hielt inne.

Alle warteten angespannt darauf, dass sie fortfuhr.

»… die Sowjets waren noch nicht so weit, dieses Gas wirklich zum Einsatz bringen zu können. Ihr Großprojekt Saurer Regen kam nie über die Testphase hinaus. Allerdings sind die Sowjets im Zug dieser Experimente, rein zufällig, auf etwas noch viel Gefährlicheres gestoßen.

In einschlägigen Kreisen kursieren Gerüchte, dass sie einen anderen Verwendungszweck für diese Verbindung aus TEB und den Gasen von der Venus entdeckt haben: Ihnen war klargeworden, dass sie das extrem leicht entzündbare Gas in die Atmosphäre aufsteigen lassen und dort mit einer katalytischen Explosion entzünden könnten, wobei es zu einem sogenannten ›atmosphärischen Verbrennungsvorgang‹ käme.«

»Einem was?«

»Sie hätten die Atmosphäre in Brand gesetzt. Die Sache ist eigentlich recht simpel. Damit ein Feuer brennen kann, benötigt es Sauerstoff. Bei einem Verfahren wie diesem wird dieses Prinzip auf die Spitze getrieben. Rein technisch gesehen, handelt es sich dabei um eine Aerosol- oder Vakuumbombe, deren Sprengstoff, einmal gezündet, den Sauerstoff in der Luft als Hauptbrennstoff für die Explosion benutzt. Waffenspezialisten sprechen hier von einer Tesla-Reaktion, benannt nach dem großen Erfinder Nikola Tesla, der den Bau einer Waffe für möglich hielt, mit der die ganze Atmosphäre in Brand gesetzt werden könnte.

Eine solche Waffe erfordert allerdings nicht nur enorme Mengen an Gas in der Atmosphäre, sondern auch eine Zündvorrichtung, die ungeheure Energie und Hitze freisetzt – im Prinzip also eine seminukleare Waffe. Wir glauben allerdings nicht, dass es den Sowjets gelungen ist, etwas Derartiges zu bauen.«

Ein Husten.

Es kam vom Vertreter der CIA. Er räusperte sich und ergriff zum ersten Mal das Wort.

»Das«, erklärte er, »ist nicht ganz zutreffend.«

»Dragon Island«, sagte der CIA-Mann, »war weiß Gott einer der verrücktesten Auswüchse des Kalten Kriegs.

Machen wir uns doch nichts vor. Was die Sowjets damals alles ausprobiert haben, war richtig krank. Sie haben die Möglichkeiten der Wissenschaft bis aufs Äußerste ausgereizt, ohne jegliche Einschränkungen, sei es nun ethischer oder sonstiger Art. Auf Ostrow Smej durften die besten Wissenschaftler des Landes mit den gefährlichsten und ausgefallensten Substanzen arbeiten, die die Menschheit kennt, darunter die bereits erwähnten Gasproben von der Venus. Und das alles diente nur einem einzigen Zweck: neue Massenvernichtungswaffen zu entwickeln. Dragon Island war die Vorzeigeeinrichtung des Sonderkampfmitteldirektorats der Roten Armee. Die Wissenschaftler, die dort geforscht haben, gingen nicht nur bis an die Grenze, sondern manchmal auch darüber hinaus. Ostrow Smej war ihre Area 51, ihr Los Alamos und ihr Plum Island, alles in einem.

1991, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, wurde das Projekt Dragon Island allerdings eingestellt. Das Problem war nur, dass die Dinge, mit denen man dort experimentiert hatte, so aberwitzig waren, dass ihre Vernichtung mehr Pro­bleme geschaffen als beseitigt hätte. Deshalb haben die Russkis seitdem immer ein Rumpfteam auf der Insel stationiert, um den Betrieb sozusagen auf Sparflamme aufrechtzuerhalten und zu gewährleisten, dass stabile Feststoffe nicht zu instabilen Flüssigkeiten werden und chemische Substanzen, die unbedingt auf dem absoluten Nullpunkt gelagert werden sollten, auch auf dem absoluten Nullpunkt bleiben. Anders ausgedrückt, Dragon Island ist nach wie vor ein Horrorkabinett.«

Er wandte sich dem Präsidenten zu. »Es ist meine unerfreu­liche Pflicht, Sir, Ihnen mitzuteilen, dass die Russen tatsächlich eine Tesla-Waffe gebaut haben und dass sie sich auf Dragon Island befindet.

Dabei handelt es sich um eine sogenannte ›atmosphärische Waffe‹, deren Einsatz in zwei Phasen abläuft. Zunächst lässt man aus zwei riesigen Auslasstürmen auf Dragon Island ein leicht entzündliches Gas in die Atmosphäre aufsteigen, das in der zweiten Phase mittels eines explosiven Katalysators entzündet wird. Dieser Katalysator ist im Grunde genommen ein quasi-nuklearer Sprengkörper mit einem kugelförmigen Kern aus verunreinigtem Uran 238, das wegen seiner tiefroten Farbe auch als ›Bluturan‹ oder ›rotes Uran‹ bezeichnet wird. Rotes Uran ist nicht so wirksam und radioaktiv wie Yellowcake, aber aufgrund seiner minderwertigen atomaren Struktur reagiert es erheblich stärker mit TEB, als das bei einer thermonuklearen Explosion der Fall wäre. Eine reguläre Atombombe könnte nämlich eine solche Gaswolke überhaupt nicht zünden.

Diese Kugeln aus rotem Uran sind nur so groß wie ein Golfball. Man ummantelt sie mit einem gängigen Brückenimplosionszünder aus Beryllium – wie man ihn in jeder Nuklearwaffe findet – und schießt das Ganze mit einer Rakete in die Gaswolke hoch. Die bei ihrer Explosion entstehende Hitze ist stark genug, um das Gas zu entzünden und den Verbrennungsprozess in Gang zu setzen –, und das wiederum hat eine Kettenreaktion in Form eines extrem heißen Säurebrands zur Folge, der über die gesamte nördliche Hemisphäre hinwegfegt und die ganze Atmosphäre in Brand steckt. Die Wirkung ist in etwa so, als würfe man ein brennendes Streichholz in eine Benzinlache, nur dass es in diesem Fall zu einem Brand von globalen Ausmaßen kommt.«

Der Präsident schüttelte fassungslos den Kopf. »Wie kann jemand nur so etwas bauen? Wenn durch diese Waffe die ganze nördliche Hemisphäre zerstört wird, werden die Russen doch auch selbst ausgelöscht.«

»Genau das ist der Grund, warum diese Waffe gebaut wurde, Sir«, antwortete DIA Deputy Director Alicia Gordon. »Man nennt so etwas eine ›Verbrannte Erde‹-Waffe. Zu solch verzweifelten Maßnahmen greift man, wenn man einen Krieg verloren hat. Als die Deutschen merkten, dass sie den Zweiten Weltkrieg nicht mehr gewinnen konnten, brannten sie auf dem Rückzug alle Bauernhöfe nieder, die Strategie der verbrannten Erde. Dahinter stand der Gedanke: Wenn wir den Krieg schon verlieren, soll der Sieger auch nichts davon haben, ihn zu gewinnen.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dieser sowjetischen Massenvernichtungswaffe. Hätten die Vereinigten Staaten in einer kriegerischen Auseinandersetzung das sowjetische Arsenal an Interkontinentalraketen außer Gefecht gesetzt oder zerstört, hätten die Sowjets diese atmosphärische Waffe zum Einsatz gebracht und den Siegern nichts als verbrannte Erde hinterlassen.«

»Nur dass diese Waffe nicht nur ihr Land vernichtet hätte, sondern die gesamte nördliche Erdhalbkugel«, bemerkte der Präsident.

»So ist es, Sir«, sagte Gordon. »Mr. President, falls jemand Dragon Island eingenommen und die Tesla-Waffe aktiviert hat, haben wir ein ernstes Problem. Wie es scheint, sind wir jedoch noch rechtzeitig darauf aufmerksam geworden. Die Leute, die sich auf Dragon Island eingenistet haben, müssten das leicht entzündliche Aerosol schon Wochen vorher in die Atmosphäre entweichen lassen, um einen solchen Weltenbrand auslösen zu können.«

Diese Feststellung wurde mit spürbarer Erleichterung aufgenommen.

Nur Bowling, der NRO-Mann, schluckte schwer.

»Dann werden Sie darüber bestimmt nicht begeistert sein.« Er drückte auf eine Taste seines Laptops, und auf dem Bildschirm erschien ein neues Bild. »Das hier wurde vor vier Wochen aufgenommen.«

»Und das hier vor zwei Wochen.«

»Und das letzte Bild wurde vor fünfundvierzig Minuten gemacht, nachdem wir Mr. Iwanows Notruf abgefangen hatten.«

»Um Himmels willen …«, hauchte jemand.

»Oh Gott …«

Die unheilvolle Wolke hatte sich in einer hässlichen Spirale über die gesamte nördliche Hemisphäre ausgebreitet und über jede größere Landmasse der oberen Erdhälfte gelegt. Sie sah aus wie ein gigantischer Ölfleck, der den Planeten verschmutzte, nur dass er sich in der Atmosphäre befand. Das Bild der verseuchten Erde schwebte vor den schockierten Gesichtern des Krisenteams.

»Die Leute, die Ostrow Smej besetzt haben, lassen jetzt schon seit beinahe sechs Wochen entzündliches Gas in die Atmosphäre entweichen«, sagte Bowling. »Sie haben es einfach in den Jetstream aufsteigen lassen, und der hat alles Weitere für sie erledigt. Inzwischen ist die gesamte nördliche Atmosphäre von einer Gaswolke bedeckt.«

In diesem Moment kam ein junger Assistent in den Raum gestürmt und reichte der stellvertretenden DIA-Direktorin einen Computerausdruck.

Gordon überflog ihn rasch, dann blickte sie abrupt auf. »Mr. President. Das kommt von unserer russischen MASINT-Station. Sie haben gerade einen Notruf des Leiters des russischen Sonderkampfmitteldirektorats in Sarow an den russischen Präsidenten in Moskau abgefangen. Er lautet:

HERR PRÄSIDENT,

OSTROW SMEJ WURDE VON EINER UNBEKANNTEN STREITKRAFT EINGENOMMEN. DIE ANALYSE VON SATELLITENAUFNAHMEN HAT ERGEBEN, DASS VON DER INSEL SCHON SEIT EINIGER ZEIT, MÖGLICHERWEISE SEIT 41 TAGEN, ATMOSPHÄRISCHES GAS IN DIE ATMOSPHÄRE AUFSTEIGT. EINE FERNANALYSE HAT ERGEBEN, DASS AUF OSTROW SMEJ SECHS BLUTURANKUGELN FÜR EINEN BEVORSTEHENDEN EINSATZ AKTIVIERT WERDEN. DIE AKTIVIERUNG DAUERT ETWA ZWÖLF STUNDEN UND HAT OFFENSICHTLICH VOR SIEBEN STUNDEN BEGONNEN. UNS BLEIBEN FÜNF STUNDEN, DIESE UNBEKANNTE ORGANISATION DARAN ZU HINDERN, DIE ATMOSPHÄRISCHE WAFFE ZU ZÜNDEN.

Gordon legte den Ausdruck nieder.

Über den Situation Room legte sich tiefes Schweigen.

Der Präsident schaute auf die Wanduhr. Es war 17 Uhr, beziehungsweise 6 Uhr früh auf Dragon Island. »Soll das heißen, in fünf Stunden zünden Unbekannte eine Art Superwaffe, die die Atmosphäre der nördlichen Hemisphäre in Brand setzen wird?«

»Das trifft es auf den Punkt, Sir«, erwiderte Gordon. »Wir haben noch fünf Stunden Zeit, um die Welt zu retten.«

Der Präsident stand auf. »Holen Sie mir sofort den russischen Präsidenten ans Telefon …«

Die Tür des Situation Room flog auf.

Ein junger Major der Air Force kam hereingestürmt. »Mr. President! Die Russen haben in Omsk in Sibirien gerade eine Interkontinentalrakete gestartet! Sie nimmt Kurs auf ein Ziel im Nordpolarmeer, auf einen ihrer Stützpunkte dort. Sie schießen eine Atomrakete auf eine ihrer eigenen Inseln!«

KREMLMOSKAU, RUSSLAND

In genau demselben Moment sahen sich in einem ähnlichen unterirdischen Raum in Moskau der russische Präsident und sein Krisenteam die Live-Zuspielung eines Raketenüberwachungssatelliten an.

Ein blinkender Lichtpunkt markierte die mit einem Atomsprengkopf ausgerüstete Interkontinentalrakete, die direkt auf Ostrow Smej zusteuerte.

»Einschlag in vier Minuten«, sagte ein Operator.

Der Lichtpunkt näherte sich Dragon Island.

Im Raum war es totenstill.

Aller Augen waren auf das Display gerichtet.

»Einschlag in drei … Moment! Rakete ändert Kurs. Was zum Teufel …?«

»Was geht hier vor?«, fragte der russische Präsident barsch.

»Die Rakete. Sie … sie kehrt um. Sie kommt zu ihrem Raketensilo zurück …«

Im Situation Room des Weißen Hauses beobachteten der Präsident und sein Krisenteam auf einem ähnlichen Monitor, wie die russische Rakete ihre Flugbahn änderte.

»Sie kehrt zur Abschussstelle zurück?«, fragte der Präsident erstaunt. »Wieso das?«

»Sie haben sich in das Leitsystem der Rakete gehackt …«, sagte Alicia Gordon ominös.

»Wer?«

»Die Leute auf Dragon Island.«

»Ist so etwas denn überhaupt möglich?«

»Wir können es«, erklärte Gordon nüchtern. »Und wie es aussieht, können es auch die Leute, die Dragon Island besetzt haben.«

Entsetzt beobachtete der russische Präsident, wie der Lichtpunkt auf dem Monitor rasch zu seiner Abschussstelle zurückkehrte.

Der Mann an der Kommunikationskonsole neben ihm sprach aufgeregt in sein Headset: »Raketenleitstelle Omsk, hören Sie! Sie kommt zu Ihnen zurück! … Nein, wir können es sehen! Geben Sie Befehl zur Selbstzerstörung … Was soll das heißen? Rakete reagiert nicht …?«

Wenig später erreichte der Lichtpunkt die Abschussstelle in Omsk in Sibirien, und die Funkverbindung mit Omsk fiel aus.

Das bestürzte Schweigen, das daraufhin eintrat, wurde von einem zweiten Kommunikationsoperator gebrochen.

»Herr Präsident, von Dragon Island kommt gerade ein Funkspruch herein.«

»Legen Sie ihn auf den Monitor«, sagte der russische Präsident.

Ein Bildschirm ging an, und ein Mann mit einer schrillen Elvis-Sonnenbrille und einem Polarparka mit Wintertarnung erschien.

Wegen der Sonnenbrille und weil sich der Mann die Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte, war nur seine untere Gesichtshälfte zu erkennen. Doch selbst dieser kleine Bereich zwischen Nase und Kinn hatte etwas Unverwechselbares: Vom linken Ohr zog sich ein schrecklich entstellter, von Säure zerfressener Hautstreifen den Kiefer des Mannes hinab, der eher wie ein durchgeknallter Rockstar aussah als wie ein Terrorist.

»Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Präsident«, sagte der Mann in perfektem Russisch. »Ich könnte Ihnen natürlich meinen Namen sagen, aber was brächte das? Nennen Sie mich den Fürsten der Anarchie, den General der Army of Thieves, den Kaiser der Vernichtung, den Herrn der Zerstörung, nennen Sie mich, wie Sie wollen. Meine glorreiche Streitkraft, die Army of Thieves, ist ein Zusammenschluss von Verbitterten, Hungernden, Unterprivilegierten und Armen, die sich gegen die bestehenden Mächte auflehnen möchten. Sie ist der vor der Tür seines Herrn hungernde Hund, der nicht mehr länger hungern will. Jetzt ist der Moment gekommen, in dem Sie, die Herren, zur Rechenschaft gezogen werden. Und das Werkzeug dieser Abrechnung bin ich.

Meine Armee aus Verstoßenen hält Ihre fiese kleine Insel besetzt und beabsichtigt, die dort stationierte Waffe zu aktivieren. Wie Ihnen inzwischen sicher klargeworden ist, kann ich jeden Raketenangriff, den Sie gegen mich starten, rechtzeitig ent­decken und vereiteln. Die Leitsysteme Ihrer Raketen sind primitiv und leicht zu manipulieren. Seien Sie deshalb versichert, dass die nächste Atomrakete, die Sie auf mich abfeuern, nicht zu ihrem Raketensilo zurückgelenkt wird, sondern auf die nächste größere Stadt. Das Gleiche gilt für jede andere Nation, die es wagen sollte, einen Atomschlag gegen mich zu starten. Und versuchen Sie auch erst gar nicht, einen Bomber oder eine Antiterroreinheit nach Ostrow Smej zu schicken. Ich kann jedes Flugzeug, das sich der Insel auf mehr als fünfhundert Meilen nähert, sofort sehen und werde es auf der Stelle abschießen.

Herr Präsident, Sie wissen ebenso gut wie ich, welche Waffe ich hier in Händen halte. Verschwenden Sie also Ihre Zeit nicht damit, Raketen auf mich abzuschießen, sondern rufen Sie lieber einen Priester, und schließen Sie Ihren Frieden mit Gott. So machen Sie bestimmt besseren Gebrauch von den wenigen Stunden, die Ihnen noch bleiben. Es lebe die Anarchie.«

Der Bildschirm wurde schwarz.

SITUATION ROOM DES WEISSEN HAUSES

Der Präsident knallte das Telefon auf den Konferenztisch. Er hatte gerade mit dem russischen Präsidenten gesprochen.

»Ein Luftangriff kommt nicht in Frage«, stieß er hervor, »und die Russen haben keine Einheiten in der Region, die es auf dem Seeweg in weniger als fünf Stunden nach Dragon Island schaffen könnten. Und wir? Haben wir irgendetwas Brauchbares in der Nähe? Gibt es jemand, der sich nahe genug an Dragon Island befindet, um entweder zu Wasser oder auf dem Eis in fünf Stunden unbemerkt nach Ostrow Smej zu kommen und zu verhindern, dass diese Waffe gezündet wird?«

»Bedaure, Sir, aber die Air Force hat keine geeigneten Ein­heiten in dieser Region stationiert«, sagte der Vertreter der Air Force.

»Auch die Army nicht, Sir«, sagte der General kopfschüttelnd.

»Wir schon, Sir«, meldete sich der Admiral zu Wort. »Wir haben ein U-Boot mit einem SEAL-Team an Bord, das sich zirka siebzig Seemeilen nordöstlich von Ostrow Smej befindet. Ira Barker und seine Jungs. Sie absolvieren dort gerade ein Polartraining. Sie befinden sich in der Nähe, und sie sind nicht nur bestens ausgebildet, sondern auch entsprechend ausgerüstet. Sie könnten in etwa drei Stunden vor Ort sein.«

»Setzen Sie sich mit ihnen in Verbindung«, ordnete der Präsident an, »und schicken Sie sie auf der Stelle los. Sagen Sie ihnen, sie sollen alles und jeden sabotieren, außer Gefecht setzen oder zerstören, der sie daran hindert, die Aktivierung dieser Waffe rückgängig zu machen. Und entsenden Sie, wenn sie nach Dragon Island aufbrechen, auch gleich eine größere Streitkraft, die den SEALs später zu Hilfe kommen kann, falls es ihnen tatsächlich noch gelingen sollte, das Unheil abzuwenden.«

Der Vertreter des Marine Corps hatte sich währenddessen in eine Ecke des Raums zurückgezogen und sprach dort in ein abhörsicheres Telefon. Er beendete das Gespräch und wandte sich dem Präsidenten zu. »Sir, da ist auch … tja …«

»Was! Was?«

»Wir haben etwa hundert Meilen nördlich von Ostrow Smej ein kleines Team stationiert, das dort unter extremen Witterungsbedingungen Ausrüstungsgegenstände testet. Es ist schon sieben Wochen dort oben. Ein paar Marines, ein DARPA-Mann und einige Techniker aus der Wirtschaft. Nicht unbedingt eine schlagkräftige Kampftruppe, aber besser als nichts, und sie sind ganz in der Nähe.«

»Wer führt das Kommando?«, fragte der Präsident.

Der Marine-Corps-General sagte: »Ein Captain Schofield, Sir. Rufzeichen ›Scarecrow‹.«

»Scarecrow?« Der Name kam dem Präsidenten bekannt vor. »Der Mann, über den ich vor ein paar Monaten mit dem französischen Präsidenten gesprochen habe? Der amerikanische Staatsbürger, auf den das französische Militär ein Kopfgeld ausgesetzt hat?«

»Genau der, Sir. Diese Geschichte mit den Franzosen ist der Hauptgrund, weshalb er sich zurzeit in der Arktis aufhält. Als er auf Parris Island stationiert war, haben sie zweimal versucht, ihn von Killerteams liquidieren zu lassen. Er hat beide Anschläge überlebt. Um ihn etwas aus der Schusslinie zu nehmen, haben wir ihn daraufhin mit diesem Testteam an den Polarkreis geschickt.«

Der Marine-Corps-General wusste, dass es dafür auch noch andere Gründe gab, aber er hielt es nicht für nötig, sie in diesem Moment anzusprechen.

Der Präsident verzog das Gesicht. »Ich habe den französischen Präsidenten gebeten, dieses Kopfgeld zurückzuziehen, und wissen Sie, was er darauf erwidert hat? Er hat gesagt: ›Monsieur, ich bin gerne bereit, Ihnen bei Ihren Forderungen entgegenzukommen, was Wirtschaft und Handel, Afghanistan und sogar den Iran angeht, aber diesen Befehl werde ich nicht zurückziehen. Dieser Mann hat französische Soldaten getötet, ein französisches U-Boot zerstört und einen französischen Flugzeugträger versenkt. Die Republik Frankreich wird nicht eher ruhen, als bis er tot ist.‹«

Der Präsident schüttelte den Kopf. »Verständigen Sie diesen Scarecrow. Schicken Sie ihn mit dem SEAL-Team los. Mit demselben Auftrag: sabotieren, außer Gefecht setzen, zerstören. Sagen Sie ihm, er soll alles versuchen, um diesem Wahnsinn ein Ende zu machen.«

PHASE EINS

DER RUF ZU DEN WAFFEN

DRAGON ISLAND

4. APRIL, 08:30 UHR

Der Kalte Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion wird als die längste Phase militärischen Wahnsinns in die Geschichte eingehen. In dieser Zeit wurden Waffen mit solch ungeheurem Zerstörungspotential gebaut, dass für den Sieger keine Welt mehr übrig gewesen wäre, die er hätte bewohnen können, wenn es zu einem Krieg gekommen wäre.

Richard Wainwright,The Cold War(London; Orion, 2001)

Dragon Island und das Gebiet im Norden

ARKTISCHES EIS4. APRIL, 08:30 UHR

2 STUNDEN 30 MINUTEN BIS ZUR DEADLINE

Die zwei Sturmboote rauschten die schmale, von hohen Eiswänden gesäumte Fahrrinne hinunter.

Dank ihrer raketenförmigen Rümpfe und der von der Defense Advanced Research Projects Agency entwickelten hochmodernen Wasserstrahlantriebe brachten sie es auf eine Geschwindigkeit von 50 km/h, und obwohl das vordere Boot eine gewaltige Bugwelle aufwarf, als es durch das ruhige Wasser der Fahrrinne pflügte, machte sein Motor kaum ein Geräusch.

Die Boote waren AFDV-Prototypen – Assault Force Delivery Vehicles (Angriffstruppen-Transportfahrzeuge); diese wendigen und schnellen Boote waren dafür gedacht, amerikanische Truppen rasch und geräuschlos an feindlichen Küsten abzusetzen. Ein bisschen sahen sie aus wie Zodiacs, nur dass sie schlanker waren, mit extrem dünnen aufblasbaren Schläuchen an den Seiten, die dicht über der Wasserlinie lagen. Sie befanden sich jedoch noch in der Testphase und waren noch nicht für reguläre Einsätze zugelassen.

Auf dem motorradsattelartigen Sitz des ersten Boots saß Captain Shane M. Schofield, USMC.

Schofield war Mitte dreißig, knapp eins achtzig groß, hatte ein kantiges, wettergegerbtes Gesicht und schwarzes Haar. Normalerweise war sein Haar kurz geschnitten und sein Kinn glatt rasiert, aber nach sieben Wochen in der Arktis war sein Haar länger und seine untere Gesichtshälfte von kräftigen Stoppeln bedeckt. Schofield hatte leuchtend blaue Augen und hätte wahrscheinlich als gutaussehend gegolten, wären da nicht die zwei hässlichen Narben gewesen, die sich senkrecht über seine Augen zogen. Diesen Narben hatte er auch sein Rufzeichen Scare­crow zu verdanken.

Sie rührten von Verletzungen her, die er sich bei einer fehlgeschlagenen Mission zugezogen hatte, als er noch beim Air Wing des Marine Corps Pilot gewesen war. Er war über feindlichem Gebiet abgeschossen, gefangen genommen und gefoltert worden, und dabei waren ihm mit einer Rasierklinge die Augen aufgeschlitzt worden. Eine Operation hatte sein Augenlicht gerettet, aber er hatte nicht mehr fliegen dürfen, weshalb er sich für den Bodeneinsatz hatte ausbilden lassen und in der Folge so weit aufgestiegen war, dass er eine Force-Reconnaissance-Eliteeinheit befehligt hatte.

Auch heute verbarg Schofield seine Augen hinter einer silbernen Anti-Flash-Brille: eine Oakley Ballistics, die speziell für das Militär entwickelt worden war. Um sich vor dem beißenden Wind zu schützen, war ein Tuch im Stil von Jesse James um seine untere Gesichtshälfte gebunden.

Hinter Schofield saßen drei Männer – ein junger Marine und zwei der Zivilisten des Testteams.

Das zweite Boot wurde von Schofields Stellvertreterin und treuer Freundin Gunnery Sergeant Gena Newman, Rufzeichen »Mother«, gesteuert.

Angesichts ihrer stattlichen eins fünfundachtzig, ihres kahlrasierten Schädels und ihrer beeindruckend kräftigen Statur war ihr Rufzeichen keineswegs ein Hinweis auf irgendwelche besonderen mütterlichen Instinkte. Es war schlicht und einfach die Abkürzung für Motherfucker. In ihrem Sturmboot fuhren zwei Passagiere mit: ein Marine und ein Zivilist.

Es war etwas über zwei Stunden her, dass Schofield und sein Testteam den Notruf aus Washington erhalten hatten, in dem sie über die Lage auf Dragon Island in Kenntnis gesetzt worden waren. Außerdem hatten sie über einen sicheren Daten-Feed eine Reihe digitalisierter Dokumente übermittelt bekommen.

Darunter waren ein MPEG des Gesprächs, das der russische Präsident mit dem geheimnisvollen Unbekannten auf Dragon Island geführt hatte, der sich als Anführer einer Organisation namens Army of Thieves ausgab; ein von einer gewissen Ma­rianne Retter zusammengestelltes DIA-Dossier, in dem sieben Vorfälle mit Beteiligung der Army of Thieves aufgelistet waren; eine Landkarte von Dragon Island Ostrow Smej sowie die Koordinaten der abgeschossenen Berijew Be-12, die das Pro­blem gemeldet hatte.

Außerdem hatten sie ein kurzes Dokument mit dem Titel »Funktionsweise einer atmosphärischen Waffe« erhalten. Darin wurden die Bestandteile der Tesla-Waffe auf Dragon Island beschrieben: die zwei riesigen Auslasstürme, aus denen das Gas in die Atmosphäre stieg; die sechs kleinen Kugeln aus rotem Uran sowie die Raketen, mit denen die Kugeln in die Gaswolke geschossen wurden. Auf den Punkt gebracht, konnten sie die Aktivierung der Waffe verhindern, wenn es ihnen gelang, einen dieser drei Bestandteile zu zerstören oder zu sabotieren, bevor die Urankugeln auf Betriebstemperatur gebracht wurden.

Nachdem die Türme schon sechs Wochen lang Gas in die Atmosphäre gespien hatten, stand für Scarecrow längst fest, dass nur noch die letzten zwei Optionen in Frage kamen. Das heißt, bei genauerer Überlegung gab es vielleicht noch eine dritte Möglichkeit …

Doch dann erhielt er die Nachricht, dass von der USSMiami, einem U-Boot der Los Angeles-Klasse, bereits ein SEAL-Team losgeschickt worden war, um auf der Insel nach dem Rechten zu sehen.

Schon nach kurzem Studium der Karte der Insel gelangte Schofield zu der Einschätzung, dass ihre Erfolgsaussichten nicht sehr hoch waren.

Ostrow Smej war eine natürliche Festung. Die Küste der Insel bestand fast durchgehend aus etwa hundert Meter hohen Felswänden, und die einzigen zwei Stellen, an denen die Steilküste durchbrochen war – ein verlassenes Walfängerdorf aus dem 19. Jahrhundert und ein U-Boot-Bunker –, waren mit hohen Zäunen und Mauern sowie zahlreichen Geschützstellungen und Wachtürmen gesichert. Es gab allerdings noch eine dritte Zugangsmöglichkeit: drei kleine vorgelagerte Inseln in einer Bucht an der Nordküste von Ostrow Smej. Dieser Zugang ließ sich jedoch so einfach gegen ein unerwünschtes Eindringen absichern, dass man ihn außer Acht lassen konnte.

Kurz gesagt, Dragon Island war für die Verteidiger ein Paradies und für die Angreifer die Hölle. Selbst eine relativ kleine Truppe konnte eine deutlich überlegene feindliche Angriffsmacht wochenlang zurückwerfen.

Während Schofield sich noch seine Gedanken über die Chancen des SEAL-Teams machte, kam ein abhörsicherer ULF-Funkspruch von der USSMiami herein. Das U-Boot war bereits nach Dragon Island unterwegs und würde dort eine gute Stunde vor Schofield und seinen Leuten eintreffen.