Arktur - Alexandra Cloos - E-Book

Arktur E-Book

Alexandra Cloos

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Beschreibung

Stell dir vor, eine dunkle Gefahr droht alles zu verschlingen, was dir am Herzen liegt und du alleine könntest der Auslöser dafür sein. Der junge Palomino-Zentaur Arktur ist als Nachfolger seines Vaters Fürst Tristorion auserkoren, da erhält er eine schaurige Weissagung für seine Zukunft: Er alleine könnte für den Untergang seines Volkes verantwortlich sein. Dessen ungeachtet muss Arktur seine Pflicht als angehender Krieger erfüllen und wird auf eine schwierige Mission geschickt. Wenigstens seine ungewöhnliche Freundschaft zur Menschenfrau Saoirse und ein paar enge Verbündete verleihen ihm den nötigen Mut, sich seinem heiklen Schicksal entgegenzustellen. Saoirse und Arktur erwecken durch ihre starke Verbundenheit eine lang versiegelte Kraft der zentaurischen Magie. Gerade noch rechtzeitig, denn feindselige Menschen rüsten sich zum Kampf mit dem Ziel, alle Zentauren auf ewig zu vernichten. Werden das Geschick und die Magie von Arktur und Saoirse ausreichen, um sein Volk zu retten? Lass dich entführen in die Traditionen und Gemeinschaft der Zentauren, ihrer Mystik und Magie.

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Seitenzahl: 406

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Wenn das Herz offen ist, möge die Nacht schweigen, damit es die Sterne leise flüstern hört.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Die Weissagung

Kapitel 2: Der Stamm im Norden

Kapitel 3: Ein seltsamer Zentaur

Kapitel 4: Die Prüfung und ihre Wahrheit

Kapitel 5: Das Sternen-Fohlen

Kapitel 6: Zeit des Abschieds

Kapitel 7: Die Legende des Arktur

Kapitel 8: Starkes Zentaurenherz

Kapitel 9: Macht und Ohnmacht

Kapitel 10: Draußen im Wald

Kapitel 11: Hirsch-Zentauren Magie

Kapitel 12: Botschaft aus einem anderen Reich

Kapitel 13: Das Herz des Zentaurenvolkes

Kapitel 14: Die alte Stadt

Kapitel 15: Eine harte Prüfung

Kapitel 16: Mehr als nur ein Wunder

Kapitel 17: Der wunde Punkt

Kapitel 18: Die Schwingen des Arktur

Eine Rezension als Dankeschön

Über die Autorin

Das Bonding geht weiter ...

Kapitel 1

Die Weissagung

Es existierten unzählige Geschichten, die sich sein Volk erzählten. Epische und auch ganz kleine Erzählungen, die von Ehre, Stolz, Hoffnung oder Weisheit, manchmal auch von Glück und Heilung kündeten. Früher lauschte er selbst in jungen Fohlenjahren diesen Erzählungen, mit großen Augen und wachsender Begeisterung. In den meisten tauchte eine Prophezeiung oder Vorhersage von den Sternen, den Ahnen oder gar den großen Erzwächtern auf. Übermittelt durch einen der Sehenden, die die Geburt eines neuen Helden ankündigte oder half, ein schlimmes Unglück zu verhindern.

Doch als Arktur an jenem Abend in den Sternenhimmel schaute und sich all das in Erinnerung rief, würgte ihn die Bitterkeit in seiner Kehle. Es gab eine neue Weissagung, eine Vision von der Zukunft – seiner Zukunft.

Alle Zentauren erhielten, wenn sie dem Fohlenalter entwachsen waren, einen Blick in die nahenden Ereignisse ihres Lebens. Es markierte das Ende der Fohlenzeit und wurde als Eintritt in das Erwachsenenalter mit einem freudigen Fest gefeiert. Die Weissagungen sollen einem den Weg leuchten oder helfen, die eigene Bestimmung zu finden. Doch in Arkturs Fall war es ganz anders gekommen.

„Großer Arktur, was habe ich nur getan ...“, murmelte er mit einer Mine, die fast an ein schmerzverzerrtes Gesicht erinnerte. Dabei hatte er gar nichts getan – noch nicht. Alles kam ihm so unwirklich vor.

Er – der nach einem sagenhaften Zentauren benannt worden war.

Er – der als zukünftiger Fürst und Nachfolger seines Vaters, all seinen Mut und Kraft durchweg in den Dienst seines Volkes stellen wollte.

Er sollte jetzt ...

„Was machst du hier so alleine?“, eine ihm wohlbekannte Stimme riss den Pferdemenschen aus seinen quälenden Gedanken. Dabei brauchte er sich im Grunde nicht umzudrehen, er erkannte Saoirse, seine beste Freundin, an ihrer klaren Stimme. Der Umstand ihrer engen Freundschaft zueinander mochte auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen, weil sie nicht seinem Volk angehörte, sondern dem der Menschen. Sie hatte, durch die selbstlose Rettung von Arkturs Cousin, das Vertrauen der Pferdemenschen gewonnen und durfte nun ihre Kultur näher kennenlernen.

Saoirse verschränkte die Arme vor der Brust, ihre dunklen Haare hingen ihr gelockt über die Schultern und sie sah ihren Freund mit aufmerksamen blauen Augen prüfend an, auch wenn er ihr gerade den Rücken zudrehte.

„Arktur, was ist los?“, ihre Stimme klag herausfordernd und herzlich zugleich. Sie wusste zwar nicht, was sich im Zelt des Sehers zugetragen hatte, aber so wie es aussah, musste es ihren Freund sehr beschäftigen. Der Zentaur atmete einmal tief durch, er wusste genau, dass sie keine Ruhe geben würde, bis er ihr die Wahrheit verraten hatte. Und in seinem Inneren fühlte er Dankbarkeit für ihre Freundschaft. Er wollte es ihr sagen, diese qualvolle Gewissheit mit jemanden teilen, dem er vertrauen konnte. Und dennoch fiel es ihm unsagbar schwer, es mit seinen Worten erneut wiederzugeben. Das bedeutete, sich alles noch einmal in seiner vollen Tragweite vor Augen führen zu müssen. Dabei würde Arktur es zu gerne einfach nur vergessen.

Für eine Weile wanderte sein Blick den kleinen, mit Gras bewachsenen Hügel herunter, hinaus auf die still daliegende seichte Graslandschaft. Ein leichter Wind blies durch sein Haar und fegte weiter, ließ die Blätter der Bäume hinter ihnen leise säuseln. Schließlich drehte er sich langsam um, sein goldgelbes Fell und silberweißes Haar erhielten einen mattblauen Glanz durch den herableuchtenden Mond, die violetten Augen wirkten in diesem Licht fast dunkelblau. Als Saoirse sein Gesicht sah, wusste sie sofort, dass etwas überhaupt nicht stimmte. Sie ging auf ihn zu und nahm seine linke Hand in ihre:

„Was ist passiert?“

Arktur zog seine Hand aus ihrer und fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar, das er offen und lang trug. Dabei drehte er sich ein Stück von ihr weg. So etwas hatte er noch nie zuvor getan. Jetzt begann Saoirses Herz vor Sorge schneller zu schlagen und ein unangenehmes Magendrücken breitete sich schlagartig in ihr aus.

„Du solltest dich in Zukunft von mir fernhalten. Das ist besser für dich!“

Darauf erschrak sie noch mehr. Und natürlich stand für sie ohne Zweifel sofort fest, dass sie genau das nicht tun würde. Sie sagte nichts und kurz danach sprach er weiter:

„Der Seher meinte, mein Herz würde sich verdunkeln und ich werde meinem Volk großes Leid zufügen.“

Seine Stimme verstummte und es schien so, als konnte er nur mit Mühe verhindern in Tränen auszubrechen. Saoirse tat es weh, ihren Freund, der sonst stark und selbstbewusst auftrat, so aufgelöst zu sehen. Niemals wäre ihr eingefallen, ihn jetzt im Stich zu lassen. Sicher versuchte Arktur, sie nur vor Leid zu bewahren, aber was gebe sie für eine Freundin ab, wenn sie ihn nun sich selbst überlassen würde?

Vertrauensvoll legte sie eine Wange auf sein weiches Fell und strich ihm mit einer Hand über den Rücken:

„Es ist mir egal was der Seher gesagt hat, es wird so nicht geschehen, hörst du? Auch Seher erblicken nur das, was sich am ehesten entwickeln kann, jedoch ist nichts davon je in Stein gemeißelt. Vielmehr geht es darum, wie du mit diesem Wissen umgehst. Du wirst nicht dem Bösen verfallen und auch deinem Volk keinen Schaden zufügen. Ich kenne dich, darum kann ich das mit Gewissheit sagen. Wir sind Freunde, fast wie Geschwister und ich lasse dich niemals alleine. Zusammen schaffen wir eine andere Zukunft.“

Gerührt blickte er über seine Schulter zu ihr herüber. Ihr Lächeln schenkte ihm neuen Mut. Vielleicht hatte sie Recht – sie musste einfach Recht behalten.

An jenem schicksalhaften Abend feierten die anderen Clanmitglieder der Cheiraden noch freudvoll den Beginn des Erwachsenenalters der ehemaligen Altfohlen. Nur Saoirse und Arktur zogen sich still in ihre Unterkunft, einem Rundhäuschen das Waru genannt wurde, zurück. Fast die gesamte Zentauren-Stätte umfasste solche Rundhäuser. Sie bestanden zum Großteil aus Holz und Steinen, im Inneren boten sie genügend Platz für eine große Schlafstätte aus Heu, duftenden Kräutern und Decken. Daneben gab es einige Ablageflächen, die Menschen als Regale oder Tische bezeichnen würden. Auch wenn jeder Waru im Grunde den gleichen Aufbau besaß, ließen es sich die Zentauren nicht nehmen, ihr eigenes Heim mit individuellen Verzierungen zu verschönern. Einige schnitzten filigrane Zeichen in die Eingangsrahmen, andere schmückten ihre Wände von innen mit Waffen, Wandmalereien, Wandteppichen oder selbst gefertigten Schmuckstücken. Als Sohn des Fürsten bewohnte Arktur einen eher größeren Waru, mit einem aufwendig durch Mustern verzierten Eingangsbogen, die Innenausstattung hielt er schlicht, nur ein kleiner Wandteppich mit einem darauf eingewebten Bildnis seines Urgroßvaters hing links neben dem Ausgang.

Keiner der beiden hatte auch nur die leiseste Ahnung, wie es weiter gehen sollte.

Nach einer Weile, sie versuchten zu schlafen, doch keiner fand genug innere Ruhe, um wirklich einschlafen zu können, traute sie sich zu fragen:

„Wie lautete die Prophezeiung im Detail? Ich meine, welche Worte benutzte der Seher genau?“ Saoirse lag mit ihrem Kopf und Oberkörper halb auf Arkturs warmen Rückenfell. Ein wenig angestrengt rieb er sich die Augen und schien kurz nachzudenken. Dann meinte er sich zu erinnern:

„Dunkelheit wird aufziehen, erst in deinem Herzen und dann auch über unser Volk hereinbrechen.“

„Hmm ...“, gab die junge Frau nur von sich. Es brachte sie nicht weiter.

„Hast du den Seher gefragt, was genau er damit gemeint hat?“

Ein wenig fassungslos schnaubte der Zentaur:

„Was kann man den daran nicht verstehen?“

„Ich meine ja nur ... manchmal sind die Dinge nicht so, wie sie scheinen. Du kennst doch die Legende von deinem Namensgeber, dem sagenhaften Arktur, dort heißt es ...“

„Bitte, Saoirse, lass uns jetzt schlafen. Morgen steht ein wichtiger Tag an“, winkte der Palomino ab, drehte seinen Kopf von ihr weg und sprach einfach nicht mehr mit ihr. Sie ahnte, dass er noch lange über ihre Worte nachdachte.

Schließlich fand er erst lange nach ihr in den Schlaf.

Trotz der vorabendlichen Feierlichkeiten fanden sich alle jungen Erwachsenen noch vor Sonnenaufgang am Übungsfeld ein, wo sonst das Training für allerlei Anlässe stattfand. Es lag ein Stück außerhalb der Stätte und bestand zu einem Teil aus Sand und zum anderen aus kurz gehaltenem Gras.

Auch Arktur befand sich unter den wartenden Zentauren. Als Sohn des Zentaurenfürsten richteten sich stets viele Augenpaare auf ihn. Schließlich würde er eines Tages die Nachfolge seines Vaters antreten und den Clan hoffentlich so weise führen, wie es Tristorion bisher gelungen war. Eine große Verantwortung für einen jungen Zentauren, aber er hatte noch Zeit in diese Aufgabe hineinzuwachsen.

Ein wenig abseits, mit Abstand zu der wartenden Gruppe, verweilte Saoirse. Getragen von ihrer kräftigen Kaltblutstute Lillyloon. Das Pferd blickte aus dunklen, gutmütigen Augen aufmerksam auf seine Umgebung. Die Stute überraschte ihre Reiterin oft mit ihrer Klugheit und stand ihr immer treu zur Seite. Lillyloon und Arktur waren Saoirses engste Freunde und Vertraute geworden, nachdem die junge Frau ihre eigene Familie an eine schlimme Krankheit verlieren musste und lange Zeit geglaubt hatte, sie würde für den Rest ihrer Tage alleine bleiben. Arktur, Lillyloon und das Volk der Pferdemenschen waren nun ihre neue Familie.

Die jungen Zentauren erwarteten das Eintreffen ihres Fürsten, zusammen mit ihren zukünftigen zwei Hauptausbildern.

Neben Arktur stand der Apfelschimmel Opalos. Der schöne Pferdemensch zählte nur unwesentlich weniger Lebensjahre als der Fürstensohn selbst. Die Geschichte seiner Vergangenheit zeichnete allerdings alles andere als ein glückliches Bild. Noch als junges Fohlen geriet er in die Hände der Menschen, damals herrschte noch Krieg und Missachtung zwischen den Völkern. Lange hatten die Pferdemenschen nach dem kleinen Fohlen gesucht, jedoch nie gefunden. Dann starben seine Eltern, Arkturs Onkel und Tante, bei einem schweren Unfall. Die Trauer um die Eltern ließ ebenfalls die Hoffnungen schwinden, den kleinen Opalos jemals wiederzusehen.

Eines Tages stieß Saoirse auf das gefangene Geschöpf und sorgte für seine Befreiung. Anschließend päppelte sie den halb toten Zentauren, so gut sie konnte, wieder auf. Irgendwann gelang es ihr, seinen Clan ausfindig zu machen, und übergab Opalos in die liebevollen Hände seiner Familie.

Diese Tat gehörte zu den Gründen, weshalb die Frau von den Zentauren so akzeptiert wurde und bei ihnen leben durfte.

Doch auch nach der Wiederkehr des jungen Pferdemenschen blieb sein Schicksal für geraume Zeit ungewiss, denn die Gesundheit des Altfohlens litt noch lange unter den schlimmen Ereignissen und Misshandlungen der Menschen. Aber sein Lebenswille blieb ungebrochen. Opalos kämpfte – nach und nach erwuchs aus dem geschundenen und unterentwickelten Fohlen, ein stattlicher Jungzentaur.

Opalos sah sehr zu seinem Cousin Arktur auf, kannte ihn gut und beide Zentauren standen sich sehr nahe. Diese Umstände und die einfühlsame Art des Apfelschimmels ermöglichte es ihm offenbar, die Anspannung in Arkturs Gesicht abzulesen, obwohl sich der Palomino alle Mühe gab, seine inneren Konflikte für sich zu behalten. Im Grunde konnte er es vor allen gut verbergen, nur nicht vor Opalos oder seiner menschlichen Freundin.

„Machst du dir Sorgen, Arktur? Ich bin mir sicher, dass dein Vater dir die Aufgabe übertragen wird“, flüsterte Opalos schmunzelnd und meinte es ehrlich. Er war eine treue und loyale Seele und würde, ohne zu zögern, sein Leben für Arktur geben. Beide liebten sich wie Brüder. Noch dazu hatte Opalos in den letzten Jahren bei den Talentprüfungen ein unglaubliches Geschick, im Umgang mit Waffen und der Kriegskunst, gezeigt. Ohne Zweifel trug er beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kriegerausbildung in sich, auch wenn er im Grunde eine sanfte Seele besaß.

Arktur empfand große Dankbarkeit in Opalos einen treuen Freund und in ferner Zukunft auch einen verlässlichen Waffenbruder an seiner Seite zu wissen.

Die Aufgabe – der Grund, weshalb sie alle hier versammelt waren. Arktur hatte es völlig verdrängt. Heute würde vom Fürsten ein Jungzentaur erwählt werden, der als Abgesandter ihres Stammes zu einem im Norden lebenden Zentaurenclan reisen durfte. Dort sollte er an einem angesehenen Wettkampf teilzunehmen. Eine Auszeichnung für den einzelnen und ein wichtiger Beitrag, um das Friedensverhältnis, mit den dort eher kriegerisch gestimmten Zentauren, aufrechtzuerhalten. Die sogenannten Noraden ließen den Frieden mit Arkturs Heimatclan, den Cheiraden, nur bestehen, solange sie kräftige Krieger hervorbrachten. Andernfalls würden die Noraden versuchen, die Cheiraden zu überfallen und sie alle zu versklaven.

Ein gutes zentaurisches Friedensverhältnis sähe wohl anders aus.

Das dumpfe Geräusch von mächtigen Hufen hallte durch die Luft und alle Jungkrieger nahmen eine stolze, stille Haltung ein. Der Zentauren Fürst Tristorion betrat, flankiert von den Ausbildern Parron und Amibio das Feld. Alle drei strahlten Macht und Autorität aus. Parron besaß hellbraunes Fell und blondes Haar, Amibios Fell glänzte schwarz, wie seine Haare. Doch die edle Erscheinung der beiden Ausbilder wurden von Tristorions mächtiger Größe und königlicher Aura ohne Weiteres überboten. Der Pferdekörper des Fürsten und seine Haare glänzten schwarzblau, mit ein paar wenigen schneeweißen Farbzeichnungen. Ein blaues sowie ein grünes Auge blickten streng aus seinem kantigen Gesicht.

Beim Anblick seines Vaters stieg in Arktur ein mulmiges Gefühl auf. Er hatte ihn noch nicht in sein dunkles Geheimnis eingeweiht.

Die kräftige Stimme des Fürsten zerriss die erwartende Stille und richtete ein paar begrüßende Worte an seine Jungzentauren.

„Ich freue mich, so viele talentierte und starke Anwärter für die anstehende Aufgabe vor mir zu sehen. Ihr alle seid noch jung, steht noch vor eurer eigentlichen Ausbildung zum Krieger und doch sind eure Talente in den Vorprüfungen zutage gekommen. Die angehende Aufgabe ist nicht ganz fair, doch sie trägt die Bedingungen der Noraden. Sie wollen das junge, unausgebildete Talent prüfen, um zu entscheiden, ob wir weiterhin des Fiedens mit ihnen würdig sind.

Ich weiß, dass jeder von euch ein würdiger Vertreter unseres Stammes wäre. Und dennoch kann es nur eine Entscheidung geben.“ Stolz ließ Tristorion seinen Blick durch die Runde schweifen. Für einen Moment schwieg er, dann wurde sein Blick sehr ernst.

„Es gibt in diesem Sommer eine ungewöhnliche Änderung in unserer Tradition. In Absprache mit den Sehenden und den Weisenrat, wird unser Ausgesandter in diesem Jahr Opalos sein.“

Stille.

Jeder hatte fest mit Arktur als Abgesandten gerechnet.

Arktur – der zukünftige Zentaurenfürst. Ohne eine sichtbare Regung blieb der junge Palomino an seinem Platz stehen. Er erkannte aus dem Augenwinkel, wie Opalos fragend, fast entsetzt zu ihm blickte. Natürlich würde der Apfelschimmel es nicht wagen, die Entscheidung seines Fürsten in Frage zu stellen.

Tristorion nickte Opalos zu und dieser erwiderte diese Geste entschlossen, wenn auch mit einem leichten Funken von Unsicherheit in den Augen. Unsicher, warum er und nicht Arktur erwählt worden ist.

In Arkturs Gedanken kreisten die Fragen:

Wusste sein Vater von der Weissagung?

Hatte der Sehende mit Tristorion darüber gesprochen, obwohl er eigentlich Stillschweigen bewahren müsste?

Vielleicht weil es um das Wohl ihres Stammes ging?

Als der Fürst sich umwandte, um den Platz zu verlassen, rief der im Vorbeigehen:

„Arktur, du wirst Opalos begleiten. Dieses Jahr stellen wir zwei Anwärter.“

Obwohl es viele Fragen gab, schien es aus der Sicht des Fürsten keinen Erklärungsbedarf mehr zu geben. Er verließ die Gruppe mit den Ausbildern im donnernden Galopp.

Erleichtert schnaubte der Apfelschimmel und konnte sich nun sogar ein wenig freuen, er würde mit seinem geliebten Cousin seinen Stamm bei einem wichtigen Wettkampf vertreten. Arktur hingegen stand einfach nur still dar.

Wenn sein Vater von der verhängnisvollen Prophezeiung wissen sollte, so hatte er ihn offenbar nicht aufgegeben. Also durfte er ebenso wenig aufgeben und musste sich dem Ungewissen stellen – seinem Volk und Saoirse zuliebe, nicht zuletzt auch für sich selbst.

Nach der kurzen Verkündung des Fürsten, hielt sich Opalos an seinen Cousin. Für ihn kam die Entscheidung unvorbereitet. Saoirse musste sich dagegen schon lange mit dem Gedanken abfinden, dass ihr Zentaurenfreund in ein irrwitziges Turnier ziehen sollte. Als späterer Nachfolger seines Vaters trug er eine hohe Verantwortung und eine solche Aufgabe zählte daher zu seinen Pflichten.

Obwohl es schon lange absehbar schien, Arktur länger darauf vorbereitet worden war und es sogar dieses Mal zwei Anwärter für den Wettkampf gab, fühlte Saoirse eine dumpfe Schwere in ihrem Magen. Es fiel ihr nicht leicht, aber sie musste das Ganze laufen lassen und das Beste hoffen. Die junge Frau hielt nichts von diesen seltsamen Traditionen, trotzdem konnte sie sich glücklich schätzen, Arktur überhaupt begleiten zu dürfen. Schließlich gehörte sie nicht wirklich zu dieser, ihr immer noch fremden Kultur der Pferdemenschen. Einem Volk, das ihr auf der einen Seite oft fremd erschien und das sie gleichsam so sehr liebte.

Viele beglückwünschten die angehenden Krieger zu ihrer Aufgabe, der Stolz dieser Geschöpfe nahm einen hohen Stellenwert in ihrem Leben ein.

Die drei machten sich umgehend daran, ihre Sachen für die Reise zu packen. Der Clan der herausfordernden Zentauren lebte zwei Tagesreisen entfernt und sie würden am nächsten Morgen aufbrechen. Glücklicherweise brauchen Zentauren nicht annähernd so viel Kram wie Menschen, da sie die meiste Zeit ohne irgendwelche Bekleidungen unterwegs waren. Allein zu besonderen Anlässen oder bei großer Kälte trugen sie schmückende oder wärmende Stoffe über ihren Oberkörpern und Pferderücken. Gerade Fohlen neigten manchmal zum Auskühlen, wenn die weiße Jahreszeit das Land zur Ruhe legte. Eine weitere Ausnahme bestand in kämpferischen Handlungen, dabei trugen die Krieger eine dünne, aber effektive Rüstung. Sie schränkte ihre Wendigkeit nicht wesentlich ein und bot im Kampf einen erhöhten Schutz. Außerdem schenkte sie ein imposantes Auftreten, denn die Schmiede der Zentauren geizten nicht mit filigranen Verzierungen, schon gar nicht, wenn es sich um die Rüstungen von Angehörigen der Fürstenfamilie handelte.

Ihre Kampfbekleidung, ein wenig Verpflegung, mehr brauchten Arktur und Opalos nicht mitnehmen. Saoirse besaß zwar auch nicht allzu viele Dinge, dennoch benötigte sie etwas länger, um ihr Päckchen zu schnüren.

Am nächsten Tag verabschiedeten sich die beiden Zentauren vom Fürsten und der Fürstin Palima, Arkturs Mutter und ebenso Pflegemutter von Opalos. Nach dem Tod seiner Eltern fand der Apfelschimmel bei Tristorion und Palima ein neues zu Hause. Der Fürstin fiel es schwer, ihre zwei Fohlen gehen zu lassen.

Sein schönes Äußeres hatte Arktur von seiner liebevollen Perlino Mutter weitergegeben bekommen, dabei richteten sich manche äußeren Erscheinungen der Pferdemenschen nicht unbedingt nach dem Erbgut der Eltern aus. Manchmal entschied ein bestimmter Umbruch im Leben darüber, ob ein Zentaur ein neues Erscheinungsbild oder -merkmal ausbildete. Dies geschah meist dann, wenn sie ein gewichtiges Amt übernahmen. Es war wie mystische Magie, die ureigne Natur der Zentauren.

Alle im Clan liebten diese weise und starke Zentaurin, mit den gütigen blauen Augen. Das Fürstenpaar regierte die Cheiraden mit Weisheit und Fairness, was ihnen das Volk mit einem hohen Ansehen dankte.

„Kommt mir gesund zurück, meine lieben Söhne. Saoirse, pass mir auf dich und meine Fohlen auf“, konnte die Fürstin nicht unterdrücken und umarmte alle zum Abschied.

Im Stillen existierte allerdings noch ein anderer Grund, weshalb Palima ihre beiden so schwer ziehen lassen konnte: die Erinnerung an ihren Sohn Fjolken. Sein spurloses Verschwinden vor einigen Sommern hatte einen großen Schmerz in den Herzen seiner Liebsten hinterlassen, besonders im Herzen seiner Mutter. Einige glaubten, dass er seinen Stamm verließ, weil die Konstellation seiner Geburtsgestirne ihn nicht als nächsten Fürsten in Frage kommen ließen, sondern seinen jüngeren Bruder Arktur. Doch weder sein Bruder, noch jene, die Fjolken näher kannten, glaubten diese Gerüchte. Vor allem die Fürstin nicht, sie hoffte immer noch, ihren verlorenen Sohn irgendwann wieder in die Arme schließen zu können. Und um so mehr schmerzte es sie, Opalos und Arktur ziehen zu lassen.

Der Fürst legte seinen Zöglingen nacheinander eine Hand auf die Schulter und nickte ihnen anerkennend zu:

„Ihr werdet mich und uns alle mit Stolz erfüllen, meine Söhne.“

Arktur sowie Opalos erwiderten die Geste entschlossen und unweit später brachen sie gemeinsam mit ihrer menschlichen Freundin auf.

Doch eine Sache beschäftigte Arktur sehr, er war nicht dazu gekommen, seinem Vater von der Weissagung zu berichten oder ihn zu fragen, ob er bereits davon wusste.

Es musste warten.

Nachdem sie den ganzen Tag unterwegs gewesen und ein Lager für die Nacht aufgeschlagen hatten, konnte sich die Gruppe ein wenig von dem ausgedehnten Marsch erholen. Entspannt rollten sich die Zentauren auf das kühle Gras aus, das sie ringsum umgab. Nur wenige Büsche sowie junge Bäume reckten sich auf weitem Feld aus dem Boden. Die Pferdemenschen beobachteten Saoirse dabei, wie sie pflichtbewusst das Abendessen zubereitete. Währenddessen graste Lillyloon ruhig und zufrieden in ihrer Nähe.

„Sag mal, Arktur, du hast eine bessere Vorbereitung als ich genossen, wie kann ich mir den Wettkampf vorstellen?“, fragte Opalos nach einer Weile vorsichtig. Dabei versuchte er, seine Unsicherheit bestmöglich zu verbergen.

„Nun“, begann der Angesprochene ruhig.

„Es ist leider nicht sonderlich vorhersehbar. Unsere lieben Herausforderer und Gastgeber sind dafür bekannt, die Regeln und Anforderungen jedes Mal neuzuerfinden.“

Schlagartig zeigte sich eine deutliche Blässe in Opalos Gesicht, er sagte aber nichts. Daraufhin klopfte Arktur seinem Cousin aufmunternd auf die Schulter:

„Mach dir nicht so viele Gedanken. Du bist ein außerordentlicher Kämpfer, geschickt und schnell. Du wirst das schaffen, sonst hätte dich Vater nicht auserwählt. Er zweifelt nicht an uns, also solltest du es auch nicht tun.“

Das schien den Apfelschimmel ein wenig zu beruhigen.

Trotzdem ließ ihm ein Gedanke keine Ruhe:

„Wie sollen wir nur das Turnier gewinnen, wenn die Regeln ständig geändert werden?“

Der Palomino schnaubte, er hatte das kommen sehen, und doch gehofft, er könnte es den zweien noch ein wenig länger ersparen:

„Es geht nicht darum, das Turnier zu gewinnen ...“

Sowohl Opalos als auch Saoirse schauten ihn mit großen Augen an.

„Sondern?“, fragten sie fast gleichzeitig.

Mit festem Blick sah Arktur seine Freunde an:

„Es geht darum den Wettbewerb zu überleben, das alleine ist die Auszeichnung.“

Kapitel 2

Der Stamm im Norden

„Wann genau wolltest du uns das eigentlich sagen?“, zischte Saoirse und ihre Gefühle schwankten zwischen Sorge und Wut hin und her.

„Du wusstest selbst, dass das kein netter Wanderausflug werden würde“, hielt Arktur dagegen. Sein Gesicht verriet keine Spur von Verständnis, manchmal konnte er so stur sein.

Gedankenverloren schlug die Frau den Kochlöffel, mit dem sie das Essen im Topf über dem Feuer rührte, lauter gegen die Topfinnenwand und fixierte ihren zentaurischen Freund.

„Es gibt aber einen deutlichen Unterschied zwischen ichnehme-an-einem-nicht-ganz-fairen-und-rauen-Turnier-teil oder ich-kämpfe-in-einem-Wettkampf-ohne-Regeln-um-mein-Leben“, gab sie zu bedenken.

Schweigend schaute Opalos die Zwei abwechselnd an, er sagte nichts, aber sein fahles Gesicht verriet ohne Worte, was in ihm vorging.

Mit einem tiefen Durchatmen schloss der Palomino kurz seine Augen und fuhr sich mit einer Hand durch das silberweiße Haar.

„Ich möchte mich jetzt nicht mit dir streiten, Saoirse.“

Immer noch schaute sie ihn fassungslos an und bemühte sich, ihre Tränen aus Wut zu unterdrücken, die sich langsam in ihren Augen sammelten. Sie war wütend – aber nur aus Angst um die Sicherheit der beiden Zentauren, die ihr so sehr am Herzen lagen. Sie schwieg, ansonsten hätte sie wohl angefangen zu weinen. Und das war so ziemlich das Letzte, was sie wollte.

„Hör zu, uns wird nichts geschehen“, versprach er ihr schließlich und schenkte seiner Freundin einen langen und eindringlichen Blick voller Zuversicht. Für eine Weile entgegnete sie nichts, dann aber nickte sie versöhnlich, auch wenn die Menschenfrau seine Überzeugung nicht unbedingt als beruhigend empfand. Ihr menschlicher Instinkt sagte ihr, dass sie dabei waren, sich alle in Gefahr zu begeben.

Sobald der Morgen graute, brachen die drei auf und ließen fast den gesamten Rest des Weges hinter sich. Doch Arktur rief seine zwei Mitstreiter zurück, als sie den letzten weiten Grashügel zu erklimmen ersuchten, unweit danach würden sie ihr Ziel erreicht haben.

„Lasst uns heute Abend hier rasten und erst morgen bei den Noraden einkehren.“

Keiner widersprach und sicher beschäftigte alle der gleiche Gedanke: die Begegnung mit den kriegsfreudig gesinnten Pferdemenschen noch ein wenig hinauszuzögern.

An diesem Abend wehte ein angenehmer, milder Wind über die weite Graslandschaft. Der Himmel zeigte ein wunderschönes Farbenspiel zwischen rosa und pastellblauen Tönen bis zu violetten Farbverläufen.

Die Zentauren lagen nebeneinander im Gras und blickten der untergehenden Sonne entgegen, Saoirse kniete zwischen Arktur und Opalos, während Lillyloon in einigem Abstand graste. Alles wirkte so friedlich. Könnte es doch immer dabei bleiben.

„Ich will, dass ihr etwas wisst“, erklärte der Palomino mit fester Stimme, aber ruhigem Tonfall. Aufmerksam blickte er seine Freundin und seinen Cousin an.

„Ihr braucht euch nicht zu fürchten. Ich lasse euch niemals im Stich. Meine Aufgabe ist es, euch zu beschützen, und die werde ich auch erfüllen. Und im Anschluss kehren wir nach Hause zurück. Das verspreche ich euch.“

„Und dir ist meine Unterstützung gewiss, Cousin. Es ist meine Pflicht und mein Privileg, dies zu tun. Ich werde nicht weichen, wenn du mich brauchst“, versicherte Opalos beherzt. Er war sensibel, aber mindestens genauso mutig, wenn es darauf ankam.

„Und ich bleibe an eurer Seite, egal was ich auch immer dafür tun muss“, schwor Saoirse aufrichtig. Auch wenn ihre Möglichkeiten zu helfen, sicher sehr begrenzt sein würden.

Alle in der Gruppe lächelten, gemeinsam würden sie das überstehen.

Irgendwie ...

Früh erwachten die drei Reisenden am nächsten Morgen.

Zunächst half Saoirse Arktur und im Anschluss Opalos, in ihre jeweiligen Kriegsrüstungen, die sie zum Eintreffen bei den Noraden zu tragen gedachten, auch wenn die Wettkämpfe erst später stattfinden würden. Es ging darum, sich möglichst beeindruckend und machtvoll zu präsentieren. Die Menschenfrau selbst besaß keine Rüstung, sie trug daher weiterhin ihr dunkelblaues Sommergewand.

Bevor die Gruppe sich aufmachte, den letzten Teil ihres Weges zu bestreiten, gab ihnen Arktur noch letzte Anweisungen. Sich nicht provozieren zu lassen und immer höflich bleiben, galt als höchstes Gebot im Umgang mit den streitlustigen Pferdemenschen. Gerade Saoirse musste sich in Acht nehmen, als Mensch stellte sie ein potenziell interessantes Opfer dar. Außerdem schlussfolgerte der Palomino, dass sie die meisten Schwierigkeiten mit den Gepflogenheiten des anderen Zentaurenclans haben könnte.

Ohne weitere Verzögerungen setzten sie sich in Bewegung, natürlich im stolzen Galopp. Die Rüstungen warfen das Licht der aufgehenden Sonne funkelnd zurück.

Die zwei Zentauren wirkten stark, mächtig und strahlten den unnachgiebigen Willen aus, sich allem zu stellen, unerheblich welcher Art von Prüfung sie auch erwarten mochte. In diesem erhabenen Moment verflogen Saoirses Ängste, viel mehr fühlte sie sich unbeschwert und gesegnet, solche Geschöpfe ihre Freunde nennen und bei ihnen sein zu dürfen.

Die drei erreichten schließlich die Heimat der Noraden. Bereits von weitem ließ sich ein geschäftiges Treiben erkennen. Die aufmerksamen Wächter der Noraden kündigten ihr Kommen an, noch bevor sie die Grenzen der Stadt überschritten hatten. Zentauren besaßen wache und geschärfte Sinne, so erkannten sie die herannahenden Besucher bereits sehr früh, ein beachtlicher Vorteil im Gegensatz zu menschlichen Wachen.

So kam es, dass die Gruppe bereits von jemanden erwartet wurde, der Arktur im Lebensalter ziemlich gleich kam. Dieser Norade wirkte ein wenig breiter vom Körperbau her als der Palomino, besaß ein rotfalbenes Fell, das zu seinen kräftigen Beinen hin eine schwarze Färbung annahm. Seine gleichsam schwarzen Haare wehten leicht im Wind und verliehen ihm eine wilde Ausstrahlung. Die hellbraunen Augen des Fremden sahen einerseits sehr schön aus, besaßen dennoch einen ausgesprochen kalt erscheinenden Glanz. Eher missbilligend, fast ein wenig herablassend, begrüßte der Fremde die eintreffenden Cheiraden.

Da Arktur die Beschreibungen der Noraden und dessen Angehörigen kannte, schätzte er, dass das vor ihnen Brindl sein musste. So wie er selbst, war auch dieser ein Fürstensohn und bekleidete den gleichen Rang, wie Arktur selbst.

„Das müssen die Cheiraden sein. Dieses Mal zwei von euch? Das sieht nach einem doppeltem Vergnügen für uns aus“, grinste der Zentaur finster, sein Lächeln vermittelte Saoirse ein ungutes Gefühl.

„Mein Name ist Arktur, Sohn des Tristorion, dem Fürsten der Cheiraden, begleitet von meinem Cousin Opalos. Wir sind gekommen, um euch zu zeigen, dass wir des Friedens weiterhin würdig sind“, sprach Arktur respektvoll, seine Stimme klang fest und bestimmt.

Der Norade hob die Augenbrauen herausfordernd: „Wunderbar, ich bin Brindl, erstgeborener Sohn des Corion, dem Fürsten und Herrscher der Noraden.

... Und was ist das da? Soll die Menschenfrau eine Art Gastgeschenk sein?“

„Sie ist meine Begleitung und gehört auf Geheiß meines Vaters zu unserem Volk und steht daher unter seinem, wie auch meinem Schutz“, erklärte Arktur hastig mit festem Ton.

Brindl schien das ein wenig zu belustigen:

„Oh ho, und weshalb ist sie dann genau hier?“

„Sie soll unser Volk besser kennen lernen, unsere Bräuche und Traditionen ...“

Das laute Lachen des schwarzhaarigen Zentauren fühlte sich für Saoirse an wie ein Peitschenhieb. Dieser Pferdemensch konnte nicht nur besonders finster lachen, sondern es umgab ihn auch eine bösartige Aura.

Leise Furcht erwachte in Saoirse. Sie musste sich aber zusammenreißen, weil es für Zentauren ein Leichtes war, den Herzschlag eines Menschen wahrzunehmen und daraus Rückschlüsse üben dessen Gemütszustand zu ziehen. Dazu nutzten sie ein kleines Organ, das unter anderem das elektromagnetische Feld eines schlagenden Herzens erfassen konnte. Diese Fähigkeit kündigte ihnen sogar Unwetter an, weit bevor sie niedergingen. Allerdings war nicht jeder Pferdemensch gleich stark in dieser Fähigkeit geübt.

So oder so befanden sich die Zentauren in der Position, einen Menschen schnell zu durchschauen.

Brindls Gelächter verstummte und er bedeutete den Cheiraden mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen:

„Dann möge sie einen guten Eindruck von uns gewinnen ....“

Warum klang seine Stimme so, als ob er sagen wollte:

Ich bin der Erste, vor dem sie sich fürchten muss?

Saoirse merkte, wie ihr Herz begann hastiger zu schlagen. Sie musste sich beherrschen und auf ihr Vertrauen konzentrieren, das sie Arktur entgegenbrachte. Er würde sie niemals in Gefahr bringen oder im Stich lassen.

Die Heimstatt der Noraden bestand ebenfalls aus einer großen Anzahl Rund-, wie auch einiger Langhäuser, nur das sich hier offenbar vieles ums Kämpfen drehte. Gewaltige Äxte oder Speere thronten gekreuzt über den Eingängen der Gebäude. Man hörte das metallische Klingen einiger Schmiedehämmer, viele Zentauren liefen durch die breiten Gassen der Siedlung und trugen zumeist Kriegsgeräte aller Art in ihren Armen oder irgendwo am Körper. Alles schien so, als bereiteten sie sich auf eine große Schlacht vor.

Zielstrebig trabte Brindl voraus, Arktur und Opalos folgten ihm, Saoirse auf Lillyloon hielt sich dicht hinter ihnen. Als diese kleine Gruppe durch den Ort streifte, blickten viele der Pferdemenschen von ihrer Arbeit auf, stoppen ihr Tun und fingen an zu flüstern, aber die junge Frau verstand nicht, was sie sprachen.

Erst nachdem alle vor einem riesigen Rundhaus anhielten und der noradische Fürstensohn sie gebeten hatte, kurz zu warten, ergriff Saoirse die Gelegenheit und fragte Arktur leise:

„Was machen die hier? Wollen sie in den Krieg ziehen? Ich hoffe das gehört nicht alles zu den Vorbereitungen für das Turnier.“

Der Palomino wandte ihr leicht den Kopf zu:

„So ähnlich. Es geht hier nur darum, Eindruck zu schinden, das ist alles. Es soll uns beeindrucken und bestenfalls einschüchtern.“

„Also ich bin beeindruckt ...“, gab sie unverblümt zu, verstummte jedoch sofort wieder, als Brindl erneut am Eingang des großen Gebäudes erschien. Mit einem Wink rief er ihnen zu:

„Mein Vater wird euch nun empfangen.“

Gemeinsam betraten sie das Rundhaus, die Menschenfrau folgte mit leicht gesenktem Kopf ihren Zentaurenfreunden. Im Inneren richtete sich Saoirses Aufmerksamkeit nicht auf die hauptsächlich mit Waffen geschmückte Inneneinrichtung, wie den Tisch mit gekreuzten Speeren als Tischbeinen, viel eher fesselte sie die ausgesprochen beeindruckende Präsenz von Fürst Corion.

Der riesige Zentaur maß ungefähr die gleiche Höhe wie Tristorion, sein breiter Pferdekörper, voller mächtiger Muskelwölbungen, zeigte eine glänzende graue Falbenfärbung. Überall an seinem Körper waren stille Zeugen vergangener Kämpfe in Form von Narben zu erkennen, die langen dunklen Haare hielt ein sorgfältig geflochtener Zopf zusammen. Anders als Tristorion, der einen kurzen und gepflegten Bart trug, ließ sich Corion einen langen Bart stehen. Wobei der Großteil zu drei Zöpfen geflochten, ihm fast bis zum unteren Teil seiner nackten Brust herabhing. Corions dunkle Augen musterten die Neulinge ernst, beinah mit ein wenig Abscheu. Als er das Wort an sie richtete, klag seine Stimme jedoch merkwürdig freundlich:

„Ich heiße euch willkommen, Söhne des Tristorion. Mein Sohn berichtete mir von eurer ungewöhnlichen Begleitung. Ich hoffe, ihr verlebt alle einen lehrreichen Aufenthalt bei uns. Die Wettkämpfe beginnen morgen, euch wird also genug Zeit gewährt, euch einzuleben.“

Die angesprochenen Zentauren nickten höflich und Arktur bedankte sich für die Gastfreundschaft. Kurz darauf ergriff Brindl überraschend das Wort, der neben seinem Vater stand.

„Wie wäre es, Vater, wenn ich mich ein wenig um die Menschenfrau kümmere, solange ihr weitere Dinge für den Wettkampf besprecht? Sie soll doch unsere Kultur kennenlernen und ich würde mich sehr geehrt fühlen, wenn ich ihr persönlich unsere bescheidene Stätte zeigen dürfte.“

Seine Stimmmelodie klang übertrieben freundlich, wobei seine Augen teuflisch funkelten.

Was führte er im Schilde?

Arktur konnte dieses Angebot nicht ablehnen, dem war sich Saoirse bewusst. Alles andere wäre einer Beleidigung gleichgekommen und das nutzte Brindl wissend aus.

Er ließ es sich nicht anmerken, doch in Arkturs Inneren rebellierten seine Gefühle. Er wollte Saoirse nicht mit dem Noraden alleine lassen, gerade weil der Palomino gespürt hatte, dass seine Freundin Angst vor diesem zu haben schien. Und trotzdem konnte er nicht ablehnen.

„Ich brauche sie aber noch vor Sonnenuntergang zurück“, erklärte Arktur kühl und der Norade nickte grinsend.

„Gewiss doch“, Brindls kühler Blick ruhte auf der Menschenfrau und ließ Saoirse erneut einen kalten Schauer über den Rücken laufen.

Schweigend ruhte Corions Augenmerk auf der menschlichen Begleiterin der jungen Cheiraden. In seinen Gedanken formte sich eine Erkenntnis, die seine Herzen schneller schlagen ließen.

Nun beginnt es also von neuem, Tristorion.

Seine unbewegte Mine ließ keinen der Anwesenden erahnen, was in diesem Moment in ihm vorging.

„Folge mir“, hauchte Brindl gespielt höflich und lief stolz an der Frau vorbei, hinaus aus dem Rundhaus. Kaum merklich holte Saoirse tief Luft und gab Lillyloon, auf dessen Rücken sie immer noch saß, ein Zeichen dem Noraden zu folgen. Sie ritt grundsätzlich ohne Sattel und Zaumzeug, viel mehr gab sie ihrer Stute durch leichte Bewegung ihrer Beine und Gewichtsverlagerung Anweisungen, was sie sich von ihr wünschte. Und die kluge Stute verstand sie jedes Mal.

Draußen wartete der Rotfalbe und fixierte die Frau bösartig, bis er plötzlich begann provozierend zu grinsen und fragte:

„Haben Menschen Namen?“

Sie nickte.

„Und? Wie nennt man dich?“

„Saoirse“

Leicht abfällig schnaubte der Zentaur, wandte sich ein Stück ab und setzte sich anschließend in Bewegung, Lillyloon folgte dem Trab des Pferdemenschen ohne weitere Aufforderung.

Was wollte er bloß von ihr?

Der Gedanke, seine menschliche Freundin mit einem feindlich gesinnten Artgenossen alleine zu wissen, behagte dem Palomino überhaupt nicht. Aber er konnte es sich ebenso wenig leisten, den Sohn des Fürsten zu beleidigen, indem der sein Angebot ausschlug. Ein unbehagliches Gefühl fraß sich dumpf in seine Magengegend. So wie er Brindl einschätzte, würde er ihr nichts antun, aber was bezweckte er damit?

Vermutlich handelte es sich um eine weitere Einschüchterungstaktik der Noraden. Es blieb ihm also nichts anderes übrig als ruhig und konzentriert den Worten des Fürsten zuzuhören, der ihnen erklärte, was sie ungefähr am nächsten Tag in der Arena erwarten konnten.

Mit recht angezogenem Tempo führte der Noraden-Prinz die Menschenfrau durch die Siedlung, dabei kamen beide an einer riesigen rundläufigen Wand aus Holz vorbei. Es sah aus wie eine Art Arena, doch für einen genaueren Blick fehlte Saoirse die Zeit, denn ihr Begleiter machte plötzlich eine scharfe Kurve nach rechts und führte sie von diesem Gebilde weg. Nie machte er sich die Mühe, ihr etwas zu erklären oder jemanden vorzustellen.

War das nicht der Grund für diesen Ausflug gewesen?

Wie bitte sollte sie diesen Stamm denn näher kennenlernen?

Beim Sprint quer durch den Ort?

Ihre Angst wich der Ungeduld. Zwischen Lillyloons Ohren hindurch fiel ihr Blick auf das edel glänzende Fell seiner Hinterhand. Auch die rötliche Färbung des Falben besaß für sie Seltenheitswert. Im Grunde war Brindl ein wunderschöner Zentaur, nur leider weit davon entfernt, ihr Freund zu werden. Also musste sie sich vor ihm in Acht nehmen.

Mit einer Bewegung seines Kopfes rief der Norade offenbar still eine Gruppe von vier weiteren Pferdemenschen an seine Seite, die allesamt wie er nach angehenden Kriegern aussahen. Stumm verteilten sie sich rechts und links von Brindl und würdigten die Fremde nur mit einem flüchtigen Blick. Sofort danach setzte die Gruppe in einen rasanten Galopp über, dem Saoirses Pferd unaufgefordert folgte.

Was blieb der Frau und ihrem Pferd auch sonst übrig?

Zu Saoirses Überraschung hielten die Krieger auf die Grenze der Stätte in Richtung Osten zu, wo ein dichter Wald seine mächtigen Baumkronen gen Himmel streckte.

Was bitte wird das?

Sie beschloss, dass es keinen Sinn haben dürfte zu fragen. Vermutlich würde es Brindls Unmut nur noch mehr steigern. Stattdessen betrachtete sie die anderen Zentauren, die offenbar Brindls Leibgarde darstellten. Zwei besaßen schwarzes Fell und dunkelbraune Haare, wirkten ansonsten recht ähnlich im Aussehen, daher schätzte die Menschenfrau, es könnte sich um Brüder handeln. Weiter gab es noch einen mit hellbraunem und einen mit weißem Fell. Der Hellbraune trug blondes Haar, genau wie der Weiße. Die langen Mähnen wehten rhythmisch unter ihren fließenden Bewegungen im Wind.

Bald verließen sie den Wald und eine weite Graslandschaft erstreckte sich vor ihnen. Hier wurden die Pferdemenschen noch schneller in ihrem Tempo und Lillyloon musste einen Huf zulegen. Aber das fiel der kräftigen Stute keineswegs schwer. Am liebsten hätte sie Brindl vermutlich überholt, doch ihre Reiterin hielt sie aufmerksam zurück. Es war besser, die Zentauren des Noraden-Stammes nicht unnötig herauszufordern.

Donnernde Hufen trugen die Gruppe bald über steinigere Wege bis zu einer eher gebirgsähnlichen Landschaft. Endlich verlangsamten die Pferdemenschen ihr Tempo und erklommen einen etwas kleineren Berg mit mäßiger Steigung. Kurz vorm Erreichen der Hügelspitze stoppte Brindl unverhofft und alle anderen taten es ihm gleich.

Darüber ein wenig erbost, warf Lillyloon ihren Kopf kurz nach oben.

Für einen Moment verharrten die Zentauren und lauschten in die Stille der Umgebung hinein. Schließlich machte Brindl ein paar vorsichtige Schritte nach vorne, offenbar um über den Hügel zu spähen. Keiner der Übrigen störte oder folgte ihm, jeder schien ohne Worte zu wissen, was ihr Gruppenanführer plante.

Nach einer Weile drehte der Rotfalbe den Kopf zu Saoirse und bedeutete ihr, zu ihm aufzuschließen. Mit einem leisen Schnauben trat die Stute ein paar Schritte vor und positionierte sich neben Brindl. Nachdem die Frau ihren Blick über die Bergspitze schweifen ließ, entdeckte sie eine große Burg.

„Dort drüben lebt dein Menschenvolk“, begann Brindl und seine Stimme betonte die Verachtung, welche er für sie oder andere ihres Volkes empfand.

„Mein Menschenvolk? Ich stamme nicht aus dieser Gegend ...“, versuchte Saoirse einzuwenden. Sie wusste nicht, ob dem Zentauren bewusst war, dass nicht jeder menschliche Stamm gleich war. Doch mit einer drohenden Handbewegung, die fast so aussah, als wollte er sie schlagen, brachte er sie zum Schweigen. Dabei funkelten seine braunen Augen sie finster an.

„Menschen sind hinterhältige Wesen und ich glaube dir kein Wort, dass du im freundschaftlichen Verhältnis zu den Zentauren stehst. Entweder plant deinesgleichen etwas gegen uns oder aber es ist sogar eine raffinierte List von Tristorion ...

Aber wie dem auch sei.

Jetzt bist du hier und es gibt einen Weg für dich zu beweisen, wie ernst es dir mit deiner angeblichen Loyalität zu deinen Cheiraden-Freunden ist.“

Sie schluckte, was würde er von ihr verlangen?

Prüfend fixierte Brindl sie, erst nach einer Weile fuhr er fort:

„Während Arktur und sein Mitbringsel morgen in der Arena um ihr Fell kämpfen müssen, wirst du eine andere ganz spezielle Aufgabe erfüllen. Versagst du, bezahlt ihr alle mit eurer Existenz.“

In diesem Moment hasste sie den Prinzen der Noraden, allerdings nicht, weil sie sich vor einer Aufgabe fürchtete, sondern weil er Arktur und Opalos bedrohte. Saoirse zog ihre Stirn kraus, atmete tief ein und schenkte ihm einen finsteren Blick:

„Und was genau soll ich tun?“

Etwas erstaunt hob Brindl leicht die Brauen, offenbar hatte er eine andere Reaktion erwartet. Rasch fing er sich wieder, fand zu seiner Form zurück und zeigte mit seiner Hand auf die Burg, die in einiger Entfernung lag.

„Dort drüben wird ein Zentaur von deinesgleichen gefangen gehalten. Du sollst ihn befreien und ihn zur Arena bringen. Dann verschonen wir, soweit die Krieger des Tristorion ebenfalls siegreich waren, eure Leben.“

Nachdenklich betrachtete die Frau die gut befestigte Burg. So einfach wie der Pferdemensch sich das vorstellte, würde das aber leider nicht werden.

Möglicherweise gab es dennoch eine kleine Chance.

Vielleicht, wenn sie ...

Schroff riss Brindl Saoirse aus ihren Gedanken, indem er plötzlich dicht an sie heranrückte und die Frau unsanft am Arm packte:

„Oder du fliehst einfach feige und überlässt die Cheiraden ihrem Schicksal.“

Ein kaltes Lächeln umspielte seine Lippen, doch Saoirse ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen.

„Werde ich nicht!“

Fragend musternd entließ er sie aus seinem Griff. Offenbar hatte er erneut eine andere Reaktion von ihr erwartet.

„Ist es ein Zentaur aus eurem Stamm?“, wollte sie wissen. Aber der Rotfalbe schüttelte den Kopf:

„Nein, wir wissen nicht, woher er stammt.

Unsere Kundschafter lassen das Menschenvolk nicht aus den Augen, für den Fall, dass sie einen Angriff auf uns planen. Dabei haben sie beobachtet, wie die Zweibeiner einen von den Unseren, mit Striken gefesselt, in ihre Behausung verschleppt haben.

Und sie berichteten von seinem Anderssein ...“

Es schmerzte Saoirse bei dem Gedanken, dass ein so lauffreudiges und freiheitsliebendes Geschöpf, wie ein Zentaur, gefesselt hinter Mauern gefangen gehalten wurde. Ihr Mitgefühl befeuerte ihren Wunsch zu helfen.

Anschließend erdreistete sie sich, noch etwas zu sagen: „Und darf ich fragen, warum euch das so interessiert? Schließlich scheint ihr doch alle anderen Zentaurenstämme zu hassen oder sehe ich das falsch?

Und was meinst du mit, er ist anders?“

Brindl schnaubte:

„Das brauch dich nicht zu kümmern. Unsere Angelegenheiten mit den Unseren sind für dich wohl kaum erfassbar.“

„Dann erkläre es mir doch.“

Bedrohlich rückte er mit seinem Gesicht ganz dicht an ihres heran:

„Du ... kennst ... deine ... Aufgabe ...“

Die Stimme klang leise, drohend und seine Augen mahnten sie, keine weiteren Fragen mehr zu stellen.

„Das kann doch nicht Brindls Ernst sein! Das ist Wahnsinn, ich verbiete es dir!“, rief Arktur aufgebracht, nachdem ihm Saoirse von ihrer eigenen Rolle des morgigen Tages berichtet hatte. Aufgebracht stampfte er mit seinen Hufen auf dem Boden des Waru, in dem sie untergebracht waren, hin und her.

„Aber vielleicht kann ich wirklich helfen, ich habe einen Plan und wenn alles gut geht, ist einem anderen Zentauren geholfen.“

„Ja, ihm muss geholfen werden, aber nicht von dir alleine. Es ist gefährlich und ich kann dich nicht beschützen. Außerdem hast du selber zugegeben, dass es Menschen gibt, die sich untereinander töten. Was wenn sie dich auch gefangen nehmen oder Schlimmeres?“, konterte Arktur aufgebracht.

Mit einem beschwichtigenden Lächeln ging Saoirse auf ihn zu und umarmte ihren Freund an der breiten Pferdebrust.

„Ich weiß, dass es schwer ist, aber ich möchte es tun.“

„Vielleicht hat sie Recht ...“, flüsterte Opalos kaum hörbar, doch alle hatten es vernommen.

Mit leicht verengten Augen warf Arktur seinem Cousin einen eher missbilligenden Blick zu.

Natürlich konnte Opalos, der selbst Jahre lang die Gefangenschaft erlebt hatte, mit dem entführten Artgenossen mitfühlen. Damals schaffte es Saoirse, durch ihr Ansehen als Heilerin, seine Freiheit zu erwirken, allerdings herrschten zu der Zeit ganz andere Bedingungen.

„Ich verstehe, dass du Mitgefühl für einen Fremden aufbringst, der das gleiche Schicksal erfährt, was dir einst widerfahren ist, Opalos. Aber soll Saoirse ihr eigenes Leben dafür aufs Spiel setzten? Wir könnten doch mit Corion reden und später gemeinsam ...“, Arktur verstummte bei seinen eigenen Worten. Opalos schaute ihn traurig an.

„Natürlich will ich es nicht! Ich würde mein Leben für euch beide geben, um euch zu schützen. Aber ... sieh doch der Wahrheit ins Gesicht, Arktur. Es geht hier nicht nur um einen gefangenen Zentauren und ein Turnier. Wir selbst sind die Gefangenen. Wir müssen tun, was die Regeln der Noraden besagen, alles machen was sie verlangen. Gefangen ist gefangen – wir sind gefangen.“

Noch immer hielt sich Saoirse an Arktur fest, unter ihren Handflächen spürte sie sein warmes, weiches Fell. Wie in Trance drehte die Frau den Kopf und sah zu Opalos herüber und erst jetzt wurde ihr bewusst, wie Recht er damit hatte. Sie bemerkte, wie sich Arkturs Atmung veränderte, und ließ ihn dann los. Noch bevor sie von ihm weggehen konnte, packte er sie sanft an den Schultern.

„Ich habe so etwas nicht kommen sehen und nicht gewollt.“

Die junge Frau versuchte zu lächeln:

„Es ist schon in Ordnung. Wir wussten ja um die mögliche Gefahr.“

Arktur drückte seine Freundin erneut an sich und als er sie losließ, umarmte er Opalos:

„Vergib mir, Opalos. Ich wollte dich nicht ...“

„Ich weiß“, unterbrach der Apfelschimmel seinen Cousin.

„Wir werden das überstehen.“

„Du bist schon wach?“, hörte Opalos eine gedämpfte Stimme, als er die Morgensonne beim Aufgehen betrachtete. Der Zentaur wandte sich zu dem Fragesteller um, Arktur stand unweit neben ihm. Die beiden nickten sich begrüßend zu und der Palomino schritt auf gleiche Höhe mit seinem Cousin.

Für eine Weile sprach niemand ein Wort. Der Palomino trug bereits seinen Waffengürtel und tastete mit einer Hand am Griff seines Schwertes entlang. Es war noch nicht lange sein Begleiter, Arktur beherrschte längst nicht alle Fertigkeiten des Kampfes und dennoch würde er sich nun auf diese Waffe und das Wenigen, was er konnte, verlassen müssen. Sein Leben einem Schwert anvertrauen, das er kaum beherrschte und das er noch nicht einmal getauft hatte.

Und trotz allem durfte er nicht zweifeln, selbst wenn die Umstände nicht sonderlich für ihn oder Opalos sprachen. Im Leben konnte man sich die Umstände nicht immer aussuchen, unter denen man sich seinem Gegner stellen musste.

Nach einer Weile fragte Arktur:

„Machst du dir Sorgen?“

Doch der junge Apfelschimmel schüttelte ruhig den Kopf:

„Nein, jetzt nicht mehr. Ich brauche einen kühlen Kopf und klare Gedanken. Und im Augenblick genieße ich nur die Stille.“

Anerkennend nickte Arktur:

„Gut so, wir haben keinen Grund uns zu verstecken oder an uns zuzweifeln. Vater sieht in uns fähige Krieger und wir müssen es ihm vergelten, indem wir es ihm gleichtun.“

Wenig später pellte sich auch Saoirse aus ihrer Bettstatt und bereitete alles für ihre Aufgabe vor. Mit eher missmutigem Blick musterte Arktur ihr Tun. Es gefiel ihm immer noch nicht, sie alleine gehen zu lassen.

„So, fertig“, murmelte sie und schenkte ihrem Freund ein aufmunterndes Lächeln.

„Und so wie ihr ausseht, seid ihr es auch“, fügte sie mit Blick auf die glänzenden Rüstungen von Arktur und Opalos hinzu. Die des Palomino schimmerte golden, die seines Cousins funkelte in silberner Farbe.

Es wurde Zeit aufzubrechen.

Wie auf Kommando erschien plötzlich Brindl, mit seinem gemeinen Grinsen auf den Lippen, neben Opalos. Auch der Norade steckte in einer Rüstung, die kupfern und golden schimmerte, verziert mit unzähligen Musterungen die allerdings weniger geschwungen, wie bei den Cheiraden, sondern eher kantig und gezackt auf dem Material eingearbeitet waren. Die langen schwarzen Haare trug der Zentaur jetzt zu einem dicken Zopf gebunden, der ihm am Hinterkopf abstand. An seinem Helm, den er noch in der Hand hielt, fiel ein Loch auf, durch das er offensichtlich später diesen Zopf durchziehen würde.

„Und, seid ihr bereit?“, gurrte er fast spöttisch, ihm war seine hinterlistige Freude deutlich anzusehen.

Um Brindl keine weitere Gelegenheit zu geben, sich über ihre Verbundenheit lustig zu machen, verabschiedeten sich die Zentauren nur mit einem Kopfnicken von ihrer menschlichen Freundin.

Mit einem nachdenklichen Blick zog Saoirse die Stirn kraus, als sie die drei jungen Zentaurenkrieger so davon traben sah – stolz, stark, mit unbeugsamen Willen.

Ohne weiter nachzudenken, schwang sie sich auf ihre Stute und ritt davon. Sie musste sich beeilen.

Mit hoch erhobenem Kopf führte Brindl die Cheiraden zur riesigen Arena, die mitten im Zentrum der noradeschen Heimstatt thronte. Bereits beim Herannahen vernahmen die Ankömmlinge den donnernden Rhythmus der Kriegstrommeln sowie das anheizende Johlen kampfbereiter Krieger.

Durch ein großes Tor betraten die Herausforderer gemeinsam mit dem Fürstensohn die Arena. Ein weiter Sandplatz baute sich vor ihnen auf. Mehrere Zuschauerränge über vier Etagen hinweg, boten ausreichend Platz für eine beeindruckende Anzahl von Zentauren, aber auch Zentaurinnen und Altfohlen fanden sich unter den Zuschauern. Weit oben stand Fürst Corion auf einem aufwendig mit Waffen geschmückten Podium und schaute mit zufriedenem Blick auf sein Volk, seinen Sohn und die beiden Gesandten der Cheiraden.

Durch eine Handbewegung des Fürsten verstummten Trommeln und Stimmengewirr schlagartig.

„Mein Volk, mein Sohn bringt uns die Herausforderer im Namen des Tristorion, die gekommen sind, um mit uns das Friedensversprechen zu erneuern. Und wir werden sie prüfen, ob sie dessen auch würdig sind.“

Die letzten Worte verließen Corions Kehle mit einem dunklen Grollen und er blickte herablassend zu Arktur und Opalos herunter, die ruhig und entschlossen dem Einschüchterungsversuch des Fürsten standhielten.