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Fjodor M. Dostojewski – Arme Leute Mit seinem Erstlingswerk Arme Leute schuf Fjodor Dostojewski einen der eindringlichsten Briefromane der Weltliteratur. In den Briefen zwischen dem armen Kanzleischreiber Makar Dewuschkin und der jungen Waise Warwara Dobroselowna entfaltet sich eine zarte, tragische Geschichte über Liebe, Würde und menschliche Not im St. Petersburg des 19. Jahrhunderts. Zwischen den Zeilen spürt man das Herz eines Autors, der die Armut nicht nur schildert, sondern miterlebt hat – mit all ihrer Scham, ihrem Stolz und ihrem stillen Heldenmut. Dostojewski zeigt, dass wahre Größe nicht im Besitz, sondern im Mitgefühl liegt. Ein bewegendes, zutiefst menschliches Werk über die Zerbrechlichkeit der Seele und die Hoffnung, selbst im Schatten des Elends das Licht der Güte zu bewahren.
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Seitenzahl: 256
Veröffentlichungsjahr: 2025
Fjodor Dostojewski
Arme Leute
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Inhaltsverzeichnis
Titel
*
I
II
III
IV
Impressum neobooks
Aus dem Russischen Original übertragen vonArnold Wasserbauer
Gutenberg-VerlagWien · Hamburg · Zürich
Ach, diese Märchendichter! Gibt es denn gar nichts Nützliches, Angenehmes, Erquickendes, worüber man schreiben kann, statt die nichtigsten Dinge der Welt hervorzukramen? ... Am besten wäre es überhaupt, ihnen das Schreiben zu verbieten! Was soll das etwa heißen: da liest man ... denkt unwillkürlich doch nach und allerlei Unsinn geht einem durch den Kopf. Wirklich: am besten, ihnen überhaupt das Schreiben zu verbieten – einfach verbieten, basta!
Fürst W. F. Odojewsky.
8. April.
Meine teure Warwara Alexejewna!
Gestern war ich glücklich, über alles glücklich, man kann gar nicht mehr glücklicher sein! Ach, Sie Eigensinnige! Haben Sie also wenigstens ein einziges Mal in Ihrem Leben auf mich gehört. Abends, um acht Uhr, als ich erwachte (Sie wissen, meine Teure, daß ich so meine zwei Stunden trauten Schlafes nach dem Dienste auszuruhen pflege), hole ich mir die Kerze, bereite Papier vor, spitze die Feder, erhebe meinen Blick – und wahrhaftig, mein Herz begann ganz furchtbar stark zu schlagen! Sie haben also doch erraten, was ich wollte, was mein armes Herz ersehnt hat! Ich sehe, daß ein kleines Eck Ihres Vorhanges zurückgeschlagen, an einem Balsaminentopf steckt, also genau so, wie ich es Ihnen damals angedeutet habe, übrigens schien es mir auch, als huschte Ihr kleines Gesichtchen im Fensterrahmen vorüber, als hätten Sie aus Ihrem Zimmerchen nach mir Ausschau gehalten, als hätten auch Sie an mich gedacht – wie ich an ... Und wie hat es mich verdrossen, mein Täubchen, daß ich dieses liebreizende Gesichtchen nicht genau betrachten konnte! Es war einmal – da haben auch wir noch gut gesehen, meine Teure! Das Alter ist wahrlich kein Vergnügen, meine Liebe! Eben wieder verspüre ich dieses Flimmern vor den Augen; kaum, daß man abends ein wenig arbeitet, jemandem schreibt – und schon hat man am nächsten Morgen entzündete Augen, man tränt, muß sich beinahe vor den Leuten schämen! Und trotzdem sah ich im Geiste Ihr Lächeln blinken, mein Engelchen, Ihr gutmütiges, freundliches Lächeln. Und in meinem Herzen hatte ich genau dieselben Gefühle, wie damals, als ich Sie küßte, Warinka – erinnern Sie sich, Engelchen? Wissen Sie, mein Täubchen, es schien mir sogar, als hätten Sie mir mit dem Fingerlein gedroht? Nicht wahr, Sie Wildfang? In Ihrem nächsten Brief müssen Sie mir das unbedingt genau beschreiben. Nun, und wie ist Ihre Ansicht über unseren zarten Einfall mit Ihrem Vorhang, Warinka? Sehr nett, nicht wahr? Ich mag nun bei der Arbeit sitzen, schlafen gehen, erwachen – und schon weiß ich, daß Sie da drüben an mich denken, sich meiner erinnern und ich weiß, daß Sie selbst gesund und heiter sind. Lassen Sie den Vorhang herab, heißt das: Gute Nacht, Makar Alexejewitsch, es ist Zeit, ins Bett zu gehen! Heben Sie ihn auf, heißt es: Guten Morgen, Makar Alexejewitsch, haben Sie gut geschlafen? Oder: Wie fühlen Sie sich gesundheitlich, Makar Alexejewitsch? Was mich betrifft, fühle ich mich, Dank meinem Schöpfer – gesund und wohlauf. Sehen Sie, meine zarte Seele, was für ein kluger Einfall das war! Und die Briefe sind gar nicht nötig. Listig, nicht wahr? Und der ganze Einfall – mein Werk! Nun, bin ich nicht wirklich erfinderisch, Warwara Alexejewna?
Ich muß Ihnen mitteilen, meine teuere Warwara Alexejewna, daß ich die ganze Nacht sehr gut geschlafen habe, entgegen meiner Erwartung, weshalb ich auch sehr zufrieden war; insbesondere, da man in neu bezogenen Wohnungen stets schlecht zu schlafen pflegt, ehe man sich gewöhnt hat. Es ist eben noch nicht das Richtige. Als ich heute aufstand, hatte ich im Herzen das Gefühl eines munteren Falken – heiter und sorglos! Was für ein herrlicher Morgen heute, meine Teuere! Bei uns hat man das Fenster geöffnet, die Sonne leuchtet, Vögel zwitschern, die Luft ist voller Frühlingsdüfte und alle Natur atmet auf – kurz, auch alles andere war der Stimmung gemäß, alles, wie es sich gehört – für eine echte Frühlingsstimmung. Ich habe heute sogar schon ganz gehörig geträumt, mit offenen Augen – und: nur von Ihnen, meine Warinka! Ich habe Sie mit den Vöglein im blauen Äther verglichen, geschaffen, um die Menschheit zu beglücken, Gottes Natur zu zieren. Da dachte ich auch, Warinka, daß wir Menschen, die in Angst und Sorge leben, die Vöglein im Äther beneiden müssen, die ihr unschuldiges Leben heiter, sorglos verbringen dürfen – und allerlei andere Dinge, in dieser Art. Das heißt, ich stellte derartige Vergleiche an. Ich habe da ein Buch, Warinka, dort ist's so ähnlich, alles ist genau so beschrieben. Ich erwähne dies bloß, weil ich meine, daß es eben verschiedene Auffassungen gibt, meine Teuerste. Und nun aber ist's Frühling und es kommen einem allerlei angenehme Gedanken, launig, schlau, und zarte Betrachtungen überkommen den Menschen. Alles erscheint in rosigem Licht. Und darum habe ich das alles niedergeschrieben. Übrigens habe ich das meiste davon tatsächlich dem erwähnten Buche entnommen. Dort kommt dem Verfasser derselbe Wunsch, bloß sagt er ihn in Versen:
»Warum bin ich kein Vogel, kein Raubvogel!«
Und so weiter. Dort werden auch noch verschiedene Gedanken ausgesprochen, aber – Gott mit ihnen. Nun, und wohin sind Sie diesen Morgen gegangen, Warwara Alexejewna? Ich war noch nicht einmal recht im Begriff, in den Dienst zu gehen, da sah ich Sie schon munter über den Hof trippeln, heiter wie ein Vöglein, das aus dem Zimmer flattert. Wie angenehm war es für mich, Sie zu betrachten! Ach, Warinka, Warinka! Seien Sie nicht traurig. Tränen helfen den Sorgen nichts; das weiß ich genau, meine Teuerste, aus Erfahrung weiß ich das! Sie haben es jetzt so ruhig, und mit der Gesundheit geht es auch besser. Nun, wie geht's mit Ihrer Feodora? Ach, was für ein gutes Wesen sie doch ist! Schreiben Sie mir, Warinka, wie Sie mit ihr leben und ob Sie mit ihr zufrieden sind! Feodora ist ein bißchen brummig. Aber das dürfen Sie nicht beachten, Warinka. Gott mit ihr – sie ist ja sonst so gutmütig.
Ich habe Ihnen bereits von unserer Therese geschrieben – auch sie ist ein gutes, treues Wesen. Ich war übrigens bezüglich unserer Briefe schon sehr beunruhigt. Wie wird man sie überbringen? Und da sendet uns Gott unsere Therese, zu unserem Glück. Sie ist eine gute Frau, bescheiden, still. Aber dafür ist unsere Hausfrau einfach rücksichtslos. Sie nützt sie bei der Arbeit aus, als wäre die arme Therese ein lebloser Lappen, mit dem man tun kann, was man will.
Wenn Sie wüßten, in was für eine Wildnis ich da geraten bin, Warwara Alexejewna! Und diese Wohnung! Ich habe doch früher in völliger Einsamkeit gelebt, das wissen Sie ja selbst: still, ganz in Ruhe, jede Fliege konnte man hören. Und hier: Lärm, Geschrei, Gewalt! Ja, Sie wissen noch gar nicht, wie's hier eigentlich zugeht! Stellen Sie sich vor: ein langer Gang, ganz finster und schmierig. Rechter Hand eine Feuermauer und links, Tür auf Tür, wie in einem Hotel, eine ganze Reihe von Türen nebeneinander. Nun, in diesem Hotel ist eben ein Zimmer neben dem andern, allesamt vermietet. Man lebt einzeln, zu zweien, zu dreien. Ordnung dürfen Sie nicht verlangen – das Ganze gleicht der Arche Noah! Trotzdem, glaube ich, sind es ganz gute Menschen, ziemlich gebildet, studierte Leute. Da gibt es z. B. einen Beamten (er beschäftigt sich irgendwo auf literarischem Gebiet), der ist ein belesener Mensch: er spricht von Homer, von Brambäus und allerhand anderen Schriftstellern – ein kluger Mann! Dann wohnen zwei Offiziere hier. Sie spielen ununterbrochen Karten. Ferner ein Seemann, ein Englisch-Lehrer. Warten Sie, ich will Sie belustigen, meine Liebe. Ich will diese Leute in meinem nächsten Brief satirisch beschreiben, das heißt, eigentlich bloß so, wie sie wirklich hier leben, ausführlich. Unsere Hausfrau ist eine sehr kleine, unreine Alte, den ganzen Tag in Pantoffeln und Schlafrock, schreit ständig mit Therese herum. Ich wohne in der Küche, oder viel genauer gesagt: neben der Küche gibt es da ein Zimmer (und unsere Küche, das muß ich bemerken, ist rein, hell, sehr sauber), ein kleines Zimmerchen, ein bescheidener Winkel ... oder, noch besser gesagt: die Küche ist groß, hat drei Fenster, parallel zur Querwand hat man nun für mich eine Scheidewand gezogen, es ergab sich also gewissermaßen noch ein Zimmer, eine Nummer über dem Normalbelag. Alles ist luftig, angenehm, es gibt sogar ein Fenster und alles – mit einem Wort, alles ist angenehm. So also sieht mein Winkelchen aus. Aber Sie dürfen nicht am Ende denken, meine Teuere, daß darin irgendwelche verborgenen Gedanken sind – denn es ist allerdings wirklich bloß eine Küche. Denn tatsächlich lebe ich ja eigentlich in diesem Raum hinter der Scheidewand, aber das macht nichts. Von allen anderen getrennt, lebe ich hier vollkommen zurückgezogen. Habe Bett, Tisch, eine Kommode, zwei Stühle, mein Heiligenbild an die Wand gehängt. Sicherlich gibt es bessere Wohnungen, vielleicht sogar weitaus bessere, aber die Behaglichkeit ist schließlich das Wichtigste. Und da ich nun einmal vor allem für Behaglichkeit bin, dürfen Sie nicht glauben, ich wohne hier etwa aus einem anderen Grunde. Ihr kleines Fenster habe ich genau gegenüber, jenseits des Hofes. Und der Hof selbst ist schmal, ich sehe Sie vorbeihuschen, das ist für mich armen Kerl etwas Heiteres – und dazu billiger. Bei uns kostet das minderwertigste Zimmer mit Verpflegung 35 Rubel. Nichts für meine Tasche! Und meine Wohnung kostet mich sieben Rubel, Verpflegung fünf Rubel, während ich früher dreißig bezahlt habe und mir dabei manches absparen mußte. Ich konnte nicht immer Tee trinken, während es jetzt für Tee und Zucker durchaus reicht. Aber, es ist wirklich so, meine Teuere: man schämt sich förmlich, wenn man keinen Tee trinken kann. Es wohnen durchwegs Leute hier, die es sich leisten können und deshalb schämt man sich. Nur wegen der anderen Leute trinkt man ihn, Warinka, damit sie es sehen, wegen des guten Tones; meinetwegen wäre es mir ganz gleichgültig, ich bin nicht anspruchsvoll. Benötigt man nun noch ein wenig Taschengeld – man braucht doch immer wieder irgend etwas – nun, etwa Stiefel, Kleider – was bleibt da noch übrig? Mein ganzes Gehalt geht auf. Aber ich hadere nicht, ich bin ganz zufrieden. Es genügt mir. Schon ein paar Jahre komme ich damit aus. Auch Zulagen gibt es mitunter. Nun, leben Sie wohl, mein Engelchen. Ich habe da ein paar Blumen in Töpfen gekauft, mit Balsaminen und Geranien – ziemlich billig. Und Sie lieben vielleicht Reseda? Es gibt dort auch Reseda, schreiben Sie nur! Aber bitte alles so ausführlich wie möglich. Denken Sie bitte nicht, weiß Gott was, daß ich so ein Zimmer gemietet habe. Nein, es geschah nur wegen der Behaglichkeit, einzig und allein deshalb. Ich habe ja, meine Teuerste, schon Geld zur Seite gelegt, ich habe schon ein wenig beisammen ... Beachten Sie das nicht, daß ich so kleinlaut bin, daß es scheint, als könnte mich eine Fliege mit ihrem Flügel umwerfen. Nein, meine Liebe, ich bin nicht so schwerfällig, mein Charakter ist durchaus normal, wie es sich für einen anständigen, entschlossenen Menschen gebührt. Leben Sie wohl, mein Engelchen! Nun hätte ich Ihnen schon beinahe zwei ganze Bogen vollgeschrieben und es wird Zeit, in den Dienst zu gehen. Ich küsse Ihre Fingerchen, meine Teuerste und verbleibe
Ihr ergebenster Diener und aufrichtigster FreundMakar Djewuschkin.
P. S. Ich bitte Sie um eins: Antworten Sie mir so ausführlich als möglich, mein Engelchen. Ich sende Ihnen gleichzeitig ein Pfund Konfekt, Warinka; lassen Sie sich's gut schmecken, aber machen Sie sich um Gottes willen meinetwegen nur gar keine Sorgen und nehmen Sie mir das nicht übel. Also, leben Sie wohl, meine Teuerste!
8. April.
Geehrter Herr Makar Alexejewitsch!
Wissen Sie, es wird nichts anderes übrig bleiben, als Ihnen ernstlich böse zu sein! Ich schwöre Ihnen, Sie guter Makar Alexejewitsch, daß es mir bereits wirklich schwer fällt, Ihre Geschenke anzunehmen. Ich weiß, was sie Sie kosten, wieviel Entbehrungen am Notwendigsten das für Sie bedeutet. Wie oft schon habe ich Ihnen gesagt, daß ich gar nichts brauche, absolut gar nichts. Daß ich nicht in der Lage bin, die Aufmerksamkeiten, mit denen Sie mich überhäufen, zu erwidern. Und wozu schicken Sie mir die Blumentöpfe? Die Balsaminen, gut, da will ich nichts dagegen einwenden, aber wozu auch noch Geranien? Ich brauche nur ein kleines Sterbenswörtchen über Geranien verlieren – und schon kaufen Sie sie mir! Sie waren bestimmt sehr teuer? Wie wunderbar sie blühen! Ein rotleuchtender Stern neben dem anderen! Wo haben Sie bloß diese wunderschönen Geranien her? Ich habe sie mitten ins Fenster gestellt, an den sichtbarsten Platz. Ich werde ein Bänkchen aufstellen und darauf ebenfalls Blumen geben. Lassen Sie mich nur erst reich werden! Fedora kann sich nicht sattsehen, wir haben das wahre Paradies im Zimmer, sauber und freundlich. Und wozu das Konfekt? Ich habe übrigens aus Ihrem Brief sofort erraten, daß da etwas nicht stimmt – Paradies, Frühling, Vogelgezwitscher, Wohlgerüche. Was soll das – dachte ich? Am Ende gar noch Verse?! Tatsächlich, es haben bloß noch Verse in Ihrem Brief gefehlt, Makar Alexejewitsch! Zarte Gefühle, Betrachtungen im rosigsten Licht – das alles gibt es in diesem Brief. An den Vorhang habe ich nicht gedacht. Er dürfte hängen geblieben sein, als ich die Blumentöpfe umstellte. So ist die Sache!
Ach, Makar Alexejewitsch! Was Sie da alles zusammenreden, Sie rechnen mir Ihre Ausgaben vor, um mich zu täuschen, um mir zu zeigen, daß Sie alles für sich allein verbrauchen, aber vor mir werden Sie nichts verheimlichen, nichts verbergen können! Es ist klar, daß Sie sich meinetwegen Notwendigstes vorenthalten. Wie konnten Sie es sich zum Beispiel einfallen lassen, so ein Zimmer zu nehmen? Man stört und belästigt Sie doch offenkundig; es ist unbequem, ungemütlich für Sie! Sie lieben die Einsamkeit – und dort, wo Sie jetzt wohnen ...?! Und Sie könnten viel besser leben, wenn man bedenkt, was für ein Gehalt Sie haben! Fedora sagt, daß Sie früher ganz unvergleichlich besser lebten als jetzt. Sie werden doch nicht Ihr ganzes Leben in solcher Einsamkeit verbracht haben, unter solchen Entbehrungen, freudlos, ohne ein mitfühlendes, liebes Wort zu vernehmen, in einem gemieteten Winkel, bei fremden Menschen? Ach, mein lieber Freund, wie leid Sie mir tun! Schonen Sie zumindest Ihre Gesundheit, Makar Alexejewitsch! Sie sagen, daß Ihre Augen schwächer werden, also schreiben Sie nicht bei Kerzenlicht! Wozu das? Ihr Vorgesetzter im Dienst wird ohnedies über Ihren Pflichteifer im klaren sein.
Ich flehe Sie nochmals an, für mich nicht so viel Geld zu vergeuden. Ich weiß, daß Sie mich lieben, aber Sie selbst sind doch auch nicht reich ... Heute bin auch ich munterer Stimmung erwacht. Es war mir so wohl. Fedora arbeitete schon eine ziemliche Weile und gab dann auch mir zu arbeiten. Ich war bei so guter Stimmung; ging bloß aus, um Seide zu kaufen, dann begann ich zu arbeiten. Den ganzen Morgen war mir so leicht ums Herz, war ich voll Munterkeit! Und jetzt kommen wieder die schwarzen Gedanken, voll Trauer. Mein Herz ist ganz schwach geworden.
Ach, was wird mit mir sein, was für ein Schicksal steht mir noch bevor! Es ist schwer, daß ich in solch ungewisser Lage bin, gar keine Zukunft vor mir habe, gar nicht raten kann, was mit mir werden soll. Und wenn ich zurückschaue, erschaudere ich. Dort ist alles so voll Leid, daß einem schier das Herz bricht – schon bei der bloßen Erinnerung. Eine Ewigkeit lang werde ich über die bösen Menschen weinen, die mich untergehen ließen!
Es wird dunkel. Ich muß an die Arbeit. Ich wollte Ihnen noch über Vieles schreiben, aber es geht sich nicht aus – die Arbeit wartet. Ich muß mich beeilen. Schreiben ist wohl eine schöne Sache – das ganze Leben erscheint einem dann nicht so langweilig. Und warum kommen Sie nie zu uns? Warum das, Makar Alexejewitsch? Und jetzt haben Sie es doch ganz nahe und mit der Zeit wird es sich manchmal wohl doch ausgehen? Also bitte, kommen Sie! Ich habe Ihre Therese gesehen. Sie ist, glaube ich, leidend. Sie tat mir leid; ich gab ihr 20 Kopeken ... Ja, jetzt hätte ich fast vergessen: Schreiben Sie sofort genau, wie Sie leben, aber ganz ausführlich! Was für Leute Sie dort um sich haben und ob Sie in gutem Einvernehmen mit ihnen leben. Ich möchte das alles sehr gerne wissen. Also schreiben Sie mir das nur ja genau! Heute werde ich absichtlich den Vorhang nicht zurückschlagen. Gehen Sie früher zu Bett; gestern sah ich bis Mitternacht Licht bei Ihnen. Nun, leben Sie wohl! Heute ist's mir traurig zumute, düster, wehmütig! Der Tag ist schon einmal danach! Leben Sie wohl!
IhreWarwara Dobroselowa.
8. April.
Sehr geehrte Warwara Alexejewna!
Ja, meine Liebe, Teuerste, der heutige Tag ist nun schon danach – wie ihn das Schicksal eben für mich bestimmt hat. Nun haben Sie sich gründlich über mich alten Mann lustig gemacht, Warwara Alexejewna! Übrigens bin ich selbst daran schuld, durchaus nur ich allein! In meinem Alter, mit meinen paar Haaren auf dem Kopfe, treibt man eben kein Liebesspiel mehr, schreibt nichts Zweideutiges ... Und noch etwas muß ich sagen, meine Liebste: mitunter ist der Mensch ganz wunderlich, und wie wunderlich! Ach, du mein Heiland, wovon allem er nicht spricht, wo hinaus er mitunter will! Und was geht daraus hervor, was wird aus all dem? Absolut gar nichts. So ein Schund wird daraus, daß Gott davor bewahre! Meine Teuere, ich grolle nicht, es ist nur so bedauerlich, sich an alles zu erinnern, so bedauerlich, daß ich Ihnen da alles so bildlich und dumm geschrieben habe. Und in den Dienst gegangen bin ich heute ganz hochnäsig und stutzerhaft. Ich hatte solch leuchtendes Gefühl im Herzen. Und auf der Seele war mir's, wie an einem rechten Feiertag. Frohen Mutes war ich, wahrhaftig! Ich stürzte mich förmlich auf die Arbeit – aber was ist daraus geworden? Ich sah mich dann ein wenig um und mußte bemerken, daß eigentlich alles war, wie sonst: grau, düster. Wie immer: Tintenkleckse, dieselben Tische und Stühle, dasselbe Papier und auch ich selbst war derselbe, wie immer. Ich war ganz und gar derselbe, der ich immer war – wozu also hatte ich es notwendig, den Pegasus zu reiten? Ja, wieso also ist das alles gekommen? Nur deshalb, weil die Sonne ein wenig zum Vorschein kam, weil der Himmel etwas heiterer war? Am Ende daher? Ja – und was sind das für Düfte, wenn man auf den Hof hinausblickt, wo's doch unter dem Fenster weiß Gott, was für Schmutz gibt! Fast glaube ich, daß mir dies alles nur in der Vorstellung so erscheint! Ich werde bloß manchmal etwas wirr im Kopfe, das kommt nun schon mitunter vor, der Mensch wird dann phantastisch und schwätzt allerhand dummes Zeug. Das kommt bloß davon, daß das Herz übervoll ist, dumm, daß es brennt. Ich ging nicht so nach Hause, wie andere Leute, ich schleppte mich dahin. Und dazu schmerzte mich noch der Kopf. Eins zum anderen: ich muß mir den Rücken verkühlt haben. Ich Dummkopf hatte mich zu sehr des Frühlings gefreut und hatte bloß den leichten Überrock genommen. Und was meine Gefühle anbelangt, haben Sie sich doch getäuscht, meine Teuere! Sie haben meine Suada falsch aufgefaßt. Ich habe für Sie bloß eine Art rein väterlicher Zuneigung, Warwara Alexejewna, ich nehme bei Ihnen den Platz Ihres Vaters ein – in all Ihrer bitteren Verwaistheit; das sage ich ganz von der Seele weg, aus reinem Herzen, als einer, der sich Ihnen verwandt fühlt. Wie immer es auch sein mag, ich bin ja doch ein entfernter Verwandter für Sie, wie's im Sprichwort heißt: das siebente Wasser in der Suppe – und trotzdem ein wirklicher Verwandter, jetzt aber Ihr allernächster Beschützer. Insbesondere, da Sie doch dort, wo es am naheliegendsten war, daß Sie Schutz und Zuflucht hätten finden sollen, Verrat und Kränkung trafen. Und was die Verse anbelangt, sage ich Ihnen, meine Liebste, daß es für meine alten Jahre nicht mehr schicklich ist, mich mit Versen zu befassen. Verse sind Unsinn! Schon Kinder werden in den Schulen verprügelt, wenn sie heutzutage Verse machen ... so steht die Sache, meine Teuerste.
Was schreiben Sie mir da von meiner Behaglichkeit, Warwara Alexejewna, über Ruhe und allerhand andere Dinge? Meine Liebste, ich bin weder wählerisch noch anspruchsvoll, habe niemals besser gelebt, als jetzt, warum sollte ich auf meine alten Tage anfangen, zu nörgeln? Ich bin satt, habe Kleider, Schuhe – was braucht man da noch? Ich bin nicht gräflicher Abstammung! – Meine Eltern waren nicht adelig und meine ganze Familie hatte weniger Einkommen als ich es jetzt habe. Ich bin nicht verzärtelt. Wenn ich übrigens aufrichtig sein soll, muß ich gestehen, daß in meiner früheren Wohnung alles unvergleichlich besser war; man war unabhängiger, meine Liebste. Natürlich, auch meine jetzige Wohnung ist angenehm, in einiger Hinsicht sogar freundlicher und, wenn Sie wollen, abwechslungsreicher. Es gibt dagegen keine Einwände – aber um die alte Wohnung ist mir leid. Wir alten Leute verhalten uns eben zu alten Sachen, wie zu etwas Verwandtem, man ist daran gewöhnt. Die Wohnung war klein, wissen Sie, behaglich! Die Wände waren ... aber, wozu damit wieder beginnen! – Die Wände waren – wie alle anderen Wände sind, aber darum handelt es sich eigentlich gar nicht, doch die Erinnerung an all das Vergangene stimmt mich ein bißchen traurig. Merkwürdige Sache – so etwas drückt auf die Stimmung und die Erinnerung ist irgendwie angenehm. Sogar das, was unangenehm, worüber man mitunter ungehalten war, wird in der Erinnerung unwillkürlich heller und ich sehe es im Geiste vor mir, als etwas Vertrautes. Wir haben ruhig dahingelebt, Warinka; ich und meine selige Hausfrau, eine gute alte Frau. Wie traurig werde ich, wenn ich mich ihrer heute erinnere! Sie war ein gutes Wesen und hat nicht viel für die Wohnung verlangt. Sie pflegte ständig aus alten, verschiedenen Reststücken Stoffes, die sie in Bänder schnitt, mit ellenlangen Nadeln Bettdecken zu stricken; damit war sie fast immer beschäftigt. Licht benützten wir gemeinsam, saßen an einem gemeinsamen Tisch, arbeiteten dort. Sie hatte ein Enkelkind, namens Mascha, – ich erinnere mich ihrer, als sie noch ganz klein war – das Mädchen dürfte jetzt schon etwa dreizehn Jahre alt sein. Sie war so übermütig, so lustig, hat uns ständig erheitert. So lebten wir zu dritt. An langen Winterabenden saßen wir um den runden Tisch, tranken Tee, dann taten wir wieder unsere Arbeit. Und die Alte begann, Mascha Märchen zu erzählen, damit das Kind nicht wieder auf neue Schelmereien sinne. Und was für Märchen das waren! Nicht nur Kinder, auch Erwachsene konnten da mit Freude lauschen! Und ob! Ich selbst habe mir oft die Pfeife angezündet und aufmerksam zugehört, fast meine Arbeit vergessend. Das Mädchen aber, unser Wildfang, wurde nachdenklich, stützte die rosigen kleinen Backen in die Händchen, hielt den kleinen Mund weit offen und wenn das Märchen Angst einjagte, dann schmiegte sie sich voll Furcht an die Alte. Für uns aber war es in solchen Augenblicken eine Freude, das Kind zu betrachten. Und im Nu ist die Kerze heruntergebrannt, man merkt gar nicht, daß im Hof draußen der Schneesturm tobt. Angenehm war dieses Leben, Warinka; und das ging beinahe zwanzig Jahre lang so. Aber ich verplaudere mich ja ganz. Vielleicht gefällt Ihnen dieses Thema gar nicht und für mich ist die Erinnerung auch nicht so leicht, überhaupt jetzt um die Dämmerung. Therese lärmt draußen mit irgend etwas, mich schmerzt der Kopf ein wenig, auch der Rücken, und ganz wunderliche Gedanken kommen mir, als wären auch sie kränklich; ich bin heute traurig, Warinka! Was schreiben Sie da, meine Teuerste? Wie soll ich denn zu Ihnen kommen? Mein Täubchen – was würden denn da die Leute sagen? Ich müßte über den Hof gehen, die Leute würden es bemerken, Fragen stellen, aufpassen, man würde zu klatschen beginnen, der Sache eine andere Auslegung geben. Nein, mein Engelchen, besser, ich sehe Sie morgen in der Abendmesse. Das wird klüger sein und für uns alle beide gefahrloser. Also, grollen Sie mir nicht, daß ich Ihnen solch einen Brief geschrieben habe, meine Teuere; lese ich ihn nach, sehe ich, daß alles zusammenhanglos ist. Ich, Warinka, bin alt, ungebildet; in der Jugend habe ich nicht ausstudiert, jetzt aber würde ich mir nichts mehr merken, wenn ich nochmals von Anfang an beginnen wollte. Ich weiß, meine Liebste, daß ich kein Meister der Feder bin, auch ohne daß andere Leute darauf hinweisen und es bespötteln, daß ich, selbst wenn ich einmal etwas Spitzfindiges schreiben will, nur Unsinn fasle. Heute sah ich Sie am Fenster und habe bemerkt, wie Sie den Vorhang heruntergelassen haben. Leben Sie wohl, Gott behüte Sie, meine Liebste! Leben Sie wohl, Warwara Alexejewna.
Ihr uneigennütziger FreundMakar Djewuschkin.
P. S. Meine Liebste – ich werde über niemanden mehr Satiren schreiben. Ich bin zu alt geworden, Teuerste, meine Warwara Alexejewna, um unnütz Spässe zu treiben. Man würde mich höchstens auslachen, denn schon das russische Sprichwort sagt: Wer Andern eine Grube gräbt – fällt selbst hinein.
9. April.
Sehr geehrter Makar Alexejewitsch!
Nun, schämen Sie sich gar nicht, mein Freund und Wohltäter Makar Alexejewitsch, die Tatsachen so zu verdrehen und so halsstarrig zu sein? Sie werden doch nicht beleidigt sein? Ach, ich bin oft unvorsichtig, aber ich dachte wirklich nicht, Sie könnten meine Worte für beißenden Spott halten. Glauben Sie mir, ich würde es niemals wagen, über Ihr Alter oder Ihre Charaktereigenschaften zu spassen. Das ist nur aus Unbedachtsamkeit geschehen, vielleicht auch, weil es so schrecklich langweilig ist – und was tut man nicht alles aus Langeweile! Und ich habe angenommen, Sie selbst wollten sich in Ihrem Schreiben ein bißchen lustig machen. Mir wurde furchtbar traurig zumute, als ich sah, daß Sie mit mir unzufrieden sind. Nein, mein guter Freund und Wohltäter, Sie irren sich, wenn Sie mich der Gefühllosigkeit und Undankbarkeit zeihen. Ich weiß in meinem Herzen alles sehr gut zu würdigen, was Sie für mich getan haben, um mich gegen böse Menschen, ihren Haß und ihre Nachstellungen zu verteidigen. Ewig werde ich für Sie zu Gott beten und wenn mein Gebet zu Gott dringt und erhört wird, dann werden Sie glücklich sein.
Ich fühle mich gesundheitlich heute recht schlecht. Ich habe abwechselnd Fieber und Schüttelfrost. Fedora ist meinetwegen sehr beunruhigt. Es hat keinen Sinn, daß Sie sich schämen, uns zu besuchen, Makar Alexejewitsch. Was geht das die anderen Leute an? Sie sind unser Bekannter und damit – basta! ... Leben Sie wohl, Makar Alexejewitsch. Es hätte keinen Sinn, jetzt noch zu schreiben und außerdem kann ich es gar nicht: ich fühle mich sehr krank. Ich bitte Sie nochmals, zürnen Sie mir nicht und seien Sie meiner steten Verehrung und Verbundenheit gewiß,
womit ich die Ehre habe, zu verbleiben alsIhre ergebene und dankschuldigeWarwara Dobroselowa.
12. April.
Sehr verehrte Warwara Alexejewna!
Ach, Sie Kind, was ist das wieder mit Ihnen? Nun erschrecken Sie mich aber schon jedesmal! Da schreibe ich Ihnen in jedem meiner Briefe, daß Sie auf sich achtgeben sollen, sich warm kleiden, bei schlechtem Wetter nicht ausgehen, in aller Hinsicht vorsichtig sein mögen – und Sie, mein Engelchen, achten gar nicht auf meine Worte. Ach, mein Täubchen, Sie sind eben wie ein kleines Kindlein. Sie sind schwach, wie ein Strohhalm, das weiß ich doch. Es genügt ein kleiner Wind und Sie kränkeln bereits. Darum muß man eben vorsichtig sein, auf sich selbst achtgeben, Gefahren ausweichen und seinen Freunden nicht Kummer und Sorgen machen.
Sie haben den Wunsch geäußert, meine Teuerste, Genaues über meine Lebensweise und alles rund um mich zu erfahren. Mit Vergnügen beeile ich mich, Ihren Wunsch zu erfüllen, meine Liebste. Ich beginne also mit dem Anfang: es wird so mehr einen geordneten Eindruck machen. Erstens: alle Treppen unseres Hauses sind mittelmäßig. Bloß die Paradetreppe ist sauber, hell, breit, alles aus Gußeisen und rotem Holz. Dafür darf man nach der Hintertreppe gar nicht fragen: sie ist feucht, schmierig, schraubt sich mit zerbrochenen Stufen in die Höhe, die Wände sind so fettig, daß die Hand daran kleben bleibt, wenn sie daran rührt. Auf jedem Treppenabsatz stehen Koffer, Stühle und zerbrochene Kästen, allerlei Lumpenwerk ist dort aufgehängt, die Fenster sind eingeschlagen. Schmutzkübel stehen herum, mit allerlei Unrat, Kehricht, Eierschalen und Fischmagen. Fürchterlicher Gestank ... mit einem Wort: nicht schön.
Die Anordnung der Zimmer habe ich Ihnen schon beschrieben. Sie ist ganz annehmbar. Angenehm, das muß man zugeben, aber sie haben etwas Dumpfes an sich, nicht, daß man sagen könnte, die Luft wäre schlecht, es ist bloß, wenn man sich so ausdrücken darf, ein etwas moderiger, scharf-süßlicher Geruch da. Der erste Eindruck ist nicht befriedigend, aber das hat nichts zu sagen. Man muß bloß zwei Minuten lang bei uns sein und das vergeht, man merkt es nicht einmal, wie – denn man beginnt, selbst irgendwie nicht recht zu riechen, Kleider, Hände, alles riecht danach, also: man gewöhnt sich eben daran. Bloß die Zeisige gehen alle ein, die wir haben. Nun hat sich der Seemann schon den fünften gekauft, aber in unserer Luft können sie nicht leben. Unsere Küche ist groß, geräumig, hell. Morgens allerdings ist es ein wenig dunstig, wenn Fische oder Rindfleisch gebraten werden, allerhand übergossen und auf den Boden verschüttet wird – dafür ist es abends paradiesisch. Bei uns hängt in der Küche meist Wäsche zum Trocknen und da mein Zimmer nicht weit entfernt ist, eigentlich fast an die Küche stoßt, stört mich dieser Wäschegeruch ein wenig; aber das ist erträglich. Man lebt eine Weile da und hat sich auch daran gewöhnt. Vom frühesten Morgen an, Warinka, beginnt bei uns der Lärm, man steht auf, geht, kommt, lärmt. Die einen stehen auf, um in den Dienst zu gehen, die anderen gehen sonst irgendwohin, oder einfach, weil man Lust dazu hat – und dann beginnt das allgemeine Teetrinken. Der größte Teil der Samoware gehört der Hausfrau, es gibt ihrer übrigens nicht viele, wir halten also eine gewisse Reihenfolge ein. Und wer mit seiner Teekanne sich dieser Reihenfolge nicht fügt, dem wird sofort gründlich der Kopf gewaschen. Mir ist das gleich am ersten Tage begegnet, ja ... übrigens, wozu davon schreiben?! Damals wurde ich gleich mit allen bekannt. Den Marineur lernte ich zuerst kennen; er ist ein sehr offener Mensch, hat mir alles erzählt: über seinen Vater, die Mutter, die Schwester, die mit einem Gerichtsbeisitzer aus Tula verheiratet ist, und von Kronstadt. Er versprach, mir in allem beizustehen, und lud mich sogleich zum Tee ein. Ich suchte ihn in seinem Zimmer auf – es war dasselbe, wo immer Karten gespielt wird. Dort gaben sie mir Tee und wollten unbedingt, ich möchte mit ihnen hasardieren. Ich weiß nicht, vielleicht wollten sie bloß Spaß mit mir treiben, sie selbst spielten aber die ganze Nacht lang ununterbrochen und als ich eintrat, spielten sie auch. Kreide, Karten, dazu Rauchschwaden im ganzen Zimmer, daß einen die Augen juckten. Ich spielte nicht mit, worauf sie sogleich meinten, ich beschäftige mich wohl mit Philosophie. Dann aber sprach überhaupt keiner mehr zu mir, worüber ich, offen gestanden, froh war. Jetzt gehe ich nicht mehr zu ihnen hinüber. Sie kennen ja überhaupt nichts, als Hasard! Bei dem Beamten, der sich mit Literatur beschäftigt, pflegt man abends auch zusammenzukommen. Aber dort ist's angenehm, harmlos, bescheiden, anständig. Alles ist fein abgestimmt.
