Ascendance of a Bookworm: Kein Weg ist zu weit, um Bibliothekarin zu werden – Teil II: Das Tempelmädchen in Ausbildung Band 2 - Miya Kazuki - E-Book

Ascendance of a Bookworm: Kein Weg ist zu weit, um Bibliothekarin zu werden – Teil II: Das Tempelmädchen in Ausbildung Band 2 E-Book

Miya Kazuki

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Beschreibung

Myne, nun Tempelmädchen in Ausbildung, erhält eine freudige Nachricht: Ihre Mutter ist schwanger. Um ein Geschenk für ihr Geschwisterchen vorzubereiten, beginnt sie mit der Herstellung eines Bilderbuches. Gleichzeitig muss sie Musikunterricht nehmen, eine neue Zofe erziehen, das italienische Restaurant einrichten und kann sich vor Arbeit kaum retten. Doch hinter dem scheinbar friedlichen Alltag lauern auch allerhand Gefahren ...

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Farbseiten

Charaktere

Prolog

Bitte geben Sie mir Wilma

Die Festlaute und Rosina

Die Arbeit einer Zofe

Die Inneneinrichtung des italienischen Restaurants

Das System des Restaurants

Das Ausgehen

Die Vorbereitungen für die Tintenherstellung

Die schwarze Ölfarbe

Bilderbuch mit Holzschnitt

Das schwarz-weiße Bilderbuch

Die Vorbereitungen der Heiligen Schrift für Kinder

Die Herstellung der Heiligen Schrift für Kinder

Die Haushüterin beim Erntefest

Die Dezimalklassifikation nach Myne

Das Geschenk an Benno und die erste Anprobe

Das Geschenk an den Hohepriester und Aschenputtel

Die Besprechung zu den Wintervorbereitungen

Der Einkauf von Winterkleidung

Die Haushüterin bei der Schweinefleischverarbeitung

Das Ende der Wintervorbereitungen

Die Einberufung durch den Ritterorden

Der Kampf gegen die Trombe

Die Rettung und der Tadel

Die Heilzeremonie

Epilog

Die Zofe eines blauen Tempelmädchens in Ausbildung

Die Kochlehrlinge im Tempel

Nachwort

Über JNC Nina

Impressum

Orientierungsmarken

Farbseiten

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Während Eva Geschirr spülte, hörte sie Karla aufmerksam zu. An Karlas Wangen, deren Fülle nach und nach zurückkehrte, und an ihrer Redseligkeit merkte man, dass ihr ein Stein vom Herzen gefallen war, als Lutz wieder zurückkam. Als ihr Sohn von zu Hause weggelaufen war, war sie unnatürlich still gewesen.

„Ich hatte ihn noch nie so viel reden hören. Das hat mich wirklich überrascht.“

Ohne herauszuposaunen, dass das Treffen im Tempel stattgefunden hatte, erzählte Karla, wie wichtig Dieter, der schweigsam und ungelenk im Reden war, ihr Sohn war. Als sie gesehen hatten, wie sich Lutz in der Handelsgilde verhielt, verstanden sie, wie sehr er sich angestrengt haben musste.

„Lutz hat zwar gesagt, dass er mit Myne die Schriftzeichen lernt, aber ich hätte nie gedacht, dass er Dokumente in sperriger Behördensprache lesen könnte.“

Karla lachte, als wäre das nur eine scherzhafte Bemerkung gewesen, aber in Wirklichkeit hatte sie sich wohl gefreut, dass sie die Entwicklung ihres Kindes mit eigenen Augen sehen konnte, denn sie prahlte ständig mit ihm. Als Myne Eva davon berichtete, dass der Hohepriester Lutz’ Eltern in den Tempel zitiert hatte, erinnerte sich diese daran, was ihnen dort widerfahren war, und die Farbe wich ihr aus dem Gesicht. Sie hatte Karla mit gutem Rat zur Seite gestanden und war froh, dass die Sache ein gutes Ende genommen hatte.

„Und Eva, wie geht’s dir? Du sahst immer so blass aus, aber langsam legt es sich, oder?“

„Ich wollte es schon den Kindern erzählen.“

Eva lächelte und strich sich über den Bauch. Da die schlimmen Schwangerschaftsbeschwerden vorbei zu sein schienen, glaubte sie, die Phase, in der sie sich am meisten Sorgen um eine Fehlgeburt machen musste, hinter sich zu haben. Fröhlich gestimmt von diesem Gedanken, räumte sie flott das abgewaschene Geschirr weg.

„Hey, Eva, diesmal hat uns Myne wirklich aus der Patsche geholfen. Richte ihr bitte aus, dass wir ihr sehr dankbar sind.“

Eva nickte und ging nach Hause. Offenbar hatte Myne ihre Schritte gehört, denn kaum war sie aus der Tür, wurde sie von ihrer kleinen Tochter erwartet.

„Ich räume das Geschirr ein“, sagte Myne, holte einen Stuhl als Trittleiter und stellte die Teller in den Schrank.

Da sie kein Wasser aus dem Brunnen schöpfen konnte, konnte sie nicht beim Abwaschen helfen. Eva wusste, dass Myne trotz ihrer Unzulänglichkeiten tat, was sie konnte, aber sie sollte sich nicht überanstrengen, denn sonst würde ihr Körper ihr einen Strich durch die Rechnung machen.

„Mama, fühlst du dich immer noch schlecht? Ist alles in Ordnung?“

Eva wartete, bis Myne alle Teller weggeräumt hatte, dann ließ sie die Katze aus dem Sack: „Myne, ich bekomme ein Baby, du wirst eine große Schwester.“

„Was? Waaas?“

Eva hielt Myne fest, die vor Schock beinahe vom Stuhl gefallen wäre, und lachte leise. Es war die richtige Entscheidung, zu warten, bis sie das Geschirr sicher verstaut hatte. Myne stieg vom Stuhl und starrte erstaunt auf Evas Bauch. Er war noch nicht so groß, dass man es ihr ansehen würde. Während sich Eva fragte, ob Myne es nicht glauben konnte, fasste sich das Mädchen plötzlich an den Kopf und fing an, unsinnige Dinge zu sagen: „Neeeeein! Ich habe nie etwas Konkretes über [Schwangerschaften] gelesen, weil ich nie gedacht hätte, dass es mich mal betrifft. Die [Lamaze-Technik]! Und bei [Schwangerschaftsbeschwerden] muss man sich ausruhen. Allerdings soll man auch leichten Sport treiben ... So war das doch, oder? Oder?“

Sie redet schon wieder so komisches Zeug …

Myne hielt sich den Kopf und sah besorgt aus. Vielleicht machte es sie nervös, dass sie bald ein Geschwisterchen bekommen würde. Während Eva grübelte, wie sie Myne am besten darauf ansprechen sollte, kam Tuuli, die sich für die Arbeit hergerichtet hatte, freudestrahlend und jubelnd in die Küche.

„Wirklich?! Wow! Ich muss Kleider und Windeln für das Baby nähen!“

Tuuli ließ sich sofort etwas einfallen, das sie für das Kind tun konnte. Als Eva sie anlächelte, wollte Myne ihrer großen Schwester nicht nachstehen und überlegte: „Ich ... ich kann auch ... ähm ... ähm ...“ Eva glaubte nicht, dass ihre kleine Tochter etwas tun könnte, und begnügte sich damit, dass sie sich auf das Baby freute. Aber Myne gab sich damit nicht zufrieden. Nachdem sie sich für eine Weile den Kopf zerbrochen hatte, blickte sie wie vom Blitz getroffen auf.

„Ich mache ein [Bilderbuch] für das Baby!“

„Ein Bilterbuch? Was ist das?“

Eva und Tuuli sahen sich verwirrt in die Augen.

„Ein Buch mit Bildern! Ein Buch, das Kinder lesen können!“

Bei Mynes Erklärung riss Tuuli die Augen auf, dann lachte sie ausgelassen: „Ahahahaha, ja, das klingt wie etwas, das du machen würdest!“

Es war typisch für Myne, dass sie wieder einmal nur an Bücher dachte, aber dass sie dem Gedanken, ein jüngeres Geschwisterchen zu bekommen, nicht abgeneigt war, beruhigte Eva.

„Wenn du dir so viel Mühe für das Baby gibst, wirst du bestimmt eine gute große Schwester, Myne.“

„Ich werde es lieben. Wenn Tuuli ihre Fertigkeiten einsetzt, die sie bei der Arbeit gelernt hat, um Kinderkleidung zu nähen, dann will ich auch mein Bestes geben, um [pädagogisch wertvolle Spielzeuge] herzustellen. Für das Baby gebe ich alles. Ich werde sicher eine tolle große Schwester!“

Jetzt ist der Zug abgefahren. Myne ist nicht mehr zu bremsen.

Nun war Myne nicht mehr in einem Zustand, in dem Eva sie einfach schalten und walten lassen konnte, denn sie drohte außer Kontrolle zu geraten. Das schloss die Mutter aus ihren bisherigen Erfahrungen. Tuuli schien das Gleiche gedacht zu haben.

„Myne, wenn du dich zu sehr aufregst, bekommst du wieder Fieber. Beruhige dich.“

„Genau. Mama hat es schon schwer genug. Du kannst wenigstens lernen, auf dich selbst aufzupassen.“

„Ist mir schon klar. Ich versuch’s.“

Sie sieht nicht so aus, als wäre ihr das klar. Sicher ist sie mit ihren Gedanken schon bei diesem Bilterbuch.

Bitte geben Sie mir Wilma

„Tralala, lalala ... Morgen, Lutz. Heute schauen wir im Laden vorbei, dann gehen wir in den Tempel.“

Als Lutz mich abholte, kam ich ihm summend entgegen. Als hätte er einen Geist gesehen, trat er einen Schritt zurück und richtete den Blick auf Mama, um eine Erklärung zu verlangen.

„Myne, ich erkläre es ihm, also hol schnell deine Sachen“, sagte Mama und rieb sich die Schläfen.

Ich ging ins Schlafzimmer und fragte mich, welche Bücher wohl für Kleinkinder geeignet wären. Dann fiel mir das Bilderbuch „Inai Inai Baa“ ein, das sich seit vielen Jahren großer Beliebtheit erfreute. In dem Buch hielt jemand auf der einen Seite beide Hände vors Gesicht, während das Gesicht auf der nächsten Seite gezeigt wurde. So wechselten sich die Seiten ab.

Aber wie sagt man hier „Inai inai baa“?

Ich glaubte zwar, dass die Geste, das Gesicht vor einem Baby zu verbergen, auch hier üblich war, aber ich wusste weder, was man dabei sagte, noch, wen ich was fragen sollte, um das herauszufinden.

Ich sollte aus einer der Geschichten, die Mama mir erzählt hat, ein Bilderbuch machen. Gut, so mache ich das.

„Lutz, tut mir leid, Myne freut sich ein bisschen zu sehr darauf, große Schwester zu werden. Vielleicht sollte sie heute lieber das Haus hüten …“

„Sie wird bestimmt so bleiben, bis das Kind auf der Welt ist ... Sie ist Gunther wirklich ähnlich.“

„Da hast du recht. Die Art, wie sie sich freuen, ist genau gleich.“

Mama senkte besorgt die Augenbrauen, ihr Lächeln wirkte jedoch glücklich.

„Danke fürs Warten. Bis später, Mama. Überanstreng dich nicht, wenn dir schlecht ist, ja? Ich werde fleißig ackern, damit du dich so viel wie möglich ausruhen kannst.“

„Myne, dein Papa hat heute Morgen genau das Gleiche gesagt“, antwortete sie lachend.

Ich machte mich auf den Weg ins Handelshaus Gilberta, um zu berichten, dass ich bald eine große Schwester sein würde, und um Karuta-Bretter für das Waisenhaus zu bestellen.

Unterwegs erzählte ich Lutz ausführlich von meinem Plan, ein Bilderbuch herzustellen.

„Weil Tuuli gesagt hat, dass sie Kleider und Windeln nähen will, habe ich beschlossen, ein [Bilderbuch] anzufertigen.“

„Was ist das?“

„Ein Buch mit Bildern, das auch Kinder lesen können“, erklärte ich stolz.

Lutz seufzte und schüttelte leicht den Kopf.

„Ähm, du weißt schon, dass Neugeborene nicht lesen können, oder?“

„Es ist wichtig, ihnen vorzulesen! Also werde ich dem Baby ganz viel vorlesen. Um ein Bilderbuch anzufertigen, brauche ich dickes Papier. Kleine Kinder stecken doch alles in den Mund, vielleicht wären dünne Bretter besser, oder soll ich ein Buch aus Stoff basteln? Ah, aber ich habe hier noch nie [Filz] gesehen. Außerdem wäre ich aus dem Spiel, wenn das Buch aus Stoff genäht würde. Lutz, was soll ich tun?“

Als ich zu Lutz aufschaute, ließ er seinen Blick verwirrt schweifen.

„Was du tun sollst? Äh …“

„Es wäre doch traurig, wenn man mich außen vorlassen würde, obwohl es um ein Bilderbuch geht. Aber das Kind könnte ein Buch aus Papier zerreißen oder daran knabbern, und wenn die Tinte in den Mund eines Säuglings kommt, aaaah! Viel zu gefährlich!“

Vor meinem inneren Auge sah ich ein Baby, das an einem Buch kaute, den Mund voller Tinte, und fasste mir an den Kopf. Lutz seufzte sprachlos und klopfte mir auf die Schulter.

„Myne, beruhige dich. Das Kind kommt doch erst im nächsten Frühling, oder? Es muss ja nicht heute oder morgen fertig sein.“

„Aber ich will Prototypen bauen, sie nach und nach verbessern und dem Baby etwas Perfektes schenken!“

„Wenn du durchdrehst, wird nie etwas Vernünftiges dabei herauskommen und dein Körper wird dich auch im Stich lassen. Entspann dich und frag andere um Rat.“

Während Lutz mir eine Lektion erteilte, kamen wir im Handelshaus Gilberta an. Wie immer war Mark im Laden und arbeitete emsig.

„Mark, ist Benno da? Ich möchte wieder bei der Tischlerei, bei der Sieg arbeitet, Bretter für das Karuta bestellen.“

„Folgt mir, bitte. Myne, Ihr scheint ja in bester Laune zu sein“, bemerkte Mark, während er einen Bestellschein holte.

Ich spürte selbst, wie meine Stimmung mit einem Mal noch euphorischer wurde, und antwortete: „Ehehe. Mark, wissen Sie was? Bald bin ich eine große Schwester. Also möchte ich für mein Geschwisterchen ein Buch, ein Karuta und Bauklötze basteln und werde alle Hände voll zu tun haben.“

„Aha, ein Buch für ein kleines Kind. Dann nutzt doch die Gelegenheit und erzählt dem gnädigen Herrn von eurem Vorhaben.“

Lächelnd ließ Mark uns ins Hinterzimmer. Ich rannte eilig zu Benno und sagte: „Guten Morgen, Benno. Im Frühling werde ich eine große Schwester sein, deshalb möchte ich für das Baby ein [Bilderbuch] herstellen.“

„Hä? Was ist das?“

„Ein Buch für Kinder.“

„Was sollen Kinder mit Büchern anfangen? Sie können doch gar nicht lesen.“

Benno sagte das Gleiche wie Lutz. Dabei sind Bilderbücher ideal, um die Bindung zwischen Eltern und Kind zu vertiefen. Es macht Spaß, die Zeichnungen anzuschauen, und man kann dem Kind die Schriftzeichen näherbringen. Leider verstand niemand, wie wunderbar Bilderbücher sind.

„Es ist wichtig, Kindern vorzulesen. So gewöhnen sie sich von klein auf an die Schriftzeichen.“

„Hm ... Das wäre doch ein schönes Geschenk für Corinna. Übrigens, wer ist für die Zeichnungen zuständig?“

„Natürlich werde ich sie mit Liebe anfertigen.“

Immerhin sollte es ein Geschenk für mein erstes jüngeres Geschwisterchen werden; da würde ich sie selbstverständlich selbst erstellen.

„Nein. Überlass das der letzten Zeichnerin, sonst entwickelt das Kind noch einen seltsamen Sinn für Ästhetik.“

„Wie gemein!“

„Das ist nicht gemein, sondern ein kluger Rat.“

Als ich versprechen musste, Wilma zu beauftragen, hatte ich das Gefühl, dass meine Liebe als große Schwester nicht anerkannt wurde, und ging niedergeschlagen in den Tempel.

„Sag mal, Myne, wenn du eines Tages wieder ein Bilderbuch herstellen willst, solltest du dir die Zeichnerin nicht lieber sichern? Du hörst doch bestimmt nicht nach einem Buch auf.“

„Da hast du wohl recht, eins reicht mir nicht.“

Wenn ich Wilma wegen der Bilderbücher immer wieder um Hilfe bitten müsste, sollte ich sie lieber zu meiner Dienerin machen.

„Hey, Fran. Hör zu, ich werde bald …“

„Myne, achte auf deine Sprache und gedulde dich, ich muss zuerst Bericht erstatten.“

Als Lutz meine Ausdrucksweise kritisierte und mich unterbrach, bemerkte Fran den Grund meiner Freude und meinen euphorischen Zustand, in dem ich jederzeit in Ohnmacht zu fallen drohte.

„Nur das Fieber kann ihre Aufregung dämpfen. Solange du sie im Auge behältst, musst du nichts weiter unternehmen.“

„Ich verstehe. Ich werde gut auf sie aufpassen. Fräulein Myne, bitte erwähnt das Kind nicht wenn möglich vor Delia. Im Moment hält sich der Bischof noch bedeckt, aber er sammelt sicher Informationen über Euch. Wenn Ihr Euch so sehr darauf freut, wird man Eure schwangere Mutter und das Kind als Eure Schwachstelle ansehen.“

Bei Frans Hinweis erbleichte ich. Wenn Mama oder dem Baby etwas passierte, könnte ich meine magischen Kräfte auf keinen Fall zurückhalten.

„Es sollte kein Problem sein, in der Myne-Werkstatt über die neuen Produkte zu sprechen, aber bitte erwähnt euer Geschwisterchen nicht. Im Tempel ist Schwangerschaft ein heißes Eisen.“

Ich erinnerte mich an das Schicksal der Blumenreicherinnen und der grauen Tempelmädchen, die Kinder bekommen hatten, und meine Ausgelassenheit verschwand allmählich. Fran wechselte das Thema, als wollte er mich aufmuntern.

„Soll das neue Buch, das Ihr kreieren wollt, nicht viele Zeichnungen enthalten? Werdet Ihr Wilma beauftragen?“

„Genau, deshalb möchte ich sie als meine Zofe anstellen …“

Fran überlegte einen Augenblick und sagte: „Wir sollten das dem Hohepriester mitteilen und nach seiner Erlaubnis fragen.“

Ich wies Fran an, dem Hohepriester zu schreiben, dass ich eine Bitte hätte und um eine Audienz ersuchen wollte. Nach dem vierten Glockenschlag, als wir unseren Dienst beendet hatten, warf der Hohepriester einen Blick auf den Brief und sah mich an.

„Myne, was ist deine Bitte? Wenn es schnell geht, kannst du sie jetzt vorbringen.“

„Hohepriester, bitte geben Sie mir Wilma!“, fasste ich mich so kurz wie möglich, aber aus irgendeinem Grund wanderte seine Hand an seine Schläfe.

„Ich verstehe überhaupt nicht, wovon du redest. Kannst du das ein wenig erläutern?“

„Bitte geben Sie mir Wilma. Sie kann hervorragend zeichnen, ist fürsorglich und hat das Lächeln einer Heiligen.“

Als ich erklärte, was für ein Mensch Wilma war, wandte sich der Hohepriester mit noch verständnisloserer Miene Fran zu. Dieser schien die Gedanken des Hohepriesters in seinen Augen ablesen zu können und fügte sofort hinzu: „Fräulein Myne wünscht sich Wilma als neue Zofe. Wilma hat früher Fräulein Kristine gedient und ist ein graues Tempelmädchen, das gut zeichnen kann.“

„Das Tempelmädchen in Ausbildung, das die Künste liebte, war also ihre Herrin ... Aber ein Tempelmädchen mit Sinn für Musik würde Mynes Bildung mehr nützen als eine Zeichnerin. Wir haben doch jemanden, der musizieren kann, nicht wahr? Sie kann das Tempelmädchen als Zofe haben.“

„Das Tempelmädchen, das musizieren kann, müsste Rosina sein.“

Während ich still zuhörte, ging es plötzlich nicht mehr um Wilma, sondern um Rosina. In Panik griff ich ein.

„Hohepriester, ich brauche Wilma, nicht Rosina. Mit Musik kann man doch kein [Bilderbuch] machen.“

„Was ist ein Bilterbuch?“

Wie oft musste ich mir diese Frage an einem Tag anhören? Ich dachte, wenigstens hier, wo Adelige lebten, die Bücher besaßen, gäbe es Kinderbücher, aber der Hohepriester runzelte nur die Stirn zu tiefen Falten und verzog das Gesicht.

„Ein Buch mit vielen Bildern für Kinder. In adeligen Familien findet man sicher so etwas, oder?“

„Warum sollte man etwas so Wertvolles wie Bücher für Kinder herstellen, die nicht damit umgehen können? Zum Lernen reichen doch Bücher mit systematischem Wissen.“

Anscheinend existierten in dieser Welt keine Kinderbücher. Da das Papier teuer war und man den Inhalt per Hand abschreiben musste, war die Schrift winzig, und abgesehen von Grafiken und Karten, die zum Lernen notwendig waren, waren Zeichnungen kein wesentlicher Bestandteil von Büchern. Als ich begriff, warum „Bilderbuch“ für alle ein Fremdwort war, nickte auch der Hohepriester überzeugt.

„Ich verstehe, dass du eine Zeichnerin für das Buch brauchst, aber was dir fehlt, ist Bildung. Also nimm nicht nur Wilma, sondern auch Rosina.“

„Wie bitte? Aber es wäre doch eine Verschwendung, wenn ich das tun würde, denn ich besitze keine Instrumente und kann Rosina keine Gelegenheit bieten, ihre Musik aufzuführen. Vor allem habe ich kein Geld, um teure Instrumente zu kaufen, und verstehe auch nicht, warum ich mich bilden sollte, wenn das nicht für die Rituale erforderlich ist.“

„Ich verstehe. In der Tat kann man ohne Instrumente nicht üben.“

Als der Hohepriester zustimmend nickte, tat ich es ihm gleich. Ehrlich gesagt hatte ich kein besonders großes Interesse an Musik. Ich hatte nichts dagegen, Musik zu hören, aber ich wollte nicht selbst ein Instrument spielen. Musizieren zu können, wäre zwar schön, aber die Zeit, die ich zum Üben bräuchte, würde ich lieber mit Lesen verbringen.

Nachdem ich mein Anliegen vorgetragen und die Zusage erhalten hatte, war das Gespräch beendet. Zufrieden verließ ich das Zimmer des Hohepriesters.

„Nun, Fran, ich möchte am Nachmittag ins Waisenhaus gehen und Wilma nach ihrem Wunsch fragen.“

„Nach ihrem Wunsch? Wolltet Ihr sie nicht zu Eurer Zofe ernennen?“, fragte Fran verwundert.

„Vielleicht will sie mir nicht dienen, weil ich eine Gewöhnliche bin.“

Bisher waren meine Diener durch Befehle bestimmt worden, weder Fran noch Gil noch Delia hatte sich freiwillig gemeldet. Es war noch nicht so lange her, dass Gil mir ins Gesicht gesagt hatte, dass er eine Gewöhnliche nicht als seine Herrin anerkenne.

Im Moment lief es noch ganz gut, aber wenn jemand widerwillig arbeitete, würde die Demotivation die anderen anstecken. Wenn Wilma nicht meine Zofe werden wollte, hätte ich zwar Angst, dass jemand anderes sie eines Tages anstellen würde, aber ich könnte sie trotzdem weiterhin beauftragen.

„Fräulein Myne, worum geht es denn?“

Sonst erzählte Wilma immer mit einem ruhigen Lächeln von den Waisenkindern und sprach darüber, was im Waisenhaus noch fehlte. Doch heute wirkte sie besorgt, als sie Fran und mich sah.

„Wilma, willst du meine Zofe sein? Das ist kein Befehl. Du kannst selbst entscheiden und darfst auch ablehnen.“

Wilma schaute sich nervös um, seufzte und senkte den Blick.

„Vielen herzlichen Dank, aber bitte nehmt Rosina an meiner Stelle.“

Wilma warf Fran einen flüchtigen Blick zu und wandte sich dann sorgenvoll ab. Sie runzelte die Stirn, als wäre es ihr äußerst unangenehm, und brachte es nur mühsam über die Lippen: „Einmal hat mich ein blauer Priester hinters Licht geführt und mich zum Blumenreichen mitgenommen. Meine Herrin Kristine hat meine Abwesenheit bemerkt und mich gerettet, deshalb ist nichts Schlimmes passiert, aber seitdem habe ich Angst vor den Herren. Wenn es Euer Befehl ist, werde ich gehorchen, aber wenn Ihr meine eigene Meinung hören wollt, würde ich gerne im Mädchenflügel bleiben, denn hier leben nur Kinder und Frauen.“

Während im Adelsbereich die Zimmer der Diener des anderen Geschlechts von den des Herrn getrennt waren, befanden sich die Zimmer der Diener und Zofen auf unterschiedlichen Etagen in den Gemächern des Waisenhausleiters. Man konnte die Wohnung nur durch das Erdgeschoss verlassen und Gäste wie Lutz oder Benno, Fran und andere graue Priester verkehrten auch häufig im Obergeschoss. So konnten wir keine Umgebung schaffen, in der keine Männer anwesend waren. Ich konnte Wilma verstehen, aber eine Sache ließ mich nicht los.

„Wenn du im Waisenhaus bleibst, musst du dann keine Blumen reichen?“

„Ein unscheinbares Mädchen wie mich würde kein blauer Priester nehmen.“

Ihr Haar war zu einem strengen Dutt gebunden, wohl ein Versuch, sich unauffällig zu machen, doch ihr orangeblondes Haar zog die Blicke trotzdem auf sich. Ihr Äußeres wirkte zwar schlicht, aber das herzerwärmende Lächeln, das sie den Kindern schenkte, verlieh ihr eine mädchenhafte Unschuld. Sicher gab es auch blaue Priester, die sie attraktiv fanden.

„Wie wäre es, wenn ich den Hohepriester frage, ob du im Waisenhaus bleiben und meine Zofe sein kannst? Wärst du dann gewillt? Ich möchte nämlich viele Bücher für Kinder herstellen und brauche dich, weil du so gut zeichnen kannst.“

„Ihr braucht mir nur einen Befehl zu erteilen …“

„Ich möchte nicht, dass du dich bei der Arbeit unwohl fühlst.“

Ich hatte keine Freude daran, Menschen Befehle zu erteilen. Eine Zofe, die bei ihrer Herrin wohnte, konnte ihr Privatleben nicht mehr von ihrer Arbeit trennen. Wenn sie ihren Frust ständig mit sich herumtrug, würde sich das irgendwann bemerkbar machen.

„Wenn ich das Waisenhaus nicht verlassen muss, stehe ich Euch gerne zur Seite“, antwortete Wilma und lächelte schüchtern.

Ich nahm mir fest vor, den Hohepriester um jeden Preis zu überzeugen, um dieses Lächeln zu beschützen, aber bevor ich dazukam, erhob Fran seine kritische Stimme.

„Fräulein Myne, eine Zofe hat bei seiner Herrin zu wohnen. Sie darf nicht im Waisenhaus verbleiben. Wie wollt Ihr den Hohepriester überzeugen?“

Ich blickte abwechselnd zu Wilma und zu den nervösen Kindern, die sich unweit des Waisenhauses aufhielten.

„Im Moment gibt es keine anderen grauen Tempelmädchen, die sich um die kleinen Kinder kümmern. Es kommt nicht selten vor, dass ein Kind nachts Fieber bekommt, deshalb möchte ich als Leiterin des Waisenhauses, dass meine Zofe auf sie aufpasst. Was hältst du davon?“

„Also ist es nicht so, als hättet Ihr Euch darüber überhaupt keine Gedanken gemacht. Das beruhigt mich ein wenig.“

Das klang überraschend unhöflich, aber immerhin schien Fran nicht gänzlich abgeneigt zu sein.

„Darf Wilma im Waisenhaus bleiben und meine Zofe werden?“

„Das würde zwar mit der Tradition brechen, aber angesichts der Lage im Waisenhaus und Wilmas Situation wäre es nicht unrealistisch, wenn wir das in Ruhe mit dem Hohepriester besprechen können.“

Mit Frans Zustimmung ließ ich ihn einen Brief schreiben und bat um eine Audienz. Die Antwort lautete: „Ich möchte Frans Meinung zu Wilmas Behandlung hören, deshalb sollten wir das in deinen Gemächern besprechen.“

Bis zu dem Gespräch in fünf Tagen zum fünften Glockenschlag arbeitete ich energiegeladen. Ich bat Gil, in der Myne-Werkstatt dickes Papier zu schöpfen, das für das Bilderbuch benötigt wurde, und versprach ihm, es über Lutz zu erwerben. Gleichzeitig las ich Mamas Geschichten auch im Waisenhaus vor, um an den Reaktionen der Kinder zu beurteilen, welche Geschichten sich für das Bilderbuch eigneten und welche ihnen gefielen. Doch während die Kinder zuhörten, fragten sie immer wieder: „Was ist das?“, und so konnten wir die Handlung nicht genießen. Außerdem kannte Wilma das Leben in der Stadt nicht und sagte, sie könne die Bilder nicht zeichnen. Ich hatte wohl die Unterschiede in unserem Wissen und unserer Lebensweise unterschätzt.

Anscheinend kannte man im Tempel das Konzept des Anthropomorphisierens nicht. Als ich ihnen die Geschichte vom Wolf und den sieben Geißlein oder Momotaro erzählte, fragten sie: „Wie kann man mit Tieren reden?“ Damit musste ich mich von der Idee verabschieden, Märchen als Bilderbücher umzusetzen. Benno war zwar vehement dagegen, aber es schien, als müsse ich das Bilderbuch für mein erstes jüngeres Geschwisterchen doch selbst zeichnen.

Inzwischen hatten Hugo und Ella die meisten Rezepte auswendig gelernt, sodass ein neuer Koch eingestellt wurde, ein Mann in Hugos Alter. Wenn er in der Küche hantierte, stieß er panische, unverständliche Laute wie „Hä?“ oder „Uh?!“ aus, worauf ihn Ella, die ihn assistierte, mit dem Blick eines alten Hasen, der auf seine Vergangenheit zurückblickte, versicherte: „Keine Sorge, man gewöhnt sich dran.“

Am Tag der Audienz konnte ich wegen des Termins am Nachmittag nicht einmal in die Bibliothek gehen und blieb im Zimmer, um mit Fran zu wiederholen, wie ich den Hohepriester empfangen sollte und welcher Tee seinen Geschmack traf. Doch plötzlich, noch lange vor unserer Verabredung, ertönte die Glocke und kündigte einen Besuch an.

„Das muss der Bote des Hohepriesters sein“, sagte Fran und begab sich ins Erdgeschoss.

Anscheinend gab es Unterschiede zwischen den Läutarten und den Tönen der Glocke, aber für mich klang alles gleich. Ich fragte mich, ob der vielbeschäftigte Hohepriester den Termin verschieben wollte.

„Dies sind die Geschenke des Hohepriesters. Wohin sollen wir sie bringen?“

„Bitte ins Obergeschoss, in das Zimmer meiner Herrin.“

Als ich die Stimmen von Arno und Delia hörte, setzte ich rasch ein elegantes Lächeln auf.

„Verzeiht die Störung, Fräulein Myne.“

Delia und Fran gaben Arno und den anderen grauen Priestern, die ihm folgten, Anweisungen und so wurde ein großes Paket nach dem anderen nach oben getragen. Währenddessen kniff Arno die Augen zusammen, als würde er in Nostalgie schwelgen, und blickte sich in meinem Zimmer um.

„Es sieht immer noch so aus wie früher ...“

„Wie bitte?“

„Ach, es ist nichts, vergesst es. Wir haben die drei großen und die zwei kleinen Kisten in Euer Zimmer gebracht.“

„Richte dem Hohepriester meinen aufrichtigen Dank aus“, antwortete ich lächelnd.

Mit Arno an der Spitze verließen die Diener des Hohepriesters der Reihe nach meine Gemächer. Fran verabschiedete sich von ihnen, schloss die Tür und eilte nach oben.

„Wir müssen sie sofort öffnen, denn der Hohepriester wird jeden Moment hier sein. Delia, geh in die Werkstatt und ruf Gil.“

„Jawohl. Oh Mann! Er hätte die Geschenke doch nicht so kurz vor seinem Besuch liefern lassen müssen.“

Während Delia aus dem Zimmer rannte, öffnete Fran hastig die Päckchen. Einen Augenblick später kamen Delia und Gil zurück und halfen ihm. In den Holzkisten befanden sich Bettzeug, ein Instrument für Erwachsene und eins für Kinder in Stoff eingewickelt. Außerdem fand ich darin Utensilien für die Pflege der Instrumente. Anscheinend lag dem Hohepriester meine Bildung wirklich am Herzen.

Wow ... Weil ich die fehlenden Instrumente als Ausrede benutzt habe, schenkt er mir jetzt welche ...

„Sag mal, Fran, hat der Hohepriester die vielen Geschenke mal erwähnt?“

Bei Präsenten dieser Größenordnung empfand ich mehr Verwirrung als Dankbarkeit. Vor allem hatte ich noch nie Bettzeug geschenkt bekommen und hielt es für unnötig. Auch Fran schien völlig irritiert zu sein und runzelte die Stirn.

„Als Ihr im Besinnungsraum ohnmächtig geworden wart, war der Hohepriester empört darüber, dass Ihr trotz Eurer häufigen Schwächeanfälle kein bezogenes Bett hattet, aber dass er Euch Bettzeug schenkt ...“

Da ich immer wieder mal im Tempel umgekippt war, hielt ich eine Decke für notwendig, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass der Hohepriester mir eine schenken würde. Ich ging zu dem Bett, das Gil und Delia für mich bezogen hatten, und fasste die Bettwäsche an. Der Hohepriester hatte keine Strohdecke genommen, wie wir sie zu Hause benutzten, sondern eine hochwertige, die mit der im Gästezimmer bei Frieda vergleichbar war. Das Laken fühlte sich glatt und hautfreundlich an und die Überdecke war reichlich bestickt und von erlesener Qualität. Allein die Stoffe und die Stickereien mussten ein Vermögen gekostet haben. Als ich darüber nachdachte, wie kostspielig das Bettzeug wohl war, wurde mir ganz schwindelig.

„Fran, ist es beim Adel gang und gäbe, sich so etwas zu schenken? Oder hat er mir nur das Geld ausgelegt und ich muss hinterher noch die Rechnungen begleichen? Was, wenn ich sie nicht bezahlen kann?“

„Vermutlich sollen sie eine Entschuldigung dafür sein, dass er Euch in den Besinnungsraum geschickt und Euren Fieberanfall ausgelöst hat. Ihr könnt sie dankbar annehmen.“

„Dankbar ... Bei welchem Gott soll ich mich diesmal bedanken?“

Ich fragte mich, ob ich mir schon wieder den Namen eines neuen Gottes einprägen musste, und hatte jetzt schon die Nase voll. Doch Fran hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Schmunzeln zu unterdrücken, und antwortete: „Diesmal müsst Ihr Euch nicht bei einem Gott bedanken, sondern bei dem Hohepriester.“

Nachdem das Bett bezogen worden war, die Instrumente und das Zubehör ihren Platz gefunden hatten und alles wieder ordentlich aussah, übergab ich meinen Dienern und Zofen gemäß den Traditionen die Holzkisten und die Stoffe. Als ich mit allem fertig war, ertönte schon der fünfte Glockenschlag.

Im nächsten Augenblick erschien der Hohepriester in Arnos Begleitung. Ich kam ihm entgegen, um ihn zu begrüßen, wie Fran es mir ans Herz gelegt hatte. „Ihr wirkt noch ein wenig unbeholfen, aber es scheint, als hättet Ihr Euch alles eingeprägt“, hatte er gesagt. Es klang, als hätte ich die Mindestpunktzahl zum Bestehen erreicht. Vielleicht war ich ein wenig damenhafter geworden.

Als wir das Obergeschoss betraten, sprang uns das Bett ins Auge.

„Hohepriester, danke sehr für die Decken, sie sehen sehr gemütlich aus“, bedankte ich mich. Doch aus unerklärlichen Gründen fasste sich der Hohepriester an die Stirn.

„Entschuldigung, aber was habe ich falsch gemacht? Ich wollte nur meine Dankbarkeit ausdrücken.“

„Das hast du zwar, aber den Inhalt der Geschenke hättest du nicht erwähnen sollen. Halte dich in Zukunft vage; etwa mit Worten wie ‚wunderbare Geschenke‘ oder ‚Genau das habe ich mir gewünscht‘.“

Man spricht also nicht über den Inhalt der Geschenke, wiederholte ich in Gedanken. Der Hohepriester machte ein Gesicht, als hätte er in etwas Bitteres gebissen, und fügte mit gedämpfter Stimme hinzu: „Erzähl niemandem, dass ich dir Bettzeug geschenkt habe. Eigentlich ist das etwas, das die eigene Familie oder der Verlobte ... der Liebste bereitstellen sollte. Das würde zu entsetzlichen Missverständnissen führen.“

„Urg! Warum haben Sie etwas getan, das leicht missverstanden werden könnte?“

Im Gegensatz zu mir war der Hohepriester nicht der Typ, dem ein solcher Fauxpas aus Unachtsamkeit unterlaufen würde. Ich verstand nicht, warum er mir unbedingt Bettzeug schenken wollte, obwohl er wusste, dass man daraus falsche Schlüsse ziehen könnte.

„Es ist deine Schuld. Obwohl du schon mehrmals im Tempel in Ohnmacht gefallen bist, war dein Bett nur ein leeres Holzgestell. Ich konnte meinen Augen nicht trauen, als du bewusstlos warst und Fran dich auf die blanke Platte legte.“

Einer von uns muss sich ja darum kümmern, deutete er mir mit einem bösen Blick an. Mangels vorausschauenden Denkens hatte ich in der Vergangenheit immer wieder vergessen, Bettwäsche und Decken zu bestellen, und wandte den Blick von ihm ab.

„Ähm, verzeihen Sie mir bitte ...“

Der Hohepriester räusperte sich gekünstelt und richtete seinen Blick auf den Tisch. Mir fiel ein, dass ich ihm noch keinen Platz angeboten hatte, und führte ihn zum Tisch.

Da unser heutiger Gast der Hohepriester war, wurde er nicht von Delia, sondern von Fran bedient. Obwohl er das gleiche Wasser und die gleichen Teeblätter benutzte, schmeckte sein Tee völlig anders. Delia starrte wie besessen auf seine Bewegungen bei der Arbeit, die keine einzige überflüssige Geste enthielten und eine fließende Schönheit ausstrahlten.

„Hach, ich bin schon lange nicht mehr in den Genuss von Frans Tee gekommen ... Hm, wie immer duftet er herrlich.“

Als der Hohepriester einen Schluck trank, entspannte sich seine Miene und er wirkte zufrieden. Ein kaum merkliches Lächeln huschte über Frans Gesicht. Im nächsten Augenblick stellte Delia den Teller, den Gil hereingebracht hatte, sachte auf den Tisch.

„Hohepriester, möchten Sie ein paar Kekse zum Tee? Sie sind nach dem Geschmack der Herren und weniger süß.“

Der Hohepriester steckte sich einen Keks in den Mund und riss die Augen leicht auf. Nach dem ersten konnte er nicht mehr aufhören und verschlang einen nach dem anderen. So schlecht konnten sie also nicht schmecken.

„Wo hast du sie her?“

„Im Moment werden sie in meiner Küche gebacken. Wir wollen sie im italienischen Restaurant nach dem Essen zum Tee anbieten und in kleinen Päckchen verkaufen.“

Der Hohepriester rieb sich die Schläfen, als bemühte er sich, um mich zu verstehen.

„Dein Geschäftsbereich umfasst jetzt also nicht nur Papier und Rinsham, sondern auch Essen?“

„Genau. Vor der Eröffnung wird eine Verkostung stattfinden. Kommen Sie doch vorbei, wenn Sie Zeit haben. Die Gaststätte soll nämlich Gerichte anbieten, wie sie bei Adeligen serviert werden. Für den Geschmack kann Fran zwar die Hand ins Feuer legen, aber ich würde auch gerne einmal ein echtes Adelsmahl erleben.“

Laden Sie mich ein, laden Sie mich ein, appellierte ich mit meinen Augen, so gut ich konnte. Der Hohepriester, der zwischen den Zeilen lesen konnte wie kein anderer, senkte nachgebend den Blick und gab mir sein Wort, mich bald zum Mittagessen einzuladen. Yippie! Unter dem Tisch ballte ich meine Hand zur Faust. Damit hatte ich Bennos Auftrag erfüllt und war gespannt auf das Menü, den Geschmack und den Service.

Nach dem Tee und den Keksen kam der Hohepriester zur Sache.

„Nun, du wolltest über Wilma sprechen.“

„Ich möchte, dass sie als meine Zofe weiterhin im Waisenhaus lebt, ist das möglich?“

Aber warum?, fragten die Falten auf seiner Stirn. Eine Zofe hatte ihrer Herrin zur Seite zu stehen. In der Regel wollte man das Waisenhaus verlassen und nicht dortbleiben.

„Da sich gerade niemand um die ungetauften Kinder kümmert, möchte ich als Leiterin des Waisenhauses, dass sie bleibt und diese Aufgabe übernimmt. Dies ist auch Wilmas Wunsch.“

„Hohepriester, auch ich möchte Euch darum bitten. Die Kinder werden oft krank und manchmal bekommen sie nachts Fieber. Wilma und Fräulein Myne machen sich Sorgen um sie“, pflichtete mir Fran bei.

Der Hohepriester strich sich über das Kinn und überlegte.

„Wenn Wilma im Waisenhaus bleibt, solltest du erst recht Rosina aufnehmen. Jetzt, da ich die Instrumente vorbereitet habe, spricht doch nichts mehr dagegen“, sagte er und warf mir einen scharfen Blick zu.

Verwirrt fragte ich: „Wozu brauche ich Musik? Bei den Ritualen im Tempel muss man doch nichts spielen, oder?“

„Musikalische Fähigkeiten sind im Tempel nicht von Belang. Auch unter den blauen Priestern gibt es welche, die keinen Sinn für Musik haben“, sagte er und holte ein kleines magisches Accessoire hervor, das das Abhören verhinderte. Der Hohepriester und ich nahmen den vertrauten Gegenstand in die Hände.

„In Zukunft wirst du dich zweifellos mit Adeligen befassen müssen.“

„Ich habe nicht vor, meine Familie zu verlassen.“

Genau aus diesem Grund pendelte ich zwischen dem Tempel und meinem Zuhause. Der Hohepriester war Zeuge meines Wutausbruchs vor dem Bischof und wusste in gewisser Weise, wie wichtig mir meine Familie war. Als er „zweifellos“ sagte, schlich sich eine Angst in mein Herz.

„Du wusstest es wahrscheinlich nicht, aber das Verhältnis der Magie ist entscheidend, um Kinder zu zeugen. Deine Kräfte sind so stark, dass du ohne Weiteres zehn kleine Magiesteine füllen kannst und das eine Zimmer bei mir betreten kannst. Das heißt, dass du mit Gewöhnlichen kein Kind zeugen kannst. Dadurch wirst du in der Unterstadt wohl keinen Ehepartner finden können.“

Ich erinnerte mich, dass Delia auch einmal von dem Verhältnis der Magie gesprochen hatte. Damals hatte ich mich nur über die Grausamkeit der blauen Priester aufgeregt und nicht weiter darüber nachgedacht, aber natürlich galt das Gesetz auch für mich. Dennoch ließ es mich völlig kalt.

„Ich hatte von Anfang an nicht vor zu heiraten, deshalb habe ich kein Problem damit, keinen Partner zu finden.“

„Moment, warum denkst du das?“

„Wie Sie wissen, bin ich nicht mit einem gesunden Körper gesegnet. Ich kann mir keinen Mann vorstellen, der eine Frau heiraten will, die ständig Fieber hat und nicht richtig arbeiten kann. Ich wäre ihm doch nichts weiter als ein Klotz am Bein.“

In dem Armenviertel, in dem ich lebte, musste eine gute Braut vor allem gesund und robust sein. Außerdem sollte sie auch ein gutes Herz haben und fleißig arbeiten. Um als Schönheit zu gelten, musste man noch nähen und haushalten können, aber so weit würde es nicht kommen, denn ich würde schon beim ersten Kriterium ausscheiden. Auch zur Urano-Zeit hatte ich mit Liebe und Heirat nichts am Hut gehabt, daher war ich nicht sonderlich traurig. Solange ich Bücher herstellen und lesen konnte, war ich zufrieden.

„Gewöhnliche sind anders als Adelige. Die Magie des Kindes wird deutlich von der der Mutter geprägt. Deine Kräfte sind so stark, dass man kaum von einer plötzlich entstandenen Zerfressung ausgehen kann. Da es gerade an Adeligen mangelt, werden sich Adelige mit ähnlich starken Kräften um dich scharen, sobald du ins heiratsfähige Alter kommst. Im Moment lassen sie dich noch in Ruhe, weil die Erziehung eines Kindes Geld kostet und du aufgrund deiner schlechten Gesundheit irgendwann sterben könntest. Aber letztendlich kannst du nicht vor den Familien aller blauen Priester fliehen.“

Ich wusste nicht, dass man mich so ansah. Wenn es etwa zehn blaue Priester gab, wie viele Adelige hatten ihre Familien mütterlicher- und väterlicherseits wohl hervorgebracht? Ich könnte sie nicht alle abweisen. Bei dem Gedanken begann mein Körper zu zittern. Ich hatte mir keine Gedanken über die Zukunft gemacht. Da Benno gesagt hatte, dass sich die Adeligen in fünf Jahren wieder vermehrt haben sollten und kein Interesse mehr an mir haben würden, dachte ich, dass ich dann einfach den Tempel wieder verlassen sollte. Mein Plan war, zu fliehen und Taufrüchte zu benutzen, um zu überleben, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass mich die Adeligen als Gebärmaschine ausnutzen wollten.

„Die niederen Adeligen sind mit dir inkompatibel, also wirst du als Spielball benutzt, um Beziehungen zum hohen Adel zu knüpfen. Entscheidend ist, ob du dann wie ein Zuchttier behandelt wirst oder ob du dich schützen kannst, indem du dich wie eine Adelige benimmst. Um dich zu verteidigen, brauchst du Bildung.“

„Ich verstehe ... Ich werde mich mit Rosina an meiner Seite so gut wie möglich bilden lassen.“

Zufrieden legte er das magische Accessoire auf den Tisch. Damit schien das Gespräch beendet zu sein. Ich gab dem Hohepriester das Gerät und starrte ihn lächelnd an.

„Bitte zeigen Sie mir ein Beispiel. Ich würde gerne wissen, wie musikalisch ein Adeliger sein sollte.“

Als ich einladend auf die Instrumente deutete, räumte der Hohepriester das magische Accessoire weg, seufzte und rief Fran.

„Hol die Festlaute.“

Anscheinend hießen die beiden unterschiedlich großen Instrumente, die in meinem Zimmer nebeneinanderstanden, Festlaute. Die große war für Erwachsene und die kleine für Kinder. Sie sahen aus wie eine Mischung aus Laute und Koto und erinnerten an eine Bandura. Die Form ähnelte einer halbierten Birne und der Boden war leicht gewölbt. In der Decke befand sich wie bei einer Gitarre ein Schallloch, das bei Erwachsenen eine dekorative geometrische Form abbildete und bei Kindern den Umriss einer efeuähnlichen Pflanze darstellte. Das Instrument war mit etwa fünfzig bis sechzig Saiten bespannt. Für die Wirbel, auf denen die Saitenenden befestigt waren, wurde ein elfenbeinfarbenes Material verwendet, das Abwechslung in das hölzerne Instrument brachte. Am oberen Halsende war ein Pferdekopf eingeschnitzt. Ich war kurz davor zu kommentieren: „Eine Pferdekopfgeige!“ Aber da mich niemand verstehen würde, hielt ich mich lieber zurück.

Der Hohepriester rückte seinen Stuhl ein wenig zurecht, setzte sich mit geraden Beinen hin und stellte die Festlaute auf seinen Schoß. Mit der linken Hand umfasste er den Hals und strich mit dem Mittelfinger über die Saiten. Sie brachten die Luft zum Schwingen und erzeugten Töne, die an Gitarrenmusik erinnerten. Seine rechte Hand strich wie bei einer Harfe über die Saiten und ließ hohe, durchdringende Töne erklingen, die sich in der Luft auflösten.

Die Festlaute schien bereits gestimmt worden zu sein. Der Hohepriester blickte leicht nach unten, spielte mit der rechten Hand das Leitmotiv und mit der linken tiefe Töne. Seine langen Finger mit den ausgeprägten Gelenken bewegten sich frei und zauberten eine Melodie, die ich noch nie gehört hatte. Obwohl ich weder das Instrument noch das Lied kannte, wusste ich sofort, dass er ein hervorragender Musiker war.

Unglaublich. Das Geklimper der Barden, die am Osttor lungern, kann da nicht mithalten.

Übrigens konnte ich mit den Barden nichts anfangen. Ich verstand nie, was sie sangen, wahrscheinlich weil ich die Lieder nicht kannte, und fühlte mich, als hörte ich die Heike Monogatari zum ersten Mal.

„Der endlose blaue Himmel ...“, begann der Hohepriester in Begleitung der Melodie zu singen.

Der Text beschwor eine sommerliche Landschaft voller Leben herauf: Die Pflanzen wuchsen und dankten der Sonne für ihren Segen. Ich hatte schon immer gedacht, dass der Hohepriester eine tiefe, durchdringende Stimme hatte, aber beim Singen klang sie etwas anders und überwältigend schön. Obwohl es sich um ein fremdes Lied handelte, drangen die Töne so sanft an mein Ohr, dass ich wie verzaubert lauschte. Kling ... Als ich beim Verklingen des letzten Tons einen bewundernden Ausruf ausstieß, reichte der Hohepriester Fran die Festlaute.

„So in etwa. Myne, wie fandest du es?“

„Wenn Sie ein Liebeslied singen würden, würden Sie die Herzen vieler Frauen erobern.“

„Was redest du da?“

Als mir der Hohepriester einen bösen Blick zuwarf, wurde mir klar, dass ich mich verplappert hatte. Rasch hielt ich mir die Hand vor den Mund und versuchte, es wieder zurechtzubiegen.

„Die schöne Musik hat mich in ihren Bann gezogen ... Aber für mich wäre das ein wenig zu schwierig.“

„Die Bildung ist nichts, was man sich von heute auf morgen aneignen kann. Dazu braucht es tägliche Übung. Versuch es.“

Da ich dem bildungsfreudigen Hohepriester nicht entkommen konnte, begann plötzlich meine Musikstunde.

Die Festlaute und Rosina

Die Festlaute, die Fran mir reichte, war eine kleine für Kinder, die zum ersten Mal übten, aber im Verhältnis zu meiner Körpergröße war sie immer noch recht groß. Das kindgerechte Instrument hatte nur etwa halb so viele Saiten wie das für Erwachsene und deckte geschätzt doppelt so viele Töne ab wie eine Melodica.

Ich nahm mir ein Beispiel am Hohepriester, platzierte die Festlaute zwischen Schoß und linke Schulter und umklammerte sie mit beiden Händen. Da sie größtenteils aus Holz bestand und nicht besonders viel wog, konnte auch ich sie ohne Probleme halten.

„Wenn sie schief steht, wird sie mit der Zeit immer schwerer. Also halte sie möglichst gerade.“

Eine ihrer Saiten war gefärbt, wahrscheinlich weil es sich um ein Übungsinstrument handelte.

„Das ist der Grundton“, erklärte der Hohepriester und strich über die Saiten. Es war ein C. Dann übersprang er die nächste Saite und spielte auf der übernächsten ein D und wiederholte den Vorgang für ein E. Die vielen nebeneinandergespannten dünnen Saiten bildeten eine chromatische Tonleiter und ähnelten den Tasten eines Klaviers. Doch im Gegensatz zur Klaviatur fehlte die schwarze Markierung, sodass es schwierig erschien, den richtigen Ton zu treffen.

„Das ist eine Tonleiter. Die Töne werden höher oder tiefer und folgen aufeinander.“

So wie ich mir die Zahlen gemerkt hatte, verfolgte ich die Töne in meinem Kopf mit C, D, E, F, G, A und H. Zur Urano-Zeit hatte ich drei Jahre lang Klavier gelernt, wenn auch nicht freiwillig. Ich musste mich noch an das Instrument gewöhnen, bis ich flüssig spielen konnte, aber ein einfaches Lied, das ich schon kannte, sollte kein Problem sein.

„Sie blühen ... sie blühen ...“

Ich übersetzte das Kinderlied „Churippu“, die Tulpen, in die Sprache dieser Welt, spielte es holprig auf der Festlaute und war zufrieden mit meiner Darbietung.

„Was ist das für ein Lied?“, murmelte der Hohepriester erstaunt.

„Wie der Text es vermuten lässt, ein Lied über Blumen.“

In dieser Welt gab es zwar keine Tulpen, aber er kannte sicher nicht alle Pflanzen, also sollte ich damit durchkommen. Während ich das dachte, legte der Hohepriester einen Finger an das Kinn und überlegte eine Weile.

„Du hast wohl eine Gabe für Musik.“

„Nein, habe ich nicht! Nicht im Geringsten!“

Ich hab’s vermasselt ... Warum musste ich es mir schwerer machen, als es sein müsste?

Wenn jemand auf einem Instrument, das er zum ersten Mal in der Hand hatte, ein selbstgeschriebenes Lied aufführen konnte, würde man sicher denken, er wäre der wiedergeborene Mozart, aber ich wollte nicht für ein Genie gehalten werden. Ich konnte lediglich ein paar wenige Lieder auswendig, die ich in der Schulzeit für den Musikunterricht oder für Klaviervorspiele lernen musste. Von einer Gabe konnte keine Rede sein.

„Nein, das kannst du nicht beurteilen. Um ehrlich zu sein war ich besorgt über das Potential einer Gewöhnlichen, aber du scheinst schnelle Fortschritte zu machen.“

Der Hohepriester scherte sich nicht um meine vehemente Verneinung und stellte mit einem Lächeln einen Übungsplan auf, der vor allem meine wertvolle Lesezeit reduzieren würde.

„Verzeihen Sie bitte, Hohepriester, aber ich habe nicht die Absicht, meine Lesezeit weiter zu verkürzen.“

„Aber die Übung ist notwendig, um das Instrument zu beherrschen.“

„Dessen bin ich mir bewusst, dennoch werde ich nicht nachgeben, wenn es um Bücher geht.“

Fran musste das Waisenhaus und die Myne-Werkstatt beaufsichtigen und dem Hohepriester bei der Arbeit helfen. Da er so viel um die Ohren hatte, hatte er wenig Zeit, um mir in der Bibliothek Gesellschaft zu leisten. Die Mahlzeiten waren streng geregelt, die Bücher waren angekettet und durften nicht ausgeliehen werden, letztendlich hatte ich viel weniger Zeit zum Lesen, als ich vor meinem Eintritt in den Tempel erwartet hatte.

„Als ich in den Tempel eintrat, meinten Sie, dass meine Arbeit darin bestehe, Magie zur Verfügung zu stellen und die Bibliothek aufzuräumen. Also ist die Hilfe bei Ihrer Arbeit etwas, das ich nur aus Nettigkeit getan habe, nicht wahr? Ich kann die Zeit nutzen, um Festlaute zu üben, aber ich werde auf keinen Fall auf meine Lektüre verzichten.“

Wir starrten uns in die Augen, bis der Hohepriester nach Abwägung von Verwaltungsaufgaben und Musik zu dem Schluss kam, dass ihm das Letztere wichtiger war. So wurde beschlossen, dass ich von meiner Ankunft im Tempel bis zum dritten Glockenschlag Festlaute üben sollte.

„Nun, gib Wilma und Rosina Bescheid und übe fleißig. Ich werde ab und zu vorbeikommen und dich beaufsichtigen. Wenn du auf der faulen Haut lagst, werde ich es sofort merken“, ermahnte er mich nachdrücklich.

Natürlich würde ich mich nicht mit einem Instrument beschäftigen, das mich nicht interessierte, wenn er mich nicht überwachen würde. In diesem Punkt hatte er vollkommen recht.

Nachdem wir uns vom Hohepriester verabschiedet hatten, machten Fran und ich uns auf den Weg ins Waisenhaus.

„Gil, Delia, wir gehen jetzt ins Waisenhaus. Könnt ihr das Zimmer für Rosina herrichten?“

„Verlass dich auf uns. Bis du zurück bist, wird alles tipptopp sein.“

Im Waisenhaus ließen wir Wilma und Rosina rufen. Die Kinder wussten wohl, was das bedeutete, und sahen uns nervös an.

„Wird Wilma Eure Zofe? Wird sie dann nicht mehr bei uns sein?“

„Sie wird zwar meine Zofe, aber als Leiterin des Waisenhauses werde ich sie anweisen, weiterhin im Waisenhaus zu arbeiten und sich um euch zu kümmern.“

„Wow! Wirklich? Wilma bleibt hier?“

Zwischen den jubelnden Kindern entdeckte ich Wilma, die zu uns eilte.

„Du sollst als Zofe im Waisenhaus arbeiten, hieß es!“, riefen die Kleinen.

Sie zupften an Wilmas Kleidern, zogen an ihren Armen und folgten ihr auf Schritt und Tritt. Mit einem strahlenden Lächeln kam sie zu uns und brachte die Kinder mit. Sie schienen richtig an ihr zu hängen. Gut, dass ich sie im Waisenhaus gelassen habe, dachte ich wieder.

Ich bat die Kinder, uns allein zu lassen und leise zu sein, bis unser Gespräch zu Ende war. Wie eine Welle stellten sie sich an der Wand auf und blickten mit fröhlichen Gesichtern in unsere Richtung.

„Ich habe die Erlaubnis des Hohepriesters erhalten und ernenne dich hiermit zu meiner Zofe. Deine Arbeit besteht darin, das Waisenhaus zu verwalten und Zeichnungen anzufertigen. Da du dich um die kleinen Kinder kümmern musst, darfst du hierbleiben.“

So konnte Wilma in Ruhe im Mädchenflügel weiterleben. Andere blaue Priester konnten mir nicht mehr zuvorkommen und Wilma musste keine Blumen reichen. Freudentränen schossen ihr in die sanften braunen Augen.

„Danke sehr. Ich werde Euch mit ganzer Kraft dienen.“

Nach dem Gespräch mit Wilma erschien Rosina im Speisesaal. Ihr kastanienbraunes Haar war so voluminös wie Tuulis und halb gebunden. Ihre strahlend blauen Augen leuchteten vor Hoffnung und Vorfreude.

„Fräulein Myne, Ihr wolltet mich sprechen?“

Rosina hatte ein schönes, erwachsen wirkendes Gesicht. Mit ihrem üppigen welligen Haar und ihrem eleganten Benehmen glich sie einem adretten edlen Fräulein. Wenn ich die Manieren von Wilma und Rosina beobachtete, konnte ich fast ihre frühere Herrin, die die Künste so sehr schätzte, vor meinen Augen sehen.

Wahrscheinlich möchte der Hohepriester, dass ich mir eine Scheibe von Rosina abschneide.

Aber jeder Mensch hat eben seine Stärken und Schwächen. Als ich daran dachte, dass ich von nun an mit meiner Zofe verglichen würde, die nicht nur hübsch, sondern auch gebildet war und in jeder ihrer Bewegungen Eleganz ausstrahlte, konnte ich mir einen tiefen Seufzer nicht verkneifen.

„Rosina, hiermit ernenne ich dich zu meiner Zofe.“

Ungläubig schlug Rosina die Hand vor den Mund und ihre Wangen färbten sich rosenfarben. Als mir bewusstwurde, dass es eine ganz andere Wirkung haben würde, wenn ich mich so verhalten würde, senkte ich den Blick.

„Der Hohepriester hat mir geraten, mich weiterzubilden und dich zu meiner Zofe zu machen. Deine Arbeit besteht darin, mir von meiner Ankunft im Tempel bis zum dritten Glockenschlag Festlautenunterricht zu geben. Außerhalb dieser Zeit sollst du die gleiche Arbeit verrichten wie meine anderen Diener. Bist du gewillt, dies zu tun?“

„Ja, wie könnte ich auch dieses Angebot ablehnen, denn die Festlaute ist das Instrument, das ich am besten beherrsche.“

Nachdem mein Anliegen geklärt war, verabschiedete ich mich von Wilma und den Kindern und verließ das Waisenhaus in Begleitung von Rosina, die sich sehr über ihre neue Stelle freute. Im Waisenhaus gab es keine persönlichen Gegenstände, also zog Rosina mit leeren Händen in ihr Zimmer und ich als ihre Herrin musste ihr einen Hausrat zur Verfügung stellen.

Zurück in meinen Gemächern, wurden alle meine Diener versammelt und von Fran vorgestellt. Anscheinend sollten solche Zusammenkünfte der Dienerschaft nicht von der Herrin gesehen werden, deshalb wartete ich im Obergeschoss. Mir wurde gesagt, dass ich nicht nach unten spähen durfte, auch wenn ich neugierig war.

Geplagt von Langeweile, warf ich einen Blick auf die Noten dieser Welt, die der Hohepriester aufgeschrieben hatte. Es handelte sich um ein erstes Übungsstück. Obwohl es nicht besonders lang war, fiel es mir schwer, das unbekannte Lied auswendig zu lernen.

Plötzlich hörte ich Gil sagen: „Ich räume jetzt die Werkstatt auf und schließe ab“, dann fiel die Tür zu. Es schien, als hätten sie die Vorstellungsrunde und die Führung im Erdgeschoss beendet, und Fran brachte Rosina und Delia ins Obergeschoss, um der Neuen die Zimmer für die Zofen zu zeigen.

„Oh, Festlauten ... Fräulein Myne, wollen wir gleich mit der Übung beginnen?“, rief Rosina gerührt, als ihr die kleine und die große Festlaute ins Auge sprangen.

„Ach, Rosina! Die Instrumente laufen dir doch nicht weg. Du solltest zuerst dein Zimmer vorbereiten.“

„Ich verstehe deine Freude bei dem Anblick von etwas, wonach du dich lange gesehnt hast, aber wie Delia schon sagte, solltest du zuerst dein Zimmer herrichten. Da du kaum Gepäck hast, sollte das ja nicht allzu lange dauern“, sagte ich.

Rosina erinnerte mich an mich selbst, als ich die Bibliothek gefunden hatte. Ich hätte es ihr gegönnt, aber sie konnte sich natürlich nicht vergnügen und Delia ihr eigenes Zimmer allein aufräumen lassen. Bedauernd blickte Rosina den Instrumenten hinterher und ging ins Zimmer.

„Fräulein Myne, darf ich jetzt Festlaute spielen?“

Da Rosina ihr Zimmer schnell aufgeräumt hatte, nickte ich diesmal. Mit leuchtenden blauen Augen nahm sie eine Festlaute in die Hand. Ihre schlanken Fingerspitzen fuhren über das Instrument und brachten die Saiten zum Schwingen. Als ein hoher Ton erschallte, senkte Rosina leicht den Blick und genoss mit verträumter Miene den Klang, der durch die Luft schwebte.

Sie setzte sich auf den Stuhl und brachte das Instrument in Stellung. Ihre schmalen Finger, die von der Arbeit etwas rau geworden waren, strichen sanft über die Saiten und brachten zarte, melancholische Töne hervor. Obwohl das Instrument dasselbe war, klang das Spiel – vielleicht aufgrund des Charakters der Spielerin oder der Wahl des Liedes – etwas anders als das des Hohepriesters. Ich kannte das Lied nicht, das Rosina mit feiner, hoher Stimme sang, aber an ihren feuchten Augen und ihrem Lächeln spürte ich ihre überschwängliche Freude darüber, ein Instrument spielen zu können.

„Was für eine wunderbare Darbietung, Rosina.“

„Ich fühle mich geehrt. Welch eine Freude, die Saiten wieder zum Klingen bringen zu dürfen ... Ich werde Euch von ganzem Herzen dienen.“

Und so hatte ich zwei weitere Zofen aufgenommen und musste jeden Tag Festlaute üben.

Am nächsten Tag machte ich mich mit Papa auf den Weg zum Tor. Da Lutz die Kinder aus dem Waisenhaus abholen musste, wollten wir uns am Tor treffen und zusammen in den Wald gehen.

„Ob es ein Junge ist? Oder ein Mädchen? Papa, was ist dir lieber?“

In letzter Zeit drehten sich unsere Gespräche nur noch um das Baby. Ich hatte mich wohl zu oft wiederholt, denn Tuuli sagte: „Myne, Papa leistet dir bestimmt gerne Gesellschaft“, und ging mir aus dem Weg.

„Gute Frage ... Wenn es ein Junge ist, dann bin ich endlich nicht mehr der einzige Mann im Haus, aber ein Mädchen ist bestimmt zuckersüß.“

„Egal ob Junge oder Mädchen, ich werde es richtig verwöhnen! Ich mache ihm ein Bilderbuch und lese ihm ganz viel vor!“

„Oho!“

Kurz nachdem wir am Tor angekommen waren, brachte Lutz die Kinder zu uns.

„Lutz, Myne überlasse ich dir.“

„Geht klar. Heute trägt jemand sie auf dem Rücken. Du musst dir keine Sorgen machen.“

Lutz deutete auf einen hockenden Jungen, der auch unter den Lehrlingen zu den kräftigeren zählte. Wenn ich zu Fuß gehen würde, wäre ich allen ein Klotz am Bein, also ließ ich mich von ihm tragen.

„Das ist das erste Mal, dass ich mit dir in den Wald gehe“, sagte Gil aufgeregt.

Ich nickte nur. Seit ich meine Lehre im Tempel angefangen hatte, war ich nicht mehr im Wald gewesen, weil ich Lutz, der die Waisenkinder anführen musste, nicht noch mehr zur Last fallen wollte. Diesmal war jemand dabei, der mich tragen konnte, und die Kleinen hatten sich schon an solche Ausflüge gewöhnt, deshalb durfte ich mitkommen.

„Lass uns wieder Taufrüchte sammeln und Äste abschneiden. Wir müssen noch Brennholz und Vorräte für den Winter kaufen.“

Die Wintervorbereitungen für eine vierköpfige Familie waren schon schwer genug, ich wollte gar nicht wissen, wie viel es das Waisenhaus kosten würde. Zwar musste ich nur für den Teil aufkommen, für den der göttliche Segen nicht reichte, aber ich hatte keine Ahnung, was auf mich zukommen würde. Wir hatten erst kürzlich angefangen, Brennholz zu sammeln, die dünnen Äste konnte man zwar direkt verwenden, aber die dickeren Holzstücke brauchten ein bis drei Jahre zum Trocknen, bis man sie schließlich verbrennen konnte, also mussten wir für diesen Winter das meiste Brennholz kaufen.

„Im Winter in der warmen Stube bleiben zu können und nicht verhungern zu müssen, ist wirklich das Beste. Aber wenn der Fluss zugefroren ist, können wir weder Papier herstellen noch in den Wald gehen. Was machen wir dann?“

Normalerweise waren die Kinder im Waisenhaus eingesperrt. Jetzt, da sie in den Wald gehen konnten, konnten sie das Waisenhaus regelmäßig verlassen, aber im Winter würden sie wieder eingepfercht sein. Gil schmollte gelangweilt.

„Ich lasse mir eine Winterhandarbeit einfallen, mit der ihr euch im Waisenhaus beschäftigen könnt.“

Tuuli und Mama hatten einen Vertrag mit Corinna, dass sie Haarschmuck anfertigen durften, aber die Waisenkinder hatten keine solche Vereinbarung. Ich brauchte also Ideen für andere Handarbeiten.

Im Wald angekommen, hatte ich nicht viel mehr zu tun, als auf die anderen zu warten. Während ich ein paar Holzstücke in der Nähe sammelte und mir reife Früchte, die ich gefunden hatte, in den Mund stopfte, kamen die anderen mit vier Taufrüchten zurück. Beim Sternenfest war eine große Menge mitgenommen worden und die wasserballonartigen Früchte zerplatzten schnell, wenn Tiere auf sie traten, weshalb kaum noch welche übriggeblieben waren.