Assassini - Thomas Gifford - E-Book
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Assassini E-Book

Thomas Gifford

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Beschreibung

Eine unglaubliche Verschwörung - eine uralte Bruderschaft - der Vatikan in Aufruhr!

Der Papst liegt im Sterben, und im Kampf um seine Nachfolge gehen machtgierige Kardinäle über Leichen. Doch Ben, ein Anwalt und früherer Jesuit, ist aus anderen Gründen in Rom: Ihm lässt der Tod seiner Schwester Valentine keine Ruhe. Die junge Nonne wurde beim Gebet ermordet. Bens Ermittlungen führen ihn in die Geheimarchive des Vatikans. Dort stößt er auf einen mörderischen Geheimbund aus der Zeit der Renaissance, der immer dann zum Einsatz kam, wenn alle anderen Mittel versagten. Sein Name: Assassini. Hat jemand diese dunkle Bruderschaft wieder zu blutigem Leben erweckt? Bens Nachforschungen bringen ihn selbst in tödliche Gefahr ...

Zehn Jahre vor Erscheinen von Dan Browns "Illuminati" hat Thomas Gifford einen Kirchenthriller vorgelegt, der das Genre maßgeblich geprägt hat: "Assassini" ist ein packender Verschwörungsthriller über eine jahrhundertealte Bruderschaft von Mördern und geheime Machenschaften der katholischen Kirche - spannende Unterhaltung für alle Fans von Dan Brown und Matilde Asensi!

Weitere Vatikanthriller bei beTHRILLED:

Matilde Asensi: Der verlorene Ursprung und Iacobus: Die Spur der Tempelritter.

Mario Giordano: Apocalypsis-Trilogie.

Kathleen McGowan: Die Magdalena-Serie.

Dominic Selwood: Das Gottessiegel und Das Feuer der Apokalypse.

Der Klassiker unter den Vatikanthrillern erstmals als eBook bei beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!



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Seitenzahl: 1298

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Widmung

Vorbemerkung des Verfassers

Prolog

Rom

Malibu

New York

Erster Teil: 1 DRISKILL †

2

3 DRISKILL †

4 DRISKILL † Schwester Elizabeth

5 DRISKILL †

6 DRISKILL †

Zweiter Teil: 1 Der Moralische.

2 DRISKILL †

3

4 DRISKILL †

5

Dritter Teil: 1 DRISKILL †

2

3 DRISKILL †

4

Vierter Teil: 1 DRISKILL †

2 DRISKILL †

3 DRISKILL †

Fünfter Teil: 1

2 DRISKILL †

3

4 DRISKILL †

5 DRISKILL †

6

7 DRISKILL †

Sechster Teil: 1 DRISKILL †

2 DRISKILL †

3 DRISKILL †

Ruhe in Frieden: I

Über dieses Buch

Eine unglaubliche Verschwörung – eine uralte Bruderschaft – der Vatikan in Aufruhr!

Der Papst liegt im Sterben, und im Kampf um seine Nachfolge gehen machtgierige Kardinäle über Leichen. Doch Ben, ein Anwalt und früherer Jesuit, ist aus anderen Gründen in Rom: Ihm lässt der Tod seiner Schwester Valentine keine Ruhe. Die junge Nonne wurde beim Gebet ermordet. Bens Ermittlungen führen ihn in die Geheimarchive des Vatikans. Dort stößt er auf einen mörderischen Geheimbund aus der Zeit der Renaissance, der immer dann zum Einsatz kam, wenn alle anderen Mittel versagten. Sein Name: Assassini. Hat jemand diese dunkle Bruderschaft wieder zu blutigem Leben erweckt? Bens Nachforschungen bringen ihn selbst in tödliche Gefahr …

Über den Autor

Thomas Gifford (1937 – 2000) war ein US-amerikanischer Schriftsteller, der mit seinen Kriminalromanen und Thrillern internationale Erfolge erzielte. Sein weltweiter Durchbruch gelang ihm mit dem Vatikanthriller ASSASSINI. Der englische Autor und Kulturkritiker C. P. Snow nannte ihn einen ”zeitgenössischen Abenteuerroman in Hochform”. Thomas Gifford verstarb am 31. Oktober 2000 in seiner Heimatstadt Dubuque, Iowa.

Thomas Gifford

Assassini

Vatikan-Thriller

Aus dem amerikanischen Englisch von Wolfgang Neuhaus unter Mitarbeit von Dörthe Emig

beTHRILLED

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1990 by Thomas Gifford and Boston Books, Inc.

Titel der amerikanischen Originalausgabe: „The Assassini“

Originalverlag: Boston Books, Inc.

This translation is published by arrangement with Bantam Books, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC

Für diese Ausgabe:

Copyright © 1991/2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Tanja Østlyngen unter Verwendung von Motiven © shutterstock/Dm_Cherry, © shutterstock/Eky Studio

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 978-3-7325-7724-8

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Elizabeth

Vorbemerkung des Verfassers

Neun Jahre an einem Buch zu schreiben und Recherchen anzustellen ist eine außerordentlich entmutigende Aufgabe. Zahlreiche Menschen, sowohl aus kirchlichen Kreisen als auch Laien, haben mir geholfen oder mir Steine in den Weg gelegt. Jeder von ihnen hatte zweifellos gute Gründe, das zu tun, was er oder sie für richtig hielt, mag es auf Selbstlosigkeit oder Missachtung zurückzuführen sein. Doch für jeden, der die Fertigstellung dieses Buches zu verhindern versucht hat, gab es sehr viele andere, die ihre Zeit, ihre Kraft und ihre Kenntnisse gegeben haben, mir zu helfen. Diese Leute wissen, wer sie sind und was: gleichermaßen Helden und Schurken. Drei Menschen jedoch waren unentbehrlich:

Charles Hartman, der meine Arbeit in jeder Hinsicht gefördert hat. Ohne ihn wäre dieses Buch nicht erschienen. Er war eine Quelle ständiger Ermutigung; er war unermüdlich, als ich mit meinem Latein am Ende war; in den finstersten Zeiten, als die Hindernisse unüberwindbar schienen, hat er mich nicht im Stich gelassen.

Kathy Robbins, die sich mit diplomatischem Geschick, Feingefühl und Klugheit den Weg durch einen unglaublich dichten Dschungel aus Emotionen, bürokratischen Hindernissen und sich widersprechenden Zielen und Interessen gebahnt hat. Fast neun Jahre lang erschlug sie einen Drachen nach dem anderen, selbst dann, als die Drachen auf der Siegerstraße zu sein schienen.

Beverly Lewis schloss sich uns an, als die Schwierigkeiten ihren Höhepunkt erreicht hatten, um mitzuhelfen, sie mit der wachen Intelligenz und Entschlossenheit eines Jesuiten zu bereinigen.

Ihre Fähigkeiten als Lektorin werden nur von einer Eigenschaft übertroffen, welche die wirklich großen Lektoren vom Rest unterscheidet – ihre Achtung vor den und ihr Verständnis für die Intentionen des Autors.

Was immer Ihnen an diesem Buch nicht gefallen mag – geben Sie mir die Schuld; was immer Ihnen gefällt, haben Sie diesen dreien und mir zu verdanken.

Thomas GiffordLondon

Prolog

Oktober 1982New York City

Er sah wie ein großer schwarzer Raubvogel aus, der hinabstößt auf silbern schimmerndes Eis. Es war ein älterer Herr. Er war ein sehr guter Schlittschuhläufer.

Es bereitete ihm Vergnügen, das Zischen der Kufen zu hören, wenn sie saubere, präzise Muster ins Eis schnitten; er genoss es, die frische herbstliche Brise auf seinem Gesicht zu spüren. Seine Sinne waren außergewöhnlich wach und geschärft, wie immer an so wichtigen Tagen. Die Aufgabe, die vor ihm lag, belebte ihn auf einzigartige Weise: An Tagen wie diesem war er eins mit seiner Bestimmung, eins mit seinem Gott. An solchen Tagen wurde ihm der Sinn der Existenz des Herrn offenbar.

Und auch der Blick auf das Diesseits wurde klarer. Alles Irdische verlor sein Geheimnis. An solchen Tagen verstand er. Der Morgennebel hatte sich aufgelöst, und die Sonnenstrahlen fielen zwischen den weißen Wolkenbergen hindurch. Die Türme des Rockefeller Center ragten über ihm auf, und der Takt der Musik, die aus den Lautsprechern drang, bestimmte die Geschwindigkeit seines Dahingleitens; er konnte sich vollkommen in die Anmut und Kraft seiner Schritte versinken lassen, konnte mit ihrer Hilfe beinahe durch die Zeit in seine eigene Vergangenheit reisen.

Das Schlittschuhlaufen hatte er als Junge auf den gefrorenen Grachten Den Haags gelernt. Die tristen Häuser, die verschneiten Parks, der bleierne Himmel mit den schweren dunklen Wolken, der düster und drohend über der alten Stadt und den Deichen und den Windmühlen lastete: All diese Eindrücke hatten sich mit der eigentümlichen Beharrlichkeit, die Kindheitserinnerungen innewohnt, tief in sein Gedächtnis eingegraben; es waren Dinge, die man niemals vergaß. Es spielte keine Rolle, dass in dieser alten niederländischen Stadt die meisten Windmühlen längst schon verschwunden waren. In seiner Erinnerung gab es sie noch und würde es sie immer geben, diese uralten Mühlen, deren Flügel sich langsam im Wind drehten. Das Bild der behäbig rotierenden Windmühlenflügel und das scharfe, zischende Geräusch der Schlittschuhkufen hatten schon von jeher eine beruhigende Wirkung auf ihn ausgeübt. An einem Tag wie heute, wenn eine wichtige Aufgabe vor ihm lag, bereitete er sich immer durch körperliche und geistige Entspannung darauf vor. Eine jüngere Generation mochte es als Meditation bezeichnen, aber es lief im Grunde auf das Gleiche hinaus: Man will eine Bewusstseinsebene so tiefer, vollkommener Konzentration erreichen, dass man darüber vergisst, diesen Zustand willentlich angestrebt zu haben. Er war nun fast so weit. Das Schlittschuhlaufen brachte ihn diesem Ziel näher und näher. Bald würde er zu existieren aufhören, würde sich in ein einziges, allsehendes Auge verwandeln, dem nichts entgehen konnte; in eine allbewusste Wesenheit, die fähig war, eins zu sein mit ihrer Aufgabe und mit Gottes Ratschlüssen. Bald. Sehr bald.

Er trug einen schwarzen Anzug mit Priesterkragen und einen schwarzen Regenmantel, der wie ein Umhang hinter ihm her flatterte, während er sich geschickt und anmutig durch die Menge der anderen Läufer bewegte, größtenteils Teenager. Der Gedanke, dass der wehende schwarze Mantel ihm ein befremdliches, ja bedrohliches Aussehen verleihen könnte, war ihm nie gekommen. In solchen Kategorien dachte er nicht. Das war ihm zu banal. Er war Geistlicher. Er war die Kirche. Er besaß ein außergewöhnlich gewinnendes, freundliches Lächeln. Er verkörperte das Gute; man brauchte ihn nicht zu fürchten. Dennoch neigten die meisten der anderen Schlittschuhläufer dazu, ihm auszuweichen; sie betrachteten ihn beinahe verstohlen, als befürchteten sie, er könnte auf den Grund ihrer Seele blicken. Ein größerer Irrtum hätte ihnen nicht unterlaufen können.

Er war hochgewachsen, mit gewelltem weißem Haar, das er aus der hohen, geraden Stirn straff nach hinten gekämmt hatte. Sein Gesicht war schmal, die Nase lang, der Mund breit und dünnlippig. Es war ein Gesicht, auf dem sich tiefe Erfahrung spiegelte, ein duldsames Gesicht, wie das eines gestandenen Landarztes, der das Leben zu begreifen gelernt hatte und den Tod nicht mehr fürchtete. Seine Haut war von einer fast durchscheinenden Blässe, geboren in einem langen, priesterlichen, abgeschiedenen Leben, das er größtenteils in dämmrigen Kapellen und Klosterzellen verbracht hatte. Eine Blässe, geboren in endlosen Stunden des Betens. Er trug eine schlichte Brille mit stählerner Fassung. Das Schlittschuhlaufen, die innere Versenkung zauberten ein leichtes Lächeln auf seine dünnen Lippen. Er war schlank und noch immer sehr gut in Form. Er war siebzig Jahre alt.

Während er über das Eis glitt, hielt er die Arme vorgestreckt und die Hände geöffnet, als würde er mit einer unsichtbaren Partnerin tanzen. Er trug hautenge schwarze Lederhandschuhe. Aus den Lautsprechern drang Musik von einer zerkratzten Schallplatte. Eine Mädchenstimme sang ein Lied aus einem Film, den er während des Fluges mit der 747 der Alitalia hierher nach New York gesehen hatte.

Er kurvte elegant zwischen den Gruppen von Kindern hindurch, die sich unbeholfen auf dem Eis bewegten, und zwischen den hübschen jungen Mädchen in engen Jeans mit langem, wehendem Haar und strammen Hinterteilen. Mädchen in einem gewissen Alter hatten ihn immer an herumtollende, übermütige Fohlen erinnert. Er hatte noch nie eine nackte Frau gesehen. Er hatte an derlei Dinge ohnehin kaum jemals einen Gedanken verschwendet.

Er streckte ein Bein leicht vor und glitt auf nur einer Kufe dahin, wechselte geschickt auf das andere Bein, hielt mit vorgestreckten Armen das Gleichgewicht, während er saubere, präzise Kreise zog; seine Augen waren zu Schlitzen verengt, sein Gesicht zeigte den Ausdruck äußerster Konzentration, als blicke er ins Herz der Zeit, während sein Körper über das schimmernde Eis dahinflog, vorangetrieben durch die Kraft der Erinnerung. Seine Augen waren starr nach vorn gerichtet und schienen in weite Fernen zu blicken. Sie waren eisblau, klar wie Kristall und von unergründlicher Tiefe wie stille Seen hoch oben in den Bergen. Keinerlei Regung spiegelte sich darin wider. Seine Augen nahmen jetzt kaum noch Anteil an dem, was um ihn herum geschah.

Ein paar Mädchen flüsterten miteinander und kicherten leise, während sie den alten Mann im schwarzen Priestergewand beobachteten, der in der bunten Menge so ernst, so asketisch und feierlich wirkte; dennoch lag ein Hauch von Respekt in den Augen seiner heimlichen Zuschauer, ein Respekt, der seinen Schlittschuhkünsten galt, der Kraft und Eleganz seiner Bewegungen.

Er aber nahm kaum Notiz von den Menschen. Er war zu sehr damit beschäftigt, über den vor ihm liegenden Tag nachzudenken.

Plötzlich stürzte vor ihm ein hübsches junges Mädchen von etwa vierzehn Jahren aufs Eis und blieb auf dem Hosenboden sitzen, dem Gelächter ihrer Freundinnen preisgegeben. Sie schüttelte zornig den Kopf, dass ihr Pferdeschwanz flog.

Er glitt heran, griff ihr von hinten unter die Arme und stellte sie in einer glatten, fließenden Bewegung auf die Beine, ohne im Laufen innezuhalten. Er sah den Ausdruck der Verblüffung auf ihrem Gesicht, als er wie ein mächtiger schwarzer Rabe an ihr vorüberhuschte. Dann legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen, und sie rief ihm ein Dankeschön hinterher. Er nickte ihr ernst über die Schulter zu.

Kurz darauf blickte er auf die Uhr. Er verließ die Eisfläche, gab die geliehenen Schlittschuhe zurück und ließ sich an der Gepäckaufbewahrung seine Aktentasche aushändigen. Sein Atem ging schwer, doch er fühlte sich entspannt und gelöst.

Er stieg die Treppe hinauf, die aus dem Eisstadion führte. Er kaufte sich eine heiße Brezel, strich ein bisschen Senf darauf und aß sie im Stehen, langsam und methodisch; dann warf er die Papierserviette in einen Mülleimer. Er ging die Ladenzeile zur Fifth Avenue entlang, überquerte die Straße, hielt inne und blickte zur St. Patrick’s Cathedral auf. Er war kein sentimentaler Mensch, aber der Anblick großer Kirchenbauten – insbesondere einer vergleichsweise jungen Kirche wie dieser – bewegte unweigerlich etwas in ihm. Er hatte gehofft, noch die Zeit zu finden, in St. Patrick’s ein Gebet zu sprechen, aber das Schlittschuhlaufen hatte zu viel Zeit in Anspruch genommen; außerdem konnte er in seinem Herzen beten.

Er war von weit her gekommen, um seine Verabredung einzuhalten.

Es war Zeit, sich auf den Weg zu machen.

Rom

Der Mann im Bett schaute dem Fußballspiel nicht zu, das auf dem Bildschirm des Fernsehers flimmerte. Einer seiner Sekretäre hatte eine Kassette mit der Aufzeichnung des Spiels in den Videorecorder eingeschoben, das Gerät eingeschaltet und sich zurückgezogen, aber der Mann im Bett hatte in letzter Zeit das Interesse am Fußball verloren. Wenn er überhaupt einmal daran dachte, dann in Form verblasster Erinnerungen an Spiele, für die er sich als junger Bursche vor vielen, vielen Jahren in Turin begeistert hatte. Was die Aufzeichnung auf der Kassette betraf, die erst vor kurzem per Kurier aus São Paulo geschickt worden war – sie interessierte ihn einen feuchten Kehricht. Der Weltpokal der Vereinsmannschaften spielte in seinen Plänen weiß Gott keine Rolle mehr.

Der Mann im Bett dachte an seinen baldigen Tod – aber mit jener Fähigkeit zur Distanz und Objektivität, die ihm sein Leben lang so dienlich gewesen war. Als junger Mann hatte er es gar so weit gebracht, von sich selbst in der dritten Person denken zu können: als Salvatore di Mona. Ein Teil seines Ichs hatte damals, gewissermaßen als außenstehender Beobachter, mit erstauntem Lächeln Salvatore di Monas ehrgeizigen, unaufhaltsamen Aufstieg in der kirchlichen Rangordnung verfolgt, hatte anerkennend genickt, als Salvatore di Mona Bündnisse mit mächtigen Männern aus Politik und Wirtschaft geschmiedet hatte, und war Zeuge gewesen, wie Salvatore di Mona schließlich den höchsten Gipfel der kirchlichen Hierarchie erklommen hatte, damals, als Salvatore di Monas Existenz gewissermaßen erlosch: Als er den Namen Calixtus angenommen hatte und Oberhirte der katholischen Kirche geworden war, Statthalter Christi auf Erden, der Heilige Vater – Papst Calixtus IV.

Acht Jahre war er nun schon Oberhaupt der Christenheit. Er war weder ein sonderlich genügsamer Mensch noch ein durchgeistigter Theologe, aber er war ein außerordentlich geschickter Praktiker, der zudem immer eine glückliche Hand bewiesen hatte. Für den übertriebenen, pompösen Hokuspokus, der mit seinem hohen Amt einherging, hatte er nicht viel übrig; seine Karriere hatte er schon immer wie die eines erfolgreichen Managers betrachtet, der zum Aufsichtsratsvorsitzenden eines multinationalen Konzerns aufgestiegen war.

Natürlich entsprach es den Tatsachen, dass auf dem Planeten Erde nur der Kaiser von Japan ein älteres Amt innehatte als er selbst, und Calixtus war sich seiner päpstlichen Würde durchaus bewusst, aber er hatte zum Beispiel nie daran geglaubt, dass Gott wahrhaftig und buchstäblich seinem Willen durch die Worte, Schriften und Taten jenes Mannes Ausdruck verlieh, der einst Sal di Mona gewesen war, ältester Sohn eines wohlhabenden Turiner Fiat-Händlers. Nein, Mystizismus war ›nicht seine Tasse Tee‹, wie Monsignore Knox es einmal auf seine charmante englische Art ausgedrückt hatte.

Calixtus IV. war ein praktischer Mann, kein Mann der verwickelten Intrigen. Dafür zu sorgen, vom Konklave der Kardinäle zum Papst gewählt zu werden, hatte nur eine vergleichsweise simple, ja plumpe Transaktion erfordert, die aber keinen Zweifel am Erfolg ließ: Mit Hilfe des einflussreichen amerikanischen Laien Curtis Lockhardt waren große Geldsummen nach einem ausgeklügelten System unter bestimmten Kardinälen aufgeteilt worden. Salvatore Kardinal di Mona hatte auf diese Weise einen geschlossenen Block sicherer Wähler unter Führung Kardinal D’Ambrizzis gegossen. Mit Geldern zu arbeiten – Bestechungsgeldern, um der Sache den richtigen Namen zu geben – war eine alte Tradition, die schon mehr als einem ehrgeizigen papabile geholfen hatte, sein Ziel zu erreichen. Seit er Papst geworden war, hatte er allerdings versucht, das Verschwörertum und die Pfuscherei und die Verleumdungen und die Heimlichtuerei in der Kurie zu ersticken, so gut es ihm möglich war. Aber er musste zugeben, dass er in einer stickigen Treibhausgemeinschaft wie der des Vatikans in diesem Kampf auf verlorenem Posten stand. Man konnte die menschliche Natur nicht ändern; ganz bestimmt nicht in einem Palast mit mindestens tausend Zimmern. Calixtus war es nie gelungen, genaue Zahlen zu erfahren, aber das spielte auch keine Rolle: Die offensichtliche Realität war schlichtweg die, dass sich in einigen dieser tausend Zimmer immer und unvermeidlicherweise irgendjemand befand, der nichts Gutes im Schilde führte. Über die Jahre hinweg hatte es sehr an seinen Kräften gezehrt, ständig wenigstens den Anschein zu erwecken, die Intrigen und Machenschaften der Kurie in Grenzen halten zu wollen. Dennoch war dieses Unterfangen fast genauso oft erheiternd wie enttäuschend gewesen. Jetzt aber war es ganz und gar nicht mehr erheiternd.

Das Bett, auf dem er lag – einst die Ruhestätte des Borgia-Papstes Alexander VI. – war ein prunkvolles Stück, über dessen lange, wechselhafte Geschichte nachzudenken Calixtus stilles Vergnügen bereitete. Alexander VI. hatte dieses Bett zweifellos zu besseren, vergnüglicheren Zwecken benutzt, als er es getan hatte, aber so, wie die Dinge lagen, würde er, Calixtus, immerhin in diesem Bett sterben. Die übrigen Einrichtungsgegenstände des päpstlichen Schlafgemachs konnten nur als chaotisches apostolisches Sammelsurium bezeichnet werden – einige schwedische Möbel jüngeren Datums, die einst im Besitz Pauls VI. gewesen waren; ein Fernseher und ein Videorecorder; riesige gotische Bücherschränke mit gläsernen Türen, die einst Pius’ XII. umfangreiche Sammlung von Nachschlagewerken beherbergt hatten; Tische und Stühle und ein Schreibtisch sowie ein Betschemel, der in einer Vorratskammer aufgestöbert worden war, bedeckt vom Staub zweier oder dreier Jahrhunderte. Es war eine seltsame Umgebung, doch in den vergangenen acht Jahren hatte Calixtus sie sein Heim genannt. Als er dies alles jetzt mit mürrischem Blick betrachtete, empfand er eine gewisse Erleichterung, dass er diesen Kram nicht mit dorthin nehmen musste, wo er bald ein neues Heim finden würde.

Langsam schwang er die Beine über die Bettkante und schob die nackten Füße in die Gucci-Slipper. Er erhob sich, schwankte leicht, hielt sich jedoch mit Hilfe eines Gehstocks mit Goldknauf auf den Beinen, den ein afrikanischer Kardinal ihm in weiser Voraussicht vor einem Jahr zum Geschenk gemacht hatte. Er war nicht sicher, welche seiner beiden Krankheiten für welche Symptome verantwortlich waren, aber die Benommenheit führte er eindeutig auf den Hirntumor zurück. Inoperabel, selbstverständlich. Soviel er den Diagnosen der altersschwachen, tatterigen, vatikanerprobten Knochensäger, die ihn behandelten, entnehmen konnte, würde es ein Fotofinish um die Entscheidung geben, welches seiner beiden erkrankten Organe ihn schließlich ins Jenseits befördern durfte: das Herz oder das Hirn. Was Calixtus betraf, war es ihm vollkommen gleichgültig.

Doch in der Zeit, die ihm verblieb, mussten noch einige Dinge erledigt werden.

Wer wurde sein Nachfolger?

Und was konnte er tun, um diesen Nachfolger zu bestimmen?

Malibu

Schwester Valentine weinte; der Tränenstrom schien nicht versiegen zu wollen, und das widerte sie an. Sie hatte in ihrem Leben schon einige leichtsinnige Dinge getan; sie hatte die Gefahr gesucht und mehr als genug davon gefunden, und sie hatte gelernt, was es heißt, Angst zu haben, wirkliche Angst. Doch es war jene Angst gewesen, die sich aus einer bestimmten Situation ergab; eine spontane, plötzliche Angst, die jeder von Valentines damaligen Freunden und Kollegen gekannt hatte: die Angst, auf einer einsamen Landstraße von einer Gewehrkugel getroffen zu werden, zum Beispiel; die Angst, einer der Todesschwadronen in die Hände zu fallen, die Angst, dass Regierungstruppen oder Guerillas aus dem Hügelland hervorbrachen auf der Suche nach Beute, Kampf, Blut. In einigen Ländern der Erde gehörte diese Angst zum täglichen Leben. Valentine hatte gelernt, mit dieser Angst zu leben; sie hatte gewusst, welche Gefahren in El Salvador auf sie zukommen würden, sie hatte gewusst, dass sie diese Angst kennenlernen würde, und dennoch war sie in ihrem Entschluss, nach Mittelamerika zu gehen, nicht wankend geworden.

Die Angst aber, die sie jetzt verspürte, war ganz anderer Natur: Sie attackierte wie ein gierig wucherndes Krebsgeschwür ihren Willen, ihr Nervensystem. Diese Angst wurzelte in ferner Vergangenheit, doch sie lebte noch immer, hatte sich auf die Suche nach einem Opfer begeben und hatte sie, Valentine, auserwählt. Und nun trat Schwester Valentine bald die Heimreise nach Princeton an, weil sie diese bohrende Angst nicht mehr allein ertragen konnte. Ben würde wissen, was zu tun war. Irgendwie hatte er immer einen Ausweg gewusst.

Aber erst einmal musste sie jetzt aufhören, zu weinen und zu zittern und sich wie eine Verrückte aufzuführen.

Sie stand am Rand des Innenhofs; ihre Zehen versanken im feuchten Gras, und sie blickte hinauf zum silbernen, narbigen Antlitz des Mondes am schwarzblauen Himmel. Wolkenfetzen zogen daran vorüber; es war ein Bild, das sie an die Hülle einer Schallplatte erinnerte, die sie als Kind besessen hatte: die Mondschein-Serenade. Das Geräusch der Brandung an der Küste Malibus drang von tief unten an ihre Ohren, wurde über den Rand der Felsklippen hinaufgetragen vom Wind, der vom Meer herüberwehte und ihre nackten Beine umschmeichelte. Valentine wischte sich mit dem Ärmel ihrer Robe über die Augen, zog sie straff und ging dann über den Rasen zum weißen Zaun hinüber, der am Rand der Klippe entlang verlief. Sie blickte hinunter auf die schäumende Brandung, die gegen die Felsen anrannte, gischtend und breit auffächernd, dann zurückflutete und wieder anstürmte. Einige einsame Topplichter von Ozeandampfern wanderten weit draußen auf der pazifischen Küstenstraße langsam vorüber. In der Ferne, getrübt durch den Dunst, schimmerten schwach die Lichter Malibus. Nebelschwaden zogen aufs Meer hinaus.

Sie ging am Zaun entlang, bis sie die Stelle erreichte, an der sie die abklingende Hitze der Kohlen spürte, über denen sie und Curtis als spätes Abendessen Seebarsch gegrillt hatten. Nur sie beide, eine Flasche Roederer Cristal und Seebarsch und heißes, knuspriges Sauerteigbrot. Eine Mahlzeit, begleitet von den gleichen Gesprächen, die sie beide während der letzten anderthalb Jahre schon in Rom, Paris, New York und Los Angeles geführt hatten. Valentine fühlte sich Curtis ausgeliefert wie ein Wellenbrecher, welcher der Flut keinen Widerstand entgegenzusetzen vermag, aber sie kämpfte darum, dass die Dämme nicht brachen; sie war noch nicht bereit, sich vom Ansturm zerschmettern zu lassen. Aber, in Gottes Namen, sie wollte sich seinem Drängen nicht länger entgegenstemmen, sie wollte sich ihm hingeben und nicht der Kirche, aber sie konnte es nicht. Noch nicht. Noch nicht ganz. Verdammt. Sie weinte schon wieder.

Valentine wandte sich um und ging zu dem ausgedehnten Landsitz zurück, am Swimmingpool und am Tennisplatz vorüber, überquerte den mit steinernen Platten ausgelegten Innenhof, hielt vor der großen gläsernen Wand mit der Schiebetür inne und blickte hindurch auf das Bett. Vor einer Stunde hatten sie sich in diesem Bett geliebt.

Curtis Lockhardt war ein großer, kräftiger, entschlossener Mann mit dem Gesicht einer gutmütigen Bulldogge. Sein graues Haar war kurz geschnitten und stets sorgfältig frisiert. Er trug einen dunkelblauen Pyjama mit weißer Paspelierung und dem Monogramm CL auf der Brusttasche. Sein rechter Arm lag ausgestreckt auf dem Bett, dort, wo sie vorhin gelegen hatte. Er schlief. Sie wusste so viel über ihn, mehr, als sie jemals über ihren Beruf wissen würde. Aber sie war schließlich schon immer eine unkonventionelle Ordensschwester gewesen. Genauer gesagt war sie als Nonne ein verdammtes Ärgernis. Für die Kirche, für ihren Orden. Sie wusste, was richtig war, und sie wusste, was falsch war, und sehr oft hatten ihre Ansichten in krassem Widerspruch zu denen der Kirche gestanden. Sie war ihren eigenen Weg gegangen und hatte die Kirche gezwungen, etwas dagegen zu unternehmen. Sie war an die Öffentlichkeit getreten; sie hatte zwei Bestseller geschrieben; sie war in den Augen vieler Menschen eine Art Heldenfigur, und ihre Publicity hatte ihr Schutz und Sicherheit gewährt. Sie hatte es gewagt, die Kirche herauszufordern, hatte sie zum Bekenntnis zwingen wollen, dass sie zu kleinlich, zu engstirnig, zu niederträchtig, zu schäbig und zu geizig sei – und die Kirche hatte klein beigegeben. Valentine hatte sich selbst zu einem unentbehrlichen Mittelstück in der riesigen Fassade der römisch-katholischen Kirche gemacht, und sie dort herauszumeißeln war die einzige Möglichkeit, sie jemals wieder loszuwerden.

Aber alles das war geschehen, bevor Valentine jene Nachforschungen aufgenommen hatte, die sie seit nunmehr zwölf Monaten beschäftigten. Jetzt, dachte sie mit bitterer Ironie, wischte sich erneut über die Augen und zog die Nase hoch, stellte sich heraus, dass all die damaligen Auseinandersetzungen nur eine Art Aufwärmen gewesen waren. Andererseits hätte sie sich nicht besser auf dieses zurückliegende Jahr vorbereiten können, auf die im Zuge ihrer Recherchen ständig gewachsene Angst. Sie hatte geglaubt, das Böse in all seinen Formen und Verkleidungen zu kennen – und auch ziemlich viel Gutes. Aber sie hatte sich geirrt. Sie hatte rein gar nichts über Gut und Böse gewusst, aber, bei Gott, sie hatte viel darüber gelernt.

Vor achtzehn Monaten hatte Curtis Lockhardt ihr gesagt, dass er sie liebe. Sie waren in Rom gewesen, dem Ausgangspunkt der Recherchen für ihr neues Buch, das die Rolle der Kirche im Zweiten Weltkrieg behandeln sollte. Curtis war in den Vatikan gerufen worden, weil man seine Hilfe brauchte, um den ausufernden Skandal um die Vatikan-Bank zu vertuschen, der geradezu unglaubliche Delikte umfasste, über Erpressung, Unterschlagung, Betrug bis hin zum Mord. Lockhardt war einer der wenigen Laien, den die Kirche – in diesem Falle Calixtus IV. – in extremen Krisensituationen zu Rate zog. Die meisten Laien konnten sich nicht einmal vorstellen, welch eiserne Härte und Rücksichtslosigkeit erforderlich waren, um einen so vielarmigen Polypen wie die Kirche unter Kontrolle zu halten. Lockhardt besaß diese Fähigkeit: Er hatte seine Karriere auf genau jene Eigenschaften gegründet, die dazu notwendig waren, während er andererseits ein höchst sympathischer, charmanter und frommer Mann geblieben war. Lockhardt war dem Mittelpunkt des Mittelpunkts der Kirche innerhalb der Kirche sehr nahe, wie Calixtus es gern auszudrücken pflegte.

Valentine kannte Lockhardt schon ihr Leben lang. Als sie vor dreißig Jahren noch Val Driskill gewesen war, die als Zehnjährige auf dem Rasen vor dem Haus der Eltern in ihrem Badeanzug unter den rotierenden Wasserstrahlen der Berieselungsanlage herumtollte, war Lockhardt ein junger Anwalt und Banker gewesen, der sich der Wertschätzung sowohl der Rockefellers als auch der Chase Manhattan Bank erfreute. Er hatte das Haus der Driskills in Princeton häufig besucht, um mit Vals Vater finanzielle und kirchliche Dinge zu besprechen. Während Val, die gebräunte Haut nass glitzernd im Sonnenlicht, herumhüpfte und tollte und lachte, bemüht, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, hatte sie das Eis in den Gläsern klirren hören und Vater und Lockhardt aus dem Augenwinkel in weißen Korbstühlen auf der Veranda sitzen sehen. »Mit zehn warst du eine bezaubernde Elfe«, hatte Curtis ihr damals in jener Nacht in Rom gesagt. »Und mit fünfzehn warst du ein reizendes, temperamentvolles junges Mädchen. Hättest mich beinahe beim Tennis geschlagen.«

»Weil du nur Augen für mich hattest und nicht für den Ball.« Sie grinste ihn an, in Erinnerungen versunken. O ja, sie hatte schon damals sehr wohl gewusst, dass er sie begehrenswert fand, wie sie mit wehendem Rock über den Tennisplatz rannte, während der kühle Wind den Schweiß auf ihrem Gesicht trocknete, bis sie die kleinen salzigen Kristalle auf der Stirn spüren konnte, wenn sie mit der Hand darüberstrich. Sie hatte Lockhardt gern gehabt, bewundert. Sein Einfluss hatte sie fasziniert – ein Laie, der die Macht besaß, hohe Geistliche nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Er war damals fünfunddreißig gewesen, und sie hatte sich gefragt, warum er noch nicht verheiratet war.

»Als du zwanzig warst, hatte ich eine Heidenangst vor dir. Angst vor deiner Ausstrahlung, der Wirkung, die du auf mich gehabt hast – jedes Mal, wenn ich dir begegnet bin. Ich kam mir wie ein großer Dummkopf vor. Und dann ... kannst du dich noch an den Tag erinnern, als ich dich zum Abendessen ins Plaza ausgeführt habe? Und als du mir gesagt hast, wie deine Pläne für die Zukunft aussehen – erinnerst du dich? An den Tag, als du mir gesagt hast, dass du dem Orden beitreten wolltest? Mein Herz hätte fast einen Auerbachsalto geschlagen. Ich kam mir wie ein zurückgewiesener Liebhaber vor – und dabei war ich mir über die Lage völlig im Klaren, ich meine, ich habe dich als Mädchen betrachtet, als Hugh Driskills Tochter, als Kind, nicht als mögliche Geliebte ...

Aber, um ehrlich zu sein – ich war natürlich nicht bei klarem Verstand. Ich war verliebt. Und ich bin verliebt geblieben, Val. Ich habe dich nie aus den Augen verloren, habe deine Karriere verfolgt, und als du nach Los Angeles gekommen bist, wusste ich sofort, dass ich dich wiedersehen musste.« Er zuckte jungenhaft die Achseln, und sein Alter schien plötzlich wie eine Kruste von ihm abzufallen. »Der Nachteil war nur, dass ich nun in eine Ordensschwester verliebt war, aber das Gute an der Sache war, dass das Warten sich gelohnt hatte.«

Ihre Romanze hatte in jener Nacht in Rom begonnen, in Curtis’ Apartment hoch über der Via Veneto. In dieser Nacht war er zu einem Feldzug aufgebrochen mit dem Ziel, sie zu überreden, aus dem Orden auszutreten und ihn zu heiraten. Val dazu zu bringen, ihr Gelübde zu brechen – mit ihm ins Bett zu gehen – war eine rasch gewonnene Schlacht dieses Feldzugs gewesen. Ihr Gelübde hatte Val schon immer als aufgezwungene Bürde ihres Berufs betrachtet, als notwendiges Übel, als Preis, den sie für die Möglichkeit zahlen musste, der Kirche dienen zu dürfen, um den Menschen mit deren gewaltigem Machtapparat zu helfen. Aber den Orden zu verlassen, ganz aus dem Rahmen herauszutreten, in den sie ihr Leben eingefügt hatte – das war für sie noch immer undenkbar.

Und heute, vor einer Stunde erst, war es wegen ihrer beiderseitigen Enttäuschung zum Streit gekommen. Beide hatten sich Unfähigkeit vorgeworfen, den Standpunkt des anderen zu verstehen. Aber die Liebe zueinander hatte noch immer Bestand und würde immer Bestand haben, und so, endlich, hatten sie Trost in der Leidenschaft gefunden. Und dann hatte er geschlafen und sie gewacht, bis sie leise aus dem Bett gestiegen und nach draußen gegangen war, um nachzudenken. Um mit den Gedanken allein zu sein, die sie ihm nicht anzuvertrauen wagte.

Ein Stück voraus sah sie das Flattern von Flügeln, schemenhaft im Dunkel der Nacht und den Nebelfetzen, und dann stieß eine Möwe herab und landete auf den steinernen Platten des Innenhofs. Sie stolzierte ein paar Schritte herum, beäugte sich in der gläsernen Wand und hob dann die Flügel, als würde ihr Spiegelbild sie ängstigen. Val glaubte genau zu wissen, was das Tier empfand.

Spiegelbilder. Sie musste an ihre beste Freundin denken, Schwester Elizabeth in Rom, in deren Persönlichkeit Val gewisse Spiegelungen ihrer selbst gesehen hatte. Auch Elizabeth war Amerikanerin, einige Jahre jünger als Val, aber ungeheuer klug, verständig und scharfsinnig. Elizabeth war ebenfalls eine Ordensschwester mit modernen Ansichten, eine Nonne, die ihre Arbeit so tat, wie sie es für richtig hielt; aber sie war keine Unruhestifterin wie Val. Sie hatten sich in Georgetown kennengelernt, als Schwester Valentine an ihrer Dissertation arbeitete und Schwester Elizabeth eine aufgeschlossene, heitere, sehr junge Anwärterin auf den Magistergrad gewesen war. Sie hatten ein Band der Freundschaft geschmiedet, das seit nunmehr zehn Jahren bestand, einer Dekade extremer innerkirchlicher Spannungen. Und in Rom war es damals Schwester Elizabeth gewesen, die Val geraten hatte, Lockhardts Heiratsantrag gründlich zu überdenken. Elizabeth hatte sich geduldig die ganze Geschichte angehört, bevor sie sich äußerte.

»Du musst improvisieren. Gemäß dem Motto: der Situation angepasste Moral«, sagte sie schließlich. »Falls du diesen Vorschlag als Haarspalterei betrachten solltest, dann schreibe ihn meinem grundsätzlich jesuitischen Naturell zu. Denke an dein Gelübde, aber überdenke es auch – du bist keine Gefangene, weißt du. Niemand hat dich in eine Klosterzelle eingeschlossen und den Schlüssel weggeworfen, damit du in deiner Zelle verrottest.«

Ein guter Rat, und wenn Elizabeth jetzt in Malibu gewesen wäre, hätte sie gewiss noch mehr gute Ratschläge parat gehabt. Nur – welche?

»Wenn du weiter mit ihm schlafen möchtest, Val«, hatte sie gesagt, »musst du aus dem Orden austreten. Der Weg, den du jetzt gehst, hat kein Ziel. Vielleicht hältst du das für Prinzipienreiterei, aber sieh den Tatsachen ins Gesicht. Es ist keine bloße Formsache. Du hast ein Gelübde abgelegt. Jeder kann sich mal einen Ausrutscher erlauben. Aber Ausrutscher dürfen nicht zur Gewohnheit werden. Das geht nicht. Das wäre dumm und unehrenhaft. Du weißt es, und ich weiß es, und der da oben weiß es auch.«

Als sie sich jetzt an die Bestimmtheit erinnerte, mit der Schwester Elizabeth dies gesagt hatte, überkam sie wieder ein Gefühl der Leere und der Angst. Und die Furcht verdrängte alle anderen Empfindungen.

Alles hatte mit den Recherchen für das Buch angefangen. Das gottverdammte Buch! Wäre sie doch nie auf die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben. Aber jetzt war es zu spät, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Jetzt war es passiert. Jetzt war die Angst ihr ständiger Begleiter, die Angst, die sie zuerst zurück in die Staaten getrieben hatte und die sie nun nach Hause, nach Princeton, führen würde. Es war diese Angst gewesen, die sie so zögerlich in allen Entscheidungen hatte werden lassen – was Curtis und die Liebe und die Frage betraf, im Orden zu bleiben oder nicht ... Man konnte einfach keinen klaren Gedanken mehr fassen, wenn man so sehr von Angst erfüllt war. Sie hatte sich bei ihren Nachforschungen zu weit vorgewagt, hatte tiefer und tiefer gebohrt, und das noch zu einem Zeitpunkt, als sie schon längst hätte erkannt haben müssen, dass es besser gewesen wäre, die Recherchen auf der Stelle abzubrechen, die Finger von der Sache zu lassen, nach Hause zu reisen. Was sie bereits herausgefunden hatte, hätte sie in ihrem Innern verschließen sollen; sie hätte sich um ihr eigenes Leben kümmern sollen, um Curtis.

Und sie fürchtete nicht nur um sich selbst. Eine noch viel größere, tiefere Angst überschüttete alles andere: die Angst um die Kirche.

Sie war mit der Absicht nach Amerika zurückgekehrt, Curtis all das anzuvertrauen. Aber irgendetwas hatte sie davor gewarnt, hatte ihr gesagt: Lass es bleiben; irgendetwas, das sie nicht genau erkennen konnte. Sie hatte eine wahre Höllenmaschine entdeckt, eine Bombe, deren Zeitzünder schon sehr, sehr lange tickte. Entweder wusste auch Curtis Lockhardt um dieses infernalische Instrument der Zerstörung, war vielleicht sogar – Gott stehe ihm bei – ein Teil davon, oder er wusste nichts darüber. Nein, sie konnte es ihm nicht sagen. Er stand der Kirche viel zu nahe; er war Teil der Kirche.

Aber es gab diese Zeitbombe, und Val hatte sie entdeckt. Das erinnerte sie an einen Vorfall in ihrem Elternhaus in Princeton, als ihr Bruder Ben auf der Suche nach den alten Hickory-Golfschlägern aus Vaters Jugendtagen im Keller herumgestöbert hatte und dabei auf die sieben Büchsen Schwarzpulver gestoßen war, die von einem Feuerwerk zur Feier des Unabhängigkeitstages übriggeblieben waren. Val war Ben die Treppe hinunter gefolgt, an all den jahrzehntelang gewachsenen Bergen aus Erinnerungsstücken an die Familiengeschichte vorüber, und dann hatte sie plötzlich seine Stimme gehört, zu einem Flüstern gesenkt. Sie solle, verdammt noch mal, verschwinden, hatte Ben ihr gesagt, denn das Haus könne jeden Moment in die Luft fliegen, weil sich Schwarzpulver in den Büchsen befinde, das so alt sei, dass es bei der leisesten Berührung explodieren könne. Und der Warmwasserbereiter, der sich im gleichen Kellerraum befand, hatte einen Kurzschluss und sprühte blaue, elektrische Funken. Val wusste nichts über Schwarzpulver, aber sie kannte ihren Bruder Ben, und der hatte es sehr, sehr ernst gemeint.

Er hatte dafür gesorgt, dass Val hinter einer Mauerecke in Deckung gegangen war, während er langsam und vorsichtig, am ganzen Körper schwitzend, eine Büchse nach der anderen aus dem Keller getragen hatte, dann über den Rasen hinter dem Haus, an der Familienkapelle vorbei und durch den Obstgarten bis zum Ufer des kleinen Teichs, an den ihr Grundstück grenzte. Als Ben die Polizei in Princeton angerufen hatte, wurden daraufhin einige Feuerwehrmänner geschickt, und der Polizeichef persönlich war in seinem schwarzen DeSoto gekommen, und dann hatten sie sämtliche Dosen Schwarzpulver im Teich versenkt, und Ben war nach dieser Geschichte ein richtiger Held gewesen. Die Polizisten gaben ihm so etwas wie eine Ehrenmedaille, und ungefähr eine Woche später hatte Ben seiner kleinen Schwester diese Medaille geschenkt, weil auch sie ein so tapferer Soldat gewesen war und den Befehlen so folgsam gehorcht hatte. Sie war zuerst überrascht gewesen, hatte dann vor Freude geweint, hatte die Medaille den ganzen Sommer über jeden Tag getragen und sie vor dem Zubettgehen unters Kopfkissen gelegt. Val war damals sieben gewesen, Ben vierzehn. Nach dieser Geschichte war sie immer zu Ben gegangen, wenn sie einen Helden gebraucht hatte. Wie jetzt.

Denn nun hatte auch sie eine Bombe gefunden, hochbrisant und mit einer Sprengkraft, die so groß war, dass sie sogar die bevorstehende Papstwahl in tausend Stücke zerfetzen konnte. Gottlob würde sie bald nach Hause zurückkehren und mit Ben darüber sprechen. Nicht mit Curtis, nicht mit ihrem Vater – jedenfalls noch nicht. Aber mit Ben, das stand fest. Sie musste immer lächeln, wenn sie an Ben dachte. Bruder Ben, den abtrünnigen – ›auf die Schnauze gefallenen trifft es besser‹, pflegte er immer zu sagen – Katholiken. Sie würde ihm die ganze Geschichte erzählen, würde ihm berichten, was in den Torricelli-Papieren und den Geheimen Archiven ans Licht gekommen war. Er würde zuerst über ihre Zwangslage lachen und dann ernst werden und dann wissen, was zu tun war. Und er würde wissen, was sie ihrem Vater sagen sollten, auf welche Weise sie ihm die Sache nahebringen konnten ...

New York

Der Rolls-Royce stand bereits abfahrbereit am Kennedy-Flughafen, als Lockhardts Privatjet landete. Der Wagen brachte sie durch den nur mäßigen Verkehr direkt in die Innenstadt. Sie erreichten ihr Ziel eine halbe Stunde früher als geplant. Lockhardt erteilte seinem Fahrer die Anweisung, ihn am Rockefeller Plaza abzusetzen, das sich zwischen dem RCA Building und dem Eisstadion im Rockefeller Center befand. Bevor er ausstieg, blickte er Val in die Augen und nahm ihre Hand. »Bist du sicher, dass du mir nicht doch noch etwas sagen möchtest?«

Hinter dieser schlichten Frage verbarg sich viel mehr, als es den Anschein hatte. Denn er hatte Val nicht von dem Anruf erzählt, den er vor einer Woche, als sie noch in Ägypten gewesen war, von einem Freund aus dem Vatikan erhalten hatte. Hohe kirchliche Würdenträger waren besorgt über das, was Val tat, über die Richtung, in die ihre Nachforschungen sie geführt hatten, und über ihre Entschlossenheit, diese Spur weiterzuverfolgen. Lockhardts Freund im Vatikan hatte ihn gebeten, Val zu fragen, was sie bis jetzt herausgefunden hatte und sie davon zu überzeugen, dass es besser sei, die Recherchen aufzugeben.

Lockhardts Respekt vor Vals Arbeit und den Absichten, die sie verfolgte, waren jedoch zu groß, als dass er ihr über die Sorgen und die Neugierde gewisser Kirchenmänner berichtet hätte. Die Macht des Vatikans vermochte Schwester Valentine ohnehin nicht zu beeindrucken. Aber Curtis Lockhardt. Aus diesem Grunde war er wegen der telefonischen Anfrage seines vatikanischen Freundes geradezu verängstigt. Der Anruf wäre unterblieben, hätte es sich um eine Nichtigkeit gehandelt. Irgendetwas schien irgendjemanden ganz gewaltig zu beunruhigen, und dieser jemand hatte die Order erteilt, Curtis Lockhardt anzurufen. Aber Curtis konnte und wollte Val nicht unter Druck setzen. Sie würde ihm schon noch sagen, was sie vorhatte; er musste ihr nur Zeit lassen.

Val lächelte verkrampft und schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich nicht«, beantwortete sie seine Frage. »Du hast im Moment ganz andere Sorgen, als dir über irgendwelche Nebensächlichkeiten Gedanken zu machen. Calixtus liegt im Sterben. Und du, mein Lieber, musst entscheiden, wer der nächste Papst wird. Die Aasgeier versammeln sich schon.«

»Komme ich dir wie ein Aasgeier vor?«

»Unsinn. Ganz und gar nicht. Du kommst den Aasgeiern zuvor, wie üblich.«

»Vergiss nicht: Was Calixtus’ Nachfolger betrifft, habe ich kein Stimmrecht.«

»Stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Hat die Times dich nicht als Kardinal ohne Purpur bezeichnet?« Sie grinste, als sie den Ausdruck des Unmuts auf seinem Gesicht sah. »Du kannst viel mehr Gewicht in die Waagschale werfen als eine Wählerstimme im Konklave. Du hast schon den letzten Papst benannt ...«

»Mit Hilfe deines Vaters, Schwester Valentine.« Er lachte. »Und wir hätten es schlechter treffen können ...«

»Kaum«, sagte sie.

»Mein Gott, ich liebe dich, Schwester.«

»Du bist in einer Position, die es dir erlaubt, den nächsten Papst zu bestimmen. So ist es doch, wenn wir mal ehrlich sind. Und ich liebe dich auch. Für einen älteren Herrn bist du gar nicht so übel.«

»Eigentlich solltest du bei deinem Berufsstand keine Vergleiche ziehen können«, sagte er.

»Kann ich auch nicht, glaube mir.«

Er nahm ihre Hand. »Val, ich wünschte, du würdest mir auch vertrauen. Dein schreckliches Geheimnis – es bringt dich noch um den Verstand. Du bist mit den Kräften am Ende. Was immer es sein mag, es macht dir offensichtlich schlimm zu schaffen. Du bist mager geworden, du bist müde, du siehst erschöpft aus ...«

»Und du bist sehr redegewandt. Aber ich werde dir trotzdem nichts sagen.«

»Du weißt schon, was ich meine. Nimm dir diese Sache nicht so zu Herzen, sprich mit Ben darüber. Du musst dir das, was dich bedrückt, endlich von der Seele reden.«

»Hör jetzt auf, Curtis, ja? Ich möchte nicht als Dummkopf dastehen, falls meine Phantasie mit mir durchgegangen ist. Das alles kann bis morgen warten. Dann werde ich dir vielleicht die ganze Geschichte erzählen.« Sie drückte seine Hand. »Geh jetzt zu Andy.« Sie beugte sich vor und küsste ihn zärtlich, spürte seine Hand in ihrem Haar, an ihrer Wange. Seine Lippen strichen sanft über ihr Ohr.

Curtis stieg aus, blieb auf dem Gehsteig stehen und beobachtete, wie sie ihm zuwinkte, als der Wagen wieder anrollte. Dann hob sich die getönte Seitenscheibe, und Val war verschwunden. Nächste Station Princeton.

Curtis hatte so viele Jahre seines Lebens auf den Machtetagen verbracht, dass er berufliche Zufriedenheit und zurückhaltende Freundschaften lange Zeit mit Glück verwechselt hatte. Bis Val ihm die Geheimnisse des vollkommenen Glücks offenbarte. Er war fest davon überzeugt, dass er und Val zusammenblieben.

Diese Gedanken beschäftigten ihn immer noch, als er nachdenklich auf die Schlittschuhläufer hinunterblickte, die auf der Eisfläche ihre Bahnen zogen. Ja, es stimmte, er machte sich Sorgen um Val. Sie war im Zuge ihrer Recherchen in Rom, Paris, sogar in Alexandria, Ägypten, gewesen. Er hatte versucht, sich einen Reim darauf zu machen. Er wusste, dass Val auch in den Geheimen Archiven des Vatikans Nachforschungen angestellt hatte. Und dann hatte er diesen verdammten Anruf aus Rom bekommen.

Von seinem Aussichtspunkt am Geländer oberhalb der Kunsteisbahn lächelte er beim Anblick eines alten Priesters, der sich voller Anmut und Würde zwischen all den jungen Menschen übers Eis bewegte. Lockhardt bezweifelte, jemals ein Gesicht gesehen zu haben, auf dem sich so viel Ernst, innerer Friede und Heiterkeit spiegelten.

Er blickte auf die flache, goldene Patek Philippe an seinem Handgelenk. Monsignore Heffernan, erst zweiundvierzig und schon in fünf bis zehn Jahren Anwärter auf den Kardinalspurpur, erwartete ihn. Als rechte Hand von Erzbischof Kardinal Klammer hatte Heffernan bereits beträchtlichen Einfluss in einem der wohlhabendsten Erzbistümer der Kirche errungen. Er hatte sich einen Ruf als Macher erworben, als Mann der Tat. Und obwohl er eine plump-vertrauliche Art besaß, war er ein Bastard, der auf Pünktlichkeit Wert legte und sie auch von anderen erwartete.

Es war an der Zeit, sich auf den Weg zu machen.

Die historische und wirtschaftliche Verflechtung der Kirche mit dem quadratischen Häuserblock unmittelbar im Osten der St. Patrick’s Cathedral bestand seit dem späten neunzehnten Jahrhundert, als dort ein architektonisch ziemlich langweiliges Gotteshaus errichtet worden war, das St. John’s, und zwar auf jenem Grundstück, auf dem später – nachdem die Kirche es verkauft hatte – die berühmten Villard-Häuser entstanden waren, deren Bauweise einige Betrachter an die schmucklosen florentinischen Wohnsitze der Medici-Prinzen erinnerte. Da diese Häuser nach dem Zweiten Weltkrieg zu teuer geworden waren, als dass sie in Privatbesitz hätten bleiben können, wurden die geschichtsträchtigen Gebäude geräumt und stellten eine Zeitlang nichts weiter als mondäne, leere Erinnerungen an eine versunkene Epoche dar.

Im Jahre 1948 entschloss sich Francis Kardinal Spellman, Erzbischof von New York, der die leerstehenden Häuser von seinem Amtssitz in St. Patrick’s auf der gegenüberliegenden Seite der Madison Avenue Tag für Tag sehen konnte, sie zurückzuerwerben. In kürzester Zeit breitete sich die Kirche mit ihren zahllosen Zweigen in diesen altehrwürdigen Gebäuden aus. Das Goldene Zimmer im Hause 451 Madison Avenue wurde zum Versammlungssaal der bischöflichen Berater umfunktioniert. Ein ehemaliges Empfangszimmer mit prächtiger Aussicht auf die Madison wurde der Konferenzraum des Tribunals der Erzdiözese. Das einstige Speisezimmer wurde in den Gerichtssaal des Tribunals umgewandelt, und die ehemalige Bibliothek wurde zur Kanzlei. In den Räumen und auf den langen Fluren wucherte der vielgestaltige kirchliche Organismus.

Doch die Zeiten änderten sich. In den siebziger Jahren hatte der Immobilienboom der sechziger einen katastrophalen Einbruch erlitten, und die Kirche sah sich außerstande, die Villard-Häuser abzustoßen. Wieder wurden sie geräumt und standen leer. Ihre einzige Bedeutung war eine jährliche steuerliche Belastung in Höhe von siebenhunderttausend Dollar. Sie wurden zu einem akuten finanziellen Problem.

Die Gebäude wurden schließlich von Harry Helmsley vor dem drohenden Abriss gerettet. Er unterbreitete der Kirche das Angebot, die Villard-Häuser und die dazugehörigen kirchlichen Besitztümer zu mieten, um dort ein Hotel zu errichten. Die Erzdiözese unterstützte Helmsley bei der Lösung der bürokratischen Probleme, so dass die Häuser schließlich unversehrt erhalten blieben. Das Grundstück blieb nach wie vor im Besitz der Kirche, und Helmsley hatte einen langfristigen Mietvertrag abgeschlossen. Um die Villard-Häuser herum ließ er sein Hotel errichten.

Wie ein Renaissancefürst gab er ihm den Namen ›The Helmsley Palace‹.

Und diesen Palast betrat nun Curtis Lockhardt von der Fünfzigsten Straße aus. Er durchquerte die stille, prunkvolle Eingangshalle mit ihren Spiegeln und der französischen Walnussholzvertäfelung, wandte sich dann nach rechts und ging in den kleinen, abgetrennten Raum, in dem sich der Schreibtisch des Concierge und die gesonderten Aufzüge befanden, die in die obersten Etagen führten.

Es war typisch für Andy Heffernan, dass er die rundum verglaste, luxuriöse und vor allem diskrete Penthouse-Wohnung, die sich in kirchlichem Besitz befand, als Treffpunkt gewählt hatte. Curtis Lockhardt war auch in der großen Politik zu Hause und somit eine von Monsignore Heffernans weltlichen Trumpfkarten; aus diesem Grunde wollte der Geistliche die Sicherheits- und Geheimhaltungsvorkehrungen so streng wie möglich halten. Es ging in den bevorstehenden Gesprächen um eine derart große Summe, dass man es sich nicht leisten konnte, auch nur das leiseste Gerücht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Die Wahl des nächsten Papstes stand bald bevor, und mit nichts anderem hatte das Geld zu tun, über das die beiden Männer reden wollten. Hätte man sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite getroffen, in St. Patrick’s – die Gerüchteküche hätte sofort zu brodeln begonnen. Macht, Luxus, Weltlichkeit und Verschwiegenheit; das alles verkörperte Monsignore Heffernan.

Lockhardt wusste, dass die Dunhill-Monte-Cruz-200-Zigarren und der Rémy-Martin-Cognac, Andys Lieblingsmarken, schon bereitstanden. Monsignore Heffernan pflegte öfters – in kleinerem Kreise und ganz im Vertrauen – zu bemerken, dass man alle Vergünstigungen in Anspruch nehmen müsse, die man bekommen könne, und je mehr man sich davon nehme, desto mehr bekomme man.

Auf der fünfundvierzigsten Etage stieg Lockhardt aus dem Lift und ging über den tiefen, flauschigen Teppichboden zum Ende eines langes Korridors, der parallel zur Madison Avenue verlief. Nichts wies darauf hin, dass sich hinter einer der Türen irgendetwas Außergewöhnliches befand. Er drückte auf den Türsummer und wartete. Aus dem kleinen Lautsprecher sagte eine Stimme: »Kommen Sie herein, Lockhardt, alter Junge.« Es klang fast so, als hätte der gute Monsignore sein Mittagessen bereits in Form eines doppelten Martini genossen.

Obwohl an Luxus gewöhnt, war Lockhardt immer wieder von dem Anblick beeindruckt, der sich ihm nun bot. Er stand oben auf dem Absatz einer Wendeltreppe mit einem kunstvoll geschnitzten Handlauf. Das riesige Zimmer unter ihm war zwei Stockwerke hoch und rundum verglast, so dass sich ein atemberaubender Ausblick auf Manhattan bot, das sich dem Betrachter von hier oben wie eine Reliefkarte präsentierte.

Das Empire State Building, die eigenwillige Spitze des Chrysler Building, die moderne, kühle Sachlichkeit der beiden Türme des World Trade Center; weit draußen auf der Bucht die Freiheitsstatue, Staten Island, die Küstenlinie Jerseys ...

Radio City, Rockefeller Center, der hell leuchtende Fleck der Kunsteisbahn ... und fast genau unter ihnen lag St. Patrick’s; ihre beiden Kirchtürme erhoben sich majestätisch über der Fifth Avenue.

Curtis hatte plötzlich das Gefühl, auf einer dünnen Wolke über der Stadt zu schweben. Unwillkürlich krampfte er die Linke um den Handlauf der Treppe, während er langsam die mit flauschigem Teppich belegten Stufen hinunterstieg. Er konnte sich kaum von dem Anblick losreißen.

»Ich bin mal eben pinkeln.« Heffernans Stimme drang hinter einer geschlossenen Tür hervor. »Muss meinen kleinen Freund noch zwei-‍, dreimal schütteln, dann komme ich zu Ihnen.«

Lockhardt wandte sich wieder den riesigen Glasfenstern zu. Er war wie verzaubert von der Klarheit und Weite der Aussicht. Er musste fast die Nase ans Glas drücken, um hinunter auf St. Patrick’s schauen zu können und einen so atemberaubenden Blick auf diese Kirche zu genießen, wie ihn sich ihre Erbauer in ihren kühnsten Träumen nicht hätten vorstellen können.

»Gott segne unser kleines Heim.« Monsignore Heffernan, ein hochgewachsener Mann mit dünnem rotem Haar und einer Nase, die er von einem Zirkusclown gestohlen zu haben schien, kam mit schweren Schritten auf Lockhardt zu. Er hatte einen Sonnenbrand; seine Haut war rot und schälte sich an einigen Stellen. Er trug ein schwarzes Hemd mit steifem, hohem Priesterkragen, eine schwarze Hose und schwarze Pantoffeln mit Troddeln. Seine wässrigen blauen Augen blinzelten hinter einer Wolke aus Zigarrenqualm. Aufgewachsen in der Armut des irischen Viertels im Süden Bostons, hatte er sich seinen Weg nach oben hart erkämpft. Er war schon jetzt ein sehr wichtiger, einflussreicher Mann in seiner Welt, und er weitete seine Macht immer mehr aus, indem er sein Bündnis mit dem großen amerikanischen Königsmacher festigte. Allerdings konnten diese Männer sich gegenseitig von Nutzen sein – was beiden sehr gelegen kam und was der Monsignore als eine gute Umschreibung des Begriffes Freundschaft betrachtete. Andy Heffernan war ein glücklicher Mensch.

»Für einen reichen Mann sehen Sie ausgesprochen tugendhaft aus, Curtis. Nehmen Sie sich eine Zigarre.« Er wies auf eine kleine Holzkiste, die auf einem Tisch mit schwerer, fünf Zentimeter dicker Glasplatte stand.

»Sie haben mich überredet«, sagte Lockhardt. Er zündete sich eine Monte Cruz mit einem Dunhill-Zigarrenfeuerzeug an, nahm einen Zug und genoss das würzige Aroma. »Wo haben Sie sich den Sonnenbrand geholt? Sie sehen ja aus wie ein Hummer.«

»Florida. Bin erst gestern von einem einwöchigen Wohltätigkeits-Golfturnier zurückgekehrt. Wundervolle Woche.« Heffernan ging zu einem Stuhl hinter dem Tisch und setzte sich. Vor ihm lagen mehrere Aktenmappen, ein Notizblock, die Zigarrenkiste; daneben standen das Telefon und ein schwerer Aschenbecher. Lockhardt nahm ihm gegenüber Platz. »Und prächtige Jungs«, fuhr Heffernan fort. »Jackie Gleason, Johnny und Tom und Jack. Allesamt prächtige Jungs. Es gibt eine Menge netter Burschen unten in Florida. Tun für die Kirche einfach alles. Hat ganz schön was eingebracht für das Kinderheim Unserer Lieben Frau des Friedens. Und dann erst das Golfturnier! Sie werden es nicht glauben, aber ich habe es geschafft, einmal aus weniger als zehn Zentimetern nicht einzulochen. Stellen Sie sich das mal vor! Hätte man glatt im Fernsehen zeigen müssen – zehn Scheißzentimeter. Ist mir schon mal in Schottland passiert, in Muirfield ... ach, glückliche Zeiten. Was kann ein Mann mehr verlangen, Curtis? Genießen Sie das Leben! Tot sind wir lange genug ...«

»Wobei es keine Rolle spielt, ob es ein Leben nach dem Tod gibt?«

»Nun hören Sie schon auf mit Ihren theologischen Anspielungen. Man muss auch in dieser Welt jede Chance nutzen. Nehmen Sie, was Sie kriegen können, Curtis.« Heffernan lachte in der ihm eigenen Weise – laut und ordinär, womit er immer den Eindruck zu erwecken glaubte, einem Gesprächspartner gegenüber so offen zu sein wie ein Freudenhaus am Samstagabend.

»Wozu auch die zehn Millionen gehören?« Lockhardt lächelte sein Gegenüber an und blies einen Rauchring aus. Diese Summe war so groß, dass sie ihre Wirkung auf Heffernan nie verfehlte, zumal sie bei den Gesprächen, welche die beiden Männer geführt hatten, nur selten genannt worden war.

»Zehn Millionen ...« Heffernans Gelächter erstarb von einem Moment zum anderen. So viel Geld war eine sehr ernsthafte Angelegenheit – sogar für die rechte Hand des Erzbischofs Kardinal Klammer. Lockhardt fragte sich immer wieder, was im Kopf dieses Mannes vorgehen mochte, wenn er von einer Golfpartie mit Johnny Miller erzählte und derart ordinär lachte. Er schien nie richtig bei der Sache zu sein und trotzdem niemals einen Fehler zu machen.

»Zehn Millionen«, sagte Heffernan leise. Er schien es zu genießen, diese Zahl auszusprechen. Er tippte mehrmals die Fingerspitzen beider Hände aneinander. »Glauben Sie, dass zehn Millionen reichen, um die Angelegenheit zu regeln?«

»Mehr oder weniger. Ich kann allerdings ohne weiteres eine noch größere Summe aufbringen. Mir stehen jederzeit ergiebige Quellen offen.«

»Wie Hugh Driskill, zum Beispiel?«

Lockhardt zuckte die Achseln. »Sie können so viele Vermutungen anstellen, wie Sie wollen, Andy. Aber müssen Sie das denn wirklich wissen? Wollen Sie das wirklich wissen? Das bezweifle ich doch sehr.«

»Ganz, wie Sie meinen. Sie bringen das Geld auf, und ich werde Ihnen dabei helfen, dass es in die richtigen Taschen fließt.« Heffernan seufzte. »Aber dieser Klammer bringt mich noch ins Grab, Curtis. Der ganze Scheißdreck von wegen Nichteinmischung, sein ewiges Gefasel von wegen Gottesverleugnung ...«

»Amerikanische Kardinäle sind eben aus besonderem Holz geschnitzt. Sie neigen dazu, ihre Stimme bei der Papstwahl als etwas Geheiligtes zu betrachten, nicht als Handelsware. Ich nehme an, Klammer möchte sich aus dieser Sache heraushalten. Er möchte gar nichts davon wissen. Schon der Gedanke an Bestechungsgelder macht solchen Männern Angst ...«

»Geschenke! Spenden!« Heffernan machte ein mürrisches Gesicht. »Dieses Wort mit B darf Ihnen niemals über die Lippen kommen. Zehn Millionen Dollar Spendengelder. Was bekommen wir denn nun wirklich für das Geld, Sie und ich?«

»Ein geschlossenes, solides amerikanisches Stimmenkontingent sowie die Stimmen Fangios und derjenigen Kardinäle, die Calixtus benannt hat und die in unserer Schuld stehen ... Es geht doch darum, Andy, dass wir den nächsten Papst bestimmen. Die Kirche soll ihrer Linie treu bleiben, und wir werden dafür sorgen.« Für einen Moment stockten seine Gedanken, und er hörte Schwester Valentine, hörte, wie sie ihm sagte, dass das, was sie entdeckt hatte, die Wahl des nächsten Papstes beeinflussen könne ...

»Und es gibt keine Überläufer?«

»Warum sollte es die geben? Saint Jack ist sechsundsiebzig Jahre alt. Er wird nicht ewig leben, und dann ... nun, bis dahin werden Sie den Kardinalshut tragen, und die Kirche wird sich rühmen können, einen großen Mann zum Papst gehabt zu haben. Und die alte Kirche wird sich gewandelt und den Erfordernissen angepasst haben, die das einundzwanzigste Jahrhundert an sie stellen wird – indem sie den einzigen Weg eingeschlagen hat, den sie beschreiten kann, wenn sie überleben will. Es kommt eine neue Welt, Andy, und die Kirche muss dann auf festem Boden stehen.«

»Sie machen es einfach, das muss man Ihnen lassen. Und das Geld ist uns sicher?«

»Auf unsichere Geschäfte lasse ich mich niemals ein, Andy.«

»Tja, das alles verlangt nach einem Trankopfer.« Monsignore Heffernan griff nach der Flasche Rémy Martin, die auf einem Tablett neben zwei kostbaren Schwenkern aus Baccarat-Kristall stand. Er schenkte sich selbst ein, dann Lockhardt, und reichte ihm den Schwenker. »Auf gut angelegtes Geld.«

Die beiden Männer traten an die riesige Panoramascheibe und brachten vor dem ehrfurchtgebietenden Hintergrund des tief unter ihnen liegenden Manhattan einen Toast aus. Es war, als stünden sie auf dem Gipfel eines von Menschenhand aufgetürmten Berges, eines Gipfels, den sie gemeinsam erklommen hatten und bei dessen Ersteigung Lockhardt der Seilschaftsführer seines getreuen Monsignore gewesen war.

»Auf den guten alten Saint Jack«, sagte Lockhardt leise.

»Auf die Zukunft«, erwiderte der Monsignore vielsagend.

Heffernan sah ihn zuerst. Er leckte sich über die Lippen, schaute auf und erblickte einen alten Priester. Irgendwie war der Mann ungesehen und ungehört hier hereingekommen und die Treppe heruntergestiegen, während Heffernan und Lockhardt die Aussicht genossen und auf den Erfolg angestoßen hatten. Monsignore Heffernan legte fragend den Kopf schief; auf seinem roten Gesicht erschien ein freundliches Lächeln. »Ja, Father? Was kann ich für Sie tun?«

Jetzt wandte sich auch Lockhardt um und sah den Geistlichen. Es war der Schlittschuhläufer. Lockhardt lächelte, als er sich an die Szene auf der Kunsteisbahn erinnerte. Dann sah er, wie die behandschuhte Hand des Mannes sich hob. Er hielt irgendetwas in der Faust ...

Als Lockhardt erkannte, was es war, strömten innerhalb eines Sekundenbruchteils alle Kräfte aus seinem Körper und wichen einem lähmenden Schock. Er versuchte zu begreifen, was hier vor sich ging. Der alte Priester war hier völlig fehl am Platze. Er kam nicht aus Curtis Lockhardts Machtetagen. Und er hielt einen Revolver in der Faust.

Lockhardt hörte ein seltsam dumpfes Geräusch, als würde ein Pfeil in eine nasse Zielscheibe schlagen.

Andy Heffernan wurde zurückgeschleudert und prallte gegen das Panoramafenster, bildete einen Schattenriss im Gegenlicht; seine Arme waren wie die des Gekreuzigten zur Seite ausgestreckt, als wartete er darauf, dass Nägel durch die Handflächen getrieben würden. Dann ertönte das dumpfe Geräusch noch einmal, und das sonnenverbrannte Gesicht Heffernans zerplatzte – wurde zerrissen, endgültig, unwiderruflich; in Lockhardts Hirn rasten die Gedanken, während er beobachtete, was geschah, starr vor Entsetzen, nicht fähig, sich zu bewegen, fortzulaufen, sich auf den Revolverschützen zu stürzen. Das Gesicht, das er seit so vielen Jahren kannte, wurde in einer Explosion aus Blut und Knochen zerfetzt. Ein spinnenwebartiges Netz feiner Risse erschien auf der blutbespritzten Glaswand, in dessen Zentrum sich ein Loch befand, das die Größe einer Männerfaust besaß.

Lockhardt starrte auf das hinunter, was von seinem Freund übriggeblieben war, starrte auf die schmierigen, blutroten Schlieren, die der zu Boden rutschende Körper auf dem Glas hinterlassen hatte. Lockhardt löste sich aus seiner Erstarrung, tastete sich an der Kante der Tischplatte entlang, bewegte sich langsam, wie in einem Alptraum, auf den Leichnam Heffernans zu. Sein Körper gehorchte ihm nicht richtig. Alles schien so weit entfernt, undeutlich und getrübt, als blickte er durch einen langen Tunnel.

Langsam drehte der Priester sich zu ihm um, die Waffe im Anschlag.

»Gottes Wille geschehe«, sagte er, und Lockhardt versuchte zu begreifen, versuchte, den Sinn dieser Worte zu entschlüsseln. »Gottes Wille geschehe«, flüsterte der alte Priester noch einmal.

Lockhardt starrte in die Mündung der Waffe, blickte in die Augen des alten Mannes, doch er sah etwas ganz anderes: ein kleines Mädchen in einem geblümten Badeanzug, das fröhlich lachend unter den Regenbogenstrahlen einer Berieselungsanlage tanzte, auf feuchtem, frisch gemähtem Rasen, die gebräunte Haut nass glänzend im Sonnenlicht.

Lockhardt vernahm seine eigene Stimme, konnte aber nicht hören, nicht begreifen, was er sagte. Vielleicht rief er dem kleinen Mädchen etwas zu, rief ihren Namen, wollte zu ihr kommen, bevor es zu spät war, wollte in den Schutz der Vergangenheit fliehen ...

Der Priester wartete; auf seinem Gesicht lag ein freundlicher, beinahe besänftigender Ausdruck, als wollte er Curtis die Gelegenheit geben, sich wieder zu fangen, sich zu beruhigen.

Dann drückte der alte Geistliche ab.

Lockhardt stürzte zu Boden; sein Kopf ruhte am kühlen Glas des Panoramafensters. Er erstickte am eigenen Blut, das seine Lungen füllte. Vor seinen Augen verschleierte sich alles, wurde undeutlich und dunkel und schemenhaft, immer schneller, immer schneller, als würde sich im Zeitraffertempo die Dämmerung herabsenken, und das Bild des tanzenden Mädchens war kaum mehr zu erkennen. Stattdessen konnte er die Umrisse von St. Patrick’s sehen, tief unter ihm, verwaschen und nebelhaft. Die Türme schienen sich ihm entgegenzustrecken, schienen wie riesige Finger auf ihn zu zeigen.

Er sah ein schwarzes Hosenbein neben seinem Gesicht. Er spürte, wie irgendetwas Stumpfes, Rundes gegen seinen Hinterkopf gedrückt wurde.

Curtis Lockhardt blinzelte angestrengt, versuchte noch einmal, ein letztes Mal, die Gestalt des tanzenden Mädchens zu sehen, doch sein allerletzter Blick fiel auf die Türme von St. Patrick’s.

Erster Teil

1 DRISKILL †

Ich kann mich an den ersten Tag noch ziemlich genau erinnern.

Ich war von Drew Summerhays zum Mittagessen in dessen Club eingeladen worden. Er war die graue Eminenz unserer florierenden Anwaltskanzlei Bascomb, Lufkin und Summerhays. Er besaß den schärfsten Verstand, der mir je bei einem Menschen begegnet war, und er war von so hoher geistiger Beweglichkeit, dass die meisten unserer Tischgespräche sowohl informativ als auch unterhaltsam verliefen. Und es gab immer irgendein Thema. Summerhays war in diesem Jahr zweiundachtzig geworden, so alt wie das Jahrhundert, aber er wagte sich noch fast jeden Tag hinunter zur Wall Street. Er war unsere lebende Legende, Freund und Berater jedes Präsidenten seit Franklin Roosevelts erster Amtsperiode, ein Held des Zweiten Weltkriegs, wenngleich hinter den Kulissen, als hochrangiger Geheimdienstmann, und schon immer Vertrauter der Päpste. Aufgrund seiner engen Verbindung zu meinem Vater kannte ich ihn mein Leben lang.