Asteroid Now - Florian Freistetter - E-Book

Asteroid Now E-Book

Florian Freistetter

4,3

Beschreibung

Ein Asteroid rast auf die Erde zu und droht alles Leben auszulöschen. Es bleiben nur noch wenige Wochen, um die Katastrophe abzuwenden. Im letzten Moment gelingt es einem Team von Astronomen, den Himmelskörper mit Hightech-Lasern in eine neue Bahn zu lenken. Was wie der Plot eines Hollywoodstreifens klingt, ist Gegenstand heutiger Forschung. Astronomen entwickeln unermüdlich Systeme, mit denen wir Asteroiden von der Erde aus abwehren können – aber auch Raumschiffe mit Ionenantrieb und Weltraumlifte, die uns zum Mond hinauffahren. Ein faszinierender Überblick über die Möglichkeiten der Technik und die Erkenntnisse der Astronomie. Und vor allem – ein Ausblick in die Zukunft der Menschheit.

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Florian Freistetter

Asteroid Now

Warum die Zukunft der Menschheit

in den Sternen liegt

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdruckes und der Vervielfältigung des Buches oder von Teilen daraus, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren), auch nicht für Zwecke der Unterrichtsgestaltung – mit Ausnahme der in den §§ 53, 54 URG genannten Sonderfälle –, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2015 Carl Hanser Verlag München

Internet: http://www.hanser-literaturverlage.de

Herstellung: Thomas Gerhardy

Umschlaggestaltung und Motiv: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Datenkonvertierung E-Book: Kösel Media, Krugzell

ISBN 978-3-446-44309-9

E-Book-ISBN 978-3-446-44323-5

Für André Knöfel,

den Entdecker des Asteroiden (243073) Freistetter

Inhalt

Einleitung
Teil I Steine, die vom Himmel fallen
Armageddon 
Steine, die vom Himmel fallen
Ceres & Co.
Kometen und andere Katastrophen
Die dünne graue Linie
Der Dinokiller
Tunguska
Die Zukunft vorhersagen
How bad is it? Die Turiner Skala
Apophis – ewige Finsternis
Das ungemütliche Universum
Die Welt als Uhrwerk
Die Entdeckung des Chaos
Das astronomische Klima
Der Tanz der Kontinente
Vulkane & andere Explosionen
Teil II Asteroiden: Freund oder Feind?
Asteroiden abwehren
Hisst die Sonnensegel!
Asteroiden bewerfen
Laser & Ionenantrieb
Asteroiden nutzen
Die Ökonomie der Raumfahrt
Auf Asteroiden landen
Raumfahrt ganz privat
Ein Fahrstuhl zu den Sternen
Die Erfinder des Weltraumlifts
Ein äußerst dünnes Kabel
Eine Plattform im Ozean
Das Nadelöhr der Raumfahrt
Teil III Neue Welten
Eine strahlende Zukunft
Sterne sehen
Im Auge des Sonnensturms
Wie wir uns vor der kosmischen Strahlung schützen können
Unsere Zukunft in den Sternen
Durch die Leere
Der nukleare Pulsantrieb
Unterwegs mit Generationenschiffen
Wurmlöcher und Warp-Antrieb
Staying home
Nur manche mögen’s heiß
Planeten verschieben
Sonnenverjüngungskuren und Dyson-Sphären
Epilog
Weiterführende Literatur und Danksagungen

Einleitung

Seit es das Internet gibt, vermehren sich Weltuntergangstheorien wie Fliegen. Unsinn erweckt Aufmerksamkeit: über Säurewolken aus dem All, die die Erde auflösen werden, die Ankunft von Aliens, die uns zu Sklaven machen, menschengemachte schwarze Löcher, die uns alle auffressen können, oder über Apokalypsen, die durch den endenden Kalender eines alten Volks ausgelöst werden. Bekanntlich ist die Welt trotz all dieser Schauergeschichten aber immer noch nicht untergegangen, und auch in Zukunft müssen wir keine große Angst vor religiösen Prophezeiungen oder esoterischen Visionen haben.

Das heißt aber nicht, dass die Welt nicht untergehen wird. Wir müssen nur unsere menschlichen Zeitskalen verlassen, um zu erkennen, dass die Erde keineswegs ein sicherer Ort ist. Aus kosmischer Sicht passiert ständig etwas. Die Bahn der Erde schwankt hin und her und verursacht bei unserem Planeten Eiszeiten und Hitzeperioden. Sterne in der Umgebung explodieren und schleudern ihre Strahlung in Richtung Erde. Und ständig fallen Asteroiden auf uns herunter. Und da könnte durchaus bald einmal ein größerer dabei sein. Unser Planet kommt uns nur deswegen so friedlich vor (abgesehen von den kriegerischen Handlungen), weil wir erst seit kurzer Zeit auf ihm wohnen.

Die Geschichte des modernen Menschen dauert gerade mal ein paar Zehntausend Jahre. Aus kosmischer Sicht ein Wimpernschlag. Falls uns daran liegen sollte, noch ein wenig länger zu existieren, müssen wir uns mit den Gefahren aus dem Weltall beschäftigen.

Denn wir können die Erde schützen, wenn wir wollen. Ein Teil dieses Buches wird sich mit den Maßnahmen beschäftigen, die wir schon heute durchführen können, wenn uns der Weltuntergang droht. Mit Katastrophen wie einem Asteroideneinschlag können wir umgehen. Wir müssen nicht das gleiche Schicksal erleiden wie die Dinosaurier. Aber nicht alles, was uns das Universum entgegenschleudert, lässt sich von der Erde aus neutralisieren. Deshalb müssen wir hinauf ins All, zu den Sternen aufbrechen und am Ende sogar den Weltraum zu unserer Heimat machen. Der zweite und der dritte Teil des Buches beschäftigen sich mit entsprechenden Strategien: Wie kann man die Erde am besten verlassen? Wie baut man einen Weltraumlift zum Mond? Können wir zu den Sternen fliegen? Wie bauen wir vernünftige Raumschiffe? Können wir vielleicht sogar die Erde selbst als Raumschiff verwenden? Welche Planeten bieten sich zur Besiedelung an?

Fragen dieser Art klingen nach Science-Fiction. Aber nicht nur Drehbuchautoren aus Hollywood haben sich mit ihnen beschäftigt, sondern auch Astronomen und Physiker. Sie liefern uns eine Anleitung, die Welt zu retten. Wir sollten ihnen aufmerksam zuhören.

Teil I Steine, die vom Himmel fallen

Kapitel 1 Armageddon

Der 15. Februar 2013 war ein Tag wie aus einem Hollywood-Katastrophenfilm. Ich saß gerade in einem Zug nach Wien, um dort an Probeaufnahmen teilzunehmen. Am Tag zuvor hatte ich einigen Zeitungen und Radiosendern, die etwas über den Vorbeiflug des Asteroiden 2012 DA14 wissen wollten, Interviews gegeben. Dieser knapp 40 Meter große Felsbrocken sollte am Abend des 15. Februar in einem Abstand von knapp 27 700 Kilometer an der Erde vorbeifliegen. Eine ziemlich große Strecke für uns Menschen, nach kosmischen Maßstäben aber ein knapper Vorbeiflug. Der Asteroid würde der Erde dabei sogar kurzfristig näher kommen als einige der Satelliten auf ihren Umlaufbahnen. Trotzdem bestand keinerlei Gefahr: Die Bahn des Asteroiden war genau genug bekannt, um sicher sein zu können, dass er uns nicht treffen würde. Außerdem kommt es immer wieder mal vor, dass kleinere Himmelskörper sich der Erde annähern. Allein in den nächsten 100 Jahren werden mindestens 11 Asteroiden der Erde näher kommen als der Mond (und wahrscheinlich sind es noch viel mehr, die wir übersehen haben).

All das habe ich in den Interviews erklärt und darauf hingewiesen, dass dieser Vorbeiflug kein Grund für Panik ist, sondern eine Chance für die Wissenschaft darstellt. Meistens sind die Asteroiden viel zu weit weg, um mit Teleskopen mehr als einen schwachen Lichtpunkt sehen zu können. Wenn uns ein Asteroid so nah kommt wie 2012 DA14, dann ist das eine Gelegenheit, die sich Astronomen nicht entgehen lassen können. Entsprechend gespannt erwarteten sie das Ereignis.

In den Boulevardmedien und im Internet verbreiteten sich dennoch Verschwörungstheorien, Katastrophengeschichten und Weltuntergangsprophezeiungen. Nun gut, immerhin hatte ich mich in meinen Pressegesprächen redlich bemüht, diese unsinnigen Horrorstorys zu entkräften. Umso überraschter war ich, als mich während der Zugfahrt einer der Radiosender noch einmal anrief und um ein Statement zum gerade stattgefundenen Asteroideneinschlag in Russland bat.

Ein Asteroideneinschlag? Die Radiomoderatorin erzählte mir, dass in der Stadt Tscheljabinsk im Ural ein Asteroid auf die Erde gestürzt sei und dabei Hunderte Menschen verletzt und getötet habe. Sie wollte wissen, was das mit 2012 DA14 zu tun hatte. Ich vermutete, dass es sich um einen Scherzanruf handelte, denn 2012 DA14 konnte unmöglich involviert sein. Asteroiden ändern nicht einfach so ihre Bahn, und die Bahn dieses speziellen Himmelskörpers war im Vorfeld sehr genau vermessen worden. Zum Zeitpunkt des Anrufs war der Asteroid noch weit von der Erde entfernt. Sollte die Nachricht von der Katastrophe in Russland stimmen, schien es mir wahrscheinlicher, dass es sich um ein irdisches Desaster handelte. Eine Explosion in einer Fabrik oder einem Kraftwerk zum Beispiel, die fälschlicherweise mit dem Vorbeiflug des Asteroiden in Verbindung gebracht wurde.

Frühmorgens im Zug sitzend, ohne Internetverbindung und auf dem Weg zu einem wichtigen Termin, hatte ich keine Zeit oder Möglichkeit, mich genauer zu informieren. Als dann aber immer mehr Leute bei mir anriefen, um mich über den Einschlag in Russland zu befragen, war schnell klar, dass hier tatsächlich etwas Außergewöhnliches passiert sein musste. Es war wirklich ein Asteroid mit der Erde kollidiert, und zwar völlig unabhängig vom abendlichen Vorbeiflug von 2012 DA14. Schnell kursierten Videos von in russischen Autos montierten Kameras,1 die zeigten, wie ein helles Objekt über den Himmel sauste und dann in einem grellen Lichtblitz explodierte. Andere Kameras zeigten, wie eine starke Druckwelle überall in Tscheljabinsk Fensterscheiben zersplittern ließ und Gebäude zum Wackeln brachte. Später konnte man folgenden Ablauf rekonstruieren:

Um etwa halb zehn Uhr morgens (halb fünf Uhr morgens mitteleuropäischer Zeit) traf ein knapp 20 Meter großer Felsbrocken auf die Lufthülle der Erde. Er war mit einer Geschwindigkeit von 18 Kilometern pro Sekunde unterwegs (das sind fast 65 000 km/h beziehungsweise mehr als die 50-fache Schallgeschwindigkeit) und traf unseren Planeten unter einem flachen Winkel von 20 Grad. Unter den starken Reibungskräften begann das ungefähr 10 000 Tonnen schwere Objekt in einer Höhe von ungefähr 50 Kilometern auseinanderzubrechen. Das war auch der Zeitpunkt, ab dem es vom Erdboden als helles Objekt am Himmel zu sehen war. Der Asteroid leuchtete ungefähr 30 Sekunden lang, bevor er explodierte. Wenn ein großer Felsbrocken in viele kleine Stücke zerbricht, dann haben diese gemeinsam eine größere Oberfläche als der intakte Asteroid. Je größer die Oberfläche, desto stärker aber auch die Reibungskräfte mit der Luft. Schlagartig erhöht sich die Energie, die auf den zerbrechenden Himmelskörper einwirkt. Er explodiert und setzt dabei eine Druckwelle frei, die sich in alle Richtungen ausbreitet.

So etwas nennt man „Airburst“. In Tscheljabinsk wurde die meiste Energie in 15 bis 20 Kilometer Höhe freigesetzt. Der Airburst war 20 bis 30 Mal so stark wie die Explosion der Atombombe von Hiroshima, und das reichte, um am Erdboden die Häuser wackeln und die Fensterscheiben zersplittern zu lassen.

Tatsächlich eingeschlagen ist der Asteroid allerdings nicht. Die Schäden und Verletzungen entstanden durch die Druckwelle und die vielen herumfliegenden Glasscherben, nicht durch direkte Treffer von Asteroidenstücken. Es gibt auch keinen Einschlagskrater. Nur einige kleinere Bruchstücke des Asteroiden, sogenannte „Meteoriten“, konnten später am Boden gefunden werden (der größte davon war 570 Kilogramm schwer). Dass dieser Airburst über Russland genau am gleichen Tag stattfand wie der Vorbeiflug von 2012 DA14, war reiner Zufall. Der knapp viermal größere Asteroid passierte am Abend des 15. Februar 2013 die Erde wie vorhergesagt – ohne dabei irgendeinen Schaden anzurichten.

Die Ereignisse dieses Tages haben eindrucksvoll demonstriert, dass unsere Erde zumindest aus astronomischer Sicht kein sicherer Ort ist. Sondern nur einer von vielen Himmelskörpern, die die Sonne umkreisen, wobei es eben ab und zu zu Kollisionen kommt.

Am 15. Februar 2013 ist glücklicherweise nicht viel passiert. Eine Fabrik in der Stadt stürzte ein. Knapp 3700 Gebäude wurden beschädigt (hauptsächlich gingen die Fenster kaputt). Laut den Behörden mussten 1491 Menschen medizinisch behandelt werden. Aber niemand starb bei diesem Airburst, außerhalb der Region kam keiner zu Schaden. In den zahlreichen Science-Fiction-Büchern und Kinofilmen über Asteroideneinschläge ist das anders. Hier ist immer die gesamte Erde bedroht, die Vernichtung der Menschheit steht bevor. Und auch wenn die Regisseure und Autoren naturgemäß zu Dramatik und Übertreibung neigen, weiß auch die Wissenschaft mittlerweile, dass die Felsbrocken aus dem All tatsächlich viel größeren Schaden anrichten können, als es in Tscheljabinsk der Fall war.

Angesichts der wichtigen Rolle, die solche Kollisionen in der Geschichte der Erde gespielt haben, und der Bedrohung, die sie für das Leben auf unserem Planeten darstellen, hat es aber erstaunlich lange gedauert, bis man sich dazu durchringen konnte, sie ernst zu nehmen.

Steine, die vom Himmel fallen

Dass „Steine“ einfach so vom Himmel fallen können, hielt man die längste Zeit für völlig ausgeschlossen. Woher hätten die auch kommen sollen – man wusste bis vor gar nicht allzu langer Zeit noch gar nicht, dass es im All überhaupt Steine gibt. Man fand zwar auch früher schon immer wieder mal Felsbrocken, die scheinbar aus dem Nichts auf die Erde gefallen waren. Aber von Aristoteles im antiken Griechenland bis zu den Naturforschern im 19. Jahrhundert war man allgemein der Meinung, dass sie unmöglich aus dem Weltall stammen konnten. Im Raum zwischen den Planeten war nichts, höchstens der göttliche „Äther“, aber mit Sicherheit keine schnöden Steine. Die mussten von der Erde selbst stammen, konnten vom Wind in die Atmosphäre geweht oder bei Blitzeinschlägen in den Himmel geschleudert worden sein. Vielleicht hatte sich auch einfach Staub in der Luft zusammengeballt, bis irgendwann Brocken entstanden, schwer genug, um zu Boden zu fallen. Nur wenige Außenseiter verfolgten die Idee eines extraterrestrischen Ursprungs.

Anaxagoras zum Beispiel hing im 5. Jahrhundert vor Christus in Griechenland der blasphemischen Idee an, die Sonne wäre keine Manifestation der Götter, sondern einfach nur ein glühender Stein am Himmel. Und wenn sich dort oben ein großer Stein befindet, konnten von dort auch kleine Steine zu Boden fallen. Obwohl sich viele der Thesen des Anaxagoras (zum Beispiel seine Erklärungen über Sonnenfinsternisse oder die Herkunft des Mondlichts) später als richtig herausstellten, brachten ihm seine unkonventionellen Meinungen damals große Schwierigkeiten und eine Verurteilung zum Tode wegen Gottlosigkeit ein (die später in eine Verbannung umgewandelt wurde).

Steine, die aus dem Weltall kommen, waren aber auch später für die meisten Forscher völliger Unsinn. Man wusste einfach noch zu wenig über das Universum, kannte zwar die Sterne und die Planeten, aber dass zwischen diesen noch Unmengen kleiner Felsbrocken herumschwirrten, konnte sich niemand vorstellen. Erst im 16. Jahrhundert begann sich die Sicht auf das Sonnensystem zu verändern.

Ein paar Jahrzehnte, bevor die Erfindung des Teleskops die Astronomie revolutionieren und Galileo Galilei, Johannes Kepler und Isaac Newton das vorherrschende Weltbild stürzen würden, war der dänische Astronom Tycho Brahe noch damit beschäftigt, die Himmelskörper mit freiem Auge zu beobachten. Trotz fehlender optischer Instrumente war er der beste und genaueste Beobachter seiner Zeit. Im Jahr 1577 untersuchte er einen Kometen, der für alle sichtbar hell am Himmel stand. Kometen waren den Menschen schon seit Jahrtausenden bekannt – aber man hielt sie bis dahin für göttliche Zeichen oder irgendwelche Leuchterscheinungen in der Atmosphäre der Erde.

Erst die genauen Beobachtungen von Brahe zeigten zweifelsfrei, dass dieser Komet sich weit außerhalb der Lufthülle der Erde bewegen musste. Über die genaue Natur dieser Objekte wusste man allerdings noch nichts. Damit befanden sich die Kometen aber in guter Gesellschaft. Auch über die Herkunft und Natur der Planeten, der Sterne und die Struktur des gesamten Sonnensystems war man sich noch im Unklaren.

Nach Brahes Tod im Jahr 1601 erhielt der Astronom und Mathematiker Johannes Kepler Zugriff auf dessen gesammelte Beobachtungsdaten. Kepler nutzte Brahes Aufzeichnungen, um zu verstehen, wie das Sonnensystem aufgebaut ist. Das alte Weltbild der Antike mit der Erde im Zentrum hatte zwar schon Konkurrenz durch das kopernikanische Weltbild mit der Sonne im Mittelpunkt bekommen. Beide Modelle lieferten jedoch nur recht ungenaue Vorhersagen für die tatsächliche Position der Planeten.

Erst Kepler erkannte, dass man sich nicht nur Gedanken darüber machen muss, ob Erde oder Sonne im Mittelpunkt stehen, sondern auch darüber, welche Form die Bahnen der Planeten haben. Bis dahin war man selbstverständlich davon ausgegangen, dass sich alle Himmelskörper nur auf Kreisbahnen bewegen konnten. Der Kreis wurde als perfekte Form angesehen, und weil der Himmel das Reich des Göttlichen war, konnte es dort nur kreisrunde Himmelskörper geben, die sich auf kreisförmigen Bahnen umeinander bewegten. Kepler aber stellte fest, dass sich die Bahnen der Planeten mit elliptischen Bahnen viel besser beschreiben lassen. Die Bahnellipsen der Himmelskörper wichen zwar nur sehr wenig von der Kreisform ab, diese kleine Korrektur reichte aber aus, ein Modell zu entwickeln, das gute Vorhersagen machte.

Ganz konnte sich Kepler aber nicht von der Idee lösen, dass der Struktur des Sonnensystems ein perfekter, „göttlicher“ Bauplan zugrunde liegt. Damals waren nur die sechs Planeten Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter und Saturn bekannt. Kepler war davon überzeugt, dass die Planeten nicht einfach zufällig im Sonnensystem verteilt waren, sondern dass ihre Abstände von der Sonne Gesetzmäßigkeiten folgen mussten. Bei seinen Untersuchungen fand er auch einen entsprechenden mathematischen Zusammenhang der Abstände, der leider nur einen Schönheitsfehler aufwies: Zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter gab es eine Lücke, die sein System kaputt machte. Kepler schlug vor, dass sich dort noch ein kleiner Planet befinden müsse. So richtig zufrieden war er mit dieser Lösung aber nicht, denn selbst ein Zusatzplanet zwischen Mars und Jupiter konnte sein System nicht komplett retten. Außerdem hätte er noch einen weiteren Planeten zwischen Merkur und Venus setzen müssen, um auch dort eine Lücke zu schließen.

Später verwarf Kepler diesen Ansatz ganz und stellte sich geometrische Figuren (Kugeln, Würfel und regelmäßige Vielflächler) vor, die wie russische Matrjoschka-Puppen ineinandergeschachtelt werden können und deren Abfolge die Bahnen der Planeten repräsentiert. Damit konnte er das Problem lösen (allerdings stellte dies nur ihn selbst zufrieden, den ihm nachfolgenden Astronomen war das Modell zu konstruiert und esoterisch). Der große Isaac Newton war der Meinung, dass die Lücke zwischen Mars und Jupiter lebenswichtig für uns sei. Es müsse sie geben, denn nur so sei sichergestellt, dass die großen Planeten wie Jupiter und Saturn ausreichend Sicherheitsabstand zur Erde haben und die Bahn unseres Planeten durch ihre gewaltigen Gravitationskräfte nicht zu sehr stören. Große Planeten bräuchten eben auch mehr Platz – eine Meinung, der sich viele andere große Denker der damaligen Zeit (zum Beispiel Immanuel Kant) anschlossen.

1766 aber fand der damals eher unbekannte Astronom Johann Daniel Titius von der Universität Wittenberg ein neues mathematisches Gesetz, mit dem sich die Abstände der Planeten von der Sonne beschreiben ließen. Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter und Saturn passten fast perfekt in das von Titius entdeckte Muster.2 Nur zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter verblieb das Problem, an dem auch schon Kepler gescheitert war. Hier sagte die Regel von Titius die Existenz eines weiteren Planeten vorher. Ein Planet, der aber ganz offensichtlich nicht da war.

Ceres & Co.

Doch dann kam das Jahr 1781 und eine der beeindruckendsten astronomischen Entdeckungen überhaupt: Der britische Astronom Wilhelm Herschel fand, das erste Mal in der Geschichte, einen neuen Planeten. Der Himmelskörper bekam den Namen Uranus, umkreiste die Sonne außerhalb der Bahn des Saturn und passte perfekt in die Regel von Titius. Die wurde mittlerweile „Titius-Bode-Reihe“ genannt (nach Johann Elert Bode, dem Direktor der Berliner Sternwarte, der Titius’ Entdeckung bekannt gemacht hatte), und nach der Entdeckung des Uranus hatte kaum noch jemand Zweifel an ihrer Gültigkeit. Wenn die Titius-Bode-Reihe einen weiteren Himmelskörper zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter vorhersagte, dann musste da also auch einer sein.

Um ihn endlich zu finden und die störende Lücke zu schließen, entschloss man sich, die Suche systematisch anzugehen. Schon auf dem ersten europäischen Astronomenkongress in Gotha im Jahr 1798 hatte der Franzose Jérôme Lalande eine internationale Kooperation gefordert, die zwei Jahre später während des zweiten Treffens umgesetzt wurde. Unter der Leitung des deutsch-österreichischen Astronomen Franz-Xaver von Zach wurde die „Himmelspolizey“ ins Leben gerufen.3 Der Himmel wurde in 24 Abschnitte aufgeteilt und jeder beteiligten Sternwarte ein Bereich zugewiesen. Auf der Liste der Kooperationspartner stand auch der Sizilianer Giuseppe Piazzi, der schon am 1. Januar 1801 einen schwach leuchtenden Stern an einer Position fand, an der sich laut seiner Sternkarten gar kein Stern befinden konnte. Als Piazzi den neuen „Stern“ in der folgenden Nacht noch mal beobachten wollte, stellte er fest, dass er sich deutlich bewegt hatte. Vorläufige Berechnungen zeigten, dass sich dieser Himmelskörper tatsächlich genau in der Lücke zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter befand.

Piazzi gab ihm den Namen „Ceres“,4 konnte seine Beobachtungen aber wegen einer Erkrankung nicht fortsetzen. Dann verschwand der neue Himmelskörper auf seiner Bahn hinter der Sonne, die Astronomen verloren ihn aus den Augen. Ihn wiederzufinden war nicht so einfach, denn aus den wenigen Beobachtungen, die Piazzi noch machen konnte, ließ sich nur eine sehr ungenaue Bahn bestimmen. Der große Mathematiker Carl-Friedrich Gauß entwickelte daher extra eine neue Methode der Bahnbestimmung, die Mitglieder der Himmelspolizey setzen sie erfolgreich um – und fanden Ceres im Dezember 1801 wieder.

Schon ein Jahr nach ihrer Gründung schien die Aufgabe der internationalen Astronomengruppe beendet zu sein. Wie erwartet hatte man den fehlenden Planeten zwischen Mars und Jupiter entdeckt. Allerdings fand der deutsche Arzt und Astronom Heinrich Wilhelm Olbers aus Bremen am 28. März 1802 noch einen unbekannten Planeten zwischen Mars und Jupiter. „Pallas“ passte so gar nicht ins Schema der Astronomen. Man hatte ja schon Ceres – was sollte man mit einem weiteren Planeten anfangen? 1804 folgte dann noch die Entdeckung von „Juno“, 1807 wurde „Vesta“ gefunden. Astrea, Hebe, Iris, Flora, Metis, Hygiea, Parthenope, Victoria, Egeria, Irene und Eunomia kamen in den folgenden Jahren hinzu. Anstatt eines fehlenden Planeten hatte man nun auf einmal 15 von ihnen, die sich alle zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter befanden.

All diese Himmelskörper wurden damals wirklich „Planeten“ genannt. Erst 1851 schlug der deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt den Namen „Asteroiden“ vor, der sich dann auch durchsetzte. Nicht durchsetzen konnte sich dagegen die Titius-Bode-Reihe. Nachdem schon die Vielzahl der Asteroiden ihre Gültigkeit zweifelhaft erschienen ließ, machte spätestens die Entdeckung des Planeten Neptun im Jahr 1846 ihr ein Ende. Neptun fiel völlig aus der Reihe heraus. Man ging daher dazu über, diese nur mehr als mathematische Kuriosität zu betrachten, die mit der realen Struktur des Sonnensystems nichts zu tun hatte.

In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wuchs die Liste der bekannten Asteroiden ständig an, und es wurde klar, dass sich ein ganzer „Asteroidengürtel“ zwischen der Bahn von Mars und Jupiter befinden musste.

Im 19. Jahrhundert rechnete man nicht damit, auch anderswo im Sonnensystem Asteroiden zu finden. Es war ebenfalls noch unklar, wo diese kleinen Himmelskörper überhaupt herkamen. Einer populären Vorstellung zufolge sollten sie die Überreste eines zerstörten Planeten sein. Diese Idee stammte von Olbers, dem Entdecker des Asteroiden Pallas. Als Mitglied der Himmelspolizey war auch er von der Existenz eines Planeten zwischen Mars und Jupiter überzeugt gewesen und entsprechend überrascht von seiner eigenen Entdeckung.

Olbers nahm daher an, dass sowohl Ceres als auch Pallas nur Bruchstücke eines zerstörten Planeten waren (der später den Namen „Phaeton“ bekam), und sagte die Existenz weiterer kleiner Himmelskörper in der Nähe von Pallas und Ceres voraus. Als tatsächlich immer mehr Asteroiden entdeckt wurden, schien sich Olbers’ Hypothese zu bestätigen: Statt eines normalen Planeten befand sich zwischen Mars und Jupiter ein großes Trümmerfeld aus großen und kleinen Felsbrocken. Man vermutete, dass der ehemals dort existierende Phaeton durch die starke Gravitationskraft des Jupiters zerstört worden oder bei einer Kollision mit einem anderen großen Himmelskörper auseinandergebrochen war.

Damals mag das eine plausible Vorstellung gewesen sein; heute kennen wir viel mehr Asteroiden im Hauptgürtel als im 19. Jahrhundert. Aber von den mehr als 500 000 bekannten Kleinkörpern zwischen Mars und Jupiter sind nur Ceres, Pallas und der 1807 entdeckte Asteroid Vesta größer als 500 Kilometer.5 Nimmt man alle Asteroiden im Hauptgürtel zusammen, macht ihre Masse gerade einmal 4 Prozent von der unseres Mondes aus (beziehungsweise 0,05 Prozent der Masse der Erde). Das ist viel zu wenig, um daraus einen ganzen Planeten aufzubauen.

Dass mit der These des zerstörten Planeten etwas nicht stimmen konnte, merkte man aber auch schon gegen Endes 19. Jahrhunderts, als außerhalb des Hauptgürtels Asteroiden auf sehr seltsamen Bahnen entdeckt wurden. In der Nacht vom 13. August 1898 waren Gustav Witt und sein Assistent Felix Linke an der Berliner Urania-Sternwarte dabei, den Himmel zu fotografieren. Witt war nur ein Teilzeit-Astronom: Untertags saß er im Deutschen Reichstag, wo er als Stenograf Reden von Politikern mitschrieb. Genauso gründlich, wie er die Worte der Volksvertreter für die Nachwelt aufbewahrte, machte er sich in der Nacht daran, die Bilder der Sterne aufzuzeichnen. Aber einer der hellen Punkte, die er in besagter Nacht beobachtete, konnte kein Stern sein. Dieser Punkt hatte sich bewegt. Es musste sich um einen nahen Kleinkörper im Sonnensystem handeln. Witt und Linke hatten einen weiteren Asteroiden gefunden; mittlerweile schon der 433ste, seit Piazzi 97 Jahre zuvor Ceres gefunden hatte.6 Dieser Asteroid, der den Namen „Eros“ bekam, war aber nicht einfach nur ein weiterer Eintrag in einer immer länger werdenden Liste. Im Gegensatz zu den 432 anderen befand sich Eros nicht im Bereich zwischen Mars und Jupiter. Seine Bahn war zudem nicht annähernd kreisförmig wie die der anderen Kleinkörper, sondern viel langgestreckter. Auf seinem Weg um die Sonne kommt Eros der Erde sogar näher als der Mars. Deutlich näher: Während der Mars der Erde sich auf höchstens 55 Millionen Kilometer annähern kann, rückt Eros bis auf 22 Millionen Kilometer an die Erde heran.

Witt und Linke hatten den ersten Asteroiden aus der Gruppe der „erdnahen Asteroiden“ entdeckt. Wie der Name vermuten lässt, handelt es sich dabei um Himmelskörper, die der Erde nahe kommen können. Und nicht nur das: Manche der erdnahen Asteroiden bewegen sich auf Bahnen, die die Bahn der Erde kreuzen.

Das bedeutet, dass es zur Kollision kommen kann. Bis diese Erkenntnis akzeptiert wurde, musste aber noch ein wenig Zeit vergehen. Man musste vor allem besser über die Natur der Kleinkörper im Sonnensystem Bescheid wissen.

Kometen und andere Katastrophen

Die Asteroiden fügten sich schnell in das Bild der vorhandenen Himmelskörper ein. Bei den Kometen dauerte es ein wenig länger. Ende des 17. Jahrhunderts nutzte der Brite Edmund Halley die kurz zuvor entwickelte Gravitationstheorie von Isaac Newton, um die Bahnen von einer Vielzahl der damals bekannten Kometen zu berechnen. Dabei stellte er fest, dass einige Kometen aus der Vergangenheit annähernd gleiche Umlaufbahnen hatten. Er schloss daraus, dass es sich immer um denselben Himmelskörper handeln musste, der so wie die Planeten einer regelmäßigen Bahn um die Sonne folgt und dabei alle 76 Jahre der Erde nahe kommt.7 Dieser Komet trägt heute Halleys Namen, und so wie die meisten der danach entdeckten Kometen bewegt sich auch der Halleysche Komet auf einer langgestreckten und elliptischen Bahn, die ihn quer durchs Sonnensystem führt und ihn die Bahnen der anderen Planeten kreuzen lässt.

Anfang des 19. Jahrhunderts spekulierte der deutsche Astronom Friedrich Wilhelm Bessel darüber, dass die Kometen deswegen so hell am Himmel leuchten konnten, weil es sich bei ihnen um Felsbrocken handelte, aus denen Gas ins All strömt, das den Kometen wie eine Wolke umgibt und hell leuchtet. Die Idee war richtig, setzte sich aber erst 1951 durch, als der amerikanische Astronom Fred Whipple sein berühmtes Modell der „schmutzigen Schneebälle“ entwickelte. Whipple betrachtete die Kometen als Mischung aus Staub und gefrorenen Gasen, die auftauen,8 wenn sich der Himmelskörper der warmen Sonne nähert. Das Eis entweicht ins All und reißt dabei Staub von der Oberfläche des Kometen mit sich. So entsteht eine große Wolke aus Gas und Staub, die den Kometenkern umgibt und das Sonnenlicht reflektieren kann.

Mitte des 20. Jahrhunderts wusste man also darüber Bescheid, dass es im Sonnensystem neben den Planeten auch noch diverse andere Kleinkörper gab. Die Asteroiden und Kometen waren im Wesentlichen Brocken aus Gestein und Eis, und einige von ihnen befanden sich auf Bahnen, die die Bahn der Erde kreuzen konnten. Trotzdem war man damals mehrheitlich nicht davon überzeugt, dass es auch zu Kollisionen kommen konnte.

In ferner Vergangenheit mochte so etwas vorgekommen sein, dachte man damals, und vielleicht fiel immer noch der eine oder andere Stein vom Himmel. Immerhin waren Chemie und Geologie weit genug fortgeschritten, um feststellen zu können, dass die Zusammensetzung dieser Steine völlig anders war als die derer, die von der Erde stammen. Aber man dachte, dass Meteoriten nur selten auf die Erde fallen und dabei keinen großen Schaden anrichten.

Die meisten Geologen hatten Hemmungen, Katastrophen in ihre Theorien einzubauen. Zu lange hatten Kirche und Religion die Wissenschaft beeinflusst, zu lange hatten biblische Geschichten wie die der Sintflut als der Forschung ebenbürtige Theorien gegolten. Einen „Katastrophismus“ in der Wissenschaft hatte vor allem der französische Naturforscher George Cuvier Anfang des 19. Jahrhunderts populär gemacht. Er gilt als einer der Begründer der Paläontologie und untersuchte im Jahr 1808 die geologischen Schichten und Fossilien in der Umgebung von Paris. Cuvier fand sieben unterschiedliche Gesteinsschichten mit ausgestorbenen Tier- und Pflanzenarten, und die Lebewesen der einzelnen Schichten schienen absolut nichts miteinander zu tun zu haben. Zwischen den Schichten fand er geologische Ablagerungen, die nur Meerestiere enthielten, und er schloss daraus, dass die Welt in regelmäßigen Abständen komplett überschwemmt worden sein musste, die jeweils vorhandene Tier- und Pflanzenwelt ausgelöscht und durch eine neue ersetzt. Cuvier selbst sah keinen Zusammenhang zwischen seiner Forschung und religiösen Dogmen (zumindest findet sich darauf kein Hinweis in seinen Publikationen), aber andere Forscher waren nur zu gerne bereit, die Funde im Pariser Becken als Beleg für Gottes Eingriff in die Natur zu deuten.

Die von Gott gesandte weltweite Flut war bis tief ins 19. Jahrhundert hinein die Erklärung für eine Vielzahl geologischer und biologischer Phänomene. Erst die grundlegende Arbeit des Schotten Charles Lyell begann das zu ändern. Zwischen 1830 und 1833 veröffentlichte Lyell die drei Bände seines Werkes Prinzipien der Geologie, und der komplette Titel des Buches nimmt seinen Inhalt schon vorweg: Principles of Geology: being an attempt to explain the former changes of the Earth’s surface, by reference to causes now in operation (Prinzipien der Geologie: Ein Versuch, die früheren Veränderungen auf der Oberfläche der Erde durch heute ablaufende Vorgänge zu erklären).

Lyell war der Meinung, dass es keine großen Katastrophen und schon gar keine Eingriffe übernatürlicher Wesen braucht, um die geologischen Strukturen auf der Erdoberfläche zu erklären. Man müsse sich nur die Vorgänge ansehen, die auch heute noch immer und überall stattfinden: Wasser fließt über Felsen, Wind weht über den Boden, Wellen reiben Kieselsteine gegeneinander, und so weiter. All das hat zwar kurzfristig keinen großen Einfluss auf die Gestalt der Erde. Aber wenn man nur lange genug wartet, so Lyell, dann verändern diese Prozesse das Angesicht der Erde und können ganze Kontinente umgestalten. Lyells Werk beeinflusste auch die Arbeit von Charles Darwin, der mit seiner Evolutionstheorie ebenfalls kleine Änderungen während langer Zeiträume als Erklärung für die Vielfalt des Lebens ausmachte. Gemeinsam drängten sie die religiösen Vorstellungen von abrupter Vernichtung und neuer Schöpfung aus der Forschung, und im 20. Jahrhundert fiel es ihren Kollegen dann schwer, die Katastrophen wieder zurück in die Wissenschaft zu lassen.

Und das galt ganz besonders für Kollisionen der Erde mit anderen Himmelskörpern. Man sah zwar viele Krater auf der Oberfläche des Mondes, und auch auf der Erde entdeckten Geologen einige beeindruckende Exemplare. Aber die hielt man für die Resultate von Vulkanausbrüchen und brachte sie nicht in Zusammenhang mit dem Einschlag von Asteroiden. Erst die Arbeit des amerikanischen Geologen Eugene Shoemaker sollte die Sicht auf die Dinge ändern. In den 1940er Jahren sah Shoemaker die großen Krater, die während der oberirdischen Atombombentests entstanden waren. Und auch während seiner Suche nach Uranablagerungen in Colorado und Utah stieß er auf Strukturen wie den großen Barringer-Krater in Arizona. Er begann sich für die Entstehung von Kratern zu interessieren und entdeckte (gemeinsam mit Ed Chao) im Zuge seiner Forschung das Coesit, eine spezielle Form von Quarz, die nur bei enorm hohen Temperaturen und Drücken entstehen kann. Zum Beispiel beim Einschlag eines Asteroiden.

Shoemaker konnte nachweisen, dass geologische Strukturen wie der Barringer-Krater oder auch das Nördlinger Ries in Deutschland durch Asteroideneinschläge entstanden sein mussten, und beschäftigte sich in Folge mit der Geologie anderer Himmelskörper. Er wollte die Krater auf dem Mond untersuchen und ihre Entstehung entschlüsseln, und wenn ihn nicht gesundheitliche Probleme daran gehindert hätten, wäre er im Zuge der Apollo-Missionen auch tatsächlich zum Mond geflogen. So musste er sich darauf beschränken, die Astronauten der NASA geologisch auszubilden.

Weltweit bekannt wurde Shoemaker im Jahr 1994. Im Juli konnten Astronomen auf der ganzen Welt beobachten, dass er mit seinen Thesen Recht hatte. Ein Komet, den Shoemaker gemeinsam mit David Levy und dessen Frau Carolyn entdeckt hatte, befand sich auf Kollisionskurs mit Jupiter: Pünktlich zum vorherberechneten Zeitpunkt stießen die beiden Himmelskörper zusammen.

Heute wissen wir, dass Asteroideneinschläge und Kollisionen mit Kometen ein völlig normaler Vorgang im Sonnensystem sind. Anders ist es auch gar nicht möglich, dass Astronomen seit der Entdeckung eines ersten erdnahen Asteroiden im Jahr 1898 noch mehr als 10 000 weitere große und kleine Felsbrocken gefunden haben, die sich im Raum zwischen den Bahnen von Mars und Venus befinden und dabei auch die Bahn der Erde kreuzen können. Die immer wieder stattfindenden nahen Begegnungen mit den großen Planeten verändern die Umlaufbahnen der kleinen Himmelskörper. Früher oder später hat das katastrophale Folgen.

Der Astronom Rudolf Dvorak von der Universität Wien hat im Jahr 1999 berechnet, dass der Asteroid Eros noch 20 Millionen Jahre durchhält, bevor die Störungen seiner Bahn zu einer Kollision mit der Sonne führen. Das gleiche Schicksal steht allen anderen erdnahen Asteroiden bevor. Sie werden entweder in die Sonne stürzen oder mit einem der Planeten kollidieren. Ihre Lebensdauer beträgt typischerweise nur einige 10 Millionen Jahre,9 und das bedeutet, dass Zusammenstöße von Asteroiden mit Planeten im Sonnensystem auf der Tagesordnung stehen.

Wir wissen heute ebenfalls, dass sich in den äußeren Regionen des Sonnensystems ein gewaltiges Reservoir von Billionen Kometen befindet (die sogenannte „Oortsche Wolke“). Die meisten davon bleiben auf ihren fernen Bahnen, aber ab und zu führen gravitative Störungen vorbeiziehender Sterne dazu, dass einer von ihnen sich auf den langen Weg ins innere Sonnensystem macht. Dabei kann er der Erde nahe kommen und auch mit ihr zusammenstoßen.

Ob Asteroid oder Komet: Im Sonnensystem gibt es ausreichend Geschosse, und die Erde war von Anfang an eine der vielen Zielscheiben. Die geologischen Untersuchungen zeigen uns, dass unser Planet in der Vergangenheit immer wieder von Felsbrocken aus dem All getroffen wurde. Ereignisse wie der Asteroid von Tscheljabinsk beweisen zudem, dass der Beschuss noch immer stattfindet, und die Erkenntnisse der Astronomie machen zweifelsfrei klar, dass wir auch in Zukunft mit Asteroideneinschlägen rechnen müssen. Wir können froh sein, wenn dann nur ein paar Fensterscheiben zerbrechen. So eine kosmische Kollision kann viel unangenehmere Folgen haben.

Kapitel 2 Die dünne graue Linie