Auf Entdeckungsreise in die Antarktis -  - E-Book

Auf Entdeckungsreise in die Antarktis E-Book

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Beschreibung

Als E. v. Drygalski 1901 an Bord der "Gauss" zur ersten deutschen Südpolarexpedition aufbrach, wusste er noch nicht, dass sein Schiff schon am Südpolarkreis für ein Jahr lang ortsfest einfrieren würden. Zur selben Zeit näherte sich R. F. Scott dem Südpol bis auf 82 Grad Süd. Trotz der überaus reichhaltigen Datensammlungen wurde Drygalskis Expedition 1903 bei ihrer Rückkehr von Kaiser Wilhelm II. als erfolglos betrachtet. Nun werden die während der Expedition nach Deutschland geschickten Originalberichte von Drygalski und von der Zweigstation auf den Kerguelen erstmals zusammen veröffentlicht. Sie geben einen authentischen Einblick in das Geschehen während der Expedition, der noch nicht durch Enttäuschung bei der Rückkehr überdeckt ist.

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Inhalt

Vorbemerkungen

Allgemeiner Bericht über den Verlauf der Fahrt von Kiel bis Kapstadt

Die Kerguelen-Station. Bericht über die Reise der Mitglieder und die Begründung der Station

Allgemeiner Bericht über den Verlauf der Expedition von Kapstadt bis zu den Kerguelen

Abschiedswort

Allgemeiner Bericht über den Verlauf der Expedition von den Kerguelen bis nach Kapstadt

Kerguelen-Station. Allgemeiner Bericht über die Zeit vom 1. April 1902 bis 1. April 1903

Bericht über den Verlauf der Fahrt von Kapstadt nach Kiel

Schlußbemerkungen des Vorsitzenden der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin

ANHANG

Nachwort

Karten

Vorbemerkungen

Am 2. April 1901 lief in Gegenwart des Staatssekretärs des Innern, Herrn Grafen v. Posadowsky-Wehner, und zahlreicher Freunde des großen Unternehmens einer deutschen Südpolarexpedition das dafür gebaute Schiff vom Stapel und wurde auf Allerhöchsten Befehl auf den Namen »Gauss« getauft. Seine Bestimmung für rein wissenschaftliche Aufgaben war damit gekennzeichnet. Am 11. August verließ es den Hafen von Kiel, begleitet von den Segenswünschen eines großen Teils der deutschen Nation.

Auf zwei Jahre war die Expedition geplant. Davon sollte ein Jahr, falls ein günstiges Geschick es gestatten würde, auf fortlaufende wissenschaftliche, insbesondere erdmagnetische Beobachtungen an einem festen Punkt im antarktischen Eis, womöglich an einer Festlandsküste, verwandt wer den. Diese Aufgabe stand voran. Neue Entdeckungen waren nicht das Ziel; aber gern gab man sich der Hoffnung hin, daß auch sie nicht ausbleiben würden. Es war ein kühnes und gefahrvolles Unternehmen, denn im Umkreis des Südpols war gerade die Region, nach welcher es gerichtet war, am wenigsten bekannt. Daher wurde die Vereinbarung getroffen, daß falls bis zum 1. Juni 1903 eine Nachricht von geglückter Rückkehr nach einem Hafen der Südhemisphäre nicht einlaufen sollte, ein Schiff auszusenden wäre, um nach dem Verbleib der »Gauss« zu suchen, und, wenn sie nicht gefunden würde, an einer verabredeten Stelle, in Knox Land, eine Niederlage von Vorräten und Kohle zu errichten,

Zur Ergänzung des Beobachtungsnetzes um den Südpol diente eine besonders ausgerüstete Station auf den Kerguelen-Inseln, wo während der gleichen Jahresperiode nach denselben Methoden gearbeitet werden sollte.

Mit banger Sorge blickten Freunde der Expedition der »Gauss« nach, als das schöne Schiff auf der Fahrt durch den Kaiser Wilhelm-Kanal den letzten heimischen Boden berührte. Wohl durften sie vertrauen, daß, was menschliche Kräfte vermögen, geleistet werden würde, um ohne zu große Gefährdung von Fahrzeug und Besatzung das gesteckte Ziel zu erringen. Waren doch alle vorliegenden Erfahrungen benutzt worden, um ein für hohe See und Eispressung gleich widerstandsfähiges Schiff zu bauen. Umsichtig hatte der erkorene Leiter, Erich v. Drygalski, die Auswahl des nautischen und des wissenschaftlichen Stabes getroffen; mit Scharfblick und Sorgfalt hatte er die Ausrüstung nach den verschiedensten Richtungen hin angeordnet und überwacht. Auf seine Besonnenheit in schwierigen Lagen durfte gerechnet werden; er hatte sie bei einer Überwinterung im grönländischen Eis erwiesen. Aber trotz äußerster Vorsicht konnten die elementaren Mächte der Antarktis das Schiff an unfindbarer Stelle auf Jahre in ihren eisigen Armen umklammern, um es erst freizugeben, nachdem die Insassen längst als Opfer ihres Wagemutes gefallen waren.

Neue Nahrung gewannen die Besorgnisse, als die erschütternde Kunde kam, daß zwei von den drei Mitgliedern der Kerguelen-Station von einer tückischen, von chinesischen Kulis eingeschleppten Krankheit befallen seien, und einer von ihnen, Dr. Enzensperger, ihr erlegen sei. In die Klage um den Verlust dieses seltenen Mannes, der, ein Musterbild von frischem Unternehmungsgeist und männlicher Kraft, mit der Befähigung für größte physische Leistungen wissenschaftliche Tüchtigkeit verband, mischte sich die unausgesprochene bange Sorge, daß die Keime der Beriberi auch die Atmosphäre des Schiffes, selbst im Eis, verpestet haben möchten, und die Phantasie gestaltete sich Schreckensbilder von den Zuständen, welche auf der »Gauss« eingetreten sein könnten.

Ein gütiges Geschick hat alle diese Sorgen zerstört. Unerwartet glücklich hat die Expedition ihre Aufgabe erfüllt; überraschend pünktlich hat sie den Termin der Rückkehr innegehalten. Denn genau am vereinbarten Tage, am 1. Juni 1903, langte in Berlin das Telegramm »Gauss in Sicht« aus Durban an, und am folgenden Tage folgte die erlösende Nachricht: »Alles wohl, Schiff vorzüglich bewährt«.

Wochen vergingen, ehe der ausführliche Bericht anlangte. Jetzt liegt er vor. Es ist ihm die erfreuliche Kunde zu entnehmen, daß das wesentliche Ziel so vollkommen erreicht worden ist, wie man angesichts des unwirtlichen Charakters der Antarktis zu hoffen wagen durfte. Zwar stellte sich unbekanntes Land dem Vordringen in höhere Breiten früher entgegen, als es erwünscht war; aber gerade dadurch erhielt die Expedition eine gesicherte Stätte zur Arbeit. Schwere Oststürme trieben Eisschollen und Schiff dem festen Eisrand entlang nach Westen. Verhängnisvoll für die Arbeit drohte das Festwerden in dem beweglichen Eis zu werden. Da hielt eine vom Eisrand untermeerisch nach Norden vorspringende Untiefe das treibende Eis auf. Dort wurde auch das Schiff unentrinnbar festgebannt. Was in erster Linie erstrebt wurde, eine feste, unbewegliche Station, war damit erreicht.

Die Gelegenheit ist mit aller Kraft ausgenutzt worden. Wie der allgemeine Bericht von Drygalski, so zeigen die vielen eingegangenen Einzelberichte, daß jedermann seine Schuldigkeit getan hat, daß ein trächtiger Geist herrschte und auch das schwierige Problem, die Mannschaft dauernd zu beschäftigen, glücklich gelöst worden ist. Alle geplanten Beobachtungen konnten durchgeführt und reiches Material gesammelt werden, dessen Bearbeitung in der Heimat Jahre der Tätigkeit erfordern wird. Nur betreffs der Schlittenfahrten, welche in der Richtung des magnetischen Pols beabsichtigt waren, war Entsagung, oder doch Beschränkung auf ein geringes Maß, geboten. Denn in unendlicher Einförmigkeit breitete sich unübersehbar die Eisfläche aus. Eine Expedition hätte, wenn auch mit Mühen und Gefahren, wahrscheinlich bis in große Fernen vordringen können; aber bei den furchtbaren Schneestürmen hätten es ihr die langdauernde Behinderung astronomischer Ortsbestimmung und der gänzliche Mangel an Fixpunkten kaum möglich gemacht, jemals wieder den Weg nach der Stelle des Schiffes zurückzufinden. Der kleine Gaussberg war als Landmarke für weitere Vorstöße ganz ungenügend. Es fehlten die hoch aufragenden Vulkane und die langgezogene südwärts gerichtete Festlandsmauer, welche es in derselben Zeit den tatkräftigen Mitgliedern der englischen Expedition gestatteten, von ihrer Station, die selbst weit im Süden, an der Grenze des seit 1840 bekannten Gebietes lag, durch energische Benutzung dieser günstigen Verhältnisse heroische Entdeckungszüge nach großer Ferne zu unternehmen und den langen Weg von hoher Breite nach dem Schiff zurück zu finden.

Das Arbeitsjahr auf dem unbeweglich eingeschlossenen Schiff, ebenso wie das international organisierte Beobachtungsjahr für den erdmagnetischen Dienst, gingen ihrem Ende entgegen, als ein heftiger Sturm, nicht ohne Beihilfe kluger Maßnahmen seitens der Expedition, das Schiff befreite. Vergeblich war das Streben, durch das Gewirr der Eisberge südwärts zu weiteren Entdeckungen vorzudringen, vergeblich die Entschlossenheit, mit dem noch gut verproviantierten Schiff einen zweiten Winter im Eis zu verbringen. Stürme brachten die »Gauss« an den Rand des offenen Meeres. Der Winter hatte begonnen und war schon zu weit vorgeschritten, um einen nochmaligen Versuch des Vordringens nach Süden wirksam erscheinen zu lassen, da das Festfrieren im beweglichen Scholleneis beinahe mit Sicherheit zu erwarten gewesen wäre. – Nicht leichten Herzens wurde die Rückfahrt beschlossen. Ein treibender Beweggrund dafür war, wie aus Privatbriefen von Herrn v. Drygalski hervorgeht, die Erwägung, daß durch Eintreffen in einem Hafenplatz um die Zeit des 1. Juni dem Reich die Kosten und allen Beteiligten die Mühen und Sorgen der Ausrüstung und Aussendung einer Hilfsexpedition erspart werden würden. Von dem Hafen sollte der Draht die Nachricht der Ankunft nach Berlin tragen, zugleich mit der Bitte um Instruktion betreffs der weiteren Aufgaben.

So wurde die Fahrt nach Norden angetreten, immer noch mit der Hoffnung, nach Ablauf des Südwinters noch einmal südwärts in die Eisregion zu gehen. Wohlbehalten langte die Expedition in Kapstadt an. Welche weitere Arbeit sie auch auf der Heimfahrt noch tun möge, die ihr zugewiesene Aufgabe ist erfüllt. Befriedigt dürfen die, welche die Vorbereitungen leiteten, und die, welche die Mittel gewährten, auf das Erreichte blicken. Dank gebührt der wagemutigen Schar derer, welche für die Arbeit zur Lösung von Problemen der Kunde von der Erde unter Beschwerden und Gefahren gearbeitet und opferfreudig ihr Leben dafür eingesetzt haben. Ein tragisches Geschick waltete über der Kerguelen-Station. Umso mehr ist es erhebend, daß die, welche die deutsche Flagge im Dienst der Wissenschaft in das antarktische Eis getragen haben, nach getaner Pflicht ohne Verlust von dort entronnen sind, und daß es ihnen vergönnt ist, die Ergebnisse ihrer Tätigkeit nach der Heimat zurückzubringen.

Berlin, im Juli 1903

F. v. Richthofen

Allgemeiner Bericht über den Verlauf der Fahrt von Kiel bis Kapstadt

von

Professor Dr. Erich v. Drygalski

1. Bis zur Ankunft auf den Kapverdischen Inseln*

An Bord der »Gauss«, den 10. September 1901

Seit gestern ist der Passat zum ersten Mal etwas frischer geworden, und wir nähern uns in schneller Fahrt dem Kap Verde. Bei einer Geschwindigkeit von 5 bis 6 Seemeilen pro Stunde dürfen wir hoffen, morgen gegen Abend Porto Grande zu erreichen. Daselbst ist ein kurzer Aufenthalt geplant, um vor dem Überschreiten des magnetischen Äquators noch einmal die Deviation des Schiffes zu bestimmen. Da es in dem Hafen auch sonst Arbeiten mancherlei Art geben wird, sei ein kurzer Bericht über den bisherigen Verlauf der Expedition schon hier begonnen.

Der äußere Verlauf der Fahrt ist der denkbar günstigste gewesen. Nicht ein Sturm, nur wenige Male ein kurzer und dann, wie z. B. gestern Abend, erquickender Regen, hat den ruhigen Gang unterbrochen. Unser aller Wohlbefinden ist daher durch Witterungseinflüsse in keiner Weise beeinträchtigt worden. Alle Insassen der »Gauss« sind in bester Stimmung und stetiger, erfrischender Tätigkeit seit ununterbrochen bis heute geblieben. Wir verdanken dieses wohl in erster Linie den ausgezeichneten Eigenschaften der »Gauss«. Ich darf mir einen eingehenden Bericht darüber bis Kapstadt vorbehalten, will aber schon heute bemerken, daß das Schiff seinen Zwecken zweifellos in hervorragendem Maß entspricht. Sein Gang ist auch bei stärkerem Wind nicht schnell – mehr als 7 Seemeilen haben wir bisher nicht erreicht – aber fest und ruhig. Seit Kap Lizard haben wir nur während kurzer Zeiten keine Dünungen gehabt, da sie sich selbst bei ganz flauem Wind oder Stille einfanden. Die »Gauss« rollte dann bisweilen stark, wie jedes andere Schiff, doch langsam und ohne zu stoßen, so daß wir dadurch in unseren Arbeiten wohl manchmal etwas aufgehalten, aber nie gehindert worden sind. Die Geschwindigkeit unter Segel könnte man größer wünschen. Das Steuern geht leicht, doch scheint es stete Aufmerksamkeit zu erfordern. Es erfolgte in der ersten Zeit, wo wir im Kanal unter Dampf fuhren, von der Kommandobrücke aus, seit Kap Lizard, wo die Segelfahrt begann, von Deck aus, von wo es noch leichter geht. Kapitän Ruser nannte das Schiff vor einigen Tagen luvgierig, d. h. es dreht sich gegen den Wind; er sieht den Grund in einer um ein ganz Geringes zu weit nach vorn geschobenen Stellung des vorderen Mastes. Doch kann sich die Geschwindigkeit bei leichterer Belastung, als die »Gauss« jetzt noch hat, steigern; auch ist sie gegenwärtig durch eine schon zu Tage getretene Bewachsung des Schiffskörpers, die Professor Vanhöffen bei seinen Fangzügen feststellte, wohl etwas beeinträchtigt, so daß Kapitän Ruser dieselbe in Porto Grande durch unsern Taucher und zweiten Zimmermann Heinrich beseitigen zu lassen wünscht. Die Sonderheiten der Steuerung sind erkannt und haben auch bei Lotungen und Fangzügen seither nicht mehr gestört. So kann das Urteil über Gang und Bewegungen des Schiffes nur günstig lauten.

Das Gleiche gilt von den inneren Einrichtungen. Daß jeder wissenschaftliche Teilnehmer und jeder Offizier seine eigene Kammer hat, ist ein nicht genug hervorzuhebender Vorzug. Am Tage ermangeln die Kammern leider freilich noch des genügenden Lichtes, was auch von dem Salon gilt, aber zum Teil darin seinen Grund hat, daß die große Hitze das Einsetzen von Ventilatoren an Stelle der Deckfenster erfordert hat. Wenn dann aber am Abend das elektrische Licht in den Kammern erstrahlt – am Tage wird es von der Akkumulatorenbatterie nur für die Mahlzeiten im Salon oder für die Kammer gespendet, wo besondere Arbeiten vorzunehmen sind – , dann ist es in den Kammern so behaglich, daß jeder selbst jetzt an den schönen sternhellen Sommerabenden gern darin weilen und arbeiten mag. Und das geschieht dann auch stundenlang jeden Tag, während der Salon, wenn die Mahlzeiten vorüber sind, wieder einsam und still liegt.

Der äußere Gang der Fahrt ist kurz der folgende: Nach den ergreifend schönen und uns allen unvergeßlichen Abschiedsstunden des 11. August in Kiel trennten wir uns von den letzten Begleitern in Rendsburg. Wir ankerten dort am selben Tage bis 5 Uhr nachmittags, um das Panzergeschwader unter der Führung Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Heinrich von Preußen passieren zu lassen, und empfingen dort noch einmal von jedem der mächtigen Panzer einen Abschiedsgruß durch drei donnernde Hurras der Besatzung; in gleicher Weise wurde uns dann noch mehrfach in der Elbmündung von den dort passierenden Kriegsschiffen und Passagierdampfern, und zuletzt im Kanal von einem großen englischen Passagierdampfer, ein Abschiedsgruß gespendet. Wo die »Gauss« gesehen wurde, ist sie auch – wohl meist an der Tonne im Mast – erkannt worden, und es war ein erhebendes Gefühl, auch über die Grenzen unseres Vaterlandes hinaus überall die gleichen herzlichen Grüße zu erhalten.

Am 12. August morgens ½ 2 Uhr ankerten wir in der Elb-Mündung bei Feuerschiff III und blieben dort bis zum 15. August 1 Uhr nachmittags. In der daselbst herrschenden Ruhe konnten die letzten Stauungen schnell und glücklich vollendet werden. Am 18. August morgens 6 Uhr kam die englische Küste bei Dover in Sicht.

Am 20. August morgens 6 Uhr wurde Kap Lizard passiert. Gleichzeitig frischte der Wind zu einem stärkeren NO auf, so daß noch mehr Segel gesetzt werden konnten. Am Abend des 20. August wurde die Maschine, die uns bis dahin zur Fahrt gedient hatte, abgestellt, und es ist für die Zwecke der Vorwärtsbewegung, von einer kurzen Strecke bei Madeira abgesehen, bis heute so geblieben.

An äußeren Abwechslungen hat es während dieser Segelfahrt natürlich gefehlt. Gegenwind hatten wir niemals, dafür aber häufig laue Winde und Stillen, so daß der durchschnittliche Fortschritt geringer war, als man besonders in der Zone des Passats erwarten durfte. Der Passat war erst in den letzten beiden Tagen frischer, bis dahin flau am Morgen und über Tag, etwas stärker in der Regel am Abend. Am Abend des 31. August, als wir Madeira langsam aus dem Gesicht verloren, ging ein prächtiges Feuerwerk über Funchal auf und wir kombinierten, daß es wohl zu Ehren des englischen Südpolarschiffs »Discovery« sein könnte, das in diesen Tagen dort zu liegen geplant hatte.

Umso abwechslungsreicher und nützlicher war die Segelfahrt bis heute für die Fortsetzung unserer Einrichtungen und Vorbereitungen, die bei dem schönen Wetter und den geringen Schwankungen ungehindert erfolgen konnten. Die Schiffsräume haben dadurch heute ein ganz anderes Aussehen als bei unserer Abreise aus Kiel. Der Raum zwischen den Stahlzylindern zur Ballonfüllung ist entleert und seinem eigentlichen Zwecke wiedergegeben, wie es der Kommandeur der Luftschifferabteilung in Berlin, Herr Major Klußmann, noch besonders beim Abschied anempfohlen hatte. Der Raum unter der Back ist schon zur Aufnahme der Hunde bereit. Die erste von unseren 20 Proviantgruppen ist ausgepackt und in allen Teilen in Gebrauch genommen. Die meisten Proviantartikel finden Beifall. Über Einzelheiten behalte ich mir weiteren Bericht vor. Das obere Laboratorium ist vollständig eingerichtet und in ständigem Gebrauch, das untere dient als Instrumenten- und Chemikalienkammer.

Unsere wissenschaftlichen Arbeiten haben begonnen und sind schon über die Erprobung und Bereitstellung der verschiedenen Maschinen und Instrumente hinaus gediehen. Mit der Lotmaschine wurde dreimal gelotet, das erste Mal ohne Erfolg und mit Verlust von Draht, die beiden nächsten Male, bei genauer Beachtung aller von der Kaiserlichen Werft in Kiel gegebenen Anleitungen, mit bestem Erfolg. Dieselben ergaben auf der Josephinen-Bank unter den folgenden Positionen die nachstehenden Tiefen:

37° 0’ N-Br. 14° 4’ W v. Gr.: 487 m

36° 42’ N-Br. 14° 5’ W v. Gr.: 2303 m

Desgleichen haben andere ozeanographische Arbeiten begonnen, namentlich Untersuchungen des Salzgehalts, die schon an etwa 150 Wasserproben nach verschiedenen Methoden gleichzeitig ausgeführt worden sind. Ich habe daher sämtliche Aräometer in Gebrauch gebracht und die Schwierigkeiten dieser Instrumente sowie die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit kennengelernt. Am einwandfreiesten funktionieren entschieden die Gewichtsaräometer von Professor Krümmel, selbst bei hohem Seegang. Eine sehr beachtenswerte Methode zur Bestinnung des Salzgehalts ist die mit dem neuen Eintauch-Refraktometer von Dr. Pulfrich in Jena, welche unter allen Verhältnissen vortrefflich anzuwenden ist und ein sehr sicheres Arbeiten gestattet. Nur bedarf es zu deren einwandfreier Ausnutzung noch genauerer Konstantenbestimmungen, als ich sie bisher habe bzw. bei meiner Abreise von Zeiss in Jena erhalten konnte. Sämtliche Wasserproben sind gleichzeitig von Dr. Philippi titrimetrisch auf ihren Chlorgehalt untersucht, was sehr sichere Resultate ergeben hat. Ferner hat Dr. Gazert an denselben Beobachtungen über die Meeresbakterien vorgenommen und Kulturen anzulegen begonnen; er wie Dr. Philippi haben auch weitere Untersuchungen über den Gasgehalt des Meerwassers eingeleitet.

Die gleichen Untersuchungen erfolgten an dem Tiefwasser, welches bei den Lotungen oder bei Dr. Vanhöffens Fangzügen mit herauf kam. Zu diesen wurden bereits die verschiedenen Netzarten verwendet und durch zweckmäßige Verbindung mit den Dampfwinden zu stetem Gebrauch bereit gemacht. Dr. Bidlingmaier läßt an geeigneter Stelle auf der »Gauss« Luftdruck, Temperatur und Feuchtigkeit registrieren und kontrolliert die so erhaltenen Aufzeichnungen durch direkte Beobachtungen; er prüft die beste Aufstellung von Regenmessern an Bord durch die am Bug, am Heck und in der Tonne am Großmast angebrachten Instrumente und hat auch magnetisch über die Leistungsfähigkeit des neuen Foxapparates verschiedene Beobachtungsreihen gewonnen.

Kapitän Ruser, die Offiziere und die Mannschaften der »Gauss« nehmen an diesen und anderen Arbeiten wirksamen Anteil. Für die Lotungen und Fangzüge bedarf es besonderer Manövrierungen des Schiffes, die Kapitän Ruser selbst leitet, wie er überhaupt die ganzen diesbezüglichen Einrichtungen des Schiffes auf das Sorgsamste überwacht hat. Dem ersten Offizier, Herrn Lerche, liegt es für gewöhnlich ob, an den verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten an Ort und Stelle mitzuwirken durch Führung des Lotdrahtes und der Netzleinen oder durch Kompaßpeilungen, während die beiden zweiten Offiziere, die Herren R. Vahsel und L. Ott, die Wachen versehen und den jeweiligen Dienst der Mannschaft bestimmen. Herrn Vahsel liegt außerdem, in Einvernehmen mit Dr. Gazert die Überwachung des Proviantverbrauchs ob, während Herr Ott sich mit mir in den Chronometerdienst teilt. Beide Herren führen außerdem bei der Ablösung der Wachen, also vierstündig und im einzelnen auch häufiger, meteorologische und ozeanographische Terminbeobachtungen aus. Allseitig begehrt ist die Mitwirkung unseres Obermaschinisten Herrn Stehr, sei es, daß es sich um die Beschaffung neuer Ventilationseinrichtungen bei der steigenden Hitze oder um Verbesserungen an unseren instrumentellen oder maschinellen Einrichtungen handelt.

So geht unser Leben in harmonischem Zusammenwirken aller seinen äußerlich einförmigen, an inneren Erlebnissen und interessanten Ergebnissen umso reicheren Gang. Da unsere Aufgaben im Süden liegen, werden die Arbeiten gegenwärtig so disponiert, daß von den die Reise aufhaltenden Arbeiten nur das geschieht, was zur Prüfung oder Einübung unserer Ausrüstung erforderlich ist.

Porto Grande, Sao Vicente, Kapverden, 15. September 1901

Am 11. September abends 6 Uhr warfen wir Anker im Hafen voll Porto Grande und erfreuten uns bei der Einfahrt an den großartigen Gebirgsformen der Kapverdischen Inseln, die uns umgaben. Jungvulkanische Gesteine bauen das Ganze auf. Es wechseln Decken harten Gesteins mit lockeren Tuffen, Konglomeraten und Breccien. Die Lagerung ist meist horizontal, an einzelnen Stellen sanft geneigt. Die Felsen enden in scharf ausgewitterten Graten, welche kühne, spitze Gipfelformen miteinander verbinden. Die Schartung ist meist gering.

Wer freilich hier tropische Schönheiten und tropischen Reichtum erwarten will, würde sich arg enttäuscht fühlen. Die Hauptinsel Sao Vicente, auf der Porto Grande liegt, leidet unter starkem Wassermangel. Aus einzelnen Zisternen wird Wasser mühsam gesammelt. Die Abhänge der Berge sind öde und kahl, abwechslungsreich nur durch die verschiedenen Verwitterungsformen, welche teils unter der Wirkung momentan reichlicher Feuchtigkeit, teils unter der Wirkung der Hitze entstanden sind. Hier lassen sich interessante Studien machen. Die Vegetation ist sehr spärlich. Für die wenigen Kühe eines Schiffshändlers wird das Futter aus Südamerika hergeschafft. Schweine werden zahlreich gehalten. An den Felswänden sind dafür oben offene Ställe aus losen Steinen angebaut. In jedem sitzt ein Tier und wird darin zum Verkauf gemästet. Die Farbe der Tiere ist meist schwarz, und es gewährt einen wundersamen Anblick, an den Felsen von Zeit zu Zeit die steinernen Gruben mit ihrem lebenden Inhalt zu sehen.

Heute sind unsere hiesigen Arbeiten beendet, und wollen wir nur noch die morgen eintreffende Post abwarten. Der Herr Gouverneur der Kapverden hat uns überaus zuvorkommend empfangen und unsere Arbeiten in jeder Weise zu fördern gewußt. Für die Arbeiten an Land wurde uns zur Bewachung unserer Instrumente und Zelte eine militärische Wache gestellt, für die Arbeiten an Bord ein Schleppdampfer, um die »Gauss« bei den Deviationsbestimmungen auf verschiedene Kurse zu drehen. Seine Excellenz hat die »Gauss« auch besucht und unter meiner und Kapitän Rusers Führung von allen Einrichtungen mit lebhaftem Interesse Kenntnis genommen. Das Anerbieten, uns zu weiteren Untersuchungen mit seinem Regierungsdampfer noch nach der Insel Sao Antonio überzusetzen, habe ich dankend ablehnen müssen, weil ich nicht länger als unbedingt notwendig hier liegen möchte. Es ist mir aber eine angenehme Pflicht, das Entgegenkommen der portugiesischen Regierung hier dankend anzuerkennen. Desgleichen war die »Gauss« hier Gegenstand des Interesses und der Aufmerksamkeit eines großen italienischen Passagierdampfers und heute eines englischen Truppentransportschiffes. Der Italiener verließ den Hafen mit der deutschen Flagge im Vormast und unter Glückwunschsignalen. Die Offiziere beider Schiffe waren an Bord der »Gauss« und haben unsere Einrichtungen besichtigt.

Dr. Bidingmaier hat hier mehrere Reihen von magnetischen Beobachtungen zu Deviationsbestimmungen ausführen können, ich selbst habe mit Herrn Ott und dem Matrosen Fisch zusammen drei Nächte im Zelt am Lande zugebracht und eine Pendelbestimmung gemacht. Der Apparat funktionierte tadellos. Leider war es aber in der ganzen Zeit nicht möglich, Zeitbestimmungen zu erhalten, da es stets bedeckt war und vielfach stark geregnet hat, so daß ich für die Reduktion der Schwerkraftmessungen auf die beiden durch Vergleiche ermittelten Uhrgänge angewiesen bin. Professor Vanhöffen hat bei verschiedenen Fängen im Hafen interessante Ausbeute, namentlich von Einsiedlerkrebsen, gemacht. Auch über die hiesige Fischerei hat er Aufschlüsse sammeln können. Philippi und Dr. Gazert haben die Insel durchstreift und geologische Studien gemacht, Dr. Gazert auch anthropologische Messungen ausgeführt. Bei den hiesigen Arbeiten lag es mir daran, möglichst viele Instrumente, die später dem Landgebrauch dienen sollen, klar und in Gebrauch zu bekommen, was auch erreicht ist.

Morgen gedenken wir Porto Grande zu verlassen. Unser nächster Aufenthalt ist Ascension; gegen den 30. Oktober dürften wir in Kapstadt eintreffen.

Von den Kapverdischen Inseln bis Kapstadt

An Bord der »Gauss«, vor Kapstadt, Anfang Dezember 1901

Ursprünglicher Reiseplan. – In dem Reiseplan der Expedition ist für die Strecke durch den Atlantischen Ozean bis Kapstadt ein zweimaliger Landaufenthalt vorgesehen gewesen, um dabei durch getrennt und unabhängig von der »Gauss« ausgeführte magnetische Beobachtungen die Veränderungen feststellen zu können, welche der magnetische Einfluß des Schiffskörpers gegenüber den vor der Ausreise in Kiel dafür gewonnenen Werten erhalten würde. Solche Veränderungen gehen im Lauf der Zeit vor sich, und auch infolge der Fahrt durch verschiedenartige Zonen magnetischer Kraftäußerung. Zeitlichen Veränderungen sind auch die Konstanten einiger magnetischer Instrumente unterworfen, welche vorher in Potsdam bestimmt waren. Bei der Wichtigkeit, welche die magnetischen Arbeiten im Rahmen der Expedition einnehmen, erschien es gerechtfertigt, zur Vornahme diesbezüglicher Messungen einen zweimaligen Landaufenthalt vorzusehen.

Von Herrn Admiralitätsrat Professor Dr. Börgen in Wilhelmshaven waren als für diesen Zweck geeignete Orte die Kapverdischen Inseln oder Madeira einerseits, der brasilianische Hafen Bahia oder die Insel Ascension andererseits in Vorschlag gebracht worden. Erstere Punkte konnten als letzte Stationen vor dem Verlassen der nördlichen Halbkugel gelten, letztere liegen in unmittelbarer Nähe des magnetischen Äquators. Im Einvernehmen mit dem Magnetiker der Expedition, Dr. Fr. Bidlingmaier, hatte ich Porto Grande auf der Kapverden-Insel Sao Vicente und Ascension gewählt. Ein Anlaufen von Bahia hätte den Weg der Expedition sehr verlängert. Für den Fall, daß auch Ascension aus irgend einem Grunde nicht angelaufen werden könnte, hatte mich Herr Börgen auf die auf Schiffen auch sonst übliche Art der Deviationsbestimmung durch Drehen auf acht verschiedenen Kursen auf offenem Meer verwiesen.

Von unserer Ankunft und dem Aufenthalt in Porto Grande auf Sao Vicente habe ich bereits kurz berichtet. Wir sind daselbst am 11. September abends angelangt und bis Montag, den 16. September mittags, verblieben.

Magnetische Arbeiten. – Während dieser Zeit standen die magnetischen Arbeiten naturgemäß im Vordergrund. Dr. Bidlingmaier arbeitete am 12. und 13. September an einem nahe dem Liegeplatz der »Gauss« gelegenen Landpunkt; am 13. September nachmittags begann er die dazu korrespondierenden Arbeiten an Bord, wozu der Herr Gouverneur der Kapverden-Kolonie uns gütigst einen Hafendampfer zur Verfügung gestellt hatte, um die »Gauss« leichter auf den verschiedenen Kursen drehen und halten zu können. Sie wurden jedoch an diesem Tage durch Einlaufen eines anderen Schiffes, welches in unserer unmittelbaren Nähe Anker warf, unterbrochen. Am 14. September wurden sie wieder aufgenommen und teils bei Drehung des Schiffes an seinem Liegeplatz und wechselseitiger Peilung Dr. Bidlingmaiers von Bord aus nach dem vorher untersuchten Landpunkt und des ersten Offiziers von hier nach dem Schiff, teils bei Schiffsbewegungen, in dem Hafen zu Ende geführt. Am 15. September erfolgten dann noch die letzten Beobachtungen an dem Landpunkt. Es ist so der magnetische Einfluss des Schiffskörpers in Deklination, Inklination, Horizontal- und Vertikalintensität untersucht worden.

Das durchweg vulkanische Gestein der Inseln ist diesen Arbeiten nicht förderlich gewesen, hat sie jedoch auch nicht gehindert, da Dr. Bidlingmaier die daher stammenden Lokaleinflüsse ermittelt hat. Störend war auch das Wetter und die fast ständig stark bewegte See, sowie die in dem Hafen beherrschende Strömung, wodurch ein Festhalten der »Gauss« auf bestimmten Kursen wesentlich erschwert wurde.

Ausflüge auf der Insel Sao Vicente. – Der Aufenthalt auf dieser Insel hat dem Geologen der Expedition, Dr. E. Philippi, die erwünschte Gelegenheit geboten, Exkursionen zu machen. Er hat sie nach verschiedenen Richtungen durchstreift und dabei Beobachtungen und Sammlungen anstellen können. Von besonderem Interesse waren Lavabildungen, welche einer jungen Vergangenheit entstammen. Auch haben Sanddünen und Sandströme der Gegenwart Beachtung gefunden. Über diese und andere Einzelheiten verweise ich auf Dr. E. Philippis Sonderbericht.

An diesen Ausflügen nahmen in den verschiedenen Teilen der Expeditionsarzt Dr. H. Gazert sowie der für die Kerguelen-Station bestimmte Biologe Dr. E. Werth teil. Ersterer hat dabei der aus Portugiesen und Negern bestehenden und mannigfach vermischten Bevölkerung, insbesondere ihren Wohnverhältnissen, sein Interesse zugewandt. Letzterer botanisch gesammelt. Über die botanischen Arbeiten Dr. Werths, welche in der kurzen Zeit zweier Exkursionstage über 40 Arten beigebracht haben, lege ich einen Sonderbericht bei.

Professor Dr. E. Vanhöffen hat in Sao Vicente die Fischereiverhältnisse des Hafens studiert und durch Beschaffung von den Eingeborenen, teils durch eigene Fischzüge, bei welchen unsere beiden Norweger Björvig und Johannsen, gute Dienste leisteten, ein reichhaltiges Material beibringen können, welches konserviert ist. Hierbei ist in einer Nacht ein Netz abhanden gekommen, am nächsten Tag aber mit reichem Inhalt wiedergefunden worden. Darin befand sich auch ein Hai, welcher es offenbar fortgezogen hatte.

Schwerkraftbestimmung. – Ich selbst bezog am Tage nach unserer Ankunft mit dem zweiten Offizier L. Ott und dem Matrosen Fisch einen Zeltplatz nahe dem Ort, an wel