Auf »Plagiatsjagd« - Stefan Weber - E-Book

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Stefan Weber

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Beschreibung

Plagiatsfälle bei Politiker:innen und Intellektuellen, Studierende, die nicht mehr richtig zitieren können oder sich gleich die ganze Abschlussarbeit schreiben lassen, Ideenausbeutung durch Gutachter:innen und Hochschulkorruption in Form fragwürdiger Besetzungspolitik. Geht es in der Wissenschaft noch vor allem um Erkenntnisgewinn und Inhalte? Oder streben Student:innen primär nach dem möglichst schnellen Titelerwerb und Wissenschaftler:innen zuerst nach Macht und Privilegien? Stefan Weber schildert nicht nur die spektakulärsten von ihm aufgedeckten Plagiatsfälle, er sucht die Ursachen für die Bildungsmisere ebenso wie mögliche Auswege. Ein geistreiches und punktgenaues Plädoyer für eine andere, bessere Universität und Wissenschaft.

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Inhaltsverzeichnis

Widmung

Vorwort von Peter Hilpold, Universität Innsbruck

Eine sehr persönliche Einleitung

Die 16 spektakulärsten Plagiatsfälle

Mein verschenktes Buch als Plagiatsquelle (2002)

3.000 Exemplare des Plagiats meiner Dissertation gedruckt (2005)

»Wickie und die starken Männer« und der »starke« Mann (2006)

»Die Plagiatsschmiede am Wörthersee« (2006)

Als auch den Wissenschaftsminister Zitierprobleme plagten (2007 und 2011)

Der Bundesheer-Oberst, der sein Plagiat bei mir überprüfen ließ (2008)

Der plagiierende »Prinz« (2008)

Das Plagiat der Kunstprofessorin (2009)

254 Plagiatsfragmente: Kreativ plagiiert in der Kreativitätsforschung (2012)

Kann ein Behördenbericht Plagiate enthalten? Die Glyphosat-Enthüllung (2019)

»Seepocken verlangsamen uns«: Der unrühmliche Fall Aschbacher (2021)

Ausweitung auf Sachbuchplagiate: Baerbock, Kinnert und Oeser (2021–22)

Die gefälschte Plagiatsquelle: Der unfassbare Fall Matthias Graw (2022)

Der Plagiator mit 409 Publikationen an der Universität St. Gallen (2022)

Der simulierende Simulationsforscher (2023)

Exklusiv: Der Chef der Österreichischen Bundesbahnen (2023)

Die Brennpunkte: Was läuft alles schief?

Unsinn in Forschungsfragen und Hypothesen

Plagiate

Frisierte Sachverhalte

QRPs

Ghostwriting

Künstlich generierte Texte – jüngst von ChatGPT

Collusion, Assignment Outsourcing und andere Schummeleien

Fake Conferences & Predatory Journals

Frisierte Lebensläufe

Erfundene Titel, Titelmühlen, Promotionsberatung

Die vielen Krankheiten des österreichischen Hochschulsystems

Ursachenforschung

Akademisierungsdogma

Schulunbildung & Studierunfähigkeit

Studienplatzfinanzierung & Prüfungsaktivität

Bologna, ECTS & Co.

Besetzungspolitik

»Diktatur des Mittelmaßes«

Germanisierung

Das »Professor Untat«-Syndrom

Widerspruch von Universitätsautonomie & Behördenstrukturen

Interventionismus & Korruptionsanfälligkeit

Digitalisierungsfetisch & Wissenschaft als Digitalisierungs-PR

Quantität vor Qualität

Falsche Metriken & Rankings

Fehlgeleitete Evaluationen

Titelwildwuchs & Titelgeilheit

Lösungsvorschläge für eine andere Universität und Wissenschaft: Der 18-Punkte-Maßnahmenkatalog

Anhang

Anhang 1: 13 aufgedeckte Plagiatsfälle bei österreichischen Politikern 2007–2022

Anhang 2: Auswahl der veröffentlichten Plagiatsdokumentationen 2023–2006

Anhang 3: Der Sinn des Zitierens in den Sozialwissenschaften

Anhang 4: Vorschlag zur Schaffung eines neuen Straftatbestands Hochschulkorruption

Anhang 5: Entwurf eines neuen Kodex für gute wissenschaftliche Praxis (GWP-Kodex)

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Ich widme dieses Buchall meinen überwiegend verbeamtetenakademischen Verhinderern,denen ich zu gut war,die vor mir Angst hatten,warum auch immer.

Namentlich genannt seien:

Prof. Dr. Hans Heinz Fabris, Universität Salzburg, verhinderte mein Weiterkommen nach meiner Promotion.

Prof. Dr. Wolfgang Donsbach †, Technische Universität Dresden, verhinderte eine Stiftungsprofessur nach meiner ersten Familiengründung, nachdem ich 500.000 Euro eines privaten Mäzens für diese Professur aufgetrieben hatte.

Prof. Dipl. Ing. Dr. Kurt Matyas, Technische Universität Wien, ließ mich mehr als zwei Jahre umsonst am Konzept eines Forschungsschwerpunkts zu guter wissenschaftlicher Praxis (Dotierung 1,7 Millionen Euro) arbeiten, um dann politisch einzuknicken, meine geplante Stelle und letztendlich das gesamte Projekt zu versenken.

Vorwort

Wer im deutschsprachigen Raum in den vergangenen beiden Jahrzehnten im Wissenschafts- und Hochschulbereich tätig war, der muss auf den Namen Stefan Weber gestoßen sein. Wer sich konsequent mit Fragen der guten wissenschaftlichen Praxis (GWP) beschäftigt hat, sogar immer wieder. Aber auch außerhalb des Hochschulbereichs ist dieser Name ein Begriff geworden, denn wenn in dieser Periode, gerade durch das Inkrafttreten des Universitätsgesetzes (UG 2002) in Österreich, das Hochschulwesen – bezeichnenderweise trotz der parallel geschaffenen »Hochschulautonomie« – politisiert worden ist wie nie zuvor in der Zweiten Republik, so mussten Universität und Wissenschaft gleichzeitig auch integraler Bestandteil der Politik werden. Die durch das UG 2002 möglich gewordenen Missstände mögen zum Teil ein Zufallsprodukt der Universitätsreform gewesen sein, zu einem erheblichen Teil waren sie aber auch notwendige Konsequenz einer Initiative, die die Schaffung eines autoritären Führungsmodells mit nahezu uneingeschränkten Handlungsmöglichkeiten der Rektorate im Auge hatte, eine Entdemokratisierung der Universitäten, von denen zu forsche Zurufe gekommen waren, die in der »neuen Ära« der zentralen Leitung mit politischen Leitungsgremien nicht mehr erwünscht waren. Viel wurde hier auch vom »Markt« gesprochen. Unklar ist, wie viel die Autoren der diesbezüglichen Thesen tatsächlich von Marktwirtschaft wussten. Haben sie die Arbeiten von Hayek und Schumpeter gelesen, den Namen Ludwig von Mises (übrigens alle Österreicher) überhaupt gekannt? Gerade die österreichische Schule der Nationalökonomie (die brisanterweise in Österreich kaum Anklang gefunden hat) hat nämlich sehr deutlich herausgearbeitet, dass man ein funktionierendes Wettbewerbsmodell nicht unter Ausschaltung der dezentralen Informationssammlung, -einbringung und -verwertung schaffen kann.

Die Person Stefan Weber fügt sich glücklich in diesen allgemein und wohl auch für ihn selbst oft unglücklichen Entwicklungsprozess der österreichischen Universitäten. Er wurde zum Chronisten eines Prozesses, den er selbst anfänglich nicht einmal im Partiellen wahrnimmt. Denn eigentlich ist er ja Kommunikationswissenschaftler, eine – wenn auch streitbare – Frohnatur voller Optimismus, die sich 2005 an der Universität Wien habilitiert. Erst in der Folge entdeckt er, dass seine Dissertation 2004 plagiiert worden ist, und voller Glauben an die akademische Redlichkeit des »Systems« insgesamt verlangt er Rechenschaft, stellt weitere Untersuchungen in diesem Bereich an, wird häufiger fündig, als er erwartet hatte, und muss erkennen, dass das »System« weniger rechtschaffen ist, als er gedacht hätte. Diese Aufdeckungsarbeit war nicht erwünscht, gerade nachdem Wissenschaftsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) die österreichischen »Weltklasseuniversitäten« ausgerufen hatte und die österreichische Politik selbstbewusst erklärte, dass mit dem UG 2002 ein Modell geschaffen worden sei, um das »Österreich vom Ausland beneidet« werde. Welches Ausland und wer genau, musste offenbleiben. Tatsächlich erwies sich das Problem der »guten wissenschaftlichen Praxis« als offene Flanke, als ein Problem, mit welchem die österreichischen Universitäten nicht umgehen konnten. Stefan Weber grub weiter, stellte Fragen, ging an die Öffentlichkeit – und bewies dabei ein unerwartetes Talent. Er wurde zu einer Art Medienstar. Allerdings in einer Disziplin, die in Österreich traditionell über ein gemischtes Image verfügt. Denn um die Aufmerksamkeit hochzuhalten, musste er in seinen Recherchen immer höher ansetzen bzw. kamen auch entsprechende Anträge und Anfragen, sodass bald die politische Upper Class im Fokus stand. Diese soll man aber in Österreich – und dies ist wohl eine ungeschriebene Regel noch aus prärepublikanischer Zeit – nicht bloßstellen oder auch nur in Frage stellen. Und da die aufgedeckten Missstände in ihrer Dimension und Gestalt oft absurde Ausmaße annahmen, den einzigen noch verbliebenen Adel in Österreich, den »Bildungsadel«, in vielerlei Hinsicht als schwach und hohl entlarvten, stellte sich bald ein Gemisch an Gefühlen ein: Genugtuung über das Aufzeigen der Nacktheit des Kaisers, Schadenfreude über die Entlarvung der Unfähigkeit der Arroganten, aber auch Sorgen über das Nichtfunktionieren der akademischen Institutionen, das Wegbrechen der wenigen Sicherheiten, über die man noch zu verfügen geglaubt hatte.

Dass Stefan Weber in der Folge übel mitgespielt worden ist, steht wohl außer Zweifel und sollte in Zukunft Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. Ebenso der Umstand, dass alle Aufsichtsmechanismen versagt haben, die Weber angesichts der von ihm – allein oder gemeinsam mit Kollegen, insbesondere aus Deutschland – aufgedeckten massiven Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis aktiviert hatte. Im Endergebnis musste er feststellen, dass diese Kontrollverfahren vielfach nur dem Namen nach existieren und Potemkinsche Dörfer darstellten.

Viele wären angesichts solcher Enttäuschungen, Widerstände und Anfeindungen wohl zerbrochen, nicht aber Stefan Weber. Er hat vielmehr eine ungemeine Resilienz bewiesen und aus jeder Not eine Tugend gemacht. Über die Jahre hin hat er erkannt, dass die breitflächige Verletzung der GWP im deutschsprachigen Raum Ausdruck umfassenderer gesellschaftlicher Fehlentwicklungen ist. Zunehmend mehr hat er sich – obwohl selbst kein Jurist – mit dem rechtlichen Rahmen beschäftigt und feststellen müssen, dass eine vielfach autoreferentielle und epistemische sogenannte »Hochschulrechtswissenschaft« den Anforderungen, die die Einhaltung einer GWP an sie stellt, nicht genügen kann und zum Teil nicht einmal über das Mindestinstrumentarium verfügt, um sich vertieft damit auseinanderzusetzen. Stefan Webers Analysen der Schwachstellen des UG 2002 (nunmehr schlicht »UG«), insbesondere hinsichtlich der fehlenden Sanktionierung von Verstößen gegen die GWP, wurden zu scharfsinnigen und scharfzüngigen juristischen Grundlagenarbeiten des juristischen Autodidakten.

Sein Blog entwickelte sich zum vielkonsultierten »Schwarzen Brett« der GWP-Verstöße in Österreich und im ganzen deutschen Sprachraum. Webers Fähigkeit, die Dinge auf den Punkt zu bringen und ansprechend und packend auszuformulieren, hat seinen Stellungnahmen zusätzliche Popularität verschafft.

In unserer kurzlebigen Zeit drohen Blogbeiträge allerdings rasch wieder verdrängt zu werden, und so war es hoch an der Zeit, dass Weber endlich ein Gesamtwerk zu dieser Thematik in Print angehen würde. Nun liegt es vor. Der Autor dieser Zeilen kennt seinen Inhalt selbst noch nicht im Detail, denn Stefan Weber ist ein Mann absoluter Diskretion, aber auch ein Meister des »Suspense«, der Überraschung, der selbst bestimmen will, wann Skandale publik werden und in welchem Ausmaß. So viel steht aber fest: Stefan Weber wird die Erwartungen der Leserschaft wohl nicht enttäuschen, und wie man hört, sind Fortsetzungsarbeiten geplant.

Der Verfasser dieses Vorworts hat den Eindruck, dass sich Stefan Weber diese Aufgabe nicht bewusst ausgesucht hat. Wahrscheinlich wäre er lieber der Festangestellte, der ab und zu einen kritischen Kommentar abgibt, ansonsten aber einem »normalen«, kreativen bürgerlichen Job nachginge. Aber er hat die Wendungen in seinem Leben dazu genutzt, ein schon jetzt einzigartiges Lebenswerk zu schaffen, das grundlegende gesamtgesellschaftliche Kritik mitumfasst. Das Ziel ist dabei nicht die Kritik um ihrer selbst willen, sondern letztlich verfolgt Weber doch eine klare Mission: In einem ersten Moment soll das akademische System mit Selbstreinigungskräften ausgestattet werden, sodass es internationalen Standards genügen kann. Solange dieses Ziel nicht erreicht ist, wird Stefan Weber, so ist zu vermuten, seine aktuelle Arbeit wohl fortführen. Er hat einen Weg gefunden, dabei die Leser zu unterhalten und damit auch zusätzliche Interessentengruppen, weit über den akademischen Kreis hinaus, zu erschließen. Das angesprochene Ziel ist aber nicht das einzige, das Stefan Weber verfolgt. Seine Analysen sind nämlich auch eine Bestandsaufnahme über den Zustand der österreichischen (und vielfach auch der deutschen und der Schweizer) Universitäten, aber auch der österreichischen Republik insgesamt, und die ultimative Ambition von Webers Wirken sind Reformen, dringend nötige Reformen, nicht nur im universitären Bereich, sondern in vielem auch darüber hinaus gehend, was den Rechtsstaat insgesamt anbelangt. Wie es möglich sein konnte, dass diese Reformen zwei Jahrzehnte unterblieben, ja verschleppt worden sind, ist eines der vielen Mysterien, die die österreichische Realität ausmachen. Sollten diese Reformen konkret Umsetzung finden, würde Stefan Weber seine aktuell zentrale Einkommensquelle verlieren, wobei er selbst die ganze Zeit auf dieses Ergebnis hinarbeitet. Und für diesen Moment ist im Grunde schon vorgesorgt. Denn Stefan Werbers Expertise reicht mittlerweile weit über die Tätigkeit des »Plagiatsjägers« hinaus; er ist vielmehr – neben seinen kontinuierlichen Arbeiten im Bereich der Philosophie und der Kommunikationswissenschaft, das soll auch nicht unerwähnt bleiben – einer der großen Experten des österreichischen Universitäts- und Hochschulwesens geworden. So kann auch in dieser Hinsicht nur gehofft werden, dass bald ein neues Universitätsgesetz (oder ein grundlegend reformiertes UG, wenn man, aus welchen Gründen auch immer, am aktuellen Gerüst festhalten will) in Kraft gesetzt wird, das tatsächlich zukunftsorientiert ist, zeitgemäße, egalitäre Strukturen im Hochschulbereich schafft, akademische Verantwortung von Seiten der Studierenden und der Lehrenden einfordert und damit die Voraussetzungen schafft, damit Experten wie Stefan Weber sich wieder voll und ganz in die universitäre Forschung einbringen können, für welche sie – wenngleich dies nicht ihre völlig freie und erste Wahl gewesen ist – eine derart einzigartige Expertise erworben haben.

Peter Hilpold, Universität Innsbruck

»Die zentrale Aufgabe der Universitäten heute ist die Hervorbringung möglichst zahlreicher unfähiger Akademiker.«

(Selbstzitat, aus Diverse: Addendum, 2019, »Bedingt studierfähig?«, Titelseite)

»Aber wir produzieren Texte nicht, damit sie gelesen werden, sondern damit sie nicht gelesen werden. Darauf beruht das ganze System.«(Volker Rieble im Tagesspiegel, 20191)

Eine sehr persönliche Einleitung

Der österreichische Philosoph Ernst von Glasersfeld sagte zu mir einmal: »Als ich an die Uni kam, dachte ich, dass es um die Forschung geht. Aber es ging um die Menschen dort.« Glasersfeld wiederum zitierte seinen Lehrer und Mentor, den italienischen Kybernetiker Silvio Ceccato, gerne mit folgendem Bonmot: Als Ceccato von einer wissenschaftlichen Konferenz kam, schüttelte er nur den Kopf und sagte zu Glasersfeld: »Alles Trotteln.«

Mein Lieblingsphilosoph und einer meiner wenigen akademischen Freunde, Josef Mitterer, bemerkte 2022 in einem Interview in der Zeitschrift »Information Philosophie«: »Akademische Karrieren, das habe ich später in manchen Berufungskommissionen gelernt, haben wenig mit Können und Qualifikation zu tun, mehr mit glücklichen Zufällen und anderen Aufstiegshilfen.«2 Mir gegenüber wiederholte Mitterer oft den Satz: »Erfolg ist für die akademische Karriere eher hinderlich.« Daneben sagte er auch oft: »Du müsstest jetzt eine Frau sein.« Aber Letzteres ist ein anderes Thema.

Nun, ich sage nicht, dass an den Universitäten nur unfähige Leute angestellt werden. Ich habe Wissenschaftler kennengelernt, die für ihre Arbeit und damit die Wissenschaft brannten: etwa Siegfried Zielinski oder Hermann Maurer. Aber ich hatte es auch immer wieder mit dem Typ »Professor Untat« (nach dem gleichnamigen Buch von Uwe Kamenz) zu tun. Von einem verbeamteten ordentlichen Professor erzählte ein Kollege: »Er lässt um Punkt 16 Uhr den Bleistift fallen.« Sein Forschungsfreisemester, ein vom Steuerzahler finanziertes Privileg, verbrachte er nicht etwa mit Forschen und Publizieren, sondern mit Action Painting auf Kreta. Ein anderer Professor, selbe Generation, auch verbeamteter Ordinarius, hatte eine Hängematte in seinem Büro aufgespannt und jedwedes Publizieren längst eingestellt. Seinem Assistenten sagte er: »Die paar Jahre bis zur Rente sitze ich jetzt auch noch ab.« Es sind dies keine Einzelfälle. Warum, fragt man sich, wurden diese Leute angestellt, wer hat sie warum ausgesucht?

Ich verfolge dazu seit Längerem eine kulturpessimistische These, die besagt, dass jeder im System dazu neigt, niemanden anzustellen, der ihm in Bezug auf Qualifikationen überlegen ist. Negativ gewendet: »Schlechte stellen noch Schlechtere an.« Damit wird sichergestellt, dass die nachfolgende Generation die Inkompetenzen der Generation, die bereits im Amt ist, nicht so schnell bemerkt. So bleiben die Hierarchien intakt. Es handelt sich bei meiner Vermutung um eine Abwandlung des sogenannten Peter-Prinzips.

Ich war bei einigen Vorsing-Terminen dabei (»Vorsingen« ist der akademische Begriff für den Probevortrag, der vor Erhalt einer akademischen Stelle zu absolvieren ist). Mehr als einmal habe ich mich gewundert, was da los ist: Bekam am Ende der mit dem uninspiriertesten Vortrag, mit den schlechtesten Powerpoint-Folien, ja mit den meisten Fehlern auf den Slides die Professur? Ein Kollege sagte zu mir: »Es geht bei solchen Verfahren primär um die Personen. Inhalte kommen erst sekundär ins Spiel.« Inhalte werden erst dann schlagend, wenn es darum geht, Argumente für die bereits vorab favorisierte Person oder gegen die zu verhindernde Person (was dann auch schon vorab feststand) zu konstruieren.

Eines dieser sonderbaren akademischen Auswahlverfahren betraf meinen eigenen Doktorvater, Peter A. Bruck. Er unterrichtete als »Professor auf Zeit« für fünf Jahre am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg, aus Kanada kommend. Ein Seminar hieß »Ästhetik des Alltags«, in der Hauptvorlesung aus der Kommunikationswissenschaft ging es zwei Semester lang um Politische Ökonomie der Medien, um Semiotik, Ethnomethodologie und Cultural Studies. Im Diplomanden- und Dissertantenseminar diskutierten wir wirklich Texte. Ein Minderheitenprogramm.

Obwohl Bruck die Finanzmittel für seine eigene Lebenszeitstelle im Ministerium aufgetrieben hatte, kam er nach Ablauf der fünf Jahre nicht in den Dreiervorschlag für die Professur. Eine Studentin, die sich schlecht behandelt fühlte, und eine Assistentin rebellierten. – Ein seltsames Narrativ, das sich in meiner eigenen akademischen Nichtkarriere wiederholen sollte. Brucks Stelle erhielt ein bekennender Neomarxist.

Seit ich bei Peter A. Bruck im Jahr 1996, im Jahr des Endes seiner »Professur auf Zeit«, meine Doktorarbeit eingereicht hatte, geht es mir mit der Universität wie Herrn Sattmann aus der »Piefke-Saga« mit Tirol – und im Speziellen mit »Lahnenberg«: Ich wäre so gerne drinnen, einer von ihnen, aber sie lassen mich einfach nicht (ganz) hinein. Forschungsprojekte, Publikationsförderungen, Lehraufträge, einzelne, sogar manchmal bezahlte Vorträge – ja. Bücher schreiben (wie dieses) als reines Hobby, als Denksport und weil man glaubt, doch etwas zu sagen zu haben zur Wissenschaft – ja. Aber eine Anstellung, gar auf Lebenszeit? Oh nein!

Warum ist das so? Bin ich einfach ein schlechter Wissenschaftler und überschätze ich mich notorisch selbst? Als ich einem weiteren meiner wenigen Mentoren, dem damaligen Siegener Literaturwissenschaftler Siegfried J. Schmidt, über meine Probleme mit meinem ersten späteren akademischen Chef und Ordinarius (1998–99) erzählte, grinste Schmidt: »Sind Sie ihm zu gut?« Als 28-Jähriger, verunsichert von einem autoritär auftretenden Professor, habe ich das noch nicht verstanden. Aber es führt wieder zu meiner seltsamen Hypothese: Stellen Schlechte nur noch Schlechtere an? Kann der Stellvertreter, der Assistent oder eben nur der Projektmitarbeiter, der ich damals war, mehr »auf dem Kasten haben« als der Chef? Dass mein damaliger Chef und »Professor für Angewandte Kommunikationswissenschaft« seinen Computer gar nicht benutzen konnte und sich noch gedanklich im Reich der Lochkarten befand, bemerkte ich anfangs nicht. SPSS und E-Mailingliste, das muss Teufelszeug für ihn gewesen sein.

Als ich als Projektmitarbeiter auf Zeit im Rahmen eines vom österreichischen Forschungsförderungsfonds (FWF) finanzierten Forschungsprojekts an die Salzburger Universität kam, ging ich davon aus, dass man sich über den Zuschlag freuen würde. Ich habe damals, 1998, nicht begriffen, dass das Gegenteil der Fall war. Das Institut hatte zuvor so gut wie kein FWF-Projekt, und die allgemeine Haltung war folglich: Warum der Weber, warum nicht ich/wir? Der Assistent des Professors, auf den der Projektantrag lief, war sofort »eingeschnappt« und nicht mehr gut auf mich zu sprechen. Eine damalige Habilitandin besuchte ich in ihrem Büro und erwartete ein positives Gespräch. Die Stimmung war ab der ersten Silbe nicht mehr locker wie vor dem Projektzuschlag. Sie sagte: »Als ich das mit deinem Projekt erfahren habe, war ich schockiert.«

Was war geschehen? Ich hatte ein FWF-Projekt zur Journalismusforschung bewilligt bekommen, mit systemtheoretisch-konstruktivistischem Hintergrund. Die Kollegin wollte ihre Habilitationsschrift ebenfalls auf der Basis von Luhmanns Systemtheorie schreiben. Ich dachte, es gäbe Synergien. Super, wir ziehen in Bezug auf die Theorienwahl am selben Strang! Aber wir waren vom Tag des Erhalts meiner Stelle an Konkurrenten, ja Feinde. Die Kollegin erstaunte mich schließlich mit dem Satz: »Jetzt muss ich mein Thema ändern.« Sie ist heute Professorin in der Schweiz, schaffte es bis zur Vizerektorin an einer der größten Universitäten dort.

Das herrschende Gefühl, das mir in den ersten Tagen und Wochen meiner Tätigkeit am Institut entgegengebracht wurde, war der Neid, die Missgunst. Ein Büronachbar warf mir in einer E-Mail »imperiales Gehabe« vor. Und dies, nachdem ich das Büro geputzt, das Regal neu geordnet und einige Pflanzen in mein Büro gestellt hatte. Das war einfach schon zu viel der Veränderung, das sah nach Okkupation, wenn nicht nach dauerhaftem Verbleib aus. – Den Schulterschluss habe ich damals nicht bemerkt: Wie können wir den Verbleib Webers verhindern? Wie können wir verhindern, dass er uns etwas wegnimmt? Wie können wir ihn scheitern sehen?

Ich war damals leicht zu verunsichern. Erst nach eineinhalb Jahren traute ich mich, mein erstes Protestrundmail zu schreiben (es sollten mehrere in den kommenden Jahrzehnten werden). Ich schrieb, dass ich unter einem »Professor für angewandte Wissenschaft« arbeiten musste, »der seinen Computer nicht anwenden kann«. Ich beschwerte mich auch beim Fördergeber FWF, und der zuständige Fachbereichsleiter sagte mir am Telefon, er könne da im Einzelfall nichts machen, solche Beschwerden wie die meine seien »an der Tagesordnung«.

Neben der mit dem Peter-Prinzip verwandten Hypothese »Schlechte stellen noch Schlechtere an« gibt es eine zweite Beobachtung, die mich an den Universitäten seit Langem verunsichert. Diese Hypothese ist verwandt mit dem Matthäus-Effekt (»Wem gegeben wird, dem wird noch mehr gegeben.«). Sie lautet: »Milde Professoren ziehen mittelmäßige bis schlechte Studierende an, wodurch diese Professoren noch milder werden.« Ich habe an den Universitäten wiederholt diese Tendenz erlebt: Tatsächlich intellektuelle Professoren, die viel verlangen, unterrichten vor fast leeren Hörsälen. Jene Professoren, die wenig verlangen, am Schluss Multiple-Choice-Tests machen und diese vielleicht auch noch maschinell auswerten lassen, haben full house. Wer viele Diplomanden und Dissertanten hat, bekommt noch mehr Diplomanden und Dissertanten. Ich vermute als Ursache, dass es sich herumspricht, dass man bei diesem Kollegen leichter durchkommt. Somit setzt sich eine weitere Abwärtsspirale in Gang: Je mehr Studierende der bereits milde gestimmte Professor hat, desto weniger genau kann und wird er kontrollieren. Was schlichtweg zur Folge hat, dass er noch milder wird. Ein Teufelskreis. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass ich frisch berufene Professoren erlebt habe, die besonders milde Noten vergaben, um sich erst einmal in der Studentenschaft beliebt zu machen und um auch den Kollegen zu zeigen: Mit mir gibt es keinen (rechtlichen) Ärger. Und milde Noten, studentenfreundliche Beurteilungen wirken sich wiederum positiv auf Evaluationen der Lehrenden durch die Studenten aus. Umgekehrt gesprochen: Die giftigsten Evaluationen erhielt ich etwa in meinen Bachelorseminaren immer von jenen Studenten, die sich am Rande der Studierunfähigkeit bewegten und den Anforderungen an ein solches Seminar schlichtweg nicht gewachsen waren.

»I love my job.« Das postet eine wissenschaftliche Kollegin von mir häufig auf Facebook. Auch ich liebe die Wissenschaft, ich liebe Themen wie Sprachphilosophie, Medieninnovationen, gute wissenschaftliche Praxis, die philosophische Betrachtung der letzten und großen Fragen des menschlichen Daseins. Ich liebe das Nachdenken über infinite Regresse und das verstärkte Lügner-Paradoxon.3 Aber die Wissenschaft, genauer: die Universität, sie liebt mich nicht. Und ich glaube an sie, die Universität, auch nicht mehr. Es geht mir wie dem Gläubigen, der sagt: Ich glaube an Gott, aber nicht an die Kirche. Mich fasziniert die Wissenschaft, aber ich sehe mit Schrecken die gelebte Praxis an den Universitäten. Mir wird von Professoren berichtet, die am Tag ihrer Emeritierung ihre Bücher verbrannten. Nun, ich wäre der Typ, der dann weiterarbeiten möchte.

Meine »Karriere« am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg endete erwartungsgemäß nach eineinhalb Jahren mit Ablauf des Forschungsprojekts. Mein Doktorvater brachte es immerhin auf fünf Jahre Verbleib. Was wäre aus dem Institut geworden, wenn er und ich und einige andere aus dem damaligen Diplomanden- und Dissertantenseminar eine Dauerstelle bekommen hätten? – In den Folgejahren habe ich es immer wieder beobachtet: Hochqualifizierte Leute wurden nicht angestellt. Weil