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Emma und Janosch leben friedlich und glücklich mit ihrem Adoptivsohn Tim. Alles scheint perfekt, doch mit der Bekanntschaft des Herrn Kasinsky nimmt ihr Leben eine dramatische Wende. Er scheint irgendwas zu verbergen. Um das düstere Geheimnis zu lüften bedarf es einer Menge von Umwegen. Sind Emma und Janosch dieser Herausforderung gewachsen?
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Seitenzahl: 97
Veröffentlichungsjahr: 2021
Trautes Heim…
Tim und Struppi
Vorboten
Überraschung
Herr Doktor
Kurz und schmerzlos
Seltsam
Alte Wunden
Licht ins Dunkel
Gute und schlechte Nachrichten
Höhle des Löwen
Alle Hebel in Bewegung
Arme Susi
Überlebensstrategie
Der gefürchtete Zeitpunkt
Letzter Wille
Tapfer
Bergauf
Als ich die Fensterläden zum Garten öffnete, traute ich meinen Augen nicht: Endlich war der Frühling eingekehrt. Obwohl es erst 8 Uhr war, verhieß die aufgehende Sonne einen wunderbaren Tag. Ich konnte es kaum erwarten, meine Winterklamotten in den Keller zu räumen und die luftige, farbenfrohe Kleidung anzuziehen. Endlich raus aus dem Zwiebellook und Einheitsgrau!
Ich schlich mich also vorbei an Tims Zimmer, um ihn nicht zu wecken, und suchte Kisten und Kartons zum Verstauen. Und dann ging`s ran ans Werk. War das eine Freude! Bei der Gelegenheit konnte ich gleich mal einigen „Wollmäusen“ zu Leibe rücken. Zum Glück war Janosch nicht da …
Wie ein bepackter Esel machte ich mich auf den Weg in den Keller. Leider hatte mal wieder irgendjemand seine Schuhe auf der Treppe stehen lassen, und eh ich`s mich versah, flog ich in hohem Bogen fünf Stufen hinunter.
Ich hatte Glück im Unglück, denn die Kartons hatten mich wie eine Art Airbag vor dem Schlimmsten bewahrt. Na ja – ein paar blaue Flecken hab ich schon bekommen. Aber halb so wild.
Bei dem Versuch, mich aus dem Papp-Gewirr zu befreien, kam plötzlich Tim angewetzt und fing an zu weinen. Er muss wohl einen furchtbaren Schrecken bekommen haben, als er das Gepolter hörte.
„Der Mama ist nichts passiert, mein Schatz. Schau, der Kopf sitzt immer noch hier oben, und ansonsten ist auch alles da, wo es hingehört.“
Als er sah, wie ich als Beweis meine Gliedmaßen bewegte, konnte er sogar wieder lachen.
Den Papp- und Klamottenberg ließen wir jetzt erst mal so liegen, denn Tim hatte wie immer einen Riesenhunger auf Frühstück. Kaum zu glauben, was man mit 5 schon alles verdrücken kann.
„Iss nicht so schnell“, warf ich ein. „Sonst wird dir nur wieder schlecht. Willst du dich wieder so übergeben wie neulich bei Tante Charlotte?“
„Nein, Mami. Aber es schmeckt halt soooo gut. Bitte nur noch dieses eine Brötchen. Dann ist Schluss – Ehrenwort“.
Wäre ich doch nur hart geblieben! Eine Stunde später war das Frühstück wieder draußen. Der schlaue Fuchs hat es mir erst mittags gebeichtet, da ich mich wunderte, warum er so blass war.
„Ab morgen nur zwei Brötchen, mein Freund!“
„Ja, Mama.“
Inzwischen schien die Sonne schon so wunderbar auf die Terrasse. Der Abwasch kann warten, dachte ich mir.
Lieber erst mal Sonne tanken. Tim war froh, endlich die Schaukel wieder benutzen zu können, während ich meinen Cappuccino schlürfte und die Beine hochlegte.
Eine halbe Stunde später rüttelte Tim an meinem Pulli.
„Mama! Mama, wach auf! Schau mal, was ich gefunden hab!“
Er hielt mir eine rote Hundeleine vor die Nase, und bei genauerem Hinsehen konnte ich einen kleinen Adressaufkleber entdecken:
„M + F Kasinsky, Dorfstraße 9“.
„Schau mal Tim, die gehört einer Familie Kasinsky. Das sind glaub ich die Neuen, die vor einem Monat auf den Bauernhof am Ende der Straße gezogen sind. Komisch, wie die Leine hierherkommt. Und wo ist der Hund dazu?“
Das wollte Tim natürlich sofort herausfinden und holte seine und meine Jacke, da es ohne doch noch ein wenig frisch war.
„Danke, mein kleiner Gentleman.“
Hand in Hand gingen wir die Straße hinunter Richtung Bauernhof. Das Gebäude war ziemlich runtergekommen, da die Vorbesitzer schon vor einigen Jahren gestorben waren, und die Kinder hatten kein Interesse daran. Der Zustand des Hofes ließ darauf schließen, dass die Neuen bis jetzt noch keine Ambitionen für eine Renovierung gezeigt hatten. Aber das sollte ja auch nicht unser Problem sein.
Wir dachten schon, es sei niemand zu Hause. Gerade, als wir wieder gehen wollten, kam ein ziemlich dicker Mann in Latzhose und Gummistiefeln aus dem Stall und entdeckte uns.
„Wollen Sie zu mir?“ Seine Frage klang nicht gerade freundlich.
„Wenn Sie der Herr Kasinsky sind, dann ja.“
Er war`s. Als er näher an mich herantrat, kam mir ein penetranter Geruch aus Alkohol und Schweiß entgegen.
Er zog kräftig an seiner Zigarette und pustete mir den Rauch mitten ins Gesicht. Tim fing gleich das Husten an und verschwand hinter einer Hecke.
„Gehört Ihnen zufällig diese Hundeleine?“, fragte ich und verbarg dabei meine Nase hinter der Hand.
„Wo haben Sie denn die her?“, wollte er wissen. „Susi!“ schrie er über den Hof. „Deine Leine.“
Dass er sich nicht bedankte, brauch ich wohl nicht zu erwähnen. Komischer Kauz.
Da kam die Kleine schon um die Ecke gewetzt und ihren West-Highland-Terrier im Schlepptau. Ein hübsches Kind war sie, ich schätzte sie auf etwa 3-4 Jahre. In ihren Augen lag eine tiefe Traurigkeit, die sie jedoch mit fröhlichen Liedern zu überspielen versuchte.
Ihr Vater würdigte sie keines Blickes und verschwand ohne ein Wort im Stall. Tim traute sich endlich wieder aus seinem Versteck und stimmte in ihre Lieder mit ein.
„Wie heißt Dein Hund?“ wollte Tim wissen.
„Felix. Hast Du auch einen Hund?“
„Leider nicht. Ich wünsche mir schon soooo lange einen.“
„Du kannst ja immer zu mir kommen, und dann gehen wir zusammen mit Felix Gassi. Du, Tante“, wollte Susi wissen, „darf Tim mal zu Besuch kommen?“
Ganz wohl war mir bei dem Gedanken nicht, da ich Herrn Kasinsky nicht über den Weg traute.
„Was hältst du davon, wenn du mal zu uns kommst?
Wir wohnen nicht weit von hier. Tim kann dich und Felix ja mal abholen.“
„Au ja! Danke, Tante!“ Sie drückte sich an mich, als sei ich ihre Mutter.
Nachdem wir uns verabschiedet hatten, gab es für Tim nur noch ein Thema: Hund. Wie süß der doch sei. Und wenn er auch einen Hund bekäme, hätte er endlich einen Spielgefährten. Argumente über Argumente auf dem gesamten Heimweg.
„Schluss jetzt, Tim. Wir reden heute Abend mit Papa darüber.“
„Au ja!“, jauchzte er, und gab mir einen dicken Schmatzer.
„Ich habe gesagt, dass wir reden. Das war noch keine Zusage!“
Das hörte er schon gar nicht mehr. Er setzte sich wieder auf die Schaukel und sang: „Ich bekomme einen Hund – fiederallala. Ich bekomme einen Hund – fiederallala.“
Während ich das Geschirr abwusch, dachte ich mir, ob sich mein kleiner Schatz da nicht zu früh freut. Auf einmal fielen mir wieder die Kartons mit der Winterbekleidung ein. Vor lauter „Hund“ und Sonnenschein hatte ich sie glatt vergessen. Nun, am Nachmittag war es wieder etwas wolkig geworden, und so machte ich mich an die Arbeit.
Als ich die schönen Kleider und Röcke im Schlafzimmer auspackte, hielt ich jedes einzelne Teil an den Körper und wiegte mich vor dem Spiegel. Ich konnte es kaum erwarten, sie anzuziehen. Janosch liebt vor allem das buntgeblümte Seidenkleid, und dazu meine lachsfarbenen Ballerinas. „Darin siehst du aus wie 20!“, pflegt er dann immer zu sagen, und seine Augen strahlen wie die eines Jünglings, der um die Hand seiner Braut anhält.
Ich muss wohl ganz die Zeit vergessen haben. Tim kam herein und fragte, ob ich denn heute kein Essen für Papa machen wolle.
„Ach du Schreck! Er kommt schon in einer viertel Stunde!“
„Mach doch Miracoli, Mami. Das schmeckt und geht schnell! Darf ich die Soße umrühren? Ich bin auch diesmal vorsichtig.“
Gesagt, getan. Ich steh ja nicht so sehr auf dieses Essen, aber meine zwei Männer können davon nicht genug bekommen.
Tim hat es tatsächlich geschafft, nichts von der roten Soße auf seine Kleidung zu spritzen. Das ist schon ein kleines Kunststück. Beim Essen ist es nicht weniger dramatisch, weshalb wir Drei immer mit Handtüchern um den Hals dasitzen. Meine Jungs finden das urkomisch.
Nach beendeter Küchenarbeit setzten wir uns noch ein wenig auf die Terrasse, um die Abendsonne zu genießen. Lange konnten wir es jedoch nicht aushalten.
Der Frühling fing grade erst an.
Janosch schlug ein paar Runden „Mensch ärgere dich nicht“ vor, und wunderte sich, dass Tim dieses Mal nicht so begeistert war wie sonst.
„Was ist denn los mit Dir, Kleiner? Bist du etwa krank?“
„Nein, Paps, ich wollte – äh, ich meine – äh, ich…“
„Na komm, raus mit der Sprache. Du weißt, du kannst mit mir über alles reden. Was bedrückt dich denn?“
Tim war sonst eigentlich nicht auf den Mund gefallen.
Aber heute schaute er mich Hilfe suchend an und gab mir somit zu verstehen, ich solle doch bitte mit seinem Papa über den Hund reden. So erzählte ich von der gefundenen Hundeleine, dem Herrn Kasinsky und Tims Begeisterung über Felix.
Da fiel bei Janosch sofort der Groschen: „Ich kann mir schon denken, was du mir sagen wolltest: du willst auch einen Hund, stimmt`s?“
„Oh ja, Papa! Das wäre soooooo schön! Bitte, bitte, Paps, ich hätte ja so gerne einen Hund.“
Janoschs Blick war nicht gerade verheißungsvoll.
„Ich weiß nicht“, gab er zu Bedenken. „Meinst du nicht, du bist noch etwas zu jung dafür? ………… Was meinst du denn dazu, Liebling?“
„Na ja, ich kann mich erinnern, dass wir als Kinder immer abwechselnd mit Lupo Gassi gehen mussten, und zwar bei Wind und Wetter. Aber dafür waren wir auch zu dritt. Charlotte und Moritz haben sich allerdings oft gedrückt. Also musste ich als Älteste immer herhalten. Aber du bist allein, Tim. Dein Papa ist in der Arbeit und kann sich höchstens am Abend und an den Wochenenden um den Hund kümmern. Ich habe den Haushalt und noch die 2 halben Tage Putzen bei Frau Wohlfahrt. Wenn du ab und zu mitkommen würdest, könntest du mit ihrem Hund spielen. Aber nein – du willst immer nur zu Oma.“
Tims Mundwinkel hingen immer weiter nach unten, und seine Augen füllten sich langsam, aber sicher mit Tränen.
Janosch versuchte zu beruhigen: „Wir müssen uns ja nicht heute Abend entscheiden. Du gehst jetzt am besten ins Bett, und morgen sehen wir dann weiter, okay?“
Da kullerten jedoch schon die Tränen an den Wangen hinab, und ich musste ihn tröstend in den Arm nehmen.
„Weißt du noch, wie ich heute zu dir sagte, du sollest dich nicht zu früh freuen?“
Nun fing er erst recht das Heulen an und Janosch trug ihn ins Bett. Als er nach 10 Minuten wieder ins Wohnzimmer kam, sagte er, Tim sei nun endlich eingeschlafen, nachdem er ihn etwas beruhigen konnte.
„Was machen wir nur?“, wollte er wissen.
„Vorhin sagtest du, dass wir das nicht heute entscheiden müssen. Ehrlich gesagt würde ich gerne noch ein wenig mit dir auf dem Sofa kuscheln. Lass uns noch den Abend genießen.“
Das ließ Janosch sich nicht zweimal sagen, und so tranken wir noch ein edles Schlückchen Wein bei Kerzenschein, bis ihm die Augenlider zu schwer wurden.
„Geh du ruhig schon ins Bett. Ich komme auch gleich.
Ich will nur noch kurz was ins Tagebuch schreiben. Gute Nacht!“
Er bat mich, nicht mehr so lange aufzubleiben, da er ohne mich so schlecht einschlafen könne. Als ich jedoch am Schlafzimmer vorbeilief konnte ich unüberhörbar feststellen, dass er es auch ohne mich ins „Lummerland“ geschafft hatte.
Heute habe ich ausnahmsweise mal allein gefrühstückt.
Tim war immer noch traurig und wollte einfach nicht aufstehen.
„Wie du willst“, mahnte ich ihn, „aber nachher gibt’s kein Frühstück mehr.“
Ich dachte, das wäre DAS Argument. Keine Chance.
Also ließ ich ihn in Ruhe.
Eine Stunde später hatte er es sich doch noch anders überlegt und kam zu mir. Er musste einfach den Gedanken verwinden, nun doch keinen Hund zu bekommen.
„Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen“, beruhigte ich ihn. „Abwarten und Tee trinken.“