Endstation Rursee - Olaf Müller - E-Book
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Endstation Rursee E-Book

Olaf Müller

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  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Eine tote Frau liegt in einem Aachener Pferdestall, die Katze einer Lektorin wird entführt und ein Verleger unter Druck gesetzt. Die Spuren führen Kommissar Fett nach Simmerath, Zülpich, zur RWTH Aachen und nach Lüttich. Dort braucht Kollegin Kalumba seine Hilfe, denn jemand erpresst die Stadt mit einem Anschlag auf die Feiern zum 120. Geburtstag von Georges Simenon. Hängen alle Fälle zusammen? Die Jagd nach dem skrupellosen Täter führt die Kommissare zum Rursee. Als eine Schiffskatastrophe droht, greift Fett zum letzten Mittel.

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Seitenzahl: 239

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Olaf Müller

Endstation Rursee

Kriminalroman

Zum Buch

Rursee in Flammen Louise Buchsbaum, eine ehemalige Sparkassenangestellte, liegt tot im Pferdestall in Aachen auf dem CHIO-Gelände. Mauz, die Katze der Lektorin Annette Stenten, wird im Herzen von Aachen entführt und Verleger Dr. Hartenstein unter Druck gesetzt. Kommissar Fett und Kollegin Conti ermitteln zunächst im „Out of Africa in Aachen Museum“, beim Geldadel in der Zülpicher Börde und in Simmerath. Weitere Spuren führen nach Obermaubach, Einruhr, Lüttich und zur RWTH Aachen. Sogar das zerstörte Ruderboot der RWTH auf dem Rursee bei Woffelsbach ist von Bedeutung. Und dann passiert etwas in Lüttich bei Kommissarin Chantal Kalumba: Jemand erpresst die Stadt mit einem Anschlag auf den Festakt zum 120. Geburtstag von Georges Simenon. Die Jagd nach dem skrupellosen Täter führt die Ermittler zum Rursee. Als dort eine Schiffskatastrophe droht, greift Kommissar Fett zum letzten Mittel.

Olaf Müller wurde 1959 in Düren geboren. Er ist gelernter Buchhändler und studierte Germanistik sowie Komparatistik an der RWTH in Aachen. Seit 2007 leitet er den Kulturbetrieb der Stadt Aachen. Sprachreisen führten ihn oft nach Frankreich, Italien, Spanien sowie Polen und Austauschprojekte in Aachens Partnerstädte Arlington (USA), Kostroma (Russland) und Reims (Frankreich). Als junger Segelflieger erlebte er die Eifel aus der Luft, als Wanderer heute vom Boden. „Endstation Rursee“ ist sein achter Kriminalroman im Gmeiner-Verlag.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Gaby Recker / stock.adobe.com

ISBN 978-3-8392-7866-6

Zitat

»… der Schlangenbiss des literarischen Ehrgeizes hinterläßt oft tiefe, unheilbare Wunden, …«

Aus: Fjodor M. Dostojewskij, »Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner«

Vorbemerkung

Im Februar und März 2023 wurde im belgischen Lüttich, der Geburtsstadt von Georges Simenon (1903–1989), an seinen 120. Geburtstag erinnert. Fast hätten die Feierlichkeiten zu Ehren des größten Kriminalschriftstellers des 20. Jahrhunderts nicht stattfinden können, denn eine unerhörte Begebenheit bedrohte im Frühjahr 2022 die Organisation des Festaktes.

1 DER SAHNEHERING

Fett knöpfte den aparten Stoffmantel mit Fischgrätmuster zu, den er seit 15 Jahren in der sogenannten Übergangszeit trug und der am Bauch etwas spannte. Werde noch zu Maigret, nur ohne Pfeife, dachte er. Pfeife geht nicht, kaltes Bier ist überhaupt nicht mein Fall, Sandwiches schon eher, vielleicht ein Calvados, ach, was soll es. Ich bleibe bei Crémant.

Übergangszeit, eines dieser Wörter seiner Mutter. In der Erinnerung gab es ständig eine Übergangszeit, die besondere Kleidungsstücke forderte. Beim Herrenausstatter, den gab es in den 60er-Jahren noch, wurde stets ein schreckliches Kleidungsstück für die Übergangszeit gewünscht. Da stand der Junge, betrachtete sich im Spiegel, gefiel sich überhaupt nicht, und Mutter bestimmte. Es passe, da wachse er noch rein. Das könne er noch lange auftragen. Seine Klassenkameraden steckten in hautengen Levis-Jeans, er kam mit der Hose für die Übergangszeit.

Es regnete Anfang April 2022. Es regnete wie so oft in Aachen, in ganz Aachen: in Richterich, in Laurensberg, in Haaren, in Eilendorf, in Forst Driescher Hof, in Rothe Erde, in Kornelimünster, im Südviertel und auf der Hörn. Auch am Dom regnete es. Die Heiligen und Bischöfe an der Außenwand des Chorgewölbes standen bedröppelt da. Sie schauten leidender als sonst auf hastende Gläubige, Ungläubige, Studenten, Touristen, Passanten, Liebespaare. Dicke Tropfen prasselten auf die Erde, Kronentropfen, so nannte sie Fett. Sie schlugen auf und spritzten für eine Sekunde wie eine Krone auseinander. Es regnete Kronentropfen aus grauschwarzen Wolken, die über dem Talkessel von Aachen hingen, sich zusammenklumpten, in die Höhe schossen, verwirbelten und in Sekundenschnelle neue Wolkengebilde erzeugten. Was war das? Ein Sturm? Ein Orkan? War es das Jüngste Gericht, die Rache der Natur? Dichter, immer dichter wurde der Regen, die Straßen verschwanden, kleine Bäche flossen die Trierer Straße hinunter. Sie drängten in die Innenstadt, den Kaiserplatz, den Theaterplatz, den Elisenbrunnen, den Willy-Brandt-Platz. Es war der Regen vor dem langen Sommer der großen Trockenheit.

Fett eilte zu seinem Wagen, der in der Straße Gasborn vor einer dubiosen Spelunke oder Muckibude parkte. Jedenfalls roch es vor dem Laden penetrant nach Männerschweiß und Wasserdampf. Im Promenaden-Eck wurde gelüftet. Alle Türen und Fenster waren trotz des Regens geöffnet. Auf Barhockern döste Stammkundschaft, diskutierte das Wetter, die Trainersituation bei Alemannia Aachen, süppelte ein Warsteiner. Fett hastete aus der Wohnung seiner Kollegin Daniela Conti, der schönen Daniela, wie Kollegen sagten, dem italienischen Luder, wie eifersüchtige Kolleginnen raunten. Sein Regenschirm lag im Auto. Mit einem letzten Crémant hatten Conti und Fett diesen verregneten Abend beendet, nach einem langen Tag ohne Tote. Fett stand auf der Straßenseite mit den Wohnungen für die Synagoge, hörte russische Wortfetzen aus einem gekippten Fenster, irgendwas mit »Karascho« und »Spasiba«. Auf der anderen Straßenseite hing ein übergewichtiger Mops auf dem Fensterbrett. Daneben Frauchen, das dem Mops ähnelte.

»Der Sahnehering ist hier besonders gut. Der Preis ist einmalig. Dafür bekommt man den noch nicht einmal im Sauerland. Ich komme nämlich aus dem Sauerland. Ja, das stimmt. Wirklich gut. Aus dem Sauerland. Ja, ja.«

Fett dachte an den absurden Monolog in der Kantine für jedermann am Theaterplatz. Mittags hatte er dort mit Conti gegessen. Er den Sauerbraten mit Rotkohl und Knödeln, Conti den vegetarischen Wok-Teller mit Gemüse aus Einruhr, der Heimat des Kochs. Ein Akademiker mit schnarrender Stimme, graugelben Haaren und überdimensionierter Brille dozierte über den Sahnehering, Gericht Nummer drei; ein Postbote mit Schweißperlen auf der Stirn und Schwitzflecken auf den Brillengläsern schaufelte tief über den Teller gebeugt den Grünkohl vom Vortag in sich hinein, zersäbelte die Mettwurst, heftig mit dem Kopf zum Sahnehering-Lobgesang nickend, sodass beim letzten »Ja! Ja!« des Schnarrhahns das postalische Kassengestell zum Tauchvorgang in den Grünkohl startete. Platsch!

Sahnehering, Sauerland, Volkskantine – Fett irritierte dieses Gemisch in seinem Schädel und dazu noch der Regen. Was für ein blöder Tag. Contis Stimmung war auch nicht besser. Schlechter Wochenanfang, dachte er. Er schlug den Mantelkragen hoch, trat in eine Pfütze, suchte den Autoschlüssel. Das Schloss seines Peugeots 404 klemmte, er musste den Schlüssel ins Türschloss peitschen, die Tür ging auf. Er ließ sich auf den Sitz fallen, stöhnte, startete den Motor, schaltete mit der Handschaltung am Lenkrad in den ersten Gang. Die alten Scheibenwischer arbeiteten im Akkord, quietschten auf der Scheibe wie Mäuse auf der Flucht. Fett fand einen Parkplatz vor der Hochschulbibliothek. Der Abend verschwand so, wie der Tag verschwunden war: grau.

2 KASTRATIONSÄNGSTE

»Sie haben das Z-Wort gesagt. Sie haben sogar ›Milchmädchenrechnung‹ in den Mund genommen! Das bestätigen Zeuginnenaussagen. Was sagen Sie dazu, Kommissar Fett?«

Er schwitzte wie im orientalischen Bad der Carolus-Therme. Das Gender-Tribunal der Aachener Polizei bestand aus drei strengen Sozialpädagoginnen, die ihre Bachelorarbeit über Judith Butler als Kollektiv verfasst hatten. Sie trugen Overalls wie die Aufseher in der südkoreanischen Netflix Serie Squid Game. Es war kein Spiel. Sie waren allzuständig, nur dem Ministerium für Gendergerechtigkeit verantwortlich. Sonderermittlerinnen, fliegende Tribunale für die Polizeipräsidien; gefürchtet, berüchtigt, gefährlich, unbestechlich, geschlechtslos und ohne Humor; keine lächelte. Ihre Augen durchbohrten Fett, das Gendermonster, den Abweichler, den Renegaten, den Ungläubigen.

»Gestehen Sie endlich! Dann wird die Strafe glimpflicher ausfallen.« Die Vorsitzende trug ein schwarzes Brillengestell – so groß, dass locker zwei Köpfe dahinter passen würden. Die rosaroten Handschellen schnitten in Fetts Handgelenk.

»An einer Degradierung kommen Sie nicht vorbei, Angeklagter Fett. Wenn Sie nicht gestehen, dann Höchststrafe: Sexualtherapie. Sie werden nur noch Pflanzen mögen. Dazu bekommen Sie einen Chip injiziert, der Ihre Sprache überwachen wird. Alles, was Sie sagen, wird sofort auf Gendergerechtigkeit geprüft, und bei Missachtung müssen Sie die Genderverordnungen von Köln, Aachen und Hannover auswendig aufsagen. Vorwärts und rückwärts. Also: letzte Chance. Gestehen Sie! Streifendienst in den Außenbezirken, vielleicht Hundestaffel. Das ist die Alternative zur Therapie.«

Therapie? Die wollen mich sterilisieren. Fett schrie auf: »Nein! Nie mehr Zigeunerschnitzel! Nie mehr Winnetou!«

Er wachte Dienstagmorgen schweißüberströmt auf. Wieder der Genderalbtraum. Ihn verfolgten die Rechtschaffenen, Wohlgesinnten, Guten, Hyperkorrekten, die Humorlosen, die Sozialpädagoginnen, die am Tag der Gewalt gegen Frauen den Dom orange anstrahlten, nicht aber die Moschee. Er duschte lange und rasierte sich noch länger. Die Nächte waren die Genderhölle. Im Präsidium hörte man von Hinz und Kunz den geraunten Satz: »Das darf man ja nicht mehr sagen.« Danach prustete jemand über den Radio-Eriwan-Witz mit Stellung und Arbeit.

Frage an Radio Eriwan: »Mein Mann ist ständig auf der Suche nach neuen Stellungen. Was soll ich nur machen?« Antwort: »Sie müssen ihm klarmachen, dass er sich lieber Arbeit suchen soll.«

Fett war zu alt. Mit Anfang 60 hatte er genug erlebt mit den verschiedenen Innenministern in NRW: Unter dem sanften Herbert Schnoor war Fett in den Polizeidienst eingetreten; dessen Devise: Deeskalation. Während die Kollegen in den Niederlanden und Belgien zupackten, wurde in NRW kommuniziert. Die Clans lachten sich schlapp. Egal ob Ingomann von den Liberalen oder Jäger von den Sozis – sie redeten zu viel und waren der Aufgabe, so dachte Fett, nicht gewachsen. Der scharfe Herbert von den Christdemokraten gab Gas und stärkte den Polizisten den Rücken. Warum er in der Hochwasserkatastrophe des Sommers 2021 keinen Krisenstab einberufen hatte, blieb sein Geheimnis. Wieder der Genderalbtraum, wieder die Sprachpolizei aus der Innenrevision. Wann kommt der Kipp-Punkt, wann werden die Menschen wach? Wann hört die Bevormundung auf? Fett schleppte sich in die Küche.

3 DER SCHNELLE TESLA

»Hallohelene!« Ohne Pause zwischen den Wörtern grüßte Frau Noll, Bäckereifachverkäuferin der alten Schule, die wackelnde Seniorin. Helene nickte stumm, dann sagte sie laut, bestimmt und fast befehlend: »Tu mir drei Quarkbällchen!« Die Verkäuferin glitt wie auf Schlittschuhen hinter der Theke zur Quarkbällchenauslage. Fett nahm fünf Brötchen, die waren stets im Angebot. Fünf knusprige Brötchen für den Speck tradizionale, so stand es auf der Packung aus dem Discounter. Tradition geht immer, dachte Fett, als er den Schinkenspeck auf das Brötchen legte, um ein herzhaftes zweites Frühstück zu verputzen – nach dem Marmeladentoast um 6 Uhr. Dienstag war Homeoffice angesagt, Mittwoch würde er ins Präsidium fahren. Der Peugeot 404 stand verlassen mit Anwohnerparkausweis in einer Parkbucht der Hochschulbibliothek und blickte auf das menschenleere Reallabor am Templergraben. Nieselregen fiel in Schwaden aus dem grauen Himmel. Homeoffice – auch so ein Käse. Der Zugang zu den Akten im PC klappte nie, kein Gespräch in der Teeküche, keine Kantine. Homeoffice mochte er nicht. Anweisung von Kosslowski. Um Ansteckungen zu vermeiden. Man müsse einsatzfähig bleiben. Heute war Fett dran. Ohne Gespräche keine Ideen, keine anderen Sichtweisen, keine Herausforderung, mal die andere Seite des Falls zu betrachten. Vielleicht ist Homeoffice für die Kollegen mit Kindern angenehm oder für den Personalrat oder den Innendienst. Er mochte kein Homeoffice. Er würde es nie mögen.

Chantal Kalumba rief gegen 10.45 Uhr an. Die Leiterin der Föderalen Polizei in Lüttich war seit Jahren mehr als nur eine Kollegin, sie war eine Freundin aus einem anderen Leben, Eltern aus dem Kongo, erste schwarze Dienststellenleiterin in Ostbelgien, unbestechlich, humorvoll und aufgeklärt feministisch und ohne Gendergedöns. Hatte sie nicht nötig. Unvergesslich das Wochenende in Paris mit ihr. Ein Wochenende mit Lachen, Spaziergängen, Rotwein, Centre Pompidou, Nachdenklichkeit und Umarmungen.

»Michel, wir haben ein Problem.« Chantal Kalumba blickte aus ihrem Büro in der Rue Saint-Léonard in Lüttich auf die Maas und nannte ihn stets »Michel« und nicht Michael.

»Nur eines? Das trifft sich gut. Ich habe gerade keines und nehme es dir ab. Klein, mittel oder groß?« Fett blickte auf den Marienturm des Aachener Rathauses.

»Groß.«

»Deine Einwortsätze sind so spannend wie du.«

»Was wäre das Leben ohne Spannung?« Sie lächelte. Mit Fett konnte sie ein wenig flirten. Der war noch nicht sprachlich kastriert.

»Hoppla, ein Sechswortsatz. Das Leben ohne Spannung wäre ruhig, man könnte angeln, spazieren. Ein Leben für Radfahrer und Menschen, die die Grünflächen in der Innenstadt mit Petersilie bepflanzen und sich auf Liegestühlen aus Paletten vor das Theater legen.«

»Oh, da kommt der deutsche Kommissar mit seinen Anspielungen. Jetzt muss ich aufpassen. Michel, Michel, lass uns lieber über mein Problem sprechen.« Sie lachte und blickte auf einen mit Kohle beladenen Schubverband, der sich flussaufwärts kämpfte. Ein Bootsjunge zog einen Eimer mit Wasser aus der Maas, kippte ihn über die Lauffläche und begann zu schrubben.

»Dein Problem ist mein Problem, ma chère. Stand schon in der Bibel.«

»Alors, Pastor Fett. Wir haben eine seltsame Häufung von Meldungen.«

»Meldungen sind gut. Was ist daran seltsam?«

»Die Menge, der Inhalt, Michel.« Sie blätterte in der Statistik auf ihrem Schreibtisch.

»Menge, Inhalt?«

»Seit einem Monat steigen die Zahlen täglich an. Es ist die Mischung: Überfall, Bombenalarm, Verkehrsunfall, Einbruch, Stromausfall in einer Bank, Erpressung der Eisenbahn. Die Statistik ist eindeutig: Zahl und Vielfalt in so kurzer Zeit hatten wir noch nie. Und keine Spur.«

»Wer meldet die Fälle? Wie erfahrt ihr davon?«

»Mal per Telefon, dann per Mail, per SMS, per Facebook, Instagram.«

»Fand das alles statt oder sind russische Trolle am Werk?«

»Keine Explosionen. Nach der Erpressung meldet sich niemand, Ampelschaltungen und Stromausfall ja. Leichte Verkehrsunfälle provoziert durch abmontierte Verkehrszeichen. Von russischen Trollen keine Spur. Es begann allerdings nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Das ist auffällig.«

»Keine Kameraaufzeichnungen? Keine Zeugen? Keine Motive?«

»Absolut nichts. Ich rufe an, um dich zu warnen, und weil ich deine Hilfe brauche.«

»Ich kann nichts, was du nicht auch kannst. Warnen ist gut. Wir kaufen unser WLAN bei Saturn. Ehe wir die Formulare für den Auftrag ausgefüllt haben, sind die bestellten Geräte veraltet.« Er sprach aus Erfahrung. Zwar waren durch den Angriff Russlands plötzlich die Landesverteidigung und die innere Sicherheit als Themen für die Politik nach oben geschossen, aber die Beschaffung dauerte und dauerte. Noch keine Zeitenwende in Sicht.

»Ich hoffe, das deutsche System wird nicht kontrolliert. Wir glauben, dass uns jemand in die Karten schaut, alles weiß, alles kann.« Chantal Kalumba klang besorgt.

»Computernerds, die sich einhacken, oder ausländische Dienste?«

»Wir tappen im Dunkeln. Gestern erschien ein aufgeregter Handelsvertreter aus Lüttich im Polizeipräsidium. Er war mit seinem Tesla auf der Autobahn unterwegs in Richtung Verviers. Plötzlich erschien die Maske aus der Netflix-Serie Casa de Papel –Haus des Geldes auf seinem Bildschirm. Diese stilisierte Salvador-Dalí-Maske. Wenn er nicht innerhalb von 15 Minuten 10.000 Euro auf ein Konto in Panama überweise, würde sein Wagen auf Maximalgeschwindigkeit beschleunigen und die Bremsfunktion deaktiviert. Tatsächlich beschleunigte sein Tesla für zehn Sekunden automatisch auf 200. Der Vertreter hielt in der nächsten Parkbucht an und hat sofort überwiesen. Danach verschwand die Meldung von seinem Screen. Unsere Spezialisten arbeiten dran. Bis jetzt ohne Erfolg. Tesla sagt, das sei unmöglich.«

»Ich suche den führenden Kopf der Informatik an der RWTH Aachen für dich, Chantal. Die werden dir helfen. Ich kümmere mich. Ansonsten frage ich mal in einem Leistungskurs Informatik.« Merkwürdige Geschichte, dachte Fett. Typisch für Lüttich. Irgendwie überspannt. Mit Casa de Papel konnte er gar nichts anfangen. Er schaute in der Mediathek alte Folgen von Der Kommissar und Tatort mit Zollfahnder Kressin.

»Merci, Michel. Für das Kümmern und überhaupt. Salut. Du hast einen Wunsch frei.« Das war ihr so rausgerutscht. Oder doch absichtlich? Es kribbelte in ihrem Bauch. Mit einem charmanten Mann war sie lange nicht mehr im Restaurant gewesen. Der letzte, ein Manager der Banque Nationale, sprach nur von Zahlen, Inflation, vegetarischer Ernährung, persönlichen Fitnesstrainern, Kurzurlauben einmal pro Monat, Stress am Flugplatz und seiner Lieblingsbionade. Der Abend endete mit geistiger Stagnation. Gutes Essen, schlechte Konversation. Adieu, vegetarischer Bankmanager. Mit Fett konnte sie lachen.

»Also, bestimmte Wünsche wirst du nicht erfüllen, aber wenn 2023 der 120. Geburtstag von Georges Simenon in Lüttich gefeiert wird, wäre ich gerne dabei.«

»Ah, Kommissar Maigret aus Aachen. Das lässt sich machen. Kein Problem, mein Lieber. Du wirst ein Ehrengast sein. Ich wusste, dass du Simenon liest, aber nicht, dass du ihn verehrst.«

»Seit meiner Jugend. Bevor wir uns kannten, war ich schon in der Kirche Saint-Pholien auf Outremeuse, wo Der Gehängte von Saint-Pholien spielt.«

»Alors, dann musst du Ehrengast werden, solange du nicht auf den Spuren des Casanovas Simenon wandelst.«

»Du sprichst von den 10.000 Frauen, mit denen er angegeben hat?«

»Gut informiert. Es können auch 9.000 gewesen sein. Heute würde er so einen Spruch nicht überleben.«

»Da sag ich besser nichts zu. Du weißt, ich wollte früher Mönch im Kloster Mariawald werden. Beten, arbeiten, Erbsensuppe essen und schweigen. Das wäre es gewesen.«

»Bruder Fett und die Erbsensuppe! Assez, genug. Sonst sterbe ich durch Lachanfall. Aber bis 2024 warte ich nicht auf dich. Das ist dir klar!« Sie lächelte hinüber nach Outremeuse, während vor ihrem Büro Inspektor Mimoune mit einem Dossier und verdrießlichem Gesicht wartete.

»Dann wünsche ich mir einen Bummel mit dir durch Lüttich. Wir starten in der Librairie Pax, dann die Passagen, das Kino Churchill, all die Nebenstraßen und Hot Dog in der Rue de la Cité. Wenn wir es noch schaffen, steigen wir die Montagne de Bueren empor zur Zitadelle, grüßen mit einem kalten Crémant deine Stadt Lüttich.«

»Très bien. Darüber lässt sich reden. Wir telefonieren und machen einen Termin aus. Bis bald. Salut!« Sie lächelte noch, als sie Mimoune mit den Akten sah. Auf den Vorschlag von Fett wäre der Bankfuzzi nie gekommen. Er schwafelte von einem selbst gebauten Boot bei Knokke, von Elektroautos und grünen Aktien. Bis sie sich beim letzten Gespräch mit ihm entschuldigte. Sie müsse noch einen Serienkiller verhören, der es auf Fondsmanager abgesehen hatte. Ihm fiel das Ciabatta mit Ingwerpesto auf die Hose.

4 DIE SACHE MIT DEM PFERD

Fetts Handy klingelte erneut. Daniela Conti, sein italienischer Schatten. Tote Frau im Reitstall auf dem CHIO-Gelände, dem Reitturniermekka in der Aachener Soers.

Louise Buchsbaum, 59, lag verkrümmt unter einem Haufen Stroh in einer Pferdebox. Pferdepfleger Oliver Pohle, von Kollegen »Oli the Horse« genannt, hatte sie gegen 10.30 Uhr entdeckt, als er frisches Stroh brachte für die gepflegten Pferde. Ruprecht Augustin, millionenschwerer Liebhaber des Reitsports, hatte sie dort vorübergehend untergebracht, weil sein Gestüt durch die Hochwasserkatastrophe im Sommer 2021 zerstört worden war. Der Neubau lag in den letzten Zügen. Seine Pferde sollten gut durch den Winter und das Frühjahr kommen. Darum hatte Ruprecht regelrecht nachhaltig an den Reitsportverein gespendet und durfte die heiligen Stallungen der heiligen Soers mit dem noch heiligeren Rasen benutzen. Nun lag eine unheilige Tote unter dem Stroh. Louise Buchsbaum war alles andere als eine Betschwester gewesen, eher lebenslustig und nun mausetot. Jedenfalls ergaben das die ersten Abfragen von Daniela Conti. Louise, kinderlos, nach drei Ehen wieder Single, war zuletzt als Tischdame von Albert van Epen bei der publikumsreduzierten Aufzeichnung des Tierordens für Iris Berben im Eurogress in der Öffentlichkeit erschienen. Das Spektakel war besser bekannt als Orden wider den tierischen Ernst, wobei es zumeist so humorfrei zuging wie bei den Exerzitien taubstummer Kardinäle in Castel Gandolfo. Kurzum: Conti war vorbereitet, als Fett mit seinem Peugeot 404 und dem zu eng sitzenden Fischgrätmustermantel von der Krefelder Straßen bei Nieselregen in die Soers bretterte und von salutierenden Platzwächtern in Richtung Stallungen dirigiert wurde. Dort standen: Kriminaltechnik mit Kollegin Elke Unsleber, wie immer leuchtende Sommersprossen, Doktor Schunkert als Rechtsmediziner, Staatsanwältin Cordula Regauer, auf Filmtipps und Lebenshilfe von Fett abonniert, sowie zur Tatortsicherung Kommissar Zlob, genannt »Kilimandscharo« aufgrund obskurer Verbindungen nach Afrika, und Kommissarin Sommer, eher Konkurrenz für Conti. Sommer winkte Fett mit einem Lächeln in die Stallung, die nach Pferd roch. Wonach auch sonst?

»Was haben wir, Frau Conti?«

»Eine Tote, viele Pferde, Stroh.« Conti, Anfang 40, arbeitete seit 2019 mit Fett im KK 11, der Mordkommission des Aachener Polizeipräsidiums. Sie hatte die Karriereleiter in umgekehrter Richtung genommen: BKA, LKA, Mordkommission Düsseldorf und dann Versetzung nach Aachen. Irgendwas mit untenrum hatte ihre Karriere verpfuscht. Gerüchte waberten über die Flure des Präsidiums. Wo sie auftauchte, da seufzten die Männer und zischelten die Frauen.

»Danke, meine Augen sind noch ganz in Ordnung. Mein Geruchssinn ebenfalls. Das war es also mit Homeoffice. Dann erzählen Sie mal.«

»Louise Buchsbaum, 59, ledig, vermutlich erdrosselt, bekleidet, keine Anzeichen einer Sexualstraftat, keine Angehörigen. Zeugen null. Oli the Horse, dieser Oliver Pohle, hat sie gefunden. Er versorgt die Zossen des Millionärs Ruprecht Augustin, ist mit dem Bus heute Morgen gekommen. Die Pferde erhalten vormittags frisches Stroh. Da hat er sie gefunden. Die Ställe sind nicht abgeschlossen, das Tor zum Gelände wird ab 6 Uhr für Mieter, Reiter, Beschäftigte geöffnet. Wir befragen alle, die hier rumlaufen. Der Doktor meint, Fundort ist nicht Tatort. Die Leiche sei hier abgelegt worden. Die Markenhandtasche von Hermès lag mit den Ausweispapieren neben ihr im Stroh. Tatort sei irgendwo anders. Sollen wir zu ihrer Wohnung fahren?«

Fett mochte Pferde nicht, keinen Pferdesport. Die Tiere waren ihm zu groß. Der Geruch kotiger Juchtenstiefel, des verfaulenden Strohs, der schwitzenden Pferde, der Reithosen – alles mochte er nicht. Auch nicht die Dressur und das Springreiten. Er bedauerte die Pferde und fragte sich, warum gegen Tiere im Zirkus auch von den grün wählenden Zahnarztgattinnen sofort protestiert wurde, aber der Sprung über Mauern, Stangen, Wassergräben unter Applaus eben dieser Tierschützerinnen den Pferden zugemutet wurde. Er verstand es nicht. Fett warf einen Blick auf Louise Buchsbaum. Schlank, Pagenschnitt, volle Lippen, feine Hände. Sie trug schwarze Jeans und eine dunkelblaue Jacke, eine hellblaue Bluse. Eine goldene Kette und zwei wertvolle Ringe zierten ihre Hand. Eine Frau im besten Alter. Warum? Wer? Wie? Wo? Wann? Die Fragen pendelten durch Fetts Gehirn. Verbunden mit dem trüben Wetter, dem Angriff Russlands auf die Ukraine, dem Durcheinander der Corona-Maßnahmen braute sich eine gedankliche Unlust zusammen, die er nur mit starkem Kaffee bekämpfen konnte.

»Gibt es hier Kaffee?«

»Aus meiner Thermoskanne«, murmelte die neben der Toten im Stroh umherkriechende Kollegin Unsleber.

»Bio mit braunem Zucker oder richtiger Kaffee?«

»Selbst angepflanzt im Mergelland und heute Morgen geröstet«, keilte Elke Unsleber zurück. »Becher in meinem Koffer. Espressobohnen vom heiligen ALDI.«

»Sehr gut, ich schlage Sie zur Beförderung vor.« Fett trank einen Kaffee, und seine Laune verbesserte sich; nicht schlecht, die Unsleber-Mischung.

»Na, Herr Fett, schicker Mantel. Schon einen Verdacht?« Staatsanwältin Cordula Regauer stöckelte in Pumps vorsichtig durchs Stroh und sprang über Pferdeäpfel.

»Danke für den Mantel. Immer einen Verdacht. Kann ihn aber noch nicht in Worte kleiden. Kennen Sie doch, liebe Frau Regauer. Aparte Schuhe. Hier etwas deplatziert.« Fett ließ den Unsleber-Kaffee durch die Kehle fließen, lächelte die attraktive Staatsanwältin an.

»Sie kennen doch bestimmt das Opfer, ist Ihre Gesellschaftsklasse, Frau Staatsanwältin«, er sprach mit Blick auf Louise Buchsbaum, damit er das Funkeln in den Augen der indignierten Staatsanwältin nicht sehen musste.

»Stimmt. Kommt nicht aus Ihrem Ambiente, Herr Fett, fuhr sicher keinen alten Peugeot und spielte auch nicht Minigolf. Vielleicht hatte sie hier Pferde untergebracht. Ich reite übrigens nicht. Wissen Sie doch. Eher Mountainbike.«

»Erwürgt, vermutlich Montagabend zwischen 20 und 22 Uhr. Keine Spuren von Gegenwehr erkennbar.« Doktor Schunkert sprach stets ungefragt. Er wollte zurück an den Seziertisch, in seinen kühlen Keller zu seinen Toten.

»Woher wissen wir, dass es Louise Buchsbaum ist? – Herr Fett, ich rede mit Ihnen.« Regauer wurde ungehalten.

»Fragen Sie die Conti. Ich schau mich mal um. Passen Sie auf beim Mountainbikefahren. Wäre schade um Sie. Sehr.« Fett ließ die kopfschüttelnde Staatsanwältin stehen und lief zum Ausgang der Halle, wo Kommissar Zlob, genannt Kilimandscharo, Kollegin Sommer mit Anekdoten aus der Promenadenstraße unterhielt.

»Der Porno-Paul kam jeden Morgen mit den Einnahmen seiner Peep-Show aus der Antoniusstraße vorbei, war in der Regel hackezu und knallte eines Morgens volle Kanne gegen den Passantenstopper von Halal-Ali. Wie in Zeitlupe kippte er in das Schaufenster von dem Ali. Wir saßen vor der Synagoge im Bulli, ich sag noch, das ist doch der Porno-Paul, da fliegen 1.000 Scherben auf die Promenade, und der Halal-Fleischlieferant von dem Ali macht eine satte Vollbremsung, dass dem alle Halal-Koteletts im Kühlwagen durcheinanderwirbeln. Jedenfalls sah der Porno-Paul ziemlich zerschnitten aus. Der musste ins Klinikum, und der Ali veranstaltete Halalkotelett-Fensterverkauf.«

Fett hörte das gelangweilte Lachen von Kommissarin Sommer, während sie verstohlen zu Fett blickte und den Mantel musterte. Wie war die Leiche transportiert worden? Wie war Louise nach dem Mord ins Stroh gebracht worden und vor allem warum? Warum hierher? Oder sollte sie hier gefunden werden? Fett schaute sich um. Conti redete auf Regauer ein, Schunkert und Unsleber packten ihre Sachen. Die grauen Herren mit dem noch graueren Stahlsarg verschwanden im Stall. Das wird anstrengend, dachte Fett. Reitturniergelände, CHIO, tote Frau aus besseren Kreisen. Conti kam zu ihm.

»Regauer muss zurück ins Justizzentrum. War die schon immer so zickig?« Conti steckte einen Notizblock in ihre Lederjacke.

»Erst seit Sie hier sind.«

»Soll das ein Kompliment sein?« Sie blickte ihn aufmerksam an.

»Ja.«

»Hatten Sie mal was mit ihr?« Conti lächelte maliziös.

»Beinahe.« Fett zerdrückte den leeren Kaffeepappbecher und schaute sich nach einem Mülleimer um.

»Aber?«

»Kein Aber. Besser so.« Er schmiss den Becher gezielt in Richtung Mülleimer. Punktlandung. Wenigstens etwas funktionierte heute Morgen.

»Sie hat Sie abblitzen lassen.«

»Die Zeit war nicht reif. Wird das ein Verhör?«

»Oh, fehlte ein Erntehelfer, weil die Zeit noch nicht reif war?«

»Kommen Sie zur Sache oder schreiben Sie für das Goldene Blatt?«

»Mögen Sie keine Tiere?« Ich wechsle mal das Thema, dachte Conti.

»Was hat das mit dem Fall zu tun?«

»Ich mein ja nur. Die Pferde haben das gespürt.«

»Wenigstens spüren die was. Sie bald auch, wenn Sie nicht loslegen. Ich spüre nur Contis Verhörmethode und eine undefinierbare Neugier an meiner Vergangenheit. Darüber mehr beim nächsten Pizzaessen in der Promenadenstraße.«

»Die Buchsbaum wurde mit Handtasche hier abgelegt, der Personalausweis war drin. Handy ist verschwunden. Vielleicht bei ihr in der Wohnung am Neumarkt. Sollten wir mal hin. Ich informiere die Kriminaltechnik, die können dort weitermachen.«

»Ja, ja«, sagte Fett gedankenverloren. Er dachte an den fürchterlichsten Urlaub, den er je mit seinen Eltern gemacht hatte. Ferien auf einem Ponyhof bei Gerolstein in der Eifel. Die Backfischmädchen hatten nur Augen für die Zossen. Er war mitten in der Pubertät und musste auf einem alten Klepper irgendwelche Runden drehen. Der Swimmingpool bestand aus einem Planschbecken, die Mücken stachen ständig. Frust, nur Frust. Nie mehr Pferde, das hatte er sich als Jugendlicher geschworen. Nur noch Mädchen, die auf frisierte Kleinkrafträder der Marken Kreidler, Hercules oder Zündapp standen. Kreidler am besten. So kam es dann auch, nachdem er seine Kreidler durch Verkürzung des Auspuffs schneller gemacht hatte.

Wenig später blickte Fett aus Louise Buchsbaums Wohnzimmer auf den Insulaner, die Kultkneipe vom Neumarkt. Vor seinem geistigen Auge sah er den Teller mit der Riesenbockwurst, Pommes, Senf und Salatgarnitur, für den die Kneipe bekannt war. Conti streifte durch die Zimmer, musterte den Kleiderschrank, gefüllt mit Designerkostümen. Fett wunderte sich über die Coffee-Table-Books: Garten, Island, Helmut Newton, Zumba. Kollegen der Kriminaltechnik packten alles zusammen. Den Computer von Louise Buchsbaum nahmen sie mit. Fett staunt über die Acrylmöbel, die Bilder an den Wänden, die einladende Küche. Fast eine Musterwohnung im Frankenberger Viertel, wo Lastenfahrräder das Straßenbild prägten; Prenzlauer Berg von Aachen, dachte Fett.

»Sieht nicht nach Raubmord aus. Hier ist sie nicht umgebracht worden.« Conti kam aus der Designerküche mit Kaffeevollautomat und italienischen Markenbohnen.

»Hatte sie einen Beruf, wer war sie?« Fett sprach in Richtung Insulaner, blickte auf die Regentropfen, die an der Fensterscheibe hinabliefen.

»Bank, sie war Bankkauffrau, leitende Mitarbeiterin bei der Sparkasse Aachen, verantwortlich für das Privatkundengeschäft, ist früher ausgestiegen. Auf dem Girokonto und den Sparbüchern liegt genug Geld. Sie wollte vielleicht leben, das Leben genießen. Und landete bei den Pferden.« Einerseits sehnte sich Conti nach etwas mehr Komfort, andererseits irritierte sie die sterile Musterwohnung ohne Topfpflanzen, Katzenstreu, Aschenbecher, geöffnete Rotweinflaschen. Wo war hier das Leben?

»Lassen Sie die Nachbarn befragen. Irgendjemand muss sie gesehen haben, bevor sie gestern ihren Mörder traf. Die Tür ist nicht aufgebrochen. Wo war sie, hatte sie einen Freund? Wie lange war sie schon raus aus der Sparkasse?«

»Sie ist seit über fünf Jahren Frührentnerin. Hoppla, hier liegt noch das Ticket für die Ordensverleihung wider den tierischen Ernst an Iris Berben.« Conti wedelte mit dem Eintrittsticket. »In ihrem Kalender steht ›Albert‹ unter dem Datum. Laut Adressbuch Albert van Epen.«

»Alter Nadelfabrikant. Taucht immer mal wieder in der Tageszeitung auf und beschwört die goldenen Zeiten der Industrialisierung, des Pferdesports, beklagt die Visionslosigkeit der Politik. Außerdem in einer erzkatholischen Sekte. Der verdient eine gehörlose Tischdame.« Fett musterte die Eintrittskarte. »Ist ein paar Tage her mit der Ordensverleihung. Und das Ticket bewahrte sie auf?«

»Sozialneid?« Conti wusste, dass Fett nicht aus einem großbürgerlichen Elternhaus stammte. So wie sie.

»Quatsch. Die Herrschaften aus der VIP-Klasse der Titanic haben noch nicht den Eisberg bemerkt. Albert van Epen ist auch so einer. Übrigens muss ich noch von Chantal Kalumba berichten.«

»Ah, die Perle Afrikas.« Da wurde Conti hellhörig. Irgendein Geheimnis verbarg ihr Chef.

»Noch so eine Bemerkung, und ich verpetze Sie beim Gendertribunal. Typische Bemerkung einer eifersüchtigen weißen Europäerin. Kommt ins Handbuch der Klischee-Sammlung. Besser, ich melde Sie direkt bei der Gleichstellungsbeauftragten. Da kommen Sie nicht mehr raus. Das sage ich Ihnen. Fünf Jahre Bezirkspolizistin in Rothe Erde und dann Streife am Kaiserplatz. Viel Vergnügen. Ich sammle dafür Pluspunkte.«

»Sorry, sorry. Alles gut, alles gut. Aber was hat der Anruf der aparten Kollegin Kalumba mit unserem Fall zu tun?«