Auffindbar, ungebremst auf verstaubten Pfaden unterwegs - Andreas Elligsen - E-Book

Auffindbar, ungebremst auf verstaubten Pfaden unterwegs E-Book

Andreas Elligsen

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Beschreibung

In fernen Ländern auf abwegigen Straßen spürt der junge Luke alten Schätzen nach. Er lernt die landestypischen Gepflogenheiten kennen, begegnet den geheimnisvollen Kochkünsten von Frau Fu. Seine abenteuerliche Suche in den Bergen endet abrupt mit dem Auftauchen finsterer Gesellen. Luke sitzt in der Falle. In der naheliegenden Stadt überschlagen sich die Ereignisse, ein mysteriöser Diebstahl im Museumsviertel gibt Rätsel auf. Nicht nur die Polizei sucht fieberhaft nach den Tätern auch Susannah wird in die Geschehnisse verwickelt. Ihre eigentliche Suche nach ihrem besten Freund Luke wird auf eine harte Probe gestellt. Eine Malerin kommt ihr zu Hilfe, doch wird das reichen? Susannahs Anhaltspunkte sind vage und ein rechtzeitiges Auffinden von Luke rückt in weite Ferne.

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Auffindbar, ungebremst auf verstaubten Pfaden unterwegs

„Hey. Hallo. Bitte warten Sie mal“, rief eine Kontrolleurin.

Flink bog der Angerufene aus der Gepäckaufnahme kommend in den nächsten Seitengang ein. Die Kontrolleurin mit erhobener Hand hinter ihm herwinkend reckte ihren Hals vergeblich. Sie verlor ihn aus den Augen.

Ein flüchtiger Blick nach unten auf die abgewetzte Box, die er mit beiden Händen schützend vor seinem Bauch hielt als galt es einen Schatz zu behüten. Das war knapp! Oftmals passierte er mit seiner Box und einer gewissen Dreistigkeit erfolgreich die Zollkontrollen, dabei hielt er die Kiste nahe an seinem Körper. Diese unverhüllte Sichtbarkeit ließ sie in einem unauffälligen Licht erscheinen. Die Kontrolleure verzichteten, wenn sie die Kiste überhaupt wahrnahmen, auf eine Untersuchung. Die Kiste war zweifelsohne ordnungsgemäß von einem Kollegen überprüft worden, mutmaßten höchstwahrscheinlich die Kontrolleure, da er die Box so offensichtlich vor sich her trug.

Jetzt eilte er im Laufschritt durch die Ankunftshalle, wurde aber von keinem weiteren Flughafenpersonal angesprochen.

Ein kurzes zwinkern mit den Augen, die morgendliche Sonne strahlte hell und blendete Luke, als er aus dem Flughafengebäude trat. Ein fremdes Land, ein neues Abenteuer stand bevor. Ein seltener Moment – sein Expertenteam traf sich erst am nächsten Morgen. Er hatte den restlichen Tag und eine Nacht in der Stadt zur freien Verfügung. Der Bus vor ihm fuhr ins Zentrum. Er stieg ein, nicht mal ein Dutzend Passagiere saßen im Bus. Wenige Stationen später war sein Halt, mit ihm stiegen zwei Mitfahrende aus, die schematisch ihre Wege gingen.

Luke blieb erstmal stehen und sah sich um. Vereinzelt leuchteten Neonreklame-Schilder auf, ihre grell-bunten Schriftzüge wiesen auf freie Unterkünfte in den drei, vier umliegenden Hotels hin. Blinkende Lauflichter lockten in nahegelegene Spielhallen zu Glücksspielautomaten, Spieltischen und Wettbüros. Freie Auswahl für jeden, der mochte und über 21 Jahre alt war. Luke betrat ein Mittelklasse Hotel, dessen Fassade etwas in die Jahre gekommen war. Im Innern bot eine großzügige Lobby mit angrenzender Bar eine überraschende Behaglichkeit. Ein feines Tischarrangement vor einer gasbetriebenen Kaminnachbildung rundete den positiven Eindruck ab. Der Innenarchitekt überzeugte mit dem richtigen Gefühl fürs Notwendige, hatte aus dem durchaus nicht unbegrenzten Budget des Hotelbesitzers eine gefällige Empfangshalle geschaffen. Das Hotel war gut besucht. Es waren nur noch vier Zimmer und die große Suite frei. Er entschied sich für ein Doppelzimmer mit Einzelbenutzung. Meist waren die reinen Einzelzimmer kleine in die Ecke gezwängte Zimmerchen mit spärlichem Tageslicht. Der Charme einer umgebauten Abstellkammer blieb an solchen Räumlichkeiten haften. Für die eine Nacht gönnte er sich lieber ein Doppelzimmer.

Beim Ausfüllen des Anmeldeformulars registrierte er einen raffinierten Duft von frischen Regentautropfen, der sich schwebend aus dem hinteren Lobbybereich näherte, dieser umspülte sanft seinen Nacken und stieg von dort langsam hoch zum Kopf.

„Entschuldigung ich wollte nur schnell meinen Schlüssel abgeben.“

Freundlich lächelnd stand eine Frau neben ihm, reichte mit der Hand ihren Zimmerschlüssel den Hotelangestellten.

„Oh, Neb-cheperu“, entschlüpfte es Luke. Als er in ihre überraschten Augen blickte schob er schnell ein „schön, schön, sehr schön“ hinterher.

Ihre Oberarme streiften sich kurz, sie drehte sich um und verließ den Empfangsraum. Der Angestellte nahm sein Anmeldeformular, verglich die Daten mit den Angaben im Pass und reichte ihm seinen Pass zusammen mit dem Zimmerschlüssel.

Das Zimmer lag in der zweiten Etage, er nahm direkt die Treppe, die auf der rechten Seite neben der Rezeption lag.

Sein Zimmer war modern eingerichtet mit einem Kingsize Bett, an den Seiten jeweils eine an der Wand befestigte Ablage, darüber eine Leselampe. Der Nasszellen-Bereich war funktional über eine Wand-Glas-Kombination zum Schlafbereich abgeteilt. Natürliches Tageslicht flutete ungehindert ins Badezimmer und vergrößerte optisch den Raum, schaffte ein angenehmes Wohngefühl.

Das Zimmermädchen hatte wie hierzulande üblich die Temperatur auf Kühlschrankniveau abgesenkt. Luke öffnete das Fenster und stellte den Regler der Klimaanlage auf für ihn angenehme 21Grad Celsius ein. Die Kühlbox mit seinem kleinen Freund stellte er auf den Schreibtisch neben die Mineralwasserflasche ‚Gruß vom Hotel‘. Er prüfte dabei vorsichtshalber, dass der kleine Lufteinlass, an der Unterseite der Box, offen geblieben war.

Auf der hinteren linken Ecke des Schreibtisches standen ein Wasserkocher und zwei umgedrehte Tassen auf ihren Untertellern. Das Angebot war gut aufgefüllt: zweimal Instantpulver-Kaffee, zweimal Kaffee entkoffeiniert, acht Sorten Tee überwiegend Schwarzteebeutel und diverse Zuckertütchen.

Die Dusche tat gut nach der langen Flugreise. Er hätte sich etwas mehr Wasserdruck gewünscht, aber er konnte alle Temperaturabstufungen von kalt-lauwarm-warmheiß einstellen. Mehr brauchte er nicht. Er war zufrieden. Zuhause hatte man sich an so viele Dinge gewöhnt – erst in der Ferne erkannte man den heimatlichen Luxus. Nicht überall auf der Welt gab es die Voraussetzungen um ein perfektes Wassermanagementsystem zu installieren und zu pflegen, diesbezüglich bot sein Hotel bereits eine Menge Komfort.

Langgestreckt lag er auf dem Bett näherte sich bedenklich dem Punkt: ,Zimmerferien. Abschalten. Liegenbleiben‘. Seine ursprünglichen Pläne den freien Tag für einen Stadtbummel zu nutzen rückten in weite Ferne. In der Nähe vom Hotel lag eine kleine Parkanlage, die er hätte aufsuchen können, um sich unter die einheimischen Nachtbummler zu mischen. Kampflos ergab er sich nicht seiner Trägheit. Ein Drink an der Hotelbar sollte möglich sein und dann vielleicht frisch gestärkt hinaus in die Nacht. Wer weiß?

Einige Gäste saßen mit ihren Getränken verteilt im Bar- und Lobbybereich. Die Frau saß an der Theke. Er erkannte sie wieder. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt. Ihr Kleid fiel leicht an ihrer Haut hinunter, jeder einzelne Wirbel ihres Rückgrats zeichnete sich weich unter dem leichten Stoff ab. Er näherte sich der Duftzone ihres Parfüms. Der Barkeeper schaute zu ihm auf.

„Was möchte der Herr bestellen?“

„Ach. Der Herr Neb“, bevor er bestellen konnte, drehte sie ihren Kopf nach ihm um. Ihre Augen lachten ihn an. Sie zwinkerte amüsiert. Von der Situation überrascht verkörperte Luke nicht gerade den Herr der Lage-Mann. Zumal sein Blick über ihr Kleid hinaus auf ihren schlanken Beinen hing, die eine feinmaschige Strumpfhose effektvoll bedeckte. Sein Puls schlug höher und ließ ihn augenblicklich rot im Gesicht anlaufen.

„Können Sie den Rotwein empfehlen?“, versuchte er unverfänglich das Gespräch aufzunehmen. Sie blickte zu ihrem Glas auf dem Tresen.

„Ehrlich gesagt ich habe den Wein nicht probiert. Hab‘ ihn fürs Zimmer bestellt.“

„Wenn ich mich Ihrer Auswahl unbesehen anschließe, würden Sie bleiben? Die Gegend ist berühmt für ihren landestypischen Weinanbau. Man behauptet sogar, sein Aroma wäre unübertrefflich wenn sein Rebstock zum Fenster reinschaut. Das Hotel liegt zwar in der Stadt, aber bei meiner Herfahrt vom Flughafen konnte ich den einen oder anderen Weinberg vom Bus aus sehen. Also könnte ein uriger knorriger alter Weinstock womöglich durchs Fenster hereinschauen. Wir könnten gemeinsam diese Auslegung ergründen.“

„Ich wusste nicht, welch ungeahnte Perspektiven sich in einem einfachen Rotwein verstecken. Hallo Herr Ober, bitte ein zweites Glas Rotwein für den Herrn“.

Er hob sein Glas zum Anstoßen an.

„Prost auf die Dame mit den charmanten Augen.“

„Prost auf den Herrn und sein Fenster Mythos.“

Sie blieben an der Theke sitzen. Die Barhocker zueinander gedreht berührten sich ihre Knie. Ungezwungen im Gespräch streifte ihre Hand seinen Oberschenkel, seine berührte ihre schwarze Strumpfhose. Sie arbeitete als Büroangestellte für eine Versicherungsgesellschaft. Ihr Chef leitete eine Filiale in der viertgrößten Stadt des Landes. Zur Abwicklung komplexer Schadensfälle reisten sie hierher, da die Gesellschaft ihren Hauptsitz in der Stadt hatte. Davor war sie in einer Anwaltskanzlei tätig gewesen. Die Kanzlei vertrat überwiegend Großunternehmen zur Regulierung ihrer Besitzungen. Der Bereich für Kunst- und Schmuckgegenstände lief über ihren Tisch. Es war eine aufregende Zeit. Eine Vielzahl in privater Hand befindlicher Kunstgegenstände konnte sie Vorort betrachten, während andere sie nur aus Katalogabbildungen kannten. Ihr jetziger Chef hatte sie wegen dieser Erfahrung für sein Versicherungsbüro angeworben.

Bisweilen betraute er sie mit der Recherche kleinerer Schadensfälle allein, ansonsten reisten sie zu zweit oder dritt. Mit ihrem Chef hatte sie am Vormittag einen Quartalsbericht in der Hauptverwaltung abgegeben, ihr Chef saß nun allein im Flieger. Heute gab es keinen gemeinsamen Rückflug, die Maschine war überbucht gewesen.

Ihre Blicke trafen sich. Sollten sie ein zweites Glas an der Theke bestellen oder den Abend ausklingen lassen? Sie sah es zuerst. Ein leicht korpulenter Geschäftsmann am hinteren Tisch – er hatte bereits zwei- oder dreimal mit ruckartigen Kopfnicken seiner Schläfrigkeit nachgegeben – griff nach seinem Smartphone, der Brille und dem Zimmerschlüssel. Als er aufstand stand sie bereits neben ihm am freien Stuhl.

„Wird hier frei?“

Kopfnickend überließ ihr der Geschäftsmann den freiwerdenden Platz und entfernte sich in Richtung Treppenaufgang, der zu den Hotelzimmern führte. Sie setzte sich an den Tisch.

Luke kam mit zwei neubestellten Rotwein Gläsern von der Theke auf sie zu.

„Ich habe hier einen eindrucksvollen Wein mit Fensterblick, den Sie unbedingt kosten müssen“, scherzte er und setzte sich vertraut neben sie. Der Tisch vor dem Kamin, war der schönste Platz im Raum.

Sie stellten die Gläser auf den Tisch. Sie beugte sich zu ihm rüber und hauchte,

„Nun Mr. Neb was können Sie mir erzählen?“

Das Amulett ihres Skarabäus lag weich zwischen ihren Brüsten. Er nahm es vorsichtig in die Hand. Sein Handrücken spürte die zarte Haut ihres Dekolletés und ihre Wärme.

„Der Skarabäus ist ein Glückskäfer zu Ehren des Königs Chepre, damit hat dieser eine wichtige Stellung in der Ägyptologie. Das weißt du sicherlich alles. Dein Amulett ist von exzellenter Schönheit. Sowohl Materialbeschaffenheit und Ausarbeitung zeugen von einem Künstler, der sein Handwerk bestens verstand. Die Steinmaserung und Färbung deuten an, dass es sich um ein altes Originalstück handeln könnte. Für eine sichere Bestimmung wäre eine Beprobung nötig.“

Mit feurigem Blick suchten ihre Augen die seinen, nicht zum letzten Mal an diesem Abend schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln.

Sie verließen die Bar spät in der Nacht. Sie stand hinter ihm als er seine Zimmertür öffnete. Gemeinsam traten sie ein. Sie folgte ihm zum Schreibtisch. Er öffnete sorgsam die kleine Kühlbox.

„Ach was! Du hast ja wirklich ein Murmeltier bei dir“, stellte sie erstaunt fest. Und er fragte sich, wenn sie ihm die Geschichte über sein Murmeltier vorher nicht geglaubt hatte, warum war sie jetzt hier? Er drehte sich zu ihr um und spürte ihr Knie wie es langsam zwischen seinen Schenkeln nach oben glitt. Seine Hand strich sanft ihren Hals hinauf hinter ihr Ohr. Ihr Haar floss durch seine Finger. Sie küssten sich zärtlich. Sanft steigerte sich ihr Verlangen.

Luke war ein Frühaufsteher. Ohne ein Geräusch verließ er das Bett als er erwachte. Schlich zum Bad auf leisen Sohlen. Vergeblich, er war allein. Auf dem Hotelblock war das erste Blatt beschrieben:

„Lieber Sonnenmond mein Flug geht bald. Es war ein bezaubernder Abend. Ein Abenteuer auf Zeit. In liebe Liv“.

Liv, das war ihr Name. Neben dem Block lag ihr Amulett.

Er ließ sich auf die Bettkante fallen, das kam plötzlich. Er hatte keine festen Pläne gehabt, aber ein gemeinsames Frühstück oder so hatte er sich erhofft. Er griff nach ihrem unters Bett gerutschten Slip, ließ sich dann nach hinten auf den Rücken fallen. Er fühlte sich einsam. Seine Gedanken fielen aus dem Raum. In einer endlosen Tiefe setzte sich sein Fallen fort. Ohne Laut fiel man einfach. Minuten vergingen. Liv. Liv war ihr Name.

Im Laufe des Morgens fand Luke sich unten im Frühstücksraum ein. Der erste Kaffee brachte ihn langsam zurück ins Heute. Einige Besorgungen standen an bevor er sich mit dem Ausgrabungsteam traf.

Am Nachbartisch saßen zwei Hotelgäste, ein dritter Mann hatte sich wenige Minuten zuvor, von draußen kommend, dazugesellt. Dieser war unrasiert, wirkte ungepflegt und kauzig, Äußerlichkeiten die nichts heißen mögen. Luke selbst war ohne Morgenrasur am Frühstücksbüfett erschienen. Die drei unterhielten sich unauffällig bis der Kauzige mit einer Gabel vor den Gesichtern der anderen rumfuchtelte und dabei geräuschvoll seinen Stuhl nach hinten schob. Die Situation beruhigte sich gleich wieder. In dem Moment der Aufmerksamkeit wurde für die Umsitzenden die schiefe Nase des Kauzigen mit einer vernarbten Schnittwunde darauf sichtbar. Einer seiner Tischnachbarn hatte am linken Ohr einen schmucklosen Ohrring und darunter ein kleines Drachen Tattoo. Der zweite Hotelgast am Tisch fiel auf, weil er keine Auffälligkeiten hatte. Er passte rein äußerlich nicht in die Gruppe. Das Frühstück ging weiter. Die anderen Hotelgäste einschließlich Luke schauten gelegentlich auf, neugierig ob an dem Tisch nochmal etwas passierte.

„Ihnen ist da etwas runtergefallen“, ein Hotelgast bückte sich im vorbeigehen und legte etwas auf den Tisch der Dreiergruppe zurück. Luke konnte nicht genau sehen was für ein Gegenstand es war, aber er erkannte in dem Hotelgast, den Geschäftsmann vom gestrigen Abend, der am Kamin gesessen hatte. Der Geschäftsmann ging weiter zum Büfett und stellte sich sein Frühstück zusammen. Luke ließ sich einen weiteren Kaffee vom Kellner bringen und aß dazu das verbliebene Stückchen von seinem Brötchen. Er beendete sein Frühstück mit einem kleinen Nußgebäck. Die drei Männer am Nachbartisch blieben in ihrem Gespräch vertieft, sie gaben keinen erneuten Anlass für eine allgemeine Beachtung.

Zurück im Zimmer drehte Luke den schönen Skarabäus in seiner Hand hin und her. Aus seinem Gepäck holte er eine robuste Tasche. Diese feste Ledertasche mit eingenähten Seitentaschen hatte er sich extra anfertigen lassen. Dort sollten seine Fundstücke gut verwahrt werden, zwei Seitenfächer waren bisher belegt.

Ein versteinertes Fossil aus seiner Heimat. Ein klassischer Ackerlandfund: nachdem der Bauer das Feld im Spätherbst pflügte, gelangte es ans Tageslicht. Luke war oft unterwegs. Teilweise war das umgepflügte Feld vom nächtlichen Dauerregen derart nass, dass die Erde seine Gummistiefel schmatzend umschlang und ansog. Es zog ihm regelrecht den Stiefel aus. Anstatt Fossilien zu suchen, verbrachte er viel Zeit damit, seinen Gummistiefel wieder aus dem Ackerboden zu hieven. Er fand vielerlei versteinerte Moose, Farngewächse sowie Bruchstücke von Bedecktsamern und Nadelhölzern.

Aber nur ein Fundstück schaffte es in die Tasche, gefunden in seinem dritten Sammler-Jahr. Ein grünschimmerndes Farngewächs aus der Karbonzeit, der filigrane Aufbau von der Mittelrippe ausgehend blieb durchgängig erkennbar und war ein besonderer Blickfang dieses Fossils. Ein fachmännisches Bestimmungsblatt kam später dazu. Ziemlich am Anfang seiner Tätigkeit, es war seine zweite Ausgrabungsstätte, hatte der Grabungsleiter seinen Fund datieren lassen. Damals eher ein Forscherspaß unter Gleichgesinnten. Jetzt, da er rund um den Globus seiner Theorie folgend quasi ein Ausgrabungshopping betrieb, konnte er damit jederzeit nachweisen, dass es sein Fundstück und nicht ein unerlaubt entwendetes Fossil war.

Ein weiteres Stück war ein versteinertes Arrangement aus Ast, Blatt und Knospe, das dergestalt vor Äonen vom Baum in einen kalten Quellbach fiel. Das eisige Quellwasser versteinerte über die Zeit durch adäquate Mineralablagerungen das Gebilde. Sein Fund aus dem Hochgebirge stammte aus seiner Jugendzeit, als er die heimatlichen Wälder und Berge stundenlang durchstreifte. Die Versteinerung war seine erste Entdeckung. Die Leidenschaft hielt bis heute an. Er bewarb sich auf kleine Hilfsjobs, half bei Umräumarbeiten im Museum. Dort hatte ihm ein Mitarbeiter dies Fundstück mit einer feinen, dauerhaften Schutzschicht überzogen. Die Versteinerung hätte sich ansonsten über die Jahre abgerieben und wäre teilweise abgeplatzt.

In diesen Zeiten seiner spielerischen Exkursionen, hatte seine Marotte mit dem Glücksstrumpf ihre Entstehungsgeschichte gehabt. Lukes Glücksstrumpf musste immer mit einem Vogelmotiv verziert werden. „Sein waschbares Tattoo“, wie es eine gute Freundin aus seinem Bekanntenkreis mal passend titulierte.

Als Kind und als Jugendlicher hatte er dauernd diese ewig haltbaren Kniestrümpfe anziehen müssen. Anfangs wurden diese nervigen Strümpfe von ihm gehasst, bis ein Paar zu seinen Glücksbringer-Strümpfen mutiert war. Dieses Paar wurde fortan bei jeder seiner erfolgreichen sowie weniger erfolgreichen Wanderungen mitgeschleppt, das heißt an den Füssen. Weit über ihre übliche Haltbarkeit hinaus mussten sie mehrmals geflickt und gestopft werden, bis es irgendwann nicht mehr ging, und sie dauerhaft auf dem Dachboden in der Kiste für Kindheitserinnerungen landeten. Dann etliche Jahre später zu seinem zwanzigsten Geburtstag bekam er neue Glücksstrümpfe überreicht. Mehr als Spaß gedacht, hatte ihm eine gute Freundin das Vogelmotiv auf den rechten Strumpf von einem neuen Paar Wanderstrümpfe gestickt, als Geburtstagsgeschenk. Das Vogelmotiv, welches ihm als Heranwachsender gar nicht bewusst war, war ein Kiwi. Der flugunfähige Vogel lebte überwiegend am Boden. Der Kiwi suchte und pickte dort nach Nahrung, was ja ebenfalls Lukes bevorzugtes Suchgebiet war, das passte hundertprozentig. Seit dieser Zeit reiste immer ein Glücks-strumpf in Lukes Koffer mit, der liebevoll mit einem handbestickten Kiwi dekoriert war. Bei seinen kleinen privaten Streifzügen in die Natur war der ‚Kiwi’ immer am Fuß dabei. Der Nachbar-Strumpf, am linken Fuß, konnte schon mal ein anderes Farbmodell sein, das nahm er nicht so genau. Erfreulicherweise bestickte ihm die Freundin, immer mal wieder, das eine oder andere Paar neuer Strümpfe nach.

Luke klappte die Ledertasche auf. Er taxierte spielerisch das Gewicht des Amuletts in seiner Hand, bevor er es in ein Seitenfach steckte. Den Slip faltete er zusammen, legte ihn auf den Schreibtisch. Wie klein sich diese raffinierten Verführungen falten ließen. Ein Hauch von nichts bekam eine neue Bedeutung.

Es wurde Zeit seine Sachen zu packen, mehrmals lief er unschlüssig am Schreibtisch vorbei. Letztendlich schob er den Slip ins Seitenfach zu dem Skarabäus – die gehörten zusammen.

Er schloss die Zimmertür hinter sich ab, bevor er hinunter zur Rezeption zum Check-Out ging. Anschließend hatte er genügend Zeit in den umliegenden Geschäften seine kleinen Besorgungen zu erledigen.

Sein Bus traf pünktlich am frühen Nachmittag am Sammelpunkt ein. Fünfzehn Mitarbeiter und Helfer bestiegen den Bus, der sie aus der Stadt zur Ausgrabungsstätte fuhr. Ein Großteil der Strecke führte über eine wenig befahrene staubige Lehmstraße bevor sie linker Hand auf einen mit Schlaglöchern übersäten Feldweg abbogen. Dieser endete in einem bewaldeten Hangrücken. Ab dort ging es heftig von links und nach rechts schaukelnd einen Forstweg hinauf bis auf eine Höhe von 1200m. Vor ihnen lag auf einer Hochebene die Ausgrabungsstätte Altes Königreich IV, Abschnitte C-H, K. Der Bus hielt auf dem Vorplatz. Drumherum stand ein kleines Zeltdorf, ihr Zuhause für die nächsten drei Monate.

Die Zelte der Hilfskräfte standen am äußeren Rand in der Nähe vom Küchenzelt. Dahinter zog ein glucksender Bergbach seine Bahn durch steinigen Grund. Sein munteres Plätschern hallte ohne Unterbrechung über sein Flussbett hinein ins Camp. Sein abgewandtes Ufer führte entlang einer abschüssigen Böschung, dahinter ragte unmittelbar die Bergwand empor. Spärlich bewachsen schob sich ein felsiges Labyrinth aus groben Graten, gezackten Abbruchkanten und Überhängen in die Höhe. Vom Regen umspült und freigewaschen thronten vereinzelt Hartsteinfelsen an der Fallkante. Grau-schwarze Einkerbungen hoben sich einige hundert Meter in die Höhe. Dunkel fiel der Schatten in solche Klüfte.

Vorm Küchenzelt wiederum schloss sich das Speisezelt an, das gleichzeitig als Aufenthaltsraum genutzt wurde, wo man sich in Gruppen tagsüber und abends treffen konnte. Vor dem Speisezelt lagen die Zelte der Wissenschaftler, welche L-förmig von den vorgelagerten Großraumzelten für Fund- und Sammelstücke eingerahmt wurden. Das wechselhafte Gebirgswetter hatte den großflächigen Baumwollplanen zu gesetzt, ihr anfängliches Cremeweiß verwitterte zu einem schmutzig-grauen Farbton, sie überspannten, wenige Meter vom alten Graben entfernt, die Zeltgestänge.

Drei Holzstege überbrückten den alten erodierten Schutz- und Wassergraben. Seit langer Zeit führte der vertrocknete Graben kein Wasser, selbst bei lang anhaltenden Starkregen sickerte die Nässe widerstandslos in die unteren Bodenschichten ab. Hinter dem Graben lagen die historischen Wehr- und Wohnanlagen – ihr Forschungsgebiet. Alle Helfer mussten einmal das Camp durchqueren, um zu ihrem Grabungsplanquadrat zu gelangen. Dort galt es verkümmerte Mauerreste aus den unteren Erdschichten zu kratzen und zu fegen.

Routinemäßig erfolgte nach ihrer Ankunft die Aufteilung und Zuweisung in ihre Unterkünfte. Er bezog ein Viererzelt mit zwei weiteren Hilfskräften. Nach einer Stunde trafen sie sich wieder im Speisezelt. Der Ausgrabungsleiter Aron, ein stämmiger in die Jahre gekommener Mann, begrüßte sie pünktlich. Er war verantwortlich für die Koordination der verschiedenen Gruppen und Arbeiten, plante einen reibungslosen Ablauf für die Lagerlogistik. Man merkte ihm seine Leidenschaft für diese Art von Auftrag an. Seine Anweisungen trugen einen optimistischen humorvollen Unterton. Aron war von der Wichtigkeit der Unternehmung überzeugt und hatte Spaß daran. Es galt Erdschichten im gedrosselten Maulwurfstempo zu bewegen ohne Spuren zu entfernen. Ein Unterfangen welches als Gemeinschaft aller Maulwürfe ein verschachteltes Kammersystem erschuf und freilegte.

Vier Ausfälle bzw. nicht angereiste Maulwürfe gab es. Die wissenschaftliche Leitung hatte entschieden, das Arbeitsareal entsprechend zu reduzieren, damit eine hohe Güte der freigelegten Fundstellen weiterhin erreicht werden konnte. Ihr Forschungsteam verfügte über eine satellitengestützte Funkverbindung. Die wissenschaftliche Datenübertragung erfolgte täglich am späten Nachmittag für eine Stunde. Dienstags und freitags fand vormittags eine Besprechungskonferenz mit dem Institut statt. Zur Vereinfachung und Erhaltung einer stabilen Verbindung buchte das Institut die volle Übertragungskapazität als Standleitung rund um die Uhr. Das war es, mehr gab es zu diesem Thema nicht zu sagen. Die erfahrenen in der Gruppe wussten, und die Neuen würden es vorm ersten Abendessen von ihnen hören, dass sie ihre privaten Chats außerhalb der dienstlichen Zeiten verfolgen durften.