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Edgar Allan Poe

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Beschreibung

Edgar Allan Poe, einer der einflussreichsten Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, präsentiert in diesem Buch 'Heureka' und 'Die Philosophie der Komposition'. Poe, bekannt für seine düstere und atmosphärische Schreibweise, bietet in 'Heureka' eine Sammlung von Essays über Metaphysik und Naturphilosophie, die tiefgreifende Gedanken und philosophische Spekulationen umfassen. In 'Die Philosophie der Komposition' beschreibt Poe detailliert seinen eigenen literarischen Schaffensprozess beim Verfassen des Gedichts 'Der Rabe', wodurch der Leser Einblicke in die kreative Genialität des Autors erhält. Diese Aufsätze zeugen von Poes analytischem Denken und seiner Meisterschaft im Schreiben, gepaart mit seinem tiefen Verständnis für die menschliche Natur und das Universum. Edgar Allan Poe, ein Pionier der amerikanischen Literatur des 19. Jahrhunderts, war bekannt für seinen einzigartigen Beitrag zum Horrorgenre und seine tiefgreifenden Einsichten in menschliche Abgründe. Als Schriftsteller und Dichter war er stets auf der Suche nach neuen Ideen und Ausdrucksweisen, die er in 'Heureka' und 'Die Philosophie der Komposition' eindrucksvoll präsentiert. Sein Streben nach Wahrheit und Schönheit reflektiert sich in diesen Essays, die sowohl seine literarische Theorie als auch seine künstlerische Integrität offenbaren. Für Liebhaber der Literatur, die sich für Poes einzigartige Denkweise und seinen literarischen Stil begeistern, bieten die Aufsätze 'Heureka' und 'Die Philosophie der Komposition' einen faszinierenden Einblick in das Schaffen eines literarischen Genies. Diese Werke sind nicht nur eine intellektuelle Herausforderung, sondern auch eine Bereicherung für jeden, der Poes Werke schätzt und tiefer in die Welt des Schreibens eintauchen möchte.

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Edgar Allan Poe

Aufsätze: Heureka + Die Philosophie der Komposition

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Inhaltsverzeichnis

Heureka
Die Philosophie der Komposition

Heureka

Inhaltsverzeichnis

Ein Versuch über das materielle und geistige Weltall

Den wenigen, die mich lieben und die ich liebe — denen, die fühlen, mehr als denen, die denken — den Träumern und denen, die an Träume als an die einzigen Wirklichkeiten glauben — ihnen widme ich dieses Buch Wahrheiten, nicht als Gefäß der Wahrheit, nur um der Schönheit willen, die aus seiner Wahrheit strömt — die es zur Wahrheit erhebt. Diesen überreiche ich meine Arbeit allein als Kunstwerk — sagen wir als Märchen; oder, wenn der Anspruch nicht zu stolz wäre, als Gedicht.

Was ich hier vortrage, ist wahr — und so kann es nicht sterben; oder wenn es irgendwie jetzt zertreten würde, so daß es stürbe, so wird es »wieder erstehen zum ewigen Leben«.

Indessen wünsche ich trotzdem: lediglich als Gedicht möge dies Werk beurteilt werden, wenn ich tot bin.

Zögernd und bescheiden — ja, mit einem Gefühl der Scheu — schreibe ich den ersten Satz dieses Werkes nieder; denn mein Gegenstand ist der feierlichste von allen, die man ersinnen kann, der umfassendste, der schwierigste, der erhabenste.

Wie soll ich die Worte finden, einfach genug in ihrer Herrlichkeit — herrlich genug in ihrer Einfachheit —, um nur mein Thema zusammenzufassen?

Ich will von dem physischen, metaphysischen und mathematischen, vom materiellen und geistigen Weltall sprechen; von seinem Wesen und Ursprung, seiner Schöpfung, seinem gegenwärtigen Zustand und seiner Zukunft. Zudem bin ich verwegen genug, zu Folgerungen herauszufordern, durch deren Aussagen der Scharfsinn vieler großer und mit Recht verehrter Gelehrter in Frage gestellt wird.

Zu Beginn möchte ich so scharf wie möglich — nicht die Theorie verkünden, die ich zu beweisen hoffe, denn, die Mathematiker mögen behaupten, was sie wollen, es gibt, in dieser Welt wenigstens, durchaus nicht so etwas wie einen Beweis; nur den leitenden Gedanken möchte ich aussprechen, zu dem ich dieses ganze Buch hindurch den Leser verführen will.

Meine allgemeine Behauptung also ist: In der ursprünglichen Einheit des ersten Dinges liegt die Ursache aller Dinge mit der Anlage zu ihrer unvermeidlichen Vernichtung.

Um sich diesen Gedanken anschaulich zu machen, schlage ich vor, das Weltall dergestalt mit den Blicken zu umfassen, daß der Geist imstande ist, den Eindruck eines Individuums zu erhalten, zu gewahren.

Wer vom Gipfel des Ätna seine Augen gemächlich umherschweifen läßt, wird hauptsächlich von der Ausdehnung und Verschiedenartigkeit des Bildes berührt. Nur wenn er sich schnell auf dem Absatz herumdrehte, könnte er hoffen, das Panorama in der Herrlichkeit seines Einsseins zu erfassen. Aber da noch niemand daran gedacht hat, sich auf der Spitze des Ätna auf dem Absatz herumzudrehen, so hat noch niemand die volle Einheit des Anblicks in sein Hirn aufgenommen; und so hinwiederum haben die mannigfachen Betrachtungen, die in dieser Einheit liegen, bisher noch kein wirksames Dasein für die Menschheit gehabt.

Ich kenne überhaupt keine Untersuchung, in der ein Überblick über das Weltall — dies Wort in seiner umfassendsten und einzig berechtigten Bedeutung genommen — gegeben würde; und es mag schon hier erwähnt werden, daß ich überall in diesem Versuch, wo ich das Wort »Weltall« ohne besonderen Zusatz anwende, das Folgende damit ausdrücken will: die denkbar weiteste Ausdehnung des Raumes, einbegriffen alle geistigen und materiellen Dinge, deren Existenz man sich innerhalb der Grenzen dieser Ausdehnung vorstellen kann. Wenn ich dagegen von dem spreche, was gewöhnlich unter dem »Weltall« verstanden wird, wähle ich die einschränkende Bezeichnung »das Sternenweltall«. Aus dem Folgenden wird man ersehen, weshalb diese Unterscheidung notwendig scheint.

Doch selbst unter den Untersuchungen, die sich mit dem tatsächlich begrenzten, wenn auch angeblich unbegrenzten Sternenweltall beschäftigen, kenne ich keine, in der ein Überblick auch nur über dieses begrenzte All so gegeben würde, daß man daraus auf seine Individualität zu schließen berechtigt wäre. Am nächsten kommt einem solchen Werk der »Kosmos« Alexander von Humboldts. Jedoch stellt er den Gegenstand nicht in seiner Individualität dar, sondern in seiner mannigfaltigen Ganzheit. Sein Thema in seinem letzten Ergebnis ist das Gesetz eines jeden Teils des bloß körperlichräumlichen Weltalls, so wie dies Gesetz verknüpft ist mit den Gesetzen eines jeden anderen Teiles dieses bloß körperlichräumlichen Alls. Bei ihm handelt es sich nur um die Verknüpfung und das Verschleifen des Mannigfaltigen. Mit einem Wort: er erörtert die Gesamtheit der materiellen Beziehungen und enthüllt dem Auge der Philosophie alle Folgerungen, die bisher hinter dieser Gesamtheit verborgen gelegen haben. So erstaunlich er jedoch in gedrängtem Überblick jeden Punkt seines Gegenstandes behandelt hat, die bloße Menge dieser Punkte bringt notwendigerweise ein Anwachsen des Details und so ein Verkümmern des Gedanklichen mit sich, so daß keinerlei Eindruck von Individualität aufkommen kann.

Mir scheint, wenn wir dieses Ziel, und damit die Folgerungen, Schlüsse, Eindrücke, Spekulationen oder, wenn sich nichts Besseres bietet, bloß die Vermutungen erlangen wollen, die sich daraus ergeben, dann tut uns so etwas not wie ein geistiges Auf-dem-Absatz-Herumdrehen. Wir brauchen eine so stürmische Bewegung aller Dinge um den Mittelpunkt des Schauens, daß das Unbedeutende völlig verschwindet und das Auffallende sich in eins vermengt. In einem Überblick dieser Art befänden sich unter den verschwindenden Einzelheiten alle ausschließlich irdischen Angelegenheiten. Die Erde würde nur in ihren Planetenbeziehungen beachtet. In dieser Schau wird der Mensch zur Menschheit, ein Glied in der kosmischen Familie geistbegabter Wesen.

Bevor wir nun zu unserm eigentlichen Gegenstand übergehen, möchte ich die Aufmerksamkeit des Lesers auf einen oder zwei Auszüge aus einem recht bemerkenswerten Brief lenken, der sich anscheinend wohlverkorkt in einer Flasche befand, die auf dem Mare Tenebrarum umherschwamm — einem Ozean, den der nubische Geograph Ptolemäus Hephästion gut beschrieben hat, der aber in unserer Zeit nur noch wenig befahren wird, es sei denn von den Transzendentalisten und ähnlichen Grillenfischern. Das Datum dieses Briefes, ich muß es gestehen, erregt mein Erstaunen fast noch mehr als sein Inhalt; denn er scheint im Jahre 2848 geschrieben. Ich denke, die Stellen, die ich hier abschreibe, sprechen für sich selbst.

»Weißt Du, lieber Freund,« sagt der Schreiber des Briefes, der ohne Zweifel an einen Zeitgenossen gerichtet ist, »weißt Du, daß es kaum acht- oder neunhundert Jahre her ist, seit die Metaphysiker sich zum erstenmal dazu verstanden, die Menschheit aus dem Bann der sonderbaren Einbildung zu lassen, es führten nur zwei gangbare Wege zur Wahrheit? Glaube es, wenn Du kannst! Es ist aber wirklich Tatsache, daß viel, viel früher, in der Nacht der Zeiten, ein türkischer Philosoph lebte, der Aries hieß und den Beinamen Trottel führte.« (Hier meint der Briefschreiber wahrscheinlich Aristoteles; die besten

Namen werden in zwei- oder dreitausend Jahren heillos korrumpiert.) »Der Ruhm dieses großen Mannes ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß er bewiesen hat, das Niesen sei eine natürliche Vorkehrung, mit deren Hilfe übergescheite Denker imstande wären, ihre überschüssigen Gedanken durch die Nase auszutreiben; aber er erlangte eine fast ebenso bedeutende Berühmtheit als Begründer oder jedenfalls Hauptverbreiter dessen, was man die deduktive Philosophie oder die Philosophie a priori nannte. Er ging von etwas aus, was nach seiner Behauptung Axiome oder selbstevidente Wahrheiten waren, und die Tatsache, die jetzt allgemein anerkannt ist, daß keine Wahrheiten sich von selbst verstehen, beeinträchtigte seine Spekulationen nicht im geringsten; für seinen Zweck genügte es, daß die fraglichen Wahrheiten überhaupt evident waren. Aus diesen Axiomen zog er auf logischem Wege seine Schlüsse. Seine berühmtesten Schüler waren ein gewisser Neuclid, ein Geometer« (gemeint ist Euclid), »und ein gewisser Kant, ein Deutscher, der Schöpfer der besonderen Art Transzendentalismus, die nach seinem Namen benannt ist, wenn man nur aus dem K ein C macht.1

Dieser Aries Trottel herrschte nun unumschränkt bis zum Auftauchen eines gewissen Hog2 mit dem Beinamen ›Ettrick Shepherd‹ der ein völlig abweichendes System lehrte, das er die Philosophie a posteriori oder die induktive Philosophie nannte. Sein Verfahren ging ganz und gar auf die Sinne zurück. Er ging so zu Werke, daß er Tatsachen — die man ab und zu affektierterweise instantia naturae nannte — beobachtete, analysierte und klassifizierte. Kurz gesagt, während die Methode Aries Trottels die Noumena als Grundlage nahm, stützte sich Hog auf die Phänomena; und die Bewunderung, die dieses letztere System hervorrief, war so groß, daß Aries bei seinem ersten Auftreten der allgemeinen Verachtung verfiel. Schließlich aber gewann er wieder an Boden und erlangte es, das Reich der Philosophie mit seinem moderneren Nebenbuhler teilen zu dürfen; die Gelehrten begnügten sich nämlich damit, alle andern Bewerber der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verpönen; allen Kontroversen über die Topik setzten sie ein Ende durch die Verkündung eines Wegerechts, in dem bestimmt wurde, daß die Aristotelischen und Baconischen Wege die einzig möglichen und einzig rechtmäßigen Zugänge zur Erkenntnis seien: »›Baconisch‹, mußt Du wissen, lieber Freund,« so fügt der Briefschreiber an dieser Stelle hinzu, »ist ein Adjektiv, das gleichbedeutend ist mit ›Hogisch‹, aber vornehmer und schöner klingt.

Nun kannst Du Dich bestimmt darauf verlassen,« so fährt die Epistel fort, »daß ich diese Dinge durchaus richtig und loyal darstelle, und du kannst Dir denken, wie solche Einschränkungen, deren Torheit ohne weiteres einleuchtet, dazu führen mußten, den Fortschritt wahrer Wissenschaft zu hemmen, deren wertvollster Gewinn — wie die Geschichte überall zeigt — durch intuitive Sprünge erlangt wird. Diese Ideen des Altertums verdammten die Forschung, sich aufs Kriechen zu beschränken; ich brauche Dir nicht zu sagen, daß das Kriechen unter den verschiedenen Arten der Fortbewegung auf seine Weise etwas ganz Respektables ist; aber müssen wir deswegen, weil die Schildkröte sicher auf ihren Füßen steht, die Schwingen des Adlers beschneiden? So groß war die Verblendung, hauptsächlich infolge Hogs Lehren, daß alles wirkliche Denken tatsächlich unterbunden wurde. Niemand wagte es, eine Wahrheit auszusprechen, die er einzig seiner Seele verdankte. Es kam nicht einmal darauf an, ob die Wahrheit beweisbar war; denn die dogmatischen Philosophen zogen nur den Weg in Betracht, auf dem die Wahrheit gefunden worden war. Das Ziel war, wenn man sie hörte, ein Punkt von gar keiner Bedeutung: ›Die Mittel!‹ schrien sie, ›die Mittel müssen untersucht werden!‹ und wenn sich nun bei der Prüfung der Mittel herausstellte, daß die Wahrheit weder in das Schubfach Hog noch in die Kategorie Aries (das heißt Hammel) paßte, ei nun, dann kümmerten sich diese Gelehrten nicht weiter darum, nannten den Denker einen Narren, brandmarkten ihn als Theoretiker und hatten von da ab mit ihm und seinen Wahrheiten nichts mehr zu schaffen.

Nun kann doch, lieber Freund,« so fährt der Brief Schreiber fort, »im Ernst nicht behauptet werden, durch die ausschließliche Anwendung des Kriechsystems, selbst wenn es durch viele Menschenalter fortgesetzt würde, könne die Menschheit den Maximalertrag an Wahrheit erlangen; denn die Unterdrückung der Phantasie war ein Übelstand, der nicht aufzuwiegen war, selbst wenn das schneckenhafte Verfahren absolute Gewißheit gewährleistet hätte. Jedoch war ihre Gewißheit bei weitem keine absolute. Der Irrtum unserer Vorfahren erinnert an jenen Naseweisen, der sich einbildet, je näher er einen Gegenstand vor die Augen halte, um so deutlicher sehe er ihn. Sie blendeten sich überdies mit sehr fein pulverisiertem schottischem Schnupftabak, der gehörig kitzelte, nämlich mit dem Detail; und so waren die berühmten Tatsachen der

Hogianer keineswegs immer wirkliche Tatsachen — was nicht erwähnt zu werden brauchte, wenn es nicht immer angenommen würde. Der Grundfehler des Baconianismus jedoch — die schlimmste Quelle zu traurigen Irrtümern — entsprang dem Bestreben, Macht und Einfluß in die Hände von Männern zu geben, die nicht schöpferisch waren, sondern bloß beschreiben konnten, was sie sahen, diesen mikroskopischen Gelehrten, halb Fisch, halb Mensch, die winzige Tatsachen, meistens auf physikalischem Gebiet, ausgruben und damit hausieren gingen — Tatsachen, die sie dann alle zum gleichen Preis öffentlich auf der Straße verkauften; man redete sich ein, ihr Wert beruhe einfach auf der Tatsache ihrer Tatsächlichkeit, und kümmerte sich nicht darum, ob sie für die Gewinnung jener letzten und allein wertvollen Tatsachen von Wert seien, die man Gesetz nennt.

Die Personen,« so fährt der Brief fort, »die Personen, die dergestalt durch die Philosophie des Hog auf eine Stelle gehoben waren, für die sie zu klein waren, die so aus dem Souterrain der Wissenschaft in ihren Empfangssaal verpflanzt worden waren, aus der Vorratskammer auf die Kanzel, diese Individuen — eine unverträglichere, eine unerträglichere Bande von Knechten und Tyrannen hat die Erde nie getragen. Ihr Glaubensbekenntnis, ihr Text und ihre Predigt waren das eine Wort Tatsache, aber meistenteils verstanden sie nicht einmal den Sinn dieses einen Wortes. Gegen die, so es wagten, ihre Tatsachen durcheinanderzubringen — so bezeichneten sie jeden Versuch, Ordnung und Bedeutung zu schaffen —, waren die Schüler des Hog völlig erbarmungslos. Allen Versuchen zu generalisieren wurde sofort mit den Worten ›theoretisch, Theorie, Theoretiker‹ begegnet; jeden Gedanken, kurz gesagt, betrachteten sie als einen persönlichen Schimpf, den man ihnen antue. Viele von diesen Baconentsprungenen Philosophen, die die Naturwissenschaften bis zum Ausschluß der Metaphysik, Mathematik und Logik beackerten — in eine Idee verbohrt, einseitig und lahm auf einem Bein —, waren in bezug auf alle Gegenstände des Wissens, die klare Begriffe erfordern, jämmerlicher hilflos, erbärmlicher unwissend als der ungebildeteste Bauer, der zum mindesten dadurch, daß er einräumt, nicht zu wissen, beweist, daß er etwas weiß.

Anderseits hatten unsere Vorväter ebensowenig das Recht, von Gewißheit zu sprechen, wenn sie in blindem Vertrauen sich auf dem a priori, Pfad der Axiome, dem Hammelpfad, ergingen. Dieser Hammelpfad war an zahllosen Stellen kaum weniger krumm als ein Hammelhorn. Es ist nackte Wahrheit, daß die Aristoteliker ihre Luftschlösser auf ein Fundament stellten, das noch unzuverlässiger war als Luft;denn so etwas wie Axiome hat es nie gegeben, kann es überhaupt nicht geben. Daß sie das nicht gesehen oder wenigstens geargwöhnt haben, ist kaum zu glauben; sie müssen wahrhaftig sehr blind gewesen sein; denn schon in ihren Tagen mußten manche ihrer Axiome, die lange in Geltung gewesen waren, aufgegeben werden, zum Beispiel: ›Ex nihilo nihil fit‹, oder: ›Ein Körper kann nicht wirken, wo er nicht ist‹, oder: ›Es kann keine Antipoden geben‹, oder: ›Dunkelheit kann nicht aus Licht entstehen‹. Diese und zahlreiche andere Behauptungen, die man früher ohne Anstand für Axiome oder unleugbare Wahrheiten erklärt hatte, wurden schon zu der Zeit, von der ich spreche, als völlig unhaltbar erkannt; wie albern verfuhr also dieses Volk, daß es sich darauf versteifte, sich auf eine angeblich unwandelbare Grundlage zu stützen, deren Wandelbarkeit so häufig offenbar geworden war!

Aber sogar durch Gründe, die sie selbst uns gegen sich selbst an die Hand geben, ist es leicht, diese a priori-Vernünftler der gröbsten Unvernunft zu überführen — ist es leicht, die Nichtigkeit und Hohlheit ihrer Axiome im allgemeinen zu zeigen. Vor mir liegt« — man beachte, daß der Brief immer noch weiter geht —, »vor mir liegt in diesem Augenblick ein Buch, das etwa vor tausend Jahren gedruckt worden ist. Pundit versichert mir, daß es entschieden das gescheiteste Werk des Altertums über diesen Gegenstand, nämlich die Logik, ist. Der Verfasser, der seinerzeit sehr geschätzt war, war ein gewisser Miller oder Mill, und es ist als Sache von einiger Wichtigkeit überliefert, er habe ein Mühlpferd geritten, das er Jeremias Bentham nannte — aber werfen wir einen Blick auf das Buch selbst.

Aha! — ›Vorstellbarkeit oder Unvorstellbarkeit,‹ sagt Herr Mill sehr richtig, ›darf in keinem Fall als Kriterium axiomatischer Wahrheiten genommen werden.‹ In der Tat ist das eine handgreifliche Banalität; kein Mensch mit gesundem Verstand wird es leugnen. Diese Behauptung nicht zuzugeben hieße die Veränderlichkeit als charakteristisch für die Wahrheit ausgeben, wo sie doch in ihrem eigentlichen Wesen mit der Beständigkeit zusammenfällt. Wenn Vorstellbarkeit als Kriterium der Wahrheit gelten könnte, dann wäre das, was für David Hume eine Wahrheit ist, sehr selten eine für Joe, und neunundneunzig Hundertstel dessen, was im Himmel unleugbar ist, wäre auf Erden erweisbar falsch. Die Behauptung Herrn Mills ist also stichhaltig. Ich will sie nicht gerade ein Axiom nennen, eben weil ich zeigen will, daß es keine Axiome gibt; aber ich bin bereit, mit einer feinen Unterscheidung, die auch der spitzfindige Herr Mill nicht tadeln würde, zuzugeben, daß die Behauptung, von der wir reden, wenn es ein Axiom gäbe, das vollste Recht hätte, sich so zu nennen — daß es kein absoluteres Axiom gibt. Daraus ergibt sich, daß jede nachfolgende Behauptung, die dieser vorhergehenden widerstreitet, entweder falsch sein muß — das heißt: kein Axiom — oder aber, falls es als Axiom genommen werden soll, sofort sich selber und den vorhergehenden Satz aufheben muß.

Und nun wollen wir darangehen, mit Hilfe der Logik des Mannes, der diese Axiome selbst vorgeschlagen hat, ein beliebiges von ihnen auf die Probe zu stellen. Wir wollen Herrn Mill möglichst entgegenkommen. Wir wollen kein banales Axiom zur Prüfung nehmen, kein Axiom von der Sorte, die er sehr abgeschmackt und ohne weitere Erklärung Axiome zweiter Klasse nennt — als ob eine positive Wahrheit durch ihre Definition mehr oder weniger wahr werden könnte; wir wollen, sage ich, kein Axiom von so fragwürdiger Fraglosigkeit wählen, wie sie im Euclid zu finden sind. Wir wollen zum Beispiel nicht von solchen Behauptungen sprechen, wie die ist, daß zwei gerade Linien keinen Raum einschließen können oder daß das Ganze größer ist als ein Teil. Wir wollen dem Logiker jeden Vorteil sichern. Wir wollen uns ohne weiteres an eine Behauptung machen, die er als Gipfel der Fraglosigkeit betrachtet, als Quintessenz axiomatischer Unleugbarkeit. Hier ist sie: ›Es kann nicht etwas zugleich sein und nicht sein; das heißt, etwas, das zugleich ist und nicht ist, kann es in der Natur nicht geben.‹ Herr Mill meint hier zum Beispiel, daß etwas nicht zugleich ein Baum und kein Baum sein kann. All das ist an sich ganz vernünftig und reicht vollständig zu einem Axiom aus, solange wir es nicht gegen ein anderes Axiom halten, auf das Herr Mill ein paar Seiten vorher gedrungen hat, mit andern Worten — denselben, die ich vorhin anwandte —, solange wir es nicht mit Hilfe der Logik des Mannes prüfen, der es selbst vorgeschlagen hat. ›Ein Baum,‹ so versichert Herr Mill, ›muß entweder ein Baum oder kein Baum sein.‹ Sehr wohl: nun muß ich ihn aber fragen: warum? Auf diese kurze Frage gibt es nur eine Antwort — ich fordere alle Welt heraus, eine zweite zu finden. Die einzige Antwort ist: Weil es unsunmöglich ist, uns vorzustellen, daß ein Baum etwas anderes sein soll als ein Baum oder kein Baum.‹ Ich wiederhole, dies ist die einzige Antwort Herrn Mills; er wird nicht vorschützen, eine andere zu haben, und doch hat er selbst klar gezeigt, daß seine Antwort überhaupt keine Antwort ist, denn hat er uns nicht aufgefordert, es als Axiom aufzustellen, daß Vorstellbarkeit oder Unvorstellbarkeit in keinem Fall als Kriterium axiomatischer Wahrheit zu nehmen ist? So schwimmt seine ganze Beweisführung ohne Ruder auf dem Wasser. Herr Mill möchte vielleicht vorgeben, in Fällen, wo die Unmöglichkeit einer Vorstellung so ganz besonders groß sei wie diesmal, wo uns zugemutet wird, uns einen Baum zugleich als Baum und nicht als Baum vorzustellen, müsse eine Ausnahme von der allgemeinen Regel zulässig sein. Aber man lasse sich solche Dummheit nicht einreden. Erstens nämlich gibt es keine Grade der Unmöglichkeit, und also kann keine Vorstellung noch unmöglicher sein als eine andere unmögliche; und zweitens hat Herr Mill selbst offenbar nach reiflicher Überlegung sehr scharf und mit guten Gründen jeden Versuch zu einer Ausnahme verwehrt, indem er sehr pathetisch erklärte, in keinem Fall sei Vorstellbarkeit und Unvorstellbarkeit ein Kriterium axiomatischer Wahrheit; drittens aber müßte immer noch, gesetzt selbst, daß überhaupt Ausnahmen zulässig wären, gezeigt werden, wieso gerade hier eine Ausnahme zulässig sein soll. Daß ein Baum zugleich ein Baum und kein Baum sein kann, ist eine Vorstellung, die Engel oder Teufel vielleicht fassen können, und ohne Zweifel hat mancher irdische Irrenhäusler oder Transzendentalist solche Vorstellungen in der Tat.

Nun befehde ich diese Männer des Altertums,« so fährt der Briefschreiber fort, »nicht so sehr deshalb, weil ihre Logik offenbar läppisch war, weil nämlich ohne jede Grundlage, ohne Wert und ganz und gar ohne Realität, als vielmehr wegen der hochtrabenden und dummen Art, wie sie alle anderen Wege zur Wahrheit ächteten. Nur die beiden engen, krummen Pfade sollte es geben — den einen zum Kriechen und den andern zum Krauchen —, auf welche sie in ihrer perversen Unwissenheit die Seele beschränken zu wollen wagten — die Seele, die es über alles liebt, sich in die Höhen der schrankenlosen Intuition aufzuschwingen, wo es keine sogenannten Wege mehr gibt.

Lieber Freund, ist es übrigens nicht ein deutliches Symptom für die Geistesverknechtung, die diese blinden Menschen seit ihrem Hog und ihrem Hammel erblich belastete, daß keiner von ihnen, trotz dem ewigen Geschwätz ihrer Gelehrten über die Wege zur Wahrheit, auch nur zufällig auf das verfiel, was uns jetzt so deutlich als der breiteste, geradeste und wertvollste Weg erscheint, auf den großen Paß, die majestätische Straße der Folgerichtigkeit? Ist es nicht erstaunlich, daß es ihnen nicht einfiel, von den Werken Gottes her auf die hochbedeutsame Betrachtung zu kommen, daß eine vollkommene Folgerichtigkeit nichts anderes sein kann als absolute Wahrheit? Wie einfach, wie schnell ist unser Fortschritt, seit endlich diese Behauptung verkündet wurde! Durch sie ist die Forschung den Maulwürfen entrissen und — als Ehrung mehr denn als Arbeit — den wahren, den einzig wahren Denkern überlassen worden, den umfassend gebildeten Menschen von glühender Phantasie. Diese — unsere Kepler, unsere Laplace — spekulieren, ›theoretisieren‹ — so drückte man sich aus. Denke Dir, mit was für einem höhnischen Geschrei unsere Vorfahren sie empfangen hätten, wenn sie mir, während ich das schreibe, über die Schulter geblickt hätten! Ich wiederhole: Die Keplers spekulieren, theoretisieren, und ihre Theorien sind bloß verbessert, umgestaltet, gesichtet, ganz allmählich von der Spreu des Unzutreffenden gereinigt worden, bis schließlich leuchtend etwas ungemischt Folgerichtiges dasteht, etwas Folgerichtiges, das selbst die Dümmsten — eben weil es folgerichtig ist — als absolute, unbestreitbare Wahrheit anerkennen müssen.

Ich habe oft darüber nachgedacht, lieber Freund: Es muß für diese Dogmatiker vor tausend Jahren ein schweres Stück gewesen sein zu entscheiden, auf welchem ihrer berühmten zwei Erkenntniswege der Entzifferer von Geheimschriften zur Lösung der schwierigeren Chiffern kommt — oder auf welchem Wege Champollion die Menschheit zu den wichtigen, zahllosen Wahrheiten führte, die seit vielen Jahrhunderten in der Buchstabenbilderschrift der Ägypter begraben waren.

Würde es aber nicht insbesondere diese Autoritätsanbeter in Verlegenheit gebracht haben, wenn man sie gefragt hätte, auf welchem ihrer zwei Wege die wesentlichste und herrlichste Wahrheit, die sie überhaupt hatten, entdeckt wurde — die