Aurora Floyd - Mary Elizabeth Braddon - E-Book

Aurora Floyd E-Book

Mary Elizabeth Braddon

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Aurora Floyd, Tochter aus bestem Haus, kehrt von einer Pariser Privatschule zurück nach Felden Woods, dem Landsitz ihres Vaters. Ihr Start ins gesellschaftliche Leben scheint perfekt, doch etwas muss in Paris geschehen sein, über das Aurora nicht reden will. Auch ihrem Verlobten gegenüber verweigert sie die Wahrheit, und so kommt es zum Bruch. Da wird die Leiche eines Mannes nahe Felden Woods entdeckt und Aurora des Mordes beschuldigt. Ihr Schweigen droht Aurora und der gesamten Familie zum Verhängnis zu werden.

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Seitenzahl: 209

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Aurora Floyd 

 Band 1

Mary Elizabeth Braddon

Impressum

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Public Domain

(c) mehrbuch 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis
Impressum
Erster Band
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Dritten Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel

Erster Band

Erstes Kapitel

Leichte Streifen von schimmerndem Bunt unterbrechen da und dort das reiche Dunkel der kentischen Wälder. Der Herbst hat mit seinem rothen Finger leicht das Laub betupft, sparsam, rote der Künstler die hellern Tinten auf sein Gemälde aufsetzt; aber die Pracht einer zu Küste gehenden Angustsonne flammt über die friedliche Landschaft und entzündet alles zu strahlender Glorie.

Die dunkeln Wälder und weiten sammtgleichen Wiesen, die stillen Weiher voll klaren Wassers, die schmucken Hecken und die glatten Wege, die sich durch die Fluren schlängeln; die wellenden Säume der Hügel, welche mit der violetten Ferne verschmolzen, Arbeiterhütten, die weiß herausblinken aus der umgebenden Blätterfülle; einsame Schenken am Wege mit ihren braunen Strohdächern und ihren Reihen hoher moosbewachsener Schornsteine; Edelsitze die sich hinter Jahrhunderte alten Eichen verstecken; Parkhäuschen im Cottage- und im Schweizerstile; säulengetragene Thore, welche steinerne Wappenschilder überragen und grüne Gehänge von buschigem Epheu umranken; Dorfkirchen und zierliche Schulhäuser — jeder einzelne Gegenstand der heitern englischen Landschaft schwimmt in leuchtendem Duft, wie die Schatten der Dämmerung langsam herangleiten aus den dichtern Winkeln im dunkeln Gehölze und in den Büschen am Wege und jeder Umriß des Bildes sich dämpft gegen das tiefer und tiefer erglühende Roth des Himmels.

Auf der breiten Facade eines gewaltigen Ziegelgebäudes, das in dem Sitte errichtet ist, welchen die Zeit der ersten George liebte, zögert die sinkende Sonne lange und schafft eine prachtvolle Beleuchtung. Die langen Reihen der schmalen Fenster scheinen in voller Glut zu stehen, und ein ehrlicher, zur Abendruhe heimziehender Landmann bleibt ein-, zweimal aus der Straße stehen und blickt über den weichen, thaugetränkten Rasenplatz und den stillen Teich hinüber; denn er fürchtet, der Glanz dieser Fenster möge kein natürlicher sein und »Maister« Floyd‘s Haus in Flammen stehen.

Das stattliche rothe Ziegelhaus gehört Archibald Martin Floyd oder, wie er im ehrlichen Patois der kentischen Bauern genannt wird, Maister Floyd, vom großen Bankhause Floyd, Floyd und Floyd in Lombard-Street in der City.

Die Bauern von Kent wissen sehr wenig von diesem Bankhause der City, denn Archibald Martin, der älteste der gegenwärtigen Handlungsinhaber, hat sich lange schon von jeder thätigen Betheiligung am Geschäfte zurückgezogen, das lediglich von seinen Neffen, Andreas und Alexander Floyd, gesetzten Männern in mittlern Jahren mit Familien und Landhäusern, fortgeführt wird. Beide verdanken ihr Vermögen dem reichen Oheim, der sie vor etwa dreißig Jahren auf sein Comptoir genommen hatte, als sie große, hagere, hochblonde und rothbäckige Schottenjünglinge waren und frisch von einem unaussprechlichen Dorfe nördlich von Aberdeen kamen.

Die jungen Herren unterschrieben ihre Namen »Mcfloyd«, als sie in das Geschäft ihres Oheims eintraten. Sehr bald aber folgten sie dem Beispiele ihres weisen Verwandten und ließen die furchtbare Vorsilbe fallen. »Wir brauchen den Südmenschen da nicht zu sagen, daß wir Schotten sind«, bemerkte Alick seinem Bruder, als er zum ersten Male seinen Namen kurzweg »A. Floyd« schrieb.

Das schottische Bankhaus war wunderbar gediehen in der gastlichen englischen Hauptstadt. Ein Erfolg ohnegleichen hatte jedes Unternehmen der alten und angesehenen Firma Floyd, Floyd und Floyd gekrönt. Seit mehr als einem Jahrhunderte war sie schon Floyd, Floyd und Floyd gewesen; denn sowie ein Mitglied des Hauses ausschied, entsproßte ein grünerer Zweig dem alten Baume, sodaß man sich noch niemals in die Nothwendigkeit versetzt gesehen hatte, die dreifache Wiederholung des wohlbekannten Namens auf den Messingplatten zu ändern, welche die Mahagonithüren des Bankhauses zierten. Auf diese Messingplatte wies Archibald Floyd, als er vor nunmehr dreißig Jahren seine hagern Neffen zum ersten Male über die Schwelle seines Geschäftslokals führte.

»Seht her, Jungens sagte er. »Schaut die drei Namen an auf dieser Messingplatte! Euer Onkel Georg ist über fünfzig und ein Hagestolz — das ist der erste Namen. Unser Vetter Stephan Floyd von Kalkutta wird binnen kurzem seinen Geschäftsantheil abtreten — das ist der zweite Namen. Der dritte ist der meinige, und ich bin siebenunddreißig Jahre alt, merkt das, Jungen, und ’s ist nicht sehr wahrscheinlich, daß ich mich zum Narren mache und heirathe. Mit der Zeit wird’s Eurer Namen bedürfen, die Lücken auszufüllen. Seht darauf, daß Ihr sie mittlerweile blank erhaltet; denn laßt nur ein einziges Fleckchen darauf haften, und für diese Messingplatte taugen sie nimmermehr.«

Vielleicht nahmen sich die derben Schottenburschen diese Lehre zu Herzen, vielleicht auch war die Rechtlichkeit eine natürliche, angeborene Tugend im Hause Floyd. Wie dem nun sei, weder Alick noch Andreas machten ihren Ahnen Schande, und als Stephan Floyd, der Ostindien seinen Antheil verkaufte und Onkel Georg, als ein ältlicher, unbeweibter Klepper, der Geschäfte müde wurde und sich aus das Bauen verlegte, schlüpften die jungen Männer in die Schuhe ihrer Verwandten und nahmen die thätige Leitung des Geschäfts auf ihre breiten nordischen Schultern.

Nur in einem Punkte hatte Archibald Floyd seine Neffen irre geführt, und dieser eine Punkt betraf ihn selbst. Zehn Jahre nach jener Anrede an die Jünglinge, im verständigen Alter von siebenundvierzig, beging er nicht allein die Thorheit zu heirathen, sondern — wenn dergleichen Dinge wirklich närrisch sind — sank noch tiefer von der stolzen Höhe weltlicher Weisheit herab, indem er sich in ein schönes, doch blutarmes Weib sterblich verliebte, das er von einer Geschäftsreise durch die Fabrikdistricte mit nach Hause brachte und sonder Förmlichkeit und Umstände seinen Verwandten und den Familien der Nachbarschaft als seine ihm neuvermählte Gattin vorstellte.

Das ganze Begebniß kam so plötzlich, daß diese Nachbarn sich noch kaum von dem Erstaunen erholt hatten, mit dem sie in der linken Spalte der Times einen gewissen Satz lasen, welcher die eheliche Verbindung von »Archibald Floyd, Banquier, von Lombard-Street und Felden-Woods, mit Elisa, der einzigen noch lebenden Tochter von Kapitän Prodder« kundgab, als schon der Reisewagen des jungen Ehemanns an der gothischen Loge seines Parkes vorüber durch die Allee rasselte, vor dem großen Steinporticus des Hauses hielt und Elisa Floyd eintrat in die Wohnung des Banquiers und gutmüthig der verblüfften Dienerschaft zunickte, die sich zum Empfange ihrer neuen Herrin in Reihe und Glied in der Halle ausgestellt hatte.

Die Banquiersfrau war ein hochgewachsenes junges Weib von etwa dreißig Jahren mit dunklem Teint und großen funkelnden schwarzen Augen, die ein Antlitz, das ohne sie unbeachtet geblieben sein dürfte, zu einem unbedingt schönen machten.

Rufe dir, lieber Leser, eines jener Gesichter ins Gedächtniß, deren alleiniger Liebreiz im herrlichen Lichte eines prächtigen Augenpaares besteht, und erinnere dich, wie weit sie alle andern an Zaubergewalt übertreffen. Die gleiche Summe von Schönheit, in eine wohlgeformte Nase, rosige volle Lippen, eine ebenmäßige Stirn und zarten Teint zerstückelt, gäbe ein Weib von gewöhnlicher Anmuth ab; zusammengefaßt aber in einem einzigen Strahlenpunkte, im wundervollen Glanze des Auges, schafft sie eine Göttin, eine Circe. Der erstern könnt Ihr jeden beliebigen Tag begegnen, der letztern nur einmal in Euerm ganzen Leben.

Mr. Floyd stellte seine Gattin der benachbarten Gentry bei einem Mittagsmahle vor, das er bald nach der Ankunft der Dame in Felden-Woods veranstaltete, wie sein Landsitz hieß. Nachdem diese Förmlichkeit sehr rasch abgethan war, ließ er sich mit keinem weitern Worte über seine Wahl aus, weder gegen seine Bekannten, noch gegen seine Verwandten, die gar zu gern vernommen hätten, wie er zu dieser unvorhergesehenen Heirath gekommen, und, freilich ohne Erfolg, ihre brennende Neugier dem glücklichen Ehemanne zu verstehen gaben.«

Man kann sich denken, daß gerade dies Verschweigen von seiten Archibald Floyd’s die tausend-Zungen der Fama nur in um so emsigere Thätigkeit setzte. Da war auch nicht eine niedere und verachtete Lebensstellung mit der man in und um Beckenham und West-Wickham, in deren Nähe Felden-Woods gelegen war, nicht die Herkunft der neuen Mrs. Floyd in Verbindung gebracht hätte. Ein Fabrikmädchen war sie gewesen, und der alberne alte Banquier hatte sie in den Straßen von Manchester gesehen, wie sie, mit einem bunten Tuche um den Kopf und einer Korallenschnur um den Hals, ohne Schuhe und Strümpfe durch den Schmutz watete. So hatte er sie erblickt, auf der Stelle sich in sie verliebt und ihr unverzüglich seine Hand angetragen. Sie war eine Schauspielerin, und er hatte sie in Manchester auf der Bühne gesehen. Nein, schlimmer noch, sie war eine armselige Komödiantin, die, mit schmutzigem weißen Musselin drapiert, mit rothem Baumwollsammt und Flittern behangen, zusammen mit einer erbärmlichen Vagabundenbande und einem dressierten Schweine in einer Leinwandbude ihre Künste produzierte. Dann sollte sie wieder eine Kunstreiterin und bei Astley, nicht in den Fabrikbezirken, es gewesen sein, wo der Banquier ihrer zum ersten Male ansichtig geworden war; ja der und jener behauptete, er könne schwören, daß er mit seinen eigenen Augen gesehen, wie sie in jenem sägespänbestreuten Circus durch vergoldete Reifen gesprungen wäre und auf sechs ungesattelten Pferden die Cachucha getanzt hätte. Halb geflüstert aber liefen andere Gerüchte um, die noch Härteres verkündeten, Gerüchte, die ich selbst hier nicht anzudeuten wage. Wohl möglich, daß einige Damen ihre persönlichen Gründe hatten für ihren Groll gegen die junge Frau, und daß manche verblühte Schönheit dieser anmuthigen Landsitze auf die Renten des Banquiers und auf die unterschiedlichen Annehmlichkeiten spekuliert hatte, die sich an eine Verbindung mit dein Besitzer von Felden-Woods knüpften.

Das freche, unanständige Geschöpf, das sich nicht einmal durch seine Schönheit empfahl — die kentischen Landfräulein ignorierten sorgfältigst Elisa’s wundervolle Augen und kritisierten streng ihre niedrige Stirn, ihre zweifelhafte Nase und ihren etwas großen Mund — die schlaue, hinterlistige Dirne mit ihrem reifen Alter von neunundzwanzig Jahren, mit ihrem Haare, das fast bis auf die Augenbrauen hinabwuchs, hatte es zu bewerkstelligen gewußt, sich Hand und Gut des reichsten Mannes in Kent zu sichern, des Mannes, welcher bisher so unverwundbar gewesen für jedweden Angriff von schönen Augen und rosigen Lippen, daß auch die unermüdlichste der spekulierenden Mütter ihn in Verzweiflung aufgegeben und aufgehört hatte, in ausschweifenden Phantasien à la Tausend und eine Nacht Mr. Floyd‘s großen Backsteinpalast einzurichten und auszustaffieren.

Der weibliche Theil der Gesellschaft wunderte sich unwillig über die Indolenz der beiden schottischen Neffen und den alten Hagestolz von Bruder, Georg Floyd. Warum zeigten diese Leute nicht etwas Feuer und Leben; warum stellten sie keinen Antrag ans Wahnsinnigkeitserklärung und sperrten ihren verrückten Vetter in ein Tollhaus? Er verdiente es doch!

Die gefallene Noblesse des Faubourg St. Germain hätte einen reichen Bonapartisten nicht mit bitterem Grolle schmähen können, als dies Völkchen in seinem endlosen Getratsch über die junge Banquiersfrau herfiel. Was diese auch that, es bot ihrer Kritik neuen Stoff dar. Selbst an jener ersten Mittagsfête, bei der doch Elisa nicht mehr gewagt hatte, sich in die Anordnungen von Koch und Haushälterin zu mischen, als wenn sie im Buckingham-Palaste zur Tafel befohlen gewesen wäre, selbst da fanden die ärgerlichen Gäste, daß alles und jedes anders und schlechter geworden war, seit »das Weib« im Hause waltete. Sie haßten die glückliche Abenteurerin, haßten sie wegen ihrer schönen Augen und ihrer prachtvollen Juwelen, mit denen ein anbetender Gatte sie verschwenderisch geschmückt hatte; haßten sie wegen ihrer vornehmen Gestalt und graziösen Bewegungen, die in keiner Weise die ausgesprengte Dunkelheit ihrer Herkunft verriethen; haßten sie vor allem, weil sie frech genug war, sich nicht im mindesten von den erhabenen Mitgliedern des neuen Kreises einschüchtern zu lassen, in den sie sich versetzt sah.

Hätte sie in Demuth das Gnadenbrod hingenommen, mit dem sie die Gentry der Grafschaft reichlich zu letzen gewillt war; hätte sie ihnen den Staub von den aristokratischen Schuhen geleckt, um ihre Gönnerschaft geworden und sich gefallen lassen,von ihnen »aufgehoben« zu werden — vielleicht hätten sie ihr mit der Zeit verziehen. Aber von alledem that sie nichts. Kamen sie zum Besuche zu ihr, gut, so war sie aufrichtig und herzlich erfreut, sie bei sich zu sehen. Man traf sie alsdann wohl in ihren Gartenhandschuhen, mit zerzaustem Haare und mit der Gießkanne in der Hand, wie sie in ihren Treibhäusern umherschaffte, und wurde mit so natürlicher Hoheit empfangen, als wäre sie in einem Schlosse geboren worden und von Kindesbeinen an an Huldigungen gewöhnt. Mochten sie so kühl höflich sein, wie sie wollten, immer war sie zwanglos, offen, heiter und gutmüthig. Sie plapperte lustig vom »lieben alten Archy« wie sie sich herausnahm, ihren Wohlthäter und Gemahl zu nennen; oder sie zeigte ihren Gästen ein neues Gemälde, welches sie gekauft hatte, und erdreistete sich — das unverschämte, anmaßliche, unwissende Geschöpf — über Kunst zu sprechen, als ob all das hochtönende Kauderwelsch, mit dem man sie zu zermalmen trachtete, ihr so geläufig wäre wie einem königlichen Akademiker. Wenn die Etikette ihr die Erwiederung dieser Staatsvisiten gebot, fuhr sie keck zu ihren Nachbarn in einem winzigen Korbwagen, den ein einziger derber Pony zog; denn die arglistige Person hatte auch die Caprice, in ihren Liebhabereien eine vornehme Einfachheit zu affectiren und alles Gedränge zu verschmähen. Alle Pracht und Größe, die sie traf, nahm sie hin wie ein Ding, das sich ganz von selbst verstand, und lachte und schwatzte mit ihrer koketten Bühnenlebhaftigkeit darauf los, sehr zur Bewunderung der verführten jungen Männer, welche die hochadligen Reize von Mrs. Floyd’s Lästerinnen nicht zu erkennen vermochten, wohl aber nicht müde wurden, von den hübschen Manieren und den prachtvollen Augen der jungen Frau zu sprechen.

Ob die arme Elisa alles oder auch nur die Hälfte von dem wissen mochte, was man so grausam von ihr erzählte? Ich argwöhne mit gutem Grunde, daß sie auf eine oder die andere Art hinter all die schlimmen Gerüchte gekommen war, die von ihr umliefen, und ihren Spaß daran hatte. An ein Leben voller Aufregung gewöhnt, möchte sie sich in Felden-Woods ohne diesen neuen Skandal am Ende gelangweilt haben. Der Aerger der von ihr aus dem Felde geschlagenen Feinde gewährte ihr ein boshaftes Vergnügen.

»Wie nothwendig müssen sie Dich zum Manne gebraucht haben, Archy,« sagte sie, »da sie mich so wüthend hassen! Ihr armen, mitgiftlosen alten Jungfern, daß ihr sehen mußtet, wie ich euch die Beute vor der Nase wegschnappte! Ich weiß, sie halten es für ein wahres Leiden, daß sie mich nicht hängen können dafür, daß ich einen reichen Mann geheirathet habe.«

Der Banquier aber war so tief verwundet, als ihm seine angebetete Gattin das Geklätsch wiederholte, welches sie von ihrer Zofe, einer der leutseligen, gütigen Herrin treulichst ergebenen Dienerin, gehört hatte, daß Elisa ihm nochmals alle ähnlichen Gerüchte fern zu halten suchte. Sie ergötzten dieselben, ihn aber trafen sie ins Leben. Stolz und reizbar, wie fast alle sehr rechtlichen und gewissenhaften Menschen, konnte er nicht ertragen, daß irgendwer sich unterstand, den Namen des Weibes zu begeifern, das er so zärtlich liebte. Was galt ihm die Dunkelheit, welcher er sie entnommen hatte? Ist ein Stern darum minder hell, weil er auf die Pfütze scheint, so gut wie auf den purpurnen Schooß der mitternächtigen See? Ist ein tugendhaftes, edles Weib deshalb weniger werth, weil es sich mit der einzigen Industrie, die es auszuüben versteht, einen dürftigen Lebensunterhalt erwirbt? Weil es die Julia spielt vor einem Publikum von Fabrikarbeitern, die für das Privilegium, es bewundern und beklatschen zu dürfen, ihre drei Pence bezahlen?

Ja, die Mordgeschichte muß heraus. Die boshaften Lästerzungen hatten in ihren Vermuthungen doch nicht völlig unrecht: Elisa Prodder war eine Schauspielerin, und auf den schmutzigen Bretern eines sehr mittelmäßigen Theaters in Lancashire hatte sie der reiche Banquier zum ersten Male erblickt!

Archibald Floyd hegte eine gewisse traditionelle, passive, jedoch aufrichtige Bewunderung für das englische Schauspiel; denn er hatte noch in einer Zeit gelebt, wo es ein englisches Drama gab und wo »Georg Barnwell« und »Jane Shore« zu den Lieblingsstücken des theaterbesuchenden Publikums gehörten. Wie traurig, daß wir seit jenen Tagen entarten mußten, und daß jene anmuthigen Geschichten uns jetzt so selten vor die Augen geführt werden! Als daher Mr. Floyd einmal in einer kleinen Stadt in Lancaster übernachten mußte, trieb ihn seine Verehrung des nationalen Schauspiels in die staubigen Logen des unansehnlichen Theaters, um einer Ausführung von »Romeo und Julia« beizuwohnen, in welcher die Erbin der Capulets von Miß Elisa Percival, elias Prodder, dargestellt wurde.

Ich glaube nicht, daß Miß Percival eine gute Schauspielerin war oder in ihrem Berufe jemals Ausgezeichnetes geleistet haben würde, aber sie besaß eine tiefe, klangvolle Stimme, der die Worte ihres Dichters in einer gewissen reichen, wenn auch etwas monotonen Musik entquollen, welche dem Ohre wohlthut, und war eine wunderschöne Bühnenerscheinung, denn ihr Gesicht erhellte das kleine Theater besser als alles Gas, das der Director der spärlichen Zuschauerschaft widerwillig spendete.

In jenen Tagen war es nicht Mode, aus Shakspeare’s Dramen Zug- und Spectakelstücke zu machen. Auf der kleinen Bühne in Lancaster würde es als eine erschreckliche Sünde wider alle Gesetze der dramatischen Kunst erachtet worden sein, hätten sich Othello oder Montana in irgend einer Szene der feierlichen Aufführung niedersetzen wollen. Die »Hoffnung von Dänemark« war kein Normanne in langem Gewande und mit wallendem Flachshaar, sondern ein Individuum in kurzem, rostigschwarzem, sammtmanchesternem Rocke, der wie eine Kinderbluse geschnitten und mit schwarzen Schmelzflittern aufgeputzt war, die während der Vorstellung von Zeit zu Zeit abfielen und zertreten wurden. Die Schauspieler hielten dafür, daß eine Tragödie, um Tragödie zu sein, ganz und gar abweichen müßte von allem, was jemals unter der Sonne geschehen war, und Elisa Prodder trat geduldig das alte, ausgelaufene Gleis, viel zu gutmüthig, leichtherzig und gefügig, um eine thörichte Opposition gegen die Verkehrtheit der Zeit zu versuchen, die zurechtzuweisen sie nicht berufen war.

Was kann ich also von ihrer Darstellung des leidenschaftlichen italienischen Mädchens sagen? Sie trug weiße Seide, deren unsaubere Säume mit Flittern benäht waren, im festen Glauben aller wandernden Schauspielerinnen, daß goldige Flitter ein Gegengift gegen den Schmutz sind. Sie lachte und plauderte in der kleinen weißgetünchten Garderobe noch in derselben Minute, wo sie auf die Bühne eilen mußte, um ihren gewordeten Vetter und verbannten Geliebten zu bejammern. Man erzählt, daß Macready seinen Richelieu bereits um drei Uhr nachmittags begann, und daß es zwischen dieser Stunde und dem Schlusse der Vorstellung gefährlich war, ihm nahe zu kommen und ihn anzureden. Miß Percival-Prodder hingegen nahm sich ihren Beruf nicht allzusehr zu Herzen. Ihre Gage bezahlte kaum die körperliche Strapaze früher Proben und langer Spielabende, wie viel weniger also jene geistige Erschöpfung des wahren Künstlers, der in dem Charakter lebt, welchen er darstellt!

In den Pausen der racheschnaubendsten Reden machten sich die gemüthlichen Komödianten freundschaftliche Bemerkungen über ihre Privatangelegenheiten und berechneten in hörbarem Geflüster die Höhe der betreffenden Einnahmen, und wenn Hamlet den Horatio an die Lampen vorrief und fragte, ob er »das da« sehe, war es nichts weniger als unwahrscheinlich, daß der Vertraute des Dänenprinzen dem Polentas eben auf der Bühne von der schändlichen Manier erzählte, in welcher seine Wirthin ihm Thee und Zucker stehle.

Nach alledem war es folglich nicht das Spiel der Miß Percival, was den Banquier bezauberte. Archibald Floyd wußte, daß sie eine so schlechte Bühnenkünstlerin war, wie nur je eine um wöchentliche fünfundzwanzig Schillinge die Hauptrollen in Tragödie und Komödie gab. Er hatte Miß O’Neil als Julia gesehen, und es zwang ihm ein mitleidiges Lächeln ab, als die Fabrikarbeiter die Giftszene der armen Elisa beklatschten. Trotz alledem aber verliebte er sich in sie. Es war die alte Geschichte, die ewig neu bleibt; wieder und immer wieder Arthur Pendennis, der von Miß Fotheringay bezaubert und verwirrt ist. Nur daß es diesmal nicht ein leichtsinniger, empfänglicher Knabe, sondern ein nüchterner, fester Geschäftsmann von siebenundvierzig war, den bis zu jenem Abende noch nie ein Schauer der Erregung durchbebt, wenn er einem Weibe ins Auge geblickt, und für den von dem Abende an die Welt nur noch ein Wesen umschloß und das Leben nur noch einen Zweck besaß.

Am andern Abende ging er wieder ins Theater, auch am dritten und suchte sich, dann in einer unweit desselben gelegenen Schenke in die Bekanntschaft von einigen Schauspielern einzuschmeicheln. Sie schmarotzten grausam an ihm herum, diese armseligen Komödianten, erlaubten ihm zahllose Gläser Grog zu bezahlen, liebkosten und cajolirten ihn und lockten ihm sein Geheimniß aus dem Herzen und auf die Lippen. Dann eilten sie heim zu Elisa und erzählten ihr, welches Glück ihr widerfahren sei; ein alter Knabe mit Geld ohne Ende hätte sich zum Sterben in sie verliebt und würde sie noch morgen heirathen, wenn sie ihre Karte nur gut zu spielen verstände. Sie wiesen ihr den schmachtenden Krösus durch ein Loch im grünen Vorhange, wie er fast allein in der Reihe der schäbigen Logen saß und sehnsüchtig darauf wartete, daß die Vorstellung ihren Anfang nähme und ihre schwarzen Augen ihm noch einmal leuchtend aufgingen.

Elisa lachte über ihre Eroberung. War es doch nur eine von den vielen, die alle das gleiche Ende gehabt hatten, die zu nichts Anderem führten, als daß sie ein Logenbillet mehr verkaufte zu ihrem Benefiz und einen Blumenstrauß empfing, wenn sie das Schauspielhaus verließ. Ach, sie kannte nicht die Gewalt einer ersten Liebe auf einen Mann von siebenundvierzig! Ehe die Woche noch zu Ende war, hatte ihr Archibald Floyd feierlich seine Hand angetragen.

Von ihren Mitspielern hatte er so Manches von ihr erfahren und nichts als Gutes gehört. Von Versuchungen, denen man widerstanden hatte, von hinterlistigen Geschenken an Juwelen und Kostbarkeiten, die mit Unwillen zurückgewiesen, von anmuthigen Handlungen echt weiblicher Mildthätigkeit, welche im Stillen geübt, von Anstand und Unabhängigkeit, die durch alle Armuth und Prüfungen behauptet worden waren; von alledem erzählten sie ihm und noch von hundert Zügen ihrer Herzensgüte, welche ihm vor stolzer edelmüthtger Erregung das Blut ins Gesicht trieben. Sie selbst aber erzählte ihm die einfache Geschichte ihres Lebens; erzählte ihm, daß sie die Tochter eines Schiffskapitäns, Namens Prodder, und in Liverpool geboren sei; daß sie sich ihres Vaters kaum erinnere, der fast beständig zur See war, nicht mehr eines drei Jahre ältern Bruders, welcher sich mit dem Vater entzweite, davonlief und nichts wieder von sich hören ließ, und auch nur wenig ihrer Mutter, die starb, als Elisa erst drei Jahre alt war. Eine Tante nahm sie darauf zu sich, die in derselben großen Hafenstadt einen Gewürzladen hielt. Später lernte sie künstliche Blumen verfertigen, blieb indeß nicht bei dieser Beschäftigung, der sie keinen Geschmack abgewinnen konnte. Sie besuchte häufig die verschiedenen Theater Liverpools, und da kam ihr der Gedanke, wie es ihr wohl gefallen dürfte, selbst auf die Bühne zu gehen. Eine unternehmende und energische Person, verließ sie denn eines Tages das Haus ihrer Tante, wanderte stracks zum Director einer der bescheidenen Bühnen und bat ihn, ohne viel Einleitung und Umstände, sie als Lady Macbeth auftreten zu lassen. Der Mann lachte über ihre Kühnheit, sagte ihr jedoch, daß er sie in Betracht ihrer schönen Gestalt und schwarzen Augen um einen Wochenlohn von fünfzehn Schillingen dem Corps seiner Statisten einverleiben wolle.

Von der Figurantin avancierte Elisa mit der Zeit zu kleinern Rollen, solchen, die ihre vornehmern Colleginnen mit Verachtung zurückzuweisen pflegten. Endlich schwang sie sich ehrgeizig zur ersten tragischen Heldin auf und verfolgte so neun Jahre hindurch die ebene Monotonie ihrer Laufbahn bis ganz kurz vor ihrem neunundzwanzigsten Geburtstage, ihr das Schicksal den reichen Börsenmann in den Weg führte und in der Pfarrkirche einer kleinen Stadt in Staffordshire die schwarzäugige Komödiantin den Namen Prodder mit dem von Floyd vertauschte.

Sie hatte den reichen Mann genommen, theils weil sie, von einem Gefühle der Dankbarkeit für die großmüthige Wärme seiner Neigung getrieben, sich mehr zu ihm hingezogen fühlte, als zu irgend Jemand, den sie sonst kannte, theils auf den Rath ihrer Freunde vom Theater, die ihr mit mehr Offenheit als Zartheit sagten, daß sie eine große Närrin wäre, wenn sie sich eine solche Chance entschlüpfen ließe. Zur Zeit aber, wo sie Archibald Floyd mit ihrer Hand beglückte, hatte sie nicht die geringste Idee von der Größe des Vermögens, welches sie mit ihm theilen sollte. Er eröffnete ihr, daß er Banquier sei und ihr reger Geist beschwor ihr auf der Stelle das Bild der einzigen Banquiersfrau herauf, die sie je gekannt hatte: eine wohlbeleibte Dame, die schwerseidene Kleider trug und in einem viereckigen stuckbekleideten Hause mit grünen Jalousien wohnte, sich Köchin und Stubenmädchen hielt und drei Logenbillets für Miß Perrioaks Benefiz nahm.

Als daher der vernarrte Gatte sein hübsches junges Weib mit diamantenen Armbändern und Colliers und mit Seide und Brocat belud, die steif und unhandlich waren vor lauter Reichthum; als er mit ihr vom thon- und topfgesegneten Staffordshire [Die Grafschaft Staffordshire ist der Sitz der berühmten Fabrikation von Steingut und irdenen Waaren und heißt darum auch schlechtweg der Töpfereibezirk (the Potteries). Anm. d. Uebers.] direkt nach der Insel Wight reiste, dem wonnigen Eilande, und im ersten Hotel von Ryde ein geräumtges Quartier nahm und sein Geld da und dort mit vollen Händen ausstreut,« als ob er Aladdins Lampe in seiner Rocktasche trüge — da machte Elisa ihrem neuen Gebieter Vorstellungen, denn die Angst überkam sie, seine Liebe hätte ihn von Sinnen kommen lassen und diese beunruhigende Verschwendung wäre nur der erste Ausbruch seines Wahnwitzes.

Als aber Archibald Floyd seine schöne Gemahlin in die lange Bildergalerie von Felden-Woods geleitete und sie all die Pracht erschaute, die sie umgab, da dünkte es ihr nur eine Wiederholung jener alten lieben Geschichte vom armen Bauernkinde, welches der reiche Graf als Herrin heimführte auf die stolze Burg seiner Ahnen, und in heller kindlicher Freude klatschte sie in die Hände. Sie fiel auf ihre Kniee und huldigte in Theaterweise ihrem Gebieter. »O Archy,« sagte sie, »es ist alles viel zu gut für mich! Ich fürchte, ich sterbe an meiner Größe, sowie die arme Maid verging im Grafenschlosse.«

In der vollen Reife weiblichen Liebreizes, voller Gesundheit, frisch und hochgestimmt — wie wenig ließ sich die arme Elisa träumen, daß ihr ein noch kürzerer Besitz dieser kostbaren Pracht beschieden war, als jenem Ritterlieb!