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Unsere Welt ist letztendlich nur ein Klumpen aus vielen Gesteinsbrocken und Staub aus dem Weltall - fest zusammengeballt und kompakt. Vieles auf unserer Welt kam von außen, wahrscheinlich sogar das gesamte Wasser: Riesige Eisbrocken stürzten vor Jahrmillionen auf die heiße Erde und brachten damit das Leben. Zur gleichen Zeit wie die Eisbrocken machte sich auch eine riesige Staubwolke auf den Weg zu uns. Erst spät wird sie entdeckt und seitdem beobachtet. Sie sei keine Gefahr für uns, beschwichtigen Wissenschaftler und Politiker, nur jede Menge Staub und kleinste Sandteilchen, kein Aufprall, keine Apokalypse. Als die Staubwolke bei uns eintaucht, freuen wir uns auf der nördlichen Hemisphäre im April auf den Frühling. Die Atmosphäre leuchtet grün bis lila auf: Ein tolles Schauspiel rund um den Globus. Überall wird gefeiert. Eineinhalb Tage lang leuchtet ein bunter Himmel. Es soll keine Folgen für den Planeten Erde, für die Menschen, die Tiere und die Pflanzen geben. Die Staubteilchen erreichen die Erdoberfläche gar nicht, alles verglüht, alles - fast alles ...
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Seitenzahl: 449
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Für Sylke
Unsere Welt ist letztendlich nur ein Klumpen aus vielen Gesteinsbrocken und Staub aus dem Weltall – fest zusammengeballt und kompakt. Vieles auf unserer Welt kam von außen, wahrscheinlich sogar das gesamte Wasser. Riesige Eisbrocken stürzten vor Jahrmillionen auf die heiße Erde und brachten damit das Leben. Zuerst kleines Getier und Pflanzen. Pflanzen sind daher unsere Basis. Erst viel später entwickelte sich das sogenannte „intelligente Leben“, an dessen Spitze wir Menschen stehen.
Zur gleichen Zeit wie die Eisbrocken machte sich auch eine riesige Staubwolke auf den Weg zu uns. Millionen Jahre später fliegt sie auf uns zu. Spät wird sie entdeckt und seitdem beobachtet. Sie sei „keine Gefahr für uns“, beschwichtigen Wissenschaftler und Politiker. Nur jede Menge Staub und kleinste Sandteilchen. Kein Aufprall, keine Apokalypse. Als die Staubwolke bei uns eintaucht, freuen wir uns auf der nördlichen Hemisphäre im April auf den Frühling. Die Atmosphäre leuchtet grün bis lila auf: Ein tolles Schauspiel rund um den Globus. Überall wird gefeiert. Eineinhalb Tage lang leuchtet ein bunter Himmel. Keine Folgen für den Planeten Erde, für die Menschen, die Tiere und die Pflanzen. Die Staubteilchen erreichen die Erdoberfläche gar nicht, alles verglüht, alles… - Fast alles…
Ein Freitag
Ein Samstag
Ein Sonntag
Die nächsten Tage
Die nächsten Wochen
Die Vorbereitungen laufen
Der Countdown läuft
Freitag, 19.4. – D-Day
Samstag, 20.4
Ende April
Sonntag, 5.5
Montag, 6.5
Die nächste Woche
Montag, 13.5
Dienstag, 14.5
Mittwoch, 15.5
Donnerstag, 16.5
Freitag, 17.5
Samstag, 18.5
Sonntag, 19.5
Montag, 20.5
Donnerstag, 23.5
Samstag, 25.5
Sonntag, 26.5
Montag, 27.5
Mittwoch, 29.5
Donnerstag, 30.5
Freitag, 31.5
Samstag, 1.6
Sonntag, 2.6
Montag, 3.6
Donnerstag, 6.6
Freitag, 7.6
Samstag, 8.6
Sonntag, 9.6
Montag, 10.6
Dienstag, 11.6
Mittwoch, 12.6., 8 Uhr morgens
Donnerstag, 13.6
Freitag, 14.6
Samstag, 15.6
Sonntag, 16.6
Montag, 17.6
Dienstag, 18.6
Mittwoch, 19.6
Donnerstag, 20.6
Freitag, 21.6
Samstag, 22.6
Samstag, 29.6
Montag, 1.7
Dienstag, 2.7
Mittwoch, 3.7
Donnerstag, 4.7
Sonntag, 7.7
Montag, 8.7
Dienstag, 9.7
Mittwoch, 10.7
Donnerstag, 18.7
Dienstag, 23.7
Donnerstag, 25.7
Dienstag, 30.7
Mittwoch, 31.7
Donnerstag, 1.8
Samstag, 3.8
Sonntag, 4.8
Montag, 5.8
Dienstag, 6.8
Mittwoch, 7.8
Donnerstag, 8.8
Freitag, 9.8
Ein Wochenende
Tage später
Tage vergehen
Samstag, 24.8
Sonntag, 25.8
Die nächsten Wochen
Nachwort und Dank
„Tschüss – und schönes Wochenende!“, schallt der Ruf von Karl Kollingham durch den ganzen Raum. Er hat wirklich eine tiefe und laute Stimme. Aber er ist einer unserer liebsten Kunden hier im Café.
„Dann machen wir dicht. Heute ´mal etwas früher.“
„Ja, warum nicht?“, stimme ich meiner Frau Swantje zu. Ich liebe es noch immer, jeden Tag Seite an Seite mit ihr in unserem Traumjob zu arbeiten. Zu arbeiten… – Ist es eigentlich Arbeit? … Nein, das ist es nicht: It´s a dream come true – unser Wirklichkeit gewordener Traum.
Dabei hatte das Leben es auch in unseren früheren Jobs gut mit uns gemeint: Ich hatte einen interessanten Job in einem tollen – ja, so kann ich das schon sagen: in einem tollen Unternehmen. Ich hatte es dort mit Speziallegierungen für die chemische Industrie zu tun. Dass ich dabei in der Forschungsabteilung meine auf der University of California in Berkeley erworbenen Kenntnisse und Ideen voll entfalten konnte, verdanke ich eben diesem Karl Kollingham. Als Projektleiter ließ er mir allen Spielraum und viele Freiheiten. Wir passten bestens zusammen.
Als Team konnten wir für unsere Firma Evon Ltd. zahlreiche Patente erwerben. Wir lebten gut. Nur die Zeit war unser Problem: Wir hatten immer zu wenig davon. Die Tage in der Firma waren oft länger als geplant; Wochenenden wurden manchmal schlichtweg vergessen; Geburtstagsfeiern oder Treffen mit Freunden gerieten schnell zur Nebensache, wenn ich auf der Spur eines neuen Legierungsverfahrens war…
Trotzdem will ich die Zeit nicht missen. Es hat doch auch immer Spaß gemacht. Und die Leistung wurde immer anerkannt. Sehr gut sogar: Einmal, nachdem mal wieder ein millionenschweres Patent gesichert war, stand plötzlich ein nagelneuer Ford F-150 vor meiner Tür. Karl wusste, dass ich mir so einen Pickup schon lange gewünscht hatte. Meinen Traum hatte er offensichtlich an unseren Boss Mike Miller weitergegeben. Trotz der rund vierhundert Leute bei Evon Ltd. waren wir fast wie eine Familie. Viele kannten sich auch privat. Mike Miller hatte dieses bullige Gefährt höchstpersönlich vor meiner Tür abgestellt und ließ es sich nicht nehmen, mir auch noch Tickets für eine Woche Hawaii in die Hand zu drücken. Naja, zusammen war das ja nur ein Bruchteil der Einnahmen aus dem neuen Patent. Aber selbstverständlich war das nicht, das weiß ich.
Die Woche Hawaii verbrachte ich damals mit Swantje Douglas. Sie arbeitete ganz in der Nähe von Evon Ltd. Sie war Biologin mit dem Spezialgebiet Pflanzen – naja, oder: wie Pflanzenfresser damit Energie gewinnen können. Ich kenn mich damit gar nicht aus. Biologie hasste ich schon seit der Uni. Es ist mir bis heute egal, wie das im Magen zersetzt und aufgespalten wird – Hauptsache: Es schmeckt!
„Hey, Jonny, komm wieder raus aus Deinem Tagtraum und hilf mir, die Tische sauber zu machen.“
„Ja, du hast mich ´mal wieder erwischt“, lächele ich ihr zu. „Aber ich brauch noch was…“ und deute auf meinen Mund.
Wie ich diese Frau liebe! Sie kommt „ganz zufällig“ bei mir vorbei und haucht mir einen Kuss auf die Lippen. – Gleichzeitig spüre ich einen Putzlappen in der Hand!
„Jetzt geht’s viel leichter, oder?“, fragt sie mit diesem Lächeln im Gesicht, das ich so an ihr liebe.
„Genau aus diesem Grund habe ich dich geheiratet“, erwidere ich schmunzelnd.
Wir brauchen nicht lange, und unser „Dream-Coffee“ ist bereit für den nächsten Tag.
„Ich geh auf dem Heimweg noch Kuchen bestellen bei Sören. Kaufst du noch ‘ne Pizza? Ich hab so Hunger auf eine ganz normale Tiefkühlpizza. Scharf bitte, mit Pilzen. Such dir auch eine aus. Bis gleich.“
Schwupps - und weg war sie.
Ich schließe ab, drehe das Schild auf „CLOSED“ und bemerke erst jetzt, wie schön es draußen noch ist. Die Sonne hat schon wieder richtig Kraft. Der Winter war diesmal einfach zu lang. Endlich kommt der Frühling.
Hier in diesem herrlichen Städtchen Solvang im Santa Barbara County in Kalifornien wollten wir leben. Vor Jahren kamen wir auf einer Tour entlang des Küstenhighways zufällig hier vorbei. Wir waren beide jobmüde, wussten aber nicht, was wir ändern sollten. Wir verdienten gut – mehr als das sogar. Unsere drei Mädels – Antje, Maja und Johanna – sind längst aus dem Gröbsten raus. Sie haben ihre Schulabschlüsse in der Tasche, und die Welt steht ihnen offen. Sie machen ihren Weg alle gleichermaßen – wenn auch in unterschiedlicher Geschwindigkeit und in völlig unterschiedliche Richtungen. Während Antje mit ihren 28 Jahren noch nicht so genau weiß, wohin der Weg im Beautybereich sie führen wird, hat unsere Jüngste – Johanna - mit 23 genaue Vorstellungen: Sie will in den Technikbereich eintauchen und holt sich gerade ihre ersten Erfahrungen bei Boeing in Seattle. Sie plant das sehr zielsicher. Das hat sie von Swantje. Und Maja liegt mit knapp 26 genau in der Mitte. Sie hat ihr Hobby zum Beruf gemacht und trainiert Hunde in einer kanadischen Schule für Blindenhunde.
Ich fahre also, wie „befohlen“, noch schnell am Supermarkt vorbei und lege die Pizza in die Kühlbox. Auf dem Parkplatz von Sörens kleiner Bäckerei sehe ich Swantje bereits draußen stehen.
„Hallo Bäckermeister.“ So nenne ich Sören immer gerne. Wir kennen uns seit Jahren und treffen uns gerne auch mal zum Grillen. Paula, seine Ehefrau, ist ebenfalls ein herzensguter Mensch.
„Na, alles bekommen?“, frage ich Swantje.
„Du, Sören hat ein neues Rezept ausprobiert: Eine norwegische Variante unseres geliebten dänischen Plunders.“
„Öfter ´mal was Neues“, grinst Sören. „Bei meinem letzten Urlaub in Bergen in Norwegen habe ich das in einer winzigen Bäckerei gekauft und war sofort begeistert davon. Der norwegische Kollege hat mir offenherzig die Zutaten verraten, nachdem er erfahren hatte, dass ich keine Konkurrenz für ihn in Bergen werden würde.“
Sören tippt sich mit dem Zeigefinger an den rechten Augenwinkel und grinst schon wieder.
„Da kommt viel Kokos und Vanille rein“, schwärmt Swantje.
Und das soll was heißen: Sie mag eigentlich kein Kokos.
„Das bieten wir nächste Woche einfach ´mal in unserem Cafe an. Ich hab da auch schon eine Idee mit der Werbung und der Deko...“
„Jonny, du musst mir deine Swantje ausleihen: Sie hat so viele Ideen; ich würde da nie drauf kommen! ...“
Das stimmt. Sie hat jede Menge Fantasie und einen Blick für die Präsentation und den Verkauf von Dingen. Sören ist dagegen der typische Handwerker: ein begnadeter Bäcker mit viel Gespür für Geschmack und offen für neue Dinge. Aber beim Verkauf hört es dann auf. Nicht, dass seine Auslagen schlecht seien – nein, aber: langweilig; immer irgendwie gleich: Brötchen in Reih und Glied neben den süßen Teilen. Man könnte blind einkaufen: Zwei Teile aus der ersten Reihe, drei Teile aus der vierten Reihe von links, und so weiter. Man bekäme immer die gleichen Backwaren.
„Ausleihen? - Das wäre ja noch schöner! Ich lass mich vielleicht noch auf einen Deal mit dir ein: Dekoration gegen leckere Gebäckvariationen für unser „Dream-Coffee“ – darüber können wir reden.“
„Auch gut. ‚Eine Hand wäscht die andere‘, heißt es doch. Ja, das sollten wir machen.“ Sören wurde etwas nachdenklich.
‚Er und einen Deal machen? Das glaube ich erst, wenn ich es sehe‘, denke ich mir. Irgendwie ist Sören nämlich auch ein Geizhals: Selten bekommt man etwas von ihm geschenkt. Aber er hat ja auch Recht. Ich möchte seine Arbeitszeiten nicht haben: Um 3 Uhr nachts geht’s bei ihm schon los – und das fast täglich.
„Dann überleg dir ´mal die Konditionen“, lacht Swantje und steigt ins Auto.
„Jo, mach ich. Bis nächste Woche dann. Geht´s in die Berge übers Wochenende?“, fragt Sören noch.
„Na klar, bei dem Wetter! Die Saison ist eröffnet. Tschüss, Sören!“
„Tschüss, Ihr beiden!“
Ich winke Sören zu, während ich losfahre.
„Ich glaube, Sören will ´mal wieder mit. Ihm und Paula hat es letztes Jahr wirklich gefallen in der puren Natur.“, grinst Swantje.
„Ja, aber nicht gleich beim ersten Mal im Jahr. Lass uns erstmal schauen, was der Winter alles angestellt hat.“
„Du hast Recht, mein Jonny-Boy!“
So nennt sie mich manchmal. Ich habe nichts dagegen. Ist ein schöner Kosename. Ich habe gar keinen für sie. „Swantje“ passt einfach so gut zu ihr.
Unser Haus liegt nur ein paar Minuten außerhalb von Solvang, in einer kleinen Hügellandschaft mit langer Zufahrt. Es ist ein wunderbares Heim. Ja, dafür habe ich mir immer Zeit genommen – oft in der Nacht. Ohne Schlaf habe ich gewerkelt und viele Ideen selbst umgesetzt. Dabei kamen meine deutschen Wurzeln durch: Ein Urgroßvater war Zimmermann, der andere Maurer. Irgendwie habe ich wohl gleich viele Gene von beiden abbekommen. Ich habe es zwar nie gelernt, aber die meisten Projekte wurden gut. Das sagen selbst unsere kritischen Töchter und laden auch immer ´mal wieder Freunde zu uns ein.
Wir genießen noch die letzten Sonnenstrahlen auf der herrlichen Südstaatenveranda. Swantje hatte sie sich lange gewünscht. Ich überraschte sie vor drei Jahren damit, als sie von einem Urlaub bei ihrem Bruder Bernd wieder heim kam. Bernd lebt in Deutschland. Sie war zweieinhalb Wochen dort. Eine lange Zeit. So lange waren wir noch nie voneinander getrennt – seit jener Mittagspause, in der wir uns vor fast dreißig Jahren trafen. Zweieinhalb Wochen sind aber nichts, wenn man rund ums Haus eine Veranda bauen will. Ich konnte mich dabei auf Günter verlassen. Günter ist ein alter Holzwurm – ein Zimmermann der alten Schule. In geheimer Mission hatten wir das Überraschungspaket wochenlang geplant und ausgetüftelt. Swantje war noch nicht ganz am Flughafen von Los Angeles, da kam schon das Material. Zwei Stunden vor ihrer Rückkehr war alles fertig.
Ich werde nie vergessen, was für Augen sie damals machte: Wir fuhren die Auffahrt rauf, und ihre Augen wurden von Meter zu Meter immer größer... Am Haus angekommen, streichelte sie die Balken und liebkoste das Holz mit ihren Händen. Erst Minuten später war sie in der Lage, überhaupt was zu sagen. Sie hatte Tränen in den Augen und hauchte nur: „Danke…“.
Seitdem sind wir hier draußen, wann immer es geht und es das Wetter erlaubt. – So, wie heute Abend.
„Oh Mann, ich hatte so einen Heißhunger auf diese stinknormale Pizza heute.“
In ihrem Mundwinkel ist noch etwas Pizzasoße. Ich grinse dann immer, und sie weiß genau, dass irgendwo noch was hängt oder klebt. Hektisch versucht sie dann, mit der Zunge die Reste zu beseitigen.
„Wo? Links? Rechts? Wo? Sag schon!“, fordert sie mich auf, ihr zu helfen.
„Links unten.“
Ihre Zunge gleitet die Lippen entlang Richtung rechtem Mundwinkel.
„Nein, das andere Links!“, lache ich und umarme sie.
Sie tut so gut. Ich liebe sie bedingungslos.
Nach Klarschiff machen in der Küche relaxen wir noch ein wenig auf dem großen Sofa und schauen, was die Nachrichten an diesem Freitagabend so bringen. Beim Durchzappen bleib ich auf NBC hängen. Zuerst sieht es nach einer Doku aus. Es sind aber aktuelle Nachrichten: Irgendwas soll da auf die Erde treffen… Eine „kosmische Staubwolke“, heißt es da. Auch Swantje wird aufmerksam.
„Stellen Sie sich einen Staubbeutel vor, den Ihr Nachbar neben Ihrer Haustür ausschüttelt. So wird das sein, wenn diese gigantische Staubwolke aus den Tiefen der Galaxien die Erde streifen wird. Etwas Nebel, vielleicht ein kleiner Husten – und vorbei ist sie. Nur: Leider gibt es keinen Nachbarn, mit dem man dann streiten könnte“, versucht der Nachrichtenreporter scherzhaft dieses Phänomen zu beschreiben.
Dann stellt der Wissenschaftler Robert H. Smith von der Sternwarte Los Angeles das zu erwartende Ereignis etwas klarer dar:
“Diese Staubwolke wurde erst vor wenigen Tagen durch Zufall von unserer Sternwarte gefunden. Sie hat fast keine Masse und keine großen Trümmer in sich. Sie ist fast unsichtbar. Ein sehr seltenes Naturschauspiel erwartet uns - ohne Gefahr für die Erde. An unserer Atmosphäre werden die kleinen Partikel abprallen oder im äußeren Bereich bereits verglühen. Wir nehmen an, dass wir weltweit einem einmaligen Schauspiel beiwohnen dürfen, das nach unseren Berechnungen mindestens eineinhalb Tage lang zu sehen sein wird – mit etwas Glück sogar in verschiedenen Farben tagsüber, da das Sonnenlicht durch den dünnen Nebel leicht gebrochen werden könnte.“
„Hast du Angst?“, frage ich Swantje.
Sie sagt erst nichts und lauscht dem Reporter aufmerksam. So kenne ich sie kaum, wenn es um Weltraumthemen geht.
„Nein, aber etwas mulmig ist mir schon: Was ist, wenn doch ein großer Brocken in der Wolke auf uns lauert?“
„Den hätten die schon gefunden und es uns gesagt“, beruhige ich sie.
Obwohl ich selbst nicht daran glaube: Wenn die das wissen, sagen sie nichts. Wegen der möglichen Panik. Aber ich denke immer positiv. Also passiert auch nichts. Außerdem will ich ja Swantje beruhigen. Ändern könnte ich auch nichts dran. Wenn ich nichts ändern kann, dann nehme ich es so an, wie es ist und versuche, das Beste aus dieser Situation zu machen. Mit dieser Devise erschüttert mich schon seit Jahrzehnten nichts mehr. „Sorge dich nicht, lebe!“ von Dale Carnegie ist ein tolles Buch, das mich vor langer Zeit auf diese Lebensschiene brachte. Ich lebe prächtig damit.
Ich höre es schon beim Wachwerden: Regen prasselt aufs Dach. Dabei soll es doch so schön werden heute…? Swantje hat es auch gehört:
„Die Wetterfrösche haben sich ´mal wieder geirrt. Komm einfach her: Wir kuscheln weiter und stehen gar nicht erst auf.“
„Das ist schon verlockend, aber ich will raus, das Zeug zusammensuchen und dann die Saison eröffnen.“
Doch Swantje ist stärker – oder ich zu schwach…
Mit deutlicher Verspätung machen wir uns Frühstück.
„Es ist noch zu kalt fürs Frühstück draußen. Der blöde Regen…“, knurrt Swantje vor sich hin.
Gegen Mittag klart es auf, und die Sonne kommt doch noch durch.
„Die Nachrichten gestern lassen mir keine Ruhe.“ Sorge liegt in Swantjes Stimme. „Und wenn doch was drin ist in der Wolke…?“
„Der Wissenschaftler klang doch ganz ruhig. Ich glaube ihm.“
Swantje umklammert ihre Kaffeetasse mit beiden Händen. Ihr Blick geht raus auf die sanfte Hügellandschaft vor unserem Haus. Die Wolke lässt sie nicht los.
Auch unser Internetradiosender KSYV Mix96.7 unterbricht immer wieder seine Sendung und bringt aktuelle News zur Staubwolke.
„Das Ding ist wirklich big. Aber es wird großartig, wenn es in unsere Atmosphäre eintaucht. Lasst Euch dieses Spektakel nicht entgehen. Mit uns auf Mix96.7 – Better Music for a Better Workday. Wir sind dabei! Nehmt Euch frei an diesem einmaligen 19. April!“
Das geht aber eher in die Richtung: Feiert dieses Ereignis! Keine Spur von Sorge oder Panikmache.
Auch im TV geht es auf fast allen Sendern um das Thema der interstellaren Staubwolke. Überall auf der Welt sind wieder diese „die-Welt-geht-unter-Bewegungen“ unterwegs. Ich schalte wieder ab.
Swantje kommt aus dem Bad.
„Bin fertig, wir können los. Wie schaut das mit dir aus?“
„Ich hab mir überlegt, heute doch nur einen Ausflug zu machen, um einen Überblick zu kriegen, was alles gerichtet werden muss. Uns fehlt durch den Regen schon ein halber Tag. – Was meinst du?“
Swantje nickt zustimmend.
„Okay, dann los!“
Inzwischen fahren wir einen Dodge Ram 1500. Ich bin meinem Traum treu geblieben. Ein bulliges Teil mit hoher Motorhaube. Swantje kann gerade einmal drüber schauen. Ich muss grinsen, sobald ich nur noch ihren voluminösen Haarschopf auf und ab wippen sehe, wenn sie ums Auto geht.
„Hast du den Korb eingeladen, Jonny?“
„Na klar: Ich werde doch nicht riskieren, dich hungern zu sehen!“
Wir lachen beide und fahren los.
Swantje wird zur Diva, wenn sie entweder Hunger hat und nicht gleich was zu essen bekommt oder wenn sie dringend einen Restroom bräuchte und nichts zu finden ist. Wobei letzteres nicht ganz so schlimm ist. Denn Swantje ist da sehr natürlich, möchte ich ´mal so sagen: Ein kleiner Busch, ein dicker Baum oder auch zwei geöffnete Autotüren reichen ihr, dieser Not zu entkommen. Die Pflanzen danken es ihr zusätzlich! Also habe ich bei diesem Punkt in der freien Natur kein Problem. Anders sieht das mit dem Essen aus: Wo sollte ich für sie was zu beißen bekommen, wenn der nächste Laden oder das nächste Restaurant doch etliche Meilen entfernt ist von unserem Aufenthaltsort? Und schließlich muss es dann schnell gehen! Swantje als Diva zu erleben ist nicht wünschenswert. Wie sagte meine Mutter immer: „Dann wird sie „griedli““, was so viel wie „unzufrieden, unbeherrscht“ oder auch „zickig“ bedeutet.
Darum der Korb: Leckere belegte Brötchen, Gemüse – fein säuberlich geschnitten und mundgerecht vorbereitet, etwas Ketchup oder Senf, natürlich eine Thermoskanne Kaffee, Tassen, Zucker, Löffel und was Süßes. Swantje ist auch darin perfekt. Wir haben immer alles, was wir brauchen, aber auch nichts Überflüssiges dabei. Ein perfektes Picknick wird das werden. Sogar eine extragroße Decke fehlt nicht.
Wir haben kaum Verkehr auf den Straßen und kommen gut voran. Das Wetter passt eins zu eins zu unserer Laune. Swantje singt lautstark Songs aus dem Radio mit, „Hotel California“ von den Eagles beispielsweise – eines unserer Lieblingslieder. Die Gedanken an die Staubwolke sind wie weggeblasen.
Nach etwas über eineinhalb Stunden kommen wir in unserem zweiten Paradies an. Oder – wie es richtig heißt: „The Sunbird Quicksilver Mine“. Eine alte, längst verlassene Silbermine am Santa Ynez River. Sie gehört inzwischen dem Staat California, und wird vom U.S. Forest Service verwaltet. Aber witzigerweise besitzen wir ein Schürfrecht zur Mine. Dieses Recht ist losgelöst vom Besitz des Grundes. Eine seltene Situation. Ich kenne den Verwalter und Ranger James Muir recht gut. Sein Sohn Jeff war ein paar Jahre bei Evon Ltd. in meinem Labor tätig. Wir kamen überein, dass ich jederzeit hierherkommen und meinem Hobby nachgehen darf.
„Solange du keine Bulldozer oder gar Dynamit einsetzt, kannst du hier mit ´ner Schüssel und ´ner Schaufel nach Gold, Silber oder was auch immer suchen.“
Das war nun auch schon wieder über vier Jahre her. Seitdem kommen wir so vier- bis fünfmal im Jahr hier raus. Just for fun. Eine gottverlassene Gegend mit unendlicher Ruhe, und keine Menschen weit und breit: „Natur pur“, wie ich immer sage. Wir haben uns in einer der Hütten etwas eingerichtet. Wir könnten sogar heizen, was aber kaum nötig ist. Tja, und die Sache mit dem Gold: Ich habe tatsächlich schon was gefunden. Kleinste Körnchen, und nur ganz wenig. Ich hab sie noch nicht mal verkauft. Es macht einfach Spaß: Mit jedem Teller, den ich auswasche, wächst die Spannung. Meistens werden wir aber enttäuscht.
Ach ja, die Schürfrechte: Die hatte angeblich mein Opa bei einer Wette gewonnen. Um was es dabei gegangen war, hat er mir nie genau erzählt. Es hatte aber irgendetwas mit einer Frau zu tun, soviel weiß ich. Das Geheimnis nahm er vor Jahren mit ins Grab. Damals war ich noch zu nachlässig und habe nicht nachgebohrt. Mir war es egal, und außerdem hatte ich ja zu viel zu tun. Erst nachdem Swantje und ich die Jobs an den Nagel gehängt hatten, fiel mir die alte Urkunde aus dem Jahr 1874 wieder in die Hände. Schade, dass ich Opa nicht mehr fragen kann. Ich wüsste zu gerne die Story hinter dieser Wette.
„Die Saison ist eröffnet!“
Swantje kommt mir mit einer Überraschung entgegen: zwei Gläser Sekt in der einen und eine neue, glänzende Schaufel in der anderen Hand.
„Auf unsere fünfte Saison hier draußen!“
Ich nehme ihr die Schaufel und ein Glas ab und stoße mit ihr an.
„Ich habe ein gutes Gefühl für dieses Jahr. Wir finden bestimmt ein riesiges Nugget!“, gibt sich Swantje euphorisch.
„Das werden wir“, stimme ich ihr zu.
„Wo hast du die Schaufel her? War die schon auf der Ladefläche? Wann hast du…“
Sie unterbricht mich:
„Gezaubert, ich habe sie hergezaubert. – Was sonst? Du hättest sie ja bestimmt entdeckt. Das wollte ich vermeiden und habe einfach wiedermal gezaubert!“
„Okay, ich lass es. – Danke dir, mein Schatz!“
Wir küssen uns, als wäre es das erste Mal. Dieser Ort übt schon eine besondere Anziehung aus – die Natur, die Ruhe und nur wir beide: Was will man mehr?
„Vielleicht was zu essen?“, fragt mich Swantje, als ob sie meine Gedanken gelesen hätte.
Wir breiten die Decke am kleinen See aus und packen die leckeren Sachen aus.
„So, wie ich das nach dem ersten Rundblick sehen kann, hat der Winter heuer kaum Spuren hinterlassen. Sieht alles wie immer aus. Auch die Schlösser an unserer Hütte und am Werkzeugkasten sind intakt. Es waren keine Vandalen da wie vor zwei Jahren.…“
Die hatten damals zwar nichts geklaut, aber alles durchwühlt und in der Gegend rumgeschmissen. Das waren bestimmt irgendwelche Jugendlichen auf einer Rauschtour. Dabei ist das Gelände nicht ungefährlich: Es gibt überall kleine Erdeinbrüche und Löcher, in die man schnell fallen kann.
Swantje legt ihren Kopf in meinen Schoß und genießt die Nachmittagssonne mit geschlossenen Augen. Sie ist mehr als nur meine Frau: Sie ist mein Kumpel, mein bester Freund, meine kleine Hexe und manchmal meine heimliche Geliebte. Sie macht alles mit – na gut: fast alles. Wir wollen – oder besser: ich will schon lange mit einem Heißluftballon aufsteigen. Da bekomme ich sie aber nicht rein. Aber das Goldschürfen hier ist auch ihr Ding. Ich bin immer wieder überrascht, welche Kraft in ihr steckt. Sie wirkt so zierlich und zerbrechlich, aber genau das Gegenteil ist der Fall: Sie hält mehr aus als so manches gestandene Mannsbild; bestimmt auch mehr als ich.
Schließlich hat sie auch schon drei Kinder geboren. Das habe ich gerne ihr überlassen. Ich war zwar dabei, jedes Mal. Aber diese unausweichliche Gewissheit, diese Geburtsschmerzen erleben und durchstehen zu müssen: Das könnte ich nicht schaffen. Ich würde wegrennen. Auch wenn das nichts helfen würde. Es ist schon gut, wie es ist.
Ich gebe meiner Göttin einen kleinen Stups:
„Komm, wir schauen uns noch ein wenig um.“
Zusammen machen wir unseren Rundgang. Das Gelände hat schon eine gewisse Größe. Unser erster Eindruck wird bestätigt: Es war niemand hier die letzten Monate.
„Laden wir Sören und Paula beim nächsten Mal mit ein? Wir könnten zusammen hier schön grillen und vielleicht sogar übernachten. – Was meinst du?“
„Ja, gerne. Sören liebt diesen Ort: Weit weg von seiner Backstube und den ganzen sauberen Teigsachen…“
Swantje lacht bei dem Gedanken an unseren ersten gemeinsamen Ausflug hierher: „Weißt du noch, wie Sören versucht hat, den alten Truck wieder in Schwung zu bringen? Seine Hände waren bis zu den Ellbogen mit Öl und Schmiere eingesaut!“
„Und wie ich mich erinnere: Er hat eine Stunde lang gebraucht, wieder sauber zu werden. Und das ohne Seife und heißes Wasser!“
Paula hat nämlich vergessen, den Kulturbeutel einzupacken, und unsere Seife war „spurlos verschwunden“: Wir haben uns einen kleinen Scherz daraus gemacht und unsere Seife dem Geizhals nicht gegeben.
„Aber irgendwie bekam er sie ja wieder sauber: Die Brötchen am folgenden Montag jedenfalls waren nicht schwarz.“
Wir lachen beide herzhaft und freuen uns schon auf die nächsten Geschichten mit Sören.
Ohne ein paar Schaufeln Kies und Sand gewaschen zu haben, gehen wir aber nicht weg. Swantje und ich sind dabei schon ein eingespieltes Team: Sie sucht die Stellen aus und schüttet mir eine Schaufel voll in die Goldwaschpfanne. Damit versuche ich mein Glück. Aber heute wird das nichts mehr.
„Der Anfang ist gemacht – auch, wenn die Goldnuggets sich heute noch vor uns verstecken.“
Damit beende ich unseren diesjährigen Saisonstart. Wir packen die Geräte wieder weg, sammeln unsere Picknicksachen auf und fahren den engen Waldweg zurück in die Zivilisation.
Erst kurz vor Solvang hören wir wieder was von der Staubwolke. Die Realität hat uns wieder.
Den Sonntag gammeln wir so vor uns hin. Wir haben beide keine große Lust auf viel Aktivität. Wir genießen die Sonne auf unserer Veranda und schwelgen in Erinnerungen. Swantje plant für nächste Woche eine kleine Werbeaktion im nahegelegenen Kindergarten.
„Was hältst du davon, den kleinen Kids einen kostenlosen Schokodrink mitzubringen? Wenn es denen schmeckt, kommen sie bestimmt mit ihren Eltern oder Oma und Opa in unser „Dream-Coffee“!“
„Die Eltern sind nächste Woche doch auch dabei, oder?“
„Ja, sind sie. Hast du noch ‘ne Idee?“
Swantje möchte über diesen Weg die leckeren, vollwertigen Brötchen und auch vollwertiges süßes Gebäck von Sören anpreisen. Natürlich über unser Café, wenn es geht.
„Mach doch noch Coupons für die Eltern. Dann kommen sie sicher zu uns und lösen sie ein!“
„Du bist genial, mein Jonny-Boy.“
Da ist es wieder, das Leuchten in ihren Augen.
„Kannst du das für mich machen? Wäre echt super toll von dir! Ich lass mir auch was einfallen für dich!“
Bei derartigen Angeboten von Swantje kann ich nicht widerstehen. Also setze ich mich an den PC und entwerfe einen Kindergarten-Coupon. Das macht mir Spaß, und die Aussicht auf die Gegenleistung von ihr beflügelt mich noch mehr.
Toll, dass unser Feuer immer noch so intensiv brennt. Wenn auch manchmal etwas anders als bei Frischverliebten, dafür aber umso tiefer.
„Verfolgen wir heute Abend wieder die Nachrichten? Ich will wissen, wie es weiter geht mit der Staubwolke aus dem All.“
„“Black-sheep-cloud“ haben sie sie getauft. – Die von NBC oder ‘nem anderen Sender“, ergänze ich.
„Ich schalt gleich ´mal ein.“
„Bevor ich es vergesse, mein Schatz: Antje hat sich per WhatsApp gemeldet. Sie und Peter sind gerade in Key West angekommen.“
„Wow, die beiden kommen ja echt gut rum. Wie lange sind sie noch unterwegs?“
„Noch fast sechs Wochen. Dann sind die Umbauarbeiten in Antjes Beautystudio abgeschlossen. Außer Ihr Boss meldet sich vorher bei ihr.“
Nach ihrer Beautyausbildung war Antje hin- und hergerissen: Selbstständig sein – oder irgendwo mit einsteigen? Sie hat sich dann doch für Letzteres entschieden. Ihren Boss Dan Alvira kennen wir nur flüchtig. Er soll aber ganz in Ordnung sein. Jedenfalls zahlt er gut, und das Team passt zusammen. Antje hat sich bis zum Start noch eine Auszeit genommen. Ihr Freund Peter nutzt ebenfalls einen Jobwechsel für eine gemeinsame „Reise ins Irgendwo“, wie sie es genannt haben. Sie sind vor rund drei Wochen losgefahren, „immer der Nase nach“, quer durch die Staaten.
„Bin gespannt, wo sie noch überall landen. Florida ist echt schön. Es ist ganz anders als bei uns hier.“
„Das sagst du immer, Jonny-Boy, aber mit mir warst du noch nicht dort!“
„Ich gelobe Besserung. – Hast du morgen schon was vor?“, scherze ich.
„Ohne Witz: Wann fahren wir dahin? Das könnten wir doch im Herbst machen. Wir haben noch nichts geplant!“
„Dann haben wir jetzt was vor. Florida, wir kommen! – Wie oder wo übernachten Antje und Peter eigentlich?“
Swantje blättert im WhatsApp-Chat.
„Heute in einer airbnb-Unterkunft: Sieht aus wie ein Haus auf Stelzen, direkt am Wasser. Soll superbillig, sauber und in einer Toplage sein, schreibt Antje. Die letzten Tage waren sie in günstigen Motels an der Straße: Nicht so nobel und etwas lauter.“
Swantje zeigt mir ein paar Bilder, die Antje geschickt hat. Schön, dass wir so ein gutes Verhältnis zu unseren Kindern haben. Sie lassen uns noch teilhaben an ihrem Leben und brauchen uns nicht mehr. Alle sind sehr selbstständig. Im Falle eines Falles wissen sie aber, dass wir bedingungslos für sie da sind. Eine Art Lebens-Airbag für den Notfall. Antje und Maja haben den Draht eher zu ihrer Mutter. Mir schreiben sie kaum mal. Dafür stehe ich bei Johanna höher im Kurs, die mir öfters ein paar Infos schickt. Allerdings ist sie sehr kurz angebunden. Kurze, klare Anweisungen oder Mitteilungen, selten ein Emoji in der WhatsApp-Nachricht: So ist Johanna.
Swantje schreibt unserer Großen noch zurück und berichtet kurz von unserem Ausflug zur Mine und dem „Saisonstart“ gestern.
Ich habe zwischenzeitlich NBC auf dem Schirm. Die Wolke ist aber nirgends zu sehen. Es geht wieder um die politischen Machenschaften des Präsidenten und um die andauernden Machtkämpfe in China. Dann ist die Wolke wohl nicht mehr so präsent. Swantje kommt zu mir und kuschelt sich an mich:
„Haben die schon was gebracht? Gibt’s was Neues?“
„Nö, bis jetzt noch nicht. Vielleicht doch harmloser als angenommen oder zuerst befürchtet.“
Dann kommt sie doch noch, die “black-sheep-cloud“. Es ist wieder der Wissenschaftler Robert H. Smith, der die Herkunft der Staubwolke näher erläutert: Sie sei ein Überbleibsel der Geburt einer fernen Galaxie. Die Teilchen durchwanderten sicher schon mehrmals die Aggregatzustände von fest bis gasförmig und zurück.
„Wahrscheinlich beinhaltet die Wolke nur kleinste Teilchen im Mikrometerbereich. Beim Kollaps eines fernen Sternes wurde diese Wolke dann durch eine hunderte von Kilometern pro Sekunde schnelle Stoßfront in unsere Richtung gelenkt. Das kann schon Millionen Jahre her sein.“, so der Wissenschaftler. Die Auswirkungen auf die Erde seien jedoch noch nicht ganz klar. Es wird davon ausgegangen, dass keine Teile die Erde erreichen. Lediglich sollen Lichtblitze der verglühenden Staubteile zu sehen sein. Damit wiederholt er seine Aussagen von vor ein paar Tagen.
Ein anderer Wissenschaftler wird interviewt. Dieser hat ganz andere Ansichten: Er zeichnet ein düsteres Szenario von glühenden Teilen, die die halbe Erde in Schutt und Asche legen. Die dadurch entstehende Aschewolke löse eine kleine Eiszeit mit negativen Folgen für uns alle aus. Eine hektische Diskussion entbrennt vor der Kamera.
Wir hören gebannt zu. Es geht minutenlang hin und her.
Der Moderator fasst schließlich die Standpunkte zusammen und schaltet dann zu einer Pressekonferenz ins Weiße Haus von Washington, D.C. Der Präsident selbst gibt eine Stellungnahme ab. Zuerst seine üblichen Witze.
„Wir holen Superman, der bläst den Dreck nach Süden über die Mauer.“ Dann beschwichtigt er weiter:
„Alle guten Wissenschaftler sind sich einig: Die Wolke ist keine Gefahr für uns. – Oder vielleicht doch für die Wirtschaft? Viele wollen sich frei nehmen an diesem Tag und sich das bunte Schauspiel nicht entgehen lassen. Das könnte uns schon schaden“, lacht er in die Kameras.
„Schade, dass die Wolke nicht am Unabhängigkeitstag kommt, da hätten sowieso viele frei und könnten feiern. Keine Angst vor dieser Wolke. Genießt das Schauspiel. Ich beschütze Amerika, ich beschütze Euch alle!“
Ich kann es nicht mehr hören. Aber irgendwie beruhigen seine Worte trotzdem. Ein Reporter zeigt einige Geschäfte in Washington, die sich auf das Ereignis einstellen: Bunte Papierschlangen, T-Shirts mit „Hello Cloud“ und anderen Sprüchen drauf. Es gibt mal wieder nichts, was es nicht gibt.
„Da verdienen sich manche wieder dumm und dämlich dabei.“, ärgert sich Swantje. Und nach kurzer Pause: „Warum eigentlich wir nicht? Wir könnten auch einen „black-sheep-cloud-spezial-coffee“ die nächsten Wochen anbieten, oder?“ Sie schaut mich fragend an.
„Ööh… - Naja, warum nicht?“, stottere ich rum.
„Wenn die Welt schon nicht untergeht, dann könnte man damit doch wenigstens was verdienen.“
Jetzt ist es klar: Swantje hat eine Idee und keine Angst mehr vor der Wolke. Jetzt bin ich es, der irgendwie ein komisches Bauchgefühl hat. Aber vielleicht ist es auch Hunger.
„Fahren wir in die Stadt und essen was?“, schlage ich vor.
Sie stimmt sofort zu.
„Ich muss nur schnell noch jemandem schreiben.“
Sie nimmt ihr Smartphone und tippt wild drauf los. Ich soll bald erfahren, wen sie angeschrieben hat.
Bei unserem Lieblingsitaliener Pepe ist wie immer viel los. Wir bekommen trotzdem einen schönen Platz, und dann – was für ein Zufall – kommen auch Sören und Paula fast zeitgleich mit uns ins Restaurant.
„Schön, dass ihr gleich Zeit habt!“
Swantje strahlt, und mir wird klar: Das ist kein Zufall. Ich grinse in mich hinein. So ein schlaues Luder!
Die Nudelgerichte bei Pepe sind einzigartig, heute aber eher die Nebensache. Swantje überschwemmt Sören und Paula mit Ideen zur Wolke. Es werden herzhafte und süße Backwaren besprochen, und Rezeptfetzen notiert sich Sören auf die Serviette.
„So sollen schon Kunstwerke und historisch bedeutende Erfindungen entstanden sein!“, kommentiere ich scherzhaft das Gekritzel von Sören.
Paula lacht laut:
„Das lassen wir uns vergolden. Ein Wink des Himmels, das mit der Wolke und so!“
Wir stimmen ihr zu und lassen den Abend gemütlich ausklingen.
An ihre Worte werde ich noch öfters denken müssen.
Die nächsten Tage wird ausprobiert und verkostet. Swantje geht täglich mehrmals zu Sören rüber in die Bäckerei. Wolkenförmiges Plundergebäck mit dunkler, süßer Masse – natürlich vollwertig – wird zum Renner. Der „Black-Sheep-Cloud-Plunder“ mit der Extraportion Cappuccino und schwarzer Sahne obendrauf ist unser Verkaufsschlager. Bald schon kommen Leute, die wir in unserem „Dream-Coffee“ noch nie gesehen haben. Swantje hat echt den richtigen Riecher mit ihrer Idee.
„Du bist einfach genial. Wir machen mehr Umsatz als je zuvor!“
„Und Spaß haben wir obendrein mit den ganzen Spekulationen rund um diese Wolke.“
„Ja, ist schon interessant, was die anderen Leute so darüber denken: Von „noch nie gehört“ über gleichgültig bis hin zur Weltuntergangsstimmung hatten wir bestimmt schon alle möglichen Typen hier im Café.“, spricht Swantje ins Mikrophon des örtlichen Radiosenders „Mix96.7“.
Sie sind auf unsere Kreationen aufmerksam geworden. Schließlich kommen einige der Radiomacher immer mal wieder in ihrer Pause bei uns vorbei oder holen sich einen Kaffee ins Studio.
„Nein, Angst habe ich nicht vor diesem Naturschauspiel.“
Swantje gibt sich lässig und cool. Schade, dass es kein TV-Sender ist: Ihre Mimik zum Interview ist zu schön. Neben Swantje interviewen sie auch Sören. Ich lehne dankend ab und bereite den nächsten Cappuccino vor.
„Ich hätte dich filmen sollen“, frotzle ich, als das Team wieder weg ist. „So cool warst du nach den ersten Nachrichten nämlich gar nicht!“, stichele ich weiter.
„Na na na na naaa na, bla bla bla. – Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern!“ Swantje zeigt mir eine „lange Nase“ und tanzt um mich herum. Keine Spur mehr von Angst. „Was machen wir eigentlich an diesem „D-Day“, dem 19. April? Es ist ein Freitag.“
„Da habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Willst du nicht hier im Café bleiben und weiter Geld verdienen, mein kleiner Goldesel?“
„Du gönnst mir den Erfolg nicht! Sonst würdest du mich nicht damit ärgern!“, schmollt Swantje und macht dabei eine Schnute.
„Doch, doch. Aber ich hätte nicht gedacht, dass wir uns wieder ´mal so treiben lassen vom Geschäft!“ Bei Geschäft zeichne ich mit den Fingern zwei Anführungszeichen in die Luft. „Genau das wollten wir ja nicht mehr.“
„Das stimmt schon; aber wir haben – oder zumindest ich habe Spaß dabei. – Du nicht?“ Sie schaut mich mit ihren großen Augen fragend an.
„Und außerdem könnten wir einfach das Café zumachen für ein paar Tage oder ganz. Niemand schreibt uns da was vor. Wir sind der Boss!“ Sie zeigt mit den Daumen zuerst auf sich selbst und dann mit den Zeigefingern auf mich.
„Okay, ich geb‘ mich geschlagen, Boss!“ Ich nehme sie in die Arme und küsse sie.
„Hallo! – Seid ihr noch da?“ Diese Stimme ist bekannt.
„Hallo Karl! – Na klar. Wir mussten nur kurz auftanken…“
Swantje grinst und verschwindet in der Küche.
„Karl Kollingham, du warst ja schon ewig nicht mehr bei uns. Was darf ich dir bringen? Einen „Weltuntergangscappuccino“ oder lieber deinen heißgeliebten schwarzen Kaffee mit wenig Zucker?“
„Na, wie immer. Ich mach mir nichts aus dem ganzen Hype um diese blöde Wolke. Bin froh, wenn das alles vorbei ist – und wir dann immer noch hier sitzen…“ Seine Stimme wird leiser bei den letzten Worten. Mich fröstelt es augenblicklich, aber mir fällt nichts dazu ein.
„Wie meintest du das gerade?“, stottere ich ihn an, als ich ihm seinen Kaffee mit dem obligatorischen Cookie bringe. Das Café ist – wie immer um diese Zeit am Spätnachmittag – fast leer. Viele haben Feierabend, sind schon zu Hause oder gehen noch einkaufen. Da hat kaum noch jemand Lust auf einen gemütlichen Kaffee, Tee oder ein Gebäck. Karl kommt immer um diese Zeit. Wenn er denn kommt.
Er reagiert auf meine Frage gar nicht, schaut mich nur an.
„Karl, wo warst du die letzten Tage? Wir haben dich schon vermisst!“ Swantje setzt sich zu uns an den weißen Tisch und schaut Karl fragend an.
„Wo ich war? Tja, eigentlich schon da – und doch auch wieder nicht…“
„Du sprichst in Rätseln: „Da – und doch nicht da“... Das sind ja fast die gleichen Sprüche, wie ich sie vor ein paar Tagen beim Vortrag im Kindergarten hörte: Ich sehe ´was, ´was du nicht siehst!“, lacht Swantje und versucht Karl aus der Reserve zu locken.
Er grinst: „Schon gut. Hört sich wirklich kindisch an. – Naja: Ich saß meist vor irgendwelchen blöden Bildschirmen – entweder dem Fernseher oder dem Computer.“
„Wieso? Hast du ´was Bestimmtes gesucht oder beobachtet?“
Karl wird wieder etwas nachdenklicher. Man merkt ihm sein Alter echt nicht an. Er wird heuer schon siebzig! Im Herbst. Mit dem vollen Haar… - Na gut: Ein paar graue Haare sind auch schon dabei. Aber ansonsten überwiegt das schwarze Haar, und mit seiner positiven Ausstrahlung könnte man ihn glatt auf mein Alter schätzen.
Bei dem Gedanken wird mir komisch: Schau ich denn wirklich wie dreiundfünfzig aus? Ich fühl‘ mich jedenfalls noch lange nicht so alt.
Also: Karl jedenfalls könnte man auf fünfzig schätzen. Doch heute schaut dieser gleiche Karl mindestens aus wie fünfundsechzig…
„Ich hab‘ wenig geschlafen die letzten Tage. Mich hat diese blöde Dreckswolke nicht losgelassen. Die Medien berichteten zuerst ganz aufgeregt von „Weltuntergang“ und so.“ Karl verzieht die Mundwinkel dabei nach oben; sieht unecht aus. „Dann verfielen die gleichen Reporter in eine regelrechte Veranstaltungseuphorie: Mitfeiern auf Teufel komm raus!“
„Okay, und dann kommst du in dein Lieblingscafé und bekommst von mir einen „Weltuntergangscappuccino“ angeboten. – Blöd von mir!“
Karl lacht. Das fünfzigjährige Gesicht ist zurück.
„Jonny, das konntest du ja nicht wissen.“
„Stimmt. Aber, äh…, naja: Was hast du rausgefunden? – Oder was meintest du vorhin mit dem seltsamen Spruch? Mir lief es kalt den Rücken runter!“
Karl runzelt die Stirn.
„Sorry, mein Fehler. Ich wollte euch keine Angst machen. Sicher passiert auch nichts; die Wolke soll ja wirklich ungefährlich sein.“
Swantje wird unruhig, ich spüre das. Wir kennen Karl lange genug: Wenn er ein komisches Gefühl hat, ist immer was dran.
„Nun rede nicht drum herum! – Was denkst du von der Geschichte?“, bedränge ich ihn schon fast ein wenig.
„Ich hol dir noch einen Kaffee, geht aufs Haus.“ Swantje steht auf und lässt noch eine Tasse aus dem Gerät. Sie macht einen Umweg an der Tür vorbei, dreht auf „CLOSED“ und kehrt zu uns zurück. „Jetzt haben wir alle Zeit der Welt. Komm, rück raus: Was beunruhigt dich?“
Auch Karl hält nun dem Charme von Swantje nicht länger stand und plappert drauf los: „Naja, es ist kein „Ich weiß was“; es ist eher ein „Pass-auf-Gefühl“, das mich nicht mehr loslässt.“ Er runzelt wieder die Stirn und winkt ab. „Wie damals, bei 9/11: Ich sah zufällig damals im TV das erste Flugzeug in die Tower rasen und wusste – oder ahnte: ‚Da kommt noch was, das war noch nicht alles…‘ Den Rest kennt die ganze Welt. Jetzt habe ich das gleiche Bauchgefühl. Das beunruhigt mich.“
Karl schlürft seinen Kaffee und blickt auf die Straße von Solvang hinaus.
„Du meinst, da kommt anschließend noch so eine Dreckschleuder aus dem Universum?“
„Nein, das nicht. Ich weiß auch nicht. Vielleicht habe ich auch nur ein Magengeschwür! War ‘ne blöde Idee, euch beide mit meinem Hirngespinst zu belästigen. Sorry!“ Karl steht auf, schmeißt ein paar Dollar auf den Tisch und geht zur Tür. „War trotzdem gut mit euch darüber zu reden. Ich komm´ jetzt wieder regelmäßig – wenn ich noch darf…?“ Karl grinst wieder.
„Bloß zu, wir brauchen treue Kunden!“, ruft Swantje ihm zu.
„Und liebe Freunde!“, ergänze ich noch schnell, bevor Karl ganz draußen ist.
„Das war nun fast schon etwas gruselig, meinst du nicht auch?“
„Karl hat das manchmal. Damals bei Evon Ltd. hatte er auch solche Phasen. Manchmal behielt er Recht, manchmal lag er aber auch völlig daneben.“
„Trotz der guten Verkaufszahlen der letzten Tage bin ich froh, wenn die nächsten Wochen vorbei sind und dieses Ungetüm an uns vorübergezogen ist.“
„Mir geht’s auch so.“, stimme ich Swantje zu.
„Und – was machen wir nun am 19. April? Wir wurden vorhin irgendwie unterbrochen. Eine Idee habe ich schon.“ Swantje kommt mir ganz nah. Unsere Nasen berühren sich fast. Sie riecht so gut… Wir berühren uns nicht, und doch spüre ich ihren Herzschlag. Der wird immer schneller, bilde ich mir ein. – Oder ist es mein eigener? Ich spüre ihren Atem. Dann zieht sie mich am Shirt Richtung Küche.
„Ich brauch keine Zuschauer…“, haucht sie mir ins Ohr.
Die nächsten Wochen laufen weiterhin super im „Dream-Coffee“.
Auch Sören ist begeistert und lässt sich zu etwas hinreißen, was wir nie gedacht, nie geträumt hätten.
„Da steckt bestimmt Paula dahinter.“, vermutet Swantje später.
‚Der Meinung bin ich auch‘, denke ich mir.
An einem Dienstag kommt er nämlich rüber zu uns ins Café:
„Ich weiß, dass ich euch schon viel zu verdanken habe.
– Dir zu verdanken habe“, berichtigt er sich selbst mit einem Nicken zu Swantje. „Dich mag ich auch, Jonny. Aber die Ideen hat immer Swantje.“ Dabei zieht er verlegen seine linke Schulter leicht hoch. „Und da habe ich mir – oder eigentlich: Wir haben uns gedacht, wir laden euch ´mal zu einem Spa-Wochenende ein.“
Paula und Sören gehen sehr regelmäßig ins Santa Barbara Spa Del Mar. Das gönnen sich die beiden. Sonst arbeiten sie immer nur. Zumindest sind uns keine anderen Hobbies bekannt.
„Als Dankeschön für eure Unterstützung und so. – Mensch, ich bin kein großer Redner…“
„Das brauchst du auch nicht zu sein. Wir mögen dich wie du bist. – Mensch, klasse! Vielen Dank!“
Swantje umarmt den dürren Bäckermeister, der gar nicht weiß, wie ihm geschieht.
Ich belasse es bei einem kräftigen Händedruck: „Gute Idee! Da wollten wir auch schon ´mal hin.“
Sören nickt nochmal heftig, dreht auf den Hacken um und beeilt sich, aus dem Café zu kommen.
„Jetzt bin ich echt platt…“, gibt sich Swantje verwundert.
Die Tage plätschern so dahin. Der März vergeht wie im Flug. Die Tage werden länger und immer wärmer.
Die Staubwolkeneuphorie hält an, geschürt von allen Medien und den sozialen Netzen. Es scheint, als würde es wirklich ein weltweites Großereignis mit Festen und Partys aller Klassen überall auf dem Planeten werden. Immerhin sind wir vielleicht die einzigen Menschen, die je ein derartiges Weltraumspektakel miterleben dürfen. Die Wissenschaftler sind sich nun auch über den genauen Zeitpunkt einig: Bei uns hier im Bundesstaat California werden die ersten bemerkbaren oder sichtbaren Himmelserscheinungen am Freitagmorgen, dem 19. April um 10 Uhr 23 zu sehen sein. In mehreren Wellen, die sich aber kaum voneinander unterscheiden, geht das den ganzen Tag bis zum Samstag. Abends um 8 Uhr 54 an diesem 20. April soll dann alles vorbei sein.
Swantje und ich haben daher beschlossen, an diesem Freitag unser „Dream-Coffee“ extra lange geöffnet zu lassen und auf jeden Fall zusätzlich draußen auf dem Parkplatz Open-Air-Plätze anzubieten. Unsere jüngste Tochter Johanna und ihre Freundin Melli werden auch da sein und uns etwas unterstützen.
Am Samstag bleibt der Laden zu. Wenn das Wetter passt, fahren wir zur Mine raus und übernachten da. Die Sternennächte dort sind besonders beeindruckend. Kein Lichtsmog stört das Auge. Die Nächte sind klarer als in der Stadt, und die Anzahl der Sterne vervielfacht sich. Meint man zumindest!
Noch 18 Tage…
Sören hat sich kurzerhand entschieden, unsere „Dream-Coffee“-Party aktiv mit seinem Personal zu unterstützen. Swantje hat den Radiosender nochmals eingeladen, um vorweg ein wenig Werbung für die Party zu machen. Sie versteht das gut und wickelt mit ihrem Charme alle um den Finger.
„Stell dir vor, die Werbespots kosten uns fast nix.“, strahlt sie nach dem Gespräch mit den Reportern. „Die holen sich die nächsten zwei Wochen Kaffee „for free“ bei uns. – Das ist alles!“
Swantje strahlt übers ganze Gesicht. Sie macht gerne solche Deals. Überhaupt: Swantje liebt Sale-Zeiten, Coupons und Aktionspreise in allen Bereichen. Sie geht fast schon auf die Jagd nach Schnäppchen. Die Augen leuchten und das ganze Gesicht grinst, wenn sie wieder ein paar Dollar gespart hat.
„Dafür können wir dann wieder schön essen gehen oder es für den nächsten Urlaub nehmen.“, rechtfertigt sie diese Jagd- und Sammelleidenschaft.
Ich sehe das lockerer. Deshalb brauche ich eine Frau, die das Geld zusammenhält. – Nicht geizig sein; das mag ich auch wieder nicht. Der Mittelweg ist wichtig, und auf dem ist Swantje unterwegs. Ich persönlich mache mir nichts aus Geld: Nur bedrucktes Papier oder Zahlen auf dem Kontoauszug. – Okay, ich hatte in meinem Leben nie Geldsorgen. Es war immer ´was da, und meine Träume waren auch nicht so hochtrabend, dass es nicht gereicht hätte.
„Übrigens, als du beim Sender warst, wurden die Tische und Stühle geliefert. Stehen drüben bei Sören auf einer Palette.“
„Ja gut, dann fehlen nur noch die zusätzlichen Tassen und Teller. Unsere reichen nie…“ Sie runzelt die Stirn dabei. Da schaut sie ´nen Tick älter aus. Steht ihr aber auch!
„Glaubst du wirklich, dass so viele Leute kommen? Es laufen bestimmt jede Menge Partys in der Stadt.“, bin ich ausnahmsweise ein wenig pessimistisch.
Aber Swantjes Optimismus ist ungebrochen.
„Na klar. Nach dem, was ich so gehört habe, sind fast alle Feiern erst am Samstag, weil dann noch mehr Leute frei haben. Aber am Freitag hören auch schon viele früher mit ihrer Arbeit auf, kaufen noch für die Fete ein und sind dann froh, hier bei uns…“, sie deutet mit dem Zeigefinger auf sich, „…noch einen gemütlichen „Staubwolkenkaffee“ trinken zu können und das Spektakel schon ´mal zu erleben. Das ist meine Theorie!“ Mit erhobenem Zeigefinger beendet sie ihren Redeschwall, ganz wie eine schlaue Lehrerin vor ihrer Klasse.
„Na, dann kann ja nichts mehr schief gehen“, stimme ich beinahe kleinlaut zu.
Noch 3 Tage…
„Endlich wieder zu Hause. Es waren nur sechs Wochen, aber es kam mir viel länger vor…“ Johanna stürmt ins Haus. Wir hatten ihr Auto schon gehört. Wir umarmen uns und drücken uns ganz fest.
„Wo ist Melli?“, frage ich sie.
„Melli kommt nach, sie muss noch arbeiten. Sie fährt mit einem Kollegen, der in Los Angeles wohnt, am Freitag mit. Sie ist also rechtzeitig zur großen Party hier und kann helfen.“ So ist Johanna: Alle Informationen kompakt und knackig.
„Komm, erzähl uns von deinem Job bei Boeing. Ist es das, was du dir vorgestellt hast?“
„Lass uns erstmal was essen. Es ist schon spät und Johanna von der Fahrt sicher müde und hungrig“, bremst mich Swantje aus.
„Hunger: Gutes Stichwort“, stimmt Johanna zu und verschwindet mit Swantje um die Ecke Richtung Küche.
Schon beim Essen legt sie los: Sehr ausführlich schildert sie uns ihre ersten Wochen beim großen Flugzeugbauer.
„Die Teams sind sehr unterschiedlich. Manche nehmen dich gleich in die Mitte, und du gehörst sofort dazu. Andere „beschnuppern“ dich erstmal, und es dauert ein paar Tage, bis sie dich akzeptieren.“
„Naja, viel Erfahrung im Beruf bringst ja noch nicht mit. Damit bist du eher eine Last für das Team. Das kann ich schon verstehen.“
„Jetzt kommt gleich wieder: Damals bei mir im Team…“, Swantje äfft mich nach und senkt ihre Stimme ganz tief ab, „…war das auch so. Immer diese besserwissenden Studentenpraktikanten!“
Beide lachen laut. Johanna klopft mir aufs Knie.
„Ha-ha, Hauptsache, ihr habt was zu lachen! Auch, wenn´s auf meine Kosten ist!“
„Paps, wir wissen, dass du das aushältst!“
So geht das dann noch eine ganze Weile. Wenn Johanna mehr erzählt, können wir beruhigt sein. Das war schon früher so. Hat sie viel von der Schule oder einem Unterrichtsfach erzählt, hat es ihr gefallen. Alle Fächer, von denen wir nichts mitbekamen oder über die wir ihr die Informationen „aus der Nase“ ziehen mussten, waren eher kritisch.
Johanna findet gar kein Ende.
„Am besten gefällt es mir in der Forschungsabteilung. Und da ist gleich der Haken bei der Sache…“
„Welcher Haken?“, frage ich sie.
„Naja: Der Hauptsitz von Boeing ist ja Chicago. Und dort wird auch viel geforscht. Da würde ich gerne hingehen. Ich habe auch schon ein Angebot bekommen.“
Swantjes Blick trübt sich ein. „Wäre das für länger?“
„Vorerst für ein halbes Jahr. Das ist echt ein tolles Angebot für so einen Frischling wie mich.“, strahlt Johanna und zwinkert zu mir rüber.
„Tja, diese Chance solltest du dir nicht entgehen lassen. Und was ist mit Melli? Bleibt sie dann in Seattle?“
„Hm, ja schon. Ich weiß ja noch nicht, was nach dem halben Jahr geschieht. Vielleicht bekomme ich dann einen festen Job bei Boeing – wo auch immer?“
Wir plaudern noch über verschiedene Partys, die urigen Cafés und Geschäfte. Seattle bietet viel in dieser Hinsicht.
„Aber das Wetter nervt total. Viel Regen und immer so kalt.“
„Chicago ist nicht viel besser. Die Stadt wird auch „windy city“ genannt“, gebe ich zu bedenken.
„Ich weiß, aber ich werde im Sommer dort sein. Genauer gesagt: Am 14. Mai fahr ich.“ Johanna setzt ein künstliches Grinsen auf.
„Ach – wie…, was...?“, stottert Swantje.
„Nix: „wie, was“! – Du kennst doch unsere Kleine: Da ist alles organisiert und längst geplant! – Stimmt´s?“
Ich schau in erleichterte Augen: Johanna ist froh, dass es draußen ist. Sie nimmt ihr Leben in die eigenen Hände. Und das macht sie echt gut.
„Naja, ich dachte, das ist noch weit weg…“, murmelt Swantje etwas traurig vor sich hin.
„Aber Chicago ist ja nicht aus der Welt: Dort gibt es auch Wohnungen und ‘was zu essen“, beruhige ich Swantje und nehme sie in die Arme.
„Ja, stimmt schon… - Unsere „Kleine“ wird groß…“, seufzt Swantje.
„Das ist sie schon“, stelle ich fest.
7 Uhr 30 A.M.
Nun ist er da, der D-Day für die Staubwolke.
Wir gehen heute früher aus dem Haus. Das Wetter ist phantastisch: Strahlender Sonnenschein und schon richtig warm zu dieser Zeit.
Normalerweise sind wir gegen 9 Uhr im Café. Vorher geht sowieso nicht viel. Wir wollten bewusst kein Frühstückscafé sein, denn das würde hier nicht angenommen. Heute aber sind wir bereits kurz vor 7 Uhr 30 hier.
Kaum sind wir im Café, kommt auch schon Melli. Ihr Kollege Sam bringt sie vorbei, bevor er weiter nach Los Angeles zu seiner Familie fährt. Johanna begrüßt Sam nur kurz, dann fährt er weiter. Melli dagegen wird umarmt und abgeküsst, als wären sie zwei Wochen getrennt gewesen. „Das muss Liebe sein…“, denke ich.
„Hey Melli, willkommen in Solvang zur Arbeit!“, scherze ich und drück sie kurz.
Johanna hat sich für eine Frau entschieden. Mit Melli hat sie einen guten Fang gemacht. Melli ist höflich, witzig und offen. Sie gehört schon fast zur Familie.
„Tja, was will man machen, wenn man von Johanna so lieb gefragt wird? Außerdem freu´ ich mich auf das Essen von Swantje. – Wo ist sie?“
Ich deute mit dem Kopf auf die Bäckerei von Sören:
„Sie ist kurz zu Sören rüber: checken, ob alles klar geht heute.“
Wir bauen zusammen die Tische und Stühle rund um unser Café und auf dem kleinen Parkplatz zwischen uns und Sören auf. Melli packt gut mit an. Sie ist durchtrainiert und denkt mit. Das erleichtert den Job.
Im Radio bringen sie jetzt nur noch Informationen und News rund um die Wolke:
„Es wird langsam beginnen und sich dann steigern. Aber erwarten Sie keine Discobeleuchtung am Himmel: Es wird sehr gemäßigt ablaufen.“, beschwört ein Wissenschaftler aus San Francisco den Reporter.
Kurz vor 10 Uhr haben wir alles aufgebaut und sind bereit für den großen Ansturm – so er denn kommen wird. Noch sind wenige Leute unterwegs.
„Das wird schon noch. Abwarten!“
‚Swantje ist eine Hexe‘, denke ich, ‚Als ob sie meine Gedanken lesen könnte...‘
„Ich hab´s in deinen Augen gesehen!“ - Schon wieder!
10 Uhr 23 A.M.
Und sie soll Recht bekommen. Um 10 Uhr 23 ist der „offizielle“ Start. Die Wolke berührt erstmals unsere Atmosphäre. Aus allen Ecken strömen nun Solvanger und Besucher von außerhalb in unsere Richtung. Im Radio erfolgt zum wiederholten Male ein Aufruf, doch den gigantischen „Black-Sheep-Cloud-Plunder“ mit dem einmaligen „Black Cappuccino“ im „Dream-Coffee“ draußen zu genießen.
Swantjes Werbeengagement zahlt sich aus: Unsere Gäste sind begeistert: begeistert von Sörens leckerem Gebäck, von Swantjes unbeschreiblicher Cappuccino-Kreation und von meinen Stühlen. Es sind nämlich keine normalen Stühle: Es sind Liegestühle!
„Ein Café mit Liegestühlen. Das habe ich noch nirgends erlebt. A great idea!“, schwärmt eine bestimmt achtzigjährige aus Lompoc, wie sich beim Small Talk herausstellt. Sie ist extra zu uns rüber gefahren und hat noch zwei Freundinnen „eingepackt“. Sie hatte im Radio von unserer Party erfahren und wollte unbedingt das Black-Plunder-Gebäck probieren.
„So können Sie ihren Kaffee und das Himmelsschauspiel gleichermaßen genießen.“, preise ich die Liegestühle an.