Aus gleichem Holz - Marion Fayolle - E-Book

Aus gleichem Holz E-Book

Marion Fayolle

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Beschreibung

Ein Bauernhof im Südosten Frankreichs. Hier verbringt man sein ganzes Leben unter demselben Dach, man wird im linken Bett geboren, stirbt im rechten, und in der Zwischenzeit kümmert man sich um die Tiere im Stall.Weit weg von den Verlockungen der Stadt wird sie groß, die »Kleine«, bei der besorgten Mutter, der rührenden Oma, dem fleißigen Opa und dessen Bruder, den man lieber im Hinterzimmer versteckt. Und natürlich mit den Kühen, die ihre Kälber ablecken, den Kaninchen, die irgendwann dran glauben müssen und den Kindern die weißen Schwänze bescheren, für Spiele, die man immer schon gespielt hat. Wenn »die Kleine« die Wörter der Oma, die Gesten des Opas oder die Gesichtszüge der Mutter beobachtet, kann sie sehen, wie alle etwas weitertragen – bis hin zu ihr. Zart und herb zugleich beschreibt Marion Fayolle eine Welt, scheinbar unveränder- lich und außerhalb von Zeit und Raum. Und doch machen sich in ihren Fugen erste Risse bemerkbar, weil sie eingeholt wird vom Tod und der Moderne. Ein Roman wie ein verspielter und melancholischer Abschied, ein sanfter und tiefer Blick auf einen Hof, dem man irgendwann entfliehen musste, um etwas Eigenes erschaffen zu können.

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Seitenzahl: 108

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der Hof

Ein lang gestrecktes Gebäude, auf beiden Seiten Wohnräume, dazwischen der Stall. Der linke Teil ist für die junge Generation, die den Hof übernommen hat, der rechte für die Alten. Man arbeitet, man wird müde, und eines Tages landet man am anderen Ende. Weil es praktischer ist, da gibt es ein Zimmer auf ebener Erde, die Treppe ist nicht so steil, die Räume scheinen fürs Altwerden gemacht. Außerdem, wenn dann einer gestorben ist, meistens der Mann, sind die Kinder am anderen Ende, das beruhigt, hilft gegen die Einsamkeit, sie schauen im Vorbeigehen, ob Licht brennt, ob die Fensterläden offen sind, ob da Wäsche hängt, sie kommen auf einen Sprung herein, ziehen die Stützstrümpfe hoch, zählen die Tabletten für den Blutdruck nach und sind etwas genervt über die taub gewordenen Ohren.

Und eines Tages merken auch sie, dass es härter wird, nachts wegen der kalbenden Kuh aufzustehen, dass ihnen alles wehtut. Sie wissen schon, bald werden sie es sein, die in den rechten Flügel wechseln, die Zimmer fürs Lebensende beziehen. Aber solange die Omama noch da ist, sind sie beruhigt, das heißt, sie haben noch Zeit. Sie haben noch den Stall zwischen sich und dem anderen Ende. Ja, schon, sie ist manchmal mühsam, die Omama, wie sie nichts mehr versteht, sich in alles einmischt, vom lieben Gott spricht, aber man kümmert sich um sie, denn es hat gar keine Eile, dass sie ihren Platz räumt und dass die Zeit kommt, die einen in den rechten Wohnraum ziehen lässt, wo man in dem Bett schläft, in dem die Eltern, die Großeltern, die Urgroßeltern und all die Ur-ur-urs gestorben sind.

Die Kinder, sie laufen hin und her und verbinden die beiden Enden, bringen den Eltern frische Eier, der Omama leere Töpfe. Sie stolpern über das Pflaster und sehen ihre Zukunft durch die Fensterscheiben.

Hier verbringt man sein ganzes Leben unter demselben Dach, man wird im Bett links geboren und stirbt in jenem rechts, und dazwischen kümmert man sich um die Tiere im Stall.

Da stehen sie in Reih’ und Glied, auch ihr Weg ist vorgezeichnet. Beim Eingang die kleinen Kälber, etwas weiter weg die Färsen, dann die Mütter und zuletzt die Alten, die bald fortgehen. Die Kinder lernen früh die Arbeit mit den Tieren, sie stapfen mit Stöcken dieser Versammlung von Hintern hinterher. Sie wissen, was die Vulven sagen, wenn es anschwillt, wenn es blutet, wenn die Schwänze sich heben, das Becken hohl wird, wann man die Eltern rufen muss, da die Kuh zu kalben beginnt. Sie sehen, wie geboren und gestorben wird, denn das kommt vor, und man muss sich abhärten.

Sie sehen auch die Omama alt werden, man verbirgt sie nicht vor ihnen in einem Heim, und sie müssen stark sein, für den Fall, dass sie es sind, die eines Tages beim Zurückbringen der leeren Schüssel die Omama leblos auffinden. Der Tod der Kälber, der so kleinen, süßen, übt sie darin, auch den Tod der Alten anzunehmen, wie man sagt.

Die Kleine

Es ist eine seiner besten Kühe, ohne Marotten, die immer leichte Geburten hat, nie ein entzündetes Euter und gut gedeihende Kälber. Aber jetzt ist sie wie ausgewechselt. Er will das Kalb zu ihr legen, sie schlägt mit den Hinterbeinen aus, schwenkt die Hörner. Sie ist böse, macht euch davon, Kinder, fort aus dem Stall. Er spricht in Dialekt mit der Kuh, beruhigt sie. Warum nur nimmt sie dieses Kalb nicht an? Wäre sie nicht angebunden, würde sie es töten, da ist er sich sicher. Was ist sie doch böse. Wenn es ihr erstes Kalb wäre, würde er sie nicht behalten, er würde sich ohne Weiteres von ihr trennen, aber die hier ist seine liebste, die immer sanft war, die sogar die Zwillinge ihrer Nachbarin annahm, als die nicht genug Milch hatte. Weißt du noch, sagt er zu seiner Frau, weißt du noch, was für eine gute Mutter sie war letzten Winter. Was ist mit diesem Kalb, dass sie es nicht säugen will? Es ist ein Brocken, das schon. Nur mit den Ketten haben sie es rausbekommen, sie konnte es nicht selbst loswerden. Er ärgert sich, er hat den Stier schlecht gewählt, die Kälber sind zu stämmig, das macht die Kühe kaputt, er konnte es nicht wissen, aber jetzt, jetzt ist es ja durchgestanden, das Kalb hat keinen Schaden, der Mutter geht es gut. Warum will sie es denn nicht ansehen, mit der Zunge säubern, beschnuppern, warum ist sie so böse geworden?

Sonst schaut er von Weitem immer gerührt zu, wie Kuh und Kalb sich begegnen, sich ablecken, er freut sich, wenn das Kalb schon stehen kann und die Zitze zu fassen kriegt. Im Halbdunkel des Stalls erkennt er an diesem Tag sein Tier nicht mehr wieder. Kinder, geht ins Haus, fort mich euch, das ist nicht schön anzusehen.

Die Kuh rempelt ihr Junges an. Es hält sich kaum auf seinen langen, zarten Beinen, so staksig wie Stelzen, und als es die Wärme seiner Mutter sucht, stampft sie, bedroht es mit ihren Hörnern, rasselt mit den Ketten und stößt den neugeborenen, noch blutbesudelten kleinen Körper um, wirft ihn auf den kalten Stallboden. Wie böse sie ist, bleibt nicht hier, Kinder, geht ins Haus. Wie böse sie ist. Sie wird es noch töten, wenn man sie machen lässt. Was ist nur mit diesem Kalb, dass es seine Mutter so böse gemacht hat. Eine so sanfte Kuh, die erste in der Reihe, extra hat er ihr diesen Platz bei der Stalltür gegeben, um ihre Augen, den Kopf und die Ohren zu sehen, denn von den andern sieht man nur den Schwanz.

*

Die Geburt dauert lange, das ist oft so beim Ersten. Das Kind will sich nicht senken, oder umgekehrt, sie hält es zurück. Die Hebamme erklärt ihr, jede Wehe sei ein Schritt des Kindes auf sie zu, sie müsse es willkommen heißen. Schon, aber sie kann die Wehen gar nicht spüren. Nach der Spritze fühlt sie nichts, sie presst vielleicht nicht im richtigen Moment, sie presst, wenn man es ihr sagt, und so, wie man es ihr erklärt hat.

Ihr kommt die Kuh in den Sinn, sie hätte auf ihren Vater hören sollen, nicht dabeibleiben, aus dem Stall gehen, nicht zuschauen sollen. Sie hat Angst, sie will nicht böse werden, sie fragt sich, ob es möglich ist, sein Kind nicht zu lieben.

Man sagt ihr, sie solle sich entspannen, man muss den Arzt holen, man wird die Zange brauchen, das Kind gibt langsam auf, man weiß nicht, warum es nicht mitmacht, warum es sich nach jeder Wehe wieder so tief zurückzieht.

Man legt ihr die Kleine auf die Brust, sie möchte das Kind ablecken, sie küsst es, atmet seinen Duft ein, und nein, sie verspürt keinen Impuls, es zu töten. Sie kann es nicht mehr aus den Augen lassen. Sie macht alles wie die anderen Mütter, und noch mehr. Alles, was dazugehört, sie badet und stillt es, sie summt, wiegt und schmiegt es an ihre Haut, den ganzen Tag und in der Nacht, auch wenn davon abgeraten wird. Die Wunde tut ihr weh, aber was soll’s, sie will, dass es dem Kind gut geht, sie will da sein, es nicht allein lassen, nicht einmal zum Schlafen.

 

Die Kleine nimmt kaum zu, und das macht ihr Sorgen. Es scheint ihr, sie brauche länger als die Babys der Nachbarzimmer, um sich zu beruhigen, sie trage eine Art Angst in sich, etwas, das nicht normal ist. Ein Kind, das mit der Zange geholt wurde, kann nicht ganz gelassen sein, die Kleine wird zur Ruhe kommen, die Geburt war auch für sie nicht einfach. Sie krümmt sich, bestimmt wegen der Verdauung. Vielleicht liegt es an der Milch, was, wenn sie nicht gut genug wäre, ihr Kind zu ernähren, sie gerät in Panik. Legt sie wieder an die Brust, die Kleine regt sich schnell auf, kriegt die Brustwarze nicht zu fassen, verliert sie, macht seltsame Laute mit den Lippen, sie schläft nicht ein, hat die Augen offen, hält sogar Blickkontakt, entspannt sich nie, ihr Körper windet sich wie ein Wurm, verkrampft und verknotet sich.

Es ist ihr erstes Kind, bestimmt macht sie sich unnötig Sorgen. Sie wandert stundenlang durch die Gänge der Klinik, liest die Zahlen an den Zimmertüren, schaut die schlafenden, zufriedenen Babys mit den hochgelegten Ärmchen an, sie gibt ihr Bestes, um ihr kleines Nervenbündel zu beruhigen, aber im tiefsten Grunde weiß sie Bescheid. Sie weiß, dass die Kleine etwas in sich trägt, das alle auf der Seite ihres Mannes in sich tragen, etwas, das man nicht benannt hat.

Eine Art Zerbrechlichkeit ist es, die den Mann trinken und zu viel arbeiten lässt. Sie dachte, Vater zu sein, würde ihn verändern, ihn stärker und präsenter machen, aber nein. Um ihre Kleine nicht allein großzuziehen, verbringt sie viel Zeit auf dem Hof, kehrt schließlich zu ihren Eltern zurück.

*

Noch nie hat man ein solches Kind gesehen, das nichts runterbringt, das kein Essen mag, nicht einmal etwas mit Kartoffeln, mit geschmolzenem Käse, mit Zucker. Für Omama ist Essen das Wichtigste überhaupt, Kochen ist ein Liebesbeweis. Deshalb betrübt es sie zutiefst, die Kleine stundenlang vor ihrem Teller zu sehen, wie sie alles sortiert, die Ränder vom Fleisch schneidet, weil sie ihr zu hart sind, jeden kleinsten Nerv entfernt. So gutes Fleisch, von den Tieren des Hofs, die hier groß geworden sind, die eine ganze Landschaft abgegrast haben, ein Leben lang. Und sie, sie macht daraus kleine Häufchen, stochert im Fleisch, schneidet die Borten weg, drückt darauf herum, damit der Saft austritt. Ihr Fleischstück sieht aus wie die Häkelarbeit der Urgroßmutter, ganz durchlöchert, sie pickt winzige Stückchen heraus. Man sieht wohl, dass es keine böse Absicht ist, dass sie einen zu empfindlichen Gaumen hat, aber trotzdem, die ganze Familie ist es, die sie zerlegt, die sie auf ihrem Teller zerpflückt. Die Arbeit eines ganzen Lebens macht sie kaputt, spuckt sie aus, kriegt sie nicht runter, all diese Liebe, die sie sich zu schlucken weigert, das ist es, was im Herzen wehtut.

*

Was hat das Kind nur, dass es ständig heult?

Man klopft ans Barometer. Wenn es endlich regnen würde!

Komm, hör auf zu schniefen, du weißt ja gar nicht mehr, warum du weinst. Omama zieht ein Taschentuch aus dem Ausschnitt. Wisch die Tränen ab, jetzt reicht’s.

Man klopft ans Barometer, schaut, woher der Wind bläst, wartet auf den günstigen Mond. Wenn es endlich regnen würde! Man hat die Wiese noch nie so trocken gesehen. Und die Quelle? Was ist, wenn sie versiegt. Keine Angst, das ist noch nie passiert.

Was hat die Kleine nur? Mit ihrem Kummer kann man den Garten nicht wässern. Sonst wäre man die Sorge los. Es bräuchte einen leichten Regen. Aber jetzt wird es schütten. So ist es oft hier oben, man ist den zuckenden Blitzen ausgesetzt. Es kracht, dass das ganze Haus zittert: Die Läden werfen sich gegen die Mauer, die Kinder an die Mutter. Das Gewitter wütet, lauter als die Kleine.

Bis es sich schließlich beruhigt.

Der Onkel, der Schwiegersohn von Opapa und Omama, macht einen Rundgang über die Weiden. Zwei stocksteife Kühe liegen unter den großen Bäumen. Verdammter Mist.

Was? Nicht vor nächster Woche? Aber da beginnen sie zu stinken, aufzuquellen, Aasfresser anzuziehen. Kannst du den Abdecker nicht noch mal anrufen und ihm Beine machen? Wenn die Kleine das sieht, hört das Weinen gar nicht mehr auf.

Weißt du noch, letztes Mal, als sie überzeugt war, dass ihre Wut die Tiere erschlagen hätte.

*

Man geht mit der Kleinen zu Heilern, zu Hexern. Man reibt sie mit Speckschwarten ab, vergräbt die dann tief in der Erde, man lässt sie ihr Leid malen und verbrennt es in einem großen Feuer, man sagt, das funktioniere, das helfe loszuwerden, was einen plagt. Die Kleine trinkt Kräutertee, aus Pflanzen, die extra dafür gewachsen sind. Sie hat einen Termin bei einem Heiler, der seine Hände über ihren Körper wandern lässt, wie eine Massage, aber ohne sie zu berühren. Er fängt mit den Gedanken die Dämonen der Kleinen ein, und danach muss er gähnen. Er erklärt, dass alles wieder aus seinem Mund herauskommt und sich dann auflöst. Er gähnt und gähnt und hört überhaupt nicht auf zu gähnen. Unglaublich, wie viele Dinge da rausmüssen! Sie soll wiederkommen, es braucht weitere Sitzungen, um sie ganz zu reinigen, zu besänftigen. Der Mann öffnet das Fenster, damit alles, was aus ihr herausgekommen ist, aus dem Zimmer verschwindet.

*