Ausgelacht: DDR-Witze aus den Geheimakten des BND. Kein Witz! Gab´s wirklich! -  - E-Book

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Beschreibung

Alles streng geheim: Jahrelang sammelten Agenten des Bundesnachrichtendienstes mit vollem Ernst politische Witze aus der DDR, werteten sie aus und reichten eine Auswahl davon sogar an den Bundeskanzler weiter, versehen mit dem Stempel »Verschlußsache - Nur für den Dienstgebrauch«. Die Herausgeber der Witzesammlung berichten in ihrer Einleitung davon, wie politische Witze als Stimmungsbarometer für die Lage im real existierenden Sozialismus dienten. Sie informieren zugleich darüber, wie hart Witzerzähler in den frühen Jahren der DDR mit Gefängnis bestraft wurden. Und trotzdem: Je näher das Ende des Arbeiter- und Bauernstaates rückte, umso schonungsloser wurden Honecker und Genossen vom eigenen Volk ausgelacht.

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ISBN: 978-3-641-30409-6V001

© 2023 by Bassermann Verlag, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München© Aufbau Verlage GmbH & Co. KG, Berlin 2015

Die Originalausgabe erschien 2015 im Ch. Links Verlag, Berlin. Ch. Links Verlag ist eine Marke der Aufbau Verlage GmbH & Co. KG.

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Grafiken im Buch: Stephanie Raubach, Berlin Covergestaltung: Atelier Versen, Bad AiblingSatz: Agentur Marina Siegemund, Berlin

Inhalt

Hans-Hermann Hertle, Hans-Wilhelm SaureDie BND-Geheimoperation »DDR-Witz«Ein Essay

Politische Witze

Weltniveau

Von der Sowjetunion lernen …

Honecker, die SED und der realexistierende Sozialismus

Stasi

Volkspolizei

Die Mauer und der Westen

Wunderwirtschaft

Hauptstadt und Bezirke

Endzeit(stimmung)

Ausgewählte Parolen der Oktoberrevolution 1989

Anhang

Anmerkungen

Politische Witz-Sammlungen (Auswahl)

Endnotenverzeichnis

Angaben zu den Herausgebern

Hans-Hermann Hertle, Hans-Wilhelm Saure

Die BND-Geheimoperation »DDR-Witz«

Ein Essay

Bundeskanzler Helmut Kohl und der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker bei einem Treffen. Kohl: »Was wurde eigentlich aus der alten Devise ›Den Kapitalismus überholen ohne einzuholen‹?« Honecker: »Wir haben jetzt eine neue Devise. Wir überspringen den Kapitalismus einfach.« Kohl: »Wie soll das funktionieren? Wie weit seid ihr damit?« Honecker: »Wir sind gerade in die Knie gegangen!« (1989)

I.

Vor dem Umzug nach Berlin im Jahr 2019 lag die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes abgeschirmt hinter hohen Mauern und Stacheldraht im bayerischen Pullach bei München. Videokameras beobachteten jeden Fußgänger, der sich dem Hochsicherheitstrakt näherte. Schilder warnten: »Fotografieren verboten. Zuwiderhandlungen werden mit Geldbuße bis zu 10 000 DM geahndet«. Spaß verstand hier offenbar keiner. Und trotzdem beschäftigten sich Agenten des bundesdeutschen Geheimdienstes in Pullach während des Kalten Krieges ganz ernsthaft mit Witzen. Mit politischen Witzen aus der DDR – wie dem von Honecker und Kohl über die alte DDR-Parole »Überholen ohne einzuholen«. Konspirativ gesammelt durch Quellen des Bundesnachrichtendienstes, auf verschlungenen Wegen aus der DDR direkt in die Zentrale nach Pullach übermittelt. Alles streng geheim! »Verschlußsache – Nur für den Dienstgebrauch!« Politische Witze als Stimmungsbarometer für die Lage im Arbeiter- und Bauernstaat.

Jahrzehntelang war die »Operation DDR-Witz« ein Staatsgeheimnis der alten Bundesrepublik, erst 2009 gab der BND die Witz-Akten frei.1 Zuletzt zweimal im Jahr stellten die geheimen Mitarbeiter des BND eine Sammlung der anfänglich nur geflüsterten und zuletzt immer offener erzählten Scherze über Erich Honecker und den Alltag in dem von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) beherrschten ostdeutschen Staat zusammen. Das Konvolut der geballten Häme landete direkt auf dem Schreibtisch des BND-Präsidenten. Geheimagenten, die Witze sammeln. Das klingt wie ein Scherz, ist aber keiner.

»Die DDR nahm bis zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 einen zentralen Teil des BND-Auftragsprofils ein. Neben politischen, militärischen und wirtschaftlichen Informationen sollte auch die Stimmungslage der Bevölkerung, die sich oftmals in ironischen Bemerkungen ausdrückte, Aufschluss über die tatsächliche Situation in Ostdeutschland geben«, erklärt die BND-Forschungs- und Arbeitsgruppe »Geschichte des BND« auf Anfrage und ergänzt: »Da vielen Witzen auch immer ein Körnchen Wahrheit innewohnt, konnte das Sammeln von Witzen zumindest einen ergänzenden Eindruck von der Lage vor Ort vermitteln.«2

007 auf der Suche nach den neuesten Witzen über die Führungskader der SED und das alltägliche Leben in der DDR. Waren es wirklich Top-Agenten in geheimer Mission, die in schummrigen DDR-Kneipen konspirativ die Ohren spitzten? Der Bundesnachrichtendienst erklärt es so: »Mit Masse entstammen die Witze der Gesprächsaufklärung in die DDR reisender nachrichtendienstlicher Verbindungen des BND. Aber auch in Befragungsoperationen von in die Bundesrepublik reisenden DDR-Bürgern konnten Witze gesammelt werden.«3

Soll heißen: Es waren tatsächlich vor allem BND-Agenten – die sogenannten nachrichtendienstlichen Verbindungen – die sich in der DDR nach den neuesten politischen Witzen umhörten. Wer die Witz-Spione namentlich waren, darüber gibt der BND bis heute keine Auskunft und auch keine Akten heraus. Alles immer noch streng geheim! Begründung: Quellenschutz.

»Befragungsoperationen von in die Bundesrepublik reisenden DDR-Bürgern« als weitere Quelle von Witzen gab es vor allem in Notaufnahmelagern, in denen Flüchtlinge und Ausreisende in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft im Westen untergebracht wurden. Im Lager Friedland (Niedersachsen) arbeitete schon ab 1958 eine eigene Abteilung des BND – die »Hauptstelle für Befragungswesen« (HBW), ähnlich auch in den anderen Notaufnahmelagern wie Gießen oder Berlin-Marienfelde. Die HBW-Mitarbeiter erkundigten sich bei DDR-Flüchtlingen und Aussiedlern offensichtlich nicht nur nach politischen und militärischen Informationen, sondern auch nach den aktuellsten Witzen aus der DDR. Seit 1986 wurden die BND-Befragungen in den Lagern, aber auch von Reisenden aus der DDR, intensiviert und systematisiert.4 Sogenannte Zugbefrager des BND stiegen auf den westdeutschen Grenzbahnhöfen in die Interzonenzüge, um mit DDR-Reisenden ins Gespräch über die Verhältnisse in der DDR zu kommen – und notierten dabei auch Witze. Das taten auch die Beamten des Bundesgrenzschutzes und des Zolls verschiedener Bundesländer an den innerdeutschen Grenzübergängen – und leiteten die Kalauer über das Grenzmeldenetz (GMN) an den BND weiter. Schließlich füllte der BND sein DDR-Witzaufkommen auch durch die Öffnung von Briefen aus der DDR5 und das Abhören des Telefonverkehrs zwischen Ost und West auf. Und nicht zuletzt war es dem BND gelungen, mit der Operation RINDE den Richtfunkverkehr anzuzapfen, über den die SED-Funktionäre ihre Gespräche führten. Auch dort erzählte Witze fanden ihren Weg zu den Auswertern in Pullach. Experten zufolge beschäftigte das mit der politischen Auswertung aller Meldungen zur DDR befasste BND-Referat 32 C sieben Referentinnen und Referenten sowie weitere Sachbearbeiter, Sekretärinnen und Dokumentare, insgesamt ca. 20 Personen. Mitarbeiter mit den Decknamen »Rust« und »Gutenstein« stellten die Witzsammlungen zusammen, der Leiter des Referats 32 C, Deckname »Schönbeck«, reichte sie nach oben weiter.6

In den freigegebenen BND-Witz-Dokumenten findet sich als Quelle vereinzelt auch der Begriff »Fundgrube«. Bodo Hechelhammer, Leiter der Forschungs- und Arbeitsgruppe »Geschichte des BND«, erklärt dazu: »In der ›Fundgrube‹ wurden alle Witze, Anekdoten, ironischen Bemerkungen etc. gesammelt, die nicht über die operativen Meldewege eingingen. Beispielsweise handelt es sich hierbei um bei der Presseauswertung angefallenes Material.«7

Politische Witze im Kalten Krieg. Entstammten sie wirklich alle dem Volksmund? Gerüchteweise wurde ihre Erfindung in der Spätzeit der DDR auch schon einmal dem SED-Zentralkomitee nachgesagt. Als Absicht wurde unterstellt, damit das Volk bei Laune zu halten. In der Hoffnung: Wer über uns lacht, rebelliert (vielleicht) nicht gegen uns. Andere Verschwörungstheoretiker dagegen glauben bis heute, dass sie bis zum Ende der DDR das Werk antikommunistischer Aktivitäten aus dem Westen waren. Tatsächlich hatten überwiegend geheimdienstlich finanzierte antikommunistische Gruppen in den 1950er-Jahren vom Westen aus Witzsammlungen und Satireblätter wie die »Tarantel« in die DDR eingeschmuggelt. Auch verbreiteten Rundfunkstationen wie der West-Berliner RIAS und Radio Freies Europa politische Witze. Hat sich auch der BND noch Ende der 1970er- und in den 1980er-Jahren selbst politische Witze ausgedacht und versucht, diese zur Destabilisierung der DDR in Umlauf zu bringen? Der BND antwortet auf diese Frage mit einem einzigen Wort, versehen mit einem Ausrufezeichen: »Nein!«8

Vom RIAS wurde besonders Lord Knud, Gründungsmitglied der Pop-Gruppe »The Lords« und in den 1970er- und 1980er-Jahren Kult-Moderator der RIAS-Sendung »Schlager der Woche« gerade auch in der DDR berühmt – vor allem wegen der von ihm zusammengestellten Musik, aber auch wegen seiner bissigen DDR-Witze. Seine Erklärung über die Herkunft der Witze gegenüber dem Dokumentarfilmer Lew Hohmann: Die DDR-Witze seien fast ausschließlich aus dem Osten gekommen, entweder per Anruf oder per Post an eine RIAS-Deckadresse. Oder DDR-Bürger, die reisen durften, hätten ihn besucht, oder umgekehrt habe er oft Bürger in der DDR besucht. Nichts sei für die Herrschenden in der DDR offenbar so gefährlich gewesen wie ein guter Witz, so Lord Knud; jedenfalls habe die Stasi im Sender einen Spitzel auf ihn angesetzt.9

II.

Politische Witze aus der DDR und den kommunistischen Ostblockstaaten waren im Westen seit jeher ein Objekt der Sammelleidenschaft. Und anders als der BND hielten viele private Sammler – darunter in die Bundesrepublik ausgereiste DDR-Bürger und Emigranten aus Ostblockstaaten – ihre Funde nicht unter Verschluss, sondern veröffentlichten sie.10

So rückte etwa im Jahr 1961, als der Bau der Berliner Mauer die deutsche Teilung zu verewigen drohte, der Autor Ulli Kracht politische Witze in den Mittelpunkt seiner Sammlung »Pankow scharf pointiert«. Er wertete sie als Beweis für den anhaltenden »Drang zur Freiheit« und den inneren Abstand zum System in »Mitteldeutschland«: »Die Existenz des politischen Witzes ist ein Beweis dafür, dass sich viele Menschen in der äußeren Unfreiheit die persönliche Freiheit des Denkens bewahrt haben, drücke sie sich auch nur im schweigsamen – und doch schon gefährlichen! – Anhören eines politischen Witzes aus. Diese Freiheit reicht aber auch bis zur geistigen Auflehnung derer, die den Ungeist der Unfreiheit geißeln, indem sie den politischen Witz verbreiten.«11 Die Witze selbst wurden zum größten Teil aus Interviews mit »jüngst geflohenen Sowjetzonenbewohnern« gewonnen und diese Gespräche zugleich zur Klärung der Fragen genutzt, »wann, wo, wie, von wem und in welchem Kreise« Witze in der DDR erzählt und gehört wurden. Die Gesamtzahl der Gesprächspartner blieb unerwähnt. Die Auswertung war sicher kaum repräsentativ, aber die Ergebnisse waren gleichwohl interessant. Danach berichteten 78 Prozent der Befragten, häufig politische Witze gehört zu haben – zumeist von Parteilosen erzählt, zu einem nicht geringen Anteil aber auch von SED-Genossen (26 Prozent). Fast 90 Prozent hörten die Witze an ihrem Arbeitsplatz, kaum jemand in der Familie oder in der Kneipe. Zumeist wurden sie geflüstert, jedoch auch offen erzählt (40 Prozent). Von Bestrafungen bzw. Disziplinierungen deswegen wussten 17 Prozent der Befragten zu berichten.12

Trotz aller Strafen bringe der »kommunistische Alltag mit seiner himmelschreienden Diskrepanz zwischen menschheitsbeglückendem Anspruch und seiner trostlosen Wirklichkeit« unentwegt neue Witze hervor, schickte Mischka Kukin – das Pseudonym wird dem als »Nazi-Jäger« bekannt gewordenen Simon Wiesenthal zugeschrieben – seiner Anthologie »Humor hinter dem Eisernen Vorhang« voraus. Mit diesen Witzen rebelliere »das Volk gegen das verlogene Pathos derer, die es angeblich in eine bessere Zukunft« führten; es protestiere damit »gegen eine überhebliche Bürokratie, gegen die ›geplante‹ Misswirtschaft, gegen die Protzerei der ›neuen Klasse‹, gegen das permanente Bevormunden und Schurigeln.«13

Die Funktion des systemkritischen politischen Witzes, schloss Kurt Hirche 1964 in seiner Abhandlung »Der ›braune‹ und der ›rote‹ Witz« daran an, bestehe darin, politisch ein bestehendes Staatssystem und seine Träger anzugreifen, soziologisch den Zusammenschluss der Angreifer zu fördern und »psychologisch den Menschen, die gegen ihre Unterdrückung aufbegehren, neue seelische Energien für ihren Kampf zu vermitteln«.14 Zweifellos sei der politische Witz eine Waffe im Kampf gegen die Machthaber und die Machtverhältnisse – aber eben nur eine der vielen Waffen, die im politischen Kampf benutzt werden und die dann in ihrer Gesamtheit bestimmte Wirkungen auslösten.15 Hatte Kukin noch deklamiert, »Diktatoren und Diktaturen werden durch Lächerlichkeit nicht getötet«16, argumentierte Hirche, dass bezogen auf die Nazi-Zeit der politische Witz fraglos »zu der allmählichen Zersetzung der Hitlermacht beigetragen« habe.17 Vielleicht sei dessen Wirkungsanteil sogar größer »als der von illegalen Druckschriften und Flugblättern, die immer nur einen kleinen Teil des Volkes erreichten, indessen der politische Witz wortwörtlich in aller Munde war«.18 In dieser Hinsicht, so Hirche 1964, sei »der Anti-SED-Witz, der antikommunistische Witz« noch »am Werke«.19

Hirche veröffentlichte rund 800 auf den Nationalsozialismus und 400 auf die DDR bezogene politische Witze – und verzichtete dabei auf zahlreiche »rote« Witze, »weil es sich bei ihnen nur um abgewandelte Wiederholungen ehemals brauner Witze« gehandelt habe.

Damit ist das Phänomen des »Wanderwitzes« thematisiert, das sich in dem überspitzten Bonmot verdichtet, es gebe gar keine neuen politischen Witze, sondern nur neue Situationen und ein neues Publikum.20 Politische Witze wandern, immer an die neuen Verhältnisse angepasst, durch die Jahrhunderte. Im 20. Jahrhundert mutierten Anti-Nazi-Witze durch Begriffs- und Namensaustausch zu Anti-SED- oder Anti-Sowjet-Witzen. Die Ähnlichkeit der Machtstruktur und Machtverhältnisse legte es zudem nahe, Witze aus der Sowjetunion durch personelle und geringfügige nationale Anpassungen auf die übrigen Ostblock-Länder als sogenannte Bruder-Staaten zu übertragen. Und nach einem Wechsel im Amt der Generalsekretäre der kommunistischen Parteien waren die Witze gegen den Nachfolger durch einfachen Namensaustausch genauso schnell im Umlauf wie der neue Parteiführer im Amt. So mutierten in der DDR zahllose Anti-Ulbricht-Witze nach dessen Sturz im Mai 1971 in kürzester Zeit zu Anti-Honecker-Witzen.

III.

Seltsamerweise haben – anders als der Bundesnachrichtendienst und die Herausgeber der Witz-Anthologien – weder die westliche DDR-Forschung bis 1989 noch die Zeitgeschichtsforschung im vereinigten Deutschland bis heute dem Genre des politischen Witzes größere Aufmerksamkeit geschenkt.

Zu den Ausnahmen gehört der Osteuropa-Historiker Jörg Konrad Hoensch. Im Jahr 1972 warb er dafür, den am politischen Tagesgeschehen orientierten Ostblock-Witz »als lebendiges Anschauungsmaterial zur Zeitgeschichte« zu betrachten.21 Der anonyme politische Flüsterwitz des Volkes, so Hoensch, vermöge »die lauteste Propaganda, die gängigste Phrase, die raffinierteste Lüge zu enttarnen, den routiniertesten Dialektiker zu verunsichern und die öffentliche Meinung selbst im totalitären Staat, der ansonsten alle oppositionellen Regungen radikal im Keim erstickt, insgeheim und durch unkontrollierbare Kanäle in einem – wenn auch beschränkten – Maß zu beeinflussen«.22 Gerade unter totalitären und autoritären Regimen, »die sich zur Aufrechterhaltung ihres absoluten Herrschaftsanspruchs außer physischer Bedrohung und materiellen Zwängen manipulierter Massenmedien und einer überquellenden Propaganda bedienen müssen, gleichzeitig aber eine unbeeinträchtigte, freie Meinungsäußerung nicht zulassen können, … erlangen für den Historiker die insgeheim verbreiteten Anekdoten und Witze Quellencharakter«.23 Hoensch wertete rund 2500 politische Flüsterwitze aus der Sowjetunion und Ostmitteleuropa aus. Dem größten Teil der Witze (64 Prozent) bescheinigte er »sachliche Kritik an den Zeitereignissen«. 32 Prozent klassifizierte er als aggressive, antikommunistische Witze; zwei Drittel davon wiederum schienen ihm zumeist von westlichen Rundfunkstationen »eingeschmuggelte Witze« zu sein – einen Beleg für diese Annahme blieb er allerdings schuldig.

Zur Wirkung der Witze wagte sich Hoensch abschließend nicht über die vorsichtige These hinaus, dass die politischen Witze die kommunistischen Regime zwar offensichtlich nicht angeschlagen hätten, aber gewiss zur Stärkung gedanklicher Vorbehalte gegen sie und »zur Schärfung der politischen Bewusstheit in der Bevölkerung beigetragen haben« dürften.24