Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Politik wird gelebt und wird lebendig in Diskursen. In Wahlversprechen und Reden, an Stammtischen und Demonstrationen, in den Medien und im Alltag. Diskurse wecken Emotionen, vermitteln Fakten und Fake News, können diskriminieren oder überzeugen. In politischen Diskursen geht es um Demokratie, Identität und Gruppenzugehörigkeit, Werte, Probleme und Lösungen, aber auch um konkrete Themen wie sie insbesondere in Abstimmungen besprochen und verhandelt werden. Das vorliegende Buch, entstanden an der Universität Zürich, stellt fünf detaillierte Analysen solcher ausgewählter, politischer Diskurse der Schweiz vor. Besprochen werden die Grundannahmen und das Vorgehen der politischen Diskursanalyse, aber auch zeitlose Themen wie Demokratie oder die wahrgenommene Kleinheit des Landes und aktuelle Anliegen wie Schwangerschaftsabbrüche, Agrarpolitik und die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 179
Veröffentlichungsjahr: 2023
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Vorwort Christian Ewert
(
1) Die Kontextabhängigkeit des Demokratiebegriffes in Schweizer Parteiprogrammen Lucca Bär
(
2) «Als Kleinstaat sind wir hierzu nicht geeignet» – Eine Analyse von Ratsdebatten und die darin verwendete Rhetorik der Kleinheit Andri Rizzi
(
3) Das Frauenbild im Abtreibungsdiskurs der Gegner:innen — Eine Diskursanalyse zur politischen Abtreibungsdebatte der Schweiz Elena Püntener
(
4) «Nicht das Trinkwasser ist vergiftet, nur die Diskussion darüber» Eine Diskursanalyse des Abstimmungskampfes zur Trinkwasserinitiative Priska Schuler
(
5) Analyse des Diskurses über die Beschaffung des F-35A für die Schweizerische Eidgenossenschaft Anthony Martin Müller
Christian Ewert
Sprache und Politik gehören doch irgendwie zusammen. Sei es, dass Politiker:innen Versprechen machen um wiedergewählt zu werden oder sich hitzige Debatten im Parlament liefern. Oder seien es die Abstimmungsplakate, die viermal im Jahr für ein Ja oder Nein werben. Oder Unterhändler:innen, die einen internationalen Vertrag aushandeln, Gesetze, die Vorschriften machen, Stadträte und -rätinnen, die den Standortvorteil ihrer Gemeinde anpreisen oder Protestierende, die gegen Missstände angehen. In vielen Menschenrechtserklärungen ist die freie Meinungsäusserung geschützt, auch wenn Länder wie etwa Deutschland manche Aussagen und Symbole (aus dem dritten Reich) verbieten. Und schliesslich werden aktuell Debatten geführt über genderneutrale Sprache, kulturelle Aneignung (etwa Dreadlocks, die von Weissen getragen werden) oder Pronomen, die auf die Gender-Identität hinweisen.
Doch neben solchen direkten Anwendungen von Sprache ist es auch die Sprache selbst, die politisch sein kann. Die Schweiz (Bevölkerung fast 9 Millionen), zum Beispiel, kennt vier Landessprachen, welche stark die lokalen Kulturen und Identitäten prägen. Belgien (ca. 12 Millionen) hingegen kennt drei Landessprachen. In Mosambik (ca. 32 Millionen) gibt es nur eine offizielle Landessprache, das Portugiesische, welches die Sprache der einstigen Kolonialmacht ist. Und Simbabwe (ca. 16 Millionen) hat ganze 16 offizielle Landessprachen!
Es wundert daher nicht, dass die Wissenschaft grosses Interesse an der politischen Dimension der Sprache zeigt.
Sie konzentriert sich dabei nicht nur auf die «offizielle» Sprachnutzung von staatlichen Organen und Akteuren, sondern auch auf die Alltagssprache, also auf die Art und Weise, wie wir auf Social Media kommunizieren, an Stammtischen, in Vereinen und Familien.
Ihr Augenmerk richtet die Wissenschaft dabei auf verschiedene Aspekte. Ein Beispiel wäre die Rassismusforschung. Dabei geht es nicht nur um die Frage, was Rassismus eigentlich ist, sondern auch, wie Rassismus durch Sprache hervorgerufen, bewahrt, verändert oder beseitigt wird. So untersuchen etwa Törnberg und Törnberg (2016) die Beiträge auf einem schwedischen Forum, welches für die eher rechte Gesinnung seiner Nutzer:innen bekannt ist. Die beiden Autoren erforschen unter anderem, mit welchen Eigenschaften der Islam, Muslime und Musliminnen bedacht werden. Ein weiteres Beispiel aus der Forschung wäre die Analyse der politischen Rhetorik. Welche rhetorischen Strategien nutzen etwa Politiker:innen, um ihre Politik zu «verkaufen», wie überzeugen sie ihre Anhänger:innen? Boriello (2017) zeigt zum Beispiel, wie Politiker Metaphern von Umweltkatastrophen nutzen um ihre Austeritätspolitik zu begründen.
Das Ziel solcher und ähnlicher Studien ist es, einerseits, die politische Sprachnutzung zu erklären und verstehen.
Es geht also darum, Theorien aufzustellen, Muster zu erkennen, Zusammenhänge zu entdecken. Andererseits ist viele Forschung gerade zum Thema Politik und Sprache auch kritisch, sie will Machtstrukturen und (oft unbewusste) Annahmen und Ideologien aufdecken und herausfordern. Und gerade bei Missständen möchte man Alternativen aufzeigen. Wie könnten wir besser miteinander reden? Wie gerechter, inklusiver?
Im Frühjahr 2022 hatte ich das grosse Privileg, ein Seminar an der Universität Zürich für Masterstudierende zum politischen Diskurs mit Schwerpunkt Schweiz anbieten zu dürfen. Mir liegt dieses Thema sehr am Herzen. Gerade in Zeiten von Fake News, wachsender Polarisierung, einer immer komplexer werdenden Gesellschaft und den grossen Herausforderungen von Krieg, Klimakrise und sozialer Gerechtigkeit ist es wichtig, genau «hinzuhören» und «zwischen den Zeilen zu lesen». Also nicht das Gesagte sofort für bare Münze zu nehmen, sondern zu analysieren, zu hinterfragen.
Was habe ich mich jede Woche auf unsere nächste Sitzung gefreut! Zum einen durfte ich mich mit Themen beschäftigen, die mich interessieren und die ich relevant, ja sogar spannend, finde. Zum zweiten hatte ich durch das Seminar die Gelegenheit, diese Themen den Studierenden vorzustellen und – viel wichtiger – mich mit den Studierenden über diese Themen auszutauschen. Und gerade in diesem Austausch, wenn wir offen diskutieren können, Ideen teilen, Fragen stellen (undbedingt auch kritische!), gerade dann findet wirkliches Lernen statt.
Dann geht es nicht nur ums Auswendiglernen, sondern um neue Perspektiven und Einsichten, um etwas, das nicht nur intellektuell bereichert, sondern auch menschlich.
Mir war daher recht bald klar, dass die Seminararbeiten, welche die Studierende als Leistungsnachweis haben einreichen müssen, nicht einfach so ungewürdigt in der Schublade verschwinden sollten, nein, dürften!
Die Themen und Ideen, die in den Arbeiten behandelt wurden, waren einfach zu relevant und wertvoll.
Und darum habe ich den Studierenden vorgeschlagen, nach dem Semester ein Buch mit ihren Arbeiten zu publizieren. Das Interesse an einem solchen Projekt war deutlich zu spüren.
Das vorliegende Buch enthält die Beiträge fünf Studierender; es sind diejenigen, welche an diesem Projekt teilnehmen wollten. Die Texte wurden revidiert und etwas an das Format eines Buches angepasst.
Thematisch decken sie unterschiedliche Themen der Schweizer Politik, vor allem der Demokratie, ab.
Lucca Bär konzentriert sich dabei auf die Demokratie selbst.
Zuerst ist Demokratie ja nur ein Begriff, der mit Inhalt und Sinn gefüllt werden muss. Was verstehen wir darunter, wie nutzen wir diesen Begriff, was erwarten wir, wenn wir ihn hören? Lucca hat zwei Polparteien (SP und SVP) analysiert um aufzuzeigen, wie diese den Begriff der Demokratie verstehen und nutzen. Gerade bei diesem «Grundbegriff» der politischen Schweiz fällt auf, wie weit die beiden Parteien voneinander entfernt sind, und wie nah sie sich manchmal doch kommen.
Andri Rizzi beschäftigt sich, ganz ähnlich, mit einer weiteren wichtigen Idee der politischen Schweiz, ihrer Kleinheit.
Es ist tatsächlich so, dass die Schweiz in Aspekten wie Geografie oder Einwohnerzahl, im internationalen Vergleich, klein ist. Für Andri ist die Kleinheit dann vor allem ein rhetorisches Instrument, das genutzt werden kann, um für oder gegen politische Entscheide zu argumentieren.
Spannend ist dabei, dass dieses Instrument sehr flexibel ist und in verschiedene Kontexte und Weltansichten passt.
Elena Püntener behandelt den aktuellen Abstimmungskampf um Schwangerschaftsabbrüche, ein Thema, das ja regelmässig auf die politische Agenda kommt. Sie konzentriert sich dabei auf diejenigen Argumente und Publikationen, welche von den Befürworter:innen für strengere und eingeschränkte Abbrüche vorgebracht werden. Zentral ist dabei das Frauenbild. Wie werden Frauen, welche einen Abbruch durchführen wollen, dargestellt und welche Eigenschaften werden ihnen zugeschrieben?
Priska Schuler bearbeitet die Rolle und Relevanz der Landwirtschaft in der Schweizer Gesellschaft. Gerade die letzten Abstimmungen zur Agrarpolitik waren, für Schweizer Verhältnisse wenigstens, ausserordentlich intensiv und aggressiv. Priska argumentiert, dass in öffentlichen Debatten das Selbstverständnis der Bauern und Bäuerinnen aufeinanderprallt mit dem Fremdverständnis der restlichen Gesellschaft. Dadurch kommt es zu Missverständnissen, zur Eskalation, zum Konflikt.
Anthony Martin Müller, schliesslich, hat die Beschaffung von Kampfflugzeugen analysiert; ebenso ein Thema, welches in der Schweiz häufiger debattiert wird. Welche Argumente werden von den Befürworter:innen, die neue und «bessere» Flugzeuge anschaffen wollen, präsentiert und welche von den Gegner:innen. Anthony sagt, dass insbesondere die Bedrohungslage unterschiedlich interpretiert wird, und entsprechend die neuen Flugzeuge eben gut oder überhaupt nicht für die Schweiz geeignet seien.
Ein zentrales Thema unseres Seminars, und damit auch der hier vorliegenden Beiträge, ist die Diskursanalyse, so wie sie insbesondere von James Paul Gee (2011) und Brian Paltridge (2011) vertreten wird. Beide argumentieren, dass angewandte Sprache nicht nur genutzt wird, um Informationen zu übermitteln. Sondern dass wir dadurch auch etwas tun und sein können. In der Politik tun wir mit Sprache zum Beispiel Entscheidungen begründen oder unsere Zustimmung zu einem Vorschlag oder einer Partei begründen. Und durch unsere Sprache (unseren Slang, unsere Wortwahl, …) sind wir eben auch Teil von bestimmten Gruppierungen und geben so unsere Zugehörigkeiten preis.
Diese Dreidimensionalität der Sprache fasst Gee sehr schön so zusammen: «we use language to say things, do things, and be things» (2011: 3). Eben, das ist Sprache, saying, doing, being.
Liebe Leserin, lieber Leser, an dieser Stelle habe ich wohl genug gesagt; das Spannende an diesem Buch ist ja nicht das Vorwort, sondern die nun folgenden Beiträge.
Ich hoffe daher, dass Sie jetzt etwas tun werden, nämlich eben diese zu lesen und geniessen. Wenn Sie dann mit der Lektüre fertig sein werden, wünsche ich Ihnen, dass Sie am Thema Politik und Sprache interessiert, unterhalten und vor allem nachdenklich geworden sind.
Liebe (ehemalige) Studierende, liebe Autor:innen, liebe Kolleg:innen, mein ganzer Dank gilt Euch.
Christian Ewert
Thun im März 2023
Referenzen
Borriello, A. 2017. ‘There is no alternative’: How Italian and Spanish leaders’ discourse obscured the political nature of austerity. Discourse & Society, 28(3), 241-261.
Gee, J. P. 2011. An Introduction to Discourse Analysis. New York: Routledge.
Paltridge, B. 2012. Discourse Analysis. London: Bloomsbury.
Törnberg, A & Törnberg, P. 2016. Combining CDA and topic modeling: Analyzing discursive connections between Islamophobia and anti-feminism on an online forum. Discourse & Society, 27(4), 401-422.
Lucca Bär
Einführung
In diesem Buchkapitel möchte ich mich genauer mit dem Begriff der «Demokratie» im Schweizer Kontext auseinander setzten. Denn trotz der langen demokratischen Tradition der Schweiz und dem Berufen auf die demokratischen Ideale dieses politischen Systems ist die Bedeutung des Wortes «Demokratie» alles andere als eindeutig. Eine Vielzahl an unterschiedlichen Werten, Idealen, wissenschaftlichen Konzepten und Theorien werden in unterschiedlichen Kontexten mit diesem Begriff assoziiert. Man kann sich zum Beispiel fragen, wer genau zu den Wahlberechtigten gehört, wie weit die Kompetenzen dieser Wahlberechtigten gehen oder auf welche Bereiche der Politik sich diese Kompetenzen beziehen (Held 2006: 1-2). In zwei spezifischen Kontexten möchte ich den Gebrauch dieses Begriffs und besonders die damit einhergehenden Wertvorstellungen näher untersuchen.
Es soll dabei einerseits um die Schweizerische Volkspartei, andererseits die Sozialdemokratische Partei der Schweiz gehen, zwei Parteien, welche sich an unterschiedliche Polen des politischen Raums der Schweiz befinden (Bornschier 2015: 688-692). Demokratie wird von diesen politischen Akteuren jeweils anders gedeutet, mit anderen normativen Werten versehen und im Zusammenhang mit anderen Begriffen verwendet. Politische Polarisierung kann Konsensfindung erschweren, was in einem politischen System wie der Schweiz, welches auf lange Deliberation und Konsens setzt, um politische Konflikte zu lösen, verheerend sein kann (Bochsler et al. 2015). Sind die Bilder von Demokratie in der Schweizer Politik so verschieden, dass gemeinsame Elemente nur noch schwer zu finden sind, so kann dies potentiell schwerwiegende Folgen für die Funktionsweise des politischen Systems haben. Meine Forschungsfrage lautet entsprechend:
Wie unterscheiden sich der Gebrauch und die Bedeutung des Wortes «Demokratie» im Kontext der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz und im Kontext der Schweizerischen Volkspartei?
Ich werde mit einer Diskussion zum Begriff der Demokratie einsteigen und versuchen darzulegen, warum und inwiefern dieser ein schwieriger, wandelbarer und besonders kontextabhängiger Begriff ist, der unterschiedlichste Bedeutungen beinhalten kann. Sodann soll die konkrete Methode für die Analyse behandelt werden. Ich werde den diskursanalytischen Ansatz von James Paul Gee (2011) anwenden, aber auch zusätzliche Ideen, die wir im Rahmen des Seminars kennengelernt haben, in die Arbeit einfliessen lassen. Gerade die Idee der discourse communities nach Brian Paltridge (2012) ist ein zusätzliches relevantes Konzept, wenn es um konkrete Gruppen und ihre Diskurse geht. Dieser Ansatz macht in Bezug auf politische Parteien Sinn, da diese jeweils gesonderte Sets an Werten teilen und versuchen, diese in der politischen Arena zum Beispiel in Form von Policies umzusetzen. Mithilfe von Parteiprogrammen soll ermittelt werden, wie und in welcher Verbindung das Wort «Demokratie» in diesen Texten konkret gebraucht wird. Es soll also die Interdependenz von Text und Kontext anhand dieses Begriffes untersucht werden. Die mit Demokratie assoziierten Werte, Ideale und Ziele sollen für die jeweilige Partei zusammengetragen und analysiert werden. Diese Elemente sollen dann verglichen werden, wobei der Fokus besonders auf den Differenzen liegt, welche es zwischen diesen beiden politischen Parteien gibt. Schliesslich werden im Fazit die Resultate noch einmal kurz diskutiert und ein Ausblick auf weitere Forschung gegeben.
Der Begriff der «Demokratie» und seine Schwierigkeit Demokratie an sich und die Frage, was ein demokratisches System ausmacht, sind notorisch schwierig zu klären. Ein Zitat von Abraham Lincoln wird oft als «Definition» oder als Einstieg in das Konzept der Demokratie verwendet, obwohl das Wort Demokratie in der Rede, aus der das Zitat stammt, nicht einmal vorkommt. Es ist dies ein Teilsatz aus dem Gettysburg Address, der folgendermassen lautet: «(…) government of the people, by the people, for the people (…)» (Miller Center 2022). Auf den ersten Blick scheint das Zitat den Grundgedanken der Demokratie gut wiederzugeben, es wird klar beschrieben, dass das Volk durch das Volk selbst regiert wird, welches also Rechte und Pflichten einer Demokratie in sich vereint. Aber bei genauerer Betrachtung finden sich viele Dinge, welche für ein demokratisches System relevant sind, hier nicht. Es ist beispielsweise nicht klar, wer mit «the people» denn eigentlich gemeint ist. Sind das nur Männer, nur Weisse, nur Wehrdienstleistende, nur Steuerzahlende? Soll ein Gesetzesentwurf durch jeden Menschen in einer Nation überprüft und ratifiziert werden?
Wie weit gehen die Kompetenzen des Volkes und den Mehrheiten, welche sich daraus bilden? Dies sind nur einige Fragen, welche an eine Demokratie gestellt und oft immer wieder neu ausgehandelt werden (Held 2006). Ebenfalls am Beispiel des Gettysburg Address zeigen Christian Ewert und Marion Repetti die Wandelbarkeit von Demokratie in zeitlichen und sozialen Dimensionen eindrücklich auf.
Demokratie, oder demokratische Theorie, werden mit dem linguistischen «Code» der Gettysburg Address immer wieder erneuert und aktualisiert. Je nach Kontext können Lincolns Worte demnach unterschiedlich interpretiert, mit einer sich verändernden Nachricht versehen werden (Ewert & Repetti 2019: 65-68). Ich glaube, dasselbe kann über den Begriff der Demokratie an sich gesagt werden.
Der Grundsatz für demokratische Systeme bildet oft eine Verfassung, so auch in der Schweiz. Diese ist ebenfalls meist nicht unveränderbar, sondern Teil der beständig umkämpften demokratischen Idee. Darüber hinaus kann eine Verfassung erheblichen Einfluss auf die politischen Prozesse und deren Qualität ausüben (Benoit 2006).
Verfassungen oder demokratische Systeme generell sind dabei immer Trade-offs, nehmen wir als Beispiel das Milizsystem der politischen Repräsentation der Schweiz.
Einerseits kann hier argumentiert werden, dass ein solches System Repräsentant:innen beinhaltet, welche durch ihre Semi-Professionalität die Perspektiven des Volkes besonders gut vertreten und die Erfahrung aus ihren Berufen sowie ihrem Privatleben in die Politik tragen (Geser et. al. 1987). Andererseits sind diese Menschen aber eben keine Expert:innen und die zunehmende Komplexität von politischen Entscheidungen, beziehungsweise deren Umsetzung, könnte zu einer schlechten Performanz und qualitativen Einbussen führen (Germann 1995). Kurzum, es gibt nicht eine normativ beste Form der Demokratie, sondern sie wird durch unterschiedliche Dinge wie der historischen Situation, der Bevölkerungszusammensetzung, den aktuellen Problemen und vielem mehr beeinflusst und beständig verändert. So auch in der Gegenwart, die Ideen über die Ausgestaltung von Demokratie oder beispielsweise eines Nationalstaates variieren je nach politischer Überzeugung (Schmidt 2009).
Trotz der zeitlich und ideologisch unterschiedlichen Nutzung und Interpretation des Begriffs der Demokratie müssen politische Akteure am Ende dennoch zu einem gemeinsamen Nenner kommen, um Politik effektiv betreiben zu können. Die Demokratiekonzeption der SP und der SVP als politisch diametrale Bewegungen zu untersuchen, ist deshalb naheliegend. Als wählerstärkste Parteien sind sie im politischen Prozess besonders einflussreich und haben das Potenzial, die Schweizer Demokratie auf ihre jeweils eigene Weise zu prägen. Eine Auseinandersetzung mit dem Demokratiebegriff dieser Parteien erscheint zudem als unerlässlich, da sie aufgrund der relativen Stabilität des Schweizer Parteiensystems wahrscheinlich noch für einige Zeit von Bedeutung bleiben werden.
Theoretische Grundlagen und Methode dieser Arbeit Grundsätzlich wird ein speech event nach Jakobson mit den Parteien als Sender, den Leser: innen als Empfänger: innen und den Parteiprogrammen als Nachricht untersucht.
Ausschlaggebend ist dabei der Kontext der jeweiligen Parteien, aufgrund dessen ich unterschiedliche Bedeutungen von Demokratie untersuche (Jakobson 1990).
In dieser Arbeit soll Diskursanalyse hauptsächlich nach den Ideen und Konzepten von James Paul Gee betrieben werden. Einsteigen in die Behandlung der Theorie und der Methoden will ich aber mit dem Konzept der discourse communities, wie es von Brian Paltridge vorgeschlagen wurde. Discourse communities zeichnen sich dadurch aus, dass sie gemeinsame Werte, Ziele, Kommunikationskanäle und Expertise auf einem gewissen Gebiet haben (Paltridge 2012: 15-16). Ich beginne damit, weil dies mein Thema gut umschreibt und eine zentrale Idee der Diskursanalyse veranschaulicht. Die Mitglieder:innen der SP sowie der SVP sind durch ihre jeweiligen Parteien Teil zweier discourse communities, in denen unterschiedliche Werte und Ziele in Bezug auf Politik geteilt werden. Als Parteimitglieder:innen allgemein, unabhängig von der konkreten Partei, sind diese Menschen aber auch Teil der discourse communities von politisch sehr interessierten und aktiven Personen, welche sich dadurch vom Rest der Bevölkerung abheben.
Die Grenzen zwischen diesen discourse communities sind also unterschiedlich klar definiert und veranschaulichen, dass Menschen Teil mehrerer solcher communities sein können, wie das von Paltridge beschrieben wird (Paltridge 2005: 16). Die Parteiprogramme, welche ich als Textkorpus verwenden werde, sollen mir dabei helfen, diese discourse communities und ihr Verhältnis zur Demokratie als Begriff, Idee und Mittel zu Veränderung der Schweiz zu ergründen.
Obwohl die Einteilung nicht immer klar ist, möchte ich mich auf einige spezifische building tasks nach James Paul Gee (2011) beschränken. Diese building tasks sind Elemente der Sprache, welche bestehende Einstellungen verstärken und neue schaffen sollen, sie haben also ein konstruktivistisches Element. Vier building tasks lohnen sich für diese Analyse besonders, es sind dies significance, identities, relationships und politics/the distribution of social goods (Gee 2011: 17-20).
Ich werde die Bezeichnungen der building tasks im Folgenden ins Deutsche übersetzen, also Signifikanz, Identität und Beziehungen zur Bezeichnung der Konzepte verwenden.
Den vierten building task, also politics, werde ich nur als soziale Güter bezeichnen, da die Verteilung solcher Güter nach Gee der Hauptzweck von Politik ist (Gee 2011: 19).
Signifikanz lohnt sich zu behandeln, weil diese politisch sehr unterschiedlichen Gruppen sehr wahrscheinlich Elemente der Schweizer Demokratie anders wahrnehmen, mit anderen Werten versehen und unterschiedlich bewerten. Signifikanz wird also an anderer Stelle und auf andere Weise verortet.
Identitäten sind wichtig, weil sie die unterschiedlichen Ideale und Ideen dieser beiden Gruppen in sich vereinen und gewissermassen über die Zeit entstanden sind, beziehungsweise erschaffen wurden. Zu betonen ist hier auch, dass in diesen Dokumenten im Prinzip zwei Identitäten konstruiert werden, zum einen die Identität der SVP oder SP als politische Partei, und zum anderen die Nationale Identität der Schweiz, so wie sie von der jeweiligen Partei gedeutet und angestrebt wird.
Um das Verhältnis zu anderen politischen und sozialen Gruppen zu analysieren, sind Beziehungen gut geeignet.
Denn politische Parteien definieren sich auch über die Abgrenzung von oder Annäherung an andere Parteien, von anderen politischen Ideen und nationalen sowie internationalen Akteuren. Positive Beziehungen zu anderen Akteuren im politischen System verraten uns mehr über die Wahrnehmung und Definition von Demokratie. Zudem ist wichtig, wann und in welchem Zusammenhang diese Beziehungen erwähnt werden.
Die Verteilung von sozialen Gütern schliesslich erfasst das normative Bild der Schweiz sowie von deren Bevölkerung. Soziale Güter halten fest, welche Dinge für eine Gruppe von Menschen als wünschenswert, normal, akzeptabel oder wertvoll gelten, also auf welche Ziele eine politische Partei hinarbeiten oder was sie in einer Gesellschaft verhindern will (Gee 2011: 5-7).
Von den tools of inquiry von James Paul Gee werden besonders die figured worlds in dieser Analyse behandelt, denn sie beschreiben meiner Meinung nach gut, wie sich eine Partei die Schweiz und ihre Demokratie vorstellt und wie sie nach diesen Vorstellungen handelt. Das Konzept erinnert mich an Heuristiken, mithilfe derer die Welt wahrgenommen, vereinfacht und in Kategorien eingeteilt wird. Ebenso finden sich Normen und Werte in diesem Konzept, also alles Dinge, welche eine politische Partei verkörpert und mittels konkreter Policies in einem Staat verankern will (Gee 2011: 76-78). Ich sehe hier eine enge Verwandtschaft mit den bereits beschriebenen discourse communities. Aber auch discourses und social languages sollen hier eine Rolle spielen, denn in den Parteiprogrammen finden sich neben dem Text Bilder, Grafiken, und Symbole. Das wird von den discourses abgedeckt. Social languages beschreiben hingegen Style und Ausdrucksweisen, welche in einer bestimmten sozialen Gruppe benutzt werden und verbreitet sind (Gee 2011: 28-29).
Mithilfe eines Parteiprogramms will eine Partei ihr normatives Bild der Schweiz kommunizieren und damit eine Grundlage für Änderungen in ihrem Sinne schaffen.
Wir sehen hier das Konzept der Sprache nach Gee, nämlich das, was er als «Language as saying, doing and being» (Gee 2011: 2) bezeichnet: Durch das Geschriebene, also der Parteiprogramme, wird Politik betrieben und klar gemacht, welche Ideale in der der Gesellschaft geschätzt werden. Es wird eine Identität dargestellt. Gleichzeitig unterscheiden sich die Programme in ihrer Formulierung, spiegeln also die social languages der jeweiligen Parteien wider. In der Literatur werden Parteiprogramme oft in stilistische Untergruppen eingeteilt, besonders wird unterschieden zwischen Grundsatzprogrammen und Wahl- oder Aktionsprogrammen. Diese Einteilung führte Heino Kaack in einer Analyse aus dem Jahr 1971 ein. Sie wird auch bis heute in der Forschung zu Parteiprogrammen verwendet (Anan 2016, Ickes 2008). Betont wird der Zweck von Wahlprogrammen, welche Wähler:innen aktivieren beziehungsweise überzeugen sollen, eine Stimme im Sinne der jeweiligen Partei abzugeben. Grundsatzprogramme hingegen dienen eher dazu, unterschiedliche Strömungen innerhalb einer politischen Partei zusammenzubringen und einen soliden Grundstein für zukünftige Politik zu setzen (Ickes 2008: 49-55).
Parteiprogramme haben also eine Wirkung nach «Innen», aber auch nach «Aussen». Die Natur dieser Dokumente hat Vor- und Nachteile für die Analyse und die Verallgemeinerbarkeit der Resultate. Zum einen sind diese Texte quasi ein Amalgam von Meinungen innerhalb der jeweiligen Partei und spiegeln Trends in diesen gut ab. Sie sollen Klarheit schaffen und wurden wahrscheinlich in langer Arbeit von mehreren Autoren zusammengestellt, welche aber nicht als Urheber in den Dokumenten erwähnt werden. Urheber ist stattdessen die Partei als Ganzes, so sollen Grundsatzdokumente bis zu einem gewissen Grad zur Einigung von unterschiedlichen Strömungen innerhalb einer Partei dienen (Anan 2016: 2830). Individuelle Parteiangehörige teilen wahrscheinlich einige, aber vielleicht nicht alle Punkte und Ziele in diesen Programmen. Welche Elemente genau geteilt werden oder eben nicht, kann, zumindest mit diesen Schriften, nicht festgestellt werden. Gerade in der Schweiz mit ihren stark föderalistischen politischen Strukturen, welche