Ausgewählte politische Beiträge - Leopold von Ranke - E-Book

Ausgewählte politische Beiträge E-Book

Leopold von Ranke

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Beschreibung

Leopold von Rankes Buch 'Ausgewählte politische Beiträge' bietet einen faszinierenden Einblick in die politische Landschaft Europas des 19. Jahrhunderts. Rankes literarischer Stil ist von historischer Genauigkeit und analytischer Schärfe geprägt, wobei er seine politischen Überzeugungen klar zum Ausdruck bringt. Das Buch reflektiert auch Rankes bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der Geschichtswissenschaft und seiner Überzeugung von der Objektivität historischer Forschung. Die kritische Analyse politischer Ereignisse und Entwicklungen machen dieses Werk zu einem unverzichtbaren Schatz für Historiker und politisch Interessierte. Leopold von Ranke war ein renommierter deutscher Historiker, dessen Werk über die politischen Beiträge Europas ihn als Pionier in der Geschichtswissenschaft etablierte. Als einer der Begründer der modernen Historiografie legte Ranke großen Wert auf die Recherche von Primärquellen und die Darstellung von historischen Ereignissen ohne Vorurteile. Seine akademische Expertise und sein Interesse an politischen Entwicklungen spiegeln sich in diesem Buch wider, das Rankes bahnbrechende Analysen und Meinungen zu politischen Themen präsentiert. Für Leser, die an detaillierten politischen Analysen und historischer Genauigkeit interessiert sind, ist 'Ausgewählte politische Beiträge' von Leopold von Ranke eine unverzichtbare Lektüre, die sowohl informative Erkenntnisse als auch intellektuelle Anregungen bietet.

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Leopold von Ranke

Ausgewählte politische Beiträge

Die großen Mächte + Frankreich und Deutschland + Politisches Gespräch + Zum Kriege 1870/71 + Fürst Bismarck + Der Krieg gegen Österreich...
            Books
- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung [email protected]   2017 OK Publishing   ISBN 978-80-272-0595-0

Inhaltsverzeichnis

Politisches Gespräch
Die großen Mächte
Frankreich und Deutschland
Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen
Der Krieg gegen Österreich 1866
Der Krieg gegen Frankreich 1870
Fürst Bismarck
Zum Kriege 1870/71
Die Ablehnung der deutschen Kaiserwürde 1849
Über die Verwandtschaft und den Unterschied der Historie und der Politik

Politisches Gespräch

(1836)
Inhaltsverzeichnis

FRIEDRICH: So glänzend kommst du zu mir, in der Staatsratsuniform, sogar mit deinen ausländischen Orden?

KARL: Ich wette, du hast nicht einmal die Wagen vorbeirollen hören; wolltest du aber zwei Schritte mit mir gehen, so würde ich dir die hellerleuchteten Fenster zeigen, von denen ich herkomme. Sie strahlen über die ganze Straße daher.

FRIEDRICH: Und aus alle dem Glanze stiehlst du dich in die Einsamkeit dieser Studierstube?

KARL: Um meinem benediktinischen Bruder guten Abend zu wünschen. Nachdem man Welt gesehen, sucht man auch einen Menschen auf; nachdem man Konversation geführt, will man auch eines Gespräches genießen.

FRIEDRICH: Ich kann mir den Unterschied, den du da machst, schon gefallen lassen; sei mir desto herzlicher willkommen!

KARL: Du glaubst ja ohnehin nicht, daß es mich befriedigen könnte, mich unter alle den Herrschaften zu bewegen, die mancherlei Meinungen und Notizen, die einen Salon beherrschen, mit der Nuance der meinigen zu versetzen.

FRIEDRICH: Du redest, wie die meisten Weltkinder reden, von Byron an; du fühlst dich ermüdet, abgespannt.

KARL: Welt und Konversation geben doch nur eine Berührung im Elemente des Allgemeinen, an der Oberfläche des Geistes: man sieht Menschen, welche die Gunst der Umstände oder die Geburt auf die Höhe der Gesellschaft gehoben; man hört von den Dingen, auf welche der Augenblick die Aufmerksamkeit gelenkt hat; es ist eine Gemeinschaft der flüchtigsten Art, die sich unaufhörlich verwandelt und dabei doch jahraus jahrein die nämliche bleibt. Es gibt Leute, die darin ihre Befriedigung sehen; mir ist dieses abwechselnde Einerlei etwas drückend.

FRIEDRICH: Gleichwohl wirst du es nicht völlig entbehren wollen. Es müssen in der vornehmen Gesellschaft doch zugleich die Interessen der Welt, durch welche sie wirklich in Bewegung gesetzt wird, wäre es auch nur flüchtig und, wie du sagst, an der Oberfläche, zutage kommen. Es muß euch interessant sein, sie hervortauchen, immer stärker werden, zur Herrschaft gelangen, wieder verschwinden zu sehen. Wovon sprach man heute vorzüglich?

KARL: Mein Gott, es wiederholt sich die Zeitung, wie ein jeder sie auffaßt: Spannung zwischen England und Rußland; Portfolio; Rückgabe von Silistria; die Reise der französischen Prinzen; Alibaud; die geringe Aufmerksamkeit, welche man heutzutage den Kammerverhandlungen widmet; Eisenbahnen und Perkussionsgewehre; Krieg und Friede: mit einem Worte alles, was du willst.

FRIEDRICH: Aber einige Gesichtspunkte, einige Meinungen walteten vor?

KARL: Nach den verschiedenen Ständen. Den jungen Offizieren leuchten die Augen bei dem bloßen Gedanken an Krieg, ohne daß sie viel danach fragen sollten, gegen wen es gehe; – sie ergreifen die Feindseligkeiten des Portfolio; – sie glauben, man wolle es in England ernstlich zum Bruche bringen; – sie zweifeln nicht, daß das Feuer dann unverzüglich das übrige Europa und die Welt ergreifen werde.

FRIEDRICH: Was wäre es auch für eine Armee, die den Krieg nicht von Herzen herbeiwünschte: Tätigkeit, Geltung, Avancement? Ich verdenke es keinem.

KARL: Es ist nur sonderbar, daß man niemals gewaltiger und allgemeiner gerüstet war als jetzt, und daß man niemals längeren Frieden hatte.

FRIEDRICH: Das bedingt sich nun wohl. Der Krieg wurde sonst mit dem Überschuß der Kräfte geführt, mit den Leuten, die man entbehren konnte, mit dem Gelde, das sich entweder im Schatze fand oder doch ohne allzu große Anstrengung aufzubringen war; jetzt schlagen die Nationen, bewaffnet wie sie sind, beinahe Mann bei Mann, mit aller ihrer Kraft; die Kosten der ersten Ausrüstung schon sind unerschwinglich; zu einem Kampfe auf Leben und Tod müßte man sich gefaßt machen; kein Wunder, daß man sich ein wenig besinnt. – Aber du wolltest noch von einer andern Meinung reden.

KARL: Die Administration dagegen sieht mit Vergnügen den langen Frieden kommen. Man hört auf, den Gegensatz der absoluten und konstitutionellen Monarchien zu fürchten, der die Aussicht alle die Jahre daher bewölkte und so gefährlich schien. Justemilieu, das sich so lange ruhig halten mußte, schöpft wieder Atem. Man hofft, alles werde die Unmöglichkeit einsehen, in den Extremen zu regieren.

FRIEDRICH: Und zu dieser Meinung, dünkt mich, wirst auch du dich halten.

KARL: Wie könnte ich anders? Darf sich die Politik der unaufhörlichen Bewegung der populären oder den retardierenden Prinzipien der aristokratischen Tendenzen ergeben? Und muß man nicht in ihrem Kampfe eine Stellung zwischen ihnen ergreifen, schon darum, um ihnen nicht dienstbar zu werden und sich nicht durch ihren Impuls von dem, was man will, zu dem, was man nicht will, fortreißen zu lassen?

FRIEDRICH: Sehr weise.

KARL: Und sehr notwendig. Wo wäre auch ein Staat, der sich nicht in der Notwendigkeit sähe, diesen Ausweg zu ergreifen? Man hätte glauben sollen, nach der letzten französischen Revolution würden Bewegung und Liberalismus ein unwiderstehliches Übergewicht davontragen; aber die aus dem Umsturz hervorgegangene Regierung selbst sah sich nach wenig Tagen gezwungen, sich in den Widerstand zu werfen, und es liegt vor Augen, welche Rückwirkung dies, wie auf das gesamte Europa, so besonders auf unser konstitutionelles Deutschland ausgeübt hat. Die Whigs schiffen zwischen Radikalismus und konservativen Prinzipien: sie mögen jenen noch so sehr zu begünstigen scheinen, so haben sie diese nicht aufgegeben.

FRIEDRICH: Glaubst du in der Tat, daß sich auf solche Weise regieren läßt?

KARL: Wärst du nicht dieser Meinung?

FRIEDRICH: Ich befinde mich in dem besonderen Falle, dir im ganzen beizustimmen und dabei doch widersprechen zu müssen.

KARL: Was kannst du aber dagegen sagen? Erkläre mir deine Meinung!

FRIEDRICH: Hast du auch Neigung, indem du aus einer heiteren Gesellschaft kommst, geduldig auf die Erörterung einer sehr ernsten Frage einzugehen? Denn tiefer, als du denkst, möchten wir fortgezogen werden.

KARL: Wie sollte ich nicht: auf diese Weise gelangen wir ja allein von der Konversation zum Gespräch, von dem Abgemachten zu dem Suchen und Finden.

FRIEDRICH: Antworte mir denn zunächst auf eine Frage: hast du wohl je bestätigt gefunden, was so häufig ausgesprochen wird, die Wahrheit liege in der Mitte?

KARL: Ich habe wenigstens immer bemerkt, daß sie nicht in den Extremen zu suchen ist.

FRIEDRICH: Aus den Extremen aber wirst du nicht auf die Wahrheit schließen können. Die Wahrheit liegt überhaupt außer dem Bereiche des Irrtums. Aus allen Gestalten des Irrtums zusammengenommen könntest du sie nicht abstrahieren: sie will gefunden sein, angeschaut, an und für sich, in ihrem eigenen Kreise. Aus allen Ketzereien der Welt könntest du nicht entnehmen, was das Christentum ist; du mußt das Evangelium lesen, um es kennenzulernen. Ja, wir dürfen behaupten, aus allem Lob und Tadel der Welt wird sich noch kein gesundes Urteil bilden lassen, so gewissenhaft du auch die Mitte zwischen beiden aufsuchen magst.

KARL: Ich will deinen Satz fürs erste gelten lassen; was hat das aber mit dem Justemilieu zu schaffen?

FRIEDRICH: Auch in dem Staat nimmst du Extreme der Meinung wahr. Ich gebe dir zu, daß sie die rechte nicht enthalten mögen; wer sagt dir aber, daß diese in der Mitte liegt?

KARL: Der Staat ist kein Doktrin. Die Parteien verteidigen nicht bloß Meinungen: sie selbst sind Kräfte, Gewalten, die einander gegenüberstehen, einander bekämpfen, sich aus der Stelle treiben, wie wir ja täglich wahrnehmen.

FRIEDRICH: Und zwischen denen nun, meinst du, soll die Regierung das Gleichgewicht erhalten?

KARL: Jawohl. Regieren ist Führen, Lenken.

FRIEDRICH: Ich frage dich aber, wie sie das vermag? Wo nimmt sie die Kraft dazu her?

KARL: Es gibt in unserer Zeit keine Verfassung, welche der Regierung, auch einer beschränkten, nicht ein bedeutendes Maß von Macht zugestünde.

FRIEDRICH: Erlaub mir! Macht an sich tut es nicht; sie ist ein Instrument, bei dem es erst darauf ankommt, wozu man es braucht, ob man es überhaupt zu brauchen versteht. Deine Regierung würde keine Bedeutung in sich selbst haben.

KARL: Wieso das? Hat es keine Bedeutung, den Kampf zu verhüten, das allgemeine Beste zu befördern? – Höre mich an! – Wie wir auch Staat und Gesellschaft definieren mögen, so bleibt immer ein Gegensatz zwischen Obrigkeit und Untertan, zwischen der Masse der Regierten und der kleinen Zahl der Regierenden. Die Dinge mögen nun stehen, wie sie wollen, so wird sich allemal finden, daß zuletzt das Interesse der großen Zahl überwiegt, der Regierende sich auf eine oder die andere Weise unterordnet. In der Masse aber wird es immer Entzweiungen geben, verschiedene Parteien, was wir nicht eben allemal als Desorganisation betrachten dürfen; es ist häufig nur eine Lebensform, bei welcher das allgemeine Wohl recht gut gedeiht. Was kann da die Regierung Besseres tun, als daß sie die Übermacht der einen und der andern oder ein gefährliches Zusammentreffen beider vermeidet?

FRIEDRICH: Du entschlüpfst mir damit nicht. Auf diese Weise wird die Welt den Parteien gehören; in ihnen wird das Leben liegen, die Regierung wird nur der Punkt der Indifferenz sein; eben dies kann ich dir nicht zugeben.

KARL: Und warum nicht?

FRIEDRICH: Du wirst mir zugestehen, und es liegt in deinen Worten, daß die Parteien, von denen du redest, geistige Kräfte repräsentieren, nicht allein ein gewisses Maß von Macht.

KARL: Ohne Zweifel Kräfte und Tendenzen.

FRIEDRICH: Muß nicht die Regierung, um diese Kräfte zu bekämpfen, in Zaum zu halten, selber eine stärkere geistige Kraft sein? Du schreibst ihr eine Handlung zu: was ist das Agens, das Wirksame? Mit dem bloßen guten Willen der Vermittlung wirst du es nicht ausrichten. Eine Wesenheit, ein Selbst mußt du haben.

KARL: Wie dem auch sei, soviel bleibt immer wahr, daß die Regierung die Mitte zwischen den Parteien wird behaupten müssen.

FRIEDRICH: Eben hier liegt unsere Übereinstimmung und unsere Differenz. Es gibt, deucht mich, eine doppelte Vorstellung von Justemilieu. Nach der einen ist es eigentlich negativer Art: da machen die Parteien den Staat aus; die herrschende Gewalt ist nur beflissen, keiner unrecht zu tun, sich zwischen ihnen zu halten. Das schien mir deine Vorstellung zu sein. Nach der andern aber ist es vielmehr positiv: es stößt allerdings die Parteien, die Extreme von sich aus, aber nur darum, weil es seinen eigenen positiven Inhalt hat, seine natürliche eigentümliche Tendenz, die es vor allem durchsetzen muß.

KARL: Insofern hast du freilich recht, daß diese Frage uns tiefer führen wird. Es ist das Wesen des Staates überhaupt, zu dem unser Gespräch – und ich gestehe, zu meiner Genugtuung – sich wendet. Schon öfter habe ich empfunden, daß du dir darüber eine von der meinen abweichende Vorstellung gebildet hast. Wenn dich nichts abhält, so stehe mir heute ausführlicher Rede. Was verstehst du unter dem positiven geistigen Inhalt des Staates? Gehen sie nicht alle von demselben Anfang aus? Haben sie nicht alle die nämlichen Pflichten? Ist ihre Verschiedenheit nicht zufälliger Art?

FRIEDRICH: In der Tat, alle diese Fragen, die du zu bejahen scheinst, beantworte ich mit einem entschlossenen Nein. Wenn wir uns verstehen wollen, müssen wir allerdings einen Schritt weiter gehen.

Kennst du das kleine Buch, das da auf dem Tische liegt?

KARL: Les deux derniers chapitres de ma philosophie de la guerre. Von wem?

FRIEDRICH: Lies auch den innern Titel.

KARL: Ah! von Chambray, dem fleißigen und einsichtsvollen Geschichtschreiber des Feldzuges in Rußland. Auch den Inhalt gibt sogleich der Titel an: Chap. IX. Des institutions militaires dans leurs rapports avec les constitutions politiques et avec les institutions civiles. Schon ein glücklicher Gedanke! – Ich wäre begierig, zu erfahren, wohin seine Meinung geht.

FRIEDRICH: Er findet, daß die militärischen Einrichtungen mit innerer Notwendigkeit dem Zustande der Gesellschaft, der bürgerlichen Verfassung entsprechen.

KARL: Führe mir ein Beispiel an.

FRIEDRICH: Die englische Armee entspricht dem unreformierten Parlament. Die Aristokratie, welche beide Häuser erfüllte, votierte jährlich die Existenz derselben; wie es das Interesse der Aristokratie war – denn sie machte ja im Grunde den Staat aus –, die bestehende Ordnung der Dinge zu erhalten, so hatte sie infolge einiger eigentümlicher Einrichtungen die Offizierstellen eingenommen und hat sie noch behauptet. Unteroffiziere und Gemeine dagegen werden angeworben; durch bessere Löhnung und sorgfältigere Pflege, als irgendeine andere europäische Truppe genießt, wie sie aber der Zustand der Nation fordert und möglich macht, werden sie bei gutem Willen und zugleich durch die strengste Zucht, durch die härtesten Strafen in Unterordnung gehalten.

KARL: Daraus scheint sich zu ergeben, daß, wenn die Verfassung fernere Abänderungen erfährt, solche auch in der Armee nicht ausbleiben werden.

FRIEDRICH: Ich zweifle nicht, sowie die Abänderungen nur noch tiefer eingreifen.

KARL: Auch leitet sich der Gegensatz daher ab, in welchem die englische mit der preußischen Armee steht.

FRIEDRICH: Auch in Preußen findet der Autor militärische und bürgerliche Institutionen in vollkommener Übereinstimmung; die allgemeine Dienstpflicht mit der individuellen Freiheit und der Teilung des Eigentums; die Einrichtung der Landwehr mit den munizipalen Berechtigungen; die Bevorzugung der gebildeten Klassen beim einjährigen Dienst mit der Stellung, welche diese überhaupt einnehmen. Daß der Unteroffizier Aussicht auf Versorgung habe, knüpfe ihn um so enger an den Staat. »Ein Land«, ruft er aus, »welches eine Miliz hat, wie die Landwehr, und Institutionen, wie die Städteordnung, besitzt die Freiheit in der Tat«.

KARL: Wie waren es zwei so durchaus verschiedene Armeen, welche Napoleon bei Waterloo überwanden, von nahe verwandten Nationen, aber nach verschiedenen inneren Motiven gebildet, die eine angeworben, wohlverpflegt, ausharrend, aristokratisch, die andere national, beweglich, bereit, auch allenfalls Mangel zu leiden, unermüdlich. Es ist recht bedeutend, daß die Vereinigung zwei so entgegengesetzter Waffenbrüderschaften, von denen die eine den alten, die andere den neuen Zustand des germanischen Europa in sich schloß, den letzten entscheidenden Sieg erfocht. Man begreift es, daß Wellington damals die Verfolgung ablehnte und daß er auch seitdem keine Lust bezeigt, die Institutionen seiner Armee zu verändern. Er ist eben auch hier ein Antireformer. Von seinen Mitstreitern vermochte er sich nicht einmal einen Begriff zu verschaffen. – Spricht Chambray auch von der französischen Armee nach Napoleon?

FRIEDRICH: Er ist nicht gerade ihr Bewunderer. Er kann es nicht vertragen, daß ein General, der zwanzig Schlachten gewonnen, nicht soviel politische Rechte ausüben soll, als ein Krämer, welcher ein paar hundert Franken Steuer zahlt. Das Avancement findet er bei weitem mehr von der Empfehlung eines Deputierten abhängig, der doch nur ein persönliches Interesse an dem Empfohlenen nimmt, als von dem Oberbefehlshaber, der denselben in den verschiedensten Lagen neben seinen Mitbewerbern geprüft hat. Die Offiziere scheinen zum Teil sogar ein Interesse bei einer Staatsveränderung zu haben, weil sich voraussehen läßt, daß viele dann nicht weiter dienen, sondern sich zurückziehen und mithin zahlreiche Avancements eintreten werden.

KARL: Sonderbar, wie der Zustand der Gesellschaft mit den Elementen, die in ihr vorherrschen, jedes einzelne Institut erfüllt. Es ist das doppelt merkwürdig bei der bewaffneten Macht, die einen so unbedingten und von dem Gange der inneren Staatsverwaltung unabhängigen Zweck hat, wo man von jeher sich alles anzueignen befleißigte, was sich bei dem Nachbar oder dem Feinde brauchbar erwies. –

FRIEDRICH: Eben das ist meine Bemerkung. Die das Ganze belebende, beherrschende Idee, der vorwaltende Zug des Geistes, der allgemeine Zustand bedingen Bildung und Wesen jedes Institutes. Man könnte freilich sagen, das Institut habe ganz für sich eine unabhängige Bedeutung. Insofern aber, in der Tat, sehe ich darin wenig mehr als eine Forderung, eine Möglichkeit; erst in der Ausführung erhält es geistige Realität; dann aber treten auch sofort die Unterschiede hervor.

KARL: Ich gestehe, ich habe schon öfter etwas Ähnliches wahrzunehmen geglaubt. Man rät uns oft an, eine oder die andere Einrichtung aus einem andern Lande aufzunehmen; aber wer steht uns dafür, daß sie bei uns nicht in etwas anderes umschlägt? Die Franzosen wünschten, sich das deutsche Unterrichtssystem anzueignen. Dies System beruht jedoch so sehr auf den Bedürfnissen, Gedanken und der Entwicklung der deutschen protestantischen Kirche, es ist so ganz vom Geiste derselben durchdrungen und getränkt, daß sie wohl nur die äußersten Umrisse, nur die Anschauung der zur Erscheinung gebrachten Idee an sich bringen können. Welch einen Unterschied nehmen wir zwischen den Universitäten der verschiedenen Länder wahr, obwohl sie in allen auf derselben historischen Grundlage beruhen!

FRIEDRICH: Nun wohl! mit Vergnügen sehe ich, daß du hierin mit mir übereinstimmst. Es ist ein wesentliches Stück der Vorstellung, die wir zur Klarheit zu bringen haben. Dieselben Institute, mit demselben Zwecke, die auf den nämlichen historischen Grundlagen beruhen, sehen wir doch in den verschiedenen Ländern die abweichendsten Gestalten annehmen. – Woher, meinst du, daß dies abzuleiten ist?

KARL: Ich zweifle nicht, von den verschiedenen Verfassungen. – Die englische Kirche bringt die englischen Universitäten hervor, die Verfassung des Parlaments bestimmt die militärischen Institute; – mit unsrer Kirche und unserm Staate hängen alle Einrichtungen unsres Landes auf das genaueste zusammen.

FRIEDRICH: Zugestanden: aber ich frage weiter, wovon hängt die Verfassung ab?

KARL: Du wirst nicht fragen, wie sich eine jede im Laufe der Zeit entwickelt hat. Nur darauf, dächt' ich, käme es an, worin sie besteht. Der Gegensatz der Staatskörper, das Verhältnis der Gewalten, das Übergewicht der einen oder der andern, die ganze innere Ökonomie eines Landes, endlich die Bildungsstufe, auf der sich die Nation befindet.

FRIEDRICH: Wäre dem so, so müßtest du ja Konstitutionen kopieren und nach einiger Vorbereitung und Heranbildung auf einen andern Boden übertragen können. Ist es aber, wie du zugestehst und dir praktisch einleuchtet, schon so schwierig, einzelne Einrichtungen zu verpflanzen, wird es nicht in Hinsicht der allgemeinen Verfassung geradezu unmöglich sein? Selbst wenn dir das besser gelänge, als es gelingen kann, so würde doch etwas anderes, Verschiedenes entstehen.

KARL: Nach den verschiedenen Modifikationen der Zustände, wie ja auch eine lebendige Verfassung in dem eigenen Lande unaufhörliche Abwandlungen erfährt.

FRIEDRICH: Täuschen wir uns nicht mit Möglichkeiten, an die wir doch eigentlich nicht glauben. Die Formen lassen sich verpflanzen; das aber, woher dieselben ihren Ursprung haben, nicht allein historische Grundlagen, sondern der Geist, welcher Vergangenheit und Gegenwart verbindet, und der auch die Zukunft beleben muß, wie wollt ihr den kopieren? Oder vielmehr – denn das würde nicht einmal etwas helfen – ihr müßtet euch seiner bemächtigen und ihn selbst eurer neuen Schöpfung einhauchen.

KARL: Ich sollte doch glauben, es wäre ohnehin eine innere Verwandtschaft da. Allenthalben sehe ich die drei Stände, ähnliche Formen, korrespondierende Parteien, die den wärmsten Anteil an Interessen nehmen, von denen sie unmittelbar gar nicht berührt werden. Es gibt einen Geist der Aristokratie, der Demokratie, der gemischten oder der reinen Monarchie. Ich will nicht sagen, daß alles gleich sein müsse, ich bin weit davon entfernt. Aber eine Verfassung hat an der einen, eine andere an der andern Stelle eine vollkommenere Ausbildung: warum soll man nicht dieses Vollkommenere nachahmen, sich aneignen können?

FRIEDRICH: Du scheinst mir diese Verfassungsarten zu hoch anzuschlagen. Es sind Klassifikationen, wie in der Botanik; aber glaubst du, daß ein Liebhaber seine Blumen an den Staubfäden erkennt? Man machte jene Unterscheidungen im Altertum, und so haben sie sich in Geltung erhalten. Jedoch noch etwas anderes lebte in Athen, als der demokratische Geist. Die Demokratie hat die Ideale der schönen Kunst nicht hervorgebracht: Plato war ein schlechter Demokrat. Denke dir die Aristokratie nach allen ihren Prädikaten, niemals könntest du Sparta ahnen, ich will nicht sagen, seine Taten und Sitten, sondern nur die Art und Weise seiner Verfassung, nur das Verhältnis zwischen Spartiaten, Lacedämoniern und Heloten.

KARL: Doch wirft du diese Unterscheidungen nicht für unwichtig erklären. Du wirst nicht leugnen, daß die verschiedenen Staaten etwas Gemeinschaftliches haben.

FRIEDRICH: Mich deucht aber, wir müssen das Formelle und das Reale unterscheiden. Das Formelle ist das Allgemeine, das Reale ist das Besondere, Lebendige. Gewisse Formen der Verfassung, – namentlich die, welche eine Beschränkung der persönlichen Willkür bezwecken, – Festsetzungen der Standesverhältnisse mögen allen Staaten notwendig sein. Aber sie sind nicht das ursprüngliche Leben, durch welches vielmehr alle Formen erst ihren Inhalt bekommen. Es gibt etwas, wodurch jeder Staat nicht eine Abteilung des Allgemeinen, sondern wodurch er Leben ist, Individuum, er selber.

KARL: Verstehe ich dich recht, so weicht deine Ansicht dadurch von andern ab, daß man gewöhnlich von den Verschiedenheiten der Form ausgeht und aus den Gattungen, die man annimmt, das Individuelle hervortreten läßt; du dagegen betrachtest die Formen mehr als ein zweites, untergeordnetes Element: als ursprünglich setzest du das eigentümlich geistige Dasein des individuellen Staates, sein Prinzip.

FRIEDRICH: Wir können es uns an dem Beispiele der Sprache deutlich machen. Die Formen, in denen sich die Grammatik bewegt, haben eine allgemeine Übereinstimmung: sie kehren immer und überall auf gewisse Weise wieder. Aber der Geist jeder besonderen Sprache bringt eine unendliche Mannigfaltigkeit von Modifikationen hervor. Unter dem Prinzip des Staates haben wir nicht eine Abstraktion der Meinung, sondern sein inneres Leben zu verstehen; dies Prinzip verleiht jenen Formen der menschlichen Gesellschaft, die, ich leugne es nicht, ihr unentbehrlich sind, erst ihre bestimmende Modifikation, die Erfüllung der Realität.

KARL: Du setzest demnach gleichsam verschiedene geistige Substanzen, welche alle Modalitäten der Verfassung und der Gesellschaft erst beleben. Aber sprichst du damit nicht aller allgemeinen Politik Hohn? Du scheinst mir die ersten Grundfragen, von denen die Doktrin über den Staat auszugehen pflegt, zu übersehen.

FRIEDRICH: Du meinst die Fragen über die ursprüngliche Bildung der Staaten, das Pactum unionis et subjectionis.

KARL: Welches der Anfang des Staates überhaupt war, Gewalt oder Vertrag, ob die Regierung eine ihr delegierte oder ursprünglich inhärierende Befugnis ausübt.

FRIEDRICH: Verzeih mir, es ist ein Gebiet, das ich ungern berühre. Es liegt jenseit unserer Wahrnehmung. Hast du wohl vor kurzem die Sternwarte besucht und unsern neuen Fraunhofer erprobt?

KARL: Wie kommst du darauf?

FRIEDRICH: Wenn man den ganzen Himmel betrachtet hat, selbst die unermeßlichen Sterngruppen, die die Milchstraße ausmachen, und den Blick immer tiefer in den unendlichen Raum versenkt, so begegnet uns in letzter Entfernung gleichsam eine zweite Nacht, noch tiefer und dunkler, auf deren Boden wir eine neue Welt, wunderbarere Gebilde wahrnehmen.

KARL: Die Nebelflecke meinst du.

FRIEDRICH: Schwachleuchtende flüssige Meteore, bald Scheiben, bald Bogen, bald Ringe, und doch eine Sternenwelt, von der man glauben möchte, sie wäre noch in ihrer Bildung begriffen. Ich frage dich, soll man wohl die Astronomie auf die unsichern Beobachtungen gründen, die wir in jenem Gebiete machen können?

KARL: Und scheinen dir die Theorien über den Staat, die sich in so strenger Form darstellen, wirklich mit einem so chimärischen Beginnen verglichen werden zu können?

FRIEDRICH: Man übersieht das, was man zunächst hat, und aus der dunkelsten Ferne sucht man zerstreute Tatsachen auf, um sie doch auf das Nächste anzuwenden. Aber Kepler entdeckte die Gesetze, die nach ihm den Namen führen, nur nach den genauesten, sorgfältigsten Beobachtungen eines wirklich zu erreichenden, zu berechnenden Himmelskörpers.

KARL: Wolltest du der allgemeinen Politik, wie wir sie jetzt haben, ihre Gültigkeit überhaupt ableugnen?

FRIEDRICH: Sie ist mir so problematisch wie der Wert der sogenannten philosophischen Grammatik. Auch diese führt mit der logischen Erörterung allgemeiner Sprachformen niemals zum Ziele. Jede Sprache stellt tausend besondere Modifikationen derselben dar. Erst durch umfassende historische Untersuchung und Kombination wird man sich zu ahnender Erkenntnis der in der Tiefe waltenden, alle beherrschenden geistigen Gesetze erheben. Wie mit jener Grammatik, so steht es mit der Politik, die von der leeren Idee des Staates ausgeht. Erinnere dich an Fichte. »Da die Oberfläche der Erde zerschnitten ist,« sagte er, »durch Meere, Flüsse, Gebirge, und durch sie die Menschen getrennt, so ward es auch dadurch notwendig, daß verschiedene Staaten entstunden.« Glaubst du, daß man von einem solchen Anfang aus wirklich zur Anschauung und Würdigung des Ursprünglichen und in dem Geiste Verschiedenen gelangen kann?

KARL: Unerläßlich aber bleibt immer die allgemeine Erörterung. Der Mensch muß doch wissen, warum er im Staate ist, warum er gehorcht.

FRIEDRICH: Du hast recht, daß die Theorie von diesem Bedürfnis ausgeht. Sie ist eine Vermittlung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht. Jenes sucht in diesem seinen Schutz, seine letzte Gewährleistung; dieses nimmt die Elemente des ersten in sich auf.

KARL: Und kommt es nicht in der Tat auf diese Vermittlung an? Ist nicht die allgemeine Sicherheit eines der vorzüglichsten Resultate moderner Staatsverwaltung?

FRIEDRICH: Ich leugne das nicht. Aber es wird sich aus dieser allgemeinen Forderung, die doch nur eine Rücksicht des Privatlebens ausmacht, höchstens auf die Notwendigkeit gewisser Formen und Bildungen schließen lassen, so wie dort in jenem Nebelmeere die ätherischen, flüssigen Gestalten sich auch hie und da wieder kompakter zeigen, sich um einen Kern gruppieren. Die frühesten Anfänge der Bildung kann man auf diese Weise erläutern, nicht aber zur Anschauung und Beurteilung der vollendeten Wesenheiten gelangen.

KARL: Und so leugnest du, daß sich mit dem Begriffe des Staates im allgemeinen viel anfangen lasse.

FRIEDRICH: Ich halte dafür, die echte Politik muß eine historische Grundlage haben, auf Beobachtung der mächtigen und in sich selbst zu namhafter Entwicklung gediehenen Staaten beruhen.

KARL: Wird man nicht aus dem Allgemeinen zu dem Besonderen fortgehen können?

FRIEDRICH: Ohne Sprung, ohne neuen Anfang kann man aus dem Allgemeinen gar nicht in das Besondere gelangen. Das Real-Geistige, welches in ungeahnter Originalität dir plötzlich vor den Augen steht, läßt sich von keinem höheren Prinzip ableiten. Aus dem Besonderen kannst du wohl bedachtsam und kühn zu dem Allgemeinen aufsteigen; aus der allgemeinen Theorie gibt es keinen Weg zur Anschauung des Besonderen.

KARL: Worin setzest du aber dies Besondere?

FRIEDRICH: Laß uns von dem Allergeringsten anfangen. Sieh da unsern Jacques, eine Art von dienendem Kosmopoliten, der sein Talent der Dienstbarkeit schon in Italien, in Konstantinopel und Petersburg versucht hat und durch ungünstige Winde endlich in diese Einsiedelei eines deutschen Gelehrten verschlagen worden, – ist er nicht in jeder seiner Bewegungen ein alter Franzos?

KARL: So bewegt er die Arme, wenn er auf der Straße geht, so faßt er die Lampe an; so gebärdet er sich, wenn ihm etwas Unerwartetes begegnet; so sind seine Gefühle, vielleicht seine Gedanken.