Ausgewählte Romane & Erzählungen von Henryk Sienkiewicz (17 Titel in einem Band) - Henryk Sienkiewicz - E-Book

Ausgewählte Romane & Erzählungen von Henryk Sienkiewicz (17 Titel in einem Band) E-Book

Henryk Sienkiewicz

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Beschreibung

In 'Ausgewählte Romane & Erzählungen von Henryk Sienkiewicz' versammeln sich 17 literarische Werke, die das Schaffen des polnischen Nobelpreisträgers umfassend repräsentieren. Sienkiewicz vereint in seinen Erzählungen historische Elemente mit tiefen menschlichen Emotionen und einer ausgeprägten moralischen Reflexion. Sein unverwechselbarer Stil verbindet eine präzise Beobachtungsgabe mit einem lebendigen, bildhaften Ausdruck, wodurch komplexe Charaktere und facettenreiche Handlungsstränge entstehen, die den Leser in die Welt des 19. Jahrhunderts entführen. Die Vielzahl der Erzählungen spiegelt nicht nur die politischen und sozialen Umbrüche seiner Zeit wider, sondern thematisiert auch universelle menschliche Erfahrungen von Liebe, Verrat und Heldentum. Henryk Sienkiewicz, geboren 1846 in Polen, erlangte durch seinen unermüdlichen Einsatz für die polnische Literatur sowie durch sein umfangreiches Wissen über Geschichte und Kultur internationale Anerkennung. Sein Engagement für die nationalen Belange Polens, gepaart mit seiner Leidenschaft für die europäische Literatur, prägte seine Werke entscheidend. Sienkiewiczs eigene Erlebnisse, insbesondere die politischen Unruhen und der Kampf um die nationale Identität, fließen in seine Erzählungen ein, wodurch sie einen persönlichen und zeitgeschichtlichen Kontext erhalten. Dieses Buch ist ein Muss für jeden Literaturinteressierten und bietet eine fundierte Grundlage für die Auseinandersetzung mit Sienkiewiczs Werk. Die Vielfalt der Themen und Stile lädt dazu ein, in die Tiefe der menschlichen Erfahrung einzutauchen und lädt zur Reflexion über die eigenen Werte und Überzeugungen ein. Lassen Sie sich von Sienkiewiczs meisterhafter Prosa fesseln und erweitern Sie Ihr literarisches Repertoire um dieses bedeutende Sammelwerk. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine umfassende Einführung skizziert die verbindenden Merkmale, Themen oder stilistischen Entwicklungen dieser ausgewählten Werke. - Die Autorenbiografie hebt persönliche Meilensteine und literarische Einflüsse hervor, die das gesamte Schaffen prägen. - Ein Abschnitt zum historischen Kontext verortet die Werke in ihrer Epoche – soziale Strömungen, kulturelle Trends und Schlüsselerlebnisse, die ihrer Entstehung zugrunde liegen. - Eine knappe Synopsis (Auswahl) gibt einen zugänglichen Überblick über die enthaltenen Texte und hilft dabei, Handlungsverläufe und Hauptideen zu erfassen, ohne wichtige Wendepunkte zu verraten. - Eine vereinheitlichende Analyse untersucht wiederkehrende Motive und charakteristische Stilmittel in der Sammlung, verbindet die Erzählungen miteinander und beleuchtet zugleich die individuellen Stärken der einzelnen Werke. - Reflexionsfragen regen zu einer tieferen Auseinandersetzung mit der übergreifenden Botschaft des Autors an und laden dazu ein, Bezüge zwischen den verschiedenen Texten herzustellen sowie sie in einen modernen Kontext zu setzen. - Abschließend fassen unsere handverlesenen unvergesslichen Zitate zentrale Aussagen und Wendepunkte zusammen und verdeutlichen so die Kernthemen der gesamten Sammlung.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Henryk Sienkiewicz

Ausgewählte Romane & Erzählungen von Henryk Sienkiewicz (17 Titel in einem Band)

Bereicherte Ausgabe. Quo Vadis? + Mit Feuer und Schwert + Ohne Dogma + Pan Wolodyjowski + Sturmflut + Die Kreuzritter
In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen
Einführung, Studien und Kommentare von Sterling Hale
Bearbeitet und veröffentlicht von Good Press, 2023
EAN 8596547675563

Inhaltsverzeichnis

Einführung
Autorenbiografie
Historischer Kontext
Synopsis (Auswahl)
Ausgewählte Romane & Erzählungen von Henryk Sienkiewicz (17 Titel in einem Band)
Analyse
Reflexion
Unvergessliche Zitate

Einführung

Inhaltsverzeichnis

Dieser Band vereint unter dem Titel „Ausgewählte Romane & Erzählungen von Henryk Sienkiewicz (17 Titel in einem Band)“ eine repräsentative Auswahl aus dem erzählerischen Schaffen eines der prägenden Prosaautoren des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die Sammlung versteht sich nicht als Gesamtwerk, sondern als bewusst kuratierter Querschnitt. Sie verfolgt die Zielsetzung, unterschiedliche Schaffensphasen, Stofffelder und formale Lösungen nebeneinander erfahrbar zu machen: großangelegte historische Romane, moderne Gesellschafts- und Ideenromane sowie konzentrierte Erzählungen. Leserinnen und Leser erhalten damit sowohl einen Einstieg in zentrale Werke als auch die Gelegenheit, weniger bekannte Texte im Kontext einer großen Erzähltradition neu zu entdecken.

Der Umfang dieser Edition ist so bemessen, dass sie kanonische Hauptwerke und profilierte Nebenstücke in einem Lektüregang verbindet. Statt Vollständigkeit anzustreben, legt die Auswahl den Akzent auf Breite und Kontrast: auf das Spannungsverhältnis von epischer Weite und erzählerischer Prägnanz, von öffentlicher Geschichte und privaten Lebensläufen. Sie eröffnet den Zugang zu Figuren, Milieus und Schauplätzen, die Sienkiewicz’ Ruhm als meisterhaften Erzähler begründet haben, und zeigt zugleich, wie seine Themen in unterschiedlichen Formen variiert werden. Das Ergebnis ist ein geschlossenes Panorama, das den Reichtum einer singulären Stimme in deutscher Sprache bündelt.

Im Zentrum stehen die großen historischen Romane, die Sienkiewicz international bekannt gemacht haben. Quo vadis? rahmt diese Sphäre mit einem Blick in die Antike, während Mit Feuer und Schwert, Sintflut und Pan Wolodyjowski, der kleine Ritter als historischer Zyklus das Spektrum militärischer, politischer und sozialer Bewährungsproben entfalten. Die Kreuzritter erweitert die historische Perspektive um ein mittelalterliches Panorama. Diese Werke sind hier nicht als isolierte Monumente versammelt, sondern als Teil eines größeren Ganzen, das zeigt, wie historische Erfahrung erzählerisch geformt, verdichtet und in Bilder kollektiver Erinnerung überführt wird.

Der Band rückt daneben die modernen Romane ohne Waffenlärm ins Licht: Familie Polaniecki und Ohne Dogma wenden sich der Gegenwart ihrer Entstehungszeit zu und untersuchen mit psychologischer Sensibilität Fragen von Moral, Selbstentwurf und gesellschaftlicher Stellung. Auf dem Felde der Ehre ergänzt die historische Linie, während Sturmflut (Übersetzung von Clara Hillebrand) die Spannweite der Themen aktualisiert. Diese Texte eröffnen eine andere Skala des Urteilens: Sie zeigen das Ringen um Sinn und Haltung in Zeiten raschen Wandels und legen offen, wie Sienkiewicz private Lebensläufe mit größeren kulturellen und sozialen Bewegungen verschränkt.

Neben den Romanen präsentiert die Sammlung eine Reihe von Erzählungen, die thematisch und formal eigene Akzente setzen. Hier begegnen wir kompakten, präzise gebauten Prosastücken, deren innere Dramaturgie mit knappen Mitteln große Wirkung erzielt. Die Bandbreite reicht von maritimen und abenteuerlichen Motiven über ländliche Miniaturen bis hin zu städtischen Interieurs. Die Erzählform erlaubt es, Situationen und Figuren im Moment der Entscheidung zu fokussieren, Atmosphären scharf zu stellen und Ideen knapp zu profilieren. Als Kontrapunkt zu den epischen Romanwelten machen diese Texte die Vielseitigkeit und den formalen Erfindungsreichtum des Autors greifbar.

Auf dem „großen Wasser“, Der Leuchtturmwächter und Seemanns-Legende rufen maritime Räume auf, in denen Naturgewalten, Berufsethos und Einsamkeit zu existenziellen Prüfsteinen werden. Komödie der Irrungen neigt zur heiteren Seite der menschlichen Verwicklungen und zeigt, wie Takt, Timing und Beobachtungsgabe komische Präzision erzeugen. Die Jagd nach dem Glück bündelt moderne Sehnsüchte in erzählerischen Verdichtungen, die Grenzlinien zwischen Wunsch und Wirklichkeit ausloten. Diese Texte sind in ihrer Tonlage verschieden, doch verbindet sie die Fähigkeit, mit wenigen Strichen Welten zu entwerfen und Figuren in klarer Kontur vor den Leser treten zu lassen.

Waldidyll, Der Organist von Ponikla, Orso und An der Quelle öffnen weitere Register. Ländliche Szenerien, künstlerische Berufungen und intime Augenblicke bilden Mikrokosmen, in denen Fragen nach Herkunft, Berufung und Gemeinsinn konkret werden. Musik, Handwerk und Natur erscheinen dabei nicht als bloße Kulisse, sondern als Träger von Stimmung und Bedeutung. Solche Erzählungen zeigen Sienkiewicz’ Gespür für das kleine Format: die Genauigkeit des Blicks, die Ökonomie des Dialogs, die Fähigkeit, moralische und emotionale Spannungen in alltäglichen Situationen sichtbar zu machen. Im Wechsel mit den Romanen entsteht ein vielstimmiges, aber harmonisches Gesamtbild.

Was diese Sammlung innerlich zusammenhält, sind wiederkehrende Themen von bleibender Gültigkeit: Loyalität und Verantwortung, Glaube und Zweifel, Ehre und Gemeinsinn, Liebe und Pflicht. Historische Umbrüche bilden den Resonanzraum, in dem individuelle Lebensentwürfe sich bewähren müssen; zugleich legen die modernen Romane und Erzählungen offen, wie dieselben Fragen im Zivilen, Privaten und Prosaischen fortwirken. Häufig treten Figuren an Kippmomenten auf, an Schwellen, an denen Entscheidungen Charakter formen. So verbindet sich das Pathos öffentlicher Geschichte mit der Intimität persönlicher Gewissenserkundung – eine Spannung, die Sienkiewicz immer neu produktiv macht.

Stilistisch zeichnet sich Sienkiewicz durch plastische Anschaulichkeit, klare Architektonik und erzählerischen Schwung aus. Seine Prosa vereint rhythmische Energie mit bildkräftiger Präzision; Schlachtszenen, Rituale, Landschaften und Stadtbilder gewinnen Tiefe durch konkrete Details, ohne den Lesefluss zu hemmen. Zugleich bleibt Raum für Ironie, Ruhepunkte und leise Beobachtungen. In den Erzählungen zeigt sich eine Kunst der Verdichtung: Andeutungen ersetzen Erklärungen, Dialoge tragen Subtext, Pointen entstehen organisch aus Figurenkonstellationen. Die stilistische Spannweite – vom feierlichen Ton bis zur unpathetischen Nüchternheit – macht die Sammlung zu einem Musterbuch epischer und kurzer Form gleichermaßen.

Bedeutsam ist auch, wie die Texte Wissen und Erfahrung vermitteln. In den historischen Romanen entsteht eine Geschichtsbühne, auf der Ereignisse, Sitten, Waffen, Bräuche und Reden in überzeugender Anschaulichkeit präsent werden; in den zeitgenössischen Stoffen treten soziale Codes, ökonomische Zwänge und psychologische Konflikte präzise hervor. Die Erzählungen arbeiten mit Konzentration: Orte und Berufe – vom Wald bis zum Meer, vom Organisten bis zum Künstler – werden durch wenige, treffende Züge charakterisiert. So entsteht kein museales Bild, sondern eine lebendige Dramaturgie von Entscheidungen, deren Konsequenzen über die Szene hinaus nachhallen.

Als Gesamtheit bleibt diese Auswahl bedeutsam, weil sie zeigt, wie Literatur Brücken zwischen Epochen, Milieus und Temperamenten schlägt. Sie führt vor, dass Fragen nach Integrität, Solidarität, Mut und Maß nicht altern, sondern in wechselnden historischen Formaten neu gestellt werden. Wer die großen Romane liest, erlebt die Kraft narrativer Weltenbildung; wer die Erzählungen verfolgt, erfährt, wie Einsicht und Empathie in knapper Form erzeugt werden. In beiden Fällen überzeugt eine Prosa, die das Konkrete ernst nimmt und daraus allgemeine Bedeutung gewinnt – ein Grund, weshalb diese Texte weiter gelesen werden.

Die hier versammelten Werke liegen in deutscher Sprache vor; bei Sturmflut ist die Übersetzung von Clara Hillebrand ausdrücklich ausgewiesen. Der Band lädt zu einer Lektüre ein, die zwischen monumentaler Weite und konzentrierter Kürze pendelt, ohne sich auf eine einzige Tonlage festzulegen. Er richtet sich an Erstleserinnen und Wiederleser gleichermaßen: an jene, die große Erzählräume suchen, und an jene, die in der knappen Form das Wesentliche finden. Indem er Romane und Erzählungen nebeneinanderstellt, macht der Band sichtbar, wie ein Autor mit konsistenter Stimme unterschiedliche Gattungen fruchtbar macht – als lebendiges Ganzes.

Autorenbiografie

Inhaltsverzeichnis

Henryk Sienkiewicz (1846–1916) war ein polnischer Schriftsteller und Journalist, dessen epische Prosa das kulturelle Gedächtnis seines Landes nachhaltig prägte. Er schrieb unter den Bedingungen der Teilungen Polens und verband historische Erzählkunst mit moralischen und patriotischen Fragestellungen. Als Autor populärer Romane und Novellen erreichte er ein breites Lesepublikum in Europa und darüber hinaus. Sein Werk vereint sorgfältige historische Recherche mit erzählerischer Spannung und einer ausgeprägten Sinn für Charakterzeichnung. 1905 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, was seine internationale Stellung festigte und die anhaltende Rezeption seiner Bücher in verschiedenen Sprachen förderte.

Aufgewachsen im Kongresspolen, erhielt Sienkiewicz seine Ausbildung in Warschau, wo er nach dem Abitur an höheren Schulen Geschichte, Literatur und einige Semester Rechtswissenschaft studierte. Die intellektuelle Atmosphäre nach dem Januaraufstand begünstigte den polnischen Positivismus, dessen pragmatisches Programm – Arbeit an Bildung, Sprache und Alltagsmodernisierung – seine frühen Texte prägte. Zugleich fühlte er sich der romantischen Tradition verpflichtet, deren Pathos und Geschichtsbild er kritisch aufnahm. Literarisch wirkten europäische Vorbilder wie Walter Scott und Alexandre Dumas, außerdem die polnischen Klassiker um Adam Mickiewicz. Dieser Spannungsbogen zwischen Realismus, Romantik und bürgerlicher Moral bestimmte seine Themenwahl und erzählerische Perspektive.

Seine berufliche Laufbahn begann Sienkiewicz als Publizist und Feuilletonist in Warschauer Zeitungen, wo er Reportagen, Kritiken und Novellen veröffentlichte. In den späten 1870er-Jahren reiste er nach Westeuropa und weiter in die Vereinigten Staaten. Aus dieser Erfahrung gingen Briefserien hervor, die Beobachtungen zu Landschaft, Siedlungsgeschichte und gesellschaftlicher Dynamik zusammenführten und sein Erzählen verdichteten. Die amerikanischen Eindrücke schärften sein Gespür für Tempo, Dialog und plastische Szenerien, ohne die Bindung an polnische Themen zu lösen. Zurück in Europa festigte er seinen Ruf als vielseitiger Autor, der historische Stoffe, Gegenwartsnotizen und psychologisch pointierte Kurzprosa souverän miteinander verband.

Den literarischen Durchbruch markierte seine sogenannte Trilogie, ein Zyklus großer historischer Romane aus dem 17. Jahrhundert: Mit Feuer und Schwert, Die Sintflut und Pan Wołodyjowski. In den 1880er-Jahren zunächst als Fortsetzungswerke erschienen, verbanden sie dramatische Ereignisse, sorgfältig recherchierte Schauplätze und charakterstarke Figuren mit einer klaren Vorstellung nationaler Verantwortung. Die Bücher fanden ein begeistertes Publikum, stärkten in Zeiten politischer Fremdherrschaft das historische Selbstbewusstsein und etablierten Sienkiewicz als führenden Erzähler Polens. Ihre Balance aus Abenteuer, Ironie und ethischen Imperativen prägte auch spätere Generationen von Leserinnen und Lesern sowie zahlreiche Adaptionen in Theater und Film.

Auf dem Höhepunkt seiner internationalen Wirkung schrieb Sienkiewicz Quo vadis, einen in der frühen Kaiserzeit Roms angesiedelten Roman. Er verband antike Kulissen mit Reflexionen über Gewissen, Glaube und Macht, ohne den Gestus einer mitreißenden Erzählung preiszugeben. Das Buch wurde weltweit gelesen und in viele Sprachen übersetzt; es trug entscheidend zu seinem Ruhm über Polen hinaus bei. 1905 erhielt Sienkiewicz den Nobelpreis für Literatur, gewürdigt für die vorbildliche epische Kraft seines Gesamtwerks. Die Auszeichnung bestätigte sein Profil als Autor, der historische Distanz, moralische Fragestellung und populäre Lesbarkeit zu einer nachhaltig wirkenden Form vereinte.

Neben den großen Romanen veröffentlichte Sienkiewicz eine Reihe einflussreicher Erzählungen und Novellen, darunter Janko Muzykant, Latarnik, Sachem und Szkice węglem. In den frühen 1910er-Jahren erschien der Abenteuerroman W pustyni i w puszczy, auf Deutsch In Wüste und Wildnis, der jüngere Leserinnen und Leser ansprach. Themen wie Mut, Loyalität, Bildung und soziale Verantwortung kehren in variierenden Formen wieder. Stilistisch verbinden sich klare Komposition, anschauliche Dialoge und ein bewusster Einsatz historischer Stoffe. Sienkiewicz engagierte sich zudem öffentlich für Kultur- und Bildungsanliegen, nutzte seine Bekanntheit zur Unterstützung wohltätiger Zwecke und zur Förderung der polnischen Sprache.

Die letzten Lebensjahre verbrachte Sienkiewicz überwiegend in der Schweiz, wohin ihn der Erste Weltkrieg und sein humanitäres Engagement führten. Gemeinsam mit Verbündeten, unter ihnen Ignacy Jan Paderewski, setzte er sich für Hilfsaktionen zugunsten polnischer Kriegsopfer ein. Er starb 1916 in Vevey; in den 1920er-Jahren wurden seine sterblichen Überreste feierlich nach Warschau überführt. Sein Vermächtnis prägt den Literaturkanon, den schulischen Unterricht und das kulturelle Selbstverständnis Polens. International bleiben seine Werke als Beispiele des historischen Romans präsent, die Diskussionen über Patriotismus, Ethik und Erzähltradition anstoßen und neue Leserinnen und Leser in regelmäßigen Abständen finden.

Historischer Kontext

Inhaltsverzeichnis

Henryk Sienkiewicz, geboren 1846 in Wola Okrzejska und gestorben 1916 in Vevey, entfaltete ein Werk, das antike, mittelalterliche und neuzeitliche Stoffe mit zeitgenössischen gesellschaftlichen Fragen verbindet. Sein erzählerisches Spektrum reicht von Rom zur Zeit der frühen Christen über die polnisch-litauische Adelsrepublik bis zu maritimen und ländlichen Lebenswelten des 19. Jahrhunderts. Als Feuilletonist, Romancier und Erzähler schrieb er für ein Massenpublikum, ohne auf ästhetischen Anspruch oder moralische Orientierung zu verzichten. Viele Texte erschienen zunächst in Zeitungen und als Fortsetzungsromane, bevor sie als Bücher europaweite Verbreitung fanden und in mehrere Sprachen übersetzt wurden, was ihre Wirkung erheblich verstärkte.

Der Hintergrund fast der gesamten Laufbahn Sienkiewiczs ist das geteilte Polen nach den Teilungen von 1772, 1793 und 1795 zwischen Russland, Preußen und Österreich. Nach dem Januaraufstand 1863 wirkten Zensur, Russifizierung und politische Repression nachhaltig auf das Kulturleben, besonders im von St. Petersburg kontrollierten Kongresspolen. Die Antwort vieler Intellektueller firmierte als Positivismus mit Programmen wie praca u podstaw, also Arbeit an der Basis, und praca organiczna, organische Arbeit. Literatur sollte bilden, stärken und modernisieren. Sienkiewicz verband diese Programmatik mit populären historischen Stoffen, die kollektives Gedächtnis belebten und zugleich den Alltag unter Fremdherrschaft reflektierten.

Die Erinnerung an die Adelsrepublik, die 1569 mit der Union von Lublin ihre Gestalt fand, prägte zentrale historische Horizonte in Sienkiewiczs Schaffen. Für die polnische Kultur des 19. Jahrhunderts wurden die Konflikte des 17. Jahrhunderts zum Reservoir von Sinn- und Identitätsangeboten: der Kosakenaufstand unter Bohdan Chmelnyzkyj ab 1648, die schwedische Invasion der Jahre 1655 bis 1660, Kriege an der Ostgrenze und die Konfrontation mit dem Osmanischen Reich bis in die 1670er Jahre. Diese Ereignisse lieferten Stoffe, Figuren und Topoi, in denen Loyalität, Ehre, Glaube und Staatlichkeit verhandelt wurden, weit über einzelne Werke hinaus.

Sienkiewicz arbeitete im Spannungsfeld von romantischer Tradition und positivistischer Nüchternheit. Die romantische Vorrangstellung nationaler Mythen und Heldengeschichten blieb wichtig, doch er formte sie zu lesbarer Epik für ein modernes Publikum. Dabei verband er Pathos mit psychologischer und sozialer Beobachtungskraft. Der katholische Wertehorizont fungierte als ethisches Koordinatensystem, das individuelle Haltungen wie Pflicht, Opfer und Barmherzigkeit strukturierte. Berühmt wurde die Formel ku pokrzepieniu serc, zur Stärkung der Herzen, die sein Publikum im geteilten Land adressierte. So erhielten historische oder zeitgenössische Handlungen eine didaktische Dimension, ohne gänzlich in Tendenzliteratur aufzugehen.

Die Publikationsbedingungen unter Zensur waren ambivalent. In Warschau boten Zeitungen wie Gazeta Polska und später das konservative Blatt Slowo, das Sienkiewicz ab 1882 zeitweise leitete, Plattformen für Fortsetzungsromane, Feuilletons und Reisebriefe. Die Zensur zwang zu Anspielungen, Allegorien und historischen Umwegen, die gleichwohl von Leserinnen und Lesern verstanden wurden. Parallel kamen Drucke in Krakau und Lemberg zustande, wo unter habsburgischer Verwaltung polnische Publizistik relativ freier agieren konnte. Der Literaturbetrieb entwickelte Vertriebsnetze zwischen Warschau, Krakau, Lemberg, Posen und den polnischen Gemeinden im Ausland, was die Reichweite des Werks entscheidend vergrößerte.

Die internationale Rezeption kulminierte 1905 im Nobelpreis für Literatur, mit dem die Schwedische Akademie Sienkiewiczs epische Kraft würdigte. Bereits zuvor zirkulierten Übersetzungen in Englisch, Französisch und Deutsch. Der deutschsprachige Markt, mit Zentren in Leipzig und Berlin, trug erheblich zur Kanonisierung bei; Übersetzerinnen und Übersetzer wie Clara Hillebrand machten die großen historischen Romane und Erzählungen einem breiten Publikum zugänglich. Bühnenfassungen und frühe Visualisierungen verstärkten die Wirkung. Die transnationale Zirkulation veränderte zudem die Themenpolitik: religiöse, historische und patriotische Motive wurden über den polnischen Kontext hinaus als universale Fragen von Glaube, Herrschaft und Ethik lesbar.

Reise- und Emigrationsschichten prägen Sienkiewiczs Prosa nachhaltig. Seine Amerikareise 1876 bis 1878, zeitgleich mit der Weltausstellung in Philadelphia, führte ihn über New York nach Chicago und bis nach Kalifornien, wo er die polnische Siedlung in Anaheim besuchte. Aus dem Milieu der Fabriken, Eisenbahnen und Goldgräberstädte berichtete er in Reportagen und Briefen für Warschauer Zeitungen. Industrialisierung, soziale Umbrüche und die Erfahrungen polnischer Migranten wurden zu wiederkehrenden Themen seiner Erzählkunst. Sie ermöglichen Vergleiche zwischen der alten Welt und der dynamischen Moderne, zwischen provinzieller Bindung und globaler Mobilität, die sich in verschiedenen Texten spiegeln.

Die Afrikareise 1890 bis 1891, die Sienkiewicz über Zanzibar und Mombasa führte, verknüpfte ihn mit imperialen Verkehrs- und Wissensräumen des späten 19. Jahrhunderts. Nach der Kongo-Konferenz von Berlin 1884 bis 1885 erfasste die europäische Expansion weite Teile Afrikas. Reiseberichte und Erzählungen aus diesem Umfeld reflektieren die Faszination technologischer Neuerungen wie Dampfschiffe und Telegraphie, aber auch die Spannungen kolonialer Begegnungen. Das maritime Motiv, die Küsten und offenen Gewässer, liefert zugleich Bilder für Gefahr, Rettung und Schicksal. Solche Erfahrungen ergänzten die europäischen historischen Sujets um globale Perspektiven und existenzielle Grenzsituationen.

Die christliche Symbolik, von den Katakomben bis zur Kathedrale, strukturierte Sienkiewiczs moralische Welt. Das Bild der frühen Kirche unter römischer Verfolgung, etwa nach dem Brand Roms 64 nach Christus unter Kaiser Nero, war im europäischen Fin de Siècle weit verbreitet. Zugleich gewann in Polen eine katholische Erneuerungsbewegung an Bedeutung, deren sozialethische Fragen durch die Enzyklika Rerum Novarum von Papst Leo XIII. im Jahr 1891 neu akzentuiert wurden. Pilgerorte wie Jasna Gora in Czestochowa stifteten kollektive Identität. So verbinden sich religiöse Motive mit Fragen sozialer Gerechtigkeit, Gewissen und Gemeinschaft in vielen Textzusammenhängen.

Um 1890 bis 1910 verschob sich der Ton der europäischen Literatur in Richtung psychologischer Selbstanalyse und Dekadenzdiagnosen. In Polen trat die Bewegung Młoda Polska, die Junge Polen, mit Namen wie Stanislaw Wyspianski und Stanislaw Przybyszewski hervor. Auch Sienkiewicz reagierte auf die neue Sensibilität, ohne den Boden einer klaren Erzählführung zu verlassen. Tagebuchformen, Selbstbeobachtung, Bildungswege und Bewährungsproben bürgerlicher Figuren rücken in den Fokus. Das Wechselspiel von Pflicht und Begehren, Tradition und Modernität, Glauben und Skepsis wird so zum inneren Drama. Diese Verfahren ergänzen seine epische Breite durch intime, zeitkritische Perspektiven.

Die Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts bildet eine zweite Konstante. Städte wie Warschau und Lodz wuchsen zu industriellen Zentren, während der alte Landadel unter ökonomischem Druck stand. Neue bürgerliche Eliten, Finanzkreise und technische Berufe formten Lebensstile und Wertordnungen. Familienromane, Stadt- und Landgeschichten greifen Kontraste zwischen Standestraditionen, Unternehmergeist, weiblicher Bildung und bürgerlicher Moral auf. Eisenbahnlinien, telegrafische Kommunikation und städtische Vereinskultur verändern Bindungen und Wahrnehmungen. Auch in kleineren Milieus, von Pensionen bis Salonkreisen, verhandelt Sienkiewicz die Frage, wie ein polnischer Lebensentwurf unter Fremdherrschaft, Wirtschaftswandel und religiöser Prägung bestehen kann.

Militärische Erinnerung und Ritterethos durchziehen zahlreiche historische Erzählstoffe. Die großen Eckdaten europäischer Kriegs- und Bündnispolitik fungieren als Fixpunkte: Grunwald 1410 gegen den Deutschen Orden, die schwedische Invasion der 1650er Jahre, osmanische Kriege und Wien 1683. Im 19. Jahrhundert dienten solche Ereignisse der Sinnstiftung in einer politisch entrechteten Nation. Erinnerungspolitik wurde öffentlich inszeniert, etwa mit dem Grunwald-Denkmal in Krakau 1910, finanziert von Ignacy Paderewski. Sienkiewiczs historische Epik resonierte in diesem Klima als ethische Schule des Bürgerkriegs und der Staatsraison, ohne den Einzelnen hinter nationalen Mythen verschwinden zu lassen.

Neben den Metropolen bleibt der ländliche Raum ein zentrales Erfahrungsfeld. Kleine Städte, Dörfer, Pfarrkirchen und Gutshöfe bilden Orte, an denen das soziale Gefüge sichtbar wird. Figuren aus Handwerk, Klerus und niederen Schichten erhalten erzählerisches Gewicht. Wälder, Flüsse und Felder sind nicht bloß Kulissen, sondern moralische und symbolische Landschaften. Die Nachwirkungen des Aufstands von 1863, die Armut der Landbevölkerung und die Spannungen zwischen Gutsbesitzern und Bauern durchziehen viele Konflikte. So entsteht ein Panorama provinzieller Lebenswelten, in dem die moralische Bewährung des Alltags ebenso bedeutsam ist wie heroische Taten.

Maritime Motive verknüpfen technische Moderne mit existenzieller Prüfung. Der Übergang von Segel- zu Dampfschifffahrt, die internationalen Routen zwischen der Ostsee, Nordsee und dem Atlantik sowie die Sicherheitsarchitektur der Küsten, von Leuchttürmen bis Signalstationen, bilden ein aussagekräftiges Symbolfeld. Häfen wie Danzig und Stettin standen im 19. Jahrhundert unter preußischer Kontrolle und waren Knotenpunkte von Handel und Auswanderung, oft über Hamburg und Bremen nach New York. Das Meer erscheint als Raum des Risikos und der Hoffnung, als Grenze und Verbindung zugleich. Diese Topik erweitert den nationalen Horizont um globale Bewegungen und Zufälle.

Humor und Ironie sind bei Sienkiewicz nicht bloße Zwischenspiele, sondern Verfahren der Erkenntnis. In europäischen Traditionen von Moliere bis Gogol geschult, beobachtet er soziale Rollen, Missverständnisse, Verstellung und die Komik bürokratischer Systeme. In den Vielvölkerreichen Russlands, Preußens und Österreichs erzeugten Sprachwechsel, Normenvielfalt und amtliche Willkür ein Reservoir komischer Situationen, das auch ernste Untertöne kennt. So werden höfische Etikette, städtische Salonkonventionen und dörfliche Bräuche gleichermaßen Gegenstand einer lachenden, doch prüfenden Kritik. Das Komische wirkt als Korrektiv, das moralische und gesellschaftliche Maßstäbe indirekt zur Geltung bringt.

Die Produktionsweise seiner Texte spiegelt die Infrastruktur der Moderne. Fortsetzungspublikationen in Blättern wie Slowo oder Tygodnik Ilustrowany schufen Lesespannung und kollektive Erwartung, bevor Buchausgaben erschienen. Verlage wie Gebethner i Wolff in Warschau professionalisierten Herstellung, Vertrieb und Autorenhonorare. Öffentliche Lesungen, Lesezirkel und Volksbibliotheken in Warschau, Krakau, Lemberg und Posen verbreiteten die Texte in verschiedenen Schichten. Illustrationen und Landkarten begleiteten historische Romane und erleichterten Orientierung. Die Kombination aus serieller Erscheinungsweise und späterer Buchkanonisierung trug zur doppelten Verankerung bei: im Alltag der Leserinnen und Leser und in langlebigen Bücherregalen.

Im Ersten Weltkrieg engagierte sich Sienkiewicz humanitär. 1915 gründete er in Vevey zusammen mit Ignacy Paderewski ein Hilfskomitee für Kriegsopfer in Polen und warb international um Unterstützung. Am 15. November 1916 starb er in Vevey; 1924 wurden seine sterblichen Überreste in den Warschauer Dom überführt. Mit der polnischen Unabhängigkeit 1918 erhielten seine Texte eine neue Lesart zwischen historischer Selbstvergewisserung und staatsbürgerlicher Erziehung. In Schulen, Vereinen und der Diaspora blieben sie präsent. Übersetzungen und Neuauflagen im deutschsprachigen Raum sorgten dafür, dass die Verbindung von Geschichte, Glauben und Gesellschaft weit über Polen hinaus wirksam blieb.

Synopsis (Auswahl)

Inhaltsverzeichnis

Quo vadis?

Im Rom Neros entspinnt sich die Liebesgeschichte zwischen dem Patrizier Marcus Vinicius und der Christin Lygia vor dem Hintergrund politischer Intrigen und religiöser Verfolgung. Der Roman kontrastiert römische Dekadenz mit der moralischen Erneuerung des frühen Christentums.

Mit Feuer und Schwert

Im ersten Teil der Trilogie gerät die Adelsrepublik während des Chmelnyzkyj‑Aufstands in einen Strudel aus Krieg, Treuekonflikten und Liebeswirren. Sienkiewicz verbindet historische Schlachtfelder mit der Odyssee seiner Helden durch Steppe und Grenzland.

Sintflut

Während der schwedischen Invasion kämpft Polen‑Litauen um sein Überleben, während persönliche Ehrfragen, Verrat und Loyalität auf die Probe gestellt werden. Der Roman zeichnet den Weg vom moralischen Absturz zur Bewährung vor der Kulisse eines besetzten Landes.

Pan Wolodyjowski, der kleine Ritter

Der abschließende Teil der Trilogie folgt dem „kleinen Ritter“ und seinen Gefährten an die südöstlichen Grenzmarken, wo Überfälle und Großkonflikte drohen. Zwischen Pflicht, Freundschaft und Liebe wird die Verteidigung der Grenze zur Bewährungsprobe.

Die Kreuzritter

Ein breit angelegter Ritterroman über die Konfrontation zwischen dem polnisch‑litauischen Gemeinwesen und dem Deutschen Orden im Spätmittelalter. Private Fehden, Hofintrigen und ritterliche Ideale verdichten sich zum Panorama einer Epoche.

Auf dem Felde der Ehre

Vor dem Hintergrund der Türkenkriege und der Mobilisierung des Adels entfaltet sich eine Geschichte von jungen Edelleuten zwischen Werbung, Duell und Patriotismus. Der Roman ist Vor‑ und Seitenstück zu Sienkiewicz’ historischen Epen.

Familie Polaniecki

Ein realistischer Gesellschaftsroman über Unternehmertum, Ehe und Moral in der aufstrebenden städtischen Schicht des späten 19. Jahrhunderts. Er zeigt, wie wirtschaftlicher Ehrgeiz und persönliche Verantwortung miteinander ringen.

Ohne Dogma

Als Tagebuch eines zerrissenen Aristokraten geschrieben, seziert der Roman die Selbstanalyse, Müdigkeit und Unentschiedenheit eines modernen Intellektuellen. Liebesbeziehungen und gesellschaftliche Erwartungen dienen als Spiegel seiner inneren Leere.

Sturmflut (Übersetzung von Clara Hillebrand)

Ein politisch‑psychologischer Roman über die Wirbel eines von Ideologien aufgewühlten Warschauer Milieus um die Jahrhundertwende. Private Bindungen geraten in den Sog öffentlicher Kämpfe zwischen Konservativen, Nationalen und Revolutionären.

Maritime Erzählungen (Auf dem "großen Wasser"; Der Leuchtturmwächter; Seemanns-Legende)

Diese Seestücke kreisen um Reise, Exil und Einsamkeit: vom Atlantikpassagier über den einsamen, heimatlosen Leuchtturmwächter bis zur legendenhaften Begegnung von Mensch und Meer. In knappen, atmosphärischen Bildern verhandeln sie Erinnerung, Pflicht und die Verlockung der Ferne.

Ländliche und psychologische Erzählungen (Komödie der Irrungen; Waldidyll; Die Jagd nach dem Glück; Der Organist von Ponikla; Orso; An der Quelle)

Kurzprosa aus Dorf, Kleinstadt und Manege, in der Missverständnisse, soziale Rollen und das Streben nach Glück auf die Probe gestellt werden. Künstler- und Außenseiterfiguren, moralische Entscheidungen und leise Tragik beleuchten die Spannungen zwischen Ideal und Wirklichkeit.

Ausgewählte Romane & Erzählungen von Henryk Sienkiewicz (17 Titel in einem Band)

Hauptinhaltsverzeichnis
Romane:
Quo vadis?
Die Trilogie:
Mit Feuer und Schwert
Sintflut
Pan Wolodyjowski, der kleine Ritter
Die Kreuzritter
Auf dem Felde der Ehre
Familie Polaniecki
Ohne Dogma
Sturmflut (Übersetzung von Clara Hillebrand)
Erzählungen:
Auf dem "großen Wasser"
Der Leuchtturmwächter
Komödie der Irrungen
Waldidyll
Seemanns-Legende
Die Jagd nach dem Glück
Der Organist von Ponikla
Orso
An der Quelle

Quo vadis?

Inhaltsverzeichnis
Inhalt
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Epilog.

1.

Inhaltsverzeichnis

Petronius erwachte gegen Mittag, fühlte sich aber noch sehr ermattet, denn er hatte gestern ein Gastmahl bei Nero mitgemacht, das bis tief in die Nacht gewährt hatte. Jedoch das Frühbad und das sorgsame Kneten des Körpers durch eigens hiezu geübte Sklaven beschleunigten bald den Lauf seines trägen Blutes und ermunterten ihn, so daß er nach einiger Zeit aus der letzten Prozedur des Bades wie von den Toten auferstanden, mit glänzenden Augen, geistreichem Wesen und Frohsinn, verjüngt, voll Lebensgeist hervorging. Man nannte ihn ja auch mit Recht den Arbiter elegantiarum.

Nach diesem Gastmahl, bei dem ihn die Narrenpossen des Vatinius und Nero, Lucanus und Seneka gelangweilt und er auch an der gelehrten Abhandlung, ob auch die Frau eine Seele habe, sich beteiligt hatte – stand er spät auf und nahm, wie gewöhnlich, ein Bad. Zwei riesige Badediener betteten ihn auf ein mit schneeweißem ägyptischen Byssus bedecktes Lager von Zypressenholz und begannen mit ihren in wohlriechendes Olivenöl getauchten Händen den wohlgestalteten Körper einzureiben – er aber wartete mit geschlossenen Augen, bis die Wärme des Schwitzbades und die Wärme ihrer Hände auf ihn wirkte und die Mattigkeit verscheuchte.

Plötzlich rief der Sklave, der die Namen der ankommenden Gäste melden mußte, durch den Vorhang, daß der junge Markus Vinicius soeben aus Kleinasien zurückgekehrt und zum Besuch eingetroffen sei. Petronius befahl, den Gast sofort hereinzulassen. Vinicius war der Sohn von Petronius’ älterer Schwester, die vor Jahren mit Markus Vinicius, der unter Tiberius die Würde eines Konsularis bekleidete, sich vermählt hatte. Der junge Markus diente gegenwärtig unter Corbulo gegen die Parther und war nach beendetem Feldzug in die Stadt zurückgekehrt. Petronius hatte für ihn jene Schwäche, die an Anhänglichkeit grenzt, denn Markus war ein schöner, athletischer Jüngling, der zugleich feine Umgangsformen besaß, was Petronius über alles schätzte.

»Gruß dem Petronius,« sagte der junge Mann, elastischen Schrittes eintretend, »mögen dir die Götter gewogen sein!«

»Sei gegrüßt in Rom, und die Ruhe sei dir süß nach dem Kampfe,« versetzte Petronius, die Hand aus den Falten des weichen Gewebes, das ihn umhüllte, herausstreckend. – »Was hört man in Armenien? Kamst du auch während deines Aufenthalts in Asien nach Bithynien?«

Petronius war einst in Bithynien Statthalter gewesen und hatte sein Amt mit Umsicht und Gerechtigkeit verwaltet. Sein Charakter war aus den widersprechendsten Eigenschaften zusammengesetzt, und da er allgemein für sehr verweichlicht und prunkliebend galt, erinnerte er sich gern jener Zeiten, weil sie den Beweis dafür erbrachten, daß er auch tätig und energisch sein konnte, wenn es ihm beliebte.

»Ich kam unter anderem auch nach Herakleia,« entgegnete Vinicius. »Corbulo sandte mich dorthin, Verstärkungen zusammenzuziehen.«

»Erzähle mir, was man von den parthischen Grenzen hört! Mich langweilen sie zwar alle, diese barbarischen Völker, die in ihrer Heimat, wie der junge Arulamus erzählt, noch auf allen Vieren kriechen und nur uns gegenüber sich für Menschen ausgeben. Jetzt sind sie ein beliebter Gesprächsstoff in Rom, schon deshalb, weil es gefährlich ist, von anderen Dingen zu sprechen.«

»Dieser Krieg steht schlecht, und wenn Corbulo nicht wäre, könnte man sich auf eine völlige Niederlage gefaßt machen.«

»Corbulo! Beim Bacchus! Der reine Kriegsgott! Ein gewaltiger Heerführer, und zugleich feurig und rechtlich und einfältig. Ich habe ihn schon deshalb gern, weil Nero ihn fürchtet.«

In diesem Augenblick traten zwei Sklaven ein, welche sich um Petronius bemühten und ihm die Härchen der Arme und Hände herauszogen, während Markus das Unterkleid abwarf und auf die Aufforderung des Petronius hin in ein lauwarmes Bad stieg.

Petronius schaute auf den Jüngling mit dem befriedigten Auge eines Künstlers.

Als Markus fertig war und sich seinerseits den Haarauszupfern überließ, trat ein Vorleser ein, der eine Bronzebüchse umgehängt trug, in der eine Papyrusrolle steckte.

»Willst du zuhören?« fragte Petronius.

»Wenn es dein eigenes Werk ist, gern!« versetzte Vinicius. »Wenn nicht, möchte ich mich lieber mit dir unterhalten. Heutzutage fangen die Dichter ihre Zuhörer an allen Straßenecken ab.« »Und ob! Man kommt an keiner Basilika, weder bei den Thermen noch bei einer Bibliothek oder einem Buchladen vorbei, ohne auf einen Dichter zu stoßen, der sich wie ein Affe gebärdet. Als Agrippa aus dem Osten hieherkam, hielt er diese Leute für Besessene. Aber das liegt jetzt so in der Zeit. Wenn der Kaiser Verse schreibt, müssen natürlich alle seinem Beispiel folgen. Nur bessere Verse darf niemand schreiben als der Kaiser, und deshalb schreibe ich nur Prosa, womit ich aber weder mich selbst noch andere behellige. Nein, das, was der Vorleser vortragen soll, ist ein Buch des Fabricius Veiento, das jetzt überall leidenschaftlich gelesen wird, weil es unendlich viel Klatsch und Skandal enthält. Es sucht jedermann in dem Buche sich selbst mit Besorgnis, Bekannte aber mit stillem Vergnügen. In dem Buchladen des Arvinus wird das Buch von hundert Schreibern nach einer Vorlage geschrieben, und der Erfolg ist sicher.«

»Deine Streiche sind dort nicht zu haben?«

»O doch, aber der Verfasser ist fehlgegangen, denn ich bin viel schlechter und weniger fade, als er mich dort schildert. Siehst du, wir haben hier schon längst das Gefühl für das Würdige und Unwürdige verloren, mir geht es selbst so, obwohl Seneka, Musonius und Traseas es zu erkennen glauben. Mir ist auch alles gleichgültig, über Herkules rede ich, was ich denke. Aber dennoch habe ich den Vorzug vor andern, daß ich weiß, was häßlich und was schön ist; dies versteht zum Beispiel unser kupferbärtiger Dichter, dieser Fuhrmann, dieser Gassensänger, dieser Tänzer, nicht.«

»Dennoch tut es mir um Fabricius leid! Er war ein guter Gesellschafter.«

»Seine Eigenliebe hat ihn verdorben. Jeder mißtraute ihm, niemand wußte etwas Rechtes, aber er selbst konnte nichts behalten und erzählte alles nach allen Richtungen hin unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Hörtest du schon die Geschichte des Rufinus?«

»Nein.«

»So gehen wir hinüber ins Frigidarium. Während wir uns abkühlen, erzähle ich dir die Geschichte.«

Beide begaben sich in den Baderaum, in dessen Mitte ein Springbrunnen in hellrosa Farben sprudelte und einen Veilchenduft verbreitete. Dort setzten sie sich in Nischen, die mit Seide ausgepolstert waren, und genossen die Kühle. Es herrschte einen Augenblick Stille.

»Du liebst den Krieg,« begann Petronius, »was ich von mir nicht sagen kann, denn unter den Zelten werden die Fingernägel brüchig und verlieren ihre rosige Färbung. Übrigens hat jeder seine Liebhaberei, so wie der Kupferbärtige den Gesang liebt, besonders seinen eigenen. Übrigens, sage mir, schreibst du auch Verse?«

»Nein. Ich habe noch niemals einen Hexameter fertiggebracht.«

»Spielst du die Laute und singst dazu?«

»Nein.«

»So bist du vielleicht Meister im Wagenlenken?«

»Seinerzeit habe ich mich an den Wettfahrten in Antiochia beteiligt, aber ohne Erfolg.«

»Dann bin ich deinetwegen beruhigt. Zu welcher Partei gehörst du auf der Rennbahn?«

»Zu den Grünen.«

»Dann bin ich völlig beruhigt, besonders da du zwar ein hübsches Vermögen besitzest, aber doch nicht so reich bist wie Pallas und Seneka. Du mußt wissen, daß es bei uns von Vorteil ist, wenn einer dichtet, zur Laute singt, deklamiert und sich im Zirkus an den Wettfahrten beteiligt, besser aber ist es und vor allem ungefährlicher, wenn einer nicht dichtet, nicht die Laute schlägt, nicht singt und nicht an den Wettfahrten im Zirkus teilnimmt, am besten aber ist es, wenn man alles anzustaunen versteht, was der Feuerbart tut. Du bist ein hübscher junger Mann und daher der Gefahr ausgesetzt, daß Poppäa dich liebgewinnt. Doch nein – sie ist darin schon zu erfahren. Sie hat an der Seite ihrer beiden ersten Gatten genug Liebe genossen, und jetzt als Neros Gemahlin denkt sie an ganz andere Dinge.«

»Du wolltest mir ja die Geschichte des armen Rufinus erzählen.«

»Im Salbraum sollst du sie hören.«

Aber im Salbraum wurde die Aufmerksamkeit des Vinicius schnell auf etwas anderes gelenkt, nämlich auf die ungewöhnlich schönen Sklavinnen, die auf die Männer warteten und sich anschickten, ihren Leib mit köstlichen arabischen Salben einzureiben.

»Beim wolkentürmenden Zeus,« rief Markus Vinicius. »Schönere Sklavinnen kann auch der Feuerbart nicht besitzen.« Mit einer freundschaftlichen Gutmütigkeit sagte Petronius: »Du bist ja mein Blutsverwandter, und ich bin weder so ungefällig wie Bassus noch so ein Kleinigkeitskrämer wie Aulus Plautius.« Als Vinicius diesen letzten Namen hörte, hob er rasch das Haupt und fragte: »Wie kommst du jetzt auf Aulus Plautius? Weißt du, daß ich etliche Tage in seinem Hause zubrachte, als ich mir vor der Stadt den Arm verstauchte? Zufällig kam gerade Plautius des Weges gefahren, als mir der Unfall zustieß, und weil er mich leidend sah, nahm er mich zu sich, wo mich sein Sklave, der Arzt Merion, behandelte und ich bald gesundete. Gerade davon wollte ich mit dir sprechen.«

»Warum? Hast du dich gar in Pomponia verliebt? In diesem Falle müßte ich dich bedauern: nicht mehr jung, dagegen tugendhaft! Eine schlimmere Vereinigung könnte ich mir gar nicht vorstellen.«

»In Pomponia nicht – nein!« sagte Vinicius.

»In wen denn?«

»Ja, wenn ich’s nur selber wüßte, in wen! Ich weiß auch nicht einmal genau, wie sie heißt: Lygia oder Callina. Im Hause wird sie Lygia genannt, weil sie dem Lygiervolke entstammt, sie hat aber auch noch ihren Babarennamen Callina. Es ist dies ein merkwürdiges Haus, dieses Haus des Plautius. Mehrere Tage hindurch ahnte ich nicht, welch göttliches Wesen es bewahrt, bis ich es eines Morgens vor Sonnenaufgang erblickte, als es sich an dem Gartenbrunnen wusch. Von dieser Zeit an sah ich sie noch zweimal, und seither weiß ich nicht mehr, was Ruhe ist; ich habe keine andere Sehnsucht mehr; nichts, was die Stadt mir bieten könnte, kann mich locken; ich begehre weder Gold noch korinthisches Erz, weder Bernstein noch Perlen, noch Wein und Festgelage, nur Lygia will ich. Ich sage dir offen, Petronius, ich sehne mich nach ihr Tag und Nacht.«

»Wenn sie eine Sklavin ist, so kaufe sie doch!«

»Sie ist keine Sklavin.«

»Was ist sie denn? Eine Freigelassene des Plautius?«

»Ich weiß es nicht; eine Königstochter oder etwas Ähnliches.« »Du machst mich sehr neugierig, Vinicius.«

»Wenn du mich nun anhören willst, werde ich gleich deine Neugierde befriedigen. Die Geschichte ist nicht sehr lang. Du kanntest vielleicht gar persönlich den König der Sueven, Vannius, der, aus seinem Reiche vertrieben, sich lange Zeit in Rom aufhielt. Kaiser Drusus brachte ihn wieder auf seinen Thron. Vannius war ein tüchtiger Mann, regierte anfangs gut und führte glückliche Kriege, später fing er jedoch an, nicht nur die Nachbarn, sondern auch seine eigenen Untertanen zu schinden. Um diese Zeit beschlossen Vangio und Sido, Söhne des Vibilius, Königs der Hermunduren, ihren Onkel Vannius zu zwingen, wieder nach Rom zu flüchten.«

»Ganz recht, ich erinnere mich, es ist ja noch gar nicht so lange her, es war zu Claudius’ Zeiten.«

»Nun brach der Krieg aus. Vannius rief die Jazygen zu Hilfe, seine beiden Schwiegersöhne dagegen die Lygier, welche von den Reichtümern des Vannius gehört hatten und, herbeigelockt in der Hoffnung auf reiche Beute, in so großer Anzahl kamen, daß selbst der Kaiser Claudius für die Ruhe seiner Grenzen fürchtete. Claudius wollte sich in einen Krieg mit den Barbaren nicht einmischen und schrieb an Atelius Hister, den Führer der Donaulegionen, daß er ein wachsames Auge auf den Verlauf des Krieges richte und über den Frieden jener Gegenden wache. Hister verlangte nun von den Lygiern, daß sie sich verpflichten, die Grenzen nicht zu überschreiten; dies wurde nicht nur bereitwillig zugesagt, sondern auch Geiseln gestellt, unter denen sich die Frau und Tochter ihres Heerführers befanden… also ist meine Lygia die Tochter jenes Heerführers.«

»Woher weißt du das alles?«

»Dies erzählte mir alles Aulus Plautius selbst. Die Lygier haben zwar nicht die Grenzen überschritten; aber die Barbaren kommen wie ein Unwetter und verschwinden ebenso; so verschwanden auch sie samt ihren Auerochshörnern, die sie auf den Köpfen trugen. Sie schlugen den Vannius und seine Verbündeten, jedoch fiel ihr König, und sie machten sich mit dem Raube davon und ließen die Geiseln in den Händen des Hister. Kurz darauf starb die Mutter, und das Kind sandte Hister an Pomponius, der damals Statthalter von Germanien war. Pomponius kehrte nach Beendigung des Krieges mit den Chatten nach Rom im Triumph zurück. Die Jungfrau ging hinter dem Triumphwagen des Siegers. Nach beendeter Einzugsfeier wußte Pomponius selbst nicht, was er mit der Geisel, die er nicht gut als Gefangene behandeln konnte, anfangen sollte, und schenkte sie seiner Schwester Pomponia Graecina, der Frau des Plautius. In diesem Hause, wo alles – vom Herrn angefangen bis zum Federvieh – tugendhaft ist, wuchs sie heran und ist ebenso tugendhaft wie Graecina selbst und so schön, daß selbst Poppäa neben ihr wie eine herbstliche Feige neben einem Hesperidenapfel sich ausnehmen müßte.«

»Und nach dieser Jungfrau sehnst du dich?«

»Ja, ich will Lygia haben. Ich will sie mit meinen Armen umschlingen und an meine Brust drücken und ihren Atem fühlen. Ich will sie in meinem Hause haben, immerzu, bis mein Haupt weiß ist wie der Gipfel des Soracte im Winter.«

»Sie ist keine Sklavin, gehört aber schließlich doch zur Familie des Plautius und wird wohl, da sie eine verlassene Waise ist, als Pflegling betrachtet werden müssen. Plautius könnte sie dir abtreten, wenn er wollte.«

»Da kennst du aber Pomponia Graecina nicht. Schließlich haben sich beide an sie gewöhnt, als wäre Lygia ihr eigenes Kind.«

»Ob ich Pomponia kenne! Die reinste Zypresse! Wäre sie nicht des Aulus Ehefrau, könnte man sie als Klageweib verdingen. Auch Aulus Plautius kenne ich, und ich glaube, daß er eine gewisse Schwäche für mich hat, obwohl er mit meiner Lebensweise nicht einverstanden ist. Sicher schätzt er mich höher als all die andern, wie zum Beispiel Domitius Afer, Tigellinus und den übrigen Freundestroß Feuerbarts, da ich mich niemals zum Angeber hergegeben habe. Neros Ausführung hat schon oft mein Mißfallen erregt, wenn Seneka und Burrhus noch durch die Finger sahen. Glaubst du, daß ich beim Plautius etwas für dich erreichen könnte, so stehe ich dir zu Diensten.«

»Ich glaube, daß du es kannst. Du hast Einfluß auf ihn und besitzest großen Scharfsinn. Wenn du mit Plautius sprechen wolltest…«

»Du hast zwar eine große Meinung von meinem Einfluß und meiner Klugheit, und wenn es sich um sonst nichts handelt, so will ich mit Plautius reden, sobald er in die Stadt übergesiedelt ist.« »Sie sind schon seit zwei Tagen hier.«

»So wollen wir in das Triklinium gehen, wo das Frühstück unser harrt, und dann lassen wir uns neugestärkt zu Plautius tragen.« »Du warst mir immer lieb,« rief Vinicius lebhaft, »jetzt aber möchte ich am liebsten hier in diesem Raume deine Bildsäule aufstellen – so schön wie diese hier – und ihr Opfer darbringen.« So sprechend wandte er sich den Statuen zu, welche eine Seitenwand der duftdurchschwängerten Lichthalle zierten, und wies mit der Hand auf eine Bildsäule des Petronius, die ihn als Hermes mit einem goldenen Stab in der Hand darstellte.

Dann sagte er weiter: »Beim Lichte des Helios, wenn der göttliche Alexander dir ähnlich gewesen ist, dann kann man sich über Helena nicht wundern.«

Dieser Ausruf enthielt ebensoviel Wahrheit als Schmeichelei, denn Petronius, wenn auch älter und minder athletisch gebaut, war noch schöner als Vinicius. Die Frauen in Rom bewunderten an ihm nicht nur die geistige Gewandtheit und den seinen Geschmack, der ihm den Beinamen Arbiter elegantiarum eingebracht hatte, sondern auch die Wohlgestalt seiner Erscheinung. Tiefe Bewunderung drückte sich auf den Gesichtern der Mädchen aus Kos aus, welche jetzt die Falten seiner Toga ordneten, von denen besonders eine, Eunike mit Namen, ihm voll Demut und Entzücken in die Augen schaute; liebte sie ihn doch insgeheim.

Er achtete jedoch nicht darauf sondern lächelte Vinicius zu. Dann schlang er seinen Arm um seinen Nacken und führte ihn in den Speisesaal.

Im Unctuarium blieb nur Eunike zurück, hob den mit Bernstein und Elfenbein kunstvoll eingelegten Stuhl, auf welchem Petronius gesessen, und rückte ihn vorsichtig bis zu dessen Bildsäule. Sie bestieg den Stuhl, und als sie in gleicher Höhe mit der Bildsäule war, schlang sie plötzlich die Arme um den Hals, dann warf sie ihr Goldhaar zurück, schmiegte ihren rosigen Leib an den weißen Marmor und preßte voll Leidenschaft ihren Mund auf die kalten Lippen des Petronius.

2.

Inhaltsverzeichnis

Nach dem Frühstück schlug Petronius einen kleinen Schlummer vor. Seiner Ansicht nach war es noch zu früh, um Besuche zu machen. Am geeignetsten erschienen ihm dazu die Nachmittagsstunden, aber nicht eher, als bis die Sonne den Tempel des Kapitolinischen Zeus überstiegen hatte und die Strahlen schräg auf das Forum fielen. Inzwischen könnten sie, meinte er, ruhig ein Schläfchen machen. Es sei so angenehm, im Atrium dem Geplätscher des Brunnens zu lauschen und nach den üblichen tausend Schritten in dem rötlichen Lichte, welches durch den purpurnen, halbzugezogenen Vorhang drang, vor sich hinzuträumen.

Vinicius gab Petronius recht, und sie begannen auf und ab zu schreiten, über die neuesten Vorkommnisse in der Stadt und auf dem Palatinus plaudernd oder auch philosophische Bemerkungen austauschend. Hierauf begab sich Petronius in das Schlafzimmer, schlief jedoch nicht lange. Schon nach einer halben Stunde kam er wieder zum Vorschein, ließ sich Verbenaöl bringen und rieb sich damit Hände und Schläfen ein.

»Du glaubst nicht, wie sehr das belebt und erfrischt,« bemerkte er. »So, jetzt bin ich fertig.«

Die Sänfte stand schon längst bereit; sie stiegen ein und ließen sich nach dem Vicus Patricius, ins Haus des Aulus, tragen. Das Haus des Petronius lag an dem südlichen Abhang des Palatinus, unfern des von den reichsten Leuten bewohnten Stadtteils Carinae. Der kürzeste Weg dahin führte unterhalb des Forums, aber Petronius wollte noch beim Juwelier Idomen vorsprechen und befahl, über den Vicus Apollinis und über das Forum gegen den Vicus Sceleratus zu gehen, an dessen Ecke sich die mannigfachsten Verkaufsläden befanden.

Riesige Mohren hoben die Sänfte und setzten sich in Bewegung, voraus gingen Sklaven, pedisequi genannt. Petronius hielt die nach Verbenaöl duftenden Finger vor die Nasenlöcher und schien nachzusinnen, dann sagte,er: »Es fällt mir eben ein, daß deine Waldnymphe, wenn sie keine Sklavin ist, das Haus des Plautius verlassen und in das deine übersiedeln könnte. Du müßtest sie natürlich mit Liebesbeweisen, mit Reichtümern überhäufen, wie ich meine vergötterte Chrysotemis, die ich, unter uns gesagt, mindestens schon ebenso satt habe wie sie mich.«

Markus schüttelte das Haupt.

»Also nicht?« fragte Petronius. »Du würdest bei dieser Angelegenheit schlimmstenfalls eine Stütze am Kaiser finden, und du kannst versichert sein, daß unser Feuerbart, infolge meines Einflusses, auf deiner Seite wäre.«

»Du kennst Lygia nicht!« versetzte Vinicius.

»So gestatte mir die Frage: Kennst du sie anders als vom Sehen? Hast du mit ihr gesprochen? Hast du ihr deine Liebe gestanden?«

»Ich sah sie zuerst am Springbrunnen, und dann traf ich nur zweimal mit ihr zusammen. Du mußt wissen, daß ich während meines Aufenthaltes auf dem Landsitze des Aulus in einer Seitenvilla wohnte, welche für Gäste bestimmt ist, und da ich den Arm verstaucht hatte, konnte ich an den gemeinschaftlichen Mahlzeiten nicht teilnehmen. Erst am Vorabend meines Weggangs traf ich Lygia bei der Mahlzeit, konnte jedoch kein Wort mit ihr sprechen. Ich mußte anhören, was mir Aulus von seinen in Britannien erfochtenen Siegen erzählte und dann von dem Niedergang der kleinen Leute in Italien, welchem zu steuern sich Licinius Stolo bemühte. Dann sah ich Lygia wieder bei der Zisterne im Garten; sie hielt ein eben ausgerissenes Schilfrohr in der Hand, dessen Kolben sie ins Wasser tauchte, um die im Umkreise wachsenden Irisblumen damit zu besprengen. Beim Schilde des Herakles, ich sage dir, meine Knie zitterten nicht, als die heulenden Parther wie ein finsteres Gewölk auf unsere Schlachtreihen losstürmten, aber sie zitterten bei jener Zisterne. Verwirrt wie ein Knabe flehte ich nur mit den Augen um Erbarmen. Lange vermochte ich kein Wort hervorzubringen.«

Petronius warf dem jungen Mann einen Blick zu, in dem etwas wie Neid lag. »Du Glücklicher!« rief er aus. »Welt und Leben mögen schlecht sein wie sie wollen, eines in ihnen bleibt doch ewig gut: die Jugend!« Nach einer Weile fragte er wieder: »Und du hast sie nicht angesprochen?«

»O doch! Ich rang nach Fassung, und als ich wieder zur Besinnung gekommen war, sprach ich mit ihr. Aus Asien, sagte ich ihr, sei ich zurückgekehrt und habe mir ganz nahe vor der Stadt den Arm verstaucht. Große Schmerzen habe ich erdulden müssen; da aber die Zeit gekommen sei, dieses gastliche Haus verlassen zu sollen, sei ich zu der Einsicht gekommen, daß es besser sei, hier zu leiden, als anderswo zu genießen. Sie hörte mich an, gleichfalls verwirrt, mit gesenktem Köpfchen, während sie mit dem Schilf etwas in den safrangelben Sand zeichnete. Dann blickte sie flüchtig empor, ließ ihre Augen von den gemachten Zeichen zu mir schweifen, als wollte sie etwas fragen – und entfloh dann plötzlich.«

»Sie muß schöne Augen haben.«

»Wie das Meer – ich versenkte mich in sie wie in ein Meer. Nach wenigen Augenblicken kam der kleine Plautius auf mich zu und wollte etwas fragen. Ich aber verstand nicht, um was es sich handelte.«

»O du Frühlingsknöspchen am Baume des Lebens! Du erstes, grünes Ästchen an der Weinranke! Ich sollte dich eigentlich statt zum Plautius in das Haus des Gelocius bringen lassen, wo eine Schule für lebensunkundige Knaben ist.«

»Ja, was willst du denn eigentlich?«

»Und was schrieb sie denn in den Sand? War es vielleicht ein von einem Pfeile durchbohrtes Herz oder ähnliches? Wie konntest du solche Zeichen unbeachtet lassen!«

»Länger trage ich die Toga, als du glaubst, und ehe noch der kleine Plautius dazukam, hatte ich die Zeichen längst geprüft. Ich wußte auch, daß die griechischen und römischen Jungfrauen oft ein Geständnis in den Sand graben, das sie nicht aussprechen wollen … Aber errate, was sie zeichnete!«

»Wenn es etwas anderes ist, als ich vermute, so rate ich nicht.«

»Einen Fisch!«

»Wie sagst du?«

»Einen Fisch, sagte ich. Sollte dies vielleicht bedeuten, daß in ihren Adern bisher noch kaltes Blut fließt? Ich weiß es nicht. Du aber, der du mich eine Frühlingsknospe am Baume des Lebens nanntest, wirst dieses Zeichen gewiß besser verstehen.«

»O Teuerster! Über solche Dinge frage Plitius. Er ist Kenner von Fischen. Würde der alte Apicius noch leben, der könnte dir ebenfalls noch etwas erzählen. Dieser hat in seinem Leben mehr Fische gegessen, als ihrer mit einem Male in der Bucht von Neapel Platz haben.«

Das weitere Gespräch ward unterbrochen, denn sie kamen jetzt in belebte Straßen, wo der Menschenlärm es übertönt hätte. Bei dem Vicus Apollinis wendeten sie sich nach dem Boarium und dann nach dem Forum Romanum, wo an schönen Tagen vor Sonnenuntergang sich eine dichte Volksmenge zu versammeln pflegte. Die Leute strömten durch die Säulenhalle, um Neuigkeiten auszutauschen, sie betrachteten die Sänften vornehmer Persönlichkeiten, die vorüber getragen wurden, oder sie drängten sich vor den Gewölben der Händler zusammen. Die eine Hälfte des Forums, die dicht unter den hervorspringenden Felsen des Kastells lag, war schon in Schatten getaucht, während die Säulen der höher gelegenen Tempel in goldenem und bläulichem Schimmer erglänzten. Die tieferstehenden warfen lange Schatten auf die Marmorplatten. Das Forum war derart mit Säulen bebaut, daß das Auge sich darin wie in einem Walde verlor. Häuser und Säulen schienen zusammengehäuft, sie türmten sich übereinander; sie strebten teils der Höhe zu, teils klebten sie an der Felswand des Kapitols.

Von den breiten Stufen des »dem höchsten Gotte« geweihten Tempels kam ein neuer Menschenstrom. Auf den Rednerbühnen ließen sich verschiedene Redner hören. Hie und da ertönten Rufe der Verkäufer, die Früchte, Wein oder mit Feigensaft gemischtes Wasser feilboten, von Quacksalbern, die wunderbare Heilmittel anpriesen, von Wahrsagern, die verborgene Schätze zu entdecken versprachen, und von Traumdeutern. Da und dort hörte man Töne einer ägyptischen Sistra, einer Sambuke oder einer griechischen Flöte; durch den ohrenbetäubenden Tumult sah man Kranke, Fromme, Betrübte, die Opfergaben nach den Tempeln trugen; Taubenschwärme flogen über die Köpfe der Menge und ließen sich auf einem freien Plätzchen des Marktes nieder, gierig die Körner aufpickend, die man ihnen hinwarf, um gleich wieder aufzufliegen, wenn jemand kam. Zwischen den zahlreichen Gruppen drängten sich zeitweise Abteilungen von Soldaten und Wachen durch, welche für Straßenordnung zu sorgen hatten. Die griechische Sprache hörte man überall ebenso oft wie die lateinische, und jede andere Sprache wurde geduldet.

Vinicius, der lange nicht in der Stadt gewesen war, betrachtete mit einer gewissen Neugierde den Menschenschwarm und das Forum Romanum, das die Welt beherrschte, aber zugleich ganz überflutet schien von Menschen fremder Abstammung und Sprache. In der Tat verschwand das heimische Element fast in dieser Masse, die aus den verschiedenartigsten Rassen und Nationen zusammengesetzt war. Man sah hier Äthiopier und blonde Riesen aus dem fernen Norden, Britannier, Gallier und Germanen; man sah Mongolen mit ihren geschlitzten, schiefstehenden Augen, Leute vom Euphrat, Männer vom Indus mit ziegelrot gefärbten Bärten, Syrer von den Ufern des Orontes mit schwarzen, sanftblickenden Augen; knochendürre Wüstenbewohner Arabiens, Juden mit eingefallenem Brustkorb, Ägypter mit dem ewig gleichgültigen Lächeln auf den Gesichtern, Numidier und Afrikaner; Griechen aus Hellas, welche gleich den Römern über die Stadt herrschten, die aber wegen ihres Wissens, ihrer Kunst, ihres Verstandes und ihrer Verschlagenheit zu solcher Macht gekommen waren, Griechen von den kleinasiatischen Inseln, aus Ägypten, aus Italien und dem narbonnensischen Gallien. Bei der großen Schar von Sklaven mit durchlöcherten Ohren mangelte es auch nicht an freigelassenen, müßigen Leuten, welche der Kaiser unterhielt, nährte, sogar kleidete. Es fehlte auch nicht an Schacherern und Priestern der Isis, auf deren Altar mehr Opfer dargebracht wurden als in dem Heiligtum des Zeus auf dem Kapitol – es mangelte nicht an Priestern der Kybel, die goldene Maisähren in der Hand trugen, an Priestern der Wandergötter, an morgenländischen Tänzerinnen, die grellfarbige Mitra auf dem Haupt, an Amulettenhändlern, an Schlangenbändigern und chaldäischen Magiern, endlich an Leuten ohne irgendwelche Beschäftigung, die sich jede Woche in den diesseits des Tiber gelegenen Getreidespeichern meldeten, sich um Lotterielose in den Zirkussen schlugen, die Nächte in den jeden Augenblick mit Einsturz drohenden Häusern des jenseits des Tiber gelegenen Stadtteils verbrachten, die sonnigen und wärmeren Tage aber in den Kryptoportiken, in den schmutzigen Garküchen der Vorstädte oder vor den Häusern der Reichen, von wo ihnen zuweilen die Reste vom Tische der Sklaven zugeworfen wurden.

Petronius war bei der Menge wohlbekannt. An Vinicius’ Ohr drang fortwährend der Ruf: Das ist er! Das ist er! Man liebte ihn wegen seiner Freigebigkeit, und seine Popularität hatte sich noch gesteigert, als man erfuhr, daß er sich vor dem Kaiser gegen das Todesurteil ausgesprochen hatte, welches über die ganze Familia des Präfekten Pedanius Secundus, ohne Unterschied des Alters und Geschlechts, verhängt worden war, weil einer von ihnen in einem Anfall von Verzweiflung den Tyrannen getötet hatte. Petronius erklärte zwar öffentlich, daß ihm die Sache höchst gleichgültig sei und er sich nur in seiner Eigenschaft als Arbiter elegantiarum dagegen ausgesprochen habe, weil sich sein ästhetisches Gefühl durch das barbarische Urteil beleidigt fühle, das vielleicht roher Skythen, niemals aber römischer Männer würdig sei. Das über dieses Blutbad aufgeregte Volk liebte Petronius seit dieser Zeit trotzdem.

Aber er achtete nicht darauf, denn er erinnerte sich, daß dieses Volk auch den Britannicus geliebt, welchen Nero vergiften, und Agrippina, welche er ermorden ließ, und Octavia, die man erwürgte, nachdem man ihr vorher im heißen Dampfbade die Adern geöffnet, Rubelius Plautius, der ausgewiesen wurde, und Traseas, dem schon der morgige Tag das Todesurteil bringen konnte. Die Liebe des Volkes konnte eigentlich als schlechte Vorbedeutung gelten, und der skeptische Petronius war abergläubisch. Zudem verachtete er die Menge als Aristokrat und als Ästhetiker. Diese Leute, die in dem bauschigen Teil ihres Gewands geröstete Bohnen bei sich trugen, nach denen sie rochen, diese Leute, die fortwährend heiser und schweißtriefend waren durch das Moraspiel an den Straßenecken und in den Säulengängen, verdienten in seinen Augen nicht Menschen genannt zu werden.

Ohne daher die Beifallsrufe und Kußhände, die ihm da und dort zugeworfen wurden, zu beachten, erzählte er dem Markus die Geschichte des Petanius und spottete über die Wandelbarkeit des Straßenpöbels, der am Tage nach einem drohenden Aufruhr dem Nero auf seiner Fahrt zum Tempel des Jupiter Stator zugejubelt hatte.

Vor dem Buchladen des Arvinus ließ Petronius halten und kaufte ein zierliches Manuskript, welches er Vinicius überreichte. »Ein Geschenk für dich«, erklärte er.

»Danke dir!« versetzte Vinicius, und mit einem Blick auf den Titel bemerkte er fragend:

»Satirikon? Das ist etwas Neues. Von wem denn?«

»Von mir, doch will ich nicht in die Fußstapfen des Rufinus treten, dessen Geschichte ich dir erzählen wollte, noch in die des Fabricius Veiento, ich bitte dich also, mich nicht zu verraten, denn kein Mensch weiß davon.«

»Aber du sagtest doch, du schriebest keine Verse?« fragte Vinicius, einen Blick in das Manuskript werfend. »Hier aber finde ich die Prosa stark mit Versen durchflochten.«

»Wenn du es lesen wirst, richte deine Aufmerksamkeit vor allem auf das Gastmahl des Trimalchion. was die Verse anlangt, so sind sie mir von dem Augenblick an verleidet, seit Nero ein Epos schrieb. Aber ich wollte dir ja die Geschichte des Rufinus erzählen, um dir zu zeigen, was Autoreneitelkeit ist.«

Doch ehe er noch begonnen hatte, bogen sie in den Vicus Patricius ein und befanden sich gleich darauf vor der Behausung des Aulus. Ein junger, kräftiger Türhüter öffnete ihnen die Tür, über der eine in einem Käfig eingeschlossene Elster in einem Bauer hing, die die Angekommenen mit einem lauten »Salve!« begrüßte.

Auf dem Wege aus der zweiten Vorhalle in das Atrium sagte Vinicius: »Hast du bemerkt, daß der Türhüter hier keine Ketten trägt?«

»Ein merkwürdiges Haus«, versetzte halblaut Petronius. »Es ist dir gewiß bekannt, daß Pomponia Graecina im Verdachte steht, Bekennerin eines Aberglaubens zu sein, der aus dem Osten kommt und auf der Verehrung eines gewissen ›Christos‹ beruht. Crispinilla ist die Urheberin dieses Verdachts gegen Pomponia. Jene kann es ihr nicht verzeihen, daß sie sich mit einem Manne für ihr ganzes Leben begnügte. Eine Schüssel eßbarer Pilze aus Noricum dürfte heutzutage leichter zu haben sein, als eine zweite derartige Frau zu finden. Man hat sogar Hausgericht über sie abgehalten…«

»Du hast recht, es ist ein merkwürdiges Haus. Später erzähle ich dir noch, was ich gesehen und gehört habe.«

So sprechend waren sie im Atrium angelangt. Der die Aufsicht darüber führende Sklave, der Atriensis, sandte den Nomenklator weg, um die Gäste anzumelden, während die andern Diener Sessel und Fußschemel für sie zurechtstellten. Petronius, der sich vorstellte, in diesem Hause herrsche ewig Trübsinn – da er nie in diesem Hause verkehrte –, blickte mit einem gewissen Staunen, ja, mit einem Gefühl der Enttäuschung umher, denn das Atrium machte einen durchaus heiteren Eindruck.

Aus der Höhe drang durch die zweite Öffnung eine helle Lichtgarbe, die an dem Springbrunnen in tausend Funken zerstäubte. Der viereckige Teich, in dessen Mitte der Springquell emporsprudelte, war von Anemonen und Lilien umgeben. Besonders für Lilien schien eine Vorliebe im Hause zu herrschen; es gab deren ganze Büsche; weiße und feuerfarbige Lilien und violette Irisblumen, deren zarte Blütenblätter unter dem zerstäubenden Wasser wie versilbert erschienen. Durch das feuchte Moos, mit welchem die Lilienblätter bedeckt waren, und durch die Blätterbüschel sah man Bronzestatuetten hervorschimmern, welche Kinder und Wasservögel darstellten. An einer Ecke stand, gleichfalls aus Bronze, eine Hirschkuh, die ihren durch die Feuchtigkeit von Rost grünlich gewordenen Kopf gegen das Wasser neigte, als ob sie trinken wollte. Der Fußboden des Atriums war aus Mosaik, die Wände, teils mit rotem Marmor ausgelegt, teils mit Bäumen, Fischen, Vögeln und Greifen bemalt, erfreuten das Auge durch ihre Farbenpracht. Die Füllungen an den zu den anstoßenden Räumen führenden Türen waren teils mit Schildkrot, teils mit Elfenbein verziert; an den Wänden, zwischen den Türen, standen die Statuen der Vorfahren des Aulus. In allem verriet sich eine gewisse gediegene Wohlhabenheit, frei von jedem Luxus, aber überall ein vornehmes Selbstbewußtsein.

Petronius, der zwar viel prächtiger eingerichtet war, fand hier doch nichts, was seinen Geschmack beleidigt hätte, und er wollte sich gerade mit einer Bemerkung darüber an Vinicius wenden, als der Türsteher den Vorhang zur Seite schob, welcher das Atrium von dem Tablinum trennte, und aus der Tiefe des Hauses sich Aulus Plautius eiligen Schritts näherte.

Aulus war ein in vorgerückten Jahren stehender Mann mit schon ergrauten Haaren; aber er war noch sehr rüstig und frisch, und sein etwas zu kurzes Gesicht mit dem an einen Adler erinnernden Profil deutete auf einen energischen Charakter. Jetzt aber malte sich etwas wie Erstaunen, ja wie Unruhe auf seinen Zügen über den unerwarteten Besuch des Freundes, Gefährten und Vertrauten Neros.

Petronius war zu sehr Weltmann und zu scharfsinnig, als daß er dies nicht bemerkt hätte. Nach den ersten Begrüßungen versicherte er daher auch mit aller Unbefangenheit und Liebenswürdigkeit, die ihm zu Gebote stand, daß er gekommen sei, für die freundliche Pflege, die seinem Schwestersohn in diesem Hause zuteil geworden, zu danken. Sein Besuch, zu dem er sich übrigens durch seine lange Bekanntschaft mit Aulus berechtigt gefühlt habe, sei einzig und allein auf diesen Grund zurückzuführen.

Aulus versicherte seinerseits, daß er ihm ein lieber Gast sei, und was die Dankbarkeit beträfe, so hege er selbst etwas dergleichen für Petronius, wenn auch dieser vielleicht den Grund nicht erraten würde.

»Du hast nämlich dem Vespasian, den ich schätze und liebe, das Leben gerettet, als er das Unglück hatte, bei einer Vorlesung der Gedichte des Kaisers einzuschlafen.«

»Ein Glück für ihn,« versetzte Petronius, »denn auf die Art hat er sie wenigstens nicht gehört. Ich will auch zugeben, daß die Sache für ihn hätte unglücklich ausfallen können. Der Feuerbart wollte durchaus einen Centurio zu ihm schicken, mit dem freundschaftlichen Auftrag, er möchte sich die Adern öffnen.«

»Du aber, Petronius, lachtest ihn aus.«

»So ist es, oder vielmehr ich sagte ihm, wenn Orpheus durch seinen Gesang die wilden Tiere eingeschläfert habe, sei sein Triumph kein geringerer, wenn es ihm gelang, Vespasian einzuschläfern. Man darf ja den Feuerbart tadeln, vorausgesetzt, daß der Tadel sich auch als Schmeichelei auffassen läßt. Unsre huldreiche Augusta Poppäa versteht dies ausgezeichnet.«

»Ja, leider, das sind jetzt schlimme Zeiten,« erwiderte Aulus. »Mir fehlen zwei Vorderzähne, die mir ein von Britannenhand geschleuderter Stein einschlug, und seither zische ich; aber die glücklichste Zeit meines Lebens habe ich doch in Britannien zugebracht.«

»Weil es eine siegreiche Zeit war,« warf Vinicius ein.

Petronius befürchtete, der alte Feldherr möchte von seinen Schlachten berichten, und änderte schnell den Gesprächsgegenstand. Er erzählte, daß Landleute bei Präneste einen toten jungen Wolf mit zwei Köpfen gefunden hätten, daß der Blitz einen Eckpfeiler des Lunatempels beschädigt habe, und daß einige Priester das für ein böses Zeichen hielten und den Untergang Roms prophezeiten.

Aulus hörte aufmerksam zu und sagte, daß man solche Zeichen nicht so leicht aufnehmen dürfe. Die Götter können über die Greueltaten erzürnt sein, dies wäre auch nicht zu verwundern – und in so einem Falle wären die Opfer angebracht.

Petronius begann nunmehr die Besitzung des Plautius sowie auch den guten Geschmack, der sich in der ganzen Ausstattung verriet, zu loben.

»Ein alter Familiensitz ist das,« versetzte Plautius, »in welchem ich seit meiner Inbesitznahme nichts geändert habe.«

Der Vorhang zwischen dem Atrium und dem Tablinum wurde nunmehr zurückgeschoben, und man konnte durch mehrere Räume hindurch in den Garten blicken, der in der Ferne wie ein helles Bild in dunklem Rahmen aussah. Fröhliches Kinderlachen drang von dort bis ins Atrium.

»O Feldherr,« rief Petronius, »gestatte uns, dieses fröhliche Lachen in der Nähe anzuhören, es ist eine Seltenheit heutzutage.«

»Recht gern,« sagte Plautius, sich erhebend. »Mein kleiner Aulus und Lygia ergötzen sich beim Ballspiel. Was aber das Lachen anbelangt, Petronius, so glaubte ich, dein ganzes Leben ginge unter Lachen dahin.«

»Das Leben ist des Lachens wert, deshalb lache ich,« entgegnete Petronius, »jedoch klingt dies Lachen anders.«

»Petronius«, fügte Vinicius hinzu, »lacht weniger bei Tage, aber um so mehr bei der Nacht.«

So plaudernd durchschritten sie das Haus und gelangten in den Garten, wo Lygia und der kleine Aulus mit Bällen spielten, welche von ausschließlich zu dieser Unterhaltung bestimmten Sklaven, Spheristae genannt, vom Boden aufgelesen und immer wieder den Spielenden überreicht wurden. Petronius warf einen raschen Blick auf Lygia, während der kleine Aulus, als er Vinicius erblickte, auf diesen zulief. Der junge Mann aber neigte im Vorüberschreiten das Haupt vor dem lieblichen Mädchen, das, den Ball in der Hand, mit etwas gelösten Haaren noch ganz atemlos und errötend dastand.

In der von Efeu, wildem Wein und Geißblatt überschatteten Gartenhalle saß Pomponia Graecina, und die Männer gingen, sie zu begrüßen. Obwohl Petronius nie das Haus des Plautius besuchte, war sie ihm bekannt, denn er war schon häufig bei Antystia, der Tochter des Rubelius Plautius, und im Hause des Seneka und bei Polliona mit ihr zusammengetroffen. Er konnte nun ihrem ernsten und trotzdem schönen Gesicht, der Vornehmheit ihrer Gestalt, ihren Bewegungen und ihrer Redeweise seine Bewunderung nicht versagen. Pomponia verwirrte seine Anschauung vom Weibe derart, daß der in Grund und Boden verderbte und wie kein zweiter in Rom selbstbewußte Mann ihr gegenüber nicht nur eine gewisse Achtung empfand, sondern auch ein wenig seine gewohnte Sicherheit verlor. Während er ihr jetzt für die dem Vinicius gewidmete Fürsorge dankte, begann er sogleich sein Bedauern darüber auszusprechen, daß sie sich nirgends blicken lasse, daß man sie weder im Zirkus noch im Amphitheater sehe, worauf sie, ihre Hand in die ihres Gatten legend, ruhig erwiderte: »Wir beide werden alt und lieben immer mehr die häusliche Einsamkeit.«

Petronius wollte einen Einwand machen, allein Aulus Plautius fügte in dem ihm eigentümlichen zischenden Tone hinzu: »Wir fühlen uns immer fremd unter den Menschen, welche sogar unsern römischen Göttern griechische Namen beilegen.«