Autobiographische Werke - Friedrich Nietzsche - E-Book

Autobiographische Werke E-Book

Friedrich Nietzsche

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Inhalt: Friedrich Nietzsche - Biografie und Bibliografie Aus dem Jahre 1856 Der Leusch und das Wethautal Die Schönburg Aus meinem Leben Aus dem Jahre 1859 In Jena Pforta Die Schillerfeier in Pforta Aus dem Jahre 1860 Meine Ferienreise Mein Lebenslauf I Mein Lebenslauf II Mein Lebenslauf III Brief an meinen Freund, in dem ich ihm meinen Lieblingsdichter zum Lesen empfehle Chronik der Germania Meine literarische Tätigkeit, sodann meine musikalische. 1862 Aus dem Jahre 1862 Aus dem Jahre 1862 Für die Ferien Mein Leben Meine musikalische Tätigkeit im Jahre 1863 Über Stimmungen Mein Leben Ein Silvestertraum Konzert und Theater im Winter 1864/65 zu Bonn Aus dem Jahre 1866 Aus dem Jahre 1867 Rückblick auf meine zwei Leipziger Jahre Aus den Jahren 1868/69

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AutobiographischeWerke

Friedrich Nietzsche

Inhalt:

Friedrich Nietzsche – Biografie und Bibliografie

Aus dem Jahre 1856

Der Leusch und das Wethautal

Die Schönburg

Aus meinem Leben

Aus dem Jahre 1859

In Jena

Pforta

Die Schillerfeier in Pforta

Aus dem Jahre 1860

Meine Ferienreise

Mein Lebenslauf I

Mein Lebenslauf II

Mein Lebenslauf III

Brief an meinen Freund,  in dem ich ihm meinen Lieblingsdichter zum Lesen empfehle

Chronik der Germania

Meine literarische Tätigkeit, sodann meine musikalische. 1862

Aus dem Jahre 1862

Aus dem Jahre 1862

Für die Ferien

Mein Leben

Meine musikalische Tätigkeit im Jahre 1863

Über Stimmungen

Mein Leben

Ein Silvestertraum

Konzert und Theater im Winter 1864/65 zu Bonn

Aus dem Jahre 1866

Aus dem Jahre 1867

Rückblick auf meine zwei Leipziger Jahre

Aus den Jahren 1868/69

Autobiographische Werke, Friedrich Nietzsche

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849616236

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Friedrich Nietzsche – Biografie und Bibliografie

Namhafter philosophischer Schriftsteller, geb. 15. Okt. 1844 in Röcken bei Lützen, gest. 25. Aug. 1900 in Weimar, war der Sohn eines Pfarrers, der zeitig starb, wurde von seiner Mutter in Naumburg a. S. erzogen, besuchte die Landesschule Pforta und studierte von 1864–67 in Bonn und Leipzig klassische Philologie. Frühreif, ein bevorzugter Schüler Ritschls, erhielt er noch vor seiner Promotion (1869) einen Ruf als außerordentlicher Professor der klassischen Philologie an die Universität Basel, wurde 1870 schon ordentlicher Professor daselbst, welche Stellung er bis 1870 bekleidete. In diesem Jahre nötigte ihn ein schweres Augenleiden, verbunden mit Überreizung des Gehirns, sein Amt aufzugeben, nachdem er schon den Winter 1876/77 in Sorrent zugebracht hatte. Von da ab führte er, beständig schriftstellerisch äußerst tätig, ein Wanderleben, hielt sich mit Vorliebe in Venedig, in der Schweiz, in Turin, Genua, Nizza, bisweilen auch in Leipzig und Naumburg auf, bis er im Frühjahr 1889 in Turin nach übermäßiger geistiger Anstrengung und zu starkem Gebrauch von Schlafmitteln geisteskrank wurde. Kürzere Zeit brachte er in der Heilanstalt in Jena zu, wo ihm keine Genesung wurde; dann lebte er wieder bei seiner Mutter in Naumburg und nach deren Tode in treuester Pflege seiner Schwester zu Weimar in einer oberhalb der Stadt gelegenen Villa, wo sich jetzt das Nietzsche-Archiv befindet (vgl. Kühn, Das Nietzsche-Archiv zu Weimar, Darmst. 1904). Mit Rich. Wagner war er längere Jahre eng befreundet, brach aber den Verkehr später mit ihm hauptsächlich wegen dessen religiösen Ansichten ab. Im persönlichen Umgange sehr gewinnend, aber doch die Einsamkeit liebend, ging er in seinen Schriften schonungslos gegen alles ihm nicht Gefallende vor. Als Stilist ist er in der Gegenwart unübertroffen, seine Sprache hat oft einen geradezu bestrickenden Zauber, und ihr ist zum Teil die große Wirkung seiner Werke zuzuschreiben.

Seine schriftstellerische Laufbahn begann N. mit kürzern philologischen Arbeiten über Theognis und Diogenes Laertius, aber schon in seiner ersten größern Schrift: »Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik« (Leipz. 1872), wandte er sich von der rein philologischen Methode ab, indem er sich von allgemeinen philosophischen und künstlerischen Anschauungen, namentlich solchen Schopenhauers u. Wagners, leiten ließ. Derselben Richtung folgt er auch, zugleich ein deutsches Kulturideal anstrebend'. in den »Unzeitgemäßen Betrachtungen« (4 Stücke, Leipz. 1873–76), verläßt sie aber in seinen weitern aphoristischen Werken: »Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister« (Chemn. 1878–80, 3 Tle.); »Morgenröte. Gedanken über moralische Vorurteile« (das. 1881); »Die fröhliche Wissenschaft« (das. 1882), wo der Glaube an Ideale preisgegeben, der Mensch als reines Naturprodukt betrachtet wird, auch die Sittlichkeit sich mit ihren Gesetzen nicht von höhern Mächten oder der allgemeinen Vernunft, sondern aus den natürlichen Trieben der Menschen herleiten soll. So hatte N. mit aller sittlichen und religiösen Tradition gebrochen, war nicht mehr an Vorurteile, nicht mehr an die sogen. ewigen Gesetze der Vernunft gebunden, namentlich nicht an die christliche Welt- und Lebensanschauung, von der diese unsre Welt im Gegensatz zu einer erdichteten jenseitigen mißachtet werde, bei der die natürlichen Triebe des Menschen nicht zu ihrem Rechte kämen, aber die Schwäche der Unterwerfung für das Höhere gelte. Der Mensch muß nach N. seine Instinkte möglichst befriedigen, sich selbst zum Zweck seines Daseins setzen, diesen nicht außer sich, nicht in selbstlosen Handlungen suchen, er muß sich selbst leben, den Willen zur Macht, den er hat, möglichst zur Erfüllung bringen, die Tugenden nicht über sich stellen, nicht ihnen dienen, sie vielmehr als sein Machwerk betrachten. So zeichnet N. die Gestalt des Übermenschen, der nur sich selbst will und sich seine Welt gewinnt, für den nur gut ist, was er will, der weltfreudig und stark ist in seinem Wollen und alles, was sich ihm entgegenstellt, niederwirft, nichts von Ergebung weiß, nichts von Mitleid, das nur die Tugend des Schwachen ist. Nicht alle können gleiche Macht und gleichen Genuß haben, nur gemäß ihrer verschiedenen Stärke können die einzelnen das Ziel des Menschen erreichen; deshalb gibt es auch nicht gleiche Rechte für alle Menschen: der Starke hat das Recht, der Schwache muß ihm zur Erreichung seiner Ziele dienen. Diese Gedanken sind ausgeführt in. »Also sprach Zarathustra« (1.–3. Teil, Chemn. 1883 bis 1884; 4. Teil, Leipz. 1891); »Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel zu einer Philosophie der Zukunft« (Leipz. 1886); »Zur Genealogie der Moral« (das. 1887); »Der Fall Wagner« (das. 1888); »Götzendämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophiert« (das. 1889). Alle diese Werke sind in einer Reihe von Auflagen erschienen. Von »Also sprach Zarathustra« sind schon 50,000 Exemplare gedruckt. Von der Gesamtausgabe der »Werke« Nietzsches enthält die erste Abteilung (Leipz. 1895, 8 Bde.) das von N. selbst Veröffentlichte und außerdem: »N. contra Wagner«, »Der Antichrist. Versuch einer Kritik des Christentums« und »Gedichte«. Eine 1893 schon begonnene (von Peter Gast) mußte nach Ausgabe von 5 Bänden abgebrochen werden. Der »Antichrist« ist das erste Buch des nicht vollendeten philosophischen Hauptwerkes Nietzsches: »Der Wille zur Macht. Versuch einer Umwertung aller Werte«, dessen unvollendete weitere drei Bücher den Titel haben: »Der freie Geist. Kritik der Philosophie als einer nihilistischen Bewegung«, »Der Immoralist. Kritik der verhängnisvollsten Art von Unwissenheit der Moral«, »Dionysos, Philosophie der ewigen Wiederkunft«. Von der ersten Abteilung der Werke ist 1899 auch eine Ausgabe in kleinerm Format erschienen. Die zweite Abteilung der Gesamtausgabe ist in 7 Bänden 1901–04 erschienen und enthält aus den ungedruckten Papieren Nietzsches die unvollendeten Schriften und Fragmente, Entwürfe, Nachträge und Aphorismen. Übersetzungen der ersten Abteilung der gesamten Schriften ins Englische und Französische erschienen in London 1897 ff. und Paris 1899 ff. Von Nietzsches gesammelten Briefen sind 3 Bände veröffentlicht worden (Berl. u. Leipz. 1900–05), besonders wichtig sind die an Erwin Rhode und Malvida v. Meysenbug. Das »Leben Fr. Nietzsches« ist von seiner Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche (Leipz. 1895 bis 1904, 2 Bde.) geschrieben. Das Werk enthält auch viele Briefe und Aufzeichnungen Nietzsches. Sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Philosophen II«.

Die Nietzscheschen Ansichten haben viele Gegner gefunden, wie dies bei dem vielen Paradoxen und Umstürzenden in ihnen natürlich, anderseits auch viele Freunde besonders in der jüngern Generation, in dieser zum Teil wegen der Zersetzung des Traditionellen. Im ganzen hat die Verehrung Nietzsches nach seinem Tod eher noch zu-als abgenommen; namentlich hat sein »Zarathustra« große Verbreitung und Bewunderung erfahren. Man fängt an, das dauernd Wertvolle bei N., namentlich sein Streben nach einer höhern Kultur und seinen Individualismus anzuerkennen und betont, daß N. selbst eine vornehme reine Natur voller Ideale war, und daß niedriger Egoismus in seiner Lehre keine Stelle findet. Manche seiner Ansichten freilich, so die von ihm selbst hochbewertete von der ewigen Wiederkunft des Gleichen, finden wenig Anerkennung. Infolge der verschiedenen Stellung zu N. ist eine große Reihe von Schriften und Abhandlungen über ihn, gegen ihn und für ihn erschienen, von denen hier nur die wichtigsten genannt sein mögen: O. Hansson, Friedrich N. (Leipz. 1890); Kaatz, Die Weltanschauung Fr. Nietzsches (Dresd. 1892–93, 2 Tle.; 2. Aufl. 1898); L. Stein, Fr. Nietzsches Weltanschauung und ihre Gefahren (Berl. 1893); Andreas-Salomé, Friedr. N. in seinen Werken (Wien 1894); Steiner, Friedr. N., ein Kämpfer gegen seine Zeit (Weim. 1895); Meta v. Salis-Marschlins, Philosoph und Edelmensch (Leipz. 1897); Th. Ziegler, Friedr. N. (Berl. 1900); Schellwien, Max Stirner und Friedr. N., Erscheinungen des modernen Geistes und das Wesen des Menschen (Leipz. 1892); Alex. Tille, Von Darwin bis N. Ein Buch Entwickelungsethik (das. 1895); Riehl, Fr. N. der Künstler und der Denker (Stuttg. 1897, 3. Aufl. 1901); Deussen, Erinnerungen an F. N. (Leipz. 1901); Vaihinger, N. als Philosoph (Berl. 1902, 3. Aufl. 1905); Richter, F. N. Sein Leben und sein Werk (Leipz. 1903); Ewald, Nietzsches Lehre in ihren Grundbegriffen (Berl. 1903); Drews, Nietzsches Philosophie (Heidelb. 1904); Lichtenberger, La philosophie de Fr. N. (Par. 1898, 6. Aufl. 1901; deutsch, 2. Aufl., Dresd.1900); J. de Gaultier, De Kant à N. (2. Aufl., Par. 1900) und N. et la réforme philosophique (das. 1905); Seillière, Apollon ou Dionysos. Étude critique sur F. N. (das. 1905; deutsch, Berl. 1905); Zoccoli, Federico N. La filosofia religiosa, la morale, l'estetica (Modena 1898, 2.Aufl. 1901); Orestano, Le idee fondamentali di Fed. N. (Palermo 1903).

Aus dem Jahre 1856

Naumburg, den 26. 12.1856

Endlich ist mein Entschluß gefaßt, ein Tagebuch zu schreiben, in welchem man alles, was freudig oder auch traurig das Herz bewegt, dem Gedächtnis überliefert, um sich nach Jahren noch an Leben und Treiben dieser Zeit und besonders meiner zu erinnern. Möge dieser Entschluß nicht wankend gemacht werden, obgleich bedeutende Hindernisse in den Weg treten. Doch jetzt will ich anfangen:

Wir leben jetzt inmitten von Weihnachtsfreuden. Wir warteten auf sie, sahen sie erfüllt, genossen jene und jetzt drohen sie uns nun schon wieder zu verlassen. Denn es ist schon der zweite Feiertag. Jedoch ein beglückendes Gefühl strahlt hell fast von dem einen Weihnachtsabend, bis der andre schon mit mächtigen Schritten seiner Bestimmung entgegeneilt. Doch ich will mit dem Anfange meiner Ferien auch den Anfang der Weihnachtsfreuden schildern. Wir gingen aus der Schule; die ganze Zeit der Ferien lag vor uns und mit diesen das schönste aller Feste. Schon seit einiger Zeit war uns der Zutritt an einige Orte nicht gestattet. Ein Nebelflor hüllte alles geheimnisvoll ein, damit dann desto mächtiger die Freudenstrahlen der Christfestsonne hindurchbrächcn. Wcihnachtsgänge wurden besorgt; das Gespräch wurde fast allein auf dieses geleitet; ich zitterte fast vor Freude, wenn das Herz jubelnd daran gedachte und ich eilte fort, um meinen Freund Gustav Krug zu besuchen. Wir machten unsern Empfindungen Raum, indem wir bedachten, was der morgende Tag für schöne Geschenke mit sich bringen werde. So verging der Tag in Erwartung der Dinge.

Der Tag erschien!

Schon leuchtete das Tageslicht in mein Schlafgemach, als ich erwachte. Was alles durchströmte meine Brust! Es war ja der Tag, an dessen Ende einst zu Bethlehem der Welt das größte Heil widerfuhr; es ist ja der Tag an welchem meine Mama mich jährlich mit reichen Gaben überschüttet. Der Tag verfloß mit Schneckenlangsamkeit; Pakete mußten von der Post geholt werden, geheimnisvoll wurden wir aus der Stube in den Garten vertrieben. Was mag während dieser Zeit dort vorgegangen sein? Dann ging ich in die Klavierstunden, in welche ich wöchentlich am Mittwoch einmal gehe. Ich hatte erst eine Sonata facile von Beethoven gespielt, und mußte jetzt Variationen spielen. Nun fing es schon an zu dämmern. Die Mama sagte zu mir und meiner Schwester Elisabeth: Die Vorbereitungen sind fast zu Ende. Wie freuten wir uns da. Nun kam die Tante; wir begrüßten sie mit einem Gejauchze oder vielmehr Gebrüll, daß das Haus davon bebte. Das Mädchen meiner Tante folgte ihr, und war noch zu Vorbereitungen dienlich. Zuletzt vor der Bescherung kamen die Frau Pastor Haarseim mit ihrem Sohn. Da, wer beschreibt unsern Jubel, öffnet die Mama die Tür! Hell strahlt uns der Christbaum entgegen und unter ihm die Fülle der Gaben! Ich sprang nicht, nein ich stürzte hinein und gelangte merkwürdigerweise grade an meinen Platz. Da erblickte ich ein sehr schönes Buch (obgleich zwei dalagen, denn ich sollte mir auswählen), nämlich die Sagenwelt der Alten mit vielen prächtigen Bildern ausgestattet. Auch einen Schlittschuh fand ich, aber nur einen? Wie würde ich ausgelacht werden, wenn ich versuchen wollte einen Schlittschuh an zwei Beine zu schnallen. Das wäre doch merkwürdig. Doch sieh einmal, was liegt denn da noch daneben so ganz ungesehen? Bin ich denn so klein, so gering, daß du mich kaum ansiehst? sprach da plötzlich ein dicker Folioband, welcher zwölf vierhändige Sinfonien von Haydn enthielt. Ein freudiger Schrecken durchzuckte mich wie der Blitz die Wolken; also wirklich der ungeheure Wunsch war erfüllt; der größte! Nebenan erblickte ich auch den zweiten Schlittschuh, und wie ich mir diesen näher besehe, da sah ich plötzlich noch ein paar Hosen. Nun betrachtete ich meinen Weihnachtstisch im ganzen und fragte nach denen, welche es mir geschenkt hatten. Doch wer mag der sein, welcher mir die vielen Noten geschenkt hat? Ich erhielt aber keine andre Auskunft als daß es ein Unbekannter sei, welcher mich bloß dem Namen nach kenne. Dann wurde Tee und Stolle getrunken und gegessen, und nachdem uns die Gäste verlassen hatten und uns Müdigkeit ankam, legten wir uns zur Ruhe.

Der Leusch und das Wethautal

Ich hatte mit Wilhelm Pinder verabredet, eine Partie nach dem Leusch zu machen und wir bestimmten dazu den nächsten Sonntag. (Das war der 19. Juli) – Den Morgen um 7 Uhr gingen wir vom Jakobstor aus fort. Das Wetter war für uns sehr günstig, denn es war bei weitem kühler als die vorigen Tage. Auch wählten wir statt der staubigen Chaussee lieber den Feldweg, welcher an den sogenannten Hussitenschanzen vorüberführt. Sodann kamen wir an den Gipsbrüchen vorbei, wo wir etwas ausruhten. Hier sahen wir den Leusch vor uns auf einer Erhöhung liegen, und unser erstes Ziel war erreicht. Wir traten in den Wald ein; alles war hier noch so frisch und der Tau schimmerte auf allen Zweigen, die Vögel sangen und das Geläute der Glocken, welche in die Kirchen riefen, tönte wunderbar um das Ohr, bald schwach, bald stark. Auch die Aussicht von dort ist nicht minder schön, denn der Leusch ist über Naumburg schon ziemlich erhaben. Ein vollständiger Kreis von Bergen zog sich am Horizonte um uns, in seiner Mitte Naumburg umfassend, dessen Turmspitzen in Strahlen erglühten. Von hier gingen wir weiter, um in das Wethautal zu gelangen, um dann den Weg über den Bürgergarten nach Hause zu nehmen. Bald erblickten wir einen dunklen Streifen von Bergen, der sich immer mehr vergrößerte, und endlich hatten wir das Wethautal vor uns. Die es umgebenden Berge sind mit Wald bedeckt, und hinter ihnen erhebt sich noch eine blaue Bergkette. Wir gingen in das Tal hinab, an einen Teich.

Die Schönburg

Diese Burg, welche Ludwig der Springer erbaut hat, liegt an dem Strande der Saale und unweit Gosecks. Kommt man durch das Dorf gleichen Namens, so zeigt sie sich in ihrer ganzen Größe und Stärke. Der sich hoch erhebende Turm mit seiner gerundeten Spitze, die Basteien, welche schroff an den Felsen abfallen, erinnern sehr an die Zeit des Mittelalters, und wirklich bot wohl keine Gegend einen bessern Ort zu einer Raubburg dar, als diese; denn die eine Seite umfließt die Saale, die andre ist durch steile Abhänge geschützt. Wir gingen den Weg zur Burg hinauf, der noch an den Seiten von Mauerresten begrenzt ist, und traten in den Burghof ein, dessen Hälfte jetzt zu einem Garten umgewandelt ist. Noch ein sehr tiefer Brunnen befindet sich darin, über welchen ein Häuschen gebaut ist. Dieser Garten ist von dem Burghof durch eine Mauer getrennt und steht durch eine Pforte mit ihm in Verbindung. Sieht man durch die Fensternischen, so hat man eine wunderschöne Gegend vor sich: Eine weite Wiese dehnt sich vor uns aus und die Saale durchzieht sie gleich einem Silberreif, durch Berge, die von Weinbergen begrenzt sind. Im Hintergrunde liegt Naumburg, in einen grauen Schleier gehüllt, seitwärts Goseck, ein bei der Entstehung der Burg sehr wichtiger Ort. – Noch ein altes Burgverlies befindet sich da, auf dessen Rücken die Bewohner der Burg kleine Gartenanlagen angelegt haben. – Darauf wollten wir noch den Schloßturm besteigen. Durch den sehr engen Eingang, an welchem man die Dicke der Mauern erkennen kann, gelangt man in das finstere Innre. Vier sehr breitsprossige Leitern führen auf ebensoviel Böden und auf dem ersten von ihnen ist noch ein alter Kamin. Oben angelangt gerät man durch ein Panorama, welches sich bis nach Weißenfels erstreckt, in Erstaunen. Wir hatten hier das erhabne Vergnügen, die Sonne untergehen zu sehen. Langsam tauchte die Sonne unter; ihre letzten Strahlen vergoldeten die Türme von Naumburg und Goseck. Jetzt wurde es stiller in der Natur. Graue Nebel stiegen von dem Flusse auf, der Vögel Klang verstummte, der Landmann kehrte heim in seine väterliche Hütte und sucht nach des Tages Mühen Ruh, denn die Sonne hat Abschied genommen und der Nacht ihre Stelle eingeräumt. Aber auch wir verließen die schöne Burg, nahmen Abschied von ihren Zinnen und räumten dem Mond unsre Stelle, dessen Glanz auf das Gebäude schimmerte.

Aus meinem Leben

I. Die Jugendjahre

1844 bis 1858

Wenn man erwachsen ist, pflegt man sich gewöhnlich nur noch der hervorragendsten Punkte aus der frühesten Kindheit zu erinnern. Zwar bin ich noch nicht erwachsen, habe kaum die Jahre der Kindheit und Knabenzeit hinter mir, und doch ist mir schon so vieles aus meinem Gedächtnis entschwunden und das wenige, was ich davon weiß, hat sich wahrscheinlich nur durch Tradition erhalten. Die Reihen der Jahre fliegen an meinem Blicke gleich einem verworrenen Traume vorüber. Deshalb ist es mir unmöglich, mich in den ersten zehn Jahren meines Lebens an Daten zu binden. Dennoch steht einiges hell und lebhaft vor meiner Seele und dieses will ich, vereint mit Dunkel und Düster, zu einem Gemälde verbinden. Ist es doch immer lehrreich, die allmählige Bildung des Verstandes und Herzens und hierbei die allmächtige Leitung Gottes zu betrachten! –

Ich wurde in Röcken bei Lützen den 15. Oktober 1844 geboren und empfing in der heiligen Taufe den Namen: Friedrich Wilhelm. Mein Vater war für diesen Ort und zugleich für die Nachbardörfer Michlitz und Bothfeld Prediger. Das vollendete Bild eines Landgeistlichen! Mit Geist und Gemüt begabt, mit allen Tugenden eines Christen geschmückt, lebte er ein stilles, einfaches aber glückliches Leben und wurde von allen, die ihn kannten, geachtet und geliebt. Sein feines Benehmen und heiterer Sinn verschönerte manche Gesellschaften, zu denen er geladen war und machten ihn gleich bei seinem ersten Erscheinen überall beliebt. Seine Mußestunden füllte er mit schönen Wissenschaften und mit Musik aus. Im Klavierspielen hatte er eine bedeutende Fertigkeit, besonders im freien Variieren erlangt...

Das Dorf Röcken liegt eine halbe Stunde von Lützen, dicht an der Landstraße. Wohl jeder Wanderer, der an ihm vorbei seine Straße zieht, wirft ihm einen freundlichen Blick zu. Denn es liegt gar lieblich da, mit seinem umgebenden Gebüsch und seinen Teichen. Vor allem fällt der bemooste Kirchturm in die Augen. Wohl kann ich mich noch erinnern, wie ich einstmals mit dem lieben Vater von Lützen nach Röcken ging und wie in der Mitte des Weges die Glocken mit erhebenden Tönen das Osterfest einläuteten. Dieser Klang tönt so oft in mir wieder und Wehmut trägt mich sodann nach dem fernen, teuren Vaterhause hin. Wie lebendig steht noch der Gottesacker vor mir! Wie oft fragte ich, wenn ich das alte, alte Leichenhaus sah, nach den Bahren und schwarzen Flören, nach alten Grabschriften und Denkmälern! Aber wenn kein Bild meiner Seele entweicht, am wenigsten werde ich wohl das traute Pfarrgebäude vergessen. Denn mit mächtigem Griffel ist es in meine Seele eingegraben. Das Wohnhaus war erst 1820 gebaut und deshalb in sehr nettem Zustande. Mehrere Stufen führten hinauf zum Parterre. Noch kann ich mich des Studierzimmers in der obersten Etage erinnern. Die Reihen Bücher, darunter manche Bilderwerke, diese Schriftrollen machten diesen Ort zu einem meiner Lieblingsplätze. Hinter dem Haus breitete sich der Obst- und Grasgarten aus. Ein Teil desselben pflegte im Frühjahr unter Wasser zu stehen und gewöhnlich war dann auch der Keller angefüllt. Vor der Wohnung erstreckte sich der Hof mit Scheune und Stallgebäude und geleitete zu dem Blumengarten. In den Lauben und Sitzen verweilte ich fast immer. Hinter dem grünen Zaun lagen die vier Teiche, mit Weidengebüsch umgeben. Zwischen diesen Gewässern zu gehen, die Sonnenstrahlen auf der Spiegelfläche und die munteren Fischlein spielen zu sehen, das war meine größte Lust. Noch muß ich etwas erwähnen, was mich immer mit geheimem Schauer erfüllte. Nämlich in der düstern Sakristei der Kirche stand an der einen Seite das übermenschliche Bild des heiligen Georg, von geschickter Hand in Stein gegraben. Die hehre Gestalt, die furchtbaren Waffen und das geheimnisvolle Halbdunkel ließen mich ihn immer nur mit Scheu betrachten. Einst, so geht die Sage, sollen seine Augen erschrecklich gefunkelt haben, so daß alle, die ihn angesehen hätten, mit Grausen erfüllt worden wären. – Rings um den Gottesacker herum liegen die Bauernhöfe und -gärten in trauter Stille. Eintracht und Friede waltete über jeder Hütte und wilde Erregungen blieben von ihnen fern. Überhaupt entfernten sich die Bewohner selten von dem Dorfe, höchstens an Jahrmärkten, wo muntere Scharen von Burschen und Frauen sich nach dem belebten Lützen begaben und das Gewühl der Menschen und die glänzenden Waren bewunderten. Sonst ist Lützen ein kleines und einfaches Städtchen, dem man nicht ansieht, welche welthistorische Bedeutung es hat. Zweimal wurden hier ungeheure Schlachten geschlagen und mit dem Blute fast aller europäischen Nationen ist dort der Boden getränkt. Ehrende Denkmäler erheben sich hier und verkünden mit beredter Zunge den Ruhm der gefallenen Helden. – Eine Stunde von Röcken liegt Poserna, berühmt als Geburtsort von Seume, jenem wahrhaft patriotisch gesinnten Mann und Dichter. Leider steht sein Haus nicht mehr. Seit 1813 lag es in Trümmern und jetzt erst hat ein neuer Besitzer ein großes schönes Haus auf derselben Stelle gebaut. – Das dreiviertel Stunden weit entfernte Dorf Sössen ist noch durch ein Hünengrab merkwürdig, das kürzlich ausgegraben wurde. – Während wir in Röcken ruhig und still lebten, bewegten heftige Erregungen fast alle Nationen Europas. Schon lange Jahre vorher war der Zündstoff überall vorbereitet; es bedurfte nur eines Funkens, um alles in Brand zu setzen. – Da erscholl fern von Frankreich herüber der erste Waffenklang und Sturmessang. Die ungeheure Februarrevolution in Paris wälzte sich mit verheerender Schnelle umher. »Freiheit, Gleichheit, Brudersinn« ertönte es in allen Landen, der niedrige wie angesehene Mann ergriff das Schwert teils für, teils gegen den König. Der Revolutionskampf in Paris findet in den meisten Städten Preußens Nachahmung. Und selbst bei schneller Unterdrückung blieb doch noch lange der Wunsch des Volkes »eine deutsche Republik«. Nach Röcken drangen diese Erhebungen nicht; wohl aber kann ich mich noch erinnern, wie Wagen mit jubelnden Scharen und wehenden Fahnen auf der Landstraße hinfuhren. Während dieser verhängnisvollen Zeit bekam ich noch ein Brüderchen, in der heiligen Taufe Karl Ludwig Joseph genannt, ein allerliebstes Kind. Bis hierher hatte uns immer Glück und Freude geleuchtet, ungetrübt war unser Leben dahingeflossen, wie ein heller Sommertag; aber da türmten sich schwarze Wolken auf, Blitze zuckten und verderbend fallen die Schläge des »Himmels« nieder. Im September 1848 wurde plötzlich mein geliebter Vater gemütskrank. Jedoch trösteten wir uns und er sich mit baldiger Genesung. Immer wenn wieder ein besserer Tag war, bat er, doch ihn wieder predigen und Konfirmandenstunden geben zu lassen. Denn sein tätiger Geist konnte nicht müßig bleiben. Mehrere Ärzte bemühten sich, das Wesen der Krankheit zu erkennen, aber vergebens. Da holten wir den berühmten Arzt Opolcer, der sich damals in Leipzig befand, nach Röcken. Dieser vortreffliche Mann erkannte sogleich, wo der Sitz der Krankheit zu suchen wäre. Zu unser aller Erschrecken hielt er es für eine Gehirnerweichung, die zwar noch nicht hoffnungslos, aber dennoch sehr gefahrvoll sei. Ungeheure Schmerzen mußte mein geliebter Vater ertragen, aber die Krankheit wollte sich nicht vermindern, sondern sie wuchs von Tag zu Tag. Endlich erlosch sogar sein Augenlicht und im ewigen Dunkel mußte er noch den Rest seiner Leiden erdulden. Bis zum Juli 1849 dauerte noch sein Krankenlager; da nahte der Tag der Erlösung. Den 26. Juli versank er in tiefen Schlummer und nur zuweilen erwachte er. Seine letzten Worte waren: Fränzchen – Fränzchen – komm – Mutter – höre – höre – Ach Gott! – Dann entschlief er sanft und selig. †††† den 27. Juli 1849. Als ich den Morgen erwachte, hörte ich rings um mich lautes Weinen und Schluchzen. Meine liebe Mutter kam mit Tränen herein und rief wehklagend: »Ach Gott! Mein guter Ludwig ist tot!« Obgleich ich noch sehr jung und unerfahren war, so hatte ich doch eine Idee vom Tode; der Gedanke, mich immer von dem geliebten Vater getrennt zu sehn, ergriff mich und ich weinte bitterlich.

Die Tage darauf vergingen unter Tränen und Vorbereitung zum Begräbnis. Ach Gott! Ich war zum vaterlosen Waisenkind, meine liebe Mutter zur Witwe geworden! – – – – Den 2. August wurde die irdische Hülle meines teuren Vaters dem Schoß der Erde anvertraut. Die Gemeinde hatte das Grab ausmauern lassen. Um ein Uhr mittag begann die Feierlichkeit unter vollem Glockengeläute. Oh, nie wird sich der dumpfe Klang derselben aus meinem Ohr verlieren, nie werde ich die düster rauschende Melodie des Liedes »Jesu meine Zuversicht« vergessen! Durch die Hallen der Kirche brauste Orgelton. Eine große Schar von Verwandten und Bekannten hatte sich eingefunden, fast sämtliche Pastoren und Lehrer der Umgegend. Herr Pastor Wimmer sprach die Altarrede, Herr Superintendent Wilke am Grabe und Herr Pastor Oßwalt den Segen. Dann wurde der Sarg hinabgelassen, die dumpfen Worte des Geistlichen erschallten und entrückt war er, der teure Vater, allen uns Leidtragenden. Eine gläubige Seele verlor die Erde, eine schauende empfing der Himmel. –

Wenn man einen Baum seiner Krone beraubt, so wird er welk und kahl und die Vöglein verlassen die Zweige. Unsere Familie war ihres Oberhauptes beraubt, alle Freude schwand aus unsern Herzen und tiefe Trauer herrschte in uns. Aber kaum waren die Wunden ein wenig geheilt, so wurden sie von neuem schmerzlich aufgerissen. – In der damaligen Zeit träumte mir einst, ich hörte in der Kirche Orgelton wie beim Begräbnis. Da ich sah, was die Ursache wäre, erhob sich plötzlich ein Grab und mein Vater im Sterbekleid entsteigt demselben. Er eilt in die Kirche und kommt in kurzem mit einem kleinen Kinde im Arm wieder. Der Grabhügel öffnet sich, er steigt hinein und die Decke sinkt wieder auf die Öffnung. Sogleich schweigt der rauschende Orgelschall und ich erwache. – Den Tag nach dieser Nacht wird plötzlich Josephchen unwohl, bekommt die Krämpfe und stirbt in wenig Stunden. Unser Schmerz war ungeheuer. Mein Traum war vollständig in Erfüllung gegangen. Die kleine Leiche wurde auch noch in die Arme des Vaters gelegt. – Bei diesem doppelten Unglück war Gott im Himmel unser einziger Trost und Schutz. Dies geschah Ende Januar 1850. – – –

Die Zeit, wo wir von unserm geliebten Röcken scheiden sollten, nahte heran. Noch kann ich mich des letzten Tags und der letzten Nacht erinnern, wo wir dort verweilten. Am Abend spielte ich noch mit mehreren Kindern, gedenkend, daß es das letztemal sei. Die Abendglocke hallte mit wehmütigem Ton durch die Fluren, mattes Dunkel verbreitete sich über die Erde, am Himmel strahlten der Mond und die funkelnden Sterne. Ich konnte nicht lange schlafen; schon nachts halb eins ging ich wieder in den Hof. Hier standen mehrere Wagen, die beladen wurden, der matte Schein der Laterne beleuchtete düster die Hofräume. Ich hielt es geradezu für unmöglich, an einem anderen Orte heimisch zu werden. Von einem Dorf zu scheiden, wo man Freude und Leid genossen hat, wo die teuren Gräber des Vaters und des kleiden Bruders sind, wo die Bewohner des Ortes immer nur mit Liebe und Freundlichkeit zuvorkamen, wie schmerzlich war es! Kaum erhellte der Tag die Fluren, da rollte der Wagen hin auf der Landstraße und führte uns Naumburg zu, wo uns eine neue Heimat erwartete. – Ade, ade, teures Vaterhaus!!