18,99 €
Die junge Elfe Aylana, den Lesern bereits bekannt aus Band 1 "Die Drachenkriegerin", lebt einerseits unerkannt unter den Menschen und andererseits in der Welt der Elfen, den Arcandrin. Sie kämpft weiter unbeirrt für den Schutz allen Lebens und gegen die Habgier und Herrschsucht der Menschen, die das Elfenvolk entzweite. Und dann sind da noch die Zeichen vergangener Tage. Ist die Zukunft der jungen Elfen längst vorbestimmt? Erneut stehen Aylana und ihre Freunde vor gewaltigen Herausforderungen, die es zu überwinden gilt. Denn diesmal sind nicht nur die Menschen und Shiazul, die abtrünnigen Elfen, als Antagonisten im Spiel. Es ist die eigene Vergangenheit, der sich die Figuren stellen müssen. Wird es ihnen gelingen, ihr Volk und die Menschen einander wieder näherzubringen?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 528
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
© 2024 novum publishing
ISBN Printausgabe: 978-3-99146-907-0
ISBN e-book: 978-3-99146-908-7
Lektorat: Isabella Busch
Umschlagfotos: Irina Kharchenko, Aleksandr Korchagin | Dreamstime.com
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
www.novumverlag.com
Einleitung
Diese Geschichte handelt von den Arcandrin, den Elfen. Die Arcandrin sind ein uraltes Volk, das mit der Natur in Einklang lebt. Sie versuchen seit Jahrhunderten, ein friedliches Zusammensein aller Lebewesen auf diesem Planeten zu ermöglichen. Die Arcandrin nutzen magische Kräfte und pflegen ihre alten Rituale, die allesamt in direktem Zusammenhang mit dem Wissen um die Naturgesetze stehen. Die Welt der Arcandrin bleibt größtenteils vor den Menschen verborgen, so auch die Drachen und Naturwesen, die dort existieren. Früher lebten die Arcandrin und die Menschen friedlich zusammen. Diese Symbiose wurde jedoch durch die Habgier und den Egoismus der Menschen zerstört. So zogen sich die Arcandrin mehr und mehr zurück. Ihre Geschichte wurde jedoch in alten Legenden und Sagen weitererzählt. Alten Erzählungen nach beherrscht das Elfenvolk mutige Formen des Kampfes mit Schwert oder Pfeil und Bogen. Niemals würde ein Arcandrin zu modernen Waffen greifen, da es gegen alles verstößt, was den Elfen heilig ist. Eine Schusswaffe zu benutzen war ein schweres Vergehen im Reich der Arcandrin.
Heute leben nur noch einige Tausend Elfen unter den Menschen, wo sie weiterhin unerkannt versuchen, die Erde zu behüten und die selbstzerstörerischen Handlungen der Menschen zu unterbinden. Die oberste Doktrin der Arcandrin ist der Schutz und Erhalt allen Lebens.
Doch auch unter den Elfen gibt es eine dunkle Seite. Denn mit der Zeit hatte ein Teil der Arcandrin begonnen, die Menschen zu hassen. Sie als minderwertige und egoistische Kreaturen zu betrachten, die es nicht wert sind, auf der Erde leben zu dürfen. Die Gemeinschaft der Elfen wurden gespalten und in zwei Lager geteilt. Die abtrünnigen Elfen, die sich gegen die oberste Doktrin auflehnten, nannten sich fortan Shiazul. Sie begannen, die alleinige Herrschaft über den Planeten zu beanspruchen und wandten sich gegen ihr eigenes Volk.“
Der Zirkel entscheidet
Aylana war wieder einmal so richtig in ihrem Element. Sie jagte mit ihrem Drachen Ildur so knapp über die Wasseroberfläche, dass sich im Meer eine Bugwelle bildete wie die eines Bootes. Neben ihr, gerade noch in Sichtweite, flogen Arian und Salva. Die drei waren seit ihrem gemeinsamen Abenteuer auf Talabat ein tolles Team geworden. Sie alle waren noch in der Ausbildung zum Drachenkrieger, wo sie nebst Drachenfliegen auch den Gebrauch von Pfeil und Bogen sowie den Kampf mit dem Schwert erlernten. Ihre heutige Aufgabe bestand darin, eine Boje aufzufinden, auf der eine Lanze steckte, die es zu erobern galt. Insgesamt waren drei Teams unterwegs, und wer die Lanze eroberte, hatte gewonnen.
Und wie immer bei diesen Übungen, durfte Aylana weder Durandort, ihren Bogen, noch Xandar, ihr Schwert, verwenden. Sehr zu ihrem Missfallen. Doch sie verstand auch, dass alle Novitae Argo Fura, alle angehenden Drachenkrieger, mit denselben Übungswaffen gegeneinander antreten sollten.
Auf Arcandria, wo die drei Gruppen gestartet waren, hatten sie sich zuvor mit den Übungspfeilen ausgerüstet. Diese verletzten die Getroffenen zwar nicht, waren jedoch ziemlich schmerzhaft und hinterließen deutliche Spuren. Die Regeln waren klar definiert. Ein getroffener Körperteil durfte nicht mehr eingesetzt werden. Dies galt vor allem für die Arme. Bei einem Körpertreffer mussten die Getroffenen sofort ausscheiden. Wurde der Helm getroffen, durfte man weitermachen, sofern man dazu noch in der Lage war. Denn ein direkter Treffer am Helm konnte bis zur kurzen Bewusstlosigkeit führen. Einen Augenblick der Benommenheit hatte ein solcher Aufprall auf alle Fälle zur Folge. Alles in allem war eine solche Übung, auch wenn sie über dem Wasser stattfand, nicht ganz ungefährlich. Erst gerade im letzten Sommer war es zu einem Unfall gekommen, bei dem Arian mit seinem Drachen ins Meer gestürzt war. Aylana hatte sich bei seiner Rettungsaktion am Bein verletzt.
Sie waren jeweils fünf Kilometer voneinander getrennt gestartet und hatten nur vage Informationen betreffend Richtung und Entfernung des Zieles erhalten.
Deshalb hatte Aylana ihre Gruppe aufgefächert, um eine möglichst breite Fläche absuchen zu können. Die drei hatten sich für den Tiefflug entschieden, obwohl die Übersicht deshalb ein wenig zurückstehen musste. Sie versprachen sich davon jedoch einen schnelleren Zugriff auf die Lanze, und sie waren für ihre Konkurrenten schlechter zu sehen. Plötzlich sah Aylana, dass Salva, die rechts von ihr flog, Zeichen gab. Sie deutete auf einen Punkt rechts oberhalb von ihr. Und wirklich, da waren drei Punkte am Himmel, die sich schnell von oben herab näherten. Aylana gab Salva das vereinbarte Zeichen und schwenkte nach links zu Arian. Salva folgte ihr umgehend.
Als sie alle drei nahe genug beieinander waren, rief Aylana:
„Histo fo luda! Dreier Formation Senkrecht.“
Damit würden sie so nahe wie möglich übereinander fliegen, um beim Gegner, der von oben anflog, den Eindruck zu erwecken, dass nur ein Drache unter ihm fliegt. Dabei würde Aylana die oberste Position einnehmen, Salva in der Mitte und Arian zuunterst. Um dann, wenn der Gegner sich sicher fühlte, in eine möglichst enge Kreisformation auszuschwärmen. So könnten sie sich gegen alle Seiten wehren und waren selbst schwer zu treffen. Denn ein Drachen legt sich in die Kurve, und je enger die Kurve ist, umso besser ist der Reiter durch den Körper des Drachen gegen außen geschützt. So war zumindest die Überlegung der drei und heute sollte sich zeigen, ob ihr Plan aufging.
Aylana steuerte Ildur sofort ein wenig nach rechts versetzt über den Drachen Salvas. Arian hingegen nahm seine Position etwas links unter Salva ein. Dadurch war es für den Gegner nahezu unmöglich zu erkennen, dass sich da mehr als ein Drachen unter ihm befand.
Aylana ließ die drei Angreifer, die sich mittlerweile auseinandergefächert hatten, fast bis auf Reichweite ihrer Pfeile herankommen.
„Shira sinas! Bonngo! Bogen rechts! Los!“, rief Aylana und riss Ildur in eine scharfe Rechtskurve. Salva und Arian folgten mit einigem Abstand, und so bildeten die drei ein fast gleichschenkliges Dreieck, das sich sehr schnell drehte. Das komplett überraschte Team ihrer Gegner sah sich jetzt selbst in einer äußerst unangenehmen Lage.
Aylana und ihr Team konnten jetzt aus der geschützten Position hinter ihren Drachen Pfeil um Pfeil auf die anderen abschießen. Aylana landete den ersten Treffer am Helm eines ihrer Kontrahenten, der benommen auf seinem Sattel zusammensackte. Sie folgte ihm mit den Augen und sah erleichtert, dass sein Drache selbsttätig abdrehte und Richtung Arcandria flüchtete. Den zweiten erwischte Arian mit einem Körpertreffer, als dieser versuchte, unter sie zu gelangen, um von dort aus freie Schussbahn zu haben.
Der Dritte versuchte zu entkommen, um weiter nach der Lanze suchen zu können.
„Den hole ich mir!“, rief Salva, und brach aus der Formation aus, um dem Flüchtenden zu folgen. Er schlug Haken wie ein Hase mit seinem Drachen, um seine Verfolgerin abzuschütteln. Salva versuchte die Bewegungen des Flüchtenden vorauszuahnen, doch ihre Pfeile verfehlten noch das Ziel.
Unbemerkt von diesen beiden näherte sich in dem Moment das dritte Team von Osten her. Es war klar, dass sie den Vorteil ausnutzen wollten, um unbemerkt mit einem schnellen Angriff von oben Salva und den Flüchtenden zu überraschen.
„SALVA!“, schrie Aylana aus vollem Halse. Sie und Arian hatten bemerkt, dass Salva ihrerseits verfolgt wurde. Doch sie war bereits außer Hörweite.
„Wenn wir jetzt nicht eingreifen, wird sie sicher abgeschossen“, rief Arian. „Aber andererseits könnten wir die Lanze suchen. Niemand achtet auf uns.“
„Wir lassen sie nicht im Stich. Versuchen wir den Vorteil zu nutzen, noch nicht entdeckt zu sein.“ Aylana war entschlossen, Salva zu helfen. „Sinas Ildur. Bonngo, bonngo. Nach rechts, Ildur. Schnell, schnell.“
Sie trieb ihren Drachen zu äußerster Eile an und Arian folgte ihr sofort. Aylana ließ Ildur sofort an Höhe gewinnen, um ihrerseits aus der Sonne heraus angreifen zu können.
Während Aylana und Arian sich in Position brachten, war es Salva gelungen, ihren Gegner einzuholen, und jetzt war sie praktisch gleichauf an seiner rechten Seite. Sie spannte ihren Bogen, doch ihr Pfeil prallte am Flügel des Drachen ab, denn der Angegriffene hatte ihre Absicht noch rechtzeitig erkannt und war scharf nach links abgedreht.
Salva folgte ihm sofort und schrie erschrocken auf. Denn jetzt sah sie sich den Drachenkriegern des dritten Teams gegenüber, die mit voller Geschwindigkeit auf sie zurasten. Ihr Gegner, den sie zuvor verfolgt hatte, wurde durch einen Pfeil, der ihn mit voller Wucht am Oberkörper traf, fast vom Drachen gerissen. Somit war wieder einer mehr aus dem Spiel genommen und es stand nur noch drei gegen drei.
Salva wusste, dass sie nicht mehr abdrehen konnte und riss ihren Drachen steil in die Höhe, um durch seinen Körper gedeckt zu sein. Durch dieses waghalsige Manöver drohte jedoch ihr Drache zu viel Geschwindigkeit zu verlieren und sie musste ihn möglichst rasch wieder in eine stabile Lage bringen. Einige Pfeile zischten links und rechts an ihr vorbei, ebenso eine Sekunde danach zwei ihrer Angreifer, die nicht schnell genug verlangsamen konnten. Salva brachte ihren Drachen wieder in den Horizontalflug und wollte schon aufatmen, als sie ihren dritten Gegner direkt vor sich hatte. Sie erkannte noch für den Bruchteil einer Sekunde, dass es Moira war, eine hervorragende Bogenschützin, als sie auch schon den Pfeil auf sich zurasen sah. Sie wusste, dass sie keine Chance mehr hatte! Der Pfeil schoss genau auf ihre Stirn zu!
Salva schloss die Augen und wappnete sich für den Aufprall. Doch da hörte sie direkt vor sich ein Splittern und Aylanas triumphierenden Schrei. Salva blickte erstaunt nach oben und sah, wie Aylana und Arian beinahe im Sturzflug heranrasten. Da begriff Salva. Aylana hatte mit ihrem Pfeil Moiras Geschoss im Flug getroffen und damit ihren Abschuss verhindert. Bevor Moira die Situation richtig erfassen konnte, wurde sie bereits von Arians Pfeil am Oberkörper getroffen.
Wieder ein Gegner weniger, doch die beiden anderen hatten durch ihren Überschuss an Geschwindigkeit bereits einen großen Vorsprung gewonnen. Salva ließ ihren Drachen eine Kurve fliegen, um mit Aylana und Arian auf gleiche Höhe zu kommen.
„Danke!! Das war in letzter Sekunde!“, rief Salva zu Aylana hinüber. „Und jetzt? Verfolgen wir die beiden?“
„Sie fliegen in die Richtung, in der auch wir die Lanze vermuten. Also folgen wir ihnen so schnell es nur geht. Wir sollten uns jedoch wieder aufteilen, um ein möglichst großes Gebiet überblicken zu können.“ Aylana deutete auf Arian: „Dras. Rechts Arian.“ Und sich zu zu Salva wendend: „Sinas. Links Salva. Ich nehme die Mitte. Bonngo! Bonngo!“
Sie trieben ihre Drachen zu höchster Eile an und versuchten ihre Konkurrenten einzuholen. Diese beiden hatten sich ebenfalls getrennt, um die See besser absuchen zu können. Sie flogen alle in Richtung Südwesten, was ungefähr der Richtung entsprach, die ihre Ausbilder vorgegeben hatten. Die beiden vor ihnen hatten einen Vorsprung von fast einem Kilometer, als Aylana sah, dass sie leicht nach Süden schwenkten, und zwar so, dass sich ihre Flugbahnen in etwa drei Kilometern treffen mussten. Und sie wusste genau, was das zu bedeuten hatte.
Sie hatten die Lanze gesichtet! „Bonngo, Ildur! Bonngo!“
Aylana trieb ihren Drachen zu äußerster Eile an und konzentrierte sich nur noch darauf, ihre Gegner einzuholen und diese an der Eroberung der Lanze zu hindern.
Salva und Arian hatten ebenfalls begriffen, worum es ging. Doch ihre Drachen blieben hinter Ildur zurück und Aylana wusste, dass sie auf sich alleine gestellt war, um die Lanze noch vor dem anderen Team erobern zu können.
Sie versuchte ihre Chancen abzuwägen. Sollte sie zuerst versuchen, ihre Gegner auszuschalten oder direkt auf die Lanze zuzuhalten? Weder das eine noch das andere erschien ihr zu hundert Prozent erfolgversprechend. Wenn sie zuerst den einen Drachenkrieger angriff, konnte der andere ungestört versuchen, die Lanze zu erreichen.
Wenn sie direkt nach der Lanze strebte, war sie selbst ohne Deckung und somit angreifbar.
Aylana blickte noch einmal zurück und sah, dass sie von Salva und Arian keine Hilfe erwarten konnte. Diese beiden waren bereits weit zurückgeblieben.
Aylanas Entschluss war gefasst. Sie beugte sich weit vor auf Ildurs Hals: „Du musst mir jetzt vertrauen, Ildur. Es könnte etwas eng werden bei unserem Vorhaben.“
Ildur ließ ein Geräusch hören, das Aylana großzügig als Zustimmung interpretierte.
Das Ziel war jetzt weit vor ihnen klar erkennbar und die Krieger des gegnerischen Teams flogen beide direkt auf die Lanze zu; einer rechts und einer links von Aylana, doch beide mit Vorsprung. Sie hatten Aylana jetzt bemerkt und machten ihre Bögen schussbereit. Aylana sah, dass sie alle drei praktisch zum selben Zeitpunkt bei der Lanze eintreffen würden. Und ihre Gegner konnten sie von beiden Seiten in die Zange nehmen, und sie war schon fast in Reichweite ihrer Pfeile.
Aylana sah, wie die beiden links und rechts von ihr die Bogen spannten. Es konnte sich nur noch um Bruchteile von Sekunden handeln, bis sie getroffen wurde. Kein Drachenkrieger, auch wenn sie noch in der Ausbildung waren, konnte ein solches Ziel verfehlen.
„CAS M GLUAS, ILDUR“, schrie Aylana: „ANIOS! Auf den Rücken rollen, Ildur. Jetzt!“
Aylana wagte ein derart halsbrecherisches Manöver, dass Salva und Arian gleichzeitig erschrocken aufschrien. Ildur drehte sich mitten im Flug ruckartig auf den Rücken. Die Pfeile schossen knapp zwischen Ildurs Beinen hindurch, ohne Schaden anzurichten.
Aylana hing jetzt kopfüber im Sattel und wurde nur noch von ihren Beingurten gehalten. Rasend schnell kam das Wasser näher, denn in dieser Rückenlage konnte Ildur die Höhe nicht halten. Das war das Gefährliche an der Sache. Kamen sie der Wasseroberfläche zu nahe, bevor Ildur sich wieder drehen konnte, war der Absturz unvermeidlich. Und Drachen vermochten nicht aus dem Wasser zu entkommen. Und auch Aylana konnte dabei mit in die Tiefe gerissen werden.
Es waren jetzt nur noch etwa zweihundert Meter bis zur Lanze, und sie näherten sich dem Ziel rasend schnell. Aylana spürte, wie sich Ildurs Körper anspannte und ein leises angespanntes Grollen entsprang seiner Kehle.
„Ito ‘m mauin, Ildur. Vertraue mir, Ildur.“
Aylana streckte sich so weit es ging der Wasseroberfläche entgegen und sah, wie sie auf die Boje mit der Lanze zurasten. Eine letzte Anstrengung, und Aylana schaffte es gerade noch, den Schaft der Lanze am äußersten Ende zu packen.
„CAS! ANIOS! ILDUR! ROLLEN! JETZT!“
Aylana presste sich möglichst flach auf Ildurs Hals, um keinen Luftwiderstand mehr zu bieten. Ildur versuchte, sich so schnell er konnte zu drehen, doch sein linker Flügel tauchte bereits in die See ein und er drohte abzustürzen. Aylana warf sich mit aller Kraft nach rechts, und so gelang es Ildur im letzten Augenblick seinen Flügel aus dem Wasser zu befreien und mit einigen kraftvollen Flügelschlägen dem Sog des Wassers zu entkommen. Aylana richtete sich triumphierend auf und schwang mit einem Jubelschrei die Lanze empor. Sie hatten gewonnen! Das Blut in ihren Adern pochte und sie spürte, wie die wilde unbändige Kraft der Arcandrin ihren Körper durchdrang. In diesem Moment war Aylana eins mit Xandria, Ava, Gondrin und mit all den Seelen längst vergangener Tage.
„AYLANA! AYLANA! Spinnst du? AYLANA! Was tust du da?“
Es dauerte einige Sekunden, bis die Rufe von Salva und Arian zu ihr durchdrangen. Plötzlich wurde Aylana bewusst, dass sie ihre Beingurte gelöst hatte und hoch aufgerichtet auf Ildur stand, in rasendem Flug. Die Lanze in der triumphierend ausgestreckten Faust mit blitzenden Augen und jeder Muskel in ihrem Körper war angespannt.
„Schnall dich sofort wieder an! AYLANA! Du wirst abstürzen!“, schrie Salva erneut verzweifelt.
Langsam wurde Aylana bewusst, was sie tat. Es war, als würde sie aus einer anderen Welt zurückkehren. Sie ließ sich auf Ildur zurücksinken und befestigte die Gurte.
Sie sah, wie Salva und Arian sie erschrocken anstarrten, und auch die beiden anderen Drachenkrieger sahen sie ungläubig an. In ihren Augen war sogar so etwas wie Angst zu erkennen.
„Alles in Ordnung!“, rief Aylana ihnen zu. „Ich war wohl bloß etwas übermütig. Aber seht doch!“ Sie streckte ihnen die Lanze entgegen. „Wir haben gewonnen! Wir haben die Lanze erobert.“
„Ja, sicher. Aber was hast du dir nur dabei gedacht? Das war halsbrecherisch und äußerst riskant!“ Salva schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. Arian ergänzte:
„So etwas habe ich noch nie gesehen. Wie hast du das Ildur nur beigebracht? Was war denn mit dir los? Und dann noch alle Gurte zu lösen und bei diesem Flug aufzustehen!“ Arian fasste sich an die Stirn. „Dann hast du einen Schrei ausgestoßen, dass mir fast das Blut in den Adern gefroren ist. Selbst unsere Drachen sind zusammengezuckt und wollten flüchten.“
„Ja, und in deinen Augen war eine Glut zu sehen, die mir Angst machte.“ Salva flog jetzt dicht neben ihr. „Ist alles in Ordnung mit dir?“
Sie sah Aylana forschend an. „Na, jetzt scheinst du ja wieder normal zu sein.“
Arian flog an ihrer anderen Seite und deutete in Richtung der beiden Drachenkrieger, die bereits gewendet hatten und Richtung Arcandria zurückflogen.
„Na los, kommt jetzt endlich. Wir sollten auch zurück. Unsere Ausbilder sind sicher gespannt auf die Ergebnisse.“
Aylana schüttelte verwundert den Kopf über die Reaktionen ihrer Freunde. Doch je länger sie darüber nachdachte, desto mehr kam sie ins Grübeln. Was war nur in sie gefahren?! Sie war sich schon bewusst, dass sie immer sehr impulsiv handelte. Was jedoch hier vorgefallen war, ging weit darüber hinaus.
Was war nur passiert? Dieses berauschende Gefühl unbegrenzter Freiheit und Macht. Als könne nichts auf dieser Welt sie aufhalten. Und trotz alledem hatte sie auch tiefe Trauer verspürt. Die Last der Verantwortung einer Amada Aygo. Wie sie lange vor ihr Xandria verspürt hatte.
Weit über der kleinen Gruppe kreiste Siutei, der das Training beobachtet hatte. Sorgenfalten prägten sein Gesicht und nachdenklich murmelte er vor sich hin:
„Kann es denn wirklich sein? Cumat m’amras; die Kraft der Ahnen. Sogar Xandria wurde dies einst zum Verhängnis. Ich muss sofort mit Sirion sprechen. Der Zirkel muss informiert werden.“
Er trieb seinen Drachen zur Eile an und folgte den angehenden Drachenkriegern nach Arcandria.
„Ai, Ti, Fo, Tia, Madi, Na, Ito, Lami, Ta, Gor. Weißt du, dass es nur noch Fo-Gora Tia Tage dauert bis zu meinem Novitae Aygo?“ Auria sah ihre Ziehmutter mit strahlenden Augen an.
„Ich weiß nur, dass du seit Wochen von nichts anderem mehr sprichst, Auria.“ Lotte hob resignierend die Hände. „Wenn du deine normalen Schulaufgaben nur mit halb so viel Aufwand erledigen würdest wie Arcandrin lernen, wärst du mit Abstand Klassenbeste. Also, wie lange dauert es noch?“
„Vierunddreißig Tage. Fo ist Drei, Gora Zehn und Tia Vier. Also drei mal zehn plus vier“, erklärte Auria belehrend.
Jedes Mitglied der Arcandrin wurde an seinem sechzehnten Geburtstag geweiht und mittels eines uralten heiligen Rituals mit der Kraft von Mutter Erde und Vater Sonne verbunden. Bei diesem Ritual offenbarte sich zudem das zukünftige Schicksal und die damit verbundene Ausbildung, um diese Bestimmung zu erfüllen.
Das Leben eines jeden Arcandrin war eng mit den Geschicken aller Lebewesen und Pflanzen verwoben. Daraus entstand die magische Kraft, aber auch die untrennbare Verbindung; dieses Band, mit dem die Schicksale allen Lebens miteinander verwoben waren und noch immer sind.
Bei diesem Ritual würde Auria auf dem rechten Oberarm ein unauslöschbares Zeichen erhalten. Diese Zeichen wird ihr den Weg weisen und sie als als rechtmäßiges Mitglied der Arandrin legitimieren.
Die beiden saßen im Garten und genossen die ersten wärmenden Strahlen der Frühlingssonne. Seit den aufregenden Ereignissen auf Talabat war fast ein halbes Jahr vergangen. Auria hatte viel Zeit mit Aylana verbracht, um die Sitten und Gebräuche der Arcandrin kennenzulernen. Vor allem die Sprache war ihr äußerst wichtig.
Alfias, ihr Freund und der Bruder Aylanas, dagegen hatte ihr viel erzählt über die Geschichte der Arcandrin. Er hatte sie gelehrt, ihren Sinnen zu vertrauen und sie richtig einzusetzen. Sie war jetzt in der Lage, Stimmungen und Absichten zu erfühlen und sogar ein wenig zu beeinflussen.
„Weißt du überhaupt, dass ihr die ersten Menschen seid, die an einer solchen Zeremonie der Arcandrin teilnehmen dürft? Seit über tausend Jahren hat mir Alfie gesagt.“
Sie sah Lotte fragend an und legte ihre Notizen beiseite.
„Ja, ich weiß, mein Schatz. Ich weiß nur nicht, ob ich darüber glücklich sein soll. Meinst du denn nicht, dass wir dabei etwas fehl am Platz sein werden?“ Lotte schürzte die Lippen. „Ich habe gehört, dass dort alles voller Drachen sein soll“, meinte sie weiter bedenklich.
Auria lachte laut auf und legte ihr die Hand auf den Arm.
„Mam, das ist wirklich das Letzte, worüber du dir Sorgen machen müsstest. Die Drachen sind ja auch zu unserem Schutz da. Du wirst sehen, es sind wunderbare Geschöpfe.“ Sie lächelte Lotte beruhigend an.
„Na ja, nicht alle teilen deine Begeisterung für diese riesigen, gefährlich aussehenden Drachen. Wenn ich nur daran denke, wie Davy und Finn ausgesehen haben, nachdem Aylana ihnen Ildur gezeigt hat“, sie wiegte nachdenklich den Kopf. „Die beiden waren ja wie, nun ja … wie …“
„Wie ferngesteuerte Nachthemden?“ Auria und Lotte mussten beide lachen.
„Okay, so könnte man es bezeichnen. Auf alle Fälle hatten beide einen ziemlich dämlichen Gesichtsausdruck.“ Lotte grinste Auria an. „Schade, es hat niemand ein Foto gemacht.“
Aylana hatte letzten Sommer vom Elfenzirkel die Erlaubnis erhalten, die Familie von Auria einzuweihen. Zum Beweis hatte Aylana mit Finn und Davy ein Portal passiert und ihnen Ildur, ihren Drachen, gezeigt. Finn, Lottes Mann, und ihr Sohn Davy waren danach in den Grundfesten ihrer Weltanschauung ziemlich erschüttert gewesen.
„Hallo ihr zwei! Worüber lacht ihr denn?“ Soeben waren Davy und Finn aus dem Haus getreten und in den Garten gekommen. An diesem Sonntagnachmittag hatte sich Finn eine Karateprüfung von Davy angesehen und die beiden waren soeben zurückgekehrt.
„Gerade haben wir über euch gesprochen“, grinste Auria.
„Und das ist ein Grund zum Lachen?“, entrüstete sich Davy. „Ich muss doch sehr bitten! Immerhin“, er warf sich in Positur, „ihr seht hier einen frischgebackenen Träger des vierten Kyu!“
„Äh, was für einen Träger hast du frisch gebacken?“ Lotte sah ihren Sohn verständnislos an, während Finn sich verzweifelt bemühte, ernst zu bleiben.
„Was!? Mam, bitte. Ich bin jetzt Träger des violetten Gürtels.“ Er holte den Gürtel aus seiner Tasche und hielt ihn triumphierend hoch.
„Aber Davy. Dafür gehst du jede Woche zweimal zum Training? So was hätte ich dir doch im Handumdrehen selbst genäht.“ Lotte schüttelte den Kopf.
Jetzt war es um Finn und Auria geschehen. Die beiden schütteten sich aus vor Lachen.
Davy stand mit offenem Munde wie erstarrt da und ließ langsam die Hand mit dem Gürtel sinken.
„Merkst du denn nicht, dass sie dich nur auf den Arm nimmt, Davy?“, lachte Auria. „Natürlich wissen wir, was das heißt, und wir gratulieren dir zur bestandenen Prüfung!“
Sie stand auf und umarmte Davy. „Super gemacht! “
Auch Lotte war aufgestanden und umarmte ihren Sohn herzlich: „War nur Spaß. Ich bin stolz auf dich.“ Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Kommt, setzt euch zu uns und erzählt schon.“
Die vier setzten sich zusammen hin und Finn und Davy erzählten von der Prüfung.
„So, jetzt will ich aber wissen, worüber ihr vorhin gelacht habt“, meinte Finn nach einer Weile.
„Ach so, ja das war euer Gesichtsausdruck, nachdem ihr Aylanas Drachen gesehen hattet“, erklärte Lotte.
„Na ja, dein Gesichtsausdruck war auch nicht besonders geistreich, als wir aus dem Nichts wieder aufgetaucht sind“, nörgelte Davy. „Und außerdem werden wir ja bald alle das Vergnügen haben. “
„Wo ist denn eigentlich Aylana?“, fragte Lotte plötzlich. „Ich dachte, sie kommt auch zu deiner Prüfung.“
„Ja, das dachte ich auch, aber sie hatte wohl Wichtigeres zu tun“, antwortete Davy übellaunig.
„Du weißt genau, dass Aylana selbst eine wichtige Prüfung hat und deshalb nach Arcandria musste“, verteidigte Auria ihre Freundin. „Das ist für sie sehr wichtig auf ihrem Weg zur Drachenkriegerin. “
„Jaja, ich weiß. In letzter Zeit dreht sich sowieso alles nur noch um Elfen, Drachen, Bestimmungen und den ganzen Kram. Du, Alfie und Aylana sprecht ja von nichts anderem mehr.“ Davys verzog angewidert sein Gesicht. „Ich bin jetzt schon froh, wenn dieses ganze Theater vorbei ist.“
Er drehte sich um und ging ins Haus, wo er die Tür ziemlich geräuschvoll hinter sich zuschlug.
„Was hat er denn nur? Seit wann ist er denn so empfindlich?“ Auria schüttelte den Kopf. „Er sollte sich doch glücklich schätzen, eine Freundin wie Aylana zu haben.“
„Ach, er fühlt sich etwas ausgeschlossen von euch. Ihr sprecht wirklich von fast nichts anderem mehr als eurem Ritual. Du, dein Alfie und Aylana, wenn ihr zusammen seid. Und dann sprecht ihr noch häufig Arcandrin, was ja kein Mensch versteht.“ Lotte sah Auria in die Augen. „Da ist es verständlich, wenn Davy sich wie das fünfte Rad am Wagen vorkommt.“
Sie lehnte sich gegen Auria und umfasste ihre Schulter. „Natürlich wissen wir, wie wichtig dieser Tag für dich ist, mein Schatz. Aber denkt auch ein bisschen daran, wie Davy sich fühlen muss. Immerhin ist er der Einzige von euch vier, der kein Elfenblut in den Adern hat.“
Auria machte ein nachdenkliches Gesicht und meinte: „Du hast wohl recht, Mam, so habe ich das noch gar nicht gesehen. Ich werde mit Alfie und Aylana darüber sprechen.“
„Apropos Alfie. Wo ist dein Drachenzähmer heute?“ Finn wechselte das Thema. „Ihr seid doch sonst so unzertrennlich.“
„Äh, Alfie muss zu Hause Strafarbeiten machen. Salomee hat ihn dazu verdonnert.“ Auria schien wenig begeistert.
„Weshalb denn das?“, fragte Finn erstaunt, während Lotte bereits alle Mühe hatte sich zu beherrschen, um nicht laut zu lachen.
„Nun ja, du kennst doch unseren Französischlehrer, Herrn Lörtscher. Er ist ja schon etwas älter … und …“ „Jaja“, unterbrach Finn ihre stockende Rede. „Und was hat das Alter eures Lehrers mit Alfies Strafe zu tun?“
Lotte hatte sich bereits mit zuckenden Schultern abgewendet und presste sich die Hände vor den Mund. Finn sah sie erstaunt an:
„Nun rück schon raus mit der Sprache, Auria!“
„Also, dieser Lehrer hatte, während wir einen Test machen mussten, einen Apfel gegessen und sich dabei verschluckt … und Alfie … du weißt ja, wie hilfsbereit er ist … hat ihm natürlich sofort geholfen … Ähm …“
„Wenn du jetzt nicht sofort mit der Sprache rausrückst …“, Finn hob drohend den Finger, während von Lotte halb erstickte Laute zu hören waren.
„Also, Alfias hat ihm helfend auf den Rücken geklopft … und dabei ist nicht nur das Apfelstück, sondern auch das Gebiss von Herrn Lörtscher …“
Sie wurde abrupt unterbrochen von Lotte, die jetzt nicht mehr an sich halten konnte und lachte, bis ihr die Tränen über die Wangen liefen. Finn fiel in das Gelächter mit ein und ließ sich in den Stuhl neben Lotte fallen. Lotte versuchte sich etwas zu beruhigen.
„Und die Brille …ist ihm auch … noch vom Kopf gefallen.“ Sie brach wieder in Lachen aus.
„Aber weshalb denn eine Strafe für Alfie? Er hat das doch nur gut gemeint.“ Finn versuchte ebenfalls sich zu beherrschen.
„Na ja, Alfie hat ihn höflich gefragt, ob er noch andere Ersatzteile habe, die locker säßen.“ Auria hatte es gerade so geschafft, den Satz zu beenden, bevor auch sie in lautes Lachen ausbrechen musste.
„Und außerdem hat der Lörtscher behauptet, Alfie hätte ihm auf den Hinterkopf gehauen und nicht auf den Rücken.“ Auria erholte sich nur langsam von ihrem Lachanfall.
„Aber das stimmt doch wohl nicht, oder?“, fragte Finn lachend.
„Na ja, weißt du, Dad, noch vor einem Jahr hätte ich behauptet, es sei eines der üblichen Missgeschicke von Alfie. Aber jetzt“, sie hob vielsagend die Arme, „bin ich mir nicht mehr so sicher. Und noch dazu hatte Alfie schon des Öfteren Meinungsverschiedenheiten mit diesem Lehrer.“ Auria holte tief Luft: „Im Zweifel für den Angeklagten. Aber ihr könnt euch ja ungefähr die Reaktionen der restlichen Klasse vorstellen. An Unterricht war nicht mehr zu denken. Den ganzen restlichen Tag versuchten alle krampfhaft sich zu beherrschen, aber die kleinste Grimasse und alles brüllte wieder vor Lachen. Schließlich musste der Rektor einschreiten. Auf alle Fälle hat Alfie jetzt Strafarbeiten.“
„Dann könntest du ja die Zeit nutzen, um auch einmal etwas für die Schule zu lernen. Du steckst deine Nase ja nur noch in diese Elfen-Schriftrollen.“ Lotte wechselte einen Blick mit Finn. „Ihre Noten waren auch schon mal besser.“
„Ach, ich glaube, unsere Tochter weiß schon, was sie tut“, meinte Finn, was ihm einen dankbaren Blick von Auria einbrachte. „Und“, er lächelte Lotte an: „Es ist eben sehr speziell, eine Elfe zur Tochter zu haben. So. Ich werde mal nach Davy sehen.“
Er stand auf, zwinkerte den beiden zu und ging ins Haus.
„Er hat bloß Angst, mit dir zu streiten“, sagte Auria grinsend zu Lotte.
„Ich glaube eher, dass wir alle ein wenig Angst haben, mit dir zu streiten“, entgegnete Lotte leise.
„Ja sicher. Ich bin ja so gefährlich und gewalttätig“, spöttelte Auria. „Sieh mal diese gewaltigen Muskeln hier. “ Sie deutete auf ihre schlanken, schmalen Oberarme.
„Das ist es nicht, was ich meine.“ Lotte sah Auria ernst in die Augen.
Und in dem Moment spürte Auria, dass Lotte wirklich etwas bedrückte.
„Was ist mit dir, Mam? Du wirkst so nachdenklich.“
„Ach Auria, mein Schatz. Es ist schwierig, dir das zu erklären. Du selbst hast es offensichtlich noch gar nicht bemerkt. Aber in den letzten Monaten hast du dich sehr verändert. Du bist in so kurzer Zeit viel … ach wie soll ich sagen … erwachsener, reifer und zielstrebiger geworden.“
„Aber das wolltest du doch immer, Mam. Dass ich verantwortungsbewusster werde und erwachsener“, protestierte Auria. „Da müsstest du doch froh sein.“
„Ja, schon. Aber da ist noch etwas anderes, Auria. Etwas, das uns allen ein wenig Angst macht.“ Lotte rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her.
„Mam, ich tue doch keiner Fliege etwas zuleide. Wovon redest du denn nur? Ich verstehe kein Wort.“ Aurias Gesichtsausdruck verriet, dass sie wirklich keine Ahnung hatte, wovon Lotte sprach.
„Auria, ist dir denn in letzter Zeit, nicht aufgefallen, dass du dich eigentlich immer durchsetzen kannst bei allen … na ja, sagen wir Meinungsverschiedenheiten.“ Es war Lotte sichtlich unangenehm, über dieses Thema zu sprechen.
„Aber Mam, ich sage doch nur meine Meinung und …“
„Nein eben nicht nur.“ Lotte gab sich einen Ruck: „Du sagst deine Meinung eben nicht nur, … du … du strahlst dermaßen eine Überzeugungskraft aus, dass wir alle gar nicht mehr anders können als dir beizupflichten. Hast du dich denn noch nie gefragt, warum wir alle ohne Widerspruch damit einverstanden waren, mit dir nach Arcandria zu kommen für deine Prüfung?“
Jetzt sprudelten die Worte nur so aus Lotte heraus:
„Und dass ich … wir dich so einfach gehen lassen, obwohl ich so schreckliche Angst habe, dich zu verlieren. Und überhaupt, diese ganze neue Welt, die sich da eröffnet hat, macht mir Angst. Du lernst das alles dermaßen schnell und du bewegst dich in dieser Welt der Arcandrin, als hättest du dein Leben lang nichts anderes gekannt.“ Sie war aufgestanden und hatte Auria ihre Hände auf die Schultern gelegt.
„Aber wir hier, deine Familie, wir kommen da nicht mehr mit. Du entfernst dich von uns und ich kann dir nicht mehr folgen.“
Sie hatte Tränen in den Augen: „Ich habe Angst, dich zu verlieren, Auria.“
Auria blieb lange Zeit still, nachdenklich und in sich gekehrt. Lotte stand immer noch vor ihr und wartete die Wirkung ihrer Worte ab. Endlich stand auch Auria auf und ergriff Lottes Hände:
„Das habe ich nicht gewusst, Mam.“ Sie machte einen ernsthaft erschrockenen Eindruck. „Ich dachte immer, dass du dich für mich freust, und dass ihr gerne zu meiner Novitae aygo kommt. Ich habe euch doch nie gedrängt, mit mir …“
„Auria, merkst du denn nicht selbst, was für eine Kraft … ich weiß nicht, wie ich es nennen soll … Was für eine Aura der Macht du ausstrahlst, wenn du deine Meinung durchsetzen willst. Ach, ich kann es nicht erklären. Es muss mit deiner Herkunft zusammenhängen und mit den Dingen, die Alfie dir beibringt. Und diese Aura wird immer stärker.“
„Aber ich wollte doch nie jemandem meinen Willen aufdrängen …“
„Das weiß ich doch, mein Schatz. Ich denke, du machst das unbewusst und irgendwie passiert es einfach“, unterbrach Lotte sie. „Du solltest dir deiner Fähigkeiten aber bewusst werden und lernen, sie zu kontrollieren. Bitte sprich mit Aylana und Alfie darüber. Oder vielleicht besser mit Salomee. Wir könnten zusammen hinfahren. Ich werde sie jetzt anrufen und fragen.“
„Aber Mam, es ist doch Sonntag. Denkst du denn wirklich, dass es so dringend ist?“ Auria sah Lotte zweifelnd an. „Wenn Aylana und Sirion weg sind, genießt Salomee doch sicher …“
„Ja, es ist dringend. Versuche jetzt bitte nicht, mich umzustimmen.“ Lotte stand auffällig schnell auf und verschwand im Haus.
Auria sah ihr erstaunt nach und es wurde ihr bewusst, dass Lotte Angst hatte, von ihr beeinflusst zu werden.
Alfias stand schwitzend und leise vor sich hin fluchend im Garten und entledigte sich der verdreckten Handschuhe. Seit Stunden war er damit beschäftigt, das ganze Grundstück rund um das Haus von Unkraut zu befreien, die Spalten zwischen den Steinplatten zu säubern und die Hecke zurechtzuschneiden.
„Gorana Furas! Ito’m ni fedir. Ohhhh m Gluas. Tausend Drachen! Ich kann nicht mehr. Mein Rücken.“
Er schleuderte die Handschuhe weit von sich und schritt entschlossen auf das Haus zu. Seiner Meinung nach hatte er jetzt definitiv genug Strafarbeit erledigt. Und das alles wegen so einer Lappalie!
„ALFIAS! Ca foil to? Wo bist du?“ Alfias Mutter Salomee kam in diesem Moment durch die Gartentür und hielt Ausschau nach ihm.
„Ito taga, Dana. Ich komme, Mutter.“ Alfias ging auf seine Mutter zu.
„Genug für heute. Ich hoffe, du hattest genug Zeit, um über dein Verhalten nachzudenken. Komm jetzt rein und säubere dich.“ Salomee war natürlich keine Sekunde lang auf Alfias Ausreden von wegen Missgeschick und Zufall hereingefallen.
„Auria und Lotte kommen gleich noch auf einen Besuch vorbei. Lotte will etwas mit uns besprechen. Sie erwähnte etwas von neuen Fähigkeiten von Auria.“ Sie sah Alfias fragend an: „Weißt du, was sie meint?“
Alfias hatte so eine Ahnung, vermied es aber tunlichst, ein Wort darüber zu verlieren.
„Keine Ahnung, Dana. Es stecken wohl viele noch verborgene Talente in Auria“, meinte er mit unschuldiger Miene.
Salomee sah ihm forschend ins Gesicht, sagte jedoch weiter nichts dazu. Alfias huschte mit einem kurzen: „Gehe duschen“, an ihr vorbei und verschwand im Bad.
Fünfzehn Minuten später saßen die beiden mit den inzwischen eingetroffenen Besucherinnen auf der gemütlichen Gartenterrasse.
Auria und Alfie hatten es sich in der Hollywoodschaukel bequem gemacht und Salomee und Lotte hatten am Tisch davor Platz genommen. Salomee hatte Getränke und Kuchen bereitgestellt und blickte jetzt aufmunternd abwechselnd Auria und Lotte an:
„Also, was habt ihr denn festgestellt? Oder anders gefragt: Was hast du angestellt?“ Dabei blickte sie Auria schelmisch lächelnd an.
„Nichts, das ich absichtlich oder bewusst getan hätte“, protestierte Auria.
„Und genau hier liegt das Problem“, warf Lotte ein: „Du tust das, ohne es selbst zu merken.“
„Halt, halt“, lächelte Salomee: „Es wäre hilfreich zu erfahren, was genau Auria tut, das ihr nicht bewusst ist. Erzähl doch mal von Anfang an.“
„Mam meint, dass ich sie alle beeinflusse und allen meine Meinung aufzwinge. Sie glaubt, das hängt mit meiner Herkunft und meiner Ausbildung zusammen. Als ob ich die Gedanken anderer beeinflussen könnte!“ Auria hatte an Lottes Stelle das Wort ergriffen, und sie schien das Ganze nicht so ernst zu nehmen. Sie wandte sich an Alfie: „Los, mas Lapa. Los, süßer Hase. Hopple dort hinüber und fang an zu grasen. Ich befehle es dir!“ Sie sah Alfie direkt in die Augen, worauf dieser auch prompt in Gelächter ausbrach.
„Du weißt genau, was ich meine“, unterbrach Lotte das Intermezzo: „Jede Diskussion endet damit, dass du am Schluss deinen Willen durchsetzt. Auch wenn wir vorher anderer Meinung waren. Du strahlst eine solche Überzeugungskraft aus, … ich … ich kann mir noch so sehr vornehmen, dir zu widersprechen … es geht einfach nicht. Ich verstehe das nicht.“
Salomee schien intensiv zu überlegen: „Aurias Eltern waren Krieger des Lichts. Einige unter ihnen besaßen diese besondere Begabung. Es könnte schon sein, dass auch Auria mit diesen Fähigkeiten ausgestattet ist. Und durch das Training mit Aylana und Alfias …“ Sie blickte ruckartig in Alfies Richtung: „Wusstest du davon?! Hast du etwas Derartiges bemerkt?!“
Alfie zuckte schuldbewusst zusammen und stammelte: „Ja, wie soll ich sagen … aufgrund der Abstammung von Auria ist es natürlich möglich, dass ein eventuelles Vorhandensein, unter Berücksichtigung aller in Betracht zu ziehender Aspekte, solche latent spürbare Ausstrahlungen Aurias nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Dazu muss jedoch mit berücksichtigt werden, wer …“
„Also kann sie es, und du hast es gewusst!“, stellte Salomee kurz und bündig klar. „Wieso, bei Ava, hast du denn nichts gesagt?!“
„Ich war mir nicht sicher, ob und wie sich das Ganze weiterentwickeln würde. Und ich wollte Auria nicht beunruhigen. Es war unmöglich vorauszusehen, wie rasend schnell sich das entwickelt.“ Alfie fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut: „Aber jetzt, da sich diese Fähigkeit offensichtlich schon …“
„Was für eine Fähigkeit bitte?!“, warf Auria ein.
„Das war unverantwortlich von dir, Alfias. Du hättest beim ersten Anzeichen reagieren müssen.“ Salomee überging Aurias Frage und sah Alfias kopfschüttelnd an.
„Aber Dana, du weißt doch auch, dass es normalerweise Jahre braucht, bis …“
„WAS FÜR EINE FÄHIGKEIT?!“, unterbrach Auria Alfie abermals, doch diesmal schüttelte sie ihn zusätzlich am Arm: „Könnte es sein, dass ihr von mir sprecht? Würdet ihr mich bitte auch einweihen?“
„Ach, entschuldigt bitte“, Salomee blickte abwechselnd Auria und Lotte an: „Es ist nur so, dass diese Gabe relativ selten ist. Selbst für Nachkommen der Krieger des Lichts. Wir nennen diese Kraft Ralai Samoin. Das heißt in eure Sprache übersetzt, etwa soviel wie Gedankensteuerung. Es ist, wenn sie nicht verantwortungsvoll eingesetzt wird, eine …“, sie suchte nach den richtigen Worten, „… ja, eine mächtige Waffe. Deshalb müssen Arcandrin, die mit dieser Gabe ausgestattet sind, besonders … sagen wir behutsam und vorsichtig ausgebildet werden. Und deshalb ist es auch sehr wichtig, gerade in jungen Jahren dafür zu sorgen, dass diese Arcandrin lernen, mit dieser immensen Verantwortung achtsam umzugehen.“
Auria war bleich geworden: „Dann habe ich also alle eure Entscheidungen in letzter Zeit beeinflusst? Ich habe euch dazu gebracht, Dinge zu tun, die ihr gar nicht tun wolltet? Sola Luz! Was habe ich getan?“
Sie war aufgesprungen und zu Lotte getreten: „Es tut mir leid, Mam. Das wusste ich nicht. Und das wollte ich nicht.“
Lotte nahm sie in die Arme: „Das wissen wir doch, mein Schatz. Mach dir jetzt keine Vorwürfe. Wichtig ist doch vor allem, dass wir jetzt wissen, was passiert ist“, und sie fügte lächelnd hinzu: „Und dass du es nicht wieder tust. Außer … es geht darum, dass Davy sein Zimmer aufräumt … dann bitte ich darum.“
Doch Auria war im Moment nicht nach Scherzen zumute. Sie schien eher der Verzweiflung nahe zu sein.
„Dann habt ihr also gar nicht wirklich zusagen wollen, zu meinem Novitae aygo zu kommen. Dann habe ich dies alles erzwungen und euch … euch … AVA, hilf mir!“
Sie konnte nicht mehr weitersprechen und schlug die Hände vors Gesicht.
„Natürlich kommen wir zu deinem großen Tag! Vielleicht nicht ganz so voller Vorfreude wie du. Schließlich ist eine Insel voller Drachen nicht jedermanns Sache. Aber wir würden doch diesen Tag um nichts in der Welt verpassen wollen!“ Lotte strich ihr zärtlich über die Haare: „Aber lass uns doch bitte in Zukunft wieder selbst entscheiden, mein Schatz.“
„Ja, wenn ich nur wüsste wie?! Wie kann ich etwas steuern, von dem ich nicht einmal gewusst habe, dass es in mir ist?“ Sie wandte sich wütend zu Alfie um und trat drohend vor ihn:
„To’m ate arlas! Bio to’m ni ‘m hair?! Du hast es gewusst! Wieso hast du mir nichts gesagt?!“ Sie hatte in ihrer Erregung automatisch Arcandrin gesprochen und fuchtelte Alfie dazu drohend mit ihrer kleinen Faust vor der Nase herum.
Dieser hatte sich möglichst tief in die Polster verkrochen und sah hilfesuchend zu Salomee hinüber. „Bitte beruhige dich, Auria. Es ist für uns Arcandrin wirklich nicht sehr einfach, dies zu erkennen. Denn wir selbst spüren zwar deinen starken Willen, aber wir können davon nicht beeinflusst werden. Es ist deshalb umso schwerer, Ralai Samoin bei jemandem zu entdecken.“ Salomee sah von Auria zu Alfias: „Trotzdem hättest du beim geringsten Anzeichen sofort zu mir kommen müssen!“
„Ich weiß es wirklich noch nicht lange. Ich wollte Auria damit nicht belasten, so kurz vor ihrem … unserem Novitae aygo.“ Alfias sah Auria in die Augen: „Es ist ja klar, dass Sola Arwa Aygo und Ava nichts dergleichen verborgen bleiben wird. Und dort wird auch entschieden werden, wie das weitere Vorgehen sein soll.“
„Aber wie kann ich sichergehen, dass ich nicht weiterhin davon Gebrauch machen werde?“, fragte Auria drängend.
„Alfias und ich werden dir beibringen, wie du das unter Kontrolle bringen kannst. Ich stimme Alfias zu, dass auf Arcandria endgültig entschieden wird, wie deine Ausbildung weitergeführt wird. Aber …“, Salomee nickte entschlossen, „es ist wichtig, dass wir sofort damit anfangen, dir zu zeigen, wie du vorgehen musst, damit sichergestellt ist, dass du Ralai Samoin nicht anwendest.“
„Ja, bitte. Ich wäre sehr froh, wenn ich das in den Griff kriege und niemand mehr Angst haben muss, ich würde Entscheidungen beeinflussen.“ Auria sah Salomee ernst an: „Hoffentlich kann ich das beherrschen!“
„Du wirst das sehr schnell lernen“, meinte Alfias: „Wenn du einverstanden bist, Lotte, können wir sofort damit anfangen.“
Lotte sah Salomee fragend an: „Wenn du nichts dagegen hast. Ich kann sie ja dann später abholen.“
„Aber du kannst doch hierbleiben, Lotte“, lächelte Salomee: „Ich könnte mir vorstellen, dass du auch noch einige Fragen zu eurem Besuch auf Arcandria hast.“
„Ohh, das wäre toll“, seufzte Lotte, „ich bin jetzt schon ziemlich nervös.“
„Sie hat Angst vor den Drachen.“ Auria verzog das Gesicht und meinte weiter: „Das sind doch so wunderbare Geschöpfe, Mam.“
„Ja, und du musst dir nur eines vor Augen führen Lotte“, Alfias war zu ihr getreten, „du hast ein viel gefährlicheres und unberechenbareres Lebewesen sehr häufig in deiner Nähe!“
„Wie bitte?!“ Lotte war perplex.
„Na ja“, meinte Alfie und entfernte sich vorsorglich aus der Reichweite von Auria und Salomee: „Aylana ist doch Davys Freundin.“
Aylana, Salva und Arian hatten nach ihrer Rückkehr ihre Drachen versorgt und warteten mit den anderen angehenden Drachenkriegern auf die übliche Nachbesprechung der Übung mit ihren Ausbildern. Das Ausbildungszentrum war in den unterirdischen Höhlen in der Nähe des Steinforts Dun Eochla. Die Teams standen in lockeren Gruppen beieinander und diskutierten den Ausgang dieses Einsatzes.
Moira kam zu Aylana hinüber und nickte ihr anerkennend zu:
„Was für ein Schuss! Wie du meinen Pfeil abgeschossen hast war fantastisch! Aber wie mir soeben Golat und Artin gesagt haben, hast du danach ja noch mehr unglaubliche Manöver riskiert.“
Golat und Artin waren die beiden, die Aylanas waghalsige Aktionen mitverfolgt hatten, und die jetzt neugierig ebenfalls zu ihnen traten.
„Wir sind ja schon einiges von dir gewohnt“, grinste Golat sie an und nickte anerkennend, „aber was du heute veranstaltet hast … bei Ava! So etwas hat Arcandria noch nie gesehen!“
„Ach was, halb so wild“, Aylana versuchte abzulenken: „Wir waren alle gut und haben die Aufgabe gelöst.“
„Du bist auf dem Rücken geflogen und nachher sogar noch aufgestanden ohne Sicher…“
„Ach, lassen wir das doch jetzt“, wurde Artin von Aylana brüsk unterbrochen, „seht doch, da kommen unsere Ausbilder. Bitte lasst uns jetzt darüber kein Wort mehr verlieren.“
Sie hatte das Gefühl, als wäre in dieser Angelegenheit noch nicht das letzte Wort gesprochen. Und ihre Ahnung verstärkte sich noch, als sie sah, dass nebst Siutei, Zulam und Dorkon auch Sirion, ihr Vater, auf sie zukamen.
Sie wusste, das Sirion auf Arcandria war, weil der Zirkel heute noch zu beraten hatte, was mit Talabat geschehen würde. Aber weshalb war er denn jetzt hier?! Sie spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte.
Dorkon, der Waffenmeister, rief sie alle zusammen und eröffnete die Besprechung:
„Novitae Argo ad Furo. Angehende Drachenkrieger. Eigentlich ist die Übung schon erfolgreich abgelaufen, wenn ich euch alle hier wieder versammelt sehe, und außer einigen blauen Flecken nichts zu beklagen ist. Zugegeben; schmerzhafte blaue Flecken!“
Vereinzelt war leises Gelächter und Gemurmel zu hören und Dorkon fuhr grinsend fort:
„Aber wir sind ja hier schließlich in einer Ausbildung zum Drachenkrieger. Da sind so ein paar Prellungen doch die reinsten Liebkosungen. Nicht wahr?!“
„Na, dann wurde ich doch heute so richtig geliebt“, warf Moira lachend ein. „Nicht wahr, Arian?“ Dabei deutete sie auf den großen blutunterlaufenen Fleck an ihrer Schulter.
Die Gruppe lachte verhalten, als Arian verlegen von einem Fuß auf den anderen wechselte. Denn es war ein offenes Geheimnis, dass Arian eine besondere Zuneigung zu Moira verspürte.
Deshalb war Arian erleichtert, dass Dorkon sofort weitersprach: „Nun gut, zur Sache. Ihr alle habt eure Aufgabe gut gelöst und habt gezeigt, dass ihr eure Drachen und Waffen beherrscht. Die Details zu jeder einzelnen Aktion werden diesmal mit jedem Team separat ausführlich besprochen.“
Die Drachenkrieger sahen sich erstaunt an, denn bislang war jede Nachbesprechung immer in der ganzen Gruppe erfolgt, damit alle von den Erklärungen zu den einzelnen Vorgängen profitieren konnten. Nur diejenigen, die an Aylanas Aktionen direkt beteiligt gewesen waren, ahnten den Grund und warfen sich bezeichnende Blicke zu.
Aylana selbst spürte die Blicke ihres Vaters auf sich gerichtet. Zu ihrem Erstaunen aber waren seine Blicke eher voller Sorge und nicht, wie sie es erwartet hätte, mit einem vorwurfsvollen Ausdruck.
Dorkon verteilte die Teams auf die Ausbilder und er selbst winkte Aylana, Salva und Arian zu sich. Zu ihnen gesellte sich auch Sirion.
„Attawa osu. Ich habe bereits von Siutei gehört, was für tolle Manöver ihr drei eingeübt habt. Das habt ihr gut gemacht!“ Seine sorgenvolle Miene dabei konnte er jedoch nicht ganz verbergen.
Aylana begann zu ahnen, dass ihn ihr Verhalten während der Übung sehr beschäftigte. Sie folgten Dorkon in eine der Nebenhöhlen der unterirdischen Festung, die zu Ausbildungszwecken benutzt wurde, und setzten sich an einen der großen runden Tische.
Sirion setzte sich neben Dorkon und die drei Novitae Argo nahmen gegenüber Platz.
„Siutei, der zu eurer Beobachtung abgestellt war, hat mir bereits geschildert, wie ihr vorgegangen seid. Doch jetzt möchte ich einen detaillierten Bericht von euch dazu hören. Von jedem von euch. Und achtet besonders darauf, was ihr hättet besser machen können, oder was ihr als wichtig erachtet. Lasst nichts aus. Für uns ist jedes Detail wichtig!“ Dorkon wies zuerst auf Salva: „Zuerst aus deiner Sicht, Salva.“
Diese erzählte von ihrem Vorgehen, wie sie als Team die einstudierten Taktiken angewendet hatten und wie Aylana zum Schluss mit ihrer waghalsigen Aktion die Lanze erobert hatte.
„Wir wurden richtig mitgerissen von Aylanas Kraft und Begeisterung. Bis sie dann …“
Salva sah zu Aylana hinüber und unterbrach sich.
Sirion und Dorkon sahen sich vielsagend an: „Bis was, Salva? Jedes Detail ist wichtig. Und du tust niemandem einen Gefallen, wenn du nicht die ganze Wahrheit erzählst.“
Aylana saß in Gedanken versunken auf ihrem Stuhl und versuchte zu ergründen, was vorgefallen war. Sie nickte Salva aufmunternd zu: „Erzähl alles, Salva. Ich bin mir selbst nicht sicher, was genau geschehen ist. Es war, als wäre ich wie verwandelt gewesen. Bitte erzählt alle Einzelheiten!“
„Aylana hat …“, sie drehte den Kopf zu Aylana: „Du hast eine Aura der Macht und Kraft ausgestrahlt, die mich komplett überwältigt hat. In deinen Augen war eine Glut zu sehen … und wie du aufgestanden bist auf Ildur … es war, als wäre Xandria auferstanden … und dann dein Schrei! Ich hatte fast Angst vor dir.“
Salva sagte den letzten Satz mit fast unhörbarer, leiser Stimme und senkte den Kopf.
Dorkon blickte Arian an: „Kannst du Salvas Worte bestätigen? Hast du diese Aura auch gespürt, Arian?“
„Ja, und es war, als würden wir mitgerissen von dieser … diesem unglaublichen Gefühl der grenzenlosen Kraft. Ich kann es nicht beschreiben.“
„Was ist mit mir passiert, Dano?“ Aylana sah ihrem Vater in die Augen. „Was habe ich falsch gemacht?“
Dorkon nickte Sirion zu, und dieser holte tief Luft: „Als Erstes, Aylana: Du hast nichts falsch gemacht! Niemand unter uns hätte dieser Kraft widerstehen können. Und es sind seit Jahrtausenden nur Wenige unter uns, die dies empfangen haben. Du hast die Cumat m’amras verspürt und …“
„Cumat m’amras“, flüsterte Salva erschrocken: „Ich hielt dies für eine Sage unseres Volkes.“
Auch Arian war erschrocken zusammengezuckt und sah Aylana mit großen Augen an.
„Ja, Cumat m’amras!“, bekräftigte Dorkon und fuhr fort: „Kein Arcandrin und kein Lebewesen hat uns je ganz verlassen und die Reise angetreten, ohne in Dana Nalas Seele etwas zu hinterlassen. Alles ist verbunden und nichts geht jemals ganz von uns. Nur ganz selten passiert es, dass sich dies manifestieren kann in jemandem, der besonders empfänglich ist für diese Energien. Aber diese Kräfte sind fast nicht zu beherrschen.“
Dorkon sah Aylana vielsagend an.
„Und wie viele Fälle sind bekannt unter den Arcandrin?“, fragte Aylana mit spröder Stimme.
„Xandria, Ava … und jetzt du!“ Sirion sah ihr fest in die Augen: „Das ist der Grund, weswegen ich hier bin m’Aion. Meine Tochter. Wir müssen diese Angelegenheit dem Rat berichten. Dies ist zu bedeutsam und muss dem Zirkel vorgebracht werden. Aber dennoch brauche ich wohl nicht zu betonen, dass dies mit äußerster Geheimhaltung zu behandeln ist!“ Sirion musterte sie alle der Reihe nach.
„Und was bedeutet das jetzt für mich?“, fragte Aylana leise: „Werde ich jetzt von der Ausbildung ausgeschlossen und … und weggesperrt?!“
„Nein, nein. Das wäre sicherlich der falsche Weg“, antwortete Dorkon zu ihrer großen Erleichterung: „Aber wir werden im Rat die geeigneten Maßnahmen besprechen. Es geht darum, diese Energien lenken und beherrschen zu können.“
„Du weißt sicherlich noch, was ich dir in Bezug auf Durandort und Xandar sagte, als wir dein Training begannen, Aylana“, warf Sirion ein. „Du musst die Waffen beherrschen, nicht die Waffen dich. Genauso muss es sich mit Cumat m’amras verhalten. Ich will dir nichts vormachen. Dies wird ein schwieriges Unterfangen, aber ich bin sicher, wir werden einen Weg finden.“ Sirion lächelte ihr aufmunternd zu.
„Nun gut. Damit ist für den Moment alles gesagt“, fasste Dorkon zusammen. „Ihr könnt jetzt gehen. Du, Aylana, hältst dich bereit, vor den Rat zu treten. Wir werden dich rufen lassen!“ Mit diesen Worten hatte Dorkon die Besprechung beendet und die drei Freunde verließen den Raum.
Salva blickte ihre Freundin scheu an und sagte: „Bitte sei uns nicht böse, Aylana. Aber wir mussten doch die Wahrheit sagen. Und ich hatte nicht nur Angst um mich, sondern vor allem auch um dich! Du hast uns einen schönen Schrecken eingejagt!“
Arian nickte zur Bestätigung ihrer Worte mit dem Kopf.
„Nein, nein. Ihr habt absolut richtig gehandelt. Ich … ich weiß noch gar nicht richtig, was passiert ist, und es ist mir sehr wichtig, dass ihr mir alles erzählt. Was habt ihr denn gefühlt in diesem Moment?“ Aylana war stehen geblieben und fasste ihre Freunde an den Händen: „Bitte sagt mir ganz genau wie, … oder besser, was ist passiert mit euch?“
Arian sah ihr direkt in die Augen: „Ich wäre dir in diesem Moment blind gefolgt. In jeden Kampf. Auch in den Tod. Ohne Zögern. Du hast etwas ausgestrahlt … ich war komplett überwältigt!“
„Ja, genauso war es. Als wären wir bedingungslos deinem Willen unterworfen gewesen“, ergänzte Salva. „Nun, wie auch immer. Gleich treffen wir wieder auf die anderen. Wir sollten uns eine gute Ausrede einfallen lassen für dein Verhalten. Ich denke, Moira und ihr Team haben doch einiges mitbekommen.“
„Nun ja“, Arian lächelte Aylana verschwörerisch zu: „Ganz so selten sind ja solche Aktionen nicht von dir. Ich denke, das wird nicht allzu viel zu reden geben. Du warst einfach wieder einmal etwas übermütig.“
Dorkon und Sirion hatten sich in der Zwischenzeit auf den Weg zur Ratshalle gemacht.
Aufgrund der verstärkten Aktivitäten der Shiazul hatte der Zirkel beschlossen, die Zusammenkunft auch in den Höhlen des Dun Eochla stattfinden zu lassen.
Vor dem Eingang der Ratshalle waren nochmals Wachen aufgestellt und auch die Hüter der Schriften hatten ihre Positionen bereits eingenommen. Deren Aufgabe war es, die Beschlüsse des Rates festzuhalten und die Schriftrollen anschließend im Gewölbe aufzubewahren.
Die beiden traten ein und nahmen ihre Plätze unter den Insignien ihres Clans ein. Sirions Platz war mit dem Symbol des Sonnendrachens ausgestattet. Dorkon, als Waffenmeister des Zirkels, setzte sich auf den Platz, der mit dem Symbol des Bogens und des Schwertes ausgezeichnet war.
Nachdem alle Mitglieder des Rates ihre Plätze eingenommen hatten, traten als Letzte die Hüter der Schriften ein und verschlossen den Eingang.
Giolmar, der Ratsvorsitzende, eröffnete die Versammlung mit den traditionellen Worten: „Attawa osu. Ito m Giolmar. Ito m Arcandrin.“ Dazu war er aufgestanden und vollführte die Gesten des Grußes. „Die Versammlung des Zirkels ist eröffnet.“ Er setzte sich wieder und die Ratssitzung begann.
„Argo Fura ad Luz. Bailos ad Comha. Drachenkrieger der Sonne. Mitglieder des Rates.“ Giolmar kam ohne Umschweife zur Sache: „Die Ereignisse auf Talabat sowie aktuelle Meldungen unserer Athir, unserer Beobachter, aus allen Regionen Dana Nalas haben mich dazu veranlasst, euch hier zu versammeln. Wir haben heute über Folgendes zu beraten:
Erstens: der Antrag über den Wiederaufbau Talabats, von Dorkon, Sirion und Siutei vorgebracht.
Zweitens: die Meldungen über das spurlose Verschwinden einflussreicher Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik der Menschen, und Drittens …“, Ee sah sich bedeutungsvoll in der Runde um: „Es sind Anzeichen vorhanden, dass sich Cumat m’amras in unserer Mitte gezeigt hat!“
Die noch nicht informierten Ratsmitglieder warfen sich erstaunte Blicke zu. Es gab keinen unter ihnen, der die Geschehnisse um Xandria, Ava und die Bedeutung dieser Ankündigung Giolmars nicht kannte.
„Im Weiteren ist ein Jahr vergangen, und es sind der Ratsvorsitzende und der Waffenmeister neu zu wählen. Wie immer wird diese Wahl am Schluss unserer Versammlung stattfinden. Jetzt wollen wir von unserem Waffenmeister und Sirion über die Ereignisse auf Talabat aus erster Hand informiert werden. Dorkon, Sirion, Siutei, bitte euren Bericht.“
Die drei informierten die Ratsmitglieder lückenlos über die Vorgänge auf Talabat und stellten anschließend offiziell den Antrag für einen Wiederaufbau und den Neuanfang der Ausbildungen von Elfen und Menschen gemeinsam auf der Insel.
„Die Vorstellung, unser Wissen und unsere Traditionen mit diesem unmündigen und selbstsüchtigen Volk teilen zu wollen, erfüllt mich mit Abscheu.“ Adalar stieß diese Worte voller Hass hervor! „Das ist wie Mithilfe zum Selbstmord der Arcandrin. Wollt ihr wirklich die Verantwortung dafür tragen, dem größten Schädling auf Dana Nala noch mehr Wissen zu vermitteln, das dann sowieso nur zur persönlichen Bereicherung und zur Zerstörung der Umwelt genutzt wird? Das kann nicht euer Ernst sein!“
Wild gestikulierend war er aufgestanden und sah sich auffordernd in der Runde um.
„Adalar, mäßige deinen Ton!“ Giolmar warf Adalar einen scharfen Blick zu: „Wir werden jede Stimme in diesem Rat anhören und gewichten. Jedoch mit kühlem Kopf und ruhigem Herzen. Oder willst ausgerechnet du Zustände wie im House of Commons bei den Briten?“
Diese Zurechtweisung erfüllte ihren Zweck sofort und Adalar setzte sich mit rotem Kopf wieder hin. Anschließend wurde die Beratung zu diesem Punkt abgehalten und es zeigte sich, dass mehrere Mitglieder des Zirkels Adalar in einigen, wenn auch nicht allen Punkten, zustimmten. Nach einiger Zeit der intensiven Beratung unterbrach Giolmar den Zirkel, indem er aufstand und die Hand erhob: „Es sind bei dieser Entscheidung sicherlich viele Aspekte zu berücksichtigen und wir werden bei unserer heutigen Beratung nicht alle Details ausarbeiten können. Deshalb schlage ich vor, dass wir erstmals über den Vorschlag an sich, Talabat wieder aufleben zu lassen, abstimmen.“ Er sah sich auffordernd in der Runde um und die meisten Ratsmitglieder nickten zustimmend.
„Varnion“, Giolmar rief die Hüter der Schriften auf, „überwacht und beglaubigt die Abstimmung.“
Varnion trat mit seinen Leuten vor und entrollte die vorbereiteten Schriften:
„Wir sind bereit, Giolmar. Wie lautet das erste Ersuchen des Zirkels?“
Giolmar bestimmte mit dem Recht des Ratsvorsitzenden die Frage:
„Soll Talabat wieder aufgebaut werden? Mit dem Ziel gemeinsamer Ausbildungen von Menschen und Elfen. Das sollt ihr niederschreiben und das wird die Abstimmung nunmehr entscheiden.“
Varnion schrieb dies in das Dokument und Giolmar bestätigte mit seinem Zeichen die Richtigkeit der Schrift. Anschließend legten die Hüter der Schriften das Dokument jedem einzelnen der zwanzig Ratsmitglieder vor, und diese trafen und beglaubigten ihre Entscheidungen ebenfalls mit ihrem Siegel.
Nachdem die Hüter der Schriften die Entscheidung ausgezählt und ebenfalls mit ihren Siegeln als gültig erklärt hatten, reichten sie das Dokument an Giolmar zurück.
Dieser erhob sich und erklärte mit lauter Stimme:
„Talabat wird aufgebaut und wieder seiner ursprünglichen Bestimmung übergeben. Die Umsetzung dieses Beschlusses wird in die Hände von Sirion gelegt.“ Er nickte Sirion zu: „Wir erwarten von dir deine Vorschläge dazu innerhalb eines Shira ad Zul, dem Umlauf eines Mondes.“ Giolmar setzte sich wieder hin und wollte zum nächsten Punkt der Beratung übergehen.
„Ihr werdet sehen, was ihr davon habt. Ich habe euch gewarnt! Diesem Volk ist nicht zu trauen. Noch nie haben diese Verbindungen zum Wohle der Arcandrin und Dana Nalas beigetragen. Ihr gebt dem Feind so die Mittel, noch mehr und schneller zu zerstören. Dieses Volk ist es nicht wert, es zu erhalten. Seid ihr denn blind?“
Adalar hielt es nicht mehr auf seinem Sitz und er erregte sich von Wort zu Wort mehr.
„Adalar!“, donnerte Giolmar erneut. „Dein Wort wurde gehört und die Abstimmung ist nach den Regeln unseres Volkes abgehalten worden. Die Entscheidung ist gefallen. Oder willst du dich gegen die Beschlüsse des Rates stellen?“
Der so Zurechtgewiesene setzte sich mit störrischem Gesichtsausdruck wieder hin. Nicht jedoch, ohne Sirion einen hasserfüllten heimlichen Blick zuzuwerfen.
Sirion tat, als bemerkte er das nicht und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Giolmar zu, der einem weiteren Mitglied des Rates zunickte: „Tyron, wir wollen jetzt zum zweiten Punkt unserer Beratung kommen. Bitte, deinen Bericht.“
Tyron erhob sich und warf einen Blick in die Runde:
„Aus mehreren Teilen Dana Nalas erreichen uns Berichte über Vorfälle, die ausnahmslos Menschen betreffen, die ebenfalls unter unserer Beobachtung sind. Sie stehen im Verdacht, verantwortlich zu sein für Verbrechen gegen den Schutz und die Erhaltung allen Lebens.“
„Also Politiker, Wirtschaftsführer und skrupellose Wissenschaftler“, warf Tondar ein, der ebenfalls kein besonderer Freund der Menschen war.
„Auch wenn es sich so verhalten sollte, Tondar, lassen wir in diesem Rat unsere Mitglieder aussprechen“, tadelte Giolmar: „Bitte fahr fort. Tyron.“
„Es verschwinden spurlos einflussreiche Personen oder deren Angehörige und die menschlichen Behörden tappen völlig im Dunkeln. Nach meinen Einschätzungen sind Kräfte am Werk, die über die Fähigkeiten der Menschen weit hinausgehen.“ Tyron erläuterte noch einige Fälle im Detail und legte dem Rat auch einige Berichte aus Zeitungen und Zeitschriften der Menschen vor.
„CEO von Henderson Chemicals spurlos verschwunden während Aufsichtsratssitzung – Präsident Kohlmann von Bioforma vor laufenden Kameras während einer Pressekonferenz entführt – Vizepräsidentin der Diamond Miners mitsamt Familie aus bewachtem Hotel entführt – Wissenschaftler aus geheimem Chemiewaffenlabor unauffindbar.“
Tyron fuhr fort:
„Es gibt mehrere Berichte wie diese hier, und in letzter Zeit haben sich diese Vorfälle gehäuft.“
„Im Grunde handeln ja diese … nun, wer auch immer dahintersteckt … doch ganz im Interesse der Doktrin. Es ist nichts weiter passiert, als dass ein paar Verbrecher an der Natur verschwunden sind“, meinte Tondar dazu und sah sich auffordernd im Rund des Rates um. Adalar und noch einige der Ratsmitglieder nickten zustimmend.
„Du weißt genau, dass unsere Doktrin, der wir uns alle verpflichtet haben, den Schutz allen Lebens beinhaltet“, antwortete Siutei. „Und das Besorgniserregende ist nicht nur die Tatsache, dass diese Menschen verschwinden, sondern vielmehr, dass alle diese Fälle unter unserer Beobachtung stehen. Es scheint fast, als wüssten nicht nur wir, die Mitglieder des Zirkels, auf wen wir unser besonderes Augenmerk zu richten haben.“
„Willst du damit andeuten, dass Informationen dieses Rates hier in unbefugte Hände gelangt sind, Siutei?“ Giolmars Tonfall mahnte zur Besonnenheit.
„Ich weise nur darauf hin, Giolmar, dass alle diese Personen von uns beobachtet werden, um im Notfall eingreifen zu können. Diese Beschlüsse wurden von uns allen hier im Rat gefasst, wie ihr alle wisst. Nur wären unsere Mittel die der Überzeugung und nur im Notfall mit der Gabe des stillen Sprechens und der suggestiven Beeinflussung. Arcandrin gefährden keine Leben!“
„Siutei hat recht.“ Sirion hatte sich erhoben. „Niemals würden Arcandrin zu solchen Mitteln greifen, aber da es sich zweifelsfrei um Vorkommnisse handelt, bei denen Fähigkeiten unseres Volkes im Spiel sind, müssen wir davon ausgehen, dass die Shiazul etwas damit zu tun haben.“
Dorkon nickte zustimmend:
„Alles deutet darauf hin. Vorerst möchte ich jedoch in unser aller Interesse nicht davon ausgehen, dass Informationen aus diesem Rat gedrungen sind. Denn dies wäre ein Vergehen, dass es seit Bestehen des Elfenzirkels noch nie gegeben hätte! Die Shiazul müssen anders an diese Informationen gelangt sein.“
„Ich pflichte dir bei, Dorkon. Wie auch immer, es ist unsere Pflicht als Hüter der Doktrin und Beschützer allen Lebens, diesen Vorkommnissen auf den Grund zu gehen“, sagte Sirion bestimmt.
„Noch ist nicht erwiesen, dass die Shiazul etwas damit zu tun haben“, rief Adalar. „Es kann nicht Aufgabe der Arcandrin sein, jedem Verschwinden von Menschen, zumal wenn es sich um Verbrecher an Dana Nala handelt, nachzugehen. Wenn die Menschen sich gegenseitig zerstören, kann uns das nur recht sein. Wir sollten denen helfen, wenn überhaupt, die auch für den Erhalt des Lebens kämpfen. Davon gibt es leider viel zu wenige. Aber nein, ihr wollt euch noch um diejenigen kümmern, die unser aller Existenz bedrohen.“
Es gab nicht wenige Ratsmitglieder, die zu diesen Worten Adalars zustimmend nickten. Seine Aussagen trafen in einigen wesentlichen Punkten leider zu.