Baccara Extra Band 14 - Kara Lennox - E-Book

Baccara Extra Band 14 E-Book

Kara Lennox

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Beschreibung

KÜSSE SAGEN MEHR ALS WORTE von LENNOX, KARA
Allein bei Wades Anblick verspürt Anne brennendes Verlangen. Mit aller Kraft versucht sie es zu unterdrücken. Vergeblich! Schon bald steckt sie mitten in einer leidenschaftlichen Affäre. Bis Wade etwas über sie erfährt, das alles zwischen ihnen verändert …

EIN CHEF ZUM KÜSSEN von ANDERSON, NATALIE
Hände weg vom Chef! Lissa hat ihre Lektion gelernt - glaubt sie. Doch als der neue Boss aus New York kommt, wird sie schwach. Rory Baxter ist einfach unwiderstehlich sexy. Und ihre Nächte der Leidenschaft bleiben nicht ohne Folgen ...

HEISSE KÜSSE - STRENG NACH PROTOKOLL von BANKS, LEANNE
Eigentlich soll sie Daniel Connelly, den angehenden Fürsten von Altaria, in der strengen Hofetikette unterweisen - jetzt spielt plötzlich er den Lehrer. Und seine Lektionen zum Thema "Küssen" sind so aufregend, dass Erin beinahe ihren ganz speziellen Auftrag vergisst...

WILD UND HEMMUNGSLOS von CLEARY, ANNA
In Sydney sucht Sophie ihren leiblichen Vater - und findet stattdessen eine leidenschaftliche Affäre. Hemmungslos genießt sie die Freuden der Liebe in den Armen des attraktiven Connor. Was sie nicht ahnt: Ihre Begegnung war kein Zufall …

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Seitenzahl: 726

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Kara Lennox, Natalie Anderson, Leanne Banks, Anna Cleary

BACCARA EXTRA BAND 14

IMPRESSUM

REBACCARA EXTRAHE erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Erste Neuauflage in der Reihe REBACCARA EXTRAHEBand 14 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2002 by Karen Leabo Originaltitel: „Vixen in Disguise“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: AMERICAN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Brigitte Marliani-Hörnlein Deutsche Erstausgabe 2006 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe COLLECTION BACCARA, Band 233

© 2007 by Natalie Anderson Originaltitel: „All Night with the Boss“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN EXTRA Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Ursula Drukarczyk Deutsche Erstausgabe 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe COLLECTION BACCARA, Band 268

© 2002 by Harlequin Books S.A. Originaltitel: „Tall, Dark & Royal“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Brigitte Marliani-Hörnlein Deutsche Erstausgabe 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe COLLECTION BACCARA, Band 285

© 2008 by Anna Cleary Originaltitel: „Untamed Billionaire, Undressed Virgin“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN HEAT Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Kristina Krüger-Barhoumi Deutsche Erstausgabe 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe COLLECTION BACCARA, Band 287

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733724382

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

Küsse sagen mehr als Worte

1. KAPITEL

Das Autumn Daze Festival hat sich in den letzten dreizehn Jahren kein bisschen verändert, dachte Wade Hardison, als er die Elm Street entlangschlenderte. Die normalerweise verschlafene Kleinstadt Cottonwood in Texas verwandelte sich alljährlich im Herbst kurzfristig in ein Kaleidoskop von Sinnenfreuden.

Lärmende Kinder stürmten an ihm vorbei, und ihr ausgelassenes Lachen ließ ihn nostalgisch werden. Engagierte Mütter von Schulkindern und deren Ehemänner, alles Farmer, betätigten sich erfolgreich als Marktschreier und lockten Einwohner und Touristen gleichermaßen an, um ihr Glück beim Ringe- oder Dosenwerfen zu versuchen. Im Moment war Bürgermeister Dilly das willige Opfer.

Der Duft nach Popcorn, Zuckerwatte und gegrillten Putenschenkeln hing in der Luft und erinnerte Wade daran, dass er hungrig war. Er überlegte, was er essen sollte, während die Dämmerung langsam über das Städtchen hereinbrach. Hunderte von weißen Lichtern flammten auf.

Es war schön, wieder zu Hause zu sein. Wade hatte Cottonwood als wütender Jugendlicher verlassen, im Streit mit jedem, unsicher, wo sein Platz in dieser Welt war, aber bereit, ihn zu erobern. Er hatte geschafft, was er sich vorgenommen hatte – er hatte sich eine Karriere aufgebaut in einem Bereich, von dem seine Brüder keine Ahnung hatten. Nun war er zurückgekehrt, bereit, mit seiner Familie Frieden zu schließen.

Das einzige Problem war, dass er nicht wusste, ob seine Familie sich mit ihm versöhnen wollte. Seine Heimkehr vor zwei Tagen war nicht die des verlorenen Sohnes gewesen. Keiner hatte ein Freudenfest veranstaltet.

Zumindest ließ sein Großvater ihn auf der Ranch wohnen.

Als er die rothaarige junge Frau erblickte, die an einer Eiche lehnte und genüsslich an einem kandierten Apfel knabberte, glaubte Wade einen Moment lang, das Herz bliebe ihm stehen. Dann dachte er, es müsste sich um eine Halluzination handeln.

Obwohl er Annie seit Mai nicht gesehen hatte, hatte er nichts vergessen – weder ihr Lachen noch ihren Duft noch das Gefühl ihrer Hände in seinen. Er hatte sich mit Erinnerungen zufrieden geben müssen, denn das war alles, was ihm von dem Wochenende geblieben war – sie war danach spurlos verschwunden.

Und jetzt fand er sie hier, wo er sie am wenigsten erwartet hätte, in seiner Heimatstadt. Unverwechselbar ihre roten Haare. Ihre großen grünen Augen. Ihr sinnlicher Mund.

Aber irgendwie sah sie auch ganz anders aus. Ihre Haare zum Beispiel. Die Farbe stimmte, aber seine Annie hatte einen wilden Lockenkopf gehabt, eine tiefrote seidige Haarpracht, in der sich ein Mann verlieren konnte. Diese Frau hatte ihre Haare zu einem Knoten gebunden.

Auch die Kleidung passte nicht. Annie hatte enge Jeans getragen, ein knappes, tief ausgeschnittenes Top, eine mit Strass verzierte Weste. An den Fingern hatte sie zahlreiche Ringe getragen und dazu große, baumelnde Ohrringe. Diese Frau trug einen weiten Rollkragenpullover über ihrem Kleid, schwarze Strümpfe und Turnschuhe. Ihre Ohren zierten kleine Goldstecker.

Der auffälligste Unterschied zwischen Annie und der geheimnisvollen Frau zeigte sich jedoch im Gesicht. Die Gesichtszüge waren zwar dieselben, doch der Ausdruck war völlig anders. Annie hatte gelächelt und gelacht und war die ganze Zeit froh gelaunt gewesen. Das Gesicht dieser Frau wirkte verschlossen, ein vorsichtiger Blick lag in den Augen – und eine tiefe Traurigkeit.

„Siehst du etwas, das dir gefällt?“

Wade schreckte zusammen und hätte fast sein Getränk verschüttet, als sein älterer Bruder Jeff ihn ansprach.

„Wer ist sie?“

„Du erinnerst dich nicht an sie?“

„Dann kennst du sie also?“ Dumme Frage, Jeff kannte jeden. Er hatte Medizin studiert und war vor einigen Jahren in die Praxis seines Vaters eingestiegen, der seit Jahrzehnten der einzige Arzt im Ort war. Früher oder später kam jeder, um einen der Doktoren Hardison zu konsultieren.

„Natürlich kenne ich sie. Sie ist Milton Chatsworths Tochter.“

Milton Chatsworth, der beste Freund seines Vaters aus Collegezeiten. Wade kramte in seiner Erinnerung. Milton war nach der Pensionierung mit seiner Familie nach Cottonwood gezogen. Kurz darauf hatte Wade die Stadt verlassen, doch er erinnerte sich, ihn und seine Familie in ihrem eleganten Haus am See kennengelernt zu haben.

„Ich erinnere mich an ein mageres rothaariges Mädchen mit X-Beinen und Zahnspange.“

„Das ist sie. Lass sie in Ruhe, okay?“

„Wie heißt sie?“, fragte Wade gespannt.

„Anne. Sie hat gerade ihr Jurastudium an der Southern Methodist University beendet und wird in die Fußstapfen ihres Vaters treten.“

Wade hörte kaum, was sein Bruder sagte. Anne. Annie. Und die Universität lag in Dallas, dort, wo er Annie kennen gelernt hatte.

Er glaubte nicht an Zufälle. Es musste sich um dieselbe Frau handeln. Und er würde sie nicht ein zweites Mal gehen lassen.

„Wade? Hörst du überhaupt zu?“, fragte Jeff ungeduldig.

„Ja, sicher.“

„Sie hat im Moment eine Menge zu verarbeiten. Da braucht sie keinen zusätzlichen Stress.“

Die Bemerkung brachte Wade auf die Palme. Er drehte sich zu seinem Bruder um. „Warum nimmst du automatisch an, dass ich einer Frau Stress bereite? Vielleicht bringe ich Licht in ihr Leben.“

Jeff seufzte. „Wenn du dich nicht immer gleich angegriffen fühlen würdest, dann wüsstest du, dass ich auch für dich nur das Beste will. Ich kenne Anne Chatsworth, sie ist nicht dein Typ.“

Wade lächelte. Sein Temperament ging schnell mit ihm durch, aber genauso schnell beruhigte er sich auch wieder. Er sah seinem Bruder in die Augen. „Ich nehme an, du kennst Anne nicht so gut, wie du sie zu kennen glaubst.“

Mit diesen Worten tippte er an seinen Hut und wollte zu Anne Chatsworth hinübergehen, um sie zu begrüßen.

Doch sie war fort.

„Würdest du das schreckliche Ding bitte wegwerfen?“, sagte Deborah Chatsworth zu ihrer Tochter, als sie die Livestock Lane entlangschlenderten, wo die zukünftigen Farmer Amerikas und Kinder aus dem 4-H-Club ihre wertvollen Tiere ausstellten, in der Hoffnung, ein blaues Band für ihre Trophäensammlung zu gewinnen. „Du musst doch nicht ständig daran knabbern wie ein Hund an seinem Knochen.“

Anne Chatsworth blieb stehen und blickte auf ihren halb gegessenen Apfel, dann auf ihre Mutter. „Es ist ein kandierter Apfel. Man knabbert daran herum.“

„Nun, es sieht nicht sehr würdevoll aus.“

„Wir sind auf einer Kirmes, auf der die Leute mit Fett eingeschmierten Schweinen hinterherjagen und der Bürgermeister sich vollständig bekleidet in ein Wasserbecken tauchen lässt. Hier macht sich keiner Gedanken um würdevolles Verhalten.“

„Leider.“

Deborah hatte keinen Spaß daran, dem Herbstfest beizuwohnen, doch Annes Vater hatte darauf bestanden, dass sie alle gingen.

„Ich beabsichtige, im nächsten Jahr für das Stadtparlament zu kandidieren“, hatte Milton Chatsworth erklärt, als weder seine Tochter noch seine Frau Lust zeigten, sich durch die Touristenmassen zu drängen. „Was würde es für einen Eindruck machen, wenn ich an dem größten Ereignis des Jahres nicht teilnähme?“

„Komm schon, Mom, wir tun ihm den Gefallen“, hatte Anne gesagt, und Deborah hatte schließlich zugestimmt.

Anne war froh, dass sie gegangen war. Das Haus zu verlassen, war ihr in den letzten Wochen sehr schwer gefallen. Sie erkannte die Zeichen einer Depression und wusste, dass Ausgehen und Ablenkung die beste Medizin für sie waren.

Auf dem Rummelplatz angekommen, ließ sie sich von der Atmosphäre mitreißen und erinnerte sich an die Festivals ihrer Kindheit, als sie mit einer Bande anderer Kinder, zu der sie unbedingt gehören wollte, mitgelaufen war, sich mit Zuckerwatte voll gestopft hatte, Achterbahn gefahren war und den Bands gelauscht hatte, die auf den Bühnen mehr schlecht als recht spielten.

Das Leben war damals einfacher gewesen, und wenigstens ein paar Stunden lang hatte sie es jetzt geschafft, sich an diese weniger komplizierte Zeit zu erinnern. Tatsächlich hatte sie heute das erste Mal seit fast einem Monat das Gefühl, dass sie in der Lage sein könnte, ihr Leben weiterzuleben, statt mechanisch zu handeln und um ihrer Eltern willen vorzugeben, sie sei okay.

„Was meinst du, wo wir deinen Vater finden können?“, fragte Deborah ihre Tochter.

Anne warf das Kerngehäuse ihres kandierten Apfels fort und blieb kurz stehen, um ein helles Shetlandpony zu streicheln. „Vielleicht beim Melonenkernweitspucken?“

Deborah blickte Anne finster an.

„Okay, jetzt im Ernst. Ich glaube, er ist gebeten worden, irgendwo als Preisrichter zu fungieren – Kuchen oder Gurken, irgendetwas in der Art.“

Deborah machte ein wütendes Gesicht. „Die Essenstände sind auf der anderen Seite des Platzes. Ich möchte gern nach Hause gehen, du nicht auch? Du siehst blass aus.“

„Mir geht es gut, ich bin nur ein wenig müde.“

„Dann bleib hier. Ich suche jetzt deinen Vater.“ Deborah stöckelte in ihren Pumps davon. Sie war immer noch schlank und hielt sich trotz ihrer fünfundsechzig Jahre sehr aufrecht. Anne lächelte und schüttelte den Kopf. Nur ihre Mutter kam auf die Idee, in hochhackigen Schuhen auf eine Kirmes zu gehen.

Zart strich Anne über die samtene Schnauze des Ponys.

„Ich habe überall nach dir gesucht.“

Diese Stimme.

Anne zuckte zusammen, schnappte nach Luft und drehte sich so schnell um, dass sie das Pony erschreckte.

Wade Hardison. Was machte er hier? Sie war sicher gewesen, dass er nie wieder in Cottonwood auftauchen würde.

Ungläubig blinzelte sie, aber er war keine Halluzination. Im Gegenteil, er war beängstigend real – stark und solide wie ein Baumstamm und so unglaublich attraktiv, wie sie ihn in Erinnerung hatte.

Im nächsten Moment hatte sie ihre Gesichtszüge und ihre Atmung unter Kontrolle und wusste, wie sie die Situation handhaben würde.

„Entschuldigen Sie?“ Sie sah ihn verwirrt an.

„Wenn du jetzt sagst, dass du dich nicht an mich erinnerst, bricht es mir das Herz.“

„Ich … es tut mir leid. Sie kommen mir flüchtig bekannt vor, aber ich habe ein schlechtes Namensgedächtnis.“ Das war eine dicke Lüge. Diesen Mann würde sie niemals vergessen.

Wade kniff die Augen zusammen. „Flüchtig bekannt. Dann bin ich also nur einer von vielen Männern, mit denen du ein leidenschaftliches Wochenende verbracht hast, Annie?“

„Entschuldigen Sie, Sir, aber ich heiße nicht Annie. Offensichtlich verwechseln Sie mich.“ Mit jemandem, der nie wieder an die Oberfläche treten würde, wenn es nach Anne ging. Hatte ihr Vater ihr nicht immer gesagt, sie sollte vorsichtig sein? Niemals Fremden vertrauen? Und sich vor allem nicht von einem plötzlichen Impuls, einer ungezügelten Leidenschaft leiten lassen?

„Okay, Anne, wenn du darauf bestehst. Anne Chatsworth, frisch gebackene Juristin.“

„Woher wissen Sie das?“, fragte sie alarmiert.

„Mein Bruder hat es mir erzählt.“

Anne wurde schwindelig. Wades Bruder Jeff. Dr. Jeff Hardison, ihr Arzt und enger Freund der Familie. Wie naiv war sie eigentlich gewesen zu glauben, dass die Familie Hardison sich niemals wieder aussöhnen würde? Sie wusste, dass Jeff sich an seine ärztliche Schweigepflicht halten würde. Er war ein exzellenter Arzt, und sie hatte absolutes Vertrauen zu ihm. Doch die Tatsache, dass Jeff und Wade überhaupt über sie gesprochen hatten … das bedeutete „roter Alarm“.

„Du hast mir Unrecht getan, Annie.“

„Ich bin nicht Annie“, beharrte sie. „Und ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.“

„Oh, ich glaube doch.“ Er griff nach ihrem Arm und hinderte sie daran zu fliehen. Dann glitt er mit den Fingern zu ihrer Schulter.

„Bitte“, flehte sie in Panik. Er berührte sie weiterhin, sie spürte seine Hitze durch ihren Pullover hindurch. Jederzeit könnte sie entkommen – wenn sie nur in der Lage wäre, sich zu bewegen. Doch ihre Füße schienen am Boden zu kleben.

Er beugte sich näher. „Was – bitte?“

„Ich bin nicht Annie.“

„Warum stehst du dann hier und wartest auf einen Kuss von mir?“

Verdammt, er hatte Recht. Sie stand wie angewurzelt da, erstarrt wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Schon als sie zwölf und er sechzehn gewesen war, hatte er sie fasziniert. Und um wie viel mehr noch, als sie ihn nach dreizehn Jahren das erste Mal wiedergesehen hatte, bei dem Mesquite Rodeo im Frühjahr. Er besaß eine merkwürdige Macht über sie.

Sie erbebte, als er langsam näher trat. Eigentlich sollte sie zurückweichen, wegrennen, schreien, irgendetwas, nur nicht sich von ihm küssen lassen. Doch sie stand einfach da, atemlos, und erlaubte ihm, sanft mit den Lippen ihren Mund zu berühren. Es war wie ein erster Kuss, so zärtlich, dass er schmerzliche Sehnsucht weckte. Sie gab sich dem sinnlichen Gefühl hin. Es war wie ein Nachhausekommen.

Der Kuss dauerte nur wenige Sekunden, und als Wade zurückwich, lächelte er triumphierend. „Küsse lügen nicht, Annie. Erzählst du mir jetzt, warum du mich ohne ein Wort verlassen hast?“

Anne hörte Stimmen hinter sich. Ihr Herz schlug schneller. Wenn ihre Eltern sie gesehen hatten? Oder sonst irgendjemand? Es gab viele Gründe, warum sie schnellstens von hier fortmusste.

„Okay.“ Sie befreite sich aus seiner lockeren Umarmung. „Ich schulde dir eine Erklärung und eine Entschuldigung. Du wirst sie bekommen, aber nicht hier und nicht jetzt.“ Sie warf einen nervösen Blick über die Schulter.

„Hast du Angst, mit mir gesehen zu werden?“

„Ja!“ Sein siegessicheres Lächeln verblasste, und sie fügte schnell hinzu: „Es ist eine komplizierte Situation. Aber ich erkläre sie dir. Später.“

„Wann?“

„Morgen.“

„Heute Abend.“

„Okay.“

„Um Mitternacht.“

„Elf Uhr. Um Mitternacht bin ich im Bett.“

„Welch reizvolle Vorstellung.“ Wades Augen funkelten. „Okay, elf Uhr auf der Ranch. In der alten roten Scheune, in der das Heu gelagert wird. Kennst du sie?“

Anne nickte.

„Wenn du nicht kommst, werde ich dich finden.“ Mit den Worten drehte er sich um und spazierte davon.

Anne zweifelte nicht daran. Sie konnte ihm auch keinen Vorwurf machen, wenn er wirklich wütend auf sie war. Aber als sie ihn im Mai verlassen hatte, war ihr keine andere Wahl geblieben. Sie hatte nicht mit einer Liebschaft gerechnet, als sie in ihrer geliehenen Cowgirl-Bekleidung das Mesquite Rodeo besuchte, um die Spannung abzubauen, die sich während der Examenszeit angestaut hatte.

Elf Uhr. Wenn sie das Haus spät abends verließ, würden ihre Eltern sicherlich fragen, wohin sie ging. Und die Wahrheit würde zu vielen Fragen führen, die sie nicht beantworten wollte. Also musste sie unbemerkt entwischen.

Sie dachte nicht im Traum daran, Wade zu versetzen. Wenn sie sich nicht blicken ließ, hätte er vermutlich noch den Nerv, zu ihnen nach Hause zu kommen.

Wade war kaum fort, da tauchten Annes Eltern auf. Ihr Vater, ganz der Landedelmann, trug ein offiziell aussehendes Abzeichen, das ihn als Preisrichter auswies. Er lächelte und winkte, als er seine Tochter entdeckte.

„Deine Mutter hat gesagt, dass du dich nicht wohl fühlst.“

„Ich bin nur müde.“

„Lass uns nach Hause gehen und die Füße hochlegen“, drängte Deborah und schlang den Arm um Annes Taille. „Dein Dad hat eine Torte geschenkt bekommen, weil er als Preisrichter fungiert hat. Wir können zu Hause ein Stück davon essen.“

„Erwähn die Torte nicht.“ Milton zog eine Grimasse. „Ich werde nie wieder Torte essen.“

„Dein Wort in Gottes Ohr.“

Anne entspannte sich ein wenig, als sie in den Cadillac ihres Vaters stiegen. Ihre Eltern liebten sie bedingungslos. Wenn diese sie zu sehr bedrängten und versuchten, ihr die eigenen Meinungen aufzuzwingen, musste sie nur daran denken, dass beide alles aus Liebe zu ihr taten. Ihre Eltern hatten sie spät bekommen – ihre Mutter war schon vierzig gewesen, als Anne geboren wurde. Sie hatten sie ihr ganzes Leben lang abgöttisch geliebt und wollten nur das Beste für ihre Tochter.

Unbemerkt aus dem Haus zu schlüpfen, war einfach. Als ihre Eltern vor dem Fernseher saßen, schlich Anne auf Zehenspitzen die Treppe hinunter und durch die Terrassentür nach draußen zur Garage. Die private Auffahrt lag oben auf einem Hügel, so dass Anne nicht einmal den Motor anlassen musste. Sie legte den Leerlauf ein, und ihr blauer Mustang – ein Examensgeschenk ihres Vaters – rollte auf die Straße. Erleichtert atmete sie auf, als ihr niemand nachrief.

Die ganze Eskapade ist ziemlich kindisch, dachte sie, als sie den Motor einen Häuserblock weiter startete. Aber in den vergangenen Monaten hatte sie ihren Eltern große Sorgen bereitet, und sie wollte nichts tun, was die beiden noch mehr beunruhigte.

Sie wusste, wo die Hardison-Ranch lag. Jeder kannte sie. Es war der größte Viehbetrieb in Cottonwood, und der alte Pete Hardison war einer der ersten Einwohner der Stadt gewesen. Pete hatte am Anfang zu kämpfen gehabt. Doch dann war er auf Öl gestoßen und über Nacht Millionär geworden – und hatte seinen Lebensstil entsprechend geändert.

Die Ölkrise in den achtziger Jahren ruinierte die Familie, doch Petes Enkel Jonathan – Wades ältester Bruder – hatte die Leidenschaft für die Viehzucht gepackt. Er bewirtschaftete die Farm, und der Wohlstand kehrte zurück.

Das weiße Gatter zur Hardison-Farm stand offen. Anne holperte mit ihrem Wagen über ein Gitter, das das Vieh davon abhielt auszubrechen, und dann einen Weg entlang, bis sie schließlich die alte Scheune in der Dunkelheit vor sich sah.

Sie war fünf Minuten zu spät. In der Scheune war es dunkel, sie schien verlassen zu sein, doch Anne spürte, dass Wade dort war.

Sie parkte und stieg aus dem Wagen. Es war kalt, so dass sie wünschte, sie hätte ihr Kleid gegen eine Jeans getauscht. Sie zitterte leicht, doch mehr vor Erwartung als vor Kälte.

Das riesige Scheunentor war nur angelehnt. Sie schlängelte sich hindurch. „Hallo?“, rief sie und versuchte, ihre Augen an die totale Dunkelheit zu gewöhnen.

Sie hörte, wie ein Streichholz angezündet wurde, dann sah sie die Flamme, keine drei Meter von sich entfernt. Wades markante Gesichtszüge waren zu erkennen, als er eine Petroleumlampe anzündete. Die Lampe begann zu leuchten, und Anne konnte sehen, dass die Scheune voll gepackt mit Heu war.

„Warum hast du in der Dunkelheit gestanden?“, fragte sie. „Und ist eine Petroleumlampe hier nicht zu gefährlich? All das Heu …“

Wade hängte die Lampe an einen Haken. „Viele Fragen. Ich mag die Dunkelheit. Und die Lampe ist sicher, solange wir nicht so wild werden, dass wir sie umstoßen.“

Annes Herz machte einen Satz. Wenn er gerade versucht hatte, sie mit seinen Andeutungen nervös zu machen, dann war es ihm jedenfalls gelungen.

2. KAPITEL

Wade klammerte sich an die Hoffnung wie ein Zweijähriger an seine Schmusedecke. Er versuchte, so zu tun, als sei es nichts Besonderes, dass Annie heute Abend gekommen war. In Wahrheit hatte er Angst gehabt, dass sie ihn versetzen würde.

Aber Annie war da. Sie stand vor ihm und sah wunderschön aus in dem Lampenlicht. Ihre grünen Augen beobachteten ihn aufmerksam. Was bedeutete, dass sie vielleicht noch interessiert war.

Er lehnte sich gegen einen Stapel runder Heuballen und verschränkte die Arme. „So, Annie, jetzt erzähl mir deine Geschichte. Warum die große Täuschung?“, fragte er. „Und warum bist du ohne ein Wort verschwunden?“ Er war tatsächlich völlig durcheinander gewesen, als er am Montagmorgen nach dem Rodeo erwachte und sie fort gewesen war.

Er war nicht wie so viele Männer aus dem Rodeomilieu, die mit jeder Frau schliefen, die ihnen über den Weg lief, und leere Versprechen abgaben, wenn die Zeit des Abschieds gekommen war und sie sich auf den Weg zum nächsten Rodeo machten. Nicht, dass er wie ein Mönch lebte, aber Annie hatte er für etwas Besonderes gehalten – sie war anders. Auf keinen Fall ein One-Night-Stand. Und er hatte gedacht, sie fühlte ebenso.

Sie sagte nichts, sondern stand einfach da und starrte auf den Boden.

„Komm schon, du bist Anwältin. Und Anwälte können reden, stimmt’s?“, drängte er.

„Die Frau, die du beim Mesquite Rodeo kennen gelernt hast“, sagte sie schließlich, „das war nicht ich. Sie …“

„Ich dachte, das hätten wir schon geklärt.“

„Ich meine, es war mein Körper, aber es war nicht die wirkliche Anne Chatsworth.“ Sie hielt einen Moment inne. Dann sah sie ihm direkt in die Augen und fuhr fort: „Ich hatte mich durch das Examen gekämpft und hatte eine wirklich schwere Zeit. Der Druck, die Zweifel, der Stress – du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, wenn du es nicht selbst einmal durchgemacht hast.“

„Du hast Recht, ich kenne keinen Stress. Ich bin nur ein einfacher Cowboy. Willst du das damit sagen?“

„Nein, so habe ich es nicht gemeint. Ich versuche einfach zu erklären, wo meine Gedanken waren.“

„Okay, ich stimme zu, du standest unter Druck. Weiter.“

„An dem Freitag fiel irgendwie alles von mir ab. Ich hatte stundenlang, tagelang nur gearbeitet und brauchte eine Pause. Nein, ich brauchte mehr als das. Ich musste von allem fort – alles vergessen, auch mich selbst.“

„So wurdest du Annie, das Rodeogirl.“

Sie sah ihn an, ihre Augen flehten ihn an, sie zu verstehen.

„Dann war ich für dich nichts weiter als eine Art Mittel zum Abbau von Spannungen.“

Sie sank auf eine wackelige Holzbank. „So könnte man es nennen, obwohl ich anfangs ganz sicher nicht die Absicht hatte …“

„… dir einen Cowboy zu schnappen und mit ihm zu schlafen“, beendete er den Satz für sie.

„Genau.“

„Aber das hast du getan. Gibt es einen besonderen Grund dafür, dass deine Wahl auf mich gefallen ist?“

„Wie du es sagst, klingt es so vorsätzlich. Ich kannte dich von früher, aber du erinnerst dich sicher nicht an mich. Als wir uns das letzte Mal sahen, war ich erst zwölf und du sechzehn. Ich hing damals immer in der Livestock Exchange Arena herum und habe dich dabei beobachtet, wie du mit Traveler trainiert hast. Er war damals noch ein Fohlen.“

Sie hatte Recht. Er hatte sich damals auf andere Dinge konzentriert. Zu der Zeit hatte er nur daran gedacht, sein Pferd für den Wettkampf auszubilden, damit er so schnell wie möglich aus Cottonwood verschwinden konnte.

„Egal, nachdem du das Rodeo gewonnen hattest, bin ich zu den Gitterboxen gegangen, um dir Hallo zu sagen, sozusagen eine Stimme aus der Heimat. Aber irgendwie ist es nicht dazu gekommen, dass ich Cottonwood überhaupt erwähnte.“

„Du hast mir nicht einmal deinen Nachnamen verraten. So konntest du einen sauberen Schlussstrich ziehen, nachdem du mich verführt hattest.“

„He, jetzt hör aber auf. Das ging nicht nur von mir aus, wenn du dich bitte erinnern würdest.“

Oh ja, er erinnerte sich. Und sie auch, ihrer flachen Atmung und dem Funkeln in ihren Augen nach zu urteilen.

„Weißt du, das klingt nicht nach einer Entschuldigung.“

„Dazu komme ich noch. Lass mich zu Ende reden.“

„Ich habe die ganze Nacht Zeit.“ Er war nicht ganz sicher, glaubte aber, dass sie errötete. Das war etwas, was er an Rothaarigen liebte, an Annie ganz besonders. Sie war so leicht zum Erröten zu bringen.

„Mit dir ins Bett zu gehen, war nicht geplant. Es ist einfach passiert. Danach wollte ich nach Hause, alles vergessen und weiter an meinem Examen arbeiten, doch ich konnte einfach nicht gehen.“

Er erinnerte sich daran. Er erinnerte sich, wie sie davon gesprochen hatte, dass sie nach Hause musste, und er sie sogar zum Wagen gebracht hatte. Aber dann hatten sie sich wieder geküsst, und sie war über Nacht bei ihm geblieben und schließlich das ganze Wochenende.

Sie hatten nicht genug voneinander bekommen können. Er war verrückt nach ihr gewesen, konnte an nichts anderes mehr denken – selbst an die bevorstehenden Rodeos nicht. Bisher hatte ihn nie etwas davon ablenken können.

„Ich glaube, ich brauchte diese Auszeit mehr, als mir bewusst war“, sagte sie. „Es war wie eine Droge. Je länger ich vorgab, Annie zu sein, desto weniger wollte ich zurück in die Realität.“

„Ist dir je der Gedanke gekommen, dass Annie die Realität ist? Und die andere eine Persönlichkeit, die du erfunden hast?“

Sie warf ihm einen scharfen Blick zu. „Annie ist nicht real. Ich bin nicht wie sie. Ich flirte nicht und kleide mich nicht so aufreizend. Ich bin eine sehr ernsthafte Person, die eine anspruchsvolle Karriere verfolgt. Als Anwältin zu arbeiten war immer mein Traum, und ich bin fast dort angekommen.“

„Bist du durchs Examen gerasselt?“

„Nein. Ich bin an dem Montagmorgen so früh gefahren, weil ich um zehn eine Prüfung hatte.“

„Du hättest mich wecken und es mir sagen können.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich hatte Angst, dass du mich zum Bleiben überreden würdest. Was ich getan habe, hat mir wirklich Angst gemacht, Wade. Ich bin in Panik geraten und zurück in die Welt gelaufen, in die ich gehöre. Du und das Rodeo – das war nur ein Traum.“

Ihre Worte ärgerten ihn. „Freut mich, dass ich zu Diensten sein konnte“, sagte er sarkastisch. „Aber wenn du das nächste Mal Dampf ablassen musst, versuch es mit Tennis.“

„Ich hatte nicht gedacht, dass es dir etwas ausmachen würde. Wir wussten beide, dass es eine vorübergehende Sache war. Du reist von einem Ort zum anderen. Ich dachte, du schläfst in jeder Stadt mit einem anderen Mädchen und bist froh, wenn ich ohne großes Theater verschwinde.“

„Ja, du hast Recht. Es hat mich irritiert, in einem leeren Bett aufzuwachen, nicht einmal eine Notiz, aber es war nicht schwer, Ersatz zu finden.“ Große Lüge. Seit Annie hatte er mit keiner anderen Frau geschlafen. Zu beschäftigt. Zu konzentriert auf den Wettbewerb. Trotzdem, jedes Mal, wenn er jetzt eine attraktive Frau ansah, verglich er sie mit Annie und fand, dass derjenigen etwas fehlte.

Annie hatte ihn für andere Frauen verdorben.

„Das habe ich mir gedacht.“ Ihre Stimme klang eigenartig, und Wade fragte sich, ob die bissige Bemerkung sie getroffen hatte. War ihr doch nicht gleichgültig, was zwischen ihnen geschehen war?

„Was du getan hast, war nicht sehr nett“, sagte er. „Auch wenn es nur eine flüchtige Affäre war.“

„Tut mir leid, dass ich die Situation nicht besser im Griff hatte. Ich hatte nie zuvor einen One-Night-Stand.“

„Drei Nächte.“ Drei wundervolle, umwerfende Nächte mit dem heißesten Sex, den er jemals gehabt hatte.

„Drei Nächte“, stimmte sie zu. „Es war ein herrliches Wochenende, das beste – oh, verdammt, das ist mir jetzt so rausgerutscht.“

„Macht nichts. Sprich weiter! Mein Ego kann etwas Belebung gebrauchen.“

Sie drehte sich von ihm weg. „Es war die schönste Zeit, die ich je erlebt habe.“

Ruhig trat er hinter sie und legte die Hände auf ihre Schultern. Sie erstarrte, deshalb drängte er nicht – legte seine Lippen nicht auf die empfindliche Stelle an ihrem Nacken, die er kannte, zog nicht die Haarspange aus dem lächerlichen Knoten, schlang nicht die Arme um ihren Körper und hielt sie auch nicht fest.

„Ich nehme an, du bist nicht hier, damit wir dort weitermachen können, wo wir aufgehört haben“, sagte er.

„Ich kann nicht.“

„Warum nicht?“

Sie drehte sich zu ihm um. „Eine flüchtige Affäre ist einfach nicht mein Stil. Außerdem wirst du sowieso nichts mit mir zu tun haben wollen. Ich bin ganz anders als Annie.“

„Vielleicht wärst du ein bisschen mehr wie sie, wenn du ab und zu lachen würdest.“

„Ich habe im Moment nichts zu lachen, okay?“

„Dein Traum erfüllt sich bald, und das zaubert kein Lächeln auf dein Gesicht?“

„Bisher hat er sich noch nicht erfüllt. Ich habe noch keinen Job. Ich bin noch nicht als Anwältin zugelassen. Eine Menge Hürden müssen noch genommen werden.“

„Dann hast du also immer noch Stress.“

„Ja. Genau.“

Er strich mit dem Finger über ihre Wange und spürte, dass sie erbebte. Schön zu wissen, dass er sie immer noch erregen konnte. „Ich weiß ein gutes Mittel dagegen.“

„Ich bin nicht der Typ für eine flüchtige Affäre.“

Das war er auch nicht. Aber im Gegensatz zu Anne war er überzeugt davon, dass sie mehr haben konnten als eine Affäre. Sicher, die Umstände arbeiteten gegen sie, aber alles war möglich, wenn sie es nur wollten.

Wenn er seine Gedanken laut aussprach, würde sie wahrscheinlich sofort fortlaufen. Mit einer scheuen Frau wie Anne musste man vorsichtig umgehen.

„Aber du brauchst Ablenkung, Annie.“

„Hör auf, mich Annie zu nennen.“

„Die Frau, die Annie heißt, ist ein Teil von dir. Du kannst mich nicht vom Gegenteil überzeugen. Und wenn du mich fragst, Annie ist mindestens genauso viel wert wie eine verklemmte, verbiesterte, altjüngferliche Anne Chatsworth. Ein fetter Gehaltsscheck und eine Sechzigstundenwoche halten dich nachts nicht warm, und sie bringen dich auch nicht zum Lachen. Wahrscheinlich bringen sie dich nur schnell ins Grab. Das passiert bei Stress, weißt du.“

Sie schwieg, und Wade war klar, dass er zu weit gegangen war. So viel zu dem vorsichtigen Umgang mit einer Frau.

Sie drehte sich um und verließ die Scheune. Wade folgte ihr nicht. Einen Moment später hörte er ihren Wagen.

Anne kochte vor Wut auf dem Weg nach Hause. Sie war so sauer, dass sie ganz vergaß, leise zu sein, als sie in die Einfahrt fuhr. Um sich Luft zu machen, knallte sie die Wagentür zu, dann betrat sie geräuschvoll das Haus.

Verklemmt, verbiestert, altjüngferlich … Nur weil sie keine enge Jeans und ein tief ausgeschnittenes Top trug? Weil sie nicht zwei Pfund Make-up aufgelegt und eine wilde Mähne wie Dolly Parton hatte?

Wie konnte Wade Hardison es wagen, so mit ihr zu reden?

„Anne?“

Sie blieb in der Küchentür stehen. Ihr Vater machte sich gerade eine Tasse Kakao. „Oh, hi, Dad.“ Bleib ruhig, lass ihn nicht merken, dass etwas nicht stimmt. Er würde sich nur Sorgen um sie machen.

„Wo warst du?“, fragte er.

„Ich konnte nicht schlafen, deshalb bin ich noch ein wenig durch die Gegend gefahren.“

„Warum hast du uns nichts gesagt?“

„Dad, ich bin keine sechzehn mehr.“

„Ich weiß, Schatz, trotzdem dürfen wir uns doch noch Sorgen um dich machen, oder? Wenn deine Mutter in dein Zimmer gekommen wäre, um dir eine gute Nacht zu wünschen, hätte sie einen großen Schreck bekommen.“

Anne seufzte. „Du hast Recht. Tut mir leid. Das nächste Mal werde ich daran denken.“

Milton lächelte. „Möchtest du eine heiße Schokolade? Vielleicht schläfst du dann besser.“

„Nein danke. Ich bin jetzt müde. Gute Nacht.“ Sie küsste ihren Vater auf die Wange und lief dann die Treppe hinauf, um ihrer Mutter und den unvermeidlichen Fragen aus dem Weg zu gehen.

Hoffentlich würde sie schlafen können. Sie kochte immer noch innerlich, und ihr Blut floss heiß durch ihre Adern – nicht nur vor Wut, sondern auch vor Verlangen. Sie wollte Wade Hardisons Körper mit derselben Intensität, die sie auch beim Rodeo verspürt hatte – trotz allem, was passiert war. Sie konnte noch seine warmen Hände auf ihren Schultern spüren, seinen Atem an ihrem Nacken. Zwar würde sie es niemals zugeben, doch es hatte sie unendliche Willenskraft gekostet, Wades Angebot abzulehnen, dort weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten.

Sie musste ihm einfach aus dem Weg gehen, solange er in der Stadt war. Wie lange blieb er überhaupt? Und warum war er hier? Er hatte ihr gesagt, dass er niemals nach Hause zurückkehren würde, da seine Familie ihm nicht verzeihen würde. Was hatte seine Meinung geändert?

Auf dem Weg zurück zum Haus stoppte Wade an der neuen, modernen Scheune, die sein Bruder Jonathan gebaut hatte. Er wollte nach Traveler sehen. Das rotbraune Pferd stand völlig still in seiner Box, offensichtlich schlief es. Normalerweise war Traveler hellwach, sobald sich ihm jemand näherte. Seine Trägheit beunruhigte Wade fast so sehr wie die Verletzung. Vielleicht lag es an den Medikamenten.

Leise drehte er sich um und verließ die Scheune. Es war nach Mitternacht, als er das Haus betrat. Er bezweifelte, dass noch irgendjemand wach war.

Als er sich ein Glas Milch eingoss, dachte er an die Frau, die sich Anne Chatsworth nannte. Er mochte ihre Ernsthaftigkeit, trotz allem, was er gesagt hatte. Das Leben bestand nicht nur aus Spiel und Spaß wie für Annie.

Anne unterschied sich sehr von dem leichtlebigen Mädchen, das sich beim Rodeo in Dallas an ihn herangemacht hatte – und doch kam Annie ab und zu an die Oberfläche. Annie war kein fiktiver Charakter, sie war ein Teil von Anne, der irgendwie unterdrückt wurde.

Von wem oder durch was? fragte er sich. Und wann?

Es war in Ordnung, dass eine Frau Karriere machen wollte. Er wusste, wie es war, sich auf ein Ziel zu konzentrieren, Tag und Nacht daran zu denken, davon zu träumen, die Spitze zu erreichen. Er selbst hatte einen Großteil seines Lebens diesem Ehrgeiz geopfert. Sicher, der Weg war nicht immer einfach. Stress, Rückschläge, Zweifel. Doch seine Arbeit beim Rodeo hatte ihm Freude bereitet. Sein Augenmerk lag auf dem Ziel, doch er war nicht so besessen gewesen, dass er die Reise dorthin nicht auch genossen hätte.

Freude schien es in Annes Leben nicht zu geben. Sie hatte ihr Ziel fast erreicht, doch er spürte bei ihr keine freudige Erwartung, keine Aufregung. Alles, was er spürte, war Kummer.

Vielleicht ging es ihn nichts an, doch er konnte es nicht dabei belassen. Er hatte gesehen, was mit Menschen geschah, die ein Leben führten, das sie nicht glücklich machte. Seine Mutter war das beste Beispiel. Sie war brillant gewesen – hätte als Wissenschaftlerin den Nobelpreis gewinnen können. Doch sie hatte Wades Vater bei einem Medizinerkongress kennen gelernt und sich für ein Leben in einer kleinen Stadt als die Ehefrau des Arztes entschieden.

Der Mangel an intellektueller Stimulation hatte sie schließlich umgebracht. Oh, technisch gesehen war es Krebs gewesen, aber Wade hatte bemerkt, dass sie ihren Lebenswillen verloren hatte.

Eines der letzten Dinge, die sie ihm gesagt hatte, war, dass er seinen Träumen folgen sollte, selbst wenn es nicht derselbe Traum war, den seine Familie für ihn wollte. Er hatte sich ihre Worte zu Herzen genommen, war ihrem Ratschlag gefolgt und hatte es nie bedauert.

Er bedauerte nur, wie er Cottonwood verlassen hatte – wütend, verbittert, voller Stolz und dickköpfig, wie es nur ein Teenager sein konnte. Zu stolz, sich für Dinge zu entschuldigen, die er niemals hätte sagen dürfen. Er bedauerte den Bruch in seiner Familie, den er vor langer Zeit hätte kitten können, wenn er es versucht hätte.

Zu Wades Überraschung saß sein Bruder Jonathan noch vor dem Fernseher. Jonathan war durch und durch Rancher, was bedeutete, dass er frühmorgens aufstehen musste. Er war nur selten später als bis neun Uhr abends auf.

Wade trat ins Wohnzimmer, ließ sich ohne ein Wort auf die Couch fallen und legte die Füße auf den Tisch. Wenn Jonathan in der Stimmung war zu reden, dann würde er etwas sagen. Wenn nicht, dann konnten ein paar Minuten freundschaftliches Schweigen auch nicht schaden.

„Wo warst du?“, fragte Jonathan schließlich.

„Bei Traveler.“

„Wie geht es ihm?“

„Die Schwellung geht zurück. Doc Chandler sagt, wir können morgen mit der Physiotherapie beginnen.“

„Gut. Wenn irgendjemand dein altes Pferd wieder in Topform bringen kann, dann ist es Chandler.“

„Es ist nicht alt.“

„Es ist dreizehn.“

„Es gibt viele gute Wettkampfpferde in dem Alter.“

Eine lange Pause. Dann fragte Jonathan: „Hast du das neue Stutenfohlen gesehen, das Larry trainiert?“

„Das schwarze? Ja, ein sehr schönes Tier.“

„Rodeo-Potenzial?“

Merkwürdige Frage von Jonathan, der nie ein Geheimnis daraus gemacht hatte, dass Rodeo für ihn die größte Zeit- und Viehverschwendung auf Erden war.

„Temperamentvoll“, erwiderte Wade. „Explosiv, wäre wahrscheinlich schnell aus der Gitterbox. Gutes Herz.“

„Aber?“

„Lässt sich leicht ablenken. Scheut bei allem.“

„Es ist noch jung. Das könnte sich ändern.“

„Mit dem richtigen Training“, stimmte Wade zu.

Wieder eine Pause. „Willst du mit der Stute arbeiten?“

Wades Herz machte einen Satz bei dem Gedanken, mit solch einem schönen Pferd zu arbeiten. Wenn es ihm schon gelungen war, Traveler zu einem Champion zu machen, gar nicht vorzustellen, was er mit … Er brach den Gedanken ab, erkannte die Falle.

„Nein danke. Ich fange an, mit deinen Tieren zu arbeiten, und als Nächstes sehe ich mich dann auch noch Rinder zusammentreiben …“

„Du undankbarer, kleiner …“

„Was? Nur weil ich nicht als unbezahlter Rancher arbeiten will? Was glaubst du, warum ich damals von hier abgehauen bin?“

„Wenn du einmal zuhören würdest, statt irgendwelche voreiligen Schlüsse zu ziehen, dann wärst du vielleicht nicht so ein Hitzkopf.“

„Hitzkopf?“

„Ich dachte, wenn du mit der Stute arbeitest und sie dir gefällt, dann könnte ich sie dir vielleicht geben. Ich wollte dich nicht zu meinem Sklaven machen.“

Das nahm Wade den Wind aus den Segeln.

„Du könntest Danke sagen.“

„Ja, danke.“ Erstaunlich, wie schwer es ihm fiel, dieses eine Wort zu sagen. „Ich brauche aber nicht zwei Pferde.“

„Travelers Wettkampftage sind gezählt.“

„Er kommt wieder in Ordnung.“

Jonathan zuckte mit den Schultern. „Dieses Mal vielleicht noch. Aber was ist im nächsten Jahr?“

„Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es so weit ist.“ Und vielleicht, nur vielleicht, musste er sich darüber gar keine Gedanken mehr machen.

„Wo warst du wirklich?“, fragte Jonathan. „Ich war bis halb zwölf in der Scheune. Du warst nicht bei Traveler.“

„Es hat sich schon lange niemand mehr dafür interessiert, was ich tue.“

„Ich bin einfach neugierig.“

„Ich war mit einer Frau zusammen.“

Jonathan blickte seinen jüngeren Bruder von oben bis unten an. „Das ging schnell. Wie lange bist du hier? Drei Tage?“

„Wir haben uns nur unterhalten.“

„Wer? Oder bin ich jetzt zu neugierig?“

„Ja.“ Noch war er nicht bereit, mit irgendjemandem über seine Annie zu sprechen. Vor allem nicht, da sie ihm gerade einen Korb gegeben hatte.

Aber er war noch nicht mit ihr fertig. Sie wusste es vielleicht noch nicht, doch sie brauchte ihn, und das nicht nur für ein Wochenende. Irgendjemand musste das Lächeln auf das Gesicht des Mädchens zurückzaubern – und dafür sorgen, dass es dort blieb.

3. KAPITEL

„Anne, das sieht alles sehr gut aus.“ Jeff Hardison schloss die Krankenakte. „Dein Gewicht ist fast wieder normal, es gibt keine Anzeichen einer Infektion, und du hast mich sogar ein- oder zweimal angelächelt.“

„Ich fühle mich großartig“, bestätigte sie. „Warum müssen wir also noch diesen Bluttest machen?“

„Darüber haben wir doch schon gesprochen.“

„Aber ich bin nicht sicher, ob es wirklich wichtig ist. Ich möchte nach vorn blicken und nicht über die Vergangenheit nachdenken.“

„Dies betrifft die Zukunft“, betonte er. „Wenn es ein Problem gibt, könnte es sich auf deinen späteren Kinderwunsch auswirken.“

„Ich habe nicht die Absicht, Kinder zu bekommen.“

„Du könntest deine Meinung ändern. Du bist erst fünfundzwanzig.“

Er hatte Recht. Die nächsten fünf oder zehn Jahre lang würde sie keine Zeit haben, eine Familie zu gründen. Ihre Anwaltskarriere würde hundertprozentige Hingabe von ihr verlangen.

Aber wenn sie erst einmal fest etabliert war, würde sie vielleicht ihre Meinung ändern. Sie war nicht so dumm zu glauben, dass eine Karriere alle ihre Bedürfnisse befriedigen konnte.

„Okay. Dann bringen wir es hinter uns.“

„Molly wird dir Blut abnehmen. Sie macht das ganz sanft. Du wirst kaum etwas merken.“

„Hoffentlich.“ Anne lachte.

„Es ist schön, dich lachen zu hören. Tu es häufiger, okay?“

Kurz darauf setzte Molly geschickt die Nadel. Anne starrte dabei angestrengt auf einen Punkt an der Wand.

„Hollywood Lingerie hat gerade Ausverkauf“, sagte Molly.

„Ich war noch nie in dem Laden“, entgegnete Anne. „Was gibt es dort? Aua.“

„Entschuldigung. Na ja, richtig heiße Sachen. Sehr sexy Negligees zum Beispiel, und Slips, die so hauchdünn sind, dass man eigentlich auch ohne gehen könnte.“

Anne besaß keine verführerischen Dessous.

„Mein Tom kann der langweiligste Mann auf der Welt sein“, fuhr Molly fort, „aber wenn man ihm einen schwarzen Spitzen-slip zeigt, wird er zum Casanova.“

„Sie tragen also wirklich so ein Zeug?“

„Schätzchen, nichts gibt einem so sehr das Gefühl, erotisch zu sein. Und ich sage Ihnen, Männer spüren es, wenn eine Frau einen heißen Teddy trägt, selbst wenn sie vollständig bekleidet ist. Sexy Dessous verleihen einer Frau eine gewisse Ausstrahlung.“

„Vielleicht sehe ich mir die Sachen einmal an.“ Ihre Mutter würde einen Anfall bekommen, wenn sie heiße Dessous in der Wäsche fände.

„Fertig“, sagte Molly. „Das war doch gar nicht so schlimm, oder?“

„Nicht für Sie“, entgegnete Anne.

Jeff trat ein. „Ich sehe, du hast es überlebt.“

„Molly ist ein charmanter kleiner Vampir.“ Anne lachte.

„Ich wollte nebenan eine Tasse Kaffee trinken. Kommst du mit?“

„Sicher, ich könnte einen gebrauchen.“

Jeff zog seinen weißen Kittel aus und verließ mit Anne die Praxis. „Bin gleich zurück“, sagte er zu der Empfangsdame.

Sie gingen in das kleine Café nebenan, in dem nur Kaffee und Bagels serviert wurden. Mit einem Cappuccino in der Hand setzten sie sich an einen kleinen Tisch in einer Nische.

„Deine Mutter hat mir gesagt, dass du nicht viel aus dem Haus gehst“, erwähnte Jeff beiläufig.

„Hm, zu viel zu tun.“ Sie trank einen Schluck von ihrem Kaffee. Himmlisch.

„Du weißt, dass das nicht gut ist. Ich spreche jetzt als Freund, nicht als Arzt. Physisch erholst du dich gut, aber ich mache mir Sorgen um deine Psyche.“

„Jeff, sei nicht albern. Ich bin okay. Vor ein paar Minuten habe ich doch sogar gelacht, erinnerst du dich?“

„Ich meine es ernst. Ich weiß, dass du verletzt worden bist, und es braucht Zeit, darüber hinwegzukommen. Aber ich möchte nicht, dass du ständig darüber nachdenkst.“

Jeff vermutete, dass sie von dem Vater des Babys verlassen worden war, und sie hatte ihn nicht korrigiert. Er hatte keine Ahnung, dass sie und Wade sich überhaupt kannten, außer der kurzen Kindheitsbekanntschaft – und dabei wollte sie es auch belassen.

„Das beste Mittel gegen ein gebrochenes Herz“, fuhr er fort, „ist auszugehen und wieder zu leben.“

„Jeff, was willst du damit sagen?“

„Ich meine damit, warum gehen wir nicht ins Kino oder irgendwohin?“

„Du machst Witze.“ Als sie merkte, wie unhöflich ihre Worte klangen, fügte sie schnell hinzu: „Ich meine … oh, Jeff, das ist wirklich süß von dir. Ich fühle mich geschmeichelt, ich meine …“ Was meinte sie eigentlich? Dies kam so unerwartet. Jeff war der begehrteste Junggeselle in der Stadt. Alle allein stehenden Frauen hatten ihm irgendwann schöne Augen gemacht. Warum sollte sich ausgerechnet dieser Mann um sie bemühen? Sie war für ihn nie etwas anderes als sozusagen eine kleine Schwester gewesen – und Patientin.

„Du kannst dich von Dad weiterbehandeln lassen, wenn du dich unwohl bei dem Gedanken fühlst, mit deinem Arzt auszugehen“, sagte er, als könnte er ihre Gedanken lesen. „Dad würde sich freuen.“

„Ich bin noch nicht wieder so weit, dass ich mich mit jemandem verabreden möchte“, sagte sie. „Außerdem bin ich sehr beschäftigt …“ Oje, klang das lahm. „In ein paar Wochen werde ich einen Job in einer anderen Stadt annehmen. Es macht keinen Sinn, dass wir … irgendetwas anfangen.“

Er schenkte ihr sein charmantestes Lächeln. „Ich spreche von einem gemeinsamen Essen und Kinobesuch, nicht von einer großen Liebesaffäre.“

Zu einer anderen Zeit wäre sie vielleicht nicht abgeneigt gewesen. Jeff war ausgesprochen attraktiv und ein guter Freund. Aber noch stand ihr der Sinn nicht danach, auszugehen.

„Okay, ich habe verstanden“, sagte er, als sie nicht antwortete.

„Ich weiß deine Sorge wirklich zu schätzen. Und wenn meine Eltern mich in den Wahnsinn treiben, rufe ich dich vielleicht an, und wir können dann ins Kino gehen.“

Er nickte, schien sie zu verstehen. „Abgemacht.“

Sie stand auf und nahm ihre Tasche.

„Und ich rufe dich an, wenn ich das Ergebnis des Bluttests habe“, schloss er professionell, als habe die vorherige Unterhaltung gar nicht stattgefunden. „Es kann aber ein paar Tage dauern.“

„Okay, kein Problem.“ Sie steuerte auf die Tür zu, brauchte unbedingt frische Luft. „Tschüs.“

Doch ein eiliger Abgang war ihr nicht vergönnt. Als sie nach draußen trat, lief sie geradewegs in Edwards Arme, Jeffs und Wades Vater.

„Warum hast du es so eilig?“, fragte er lachend und hielt Anne fest.

Sie hatte Edward Hardison immer bewundert, oder besser Dr. Ed, wie die meisten Menschen ihn nannten. Mit seinen silbergrauen Haaren und dem runden, jovialen Gesicht hatte er immer eine gewisse Sicherheit ausgestrahlt. Er war ein Mann, dem man seine Gesundheit gern anvertraute. Doch als sie festgestellt hatte, dass sie schwanger war, hatte sie absichtlich einen Termin bei Jeff vereinbart und nicht bei seinem Vater. Natürlich hatte er schließlich doch von ihrem Geheimnis erfahren.

Jetzt murmelte sie einen Gruß, sagte etwas von einem Termin und verschwand so schnell wie möglich. Jeffs Einladung ging ihr nicht aus dem Kopf.

Sie fühlte sich schlecht, weil sie die Situation nicht besser gemeistert hatte. Attraktive Männer abzuwehren, war nicht ihre Stärke. Tatsache war, dass sie überhaupt nur selten Männer abwehren musste – egal, ob attraktiv oder nicht. Und jetzt waren es innerhalb weniger Tage sogar zwei gewesen.

Sie hielt sich nicht für besonders hübsch. Das hatte sie schon als Teenager gefunden. Magere, sommersprossige Rothaarige waren nicht gerade der Traum eines Mannes. Den Mangel an Schönheit hatte sie mit Intelligenz, schnellem Witz und einer scharfen Zunge kompensiert. Sie hatte ihre Weiblichkeit hinuntergespielt, weil sie glaubte, Scharfsinn würde sie weiterbringen als ein koketter Augenaufschlag und ein tiefer Ausschnitt.

Das war vor Annie gewesen. Als sie ihr anderes Ego angenommen hatte, hatte sie an sich eine Weiblichkeit entdeckt, von der sie gar nicht gewusst hatte, dass sie überhaupt existierte. Und obwohl sie nach dem Wochenende mit Wade wieder zu ihrem konservativen Stil und ihrer sachlichen Art zurückgekehrt war, war ihr vielleicht ein wenig von Annie geblieben.

Warum sonst sollte Jeff plötzlich Interesse an ihr zeigen?

Der Gedanke, dass Annie durch Annes hart erkämpfte Beherrschung hindurchblickte, faszinierte und ängstigte sie gleichzeitig.

Sie hatte noch keine Lust, nach Hause zu gehen, obwohl sie viele Bewerbungen schreiben musste und einige Telefonanrufe zu erledigen hatte. Ihr Vater hatte ihr geholfen, eine erschöpfende Liste aller großen, angesehenen Kanzleien im Land zu erstellen. Einige von ihnen waren schon an sie herangetreten, doch Milton hatte darauf bestanden, dass sie nichts unversucht ließ.

Dann war sie schwanger geworden, und es war unmöglich zu sagen, wie sich die Situation weiterentwickeln würde.

Wie vorherzusehen war, hatte ihre Mutter geweint, und ihr Vater hatte getobt. Sie selbst war wie gelähmt gewesen. Die Karriere in einer großen Kanzlei war nicht vereinbar mit dem Dasein einer allein erziehenden Mutter. Und es hatte nie außer Frage gestanden, dass sie das Kind behalten würde. Also hatte sie ihre Karrierepläne auf Eis gelegt und sich auf das Baby konzentriert.

Halbherzig hatte sie versucht, Wade zu finden.

Dann hatte sie das Baby verloren, und ihre ganze Welt wurde auf den Kopf gestellt – wieder einmal. Sie hatte nicht geglaubt, dass man ein Baby schon vor der Geburt so lieben konnte. Es auf so grausame Art zu verlieren, hatte ihr psychisch und physisch schwer zugesetzt.

Jetzt, einen Monat nach der Fehlgeburt, hatte sie wieder mit der Jobsuche begonnen. Ihre Welt normalisierte sich.

Trotzdem, die Aussicht, sich an einem schönen Herbsttag wie diesem auf Jobsuche zu machen, war wenig attraktiv. Stattdessen fuhr sie zu dem Dessousgeschäft Hollywood Lingerie und kaufte zwei Sets BH und Slip, ein schwarzes seidenes Mieder mit einem heißen Höschen, und ein eng anliegendes, mitternachtsblaues Nachthemd.

Nicht weit entfernt von dem Dessousgeschäft lag ein Gartencenter. Ihre Mutter hatte von Astern gesprochen, die sie pflanzen wollte, und der Laden lockte mit einem großen Angebot.

Anne ließ sich Zeit, die Farben auszusuchen, und entwarf in Gedanken das Beet vor dem Haus.

„Wenn ich gewusst hätte, dass ein paar Blumen genügen, ein Lächeln in dein Gesicht zu zaubern, dann hätte ich dir eine ganze Wagenladung besorgt.“

„Wade?“ Um Himmels willen, was tat Wade Hardison in einem Gartencenter? Aber da war er. Groß und stark stand er vor ihr und schenkte ihr sein jungenhaftes Lächeln.

Noch mehr war sie von Wades Begleitern überrascht, ein etwa siebenjähriger kleiner Junge und ein vier oder fünf Jahre altes Mädchen. Anne erkannte sie als Sam und Kristin, Jonathan Hardisons Nachwuchs.

Sie lächelte die beiden Kinder an. „Wen haben wir denn da? Sag nicht, dass das Sam und Kristin sind. So groß können die beiden doch noch gar nicht sein.“

Das kleine Mädchen klammerte sich an Wades Bein.

Annes Herz flatterte gefährlich. In letzter Zeit konnte sie kein Kind ansehen, ohne an das eigene zu denken, das sie verloren hatte. Doch jetzt durfte sie sich keine Gefühlsduselei erlauben. Unbarmherzig schob sie den Gedanken an ihr Kind beiseite.

„Ihr erinnert euch doch an mich, oder?“, fragte Anne. „Ich war am Vierten Juli bei euch zu Hause. Ich bin Anne.“

„Kinder, sagt Annie Hallo“, forderte Wade sie auf.

Anne bedachte ihn mit einem scharfen Blick.

„Äh, Anne. Sie heißt Anne.“

„Klar kenne ich dich, Anne. Wir wollen ein Terrarium für unsere Frösche bauen“, erklärte Sam stolz und holte ein Gefäß aus dem Einkaufswagen, in dem sich außerdem einige Grünpflanzen und ein paar Steine befanden. Er reichte Anne das Glas. In dem Behälter sah sie zwei winzige Frösche. Sie waren nicht größer als ihre Fingerspitze.

„Oh, sind die süß“, sagte sie und hielt das Glas gegen das Licht. „Ich hatte auch einmal einen Frosch.“

„Wir haben sie als Kaulquappen gefangen“, erzählte Sam. „Es hat den ganzen Sommer gedauert, bis sie gewachsen sind. Jetzt brauchen sie ein besseres Zuhause.“

„Haben diese Frösche auch Namen?“, fragte Anne.

„Meiner heißt Alexander der Große“, sagte Sam.

„Und meiner ist Pu, der Bär“, piepste Kristin, die offensichtlich ihre Schüchternheit überwunden hatte. „Hast du ein Aua?“, fragte sie und zeigte auf das Pflaster in Annes Armbeuge.

„Nur ein kleines. Es ist nicht weiter schlimm, Kristin.“

Wade gab sich mit ihrer Antwort nicht zufrieden. „Hast du Blut gespendet?“

„Nein. Dein Bruder hat mir eine Probe abgenommen.“

Wade verdrehte die Augen. „Jeff und seine Nadeln. Du bist doch nicht krank, oder?“

Anne tat seine Besorgnis mit einem Wink ab. „Nein, natürlich nicht. Es war eine Routineuntersuchung.“

„Was für eine?“

„Du bist ganz schön neugierig. Jeff untersucht, ob ich zwei X-Chromosomen habe“, antwortete sie, ohne zu zögern. „Du weißt, weil ich so …“, sie senkte die Stimme, „… so wenig weiblich bin.“

„Hör auf, Anne, halt mir das nicht vor. Die Worte sind mir in einem Moment der Verzweiflung herausgerutscht.“

„Natürlich halte ich es dir vor. Was sonst würdest du von einer verklemmten, verbiesterten …“

„Okay, okay, ich habe verstanden. Es tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen. Übrigens siehst du heute ausgesprochen weiblich aus.“

Blöderweise freute sie sich über das Kompliment. Sie trug nur Jeans und einen kurzärmeligen Kaschmirpullover, aber offensichtlich stand ihr das besser als das unförmige Trägerkleid, das sie bei dem Herbstfestival getragen hatte. Sie drehte sich weg und heuchelte Interesse an der Blumenerde.

„Sieht aus, als plantest du ein Gartenprojekt“, sagte Wade.

„Die Pflanzen sind für meine Mutter.“

„He, was ist da drin?“, fragte Kristin und deutete auf die pinkfarbene Tüte aus dem Dessousladen, die Anne an den Einkaufswagen gehängt hatte.

„Ja, das wüsste ich auch gern.“ Wade zwinkerte ihr zu.

„Socken“, konterte sie. „Die waren herabgesetzt.“

Sie konnte sehen, dass Wade ihr nicht glaubte. Doch niemals würde sie zugeben, was sich tatsächlich in der Tüte befand.

„Ich muss jetzt wirklich nach Hause“, meinte sie und drehte ihren Wagen in Richtung Kasse.

„Keine Zeit, dich mit einem alten Freund zu unterhalten?“, fragte er mit schmeichelnder Stimme.

Ihre Blicke trafen sich, und die Geräusche in dem Geschäft traten in den Hintergrund, sie hörte nur noch das Pochen ihres eigenen Herzens. Sie könnte ihn auf der Stelle küssen, mitten in diesem Gartencenter. Was war nur mit ihr los? Warum setzte in seiner Gegenwart ihr Verstand aus? Warum verschwendete sie keinen Gedanken mehr an Diskretion?

Er fuhr mit dem Finger über ihren Arm. Anne warf einen nervösen Blick auf die Kinder, deren Interesse jedoch einer großen Plastikameise vor der Vitrine mit den Insektiziden galt.

Sie trat einen Schritt zurück. „Hör auf damit, Wade.“

„Niemand sieht zu uns.“

„Muss ich mich noch deutlicher ausdrücken? Ich will nicht …“ Sie merkte, dass sich beide Kinder zu ihr gedreht hatten und neugierig lauschten.

„Vorsichtig“, warnte Wade. „Die beiden haben große Ohren.“

„Du weißt, was ich nicht will.“

„Ich weiß, was du willst. Und du willst es unbedingt.“

Anne war sicher, dass ihr Gesicht knallrot war, als sie sich zu dem Kassierer drehte. Das Schlimmste war, das Wade Recht hatte. Sie wollte es. Doch all ihre Gründe gegen eine Beziehung galten noch. Wade war perfekt für die verrückte Annie gewesen, doch die wirkliche Anne war zerbrechlicher. Sie wollte nicht verletzt werden. Außerdem würde sie die Stadt bald verlassen.

Schnell bezahlte sie die Blumen, verabschiedete sich hastig von den Kindern, ignorierte Wade und floh aus dem Geschäft.

Als sie nach Hause kam, betrachtete Deborah begeistert die Pflanzen. „Ich habe den Garten seit Monaten vernachlässigt“, gestand sie und half, den Kofferraum auszuräumen. „Sie sind wunderschön. Hilfst du mir, sie zu pflanzen?“

„Sie hat genug Arbeit“, warf Milton ein.

„Aber Milton“, widersprach Deborah. „Sie braucht unbedingt frische Luft und etwas Sonne.“

„Davon wird sie morgen eine Menge bekommen.“

„Was ist morgen?“, wollte Anne wissen.

„Ein Barbecue – bei den Hardisons. Anlässlich Petes achtzigstem Geburtstag. Sag nicht, dass ich vergessen habe, es dir zu erzählen.“

„Doch, hast du. Ich glaube nicht, dass ich mitkommen kann.“

„Aber du musst, Liebes. Pete Hardison hat dich seit Weihnachten nicht gesehen, und du weißt, wie gern er dich mag. Es würde seine Gefühle verletzen, wenn du nicht zu seiner Geburtstagsparty kämest.“

Deborah hatte Recht. Grandpa Pete, wie sie ihn nannte, liebte sie, seit die Familie nach Cottonwood gezogen war. Er selbst hatte weder eine Tochter noch eine Enkelin, und so war Anne die Ersatzenkelin geworden.

„Wird die ganze Familie dort sein?“, fragte Anne.

„Das nehme ich an. Selbst Wade. Ich weiß nicht, ob du es gehört hast, aber er ist wieder zu Hause. Du erinnerst dich doch an ihn, oder? Er ist weggegangen, als er sechzehn war. Du warst damals noch ein kleines Mädchen. Egal, jetzt ist er zurück, sprichwörtlich der verlorene Sohn.“

„Ja, ich erinnere mich an ihn.“ Viel zu genau.

„Anne, was ist das?“ Deborah hielt einen kleinen grünen Plastiktopf mit einem Efeusprössling hoch. Eine der Pflanzen für das Terrarium der Hardisons war offensichtlich in ihrem Einkaufswagen gelandet.

Anne zuckte mit den Schultern. „Ein spontaner Kauf.“

„Ich habe mindestens ein Dutzend Efeupflanzen im Wintergarten.“

Anne zwang sich zu einem Lächeln. „Ich sagte, dass es ein spontaner Kauf war. Ich habe nicht gesagt, dass er besonders intelligent war.“

4. KAPITEL

„Die Schwellung ist gut zurückgegangen“, sagte Dr. Rick Chandler, nachdem er Travelers Bein untersucht hatte.

„Es geht ihm auch besser“, sagte Wade. „Ich merke, dass er unbedingt aus dem Stall will.“

„Dann lassen Sie es uns versuchen.“

Voller Optimismus legte Wade die Führungsleine an, dann öffnete er die Boxentür. Enttäuscht stellte er fest, dass sein Pferd das verletzte Bein kaum einsetzte. Unter dem kritischen Blick des Veterinärs gingen sie an der Längsseite der Scheune entlang, dann wieder zurück. Als sie Travelers Box erreichten, ließ sich das Pferd fügsam hineinführen, dann drehte es sich nicht einmal um – als demütigte ihn sein Gebrechen.

Doc Chandler runzelte die Stirn. „Er hat immer noch große Schmerzen.“

„Soll ich mit den heißen und kalten Kompressen fortfahren?“

„Das kann nicht schaden, zumindest bis die Schwellung ganz zurückgegangen ist. Lassen Sie ihn noch nicht auf dem Bein herumlaufen.“

„Glauben Sie, dass er bis zum American Royal Rodeo Anfang November wieder fit ist?“

„Das ist schwer zu sagen. Ältere Pferde brauchen länger, um sich von ihren Verletzungen zu erholen – wie ältere Menschen. Und ich würde ihn auf keinen Fall drängen.“

„Nein, niemals. Aber das Royal …“

„Sie haben beste Chancen, das Preisgeld zu gewinnen, nicht wahr?“

„Ja. Selbst wenn ich diesen ganzen Monat aussetze, habe ich mehr Punkte als alle anderen im ganzen Land. Bei einem Sieg hätte ich genug, um mich ganz aus dem Rodeo zurückzuziehen.“

Der Arzt zog die Augenbrauen hoch.

„Ich spreche nicht von einer Villa am Meer, aber ich hätte genug Geld, um etwas anderes anzufangen.“

„Wird das Rodeo langweilig?“

Wade lachte. „Nein. Ich liebe es. Aber ich werde auch nicht jünger, und es ist ein Sport für junge Männer. Ich habe einfach das Gefühl, dass ich in diesem Jahr die Meisterschaft gewinnen werde, oder ich kann es vergessen.“

„Ich werde für Ihr Pferd tun, was ich kann. Solche Verletzungen dauern manchmal sehr lange, können aber auch ganz plötzlich heilen.“

„Ich bin für die plötzliche Heilung.“

Wade zog seine Brieftasche heraus, um den Doc zu bezahlen. Der Veterinär winkte ab. „Es ist nur ein Folgebesuch. Nicht honorarpflichtig. Außerdem gehe ich jetzt auf die Party und esse mich an Steaks satt. Das ist genug Entlohnung.“

„Danke.“ Wade war nicht arm – er hatte über die Jahre viel Geld zurückgelegt. Aber er verfolgte ein Ziel. Und er würde sich erst aus dem Rodeogeschäft zurückziehen, wenn er es erreicht hatte. Jeder Penny also, den er sparte, brachte ihn seinem Ziel näher.

Bisher hatte er niemandem von seinem Plan erzählt, Pferde zu züchten, geschweige denn von seinem anderen Traum, ein Rodeocamp für Stadtkinder aufzubauen.

„Sie kommen doch auch zu der großen Party, oder?“

„Natürlich. Grandpa würde mich verstoßen, wenn ich nicht zu seinem achtzigsten Geburtstag käme.“

„Ich denke, Sie werden viel Spaß haben“, meinte der Doc. „Die Hardisons konnten schon immer feiern.“

Wade war kein Freund von großen Partys, aber diese wollte er auf keinen Fall versäumen. Die Chatsworths standen auf der Gästeliste, und das bedeutete, dass auch Anne eingeladen war. Er war neugierig, ob sie kommen würde, und wenn ja, wie sie ihn vor allen Verwandten und Bekannten behandeln würde. Würde sie vorgeben, ihn kaum zu kennen?

Er wusch sich die Hände, steckte sein Hemd in die Jeans und ging dann zusammen mit dem Doc zum Haus. Die ersten Autos und Pick-ups parkten in der Einfahrt.

Die ganze Familie hatte sich im Wohnzimmer versammelt – Jeff und seine Begleiterin Allison, Jonathan und die zwei Kinder, Wades Vater und Pete, der auf einem hochlehnigen Stuhl thronte wie ein König und die Glückwünsche der ankommenden Gäste entgegennahm. Neben ihm wuchs der Berg von Glückwunschkarten und Geschenken – meist Flaschen.

Ihre Nachbarin Sally Enderlin, eine ältere Witwe, die genauso lange in Cottonwood lebte wie Pete, half ihnen. Sie war im Haushalt eingesprungen, als Wades Mutter gestorben war, und gehörte zur Familie.

Als der Doc das Wohnzimmer betrat, wurde er herzlich begrüßt. Wade dagegen wurde von allen nur angestarrt.

„Es wird auch Zeit, dass du kommst“, brummte Pete.

„Lass den Jungen in Ruhe, alter Trottel“, kam der Doc Wade zu Hilfe. Er war einer der wenigen älteren Freunde, die mit Pete so reden durften. „Wir haben nach Traveler gesehen.“

„Wade, bist du es wirklich?“, kam Sally dazwischen und umarmte ihn. Er erwiderte die Umarmung und fühlte sich das erste Mal seit langem von Herzen willkommen. „Du musst mir erzählen, was du in der ganzen Zeit … oh, kennst du schon Allison?“

Sally übernahm die Vorstellung, dann flitzte sie davon, um einem neu angekommenen Gast den Mantel abzunehmen. Wade war froh, dass Sally die Gastgeberin spielte. Keiner der Hardi-son-Männer war geübt darin.

Wade erinnerte sich an Allison Crane. Sie und Jeff waren schon während der Schulzeit befreundet gewesen, obwohl Wade immer geargwöhnt hatte, dass Allison wünschte, aus der Freundschaft könnte mehr werden.

„Du hast dich verändert“, stellte Allison fest.

„Du auch“, entgegnete Wade, obwohl Allison eigentlich noch so aussah wie damals, rundlich und etwas reizlos, aber mit einem wunderschönen Lächeln. „Ich habe gehört, du bist jetzt Zahnärztin.“

Sie nickte.

Immer mehr Gäste trafen ein, und die Menge verteilte sich im Haus und auf der Terrasse, wo ein DJ Countrymusic spielte und einige Rancharbeiter Fleisch grillten. Die Stimmen wurden immer lauter, je mehr getrunken wurde. Und trotzdem entging Wade Annes Ankunft nicht. Er vernahm ihre sanfte Stimme über den Krach hinweg.