Backstage - Anya undercover - Suze Winegardner - E-Book

Backstage - Anya undercover E-Book

Suze Winegardner

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Beschreibung

Er verbirgt ein Geheimnis, sie ist auf den nächsten Knüller aus...

Sie sind die heißeste Boyband seit »One Direction«: Die fünf Jungs von »Seconds to Juliet« sind der Traum eines jeden Fangirls. Und unerreichbar. Doch dann treffen Miles, Ryder, Trevin, Will und Nathan auf fünf Mädchen, die ihre Welt für immer verändern …

Anya braucht einen Job und zwar sofort. Als sie daher den Auftrag bekommt, über »Seconds to Juliet« zu berichten, greift sie zu. Wenn sie dabei über Will Fray, den »Schüchternen«, eine Exklusivstory hinbekommt, umso besser. Selbst wenn er noch so süß ist, Anya braucht das Geld. Das Problem: Will Fray ist gar nicht der, für den ihn alle halten. Statt Will steht sein Zwillingsbruder Matt auf der Bühne. Und wenn das auffliegt, geht es nicht nur Will, sondern der ganzen Band an den Kragen …

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Seitenzahl: 298

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DIE AUTORIN

Foto: © Richard Winegardner

Suze Winegardner hat schon in London, Paris und New York gelebt, heute wohnt sie in North Carolina. Um ihr Heimweh nach ihrem Heimatland England in den Griff zu bekommen, hält sie sich an Cadbury-Schokolade. Wenn sie nicht gerade schreibt, verreist sie liebend gern mit ihrem Mann oder macht ausgiebige Spaziergänge mit ihrem Labrador.

Bei cbt sind außerdem erschienen:

BACKSTAGE – Ein Song für Aimee (Band 1)

BACKSTAGE – Mia auf Tournee (Band 2)

BACKSTAGE – Bühne frei für Daisy (Band 3)

Mehr über cbj/cbt auf Instagram unter @hey_reader

SUZE WINEGARDNER

Anya undercover

Aus dem Englischen

von Cornelia Röser

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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1. Auflage 2020

Deutsche Erstausgabe März 2020

Copyright © 2015 by Suze Winegardner

Die Originalausgabe erschien 2015

unter dem Titel »Anya and the Shy Guy.

A Backstage Pass Novel« bei Crush,

an imprint of Entangled Publishing LLC, Fort Collins, USA.

© 2020 für die deutschsprachige Ausgabe cbj Kinder- und

Jugendbuchverlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München.

Aus dem Englischen von Cornelia Röser

Lektorat: Katrin Mühlbacher

Umschlaggestaltung: Suse Kopp, Hamburg,

unter Verwendung mehrerer Motive von

Gettyimages/oxygen; Plainpicture/LPF

he · Herstellung: AS

Satz: KompetenzCenter

ISBN 978-3-641-20783-0V001

www.cbj-verlag.de

Für meine Mom, die mir die Liebe zu Büchern,

und meinen Dad, der mir die Liebe zum Reisen mitgegeben hat.

Will Fray

Alter: Achtzehn

Haarfarbe: Ziemlich dunkel

Augenfarbe:Teichwassergrau

Heimatstadt:Jacksonville, Florida

Lieblingssong auf dem Debütalbum: The One

Steht auf:Piercings, nächtliche Busfahrten, gebratenes Brot

Traumdate: Im Park spazieren gehen und ein bisschen rummachen. Na gut, ein bisschen mehr als nur rummachen

Lebensmotto:So was wie mich gibt’s gar nicht – bis auf mich!«

– Rocket, Guardians of the Galaxy

Kapitel 1

Anya ließ ihren ramponierten Rucksack in dem kleinen Wachhäuschen vor dem Stadion zu Boden fallen. Noch einmal betrachtete sie den Brief, den man ihr zusammen mit einem All-Access-Backstage-Pass ausgehändigt hatte.

»Will Fray?«, flüsterte sie. Die Worte kratzten in ihrer Kehle. »Ich bin Will Fray zugeteilt? Ich dachte, ich hätte Zugang zur ganzen Band.« Sie hielt inne und musste sich räuspern, weil ihre zu wenig benutzten Stimmbänder ihr den Dienst versagten.

»Was hast du gesagt, Kleine?« Der Blick des riesigen tätowierten Security-Mannes klebte an seinen Monitoren.

Sie versuchte sich daran zu erinnern, wer Will war. Der Blonde? Der mit den vielen Tattoos?

Nein. Jetzt fiel es ihr wieder ein. Sie sah ein Foto eines attraktiven Jungen vor sich, dessen Gesicht halb von einem Vorhang dunkler Haare verdeckt war. Er war der Schüchterne, der in den wenigen Interviews, die sie gelesen hatte, kaum einen Satz herausgebracht hatte. Na toll.

Der Wachmann zuckte die Achseln und zeigte auf eine Flotte von Bussen am anderen Ende des Parkplatzes. »Will ist da drüben im Bus. Pass auf, wo du hintrittst. Hier liegen überall Kabel und teure Technik rum. Wenn du was kaputtmachst, fliegst du raus.«

Anya beschlich das ungute Gefühl, dass ihr Schicksal besiegelt war, wenn sie das Wachhäuschen mit diesem Brief in der Hand verließ. Sie räusperte sich noch einmal, doch ihr gelang nicht mehr als ein erbärmliches Flüstern: »An wen kann ich mich deswegen wenden?« Im nächsten Moment fand ihre Reibeisenstimme glücklicherweise doch noch den gewünschten Lautstärkeregler und hallte durch das fast leere Häuschen: »Ich soll über die ganze Band berichten. Aber offenbar bekomme ich nur Zugang zu einem Mitglied.«

Das war nicht gut. Das war ganz und gar nicht gut. Die Angst zu versagen schnürte ihr die Kehle zu, während sie sich bemühte, ruhig zu atmen. Auf keinen Fall wollte sie jetzt, so kurz vor dem Jackpot, umkippen.

Er seufzte schwer. »Derjenige, mit dem du sprechen müsstest, ist LJ, der Manager von S2J. Aber an deiner Stelle würde ich’s mir verkneifen und ihm aus dem Weg gehen. Ist nur ein gut gemeinter Rat.« Er setzte sich wieder hin und wandte sich seinen Überwachungsmonitoren zu.

Obwohl ihre Augen vor Enttäuschung brannten, wahrte Anya einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck. Das Leben auf der Straße hatte sie gelehrt, dass Tränen Zeitverschwendung waren. Tränen brachten nur etwas, wenn man um Essen bettelte oder um einen Dollar. An einen Security-Typen oder eine Boyband würde Anya sie nicht verschwenden.

Aber diesen Job, für den sie schmutzige Geheimnisse der Bandmitglieder ans Licht bringen sollte, den hatte sie doch in der Hoffnung angenommen, genug Kohle zu verdienen, um von der Straße wegzukommen und wieder studieren zu können. Und um Jude zu helfen. Das durfte sie nicht vergessen.

Geld. Ich bin wegen des Geldes hier. Geld, das mir Sicherheit geben kann. Das uns Sicherheit geben kann.

Jude hatte ihr damals, als sie obdachlos geworden war, das Leben gerettet. Und zwar buchstäblich. Er war ein alter Mann – ein Kriegsveteran, wie sie aus seinen Tattoos geschlossen hatte, auch wenn er selbst nichts in der Richtung gesagt hatte – und hatte seine eigenen Dämonen, wegen derer er auf der Straße lebte. Und jetzt hatte sie endlich die Möglichkeit, zur Abwechslung einmal ihm zu helfen. Das durfte sie einfach nicht versauen. Sie würde ihn nicht hängen lassen.

Sie hob ihren Rucksack auf und versuchte, ganz lässig zu wirken und nicht wie ein einziges Nervenbündel, was derzeit ihr Normalzustand war. Langsam bahnte sie sich ihren Weg durch die komplexe Abfolge von Absperrungen und Zäunen, die die Fans von der Band fernhalten sollten.

Die Mädchen drängten sich in fünf Reihen hintereinander, während sie versuchten, einen Blick auf die weltberühmten Jungs zu erhaschen. An den Metallgittern hingen selbst gemalte Poster, und Anya dachte kurz darüber nach, für wie viel sie ihren All-Access-Pass verkaufen könnte. Vielleicht war das ihre beste Chance, an Geld zu kommen, nachdem sie Will Fray, dem stillsten Typen in der Band, zugeteilt worden war.

Herrje. Nur eine einzige Chance. Bitte.

Aber das hier war ihre Chance und die musste sie nutzen. Selbst wenn es das Letzte war, was sie tat.

Sie hievte sich ihren Rucksack auf die Schulter und klopfte aus Gewohnheit die Tasche ab, in der ihr Notizbuch steckte. Gut. Da sie weder Handy noch Laptop besaß, musste sie sich auf ihr Notizbuch verlassen, um alle Gespräche, jedes Interview und jede Idee festzuhalten.

Ihr Blick fürs Detail war es gewesen, der ihr diesen Job eingebracht hatte. WowSounds.com war von der Authentizität ihres Artikels über die Obdachlosen von Tulsa so beeindruckt gewesen, dass man sie gefragt hatte, ob sie zur Make-it-Last-Tour von Seconds to Juliet dazustoßen wollte. Niemandem war in den Sinn gekommen, dass Anya selbst zu jenen Obdachlosen gehören könnte, die sie für ihren Artikel interviewt hatte. Auch dass sie erst siebzehn war, ahnte niemand.

»Geht’s dir gut, Mädchen?«

Sie drehte sich zu dem Security-Typen um, der aus seinem Wachhäuschen getreten war. »Sind die Fans jeden Tag hier?«

Sein Blick glitt flüchtig über die Mädchenmenge. »Ja. Seit wir in der Stadt sind. Aber sie dürfen nicht mit ihnen sprechen. Also die Jungs.«

»Warum nicht?«

»LJ meint, wenn die Mädchen erst ein Foto und ein Autogramm ergattert haben, kommen sie nicht mehr zu den Konzerten und kaufen keine Alben mehr.«

»Ehrlich? Ich hätte gedacht, sie wollen dann erst recht mehr.«

»Ich auch. Aber was weiß ich schon. Ich bin nur der Kerl mit den Muskeln.« Er fasste sie an den Schultern, drehte sie um und deutete zu den Bussen.

Seine Berührung ließ sie innerlich erstarren, aber äußerlich versuchte sie, keine Reaktion zu zeigen. Er gab ihr einen leichten Schubs. »Bring dein Gepäck in den Bus, dann wird dir jemand alles zeigen.«

»Danke.« Ihr lief der Schweiß den Rücken hinunter, während sie über den Parkplatz ging. Sie rief sich noch einmal die wenigen Artikel ins Gedächtnis, die sie über Will Fray gelesen hatte. Sobald sie einen sicheren und ruhigen Platz zum Arbeiten gefunden hatte, würde sie einen Blick in ihre Notizen werfen müssen.

Die letzten beiden Tage hatte sie in der Bibliothek recherchiert, von der aus sie bisher ihre Artikel in die Redaktion geschickt hatte. Ihr Notizbuch war voller Songs, Alben, Zitate und Hintergrundinformationen über die Jungs.

Es wäre so viel einfacher gewesen, wenn sie mit der gesamten Band hätte sprechen dürfen. Von allen Mitgliedern war Ryder derjenige, bei dem sie am ehesten ein dunkles Geheimnis vermutet hätte. Er war schließlich der Bad Boy. Aber stattdessen musste sie sich mit Will Fray begnügen. Die Zeitschriften hatten ihn Der Schüchterne getauft, aber Anyas Ansicht nach hätte man ihn genauso gut den Langweiler nennen können.

Was fanden die Mädchen bloß an ihm? Klar, er war süß, aber ihr waren Jungs lieber, die sich trauten, ihre Meinung zu sagen. Die Chance, dass er ihr irgendetwas liefern würde, womit sie arbeiten konnte, gingen gegen null. Null Komma nichts.

Sie blieb abrupt stehen und starrte den Bus an.

War das ihr Ernst? Auf dem beknackten Tourbus prangte ein riesiges Oben-ohne-Bild der Band. Anya schob sich ihre uralte Sonnenbrille in die Haare und betrachtete das Bild lange. Sie konnte den Blick nicht davon losreißen.

Es war billig und schmalzig und bereitete ihr Magenschmerzen. Sie rieb sich den Bauch und warf Blicke nach allen Seiten, um sicherzugehen, dass niemand sie beobachtete. Unauffällig zog sie ihre kleine Digitalkamera aus der Tasche und schoss schnell ein Foto. Sie drückte auf den fünf Jahre alten Hello-Kitty-Sticker an der Kamera und sah sich das Foto auf der Längsseite des Busses noch einmal an.

Hmm. Einer von diesen halb nackten Typen musste Will sein. Wenn sie sich nur erinnern könnte, welcher. Obwohl sie zugeben musste, dass die alle ziemlich gut aussahen.

Das kann ja heiter werden.

Anya holte tief Luft, strich glättend über die hochgesteckten Haare und klopfte an die Bustür. Aus dem Wageninneren dröhnte Musik und Anya verdrehte stumm die Augen. Die Jungs hörten im Tourbus ihre eigene Musik? Sie konnte es nicht erwarten, diese Perle in ihrer Story unterzubringen. Wie selbstverliebt war das denn?!

Diesmal klopfte sie mit der Faust, und zwar so fest, dass die Tür wackelte. Die Musik verstummte. Immerhin.

So lustig es im Film auch aussah, wenn Zwillinge die Rollen tauschten – Matt wusste es besser. Das hier war alles andere als lustig.

Ich wünschte, ich wäre nicht hier.

Ich wünschte, Will wäre hier.

Wenn man älter als acht war, machte so ein Rollentausch nicht mehr halb so viel Spaß. Es war nicht wie im Doppelten Lottchen, eher wie in Shining.

Er schlug die nächste Seite seines Notizbuchs mit den S2J-Songs auf und übersprang The One, ihren bisher wohl bekanntesten Song. Er kannte schon fast alle Songtexte auswendig, vor allem diesen. Ach verdammt, diesen Text kannte so ziemlich jeder Mensch in der westlichen Hemisphäre.

Stattdessen sollte er sich auf die paar Stücke konzentrieren, bei denen er jedes Mal ins Stolpern geriet, wenn er Background singen musste. Zum Glück kreischten die Fans ohnehin während des ganzen Sets durch, da war es bisher niemandem aufgefallen, wenn er beim Text danebengehauen hatte. Aber irgendwann würde es passieren, also sollte er die Texte besser zügig auf die Reihe kriegen. Er war schon zu weit gekommen, um seinen Zwilling jetzt hängen zu lassen.

Ein lautes Hämmern an der Tür ließ den Bus erzittern.

Was denn jetzt?

Er stapfte zur Tür, stieß sie schwungvoll auf und zwang die Besucherin damit, ein paar Stufen hinunter zurückzuweichen.

Hallo, Sonnenschein!

Dabei hatte sie rein gar nichts Sonniges an sich. Nur dichte schwarze Haare und eine ziemlich saure Miene. In den Haaren steckten viele kleine Klämmerchen mit Comicfiguren und Blümchen darauf, die Art, wie kleine Kinder sie trugen, doch das konnte ihn keine Sekunde von ihren Augen ablenken: grau und blau und … unerbittlich.

Du meine Güte. Er wollte nicht der Typ sein, auf den sie so stinksauer war.

Ihre rechte Augenbraue zierte ein winziger Ring, was ihrem Aussehen etwas Gefährliches verlieh. Er wusste nicht, ob er wahnsinnig scharf auf sie war oder einfach Angst vor ihr hatte. Doch in ihrem Blick lag noch etwas anderes, eine Art Misstrauen oder Traurigkeit oder so.

Ich möchte wissen, was ihr Geheimnis ist.

»Kann ich dir helfen?«

»Das glaube ich kaum. Aber wie es aussieht, habe ich dich jetzt für zwei Wochen am Hals.« Sie ließ ihren Rucksack auf den Boden fallen. Er sah so schwer aus, als würde ihr ganzes Leben darin stecken. »Du bist Will Fray, richtig?«

Er starrte auf ihre Hände, wie man es ihm eingetrichtert hatte. Nicht etwa, weil sie eine Waffe ziehen, sondern weil sie sich das Oberteil runterreißen könnte. So was kam vor. Oft sogar. Und dieser Arsch von Manager hatte sie gewarnt, dass sie für ein Foto mit einem obenrum nackten Teenager schneller aus der Band fliegen würden als für einen verpatzten Einsatz auf der Bühne. Zum Glück blieben ihre Hände unten.

»Schon möglich. Warum hast du mich am Hals?« Er suchte den Parkplatz mit den Augen nach der Security ab. Keiner da. Typisch.

Ihr Blick sprühte Funken, als sie ihm einen Brief in die Hand drückte. Er war von LJ, dem Managerarsch, und besagte, dass dieses Mädchen – er las den Namen der Adressatin: Anya Anderson – für volle zwei Wochen Will Fray zugewiesen worden war, um einen Artikel für WowSounds.com zu schreiben.

Matt wurde eiskalt.

Dieser Dreckskerl.

Ihm war schon aufgefallen, dass LJ ihm gegenüber misstrauisch geworden war und ihn auf der Bühne komisch ansah, aber das hier war ein Albtraum. Wie sollte er das Geheimnis seines Bruders wahren, wenn er rund um die Uhr Will sein musste?

Er rang sich ein Lächeln ab. »Sieht wirklich so aus, als hättest du mich am Hals.«

»Jetzt, wo das geklärt wäre …« Sie stieg die Stufen zum Bus hinauf.

Er hob die Hand. »Oh nein. Nein, nein und noch mal nein. Keinen Schritt weiter. In diesen Bus darf nur die Band. Du musst in den Bus für Crew und Begleiter.«

Eine eiskalte Woge traf ihn, als sie bei seinen abfälligen Worten die Brauen zusammenzog. Mist! Wenn er fies zu ihr war, würde sie erst recht so lange und tief graben, bis sie seine Geheimnisse enthüllt hatte.

Sei charmant, du Depp.

»Ich meinte den Hanging-On-Bus«, sagte er. »Alle Tourbusse sind nach Songs unseres ersten Albums benannt. Dieser hier heißt The One.«

Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete die Außenwand des Busses. Matt wand sich innerlich. Seine einzige Rettung war, dass nicht sein halb nackter Körper auf dem Foto zu sehen war, sondern der seines Zwillings. Aber das wusste sie nicht. Und mal ehrlich, auch wenn er etwas mehr Zeit im Fitnessstudio verbrachte als Will, waren sie am Ende eben doch Zwillinge. Gleiche Gene, gleicher Body.

Sie legte den Kopf schief. »Bist du sicher, dass er nicht Not Tonight heißt?«

Er lachte. Immerhin hatte sie die Diskografie der Band drauf. »Nein. Not Tonight heißt der Bus, in dem die Aufpasser mitfahren. Und der mit der miesen Federung ist der Rock-You-Bus.«

»Will ich wissen, wer im Kiss-This-Bus fährt?«, fragte sie, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Solche privaten Informationen kann ich dir unmöglich verraten. Dafür müssten wir uns schon besser kennen. Viel besser.«

Dieses Mädchen. Eins musste er ihr lassen: Sie war ganz anders als die anderen Journalisten, denen er bisher aus dem Weg gegangen war. Er hätte nicht mal etwas dagegen, dieser – wie hieß sie noch mal … Anya? – ein paar ganz private Einblicke zu gewähren.

Sie zögerte und legte den Kopf schief. »Du bist nicht so schüchtern, wie du dich gibst, oder?«

Das Lächeln fiel ihm aus dem Gesicht.

Na prima, Matt. Du musst ein Geheimnis bewahren, vergiss das nicht. Lenk sie bloß ab!

»Du darfst nicht alles glauben, was du liest. Don’t believe everything you read, baby, everything you see, baby, I can be your everything, baby …« Er wand sich. So ein Mist! Was hatte ihn bloß geritten, die Songtexte seines Bruders zu zitieren? Die ganze Zeit hatte er sich so gut in Wills Rolle geschlagen, aber drei Sekunden mit dieser Anya reichten aus, um ihn völlig aus dem Konzept zu bringen.

»Echt jetzt? Funktioniert das wirklich, Mädels mit deinen eigenen Liedtexten zu beeindrucken?« Sie sah fast aus, als würde sie sich für ihn schämen oder ihn bemitleiden.

»Ich … äh … entschuldige.« Er stammelte absichtlich, um Wills Schüchternheit zu simulieren. »Du … du siehst einfach so hübsch aus.« Himmelherrgott. Selbst Will wäre da etwas Geschmeidigeres eingefallen.

Sie sah unbehaglich an ihrer schwarzen Strumpfhose, der kurzen Jeans und dem löchrigen T-Shirt hinunter. »Jetzt weiß ich, dass du lügst. Wie schön. Das ist doch ein guter Anfang.« Sie zog ein dickes Notizbuch aus ihrer Tasche und hievte sich den Rucksack auf die Schulter. Dann zog sie mit dem Mund die Kappe von ihrem Stift und nickte. »Ein sehr guter Anfang.«

Mist.

Kapitel 2

Sobald sie die Tür hinter sich zufallen hörte, blieb Anya stehen und streckte ihre Hand vor sich aus. Sie zitterte, als wäre sie gerade Zeugin eines Mordes geworden. Sie ballte die Hand zur Faust und atmete tief durch. Selbst der Atemzug war zittrig. Sie hatte völlig vergessen, wie lange es her war, dass sie jemandem in die Augen gesehen hatte. Dass sie mit jemandem ihres Alters gesprochen hatte. Dass sie an irgendetwas anderem Interesse empfunden hatte als daran, einen sicheren Schlafplatz für die Nacht zu finden.

Vor zwei Jahren war sie davon aufgewacht, dass der Gerichtsvollzieher an die Tür hämmerte, und seitdem war sie fast ausschließlich auf sich selbst gestellt gewesen. Okay, es hatte eine Pflegefamilie gegeben, aber nach drei Tagen war Anya zu dem Schluss gekommen, dass sie lieber auf offener Straße erschossen werden würde, als eine weitere Nacht unter ihrem Dach zu verbringen.

Überleben hieß, unsichtbar zu bleiben. Nicht aufzufallen.

Aber Will war sie aufgefallen.

Sie war selbst schuld. Sie hätte nicht so angriffslustig sein sollen. Aber was hätte sie sonst tun sollen, wenn er so mit ihr redete? Er hatte doch geradezu um eine verbale Ohrfeige gebettelt.

Sie musste in Zukunft vorsichtiger sein. Es war schon ein Wunder, dass sie es bis hierher geschafft hatte.

Zu ihrem großen Glück war ihre Schreibe bei WowSounds.com so gut angekommen, dass niemand genauer nachgeforscht hatte, wer die Autorin war. Sie hatte diesen einen Artikel über Obdachlose geschrieben, aber nie offenbart, dass sie so viel darüber wusste, weil sie selbst auf der Straße lebte. Den Scheck über 50 Dollar hatte die Redaktion an einen freundlichen Ladenbesitzer geschickt, der ihn für sie eingelöst hatte. Dann hatte sie eine Reportage über das Leben auf den Straßen von Tulsa verfasst, die ihr 250 Dollar eingebracht hatte – und außerdem das Angebot, zwei Wochen mit der Band zu verbringen.

Die Leute bei WowSounds.com hatten keinen Schimmer, dass Anya erst siebzehn war. Schließlich hatte sie den Leuten vorgegaukelt, sie wäre verheiratet und hätte Kinder. Noch eine Lüge. Doch mit dieser Lüge hatte sie die Leute bei WowSounds.com für sich gewinnen können. Auch wenn sie ihr zusammen mit den anderen wie Blei im Magen lag.

Sie fand den Hanging-On-Bus – nicht unbedingt ein Geniestreich, denn der Name prangte groß auf der Seite – und klopfte an die Tür.

Die Tür flog krachend auf und eine junge Frau starrte auf sie herab. Im nächsten Augenblick verzog ihr Gesicht sich zu einem Lächeln. »Du musst Anya Anderson sein. Komm doch rein.« Die Frau trat zurück in den Bus und verschwand aus Anyas Blickfeld.

Anya stieg die paar Stufen in die Dunkelheit und versuchte, den Anschluss an die Frau nicht zu verlieren. Hier drin war es wie in einer anderen Welt. Die Sonnenblenden waren an allen Fenstern heruntergelassen, und Punktstrahler beleuchteten beigefarbene Sessel, Sofas und Sitzecken.

Die Frau sprach weiter, als Anya sie eingeholt hatte. »Wir sind nur zu zweit in diesem Bus. Es gibt sechs Schlafkojen, gleich hier. Ich habe mir die ganz hinten genommen, ich hoffe, das ist okay für dich. Allerdings werde ich nicht viel hier sein. Meine Familie ist zu Besuch, und die wohnen alle in einem schicken Hotel in der Stadt, die meiste Zeit werde ich wohl dort sein. Such dir ein Bett aus.« Sie plapperte mit etwa hundert Stundenkilometern, ihre langen, dunklen Haare wippten bei jedem Schritt und fast jedem Wort.

Der Schlafbereich war unbeleuchtet und jede Koje hatte einen Vorhang. Anya zog einen davon auf und warf einen Blick hinein. Die Betten waren recht groß, darüber gab es Stauraum für persönliche Dinge, und am Fußende hing ein Fernseher an der Wand. Es waren Stockbetten, das untere der beiden schien eine Spur mehr Platz zum Aufrechtsitzen zu bieten. Als Anya den Rucksack von ihren Schultern gleiten ließ, spürte sie ein Kribbeln in den Augen. Heute Nacht würde sie in einem richtigen Bett schlafen. Behutsam strich sie über die weichen Laken.

»Alles okay mit dir?«, fragte die Frau.

Ehrlichkeit wäre zwecklos gewesen. Stattdessen streckte sie die Hand aus. »Ich bin Anya.«

Das breite Lächeln kehrte zurück. »Natasha. Ich mach das Make-up, wenn Deb freihat. Ein Hoch auf die Gewerkschaft, was? Nie mehr dreihundert Tage am Stück arbeiten! Was ist dein Job?«

»Ich schreibe über die Band. Genau gesagt über Will Fray.« Anya zog den Vorhang vor ihrer Koje wieder zu. »Sind meine Sachen hier drin sicher?«

»Na klar. In diesen Bus kommt nie jemand. Er ist nicht so schick wie die anderen. Hin und wieder wohnt noch jemand anderes hier. Normalerweise schläft auch Daisy hier, sie ist Trevins Freundin, aber gerade für ein paar Wochen zu Hause. Ihre ganzen Sachen sind noch da, über dem oberen Bett ganz hinten.« Natasha sah Anya von oben bis unten an und zog die Brauen hoch. »Du bist Reporterin? Dafür siehst du ganz schön jung aus. Wie alt bist du? Das Päckchen, das für dich gekommen ist, war an eine Mrs. Anya Anderson adressiert. Bist du etwa verheiratet?«

Himmel noch mal. Anya brauchte ein paar Sekunden, um ihre Gedanken zu ordnen. »Ich bin neunzehn. Da hat sich wohl jemand vertan. Ich bin nicht verheiratet.« Ablenkung, Ablenkung. Ich brauche was zur Ablenkung. »Was für ein Päckchen?«, fragte sie schnell.

»Steht in der Bordküche. Ich glaube, als Absender stand da WowSounds. Für die arbeitest du?« Natasha ließ sich in einen Sessel fallen und schwang die Beine über die Armlehne. »Neunzehn? Du hast fantastische Haut. Ich würde liebend gern mal mit dir arbeiten.«

Anya drehte und wendete das Paket in den Händen. Was mochte man ihr da geschickt haben?

»Willst du es nicht aufmachen?«, fragte Natasha.

Anya nahm eine Schere aus dem Messerblock auf der Arbeitsplatte der Bordküche und betrachtete sie einige Augenblicke. Sie sah aus wie jene Scheren, die ihre Mutter ihr früher zum Ausschneiden von Anziehpuppen gegeben hatte. An die Schere erinnerte sie sich, aber vieles andere, was mit ihrer Mutter zu tun hatte, hatte sie ausgeblendet. Wie groß sie war, wie sie sprach, sogar ihr Gesicht. Also jedenfalls das freundliche Gesicht. Nicht das zugedröhnte. Das würde sie wahrscheinlich nie mehr vergessen.

Sie schnitt das Klebeband auf. »Und wie alt bist du?«, fragte sie dann. Schließlich war Angriff die beste Verteidigung.

»Dreiundzwanzig, aber verrate es niemandem. Die glauben, ich bin fünfundzwanzig. LJ hat eine neue Altersregel für Frauen auf der Tour aufgestellt. Alle jüngeren Mädchen, die aus irgendeinem Grund bei der Tour dabei waren, haben was mit einem der Jungs aus der Band angefangen. Und das mag LJ ganz und gar nicht.«

»Warum nicht?«

Natasha lächelte, als wüsste sie etwas, das sonst niemand wusste. »Die Bandmitglieder sollen alle Single und verfügbar sein. Die neue Altersgrenze für Angehörige des weiblichen Geschlechts ist fünfundzwanzig. Also halt dich um Gottes willen von LJ fern. Der kauft dir nie im Leben ab, dass du älter als neunzehn bist. Nicht böse gemeint. Du bist schneller raus aus der Tour als ein Fan aus der Unterwäsche.« Ihre Beine wippten im Takt einer Hintergrundmusik, die Anya bis gerade noch nicht bemerkt hatte.

»Warum hast du mir dein richtiges Alter verraten? Ich meine, wenn jemand davon erfährt, wirst du gefeuert.«

»Ja. Aber du kannst doch ein Geheimnis bewahren, oder nicht?«

Anya hätte beinah laut gelacht. Stattdessen lächelte sie und nickte.

»Dann ist doch alles gut. Neuen Freunden muss man einen Vertrauensvorschuss geben. Vor allem auf so einer Tournee. Hier wird man zu einer Art Familie. Wir pennen im selben Bus, also sind wir Familie.« Natasha klang, als wäre das damit besiegelt. Sie waren Freunde. Familie sogar. Punkt.

Die Vorstellung, eine Freundin zu haben, der sie vertrauen konnte, ließ Anyas Herz höherschlagen. Sie beschloss, dem Rat ihrer neuen Freundin zu folgen und diesen LJ lieber nicht darauf anzusprechen, dass ihr Zugang zur Band auf Will beschränkt war. Sie durfte diese Sache nicht vermasseln. Sie musste einfach das Beste daraus machen.

Sie schälte einen Tablet-Computer aus seiner Plastikverpackung. Er war deutlich sichtbar mit dem WowSounds-Logo versehen und hatte einige Kratzer an den Kanten, weshalb sie vermutete, dass das Gerät bereits gebraucht war.

Dabei lag eine Notiz der für sie zuständigen Redakteurin.

Liebe Mrs. Anderson,

wir schicken Ihnen dieses Gerät, weil es einen Shared Drive hat. Reichen Sie damit einfach Ihre täglichen Blogposts und ihren abschließenden Artikel ein, dann brauchen Sie die Texte nicht extra zu mailen und sie können nicht verloren gehen. Ich hoffe, wir sehen uns bald.

Viel Glück,

Cynthia Wilcox

Redakteurin

WowSounds.com

Gut! Der Gedanke, sich in die örtliche Bibliothek schleichen zu müssen, um ihre Artikel einzureichen, hatte sie ein bisschen nervös gemacht, und sie hatte sich schon ausgemalt, dass der Tourbus ohne sie wegfahren würde, während sie noch versuchte, ihre Posts auf einen fast schon antiken Computer hochzuladen. Sie hatte sogar daran gedacht, sich von jemandem einen Laptop auszuleihen.

Ihr wurde etwas leichter zumute. Vielleicht war das ein gutes Omen.

Aber die Worte am Ende des Briefs …

Ich hoffe, wir sehen uns bald.

Anya betete, dass es sich nur um eine Grußformel handelte und kein konkretes Vorhaben dahintersteckte. Sie konnte die Redakteurin unmöglich persönlich treffen. Himmel, das wäre wirklich eine Katastrophe.

»Soll ich dich ein bisschen rumführen?« Natasha sprang auf, als wäre es viel zu langweilig, länger als ein paar Minuten am Stück still zu sitzen. »Ich warne dich, viel machen kann man hier nicht. Tagsüber pennen die meisten normalerweise, weil wir oft bis in die frühen Morgenstunden auf sind.« Sie führte Anya aus dem Bus und die Stufen hinunter.

Natasha erzählte ihr, wer in den jeweiligen Bussen wohnte, während sie an der langen Reihe vorbeigingen, die sich am Rand des Arenaparkplatzes entlangwand. Als sie an The One vorbeikamen, fiel Anya auf, wie jemand durch die Tür verschwand, von der sie abgewiesen worden war. Das musste ein Mitglied von Seconds to Juliet sein. Einer der Jungs, über die sie nicht berichten durfte. Sie reckte kurz den Hals, um zu sehen, ob sie sein Gesicht einem der Fotos auf dem Bus zuordnen konnte. Leider war er zu schnell verschwunden.

Matt entspannte sich, als Trevin in den Bus kam. Er wusste als Einziger von seinem Geheimnis. Und er wusste als Einziger über Will Bescheid.

»Wie geht’s ihm?«, fragte Trevin und setzte sich auf einen der Ledersessel.

»Ihm geht’s gut«, antwortete Matt. Er wusste nie, was er auf diese Frage antworten sollte. Will vertraute Trevin, weil die beiden sich im Laufe der Tournee nähergekommen waren, aber Matt kannte ihn nicht gut genug. Wenn er zugab, dass Will immer noch in der Entzugsklinik war und Schwierigkeiten hatte, ohne Drogen mit seiner Verletzung fertigzuwerden, würde Trevin diese Information dann irgendwie verwenden?

»Freut mich zu hören«, sagte Trevin. »Es ist einfach nicht dasselbe ohne Will. Ich meine, ihr seid euch ähnlich, aber es ist einfach nicht dasselbe, weißt du?«

Das kannst du laut sagen. »Nee, weiß ich nicht.« Matt lachte. Auch wenn er Trevin noch nicht sehr gut kannte, er mochte ihn einfach. »Kann ich was für dich tun?« Er goss sich eine Tasse Kaffee aus der Kanne ein und hielt sie in einer stummen Willst-du-auch?-Geste hoch.

Trevin schüttelte den Kopf. »Was du für mich tun kannst, ist, nicht immer I wash your back zu singen, wenn es I watch your back heißen müsste. Du glaubst vielleicht, dich hört keiner, aber ich höre dich, und LJ hört dich auch, da kannst du deinen Arsch drauf verwetten.«

Matt lehnte sich an den Küchentresen. Aha!

»Na, das ergibt immerhin mehr Sinn in Verbindung mit dem restlichen Text.« Er öffnete eine Schublade und nahm das Songbook heraus, das Will für ihn geschrieben hatte. Schweinehund. »Tut mir leid, Alter. Der kleine Drecksack hat I wash your back geschrieben. Er hat mich schon immer gern verarscht.«

Trevin schnappte sich das Buch und las es durch. »Hey, im Zweifel für den Angeklagten. Er hatte immerhin Schmerzen, als er dir das aufgeschrieben hat. Gib mal ’nen Stift.«

Matt warf ihm einen Bleistift zu, und Trevin fing an, in dem Buch herumzukritzeln. O verdammt. Wie es aussah, hatte er bei einem ganzen Haufen Songs einen falschen Text gesungen. Kein Wunder, dass Trevin vorbeigekommen war, um mal nach dem Rechten zu sehen.

Sie würden einfach das Beste aus der Situation machen müssen, bis Will zurückkam. Niemand hätte irgendetwas von alldem vorhersehen können.

Als Will sich bei den Proben für die Tour das Kreuzband gerissen hatte, hatte LJ ihn mit Schmerzmitteln vollgepumpt, damit er die Tour fortsetzen konnte. Eines Abends hatte Will heulend und zitternd vor dem Haus seiner Mutter in Florida gestanden und sie um Hilfe angefleht. LJs Anwalt hatte umgehend damit gedroht, Will beziehungsweise seine Mutter auf 20 Millionen Dollar zu verklagen, sollte er die Tour abbrechen, um einen Entzug zu machen. Schließlich wäre das Vertragsbruch.

Einen Haarschnitt und einen Probeabend in der Garage später war Matt mit dem Songbook ausgerüstet auf Tournee und Will in der Entzugsklinik. Das war vor drei Wochen gewesen, und wenn Matt ehrlich war, hatte er selbst nicht weniger hart zu kämpfen als Will. Auf Wills Namen zu reagieren, bei den Texten und Choreografien mitzuhalten – es war die Hölle. Aber durch diese Hölle musste er gehen, um seiner Familie den Scheiß mit LJ zu ersparen.

Noch ein paar Wochen, dann würden sie zurücktauschen können, und niemand würde etwas davon erfahren. Matt konnte wie geplant aufs College gehen. Er rieb sich das Gesicht. Das war wahrscheinlich das größte, gefährlichste Verwirrspiel der Welt und er steckte mittendrin.

Wenn er gewann, würden er und sein Zwilling ihr Leben zurückbekommen. Wenn er verlor, wären sie für alle Zeit verschuldet und vermutlich obdachlos. Verdammt, es würde die ganze Band vernichten, wenn irgendetwas davon herauskam.

»Das sollte reichen. Geh das vor der Show heute Abend noch mal durch.« Trevin gab ihm das Buch zurück.

Matt nahm es. »Hast du mitgekriegt, dass LJ mich für zwei Wochen mit einer Reporterin verkuppelt hat? Sie ist heute angekommen und hat das hier geschwenkt.« Er gab ihm den Brief.

Trevin las ihn sich durch. »Mist. Das würde er nur machen, wenn er einen Verdacht hätte, oder?«

»Ich weiß nicht, Mann. Sie ist von WowSounds.com, dann muss es doch seine Richtigkeit haben.« Matt nippte an seinem lauwarmen Kaffee und sah durch die getönte Fensterscheibe nach draußen. Wenn sie sich an seine Fersen heftete, musste er noch mehr in seiner Rolle sein als bisher. Vielleicht gehörte das zu LJs Plan. »Glaubst du, er weiß Bescheid?«

Es musste einen Grund dafür geben, dass LJ ihm eine Reporterin auf den Hals hetzte, oder? Als die Band frisch gegründet gewesen war, hatte LJ sie nur unter der Bedingung vertreten wollen, dass sie alle einen Vertrag unterzeichneten, der ihn zum sechsten Bandmitglied machte. Jeder bekam den gleichen Anteil. Aber wenn einer von ihnen ausschied, würde LJ dessen Anteil zusätzlich bekommen.

»Nein. Na ja, ich weiß es nicht. Er würde nicht riskieren, etwas zu sagen, solange er sich nicht hundertprozentig sicher ist. Aber du weißt, dass er scharf auf Wills Anteil ist, also möchte er damit entweder Will unter Druck setzen, sich wieder Pillen einzuschmeißen, oder …«

»… oder einfach mich rausschmeißen, weil ich Matt bin. Verdammt.«

Damals war es ein guter Deal gewesen, weil die Band den fünffachen Platin-Schallplatten-Gewinner offen gesagt dringender gebraucht hatte als er sie.

Aber jetzt?

Jetzt fragten sich Matt und Trevin, ob LJ Will absichtlich eine Falle gestellt hatte. Am liebsten hätten beide den Manager grün und blau geprügelt. Aber das konnten sie nicht, nicht solange LJ so viel Macht über die Band hatte.

Immer schön den Kopf unten halten und mitspielen. Vier Wochen noch, bis Will aus der Klinik kommt. Plus/minus …

Trevin stand auf. »Mach dir keine Sorgen, ich hole euch da beide wieder raus. Bleib … bleib einfach cool, leg dich nicht mit LJ an, und um Himmels willen, wickle diese Reporterin um den Finger. Bring sie dazu, dich zu mögen. In zehn Minuten auf der Bühne, okay?«

»Klar. Danke, Mann.« Sie verabschiedeten sich mit einem Faustgruß, dann verließ Trevin den Bus so, wie er ihn betreten hatte: mit einer knallenden Tür.

Matt holte tief Luft und streckte die Hand vor sich aus. Sie zitterte ein bisschen. Wenn auch nicht so sehr wie in der Woche zuvor.

Kapitel 3

Anya holte Luft und hob die Hand, um anzuklopfen. Gerade war sie LJ begegnet. Sie hatte es vermeiden wollen, aber er war aufgetaucht, als sie mit Natasha aus dem Make-up-Wagen kam. Sie hatten den Bus verlassen, als zwei Mädchen hereinkamen, die mit der Maske dran waren. Anschließend hatte Natasha ihr erklärt, dass die beiden S2Js Vorband waren und Anya ihnen nach Möglichkeit lieber aus dem Weg gehen sollte.

Damit konnte Anya leben. Sie wollte auf gar keinen Fall in Schwierigkeiten geraten. Wenn jemand sie aus irgendeinem Grund zu genau ansah, würde sie schneller aus der Tour fliegen, von WowSounds gefeuert werden und wieder auf der Straße landen, als sie S2J kreischen konnte.

Als Natasha gerade anfing, über die beiden Mädchen abzulästern, waren sie LJ in die Arme gelaufen. Er hatte die Stirn gerunzelt und Anya zurück zu Will Fray geschickt. Sie solle ihn nicht aus den Augen lassen, trug er ihr auf. Sie stammelte ein »Ja, Sir« und sauste los, um Will zu suchen. Immerhin hatte er ihr das Alter abgekauft. Wahrscheinlich. Vielleicht. Sie war sich nicht sicher. Sie wusste, dass sie ein bisschen älter aussah, als sie war, das war gut, aber er hatte sie dennoch mit einer gehörigen Portion Misstrauen angesehen. Verdammt. Ihm in die Arme zu laufen, war schlimmer gewesen als das eine Mal, als sie von diesen betrunkenen Collegetypen verfolgt worden war. Damals hatte sie sich in den Straßen besser ausgekannt als ihre Verfolger und sie schließlich abschütteln können. Aber LJ. Der war noch sehr viel angsteinflößender. Er spielte in einer anderen Liga. Vor allem, weil er die Macht hatte, sie rauszuwerfen. Und sie musste bleiben. Für Jude.

Anya ließ die Hand sinken und trat die Einstiegsstufen des Busses hinunter auf den Parkplatz. Einatmen. Ausatmen. Sie ballte die zitternden Hände zu Fäusten. Sie war in Sicherheit. Einatmen. Ausatmen. Niemand konnte ihr etwas tun. Sie musste nur einen Weg finden, auf der Tour zu bleiben, und sich so lange aus Schwierigkeiten raushalten, bis sie ihre Story hatte.

Wieder sah sie zu Wills Tür. Es war so lange her, dass jemand mit ihr geredet hatte. Richtig geredet. Und ihr in die Augen gesehen hatte.

Die Erlebnisse des heutigen Tages drohten sie zu überwältigen. Und sosehr sie sich wünschte – o Gott, wie sehr sie es sich wünschte – zur Uni gehen zu können und einen Job zu finden, wäre sie in diesem Moment am liebsten wieder auf der Straße gewesen. Allein und anonym. In sich gekehrt, ohne mit irgendjemandem sprechen zu müssen. Auf der Straße war es gefährlich, aber dort wusste sie wenigstens, wie sie sich schützen konnte. Wie man hier überlebte; davon hatte sie keine Ahnung.

Komm schon, du kannst das schaffen.

Sie holte noch ein letztes Mal Luft, dann stapfte sie lautstark die drei Stufen wieder hinauf und hämmerte mit der flachen Hand gegen die Tür, kaum dass sie oben war.

Keine Gefangenen.