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Bald stehen die Olympischen Spiele auf bayerischem Boden an. Kriminalinspektor Lux Thomas geht mit seiner Sonderkommission den Gerüchten über dreiste Dopingsünder nach. Dabei stoßen die Polizisten auf eine Mauer des Schweigens, auf arrogante Sportlerinnen, gnadenlose Trainer und eine ganze Reihe geldgieriger Profiteure des sportlichen Events. Und es dauert nicht lange, bis ein Leichenfund allen klar werden lässt, dass es bei den Ermittlungen um weitaus mehr geht als um Pillen und Goldmedaillen, nämlich um Leben und Tod! Lux Thomas, seine Frau Kathrin und ihr gemeinsames Team müssen lernen, dass ein altes Sprichwort seine Berechtigung hat: Sport ist Mord!
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Seitenzahl: 316
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Louis Saner, geboren 1942, lebt seither im gleichen Quartier, in Kleinhüningen, dem Hafen-, Industrie- und Arbeiterviertel Basels. Bis zu seiner Pensionierung arbeitete er 45 Jahre lang als Laborant in der Chemieindustrie. Dass es ihm in Kleinhüningen nicht zu eng wurde, liegt auch an zahlreichen Ausbrüchen: Seine Reisen führten ihn in die ganze Welt.
Bereits 1960 begann er nebenberuflich mit dem Verfassen von Romanen. Die Reihe um den bayerischen Inspektor Lux Thomas, dessen Kriminalfälle oft politische Brisanz erhalten, wurde über die Jahre mehrfach neu überarbeitet und erscheint nun erstmals in dieser besonderen Edition.
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.
Anhand der zerknitterten Physiognomien gehe ich wohl recht in der Annahme, dass die befürchtete Katastrophe in vollem Umfange eingetreten ist.“
Der mit dieser brutalen Unverfrorenheit mitten in ein Arbeitsessen von Bürgermeister, Polizeipräsident und einigen grauen Kriminal-Eminenzen platzte, war Fred, rathauseigener „Butler“. Er konnte sich mit Kaffeekanne und Schwarzwäldertorte eben noch hinsinkend zu Tisch retten. Dabei deponierte er die ganze Herrlichkeit mit solcher Rasanz, dass die Sahne ehrfurchtsvoll erzitterte und die eherne Kanne das hohe C hinausscherbelte, wobei sie noch einen veritablen „Notsprutz“ in Richtung elitärer „Kravatterie“ sowie Haute-Couture emittierte.
„Sie gehen!“, fauchte Harro Ritzmann gehässig. „Nein, nicht zum Teufel, sondern richtig. Liegn daans jo scho halber ohnehii. Bleibns do, und essns a Stückl Tortn mit uns über den nicht mehr unerwartetn Schreckn nunter.“
„Es ist also Tatsache: Die Linken haben die Nachwahlen gewonnen“, seufzte Kriminaldirektor a. D. Gustav Adolf Jäger, sich an den Kopf greifend.
„Darüber müsste ich als Sohn eines Gewerkschafters hoch erfreut sein“, warf der Bürgermeister ein. „Aber - was für Linke ... da schon bedeutend weniger, jawoll!“
„Vor drei Stunden hat die letzte Instanz die Wahlbeschwerde abgewiesen“, erklärte Alberto Rossi, den hochkonzentrierten Rauch seines Knasterstumpens ausstoßend, wonach er noch mit dem Geschnaube eines rheumatischen Droschkengauls seinen markanten Seehundschnauz schwabbeln ließ. „Die ganze Beschwerdeführung war schwachsinnig und von Anfang an ohne Chance.“
„Du sagst es“, fuhr Ritzmann düster fort. „Ich hab den sogenannten christlichen Damen und Herren Arbeitgeberpolitikerundpolitikerinnen“, er holte keuchend Luft, um nach der politischen Korrektheit in Reinkultur fortzufahren, „schon vor Monaten gesagt, dass sie die nächste Wahl gegen Rotgrün verlieren, wenn sie mit ihrer Shareholder-Profit-Politik nur noch einen einzigen Zahn zulegen. Man hat mich ausgelacht. Dann hat man sich noch einen Finanzskandal geleistet, der in den Vorortsgemeinden wegen nicht mehr wählbarer Straftäter - ja, so hat das Gericht befunden - zu Nachwahlen führte. Jetzt ist der ganze Kreis gekippt. Wenn die Mehrheit der Gemeinden nachzieht, dann fällt deren Einspruchsmöglichkeit flach, die man der Stadt anlässlich des Patts abgerungen hat, weil man nicht einmal mehr einen Kreistag bilden konnte. Und dann steht einer modern-linken Stadtregierung Tür und Tor für alle Schnapsideen offen. Das war schon unter dem jahrelang christlich-rechts geprägten Stadtrat nicht gut. Das Ungute erhält nun eine ganz neue Qualität. Das war's dann also.“
„Die in einer sauberen Wahl gewählte Linke bleibt im Amt und kann nun ab sofort antreten“, stellte Rossi grimmig fest.
„Apropos sauber“, übernahm nun der Bürgermeister wieder das Wort. „Anhand der verfahrenen Situation habe ich versucht, solche aus beiden Lagern, die noch die Spur von Pragmatismus erahnen ließen, zur Zusammenarbeit in einer Regierung zur Rettung der hochbrisanten Lage der Stadt aufzurufen. Von den Reichen scholl mir nur Arroganz entgegen, als hätten sie die Regierung auf alle Zeit gepachtet. Von den Linken nur Hohn. Verdammt! Natürlich haben gleich mehrere der jetzt regierenden Politiker was getan, das laut Gesetzbuch illegal ist. Was sich aber gewisse andere - und zwar beider Lager - leisten, die nach wie vor in Amt und Würden sind, ist viel volksschädigender, obwohl es laut Gesetz nicht verboten ist. Oder aber nicht beweisbar. Man verweigerte mir den Abdruck mehrerer Artikel in der Presse. Man hat ja die Oberhand über die Medien und die Welt der Künstler, weil sich die Managerclique schon seit Jahren so überlegen vorkommt, dass sie all die, ihres Geldes wegen, nicht braucht. Dabei wird diese Einseitigkeit zur Volksgehirnwäsche. Ich habe zuletzt in eigenen Veranstaltungen darauf hingewiesen, wohin die Stadt steuert, wenn nicht gemäßigte Kreise die Regierungsgeschäfte übernehmen. Bei meinen Vorträgen wurde ich vom ersten harmlosen Satz weg ausgebuht, dass kein Mensch mehr ein Wort verstand. Linke hatten dafür gesorgt, dass der größte Teil der Eintrittskarten an sympathisierenden Pöbel ging. Unbeweisbar, aber doch sicher so geschehen. Mit dem Effekt, den die Wahlen brachten, es ging bestenfalls noch um die reine Macht, ohne Rücksicht darauf, mit welchen extremen Kräften man die Mehrheit erlangt. Das höhnische Grinsen einiger Stadt- und Kreisratskandidaten sagte mir alles. Der Bürger, bis hin zum gehobenen Mittelstand, muss erst einsehen, dass es ihm schlechter geht, seit ausgerechnet linke Kreise die Managerblase so richtig groß werden ließen, weil die sich um jeden andern ideologischen Scheiß kümmerten und zugleich noch davon ablenkten, dass auch in ihrer Spitze mehrere mit Schandgehältern und gar Boni vertreten sind. Jetzt kommen in dieser Stadt die Fundis an den Drücker, die zugleich noch die Schwerreichen schonen, um an dieser Front Ruhe zu haben. Bei der letzten Wahl hatten die christlichen Stadträte nochmal die Chance zu zeigen, was falsch läuft. Aber sie haben sie jämmerlich vergeigt. Sie waren zu arrogant, zu gleichgültig, das Volk aufzuklären, warum sie was besser machen würden und wie – waren nur noch den Nadelgestreiften hörig. Die Sozialisten und Grünen verkauften einen Schmarrn mit Getöse. Die verteilen mit der Gießkanne auch an Faule und Clevere. Das sie, weil auch ihnen die Macht fehlt, von ganz oben was zu holen, aus dem Mittelstand melken. Und gaben, um an Macht und Mehrheit zu kommen, politischen und andern Sektierern die Lizenz zur Volksverblödung. Sie aber waren präsent und bauten so ihren Machtbereich zum Stimmengewinn auch auf dieser Seite aus. Wenn unsere politische Rechte darum überall mit Abstinenz und Bürgerferne glänzt, weil ihr die Schonung der Gierschlünde just zupasse kommt, wird sie damit den Untergang all dessen, das sich bewährt hat, inklusive Vernunft und Logik in sehr absehbarer Zeit einleiten. Von daher möchte ich nicht die Hand umdrehen, welcher Haufen denn nun der unfähigere ist in einer Dauermisere, die immer extremer wird, wenn nicht endlich die Richtigen von links bis rechts samt der Wählerschaft aufwachen. Am Ende haben wir Leute, wie den Berufsrevoluzzer Laferitz als Kreistagspräsidenten und die Berufsemanze Ismaninger als Bürgermeisterin.“
Er kratzte sich, eine Grimasse schneidend, im Haar. „O Herr, lass diesen rostigen Kübel an unsern Ruabn vorbeisegeln. Eh ich noch in froher Hoffnung auf die Erwartung des finalen Abschusses endgültig blasphemisch werde, jetzt sind wir so weit, dass die Bürger hier nur noch wählen können zwischen krampfhaften Profittreibern und krankhaften Sozialisten bedenklicher Prägung. Sie hören schon recht, Fred, die Grammatik war Absicht.“ Es entstand eine lange Pause.
„Das heißt, beide Regierungslager sind keinen Schuss Pulver mehr wert. Und in diesem Sinn und Geist habe ich auch gewählt, und zwar mit letzter Konsequenz!“ Rossi stieß erneut eine Rauchwolke aus.
„Weils mi 'n Polizeipräsidentn, mit tiafgfrorn' Apflstrudl derschossn hättn, wenn i net an d'Wahl ganga wär, hob i a son Haufn gwählt mit Namn ‚Bayern zuerst‘. In dem seim Programm hoaßts: Wemma a Postn z'vergebn hoam, so geht der erst an a Oa(ge)bbo(h)r(t)ne - Bua oder Madl - vo dene, wo's grad wen'ger saan. Und wenn's an Auslända besser koa, sei's a Preiss oda a Schinees, so kriagt der/dia'n, gloar? Ma saans doch koa Rassistn, - nu Bayuwarn. I fand's lustig. Wenn's net lüagn wia druckt. Druckt is' jo scho.“
Ritzmann erhob sich: “Und i hob vor aller Press und TV mit Grandezza und filmreifm Grinsn bis zuan Ohrwaschln fir d'Kraut und Ruabn-Partei oagschmissn, dia wo schreibn: A Programm hamma koas, aba lustig sammas. Bis zem Untergang.“
„Also manchmal ist Galgenhumor die letzte Lösung“, brummte Jäger zerknittert.
„Auf jeden Fall hat es schon bedeutend mehr Spaß gemacht, Bürgermeister zu sein“, fügte Ritzmann verdriesslich hinzu. „Klar, dass ich die nächste Wahlperiode nicht überstehe, wenn man hinter unser kleines Geheimnis kommt.“ Er nickte Rossi zu. „Und jetz räuma-mas Kaffee und Tortn zsamm, eh dia echt Zünftign no a Herzkasprl kriagn, weil ma net hinta a Mass sitzn.“
„Wenn so viel übrig bleibt, dann bin ich so frei! Sir!“ Der britisch-stämmige Butler schlug so stramm die Haxen zusammen, dass er den „Auslauf“ der Kaffeetasse elegant mit seinem geblümten Schnäuzalbum aufsog, ehe er sich in Eigenregie ein schon aufgeschnittenes Tortenstück genussvoll mampfend in den Mund schob. Dann holte er ein Steinzeit-Handy hervor und gab den Küchenbefehl gleich auf diese Weise an die weiter, denen er sich, dank seines original englischen Butlerstands, haushoch überlegen vorkam.
*
Ich habe dir, Lux, und euch allen eine hochbrisante Mitteilung zu machen“, meldete sich eine Vierttelstunde später Alberto Rossi zu Wort, nachdem er ihn und seine „Elefantität“, Inspektor Larry Holzhammer, empfangen hatte. In deren Schlepptau befand sich zu aller Erstaunen Margo Antes, Gustav Adolf Jägers Lebensgefährtin, das ehemals große Talent der rhythmischen Sportgymnastik.
„Wenn nur etwas an gewissen Gerüchten dran ist, steuern wir auf einen Riesenskandal zu. Hier finden in diesem Jahr die Landesmeisterschaften der Radfahrer, dann die internationalen Leichtathletik-Meisterschaften statt. Und als Krönung die olympischen Sommerspiele. Schon vor vier Monaten haben wir uns mit hohen Sport-Mandatsträgern zusammengesetzt, um ein Sicherheitsdispositiv für Stadt und Spiele zu erstellen. Wir, das sind der Ausbildungschef der Polizei, der Chef der Verkehrs- und Spezial-Polizeien und meine Wenigkeit. Alles schien glatt zu gehen, bis vor drei Wochen bei mir ein Sportjournalist mit Namen Reinhold Schlager aufkreuzte. Ich war skeptisch und wollte ihn eigentlich gar nicht empfangen. Ich bin doch kein Kriminaltrottel, der sich Sensationsstorys anhören muss, noch sich solche entlocken lässt. Aber vielleicht habe ich, wie der Bayer so schön sagt, a Noosn, dass ich ihn doch persönlich zu mir vorließ. Er will Angaben haben, dass am obersten bayerischen Sportinstitut etwas läuft, das in einen Dopingskandal sondergleichen münden könnte. Am Sportinstitut werden viele Dopingproben in Urin und Blut analysiert, aber auch Sportforschung betrieben, wie etwa über die Wirkung von erlaubten Aufbaupräparaten. Schlager kennt dort einen Schulfreund, Dr. Boris Alexander, und der soll ihm gesagt haben, dass ein Institutskollege, Dr. Bernd Fiedler, höchst eigenartige Forschung betreibe, die so verlaufe, als wolle man herausfinden, wie gewisse Dopings analytisch zu verschleiern wären. Man solle aber ja keine Namen ins Spiel bringen, vor allem nicht den von Schlager selbst. Hab lange überlegt, was zu tun sei. An wen ich mich wenden könne. Dann sagte ich Schlager, dass ich seinen Namen herauszuhalten gedenke, und plötzlich wurde mir die Entscheidung vorweggenommen. Es meldete sich der Generalsekretär des Olympia-Rates, Viktor Blaha, dem ebenfalls ein vager Fingerzeig über ein neues Dopingsystem zugespielt worden war. Er tat dies im Auftrag seines Präsidenten, Prinz Karl Ferdinand von und zu Waldeck-Fürstenberg, im Übrigen ein ehemals exzellenter Segler. Damit ist die Katze aus dem Sack! Wir haben das Vergnügen, dem nachzugehen, ob an dem Gerücht was dran ist und, wenn ja, den großen Skandal zu verhindern. Das alles natürlich, ohne den Journalisten zu gefährden. Zu diesem Zweck gründe ich auf der Stelle eine Sonderkommission, mit dir, Lux, an der Spitze und ernenne Inspektor Holzhammer zugleich zu deinem Stellvertreter. Er kommt, wenn's sein muss, auch mit einem sportlich schweren Jungen zurecht.“
„Herr Präsident, ich mache mit Freuden meine Fäuste betriebsbereit.“ Larry war mit dröhnender Stimme aufgesprungen. „Und wenn die nicht reichen, klopft meine Frau noch den Rest windelweich!“
„Gott bewahre uns davor!“ Rossi winkte keuchend ab.
„Aba gscheiter is besser! Und sie, Frau Antes, stehen uns als Sonderberaterin bei. Das hab ich mit Gustl so ausgemacht, wenn es ihnen genehm ist. Nehmens dabei kein Blatt vorn Mund, wenn wir in Kollegenkreisen sind. Das ist auch so von mir sanktioniert.“
„Mit Sport habe ich mich intensiv befasst und habe nur darum mein Einverständnis gegeben.“ Margo war, ihr flachsblondes Haar zurückstreichend, aufgestanden. „Somit als erstes folgende Anmerkung: Auf Olympia und die andern Anlässe hin hat der oberste Chef und Besitzer der bekannten Rosefeld Sportklinik, Prof. Richard Burstin, eine Ethikkommission gegen das Doping ins Leben gerufen, der hauptsächlich vergangene Sportgrößen angehören. Für mich ist das eine glatte Profiliererei dieses Profaxen, denn noch vor zwei Jahren hat er sich sehr skeptisch über Dopingkontrollen ausgelassen.“
„Ja, und eine dieser elf Gestalten ist ausgerechnet Marita König“, fuhr Gustav Adolf Jäger fort.
„Jetzt weiß auch ich Bescheid“, warf Lux Thomas aus dem Hintergrund ein. „Marita König, geschieden, ledige Segessy, ungarische Ex-Schwimm-Weltmeisterin. Man wollte sie damals wegen Dopingmissbrauchs disqualifizieren. Aber es war ein Formfehler geschehen. Schließlich haben sich ein paar wichtige Leute so lange für sie verwendet, bis sie, tränenvergießend und ewige sportliche Reinheit schwörend, ihre Medaille behalten durfte.“
„Ganz besonders hat sie ein Sport-Mäzen und Agent unter die Fittiche genommen, ein dubioser Finanzmagnat angeblich russischen Landadels mit deutschem Pass, der aber einst für Luxemburg als Reiter startete und sogar ein olympisches Diplom holte“, führte Rossi weiter aus, „Fürst Eckhard Jan Oswald Obasch-Arkovian-Grafenberger.“
„Wie? Was? König Achmed-Elia-Franzl Besenbinder von Thurn und Rasenmäher-Seppenpebberle“, platzte Thomas heraus, „Wie wäre es, anhand der ernsten Lage, etwas ernsthafter zu bleiben?“ Jäger sen., der dies mit strafbarem Blick fragte, lag das Lachen schon selbst hinter den Zähnen.
„Also einen blöderen Fürstennamen hab ich auch noch nie gehört“, stellte Alberto Rossi die Sachlage klar. „Irgendwie ist der so falsch, wie der Titel. Soll mich wunder nehmen, woher der die Papiere dafür beschafft hat, auch wenn's verjährt ist.“
„Auf jeden Fall präsentiert sich die Situation so, dass ich mit meiner Mannschaft versuchen muss, gegen höchst imaginäre Gangster zu ermitteln. Ich darf nicht sagen, das ich etwas weiß, so, dass kein eventuell Beteiligter Lunte riecht und am Ende noch gegen mich wegen Verleumdung und übler Verdächtigung klagt. Ein Paradefall, um von einem Fettnapf in den nächst größeren zu latschen, wenn sich alles als aufgeblasene Sensationsstory erweist“, resümierte Lux lakonisch. „Gib mir wenigstens von vorgestern bis gestern Zeit, um zu überlegen, wie und wo ich überhaupt anfangen soll.“
*
Kathrinchen, lass alles fallen, liegen und stehen, was du in der Hand hast oder sonst wie auf dir trägst!“ Margo Antes, die vor dem Fernseher saß, schrie es vor Begeisterung förmlich hinaus. „Das musst du gesehen haben!“
Diesem „Befehl“ folgte die Angesprochene Schöne vom Polizeipräsidium mit der herrlichen schwarzen Lockenpracht aufs Wort. Sie kam, nackt, wie ihre Mutter sie geboren hatte, aus der Dusche heraus angerannt und warf, immer noch halbwegs triefend, im vollen Lauf das Frottiertuch weg, womit also zugleich die letzte Deckungsmöglichkeit in unerreichbarer Ferne lag. Der überwältigende Anblick ihres großwüchsigen Traumkörpers blieb allerdings, außer Margo, jeder Öffentlichkeit verborgen. Der Moderator hinter dem TV-Schirm war ja nur im Bild - und das nicht darüber, welche Enthüllungsstory zur Zeit im Hause Jäger auf Programm war. Auf dem Bildschirm konnte man nun eine Aufschrift lesen, die besagte: „Aufgrund der unvorhergesehenen Verspätung einer vorolymischen Gala der rhythmischen Sportgymnastik aus Berlin sehen sie nochmals eine Aufzeichnung der Meisterkür unserer deutschen Meisterin Gracia-Regina Bellafelice.“ Kathrin, die es sich, splitternackt vor der Mattscheibe am Boden sitzend, bequem gemacht hatte, feixte Margo an.
„Gracia-Regina Bellafelice? Wie reell ist da das Wort „deutsche“ Meisterschaft noch oder startet man neustens auch hier unter Künstlernamen?“
„Rassistin!“ Die Antes hob, ebenfalls lachend, den Finger. „Nein, die Bellafelice gibt fast eine bessere Bayerin ab, als du, nicht nur dem Pass nach. Mutter und Trainerin Olinka Waltera ist gebürtige Polin mit deutschem Pass, wenn auch in Polen aufgewachsen, und Rocco Bellafelice, Tänzer und Choreograph, hat zwanzig Jahre lang in München gelebt. Seine Mutter ist aus Bayern im Übrigen. Die beiden sind inzwischen geschieden. Auch zwischen Gracia und ihrer Mutter hat es Differenzen gegeben, die zur Trennung führten. Die Tochter wird jetzt von einem selbst ernannten Heiler mit speziellem Ernährungsplan trainiert. Wenn das nur gut geht!“ Margo seufzte leicht besorgt.
Kathrin hatte sich vor dem Apparat völlig ungeniert in Position gebracht. Sie ging auf die Knie, spreizte dann die Beine, die Füße unter dem Schoß, bis zum gestreckten Winkel auseinander, sodass, anhand dessen, dass sich ihr letztes Körperhaar im Nacken befand, nicht ein Jota verdeckt blieb und verdrehte danach die Füße in unmöglichem Winkel nach vorne. Diese knochenbrecherische Stellung schien für sie entspannend zu sein, denn sie blieb so, leicht gegen einen Schrank gelehnt, sitzen. Bevor Margo über den für sie nicht so ungewohnten Anblick eine Silbe verlieren konnte, kam nun Bewegung auf die Scheibe, mit der einige Wochen alten Aufzeichnung.
„... und nun erscheint sie, die neue deutsche Königin der rhythmischen Sportgymnastik, Gracia-Regina Bellafelice!“, legte der Reporter los. „Die deutsche Meisterschaft ist ihr schon vor der letzten Disziplin mit dem Ball praktisch nicht mehr zu nehmen. Und das mit gerade einmal sechzehn Jahren, nach dreimaliger bayerischer Landesmeisterschaft.“
Ein graziles, recht groß gewachsenes Mädchen betrat mit federleichten Schritten das Geviert. Die TV-Kamera holte sie für Sekunden heran.
„Das ist die perfekte Schönheit. Schöner gewachsen kann ein Mensch nicht sein!“Kathrin war beeindruckt, als die Kamera auch noch eine Großaufnahme des Gesichtes zeigte. Ein ideal schlanker, trainierter Körper mit überlangen Beinen und gerade eine Handvoll fester Brust, ein Kopf mit dicht gelocktem, knapp nackenlangem hell-kastanienrotem Haar, das sie, im Gegensatz zu fast allen Konkurrentinnen, offen trug, weil es in seiner Festigkeit nicht flatterte. Dazu ein sehr ausgeprägter Schmollmund, so ganz anders als der schöne breite Mund Kathrins und, in voller Konzentration halb geschlossene, tiefblaue, von langen Wimpern eingerahmte Augen sahen einem entgegen.
Schließlich setzte die Musik ein. Das Mädchen ergriff den Ball und ließ ihn dabei, ihren Körper zu unmöglich erscheinenden Pirouetten zusammendrehend, von vorn und hinten her über diesen hinweg gleiten, als ob dieser mit Magneten festgehalten würde. Dann warf sie ihn hoch in die Luft, produzierte, während der Ball oben war, eine unglaubliche Anzahl von Spagaten, Rollen und Überschlägen und fing ihn mit höchster Präzision wieder auf.
„Also, wenn man so aussieht, hat man einige Sympathiezehntel bei den Richtern“, sagte Kathrin Jäger fasziniert.
„Ich glaube, dem kann sich die schärfste Punktrichterin nicht entziehen, wenn sie nicht schöne Menschen hasst“, erwiderte Margo Antes. „Aber das hat sie gar nicht nötig. Sie ist ein Jahrhunderttalent.“
Dies tat auch der Reporter kund. Während die fantastische Kür lief, erklärte er, dass sie nebenbei mit einer eigenen Girlieband die Hitparade stürme. Kathrin winkte ab.
„Das gehört heute zum Showbusiness. Jeder und jede plärrt leider mit dünnem Stimmchen, das im Technochaos der Elektronik aufgemotzt wird, während man auf der Gitarre eine Kakophonie sondergleichen klimpert. Das alles Vollplayback - die totale Volksverdummung!“
„Mädchen aus dem Osten und der USA haltet die Hüte!“, kreischte der überwältigte Reporter. „Da kommt an Europameisterschaft und Olympia was auf euch zu!“
Das Publikum klatschte und tobte hingerissen. Mit einem einzigen Spagatsprung, die Beine absolut waagrecht in der Luft, übersprang sie praktisch die ganze Diagonale und fing dort den wieder hoch geworfenen Ball mit einer erneuten Pirouette ab. Als er wieder über ihren Körper gewandert war, gab sie ihm mit einem leichten Wurf einen Rückwärtsdrall. Derweil nun die Kugel praktisch neben ihr daher rollte, katapultierte sie sich mit weiteren Spagaten und Radsprüngen über die Bahn zurück. Wie ein Spitzenfußballer nahm sie mit der Fußspitze den heranrollenden Ball hoch, der, indem sie in die Waagrechte ging, den ganzen Körper hinauf rollte, bis in ihre Hände. Gracia-Regina warf, was eigentlich verboten war, ein rasches Kusshändchen zu dem direkt vor ihr sitzenden Kampfgericht. Ihr ließ man dies, anhand ihrer Popularität und Überlegenheit, durchgehen. Sie ließ den Ball weiterrollen, ohne dass er eine Zehntelsekunde ruhte.
„Diese Sprungweite - phänomenal! Ich würde das in hundert Jahren Training nicht schaffen!“ Kathrin schüttelte nur ungläubig den Kopf.
„Über das Phänomen Kathrin Jäger muss man aber die Worte verlieren, ob Gracia mit 35 Jahren noch kann, was du heute bringst“, erwiderte Margo. „Und des Weiteren müsstest du eine Brustmuskulatur wie ein Adler und Beine wie ein Mammut haben, um so weit zu springen. Gracia ist 1,70 Meter groß bei 46 Kilogramm. Du wiegst bei 1,85 Metern deren ganze 70. Muskulatur hat halt Gewicht, nicht wie diese genau auf ihre Kür hin trainierten, am Rand der Magersucht stehenden Zicklein. Das, liebe Kathrin, ist der Spitzensport. Kein schöner Traum, der uns vorgegaukelt wird, sondern bittere Realität. Der schöne Traum bist du. Die Bellafelice ist da noch so etwas, wie die löbliche Ausnahme, der die Genetik alles Gute mitgegeben hat.“
„Dieses Mädel ist total mit ihrer Kunst verwachsen“, sinnierte Kathrin, gebannt auf den Bildschirm blickend. „Die ist so verliebt in ihren eigenen Körper, dass sie geradezu am Rande des Orgasmus steht.“
„Also Kathrinchen, du denkst doch immer bloß an das eine!“ Die Antes rief es mit gekünsteltem Entsetzen aus, gerade noch ein Auflachen verbergend.
„Du bist Sportexpertin. Lass mich als Sexpertin dir das sagen“, erwiderte Kathrin entschieden. „Sieh nur, wie sie die Augen verdreht.“ Sie gab sich nicht die geringste Mühe, ihre totale Blöße zu verdecken.
Jetzt lachte Margo offen. „Es löst schon ein gewisses Lustgefühl aus, wenn man mit seinem Körper praktisch alles machen kann, das andern unmöglich ist, selbst im Wettkampf.“
Unterdessen war Gracia-Regina zur Schlussdiagonalen angelaufen. Den Ball in den Händen sprang sie praktisch aus dem Stand mit einem Spagatsprung hoch auf. Sie bog sie den Oberkörper so weit nach hinten, dass ihr Kopf für einen Augenblick in die Kniekehle zu liegen kam. Unmittelbar, bevor dies so weit war, beförderte sie den Ball mit einem Fersenkick von geradezu unfassbarer Präzision hoch im Bogen über sich hinweg. Dann folgte, während dieser fast bis zur Hallendecke ansteigend, auf die gegenüberliegende Ecke der Diagonalen zuflog, ein noch dramatischeres Feuerwerk an Sprüngen, Verdrehungen und Pirouetten in jene Richtung, als je während der bisherigen Kür. Mit einem wuchtigen Absprung ließ sie sich plötzlich mittels eines wahren Plongeons nach vorne auf den Bauch fallen, federte vom Boden hoch, sich dabei auf den Rücken drehend - und da war der Ball, den sie auffing - gleich wieder rum auf den Bauch, indem sie sich aufsetzend, aus einem „Ballett-Spagat“ heraus diese Stellung erreichte. Danach beugte sie ihren Oberkörper bis über den rechten Winkel hinaus zurück, warf den Ball erneut hoch, aus dem Sitz hinaus. Überschlag rückwärts, auf den Bauch gerollt, Ellbogen aufgestützt und der Ball kam, wie von Zauberhand geleitet, hinter ihrem Rücken aus der Luft hinunter, wo sie ihn, mit den Beinen umschließend auffing, ohne dass er noch den geringsten Hüpfer machte. Kein Spitzen-Fußballer oder Handballer hätte diese Präzision hingebracht. Schließlich riss sie mit einer Blitzbewegung ein Bein nach vorne, wieder Spagat, Oberkörper total nach hinten gelegt und den Ball in die zuhinterst ausgestreckte Hand abrollen gelassen, wo er felsenfest liegen blieb. Ein strahlendes Lächeln Richtung Jury war das Ende der Darbietung. Das Publikum tobte, während selbst Kathrin der Mund offen stehen blieb.
„Einfach unfassbar“, staunte sie. „Ich bin doch schon zur Gaudi mit dem gepolsterten BH einer Kollegin zum Schutz meiner zwei Mirabellen in einem Feldhandballtor gestanden und habe mit meinen Paraden die Jungs der gegnerischen Polizeimannschaft fast zur Verzweiflung gebracht, aber so etwas habe auch ich noch nie erlebt. Ich hätte sämtliche Rippen mitsamt den inneren Organen glatt zertrümmert bei diesem Sprung auf den Bauch.“
„Nicht so schlimm, wie es aussieht“, beschwichtigte Margo Antes, darüber den Kopf schüttelnd, dass sich weltweit kein Mädchen mit Kathrins Äußerem erfolgreich in einem Siebenmeter-Tor herumwarf. „Ein solches Leichtgewicht federt auf dem nachgebenden Boden im Gegensatz zu dir hoch wie ein Kleinkind. Wenn dies genügend trainiert wird.“
Unterdessen hatte der Reporter sich vor Begeisterung fast vermehrt.
„Jaaaa!“, schrie er hinaus. „Hier steht sie vor uns, die dreimalige Landesmeisterin und nun neue deutsche Meisterin. Wie ihr Name sagt, ein wenig frei aus ihrem Namen in unsere Sprache zurückübersetzt, die glückliche Königin der schönen Grazien. 16 Jahre jung. So etwas gab es noch nie!“
„Außer Margo Antes“, fuhr jene trocken weiter. „Aber das ist schon bald dreißig Jahre her. Die Zeit läuft. Der Spitzensport ist grausam und Margo längst vergessen, schon weil ihre kurze Karriere mit dem Attentat an eben dieser Meisterschaft vorbei war. Heute kann ich dieser Gracia-Regina nur wünschen, dass sie mit 44 Jahren so gesund ist wie ich. Und einen so guten Lebenspartner hat, wie Gustav Adolf Jäger und ein Umfeld, wie mit Lux, Kathrinchen und unserm Personal.“
Den beiden Frauen blieb keine Zeit mehr, darüber zu meditieren, weil endlich die Direktübertragung der Gala folgte. Keine Kür reichte auch nur von Ferne an das eben Gesehene heran. Doch als die Bellafelice als zehnte von fünfzehn Teilnehmerinnen kam, wurden Margos schlimmste Befürchtungen Tatsache, dass dies mit dem Heiler als Trainer einfach nicht gut gehen konnte.
„Das war katastrophal“, war ihr Kommentar am Ende. Als Gracia gleich darauf die zweithöchste Benotung erhielt, winkte sie nur mit bitterem Lachen ab.
„Reine Gefälligkeit an den Gastgeber! Ein Jeder sieht, dass sie völlig von der Rolle ist. Wenn die nicht in den nächsten Tagen zu Muttern zurückkehrt, dann ist Olympia futsch“, fügte sie verdrießlich hinzu. „Aber, dass sie dort ausgebüxt ist, wundert mich keine Spur. Ich kenne diese peitschenschwingende Domina, Olinka Waltera, aus Informationen von Ex-Sportskolleginnen, die auch eine Trainerlaufbahn eingeschlagen haben. Zuckerbrot und Peitsche, das ist ihre Devise! Wenn Töchterchen widerspruchslos tut, was sie anordnet und reüssiert, genug vom Ersten, sonst umgekehrt. Und das Töchterchen hat dies lange genug gespürt.“
Kathrin entwirrte endlich die Beine aus ihrem Knotensitz, weil Elodine Pfeffersack, die dicke Köchin, in den Salon eintrat. Sie stellte beide Füße nach außen gedreht neben das Becken, sodass sie sich aus dieser Stellung mühelos ohne Hände am Boden erheben konnte.
Elodine meldete, man möge sich in einer Viertelstunde zum Abendessen bereit halten. Sie kommentierte die Nacktheit der Tochter des Hauses, die sie von Kind auf kannte, überhaupt nicht. Jene war aufgesprungen, dabei keine Spur von Schamhaftigkeit zeigend.“
„Ach Pfeffersäckchen, Elefantinchen, du hast wieder zugelegt. Ein wenig tägliches Training so wie ich es treibe, hätte dir vor Jahren mehr als gut getan. Jetzt ist Hopfen und Malz verloren und zum Zwecke der Beibehaltung meiner Form bleibt mir gerade noch Zeit für meine Fitness-Joggingrunde.“
Damit war sie schon in vollem Lauf im Evaskostüm draußen im Park der Villa, wo es gerade noch 16 Grad warm war.
„Brrr, mich friert's schon angezogen“, fröstelte die Köchin, Hausdame und Mädchen für alles in Personalunion beim erfrischenden sich bietenden Anblick, aber das hörte die hüllenlose Schönheit schon nicht mehr, scheinbar wenigstens.
„Alles Abhärtung“, murmelte sie, den Laufschritt verschärfend. Es gehörte zu den Eigenheiten der modernen Venus, das griechische Wort Gymnastik wortwörtlich zu übersetzen und ohne einen Faden täglich ihren persönlichen Fitness-Parcours zu absolvieren. Der jägersche Park war das kleine Paradies der lebensfrohen Eva und dafür wie geschaffen.
*
In der Zeit, in welcher der jägersche Frauenhaushalt vor dem Fernseher saß, hatte Lux Thomas Nägel mit Köpfen gemacht. Da Generalsekretär Blaha an einen Kongress ins Ausland abgereist war, schien der erste Flop schon gelaufen. Aber als er telefonisch angab, er wolle den Chef Blahas im Auftrage von Polizeipräsident und Bürgermeister sprechen, wurde ihm zur großen Überraschung mitgeteilt, er könne den Prinzen schon in einer Stunde sehen, wenn er mit einem der beiden sich zu ihm bemühe. Olympia-Ratspräsident zu Waldeck-Fürstenberg galt in seinen Kreisen als perfider Machterhalter und Aufputzer, daher war die Erwartung von Rossi und Lux gering, als sie in den Büros des Verwaltungsgebäudes eintrafen. Nachdem sie sich bei einer Sekretärin, begleitet von zwei düster dreinblickenden Bodyguards, legitimiert hatten, wurden sie zu dem Adligen vorgelassen und standen gleich darauf einem graumelierten Herrn mit stattlicher Figur gegenüber.
„Ich muss meine Dummheit in diesen Dingen eingestehen und fragen, wie man sie anspricht“, tat Lux als erstes sein Nichtwissen in Adelsdingen kund.
„Ach, das ist kompliziert und auch nicht so wichtig“, wurde ihm zu seinem Erstaunen beschieden. „Sagen sie Herr Präsident, und ich rede sie mit ihren Titeln an, dann sind unsere Funktionen klar.“ Offenbar konnte der hohe Herr auch recht konziliant sein.
„Womit also kann ich den Herrn dienen? Wenn der Herr Polizeipräsident so kurz vor wichtigen Großanlässen etwas von mir will, werde ich hellhörig.“
„Es geht um die Information durch Herrn Blaha wegen der Dopinggerüchte und diverser Versuche wegen diesbezüglicher Analyseverfahren“, erklärte Rossi. „Ich habe Inspektor Thomas mitgebracht, den ich beauftragt habe, vorläufig eine kleine Sonderkommission in dieser Sache zu bilden.“
Fürstenberg horchte auf und sagte etwas indigniert: „Herr Blaha hatte von mir keinen Auftrag in dieser Sache. Er ist offensichtlich allein vorgeprescht. Immerhin waren da zwei Anrufe in letzter Zeit mit vagen Andeutungen ohne irgendwelchen konkreten Inhalt. Ich hielt sie für dumme Streiche.“
„Können sie das näher erläutern?“, fragte Lux interessiert.
Der Prinz zuckte mit den Achseln: „Nun, das erste Mal vor etwa zwei Wochen war es eine Männerstimme, die man mir vom Vorzimmer auf mein Verlangen durchstellte, nachdem meine Sekretärin zuerst bedeutet hatte, man könne nicht einfach Hinz und Kunz mit mir verbinden. Darauf hatte der Mann geantwortet: Hören sie einmal gut zu! Im Sportinstitut läuft ein fauler Zauber mit Doping auf Meisterschaften und Olympia hin. Dann hat er, nach Wiederholung dieser Worte, aufgelegt. Das zweite Mal, vier Tage später, war's eine Frau oder eine verstellte Männerstimme, die sagte, es laufe eine Riesenschweinerei mit einem neuen verbotenen Mittel. Aus. Ende.“
„Wer weiß über die Telefonate Bescheid?“, wollte Lux Thomas wissen.
„Ich würde sagen, nebst meiner Sekretärin im Vorraum, Frau Hessenberger, die im übrigen die absolute Integrität ist, nur Herr Blaha und ich“, erwiderte der Prinz. „Sonst niemand.“
Lux und Rossi ließen das Gespräch nicht mehr lange andauern, da nichts mehr herauszuholen war.
„Man kann versuchen, herauszufinden, warum bzw. ob Blaha gelogen hat“, bemerkte ersterer, als die beiden ins Präsidium zurückfuhren. Lux überlegte, nachdem er Rossi zurückgebracht hatte, längere Zeit, was zu tun sei, um niemanden unnötig zu warnen. Schließlich beschloss er, einen Kenner des Sportinstitutes, Dr. Eicher vom Polizeisport-Verband, seines Zeichens eine Kapazität als Sportarzt, zu befragen, im Wissen, dass der die dortigen Hierarchien kannte.
„Dr. Kornelius Feistl ist der staatlich ernannte Leiter“, erklärte der Akademiker seinem aufmerksamen Zuhörer. „Dem ist ein sogenannter akademischer Supervisor-Beirat von drei Herren und zwei Damen unterstellt. Alles hoch promovierte Doktores. Ihre Namen sind: Stahl, Buchmann und Brachwitz, sowie die Damen Seybold und Lindenbaum. Die letztere ist dem Leiter nicht so grün, weil sie sich übergangen fühlte, als ihr Feistl Dr. Stahl als ersten Stellvertreter vor die Nase setzte, obwohl sie am längsten am Institut ist. Noch etwas: Nichts geht aus Sicherheitsgründen vom Institut ein noch aus, das nicht von Feistl oder den Supervisoren abgesegnet ist. Wenn Feistl oder jemand sonst nicht sauber ist, dann können wir Olympia auf die Müllhalde kippen. Die Differenz Feistl/Lindenbaum spielt auf einer anderen Ebene.“
„Na, dann mal ran!“ Lux Thomas bedankte sich für die Informationen und verband sich mit dem Sportinstitut. Er entschloss sich gleich, zumindest mit einer Teilwahrheit nicht „hinter dem Berg“ zu halten. Es war kriminaltaktisch sinnlos. Dr. Feistl hatte zwischen zwei Sitzungen Zeit, ihn zu empfangen. Lux nannte ihm als Quelle seiner Information einen Journalisten aber auch bis zum Olympiarat reichende anonyme Hinweise, Er berichtete ihm, dass mit Forschung oder Analysen Schmu betrieben werden könne, was dieser als absurd von sich wies. Er zeigte sich aber, im Interesse allfälliger Ermittlungen, willig, ein Auge auf den Beirat zu werfen, welche Aufträge etwa von wem an wen vergeben wurden. Dann verabschiedete er den Inspektor am Rande einer leichten Ungehaltenheit. Ehe dieser das Institut verließ, stach ihn der Hafer. Er brachte in Erfahrung, dass Frau Dr. Lindenbaum eben auf dem Weg von einer Besprechung in ihr Büro war. Dort konnte er sie gerade abfangen. Er gab ihr genau denselben Auftrag und erbat sich absolute Verschwiegenheit, auch gegenüber Feistl. Im Gegenzug bekam sie das Versprechen des Bürgermeisters, dass ihr nichts, aber auch gar nichts geschehe, wenn ihr Tun auffliegen sollte.
Polizeipräsident Rossi war inzwischen in sein Büro zurückgekehrt, wo ihn schon die nächste olympische Freistildisziplin erwartete. Olinka Waltera, Mutter und Trainerin der genialen Sportgymnastin, hatte ihr Erscheinen angekündigt, selbstverständlich mit viel Pomp, Presse und Trara. Dazu war der Polizeipräsident gerade gut genug. Die Aktion der Dame war auch noch sanktioniert von der neuen Innenministerin, seiner direkten Vorgesetzten. Rossi war entzückt. Er orderte sofort zwei Dutzend stämmige Bereitschaftspolizisten, angeführt von Larry Holzhammer, an die Portale, denn er wollte innerhalb der Polizeiwände partout weder Presserummel noch etwaige persönliche „Bellafelice-Gorillas“, was er gleich seiner Chefin durchfaxte. Diese kritisierte sein Vorgehen als Rechtsungleichheit, aber das war Bertl Rossi so lang wie breit. Er blieb in alles anderer als froher Erwartung.
*
Kathrin Jäger hatte derweil ihren frühabendlichen Nackt-Fitness-Lauf angetreten. Er führte sie zu für Übungen deponierten Hanteln, an einem Baum angebrachten Ringen und andern Dingen rund um den geräumigen jägerschen Park, wo sie alsbald ihre verrückten gymnastischen Disziplinen mit noch verrückteren Verdrehungen ausführte, die für ausgesperrte Augen mehr als sehenswert gewesen wären. Hier machte sie einige Stretchings mit Leichtigkeit, die Normalbürger nie hinkriegten, dort eine Anzahl Klimmzüge, zu der nur eine wohl trainierte Bauchmuskulatur befähigten.
Ihr flacher Bauch - und das mit ihrem Jahrgang – hatte wirklich Seltenheitswert. Die nackte Schöne war eben am entferntesten Punkt des Parks angelangt, als sich ihr einziges Kleidungsstück, ein Handgelenk-Piepser, mit einem lauten Signalton bemerkbar machte. Augenblicklich hielt sie in ihrem Dauerlauf inne und schaute auf die kleine Skala. Es handelte sich um einen Alarm-Piketruf aus dem Polizeipräsidium!
„Schei... nbar etwas sehr Wichtiges“, stellte sie alles andere als erfreut fest. „Kathrinchen, pfuiopfui! Ein braves Mädchen sagt nicht Scheiße. Es denkt sich’s bloß.“
Rasch schätzte sie den direktesten Weg zur Villa zurück ab. Sie rannte los mit einer Sicherheit, als ob sie Jogging-Schuhe mit dicken Sohlen an den Füßen hätte. Kastanien und Äste am Boden konnten ihren gestreckten Lauf ebenso wenig bremsen, wie ein Teil des grob gesteinten Weges zum hinteren Parkteil, der auf dieser idealen Geraden zur Villa hin lag. Am Ende sprang sie noch wie ein Panther in den Pool und durchschwamm diesen, um Sekunden später in der Vorhalle zu stehen.
„Kathrinchen, bist du denn noch zu retten, du verrücktes Huhn?“ Margo, die dem spektakulären Galopp staunend zugesehen hatte, empfing sie mit einem Frottiertuch, damit nicht die halbe Villa gewässert wurde.
„Also, schöne Füße bekommt man dadurch jedenfalls nicht!“ Sie erschauerte beim Gedanken daran, diese Torturstrecke barfuß bis zum Hals und erst noch im Laufschritt zurücklegen zu müssen.
„Aber gesunde“, erwiderte das schöne Naturkind selbstbewusst lächelnd. „Oder siehst du irgendwelche Hühneraugen oder schiefe Zehen? Was natürlich gebraucht wird, ist gut trainiert und daher auch schön.“ Sie fuhr sich wohlgefällig mit dem Rist über die Wade und zeigte mit einer kleinen Pirouette ihrer Freundin die völlig unverletzte Sohle.
„Bei dieser Übung hätte sich die hochwohlgeborene Grazibella wohl sämtliche Fußknochen gebrochen und noch einiges obendrein.“
„Jaja, weiter oben ebenfalls noch.“ Margo schüttelte nur noch den Kopf. „Ich auch.“
Unterdessen war Vater Jäger mit dem Telefon herbeigeeilt und seine berückende Tochter halbwegs trocken. Auf ihren Rückruf meldete sich Alberto Rossi. In kurzen Sätzen unterrichtete er Kathrin über die bevorstehende Ankunft der Waltera und bat sie umgehend zu sich.
„Und ziehen sie ihr bestes Stück an, in dem sie der schon vom Hören und Sagen her mir unsympathischen, überheblichen Person gleich den Schneid abkaufen“, knurrte er schließlich noch verdrossen.
„Mit meinem momentanen Kostüm wäre der Eindruck nachhaltig, aber ich verhaftet, bevor ich bei ihnen wäre“, seufzte sie.
„Kann ich mir in etwa vorstellen.“ Sie konnte sein Grinsen durchs Telefon sehen. „Also, dann bis nachher, Eva.“
„Jo, der kennt mi aa langsam guat.“ Sie kicherte, als sie das Handy abschaltete.
*
Fünf Minuten vor Kathrin Jäger war die Waltera im Polizeipräsidium, mit vier brutal dreinschauenden Wandschränken von Bodyguards, die vor und nach ihr einer Riesenlimousine mit livriertem Chauffeur entstiegen. Das alles wäre noch hinnehmbar gewesen, aber vorher war schon die gesamte Presse auf dem Platz vor dem Polizeiquartier eingetroffen und hatte für Stau gesorgt. So etwas rührte gewaltig an Berufsehre und Lebensauffassung von Larry Holzhammer „on the Rocks“, der sogleich in Aktion trat.
„Lassen sie die Insassen des Wagens durch, ohne, dass ein Einziger von euch einen Schritt über die verlängerte Linie des Vorportals macht!“, krähte er in interstellarer Lautstärke los. „Sie kriegen von uns anschließend eine Erklärung, wenn möglich. Und wenn Frau Waltera sich nicht selber schaden will, erklärt sie euch dasselbe!“ Er wandte sich an die Gorillas: „Ihr da“, herrschte er sie an, „wartet mitsamt dem Chauffeur im Vorraum des Erdgeschosses! Für Walteras Schutz bin ich so lange zuständig. Ein Holzhammer genügt allein, hobts-mi? Wenn ihr Zicken macht, dann gibt's hier sofort eine Riesenkeilerei. Mit euch vier Gartenzwergen werde ich solo fertig.“
„Ich protestiere!“, schrie Olinka aus voller Kehle, aber angesichts von mindestens zwanzig im Hintergrund auftauchenden, Knüppel schwingenden Polizisten von Holzhammerformat, resignierten Leibwächter samt Trainermutter, die sich zähneknirschend weiterbugsieren ließ, derweil die Presseleute erst recht gebührenden Abstand hielten, wenn auch murrenderweise. Die Sicherheit war also gegeben. So saß kurz später Olinka Waltera dem Polizeipräsidenten und Kathrin Jäger gegenüber, die sie, mit neidvollem Blick für dessen höchste Sekretärin mit noch höherer Schweigepflicht hielt.
„Frau Waltera, ich danke ihnen, dass sie die gesetzlich vorgegebenen Sicherheitsbestimmungen innerhalb dieser Mauern einsehen“, versuchte er die Situation zu entschärfen. „Ich habe eine Ahnung, was sie gleich zum ranghöchsten Kriminalisten der Stadt führt. Setzen sie mir bitte dennoch auseinander, womit ich ihnen dienen kann.“
Olinka Waltera, 38 Jahre alt, war eine sehr attraktive Frau mit rötlichem Haar, relativ großen Brüsten und schlankem Wuchs, die mit ihren wiegenden Bewegungen wohl viele Männer becircen konnte. Nur ein gemeinverächtlicher Zug um ihren breiten Mund wirkte bei näherer Betrachtung störend.
„Nie würde meine Tochter da stehen, wo sie jetzt steht, ohne mich“, begann sie ihre Ausführungen. „Es war ein Riesenaufwand an Strenge, Härte und Arbeit für mich.“ Was dies für ihre Tochter bedeutet hatte, davon sprach sie keine Silbe. „Sie dankte es mir mit einem Talent, das selbst ich nicht für möglich gehalten hätte. Dass sie sich abnabeln möchte, damit musste ich früher oder später rechnen. Aber nicht in diesem fatalen Moment. Ich habe das Training, für sie unbewusst, etwas schleifen lassen, sodass sie sich physisch und mental erholen konnte und eine etwas schwache Frühjahrsform aufwies. Daher wurde sie bei nationalen Wettbewerben zweimal nur zweite. Das hat so ein verfluchter Sektierer, der wohl schon monatelang auf diesen Augenblick gewartet hatte, ausgenutzt, sie mir mit seinen Verführungskünsten zu entreißen. Tundurin nennt sich der Kerl, der verdammte.“ Olinka vergaß vor Ärger jeden damenhaften Ton.
„Seinen richtigen Namen wissen sie nicht?“ warf Kathrin ein.
„Nein, sonst hätten ihn meine Bodyguards schon längst gefunden und halbtot geprügelt“, knirschte sie böse, die Fragende gleich mit jenem Gesichtsausdruck musternd, was sie sich eigentlich da einzumischen habe. Das stellte der Polizeipräsident im nächsten Augenblick klar.