Bayerisches Killer- und Nutten-Büchl - Louis Saner - E-Book

Bayerisches Killer- und Nutten-Büchl E-Book

Louis Saner

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Beschreibung

Rauschgift in Beziehungskisten. Der zweite Fall für Inspektor Lux Thomas eskaliert. Kriminalinspektor Lux Thomas befindet sich im Grad höchster Anspannung, denn sein Sonderdezernat ermittelt im Fall des linksalternativen "Kultodroms" gegen die Zeit. Mehrfache Morde, terroristische Anschläge und eine tödliche Droge scheinen mit den Besitzern, den Betreibern und den Besuchern des Jugendzentrums aufs Engste verknüpft zu sein. Während seiner explosiven Ermittlungen muss Lux Thomas feststellen, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Zu allem Überfluss verlangt der neue Polizeipräsident Fantl auch noch schnelle Ergebnisse und droht, Lux Thomas den Fall zu entziehen. Doch der denkt gar nicht daran, sich aus den Ermittlungen herauszuhalten. Denn längst ist der nervenaufreibend spannende Fall zu einer persönlichen Angelegenheit geworden.

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Seitenzahl: 424

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

Das ist der Kipferl! Jo mei, jetz wer‘i aba langsam echt bleed!“ - Um Alberto Rossi, eigentlich abgesetzter Polizeipräsident mit juristisch spitzfindig herbei-gezwungener Galgenfrist, verdichtete sich in wenigen Sekunden die Handlungsdichte zum sprichwörtlichen schwarzen Loch.

Er schmetterte sein Handy, das ihn eben von Maria Ritzmanns traumhaft gebackenen Hörnchen mit Konfitüre beim obligatorischen Arbeitsfrühstück mit dem Bürgermeister aufgeschreckt hatte, auf die Polster des nächsten Sessels. Von dort tat es einen Freudensprung Richtung Zimmerdecke, und die war im ehrwürdigen Rathaus nicht gerade niedrig. Bei der nachfolgenden Notlandung zerteilte es sich in alle Teile, in die sich ein Handy überhaupt teilen konnte.

Nun machte Rossi den Versuch, zugleich den falsch Bezeichneten herunterzuschlucken, zu sprechen und noch einen Zug aus seinem unvermeidlichen Knasterstumpen zu ziehen, was zu einem neuen Happening führte. Der Hustenanfall war gigantisch. Die damit ausgestoßene, pechschwarze Rauchwolke, die Ritzmann, Maria und die Bürgermeister-Chefsekretärin, Diana Magdalis unisono an einen Lastwagen mit gewaltigen Ventildeckel-Dichtungs-Problemen erinnerte, war das Einzige, das ihn noch übertraf. Immerhin brachte Rossi es fertig, sich vom Anfall erholend die gesamten distribuierten Handyteile wieder zusammenzusuchen. Fluchend und die Hände in die Höhe werfend, es wirkte wie in einem alten Dick-und-Doof-Film, versuchte er, sie wieder zusammenzusetzen.

„Darf ich vermuten, dass das Café Horn wieder einmal früher schließt, wegen technischer Schwierigkeiten?“, erkundigte sich Harro Ritzmann. Er verdrehte dabei die Augen.

„So kann man es wahrlich ausdrücken. Oiso dia hat doch wirkli da Deifi in Oarsch gstochn!“ Rossi hielt sich die Enden des Hörnchens, in dessen Mitte er gerade zuvor noch genussvoll gebissen hatte, vor die Stirn. „Und zuaglei werns no vo jeder schrägn Musn abgleckt, zefixi-saxadi, abanand!“ Rossi kam endlich zur Erklärung dessen, was ihn so von der Rolle gebracht hatte: „Lux und meine Leute beobachten seit zwei Tagen die ganze Umgebung des Kultodroms. Dass sich von den Agenten keiner meldet, beunruhigt mich auch und was glaubst, was er mir gerade mitgeteilt hat? Von Capeller hat di Matteo verhaftet. Der ist einfach, als ob nichts geschehen wäre, aus dem Sportpalast rausmarschiert, und das noch direkt in die Arme des absolut zufällig dort vorbeikommenden Fantl-Günstlings. Das allein wäre noch keine Katastrophe, wenn auch total ärgerlich. Aber wir suchen Bruckner, dessen Unterschrift neben der der Halbacher und Schrotts auf Papieren steht, die eindeutig Drohungen und Erpressungen gegen Mieter beweisen. Gegen Rodrigo di Matteo haben wir doch in dieser Sache gar nichts in der Hand. Dodefiir hamma jetz n’Oowoit Rockensack mit zwoa Assistenz-Trottln und dodezua noh n’Oba-Staatsoowoit, Prof. Dr. Schneitzlreuter, im Bolizeibräsidium. Wegn justiziellen Überrisses, oiso sozsogn wegen diesbezüglichem Handelns, hobts-mi?“

Er ließ mit fatalistischer Gebärde sein Kinn schwabbeln und nahm endlich den Stumpen aus dem Mundwinkel. Dessen heiliges Feuer hatte inzwischen, anhand der unheilschwangeren Umstände, den nicht mehr ganz diesbezüglichen Geist aufgegeben. Rossi fand, da nun wirklich alles Wichtige gesagt war, dass er deutlich sprechen müsse.

„Fantl blafft herum, er sei beschäftigt und empfange die Herren in frühestens einer Stunde. Bis dann ist der Skandal perfekt.“

Es war keine professorale Überlegung nötig, um ihn zu haben.

„Das ‚Café Horn‘ schließt Knall auf Fall. Ich hab das Prinzip und du musst Lux gleich telefonisch Direktiven erteilen.“

Ritzmann streckte ihm sein Handy als Notfallersatz zu. Rossi versuchte es derweil schon mit seinem Eigenen, neu zusammengesetzten und leicht zerbeulten Gerät. Es funktionierte, kein Mensch konnte es fassen.

„Ich bin wieder ebenso geistig zurechnungsfähig, wie ansprechbar“, meldete sich er sich bei seinem Freund, der die technische Unterbrechung in dieser Richtung interpretiert hatte.

„Nun, befehlen kann ich bekanntlich herzlich wenig mehr, aber du weißt ja, was zu tun ist. Klär‘ sofort ab, dass der Abteilung Stockbauer keine neuen Erkenntnisse vorliegen. Alles andere würde mich höchst wundern. Lass augenblicklich Matteo vorführen und bitte dann die Anwälte zu dir, wenn doch die andern angeblich keine Zeit haben. Und dann handle, wie es das Recht klar definiert!“

„Ja, spätestens jetzt ist mir alles klar!“, Lux beendete das Gespräch.

Er tat wie geheißen. Chefinspektor Stockbauer keifte gehässig, dass das, was gegen di Matteo vorliege, doch nun wirklich reiche. Nur er wusste, wieso, denn es war nichts Neues. Also ließ Lux den Kultodrom-Boss holen. Keine Sekunde zu früh, denn eine Minute später stand die ganze Anwalts-Armada in seinem Büro, noch verstärkt durch Kulturdezernent Laferitz und Beppo Trares, Künstleragent von Gottes Gnaden.

„Was geht hier vor? Ich verlange sofortige Aufklärung!“, legte letzterer los, bevor nur ein einziger der Kompetenten die Zähne auseinanderbrachte.

„Darüber beginne ich gleich zu referieren, obwohl in keiner Weise dafür verantwortlich“, beschied Thomas.

„Als Vordringlichstes gehen nun zunächst die Herren Trares und Laferitz in out, die hier drinnen nicht das Geringste zu suchen haben. Und wenn dann auch noch die Herren Hilfsanwälte die Offside-Regel kapiert haben, beginnen wir restlichen ein vernünftiges Gespräch, mit dem wir - Wetten dass - in einer Minute fertig sind.“

„Das möchte ich ja gerne sehen, obwohl ich gefälligst darum ersuche“, giftete Rockensack los.

„Meine Herren!“, Oberstaatsanwalt Schneitzlreuter gebot Ruhe. „Was haben sie, Herr Inspektor, zu dieser unmöglichen Situation zu sagen? Ich höre!“

„Dass meine Kollegen meine sogenannten einen kapitalen Bock geschossen haben. Und unser Herr neuer Präsident, wie man so schön sagt, schon einen gewaltigen Magen hat, sie eine Stunde warten zu lassen“, erklärte Lux frank und frei, nachdem sich die Hinauskomplementierten nach einer diesbezüglichen Geste des Staatsanwaltes in die Unsichtbarkeit begeben hatten.

„Gegen sie, Herr di Matteo, liegt nichts Neues vor. Vielmehr überhaupt nichts, das nicht verjährt wäre. Die Herbestellung zu einem Gespräch wäre ja noch vertretbar gewesen. Ihre Verhaftung hingegen ist ein schlechter Witz. Kurz und gut: Herr di Matteo ist juristisch ein Ehrenmann. Herr Dr. Rockensack, nehmen‘s ihn mit. Er ist frei. Wenn i oana vahaft, dann hab i recht sicher Bewoas, dössa a Gauner is. Aba dodefir glei a richtiga.“

Luxens Zweideutigkeit war wieder einmal eindeutig, aber politisch korrekt.

„Und sie glauben, damit sei alles ungeschehen?“, brauste der Anwalt auf. „Ihr werdet mir das büßen, verlasst euch drauf!“

„Komm, Udo, gehen wir!“ Di Matteo legte seinem Rechtsbeistand die Hand auf die Schulter. „Mit dem Herrn da“, er wies auf Lux Thomas, „hatte ich schon einige recht vernünftige Gespräche.“

„Ich schlage vor, wir drei unterhalten uns gleich anschließend über eine vernünftige Entschädigung für Herrn di Matteo aus dem Polizeifond“, versuchte Schneitzlreuter einen Weg zum Einlenken. „Mit den Verantwortlichen, zu denen Herr Thomas offensichtlich nicht gehört, rede ich dann noch.“

Er war geladen. So wurde diese Klippe, trotz eines sehr misstrauischen Blicks in Richtung Thomas von Rockensack, der einfach nicht glauben wollte, dass es nicht nur die Polizei der Bonzen, sondern auch objektive Beamte gab, gerade noch entschärft. Paul Fantl war fuchsteufelswild, weil die von ihm ausgehende Inkorrektheit seiner Leute es ihm unmöglich machte, im Moment gegen Lux vorzugehen. Damit war eine Fantlsche Seifenblase zerplatzt. Wer so schnell über Matteos Verhaftung gewusst hatte, oder ob es per Zufall ein in die Dinge Eingeweihter aus einem Fenster des Kultodroms gesehen hatte, blieb irrelevant.

*

Dass es nebst Interpol und anderen internationalen Suchdiensten auf der Polizei auch das segensreiche Internet gab, war eine erfreuliche Tatsache. Dass es höchste Dienststellen gab, die trotz eindringlichster Bitte nach Fahndung im Fall von Großverbrechen den lieben Gott einen guten Mann sein ließen, war eine traurige Tatsache.

Die Gründe dafür waren mannigfaltig: Weil es nicht ihr Territorium betraf, oder weil sie sich als eigenständig dokumentieren wollten, und weil sie sich arrogant als Übermenschen fühlten. Dass in solchen Dingen die Amerikaner frisch-fröhlich mitmixten, schien manchen auch schon mehr als ein Wahrnehmungsphänomen zu sein. Zumindest, dass sie sich viel Zeit nahmen. Immerhin „hornte“ es nach geraumen Zeit auf dem Zentral-Computer des Sonderdezernates Gruppe Thomas. Und was der mitzuteilen hatte, leitete einen Tag höchster Dramatik ein.

In der Sache di Matteo, begann der kurze Bericht.

Nach Rücksprache mit Washington wurden wir ermächtigt, Folgendes herauszugeben: Übereinstimmung von Fingerabdrücken. Wir haben diejenigen des angeblichen Xaver Bruckner in unseren Archiven in einer ad acta gelegten Sache gefunden. Vor einigen Jahren wurden sie auf gestohlenem Nato-Material sichergestellt, das wieder aufgetaucht ist. Hierbei handelt es sich um Material, das für die Herstellung von Sprengsätzen geeignet ist. Da nichts weiter nachgewiesen werden und somit die Sache auf Zufall beruhen konnte, wurde sie ohne weitere Bearbeitung nach einiger Zeit archiviert. Nach unseren Angaben, die aber wohl die alleinig richtigen sind, heißt der Mann nicht Xaver Bruckner, sondern Sebastian Rosskopf.

Unterschrieben war die Herrlichkeit mit Major John Fitzpatrick, Leiter der internen Polizeidienste, Nato-Truppen Bayern. Das war offensichtlich Barberis Nachfolger.

„Ja zum Kuckuck, wie deppert hat sich denn dieser Barberis benommen oder wie arrogant?“

Larrys Riesenfaust krachte auf den Schreibtisch, als der die Depesche las. „Dessen verblichener Alter galt doch als Gitarren-Joes Bombenbastler. Und der hat ihn nicht einer Erwähnung für notwendig befunden. Ja, da kommt doch gleich der Eiermann!“

„Ja, so kann man das gut und gerne nennen“, pflichtete ihm Lux bei. „Der Herr Sohn der Immobilienfirma Marindhol und Rosskopf als Chefbuchhalter des Kultodroms. Also so kommt da einiges an Indizien zusammen in Sachen Hauskauf mit politischem Hintergrund in Mira und Josefin. Jetzt haben wir auch mehr Druckmittel, um ihn endlich festnehmen zu können. Wenn wir ihn denn erst haben.“

„Um das Rauschgift ist es sehr ruhig geworden in der letzten Zeit“, seufzte Kathrin entgeistert. „Mit Ruhm bekleckert haben wir uns in dieser Aufklärung wirklich nicht.“

Dass das mit der Festnahme Bruckners ganz gewaltig klemmen würde, sollte sich sehr bald erweisen. Zunächst aber geschah noch viel Schlimmeres. Paul Fantl hatte zu einer Konferenz aufgerufen, zu der selbst die Gruppe Thomas und, nebst dem obligaten Major Barberis, sogar Alberto Rossi aufgeboten wurde. Das war mehr als ein starkes Indiz dafür, dass er schwamm, und nicht nur das. Er machte sich Sorgen um den Verbleib der zehn Agenten, die je hälftig in Mira und Josefin eingesetzt gewesen waren, wo noch immer geschossen wurde. Und er war nicht der Einzige.

Es war bald klar, dass niemand Angaben darüber besaß. Womit die Konferenz eigentlich schon ins Leere gelaufen wäre. Ja, wäre da nicht eine Nachricht eines Polizeihubschraubers hereingekommen, der eben das Gelände des Kultodroms überflogen hatte: „Auf dem Gras der ehemaligen Sportplätze, rund um das als Naturschutzgebiet gesperrte Biotop, entsteht eine ganze Zeltstadt“, wurde berichtet. „Zugleich machen sich ganze Brigaden daran, dicke Stacheldrahtverhaue um das ganze Kultodrom-Gebiet zu ziehen.“

„Sofort Generaleinsatz zur Aushebung des ganzen Besetzerhaufens!“, tobte Fantl los.

„Mit welcher Rechtsgrundlage?“, hielt ihn Rossi zurück. „Wollen sie sich endgültig vor der Staatsanwaltschaft bis auf die Knochen blamieren? Mir kennts ja recht saan. Vielleicht werd i dann wieda Präsident. Es wurde doch nichts unerlaubt besetzt, denn…“

„… Halten sie die Gosche!“, heulte Fantl energisch auf, derweil einige andere den Kopf schüttelten und dann zu lachen begannen. Aber selbst er wurde sich der Problematik klar.

„Was täten sie denn, wenn sie fortlaufend alles besser wissen wollen. Wegen Besserwisserei sind sie schließlich nicht abgesetzt!“

Rossi griff zu seinem Handy und stellte die Nummer des Kultodroms ein, wo sich statt Matteo, Beppo Trares meldete. „Ich will auf der Stelle den Chef sprechen, und wenn sie mich nicht verbinden, mach ich sie verantwortlich für alles, das geschieht, und steck sie gleich ins Loch!“, verkündete der Polizei-Präsident zweiten Grades unmissverständlich. Aber selbst damit kam man bei einem Beppo Trares nicht durch.

„Ich kenne meine Rechte, und bin fähig, die mit meinen und Matteos Anwälten durchzusetzen“, wurde ihm arrogant verkündet.

„Und nun hören sie mir einmal gut zu: Rodrigo di Matteo ist nicht für jeden Müll zu sprechen. Ich vertrete ihn sowohl in seinen personellen wie auch rechtlichen Handlungen mit seiner Beglaubigung. Geben sie mir ihre Fax-Nummer. Unsere Stellungnahme erfolgt in den nächsten zehn Minuten schriftlich und somit auch juristisch relevant und korrekt. Und jetzt behelligen sie mich und unsere Gemeinschaft gefälligst nicht weiter, damit ich sie rasch ausarbeiten kann.“

Damit wurde die Verbindung unterbrochen. „Diesem impertinenten Gockel drehe ich einmal persönlich den Hals um“, knirschte Larry Holzhammer mit zinnoberrotem Kopf, der an Röte nur noch von demjenigen Paul Fantls übertroffen wurde. Nur Rossi blieb gelassen.

„Seht´s, Leut, so macht man das“, beschied er ruhig. „Es sind bereits Bedingungen geschaffen, dass wir das Kultodrom nicht mehr ausheben können, ohne ein zweites Mira. Ich glaube, damit einen Aufstand in der ganzen Stadt zu inszenieren. Aber, wenn dem nicht ganz schnell etwas ganz Gescheites einfällt, dann stellen wir denen Strom, Gas und Wasser ab. Endlich einmal aus ökologischen Gründen, und da sie, wegen der Überwachung der Kanalisation, auch nach unten nicht wegkönnen, bleibt ihnen nichts übrig, als bei Gelegenheit aufzugeben. Wir umstellen sie so, dass sie einen erfolgreichen Ausfall nicht schaffen.“

Rossi und alle anderen sollten jedoch erleben, dass auch ein Matteo und ein Trares politisch pragmatisch handeln konnten, wenn es nicht mehr anders ging. Es meldete sich das Faxgerät wieder mit einer Nachricht.

Diese Botschaft geht gleichzeitig an die Medien des Landes: Polizistisch-staatliche und rechtspolitische Kreise sind dafür verantwortlich, dass Mirskaya niedergebrannt und gebombt worden ist. Es ist damit eine Situation entstanden, die uns zwingt, den unschuldigen Verteidigern und unbeteiligten Bewohnern der autonomen Stadt, die sich unter Einsatz ihres Lebens hierher flüchten konnten, Unterschlupf zu gewähren. Der Stacheldraht ist einzig ein Schutz vor neuen Übergriffen, wie leider jüngst geschehen. Gerade wir Linken schenken aber auch der Ökologie höchste Beachtung, die von sämtlichen anderen politischen Richtungen total vernachlässigt wird. Und so ist es unser höchstes Anliegen, ausbeuterisch-reaktionären Stellen von Bonzen-Staat und seiner polizeilichen Büttel unter Garantie zu verkünden:

Auf Anweisung unseres obersten Vorsitzenden, Rodrigo di Matteo, wird sofort damit begonnen, Anschluss an Kanalisation und Kläranlagen mit eigenen Fachkräften herzustellen. Strom, Gas, Wasser und Müllabfuhr wird durch die Gemeinschaft des Kultodroms bezahlt. Stichproben über den Zustand der Arbeiten durch einzelne, ausgewiesene Leute werden nach Ablauf von drei Tagen nur durch J. Trares und Herrn di Matteo bewilligt.

Für das Kultodrom: Laferitz, Kulturdezernent der Stadt

Rockensack, Anwalt

Baumschläger, Anwalt,

eingesehen Trares, di Matteo

Bruckners Unterschrift fehlte darunter bezeichnenderweise.

P.S. Es werden hier keine Chemikalien für Sprengstoff u. dgl. gelagert, von was wir uns, Mirskaya betreffend, rein formaljuristisch distanzieren. Immerhin wurde dies dort zu reinen Selbstverteidigungszwecken gelagert, was anhand der Geschehnisse im Nachhinein echt nachvollziehbar ist. Mirskaya ist spontan und unabhängig vom Kultodrom entstanden. Wer jetzt und in Zukunft anderes behauptet, sieht sich einer Anzeige und Klage unserer Anwälte wegen Falschaussage gegenüber.

„Wer’s glauben tut, bezahlt einen Taler“, verkündete Lux Thomas feierlich. „Wenn ich aus dem Kultodrom einen raushole, dann mit einer Richtigaussage. Und dann ist der so schnell im Knast, dass er nicht einmal mehr vorher Amen sagen kann. Das garantier ich.“

„So, und jetz zeiga-mas rund um den Stadl Polizeipräsenz noch und nöcher. Machens dia Proben. Und wenn dia negativ saan, kenna-ma iibahaupt nix tua. Dia saans wirkli perfid- gschickt, sovui muasst ana lossn“, stellte Rossi eher belämmert fest. Das musste selbst Fantl zähneknirschend zugeben.

„Das schaffen die nicht. Dann lasse ich mit aller Härte zuschlagen!“, echote er. Keiner außer von Capeller und Stockbauer nahm die Bemerkung ernst, womit die Verhandlung beendet gewesen wäre, wenn nicht…

Heute sollte ein schwerer Tag werden, denn das präsidiale Fax begann erneut zu rattern. Absender war das Rathaus:

Es ist bei uns ein eigenartiges Schreiben ohne Absender eingegangen, zusammengesetzt aus geklebten Zeitungsbuchstaben. Wir werden es gleich persönlich überbringen lassen. Hier vorgezogen der Text: ‚Wir haben ein wunderschönes Geschenkpaket an die polizeilichen Laufbuben des Staates bereitgestellt, oder besser gesagt, gelegt. Abzuholen ist es im stillgelegten Torfbruch, Karte Hofoldinger Forst, Planquadrat B3 oben rechts. Wohl bekomm's!‘

Minuten danach waren ein Sprengstoffkommando, ein Giftkommando, eine Antiterroreinheit und weiß was noch dorthin unterwegs, gefolgt von einem Polizeiwagen mit von Capeller und einem anderen mit Lux Thomas, die nicht einmal mehr Zeit fanden, über die Kompetenz zu streiten. Eine Viertelstunde danach stand die traurige Tatsache fest: Man brauchte keines der Kommandos, sondern mehrere Leichenwagen. In Decken gehüllt lagen nebeneinander die zehn Agenten, die in Mira und Josefin vor kurzem eingesetzt worden waren. Alle umgebracht mit Genickschüssen. Im Herz des einen steckte ein Messer, auf das ein Bekennerschreiben aufgespießt war:

So wird mit Verrätern verfahren. Die Erben des Führers, Adolf Hitler.

Selbst der zackige Paul Fantl war am Boden zerstört. „Ich werde ein Spezialkommando erstellen, das diese Nazi-Mordbestien ganz langsam dem Jenseits näher bringt, bevor sie lebenslang hinter Gittern verschwinden“, knirschte er.

„Wenn es denn Neonazis sind“, gab ihm Rossi düster zu bedenken. „Ich glaube, die städtische Szene samt Umgebung haben wir, dank Klettners Angaben als Anwalt des Teufels vollumfänglich. Wenigstens das Führungsgremium, das zu solch organisierter Untat fähig ist. Und dann scheint mir nach meiner Erfahrung: Rechtsextreme morden anders.“

Mit diesen Worten ließ er sein Gegenüber stehen. Es blieb die Frage: Woher wusste wer alles so genau über die eingesetzten Agenten?

*

Am nächsten Morgen stürmte Anwalt Udo Rockensack auf Lux Thomas Büro. „Sie haben gesagt, nicht die Rechten hätten die Agenten umgebracht, sondern die Linken!“, zeterte er los. „Das kostet sie eine Strafanzeige!“

„Erstens beherzigen sie wieder einmal die Offside-Regel nicht“, hielt ihm Thomas gelassen entgegen, „Und zweitens verschreiben sie dem, der ihnen labernderweise mitteilt, solches Zeug gehört haben zu wollen, gefälligst ein Hörrohr auf meine Rechnung! Klartext: Meines Erachtens waren es keine Neonazis. Wer so mordet, hat das Recht darauf verwirkt, sich irgendwie etwas wie Freiheitskämpfer zu nennen, mit welchem politischen Haufen er sich auch angeblich identifiziert. Das waren auch keine Linken, darauf wette ich, sondern eine hinterföttische, hundsgemeine Verbrecherbande. Sehn‘s, Herr Rockensack, in vielen gelehrten Büchern stehen kurze aber harte Wahrheiten. Eine von ihnen heißt: Wer mit dem Schwert richtet, wird durch das Schwert umkommen, siehe Mirskaya! Diese Weisheit gilt auch für sie, und wenn sie noch zehnmal weniger an den lieben Gott der Bibel glauben, als ich, dann danken sie dem Schicksal oder wem immer, wenn sie nicht die pervertierte Überzeugung solcher Gestalten vertreten müssen!“

„Ich vertrete das Recht!“, begehrte Rockensack auf. „So führe ich keinen Dialog mit ihnen!“

„Der war sowieso höchst überflüssig“, klärte ihn Thomas gnadenlos auf. „Und nun stecken sie einen Stecken dazu, wenn ihnen auch diese präzisierte Aussage nicht passt, und machen sie sich gefälligst durch raschen Schluss der Bürotür von außen unsichtbar. Ihre trübe, halb taube, dreiviertel verblödete Quelle nennen sie mir ja doch nicht, dass ich sie zur Rede stelle.“

Das war das abrupte Ende der kurzen Unterredung, wie man sich vorstellen kann, denn der Anwalt verabschiedete sich lautlos mit der Nr. 2 am Rücken. Das löste die rabenschwarzen Probleme auch nicht. Dass Kathrin noch mitteilte, sie habe soeben in der Fußgängerzone eine Aufführung des „emanzipativen Ökotheaters“ und anschließend einen Auftritt von Lil mit ihrer Band gesehen, in welchem als ganz neuem Gag beziehungsweise Song die Polizei als Freiheitskämpfer-ermordende Soldateska der Bonzen bezeichnet wurde, setzte dem Makaberen die Krone auf. Dass das meist junge, unerfahrene Publikum ausschließlich diese Version für die Wahrheit hielt, war noch schlimmer. Dass zudem die Sanges- sowie Theater-Qualität absolut zum Knochenkotzen war, wurde in der Begeisterung nicht registriert und war diesmal auch völlig nebensächlich.

Endlich, zwei Stunden später, bewegte sich etwas. Alban Peters, der mit einem kleinen Spähtrupp das Kultodrom überwachte, war aufgeregt am Telefon. „Xaver Bruckner ist eben aus einem kleinen Seiteneingang der Disco gekommen“, meldete er. „Soll ich ihn gleich festnehmen und herbringen?“

Lux überlegte einen kurzen Moment. „Nein, auf alle Risiken hin, sieh, wo er hingeht und was er unternimmt. Meld’ dich wieder, wenn Neues geschieht.“

Es dauerte eine halbe Stunde, dann war Peters wieder am Apparat, atemlos und noch viel aufgeregter, als vorhin.

„Lux, erschieß mich mit weiß was immer. Er ist mir entwischt.“

„Erstatte mir wenigstens genauestens Bericht, was bis dann geschah!“ Thomas konnte heute schon gar nichts mehr erschüttern.

„Er ist in Seelenruhe mit dem Bus zum Stadtrand gefahren, dann von dort zum Hofoldinger Forst. Dann ist er spazieren gegangen, wie es schien. Ich bin alles in gebührendem Abstand hinter ihm drein“, berichtete Alban. „Dann ist er in den weglosen Wald eingebogen. Ich folgte ihm rasch nach. Und dann war er weg - spurlos verschwunden.“

„Jetzt sag mir noch, es war an der Nordwestecke des Waldes!“, sagte Thomas aufgekratzt.

„Äh, nein. Ich würde dies schon eher als Südwestecke bezeichnen“, erwiderte Alban ahnungslos.

Das war’s also wieder einmal nicht, das ominöse Planquadrat B3. Es wäre zu schön gewesen, wenn in diesem Fall mal eine Logik zu erkennen gewesen wäre.

„Gibt es noch irgendetwas Besonderes?“, wollte Lux noch wissen.

„Nein, nur Wald in jeder Form: Dickicht, Tannenwald, Laubwald, Brennnesseln, Brombeerdornen“, zählte Alban sarkastisch auf.

Lux war der Humor vergangen für heute.

„Du dirigierst mich zu dir. Ich komme selbst“, beschied er ihm.

Er wandte sich zu David Anders um. „Informiere alle, und dann beschäftige von Capeller und Stockbauer mit irgendeinem Humbug. Die sollen mir heute nicht in die Quere kommen mit ihren Nasen für solche Situationen.“ Er legte den Hörer auf und lief zu einem neutralen Polizeiwagen. Eine halbe Stunde danach hatte er Larrys Assistenten auf einem Waldweg erreicht, den er gerade noch befahren konnte.

„Nimm deine Waffe raus und durchstreife das Dickicht vorsichtig“, befahl Lux, indem er auch seine Waffe zog. Es war unwahrscheinlich: Bruckner alias Rosskopf musste Alban mit seiner Gaunernase gewittert haben. Aber Vorsicht war auch hier die Mutter der heilen Keramik.

„Es war richtig, dass du allein nichts Derartiges unternommen hast“, richtete er den zerknitterten Assistenten wieder auf, als sie loszogen. „Tote haben wir jetzt weiß Gott genug.“

Zwei Minuten später meldete sich Alban durch den Sprechfunk: „Ich stehe vor einem verrosteten, völlig von Efeu und anderem Grünzeug überwucherten Zaun.“

Lux war bald heran. Die beiden Männer arbeiteten sich im Dickicht an dem rostigen Drahtgeflecht entlang, das ein vielleicht fünfzig Meter im Quadrat messendes Grundstück umschloss. Zweimal war ein altes Schild angebracht: „Militärgelände, Vorsicht Schusswaffen-Gebrauch!“

Nur mit Mühe glaubten sie, dahinter ein ebenso überwuchertes, halb zerfallenes Gebäude, vermutlich eine größere Blockhütte, zu erkennen. Wenn hier Militärgelände gewesen war, dann war es das jetzt nicht mehr. So schlampig war die deutsche Armee nicht, auch nicht die Nato.

„Du beobachtest von hier weiter“, wies Lux Alban an. „Warte auf mich!“

Er lief zum Polizeiwagen zurück und telefonierte mit dem zuständigen Forstamt. Es lag am dritten Zipfel des Waldes, wohin er sich gleich aufmachte. Der Forstvorsteher war erstaunt. Auf seinen Karten war an der betreffenden Stelle nur Wald. Schließlich wurden alte Karten hervorgeholt und siehe da, nun kam ein Gebäude zum Vorschein mit der Bemerkung „verfallen“. Damit trat das Grundbuchamt in Aktion. Dort rotierte man über eine halbe Stunde, während sich der arme Alban ratlos die Beine in den Bauch stand und die Augen viereckig blickte. Dann war wieder einmal ein Elefant geboren. Das Gebäude war ein Ferienhaus gewesen. Besitzer: Jent, der Musikagent. Nach dessen Tod war es in Besitz der Immobilien-Firma Marindhol und Rosskopf übergegangen und offenbar vergessen worden. Nun hielt Lux nichts mehr. Er eilte zum Polizeifunk und setzte sich mit Kathrin in Kontakt.

„Nimm Carol und Larry unter den Arm, stell einen Wagen mit Leiter, Drahtscheren und anderen Schanzwerkzeugen, Spurensicherungskoffer sowie einen kleinen Raupenbagger zusammen, und komm Tempo Teufel hierher“, ließ er sie wissen, nachdem er kurz die Neuigkeit geschildert hatte. „Lass sich David weiterhin in Beschäftigungstherapie üben. Wir machen einen kriminalistischen Bruch, bei dem uns keiner über die Schultern linsen darf. Wenn wir hier ins Leere greifen und es kommt raus, dann können wir alle miteinander unsere Polizei-Hüte nehmen.“

So kam die Sache, nachdem Alban an seinen Chef nur ‚Schweigen im Walde‘ vermeldete, sehr schnell zum Laufen. Kathrin brachte auch noch ihren Vater zum Einsatz, der mit seinen Beziehungen wenige Experten aufbot, die gegenüber Fantl und anderen Stellen garantiert dicht hielten, sollte sich alles als anders erweisen. Schnell wurde ein verrottetes Eingangstor gefunden, dessen Scharniere aber seltsamerweise ausgezeichnet gefettet waren, ebenso das Schloss. Es bot dem erstbesten Schlüsselbesteck keinen Widerstand, wonach sich die umrankte Tür genug öffnen ließ, um die Kriminalisten durchzulassen. Dasselbe galt auch für ein Eindringen ins Innere des Schobers. Dann aber war Ende der guten Dinge. Eine total zerfallene Hütte blieb eine solche, ohne jeden Inhalt. Doch so schnell gaben Lux und seine Leute nicht auf. Beim Wegheben dreier Bodenbretter stieß man auf eine Klappe, und die hatte es in sich, denn sie bestand aus Eisenbeton und war abschließbar. Man musste schon den Spezialisten mit dem Besteck ranlassen, um sie mit Mühe zu öffnen.

„Holt genügend Beleuchtung heran, und zieht alle miteinander Handschuhe an“, befahl Thomas. Er stieg als Erster eine schmale, steile Treppe hinunter und rief gleich nach Larry, Kathrin und dem Spurenexperten. Der Raum war ohne weiteres groß genug für alle. Er war geradezu ein Tresor aus Panzerbeton, der mit einigen Regalen und schweren metallenen Bürosäulen bestückt war. Selbst ein Computer fehlte nicht. In einer Ecke stand tatsächlich ein fast ein Meter hoher Tresor. Während Fingerabdrücke genommen wurden, wies Kathrin auf das Zahlenschloss hin: „Es wird eine Ewigkeit dauern, bis wir den aufkriegen.

„Ich glaube, es ist gescheiter, nicht daran zu fingern “, überlegte Lux. „Gustl Jäger wird uns noch einen Experten herfunken, der ihn auf etwaige elektrische Anschlüsse überprüft und ihn ganz behutsam von hinten öffnet. Wenn der di Matteo gehört und er so wichtig ist, für wie ich ihn halte, dann fliegt er in die Luft, wenn man zweimal eine falsche Zahlenkombination eingibt, so, wie ich den Gauner kenne. Ich bin gewarnt von Knorr, Schwoche und noch anderen aus Gitarren-Joes Zeit.“

„Und wenn er nicht von ihm ist, haben wir einen gewaltigen Skandal von Fantl bis Rockensack am Hals“, knurrte Larry Holzhammer.

„Beschäftigen wir uns mit den Regalen und Säulen, bis der Spezialist da ist“, schlug Lux vor.

Es fanden sich Papiere über mysteriöse Abrechnungen, die wohl kein Steueramt je gesehen hatte, einige recht alt. Matteos Unterschrift trug keines, einige dafür die von Xaver Bruckner alias Sebastian Rosskopf, noch die von Nayat Marindhol und sogar eine von Rosi Halbacher war dabei. Sie waren im Moment nicht zuzuordnen. Ein paar drehten sich auch um Baustoffe. Ja, welcher Stoff denn eigentlich? Dann aber hatte Thomas zwei Briefe in der Hand, die ein anderes Thema brutal abhandelten. Mit Schreibmaschine geschrieben, keine Anrede, kein Datum.

Der Mann ist doch das Einfältigste, das die Natur je erfunden hat‘, überhäufte da jemand die Männerwelt mit einem Generalkomplement.

Wenn eine Frau die Beine breit macht, funktioniert ihr alle, wie ein geklonter Automat nach dem gleichen Schema. Nun, du hast so geläufig auf mich abgespritzt, wie auch schon einmal. Aber ich bin nicht duschen gegangen, wie ich dir sagte, sondern habe mir einen Teil deines nichtsnutzigen Samens dorthin gestrichen, wo er zur Wirkung kommt und den zweiten Teil in einem Reagenzglas zusammengesammelt. Die eben angesprochene Wirkung trat ebenso prompt ein, wie dein Abspritzer. Das heißt, ich bin wieder von dir schwanger, und zugleich ergab ein Gentest, dass auch das erste Erzeugnis von dir ist. Den von dir offensichtlich bezahlten Experten von damals, die mich beschissen haben, kann ich nichts. Aber dir!

Klartext: Du bezahlst mir zwei Millionen gleich jetzt, und dann lebenslänglich zehntausend pro Monat. Wenn du das tust, lass ich abtreiben. Sonst erhöhe ich um hundert Prozent, klar?

Keine Unterschrift, der Betroffene wusste offensichtlich auch so genug.

Dann der zweite Brief, ebenfalls ohne Absender und Anrede:

Glaub ja nicht, dass mir die Tränen kommen, du elendiger Jammerlappen! Es ist mir scheißegal, wenn du tatsächlich pleite bist. Soviel Geld, wie du aus denen rausgepresst hast, die du mit deinen Geschäften beschissen hast!

In genau acht Tagen läuft die Frist ab, in der ich eine Abtreibung machen kann. Dann hast du den größten Prozess für mehrfachen Betrug am Hals. Ich hab alle Beweise, klar?

Ein letzter Vorschlag zur Güte: Du überschreibst mir Immobilien, die das Doppelte des erstgeforderten Betrags wert sind und zugleich noch Gewinn abwerfen, innerhalb von einer Woche, sonst kracht‘s! Und Tschüss!

„Ist das ein Herzchen“, Kathrin konnte sich nur noch wundern.

„Nur ist nicht klar, wer hier mit wem herumgevögelt hat“, stellte Lux lapidar fest. „Die Vermutung liegt nicht gerade fern, dass es sich dabei um Rosskopf junior gehandelt hat. Oder um Rosskopf senior sogar. Oder um den mysteriösen Thai Marindhol. Die geschwängerte Dame liegt aber völlig im Argen. Dame ist gut. Und das Kind oder die Kinder liegen im noch Ärgeren. Ja, die liegen restlos in der Scheiße bei so einer Mutter, saxadi-abanand!“

„Anhand deiner Einlagen bestätigst du also, dass du ebenso rotierst, wie ich“, brummte Larry.

„Es ist nicht von der Hand zu weisen“, seufzte Lux. „Befassen wir uns mit Weiterem!“

So da waren einige Briefe, die zum Beispiel „Erhalt von faulem Beton und Kitt“ bestätigten, was mit Mira zusammenhängen mochte. Dann noch einer, von dem andere Brisanz ausging:

Teile euch mit, dass mir nun die sechste Großbank einen Kredit verweigert hat. Mit den sozialen Wohnungen ist’s nun vorbei und mit einigem andern bald auch, wenn ihr so weiter macht. Seid ihr Linken euch darüber klar, dass ihr mit der erzkapitalistischen Gaunerbande, die diese Stadt regiert, eine unheilige Allianz eingeht? Das sagt euch einer, der von dem eine Ahnung hat, was demokratischer Sozialismus sein könnte! R. di Matteo.

„Also da war die vereinigte Linke auch nicht immer so einig“, hielt Larry trocken fest.

„Fast alle Fingerabdrücke sind von Sebastian Rosskopf“, kam eben die Meldung. „Wenige andere sind unbekannt. Auf einem Papier haben wir aber diejenigen von Rodrigo di Matteo festgestellt.“

„Es dürfte reichen, Bruckner/Rosskopf definitiv zur Festnahme auszuschreiben“, erwiderte Lux darauf. „Wetten, dass der Staatsanwalt begeistert ist, von dem, was wir im Safe finden und uns den nachträglichen Segen erteilt. Es muss sich um hochgeheimes Material handeln, dass die das im Safe eines Eisenbetonkäfigs fern des Kultodroms lagern. Aber gegen Matteo, das sind nicht einmal Indizien, das riskiert selbstverständlich keiner, wenn da nicht auch mehr zum Vorschein kommt. Falls da von ihm was mit kriminellem Hintergrund lagert, verrät er sich früher oder später selber.“

„Aber ich glaube, wir riskieren was“, gab Kathrin mit einigen Sorgenfalten auf der Stirn zu bedenken. „Wir sind hier zwar von der Öffentlichkeit abgeschirmt, aber plötzlich können da mehr Banditen als Polizisten sein. Nehme an, es könnte wohl kaum schaden, jetzt das Präsidium um einen Zug Bereitschaftsleute anzugehen, die hier alles hermetisch abriegeln, sonst räuchert uns Matteo am Ende noch mit einem Zug Ganoven aus. Ich möchte hier drin nicht verbraten werden, wenn ich so an seine Gepflogenheiten mit Brandsätzen von Vitus und wohl auch Sebastian Rosskopf denke oder einem andern Wastl-Bombenbastl.“

Lux entrang sich, trotz der traurigen Lage um die umgebrachten Agenten, ein schwaches Grinsen. Noch bevor er ihr zustimmen konnte, hub draußen ein Getöse von einem Dutzend Polizeisirenen an, und statt dem Raupenbagger kam nun gleich ein Riesending von einem Schaufelbagger angefahren. „Die Anforderung können wir uns schenken“, stellte er belämmert fest, als er die Leiter hochgejagt war.

„Sie sind schon da, mit Stockbauer und von Capeller, sogar noch Barberis! Wie zum Kuckuck?“

„Wir sind halt auf Draht“, erklärte von Capeller mit frechem Grinsen, „weil wir den Funk der Zentrale abhörten.“ Er wandte sich um. „Leute, alles bereit machen für eine totale Haussuchung!“

„Nein!“ Lux rief noch lauter. „Keiner geht hier rein und verwischt noch mehr Spuren, ehe ich es erlaube. Über diese modernisierte Art von Kameradendiebstahl unterhalten wir uns noch bei Gelegenheit. Das hier ist meine Domäne, und wenn ich Larry Holzhammer mit gezogener Pistole vor die Tür stellen muss.“

„Ich werde mich beschweren!“, keifte Stockbauer böse. „Geben sie nun endlich das Feld frei für die mir bewilligte Untersuchung, bevor ich sie von meinen Leuten entfernen lasse!“

„Aber nicht, eh‘ der Tresor hier unten abtransportiert ist“, erwiderte ihm Lux mit nicht minderer Lautstärke. „Denn das ist die reinste Höllenmaschine und wird erst von Fachleuten abtransportiert, ehe ein einziger Mensch hier reinlatscht und wir alle zum Mond fliegen, hoamsmi? Ihr riegelt die Umgebung ab und sonst gar nichts!“

Das schien den Übereifer der Inspektoren doch ein wenig zu bremsen, umso mehr einige der Mitglieder der Bereitschaft sich respektvoll zurückzogen.

„Da unten sind noch massenweise Prospekte und Adressen sowie noch einige Korrespondenz mit Juwelieren, Waffenhändlern und Elektronik-Handel zum Vorschein gekommen“, meldete Kathrin, derweil Holzhammer seine Begeisterung sichtlich erkennen ließ.

„Was machen wir mit denen?“, fragte Lux seinen Freund ein paar Schritte abseits.

„Ich weiß auch nicht“, knirschte der. „Aber eines weiß ich: Der sanfte schweigsame Lux kann plötzlich auch ganz anders. Freund, du gefällst mir immer besser!“

„Wenn ich provoziert wurde, hab ich noch immer zurückgegeben“, stellte der die Sachlage klar. „Wobei ich feststellen muss“, er deutete in Richtung von Kathrin und dem knollennasigen Inspektor, „dass ein solches Umfeld, nachdem zwischen uns alle Zweifel ausgeräumt sind, ganz neue Dynamik vermittelt. Verflixt, sag mir lieber, was ich den Sprengstoffexperten sagen soll, wenn sie eintreffen. Ich würde diesen Kasten gerne knacken, ohne dass mir alle Maulaffen über die Schultern linsen!“

„Dann nochmals mit meinem Vater.“ Kathrin wandte sich entschlossen um. Sie ging hoch erhobenen Hauptes an Stockbauer vorbei, den sie keines Blickes würdigte, auf den Hauptwagen der Bereitschaft zu, von wo sie diesen avisierte.

Gustav-Adolf Jäger erwischte die Sprengexperten mittels Funk noch während der Fahrt und machte ihnen Folgendes klar: Der Tresor sollte in einen abseits liegenden Steinbruch abtransportiert, dort sorgfältig geöffnet und nach der Entnahme des Inhaltes in die Luft gesprengt werden. Danach solle man mithilfe der Medien verbreiten, eine Öffnung ohne Sprengung sei nicht möglich gewesen, und dabei seien die Papiere verbrannt. Jetzt wussten ohnehin alle, was geschehen war. So war Matteo beruhigt, andererseits Zeit für eine Auswertung gewonnen, in die keiner dreinredete. Jäger versicherte den Zuständigen, deren Chef er aus seiner Dienstzeit gut kannte, alles auf seine Kappe zu nehmen.

Nachdem Kathrin das ihren Kollegen mitgeteilt hatte und der Safe abtransportiert wurde, war nun in Gottes Namen nichts mehr dagegen einzuwenden, dass auch die Abteilung Stockbauer mit ihren Bereitschaftlern ins Hausinnere durfte. „Ich verlange restlose Aufklärung!“, raunzte der Chefinspektor Lux an.

„Ich werde sie und ihre Abteilung ebenso restlos aufklären, wie sie mich“, erwiderte ihm Lux zweideutig.

„Das haben wir auch noch gefunden.“ Kathrin hielt ihrem Mann ein im Depeschenstil abgefasstes Schreiben Matteos entgegen, das an einen argentinischen Banker gerichtet war.

Hoffe Sie im Besitz meiner Zusage, dass das Geschäft, von dem mein Sohn Manuel lebt, in der neuen Form weiterläuft. Da ich auch diesmal meine Loyalität bekundet habe, spreche ich die Hoffnung aus, dass nun bei Gelegenheit alles gut wird. R. di Matteo

„Also von Korrespondenz versteht der Mattenhäusler ja auch nicht gerade viel, dass der offenbar die Fotokopie nach Südamerika verschickt hat“, kommentierte die Schöne vom Dienst mit Spott. „Das hier ist nämlich das Original.“

Zu diesem Zeitpunkt kam der atemlose David Anders angelaufen.

„Endlich finde ich euch. Zu spät!“ Er sah mit Entsetzen von Capeller. „Ich machte eben bei ihm sinnlose Fotokopien, mit der Ausrede, unser Gerät sei defekt. Er war am Funk, presste den Hörer gegen das Ohr, sprang plötzlich nach Stockbauer schreiend auf. Barberis, der bei ihm war, hinter ihm drein, als wär’n sie von der Tarantella gebissen.“ David verhaspelte sich vor Aufregung. „Von euch hab ich keinen erreicht, und bis ich einen Wagen hatte, war der über alle Berge.“

„Wir waren mit Telefon hier unten und hatten keinen Empfang“, ärgerte sich Lux.

„So, und nun lassen sie mich vor!“ Von Capeller schob herzukommend den noch im Eingang Stehenden beiseite. „Stellen sie meinetwegen die ganze Hütte auf den Kopf. Aber nur außerhalb des unteren Raumes, den sie nur über meine Leiche betreten“, pfiff Lux ihn an.

Major Barberis grinste über die Zusammenarbeit der hiesigen Polizei. Inzwischen jedoch hatte Karolyn David Anders entdeckt. Sie stürzte sich geradezu auf ihn und blieb mit geballten Fäusten einen Schritt vor ihm stehen.

„Jetzt hast du schon wieder etwas verpatzt!“, herrschte sie ihn in einem Ton an, der eine Freundschaft zerbrechen lässt. „Und wenn deinetwegen nicht die Gangster Feste feiern, dann tut es dieser von Capeller!“

Die Wut darüber ließ sie beinahe in Tränen ausbrechen. Aber David nahm es gelassen.

„Kindchen, wenn du einen Spiegel hättest, könntest du darin sehen, wie süß du bist, wenn du dir selbst eine Wut in dein hübsches Bäuchlein redest.“ Er grinste.

Die kleine Karolyn jedoch rastete völlig aus.

„Erstens bin ich nicht süß, sondern stinksauer, und zweitens bin ich kein Kindchen, sondern eine erwachsene, voll emanzipierte Kriminalbeamtin!“, kreischte sie aufstampfend mit überschlagender Stimme und trat ihn gegen die Schienbeine, ehe sie die Tür zuwerfend in einem Polizeiwagen verschwand.

Lux Thomas machte sich Gedanken über die Emanzipation und gewisse süße Mädchen, die ihr (Un)heil, als Frau geboren worden zu sein, darin sahen, als Kompensation dafür schlagend und fluchend die Unarten der Männerwelt zu kopieren. So viel Ehrgeiz war krankhaft! Er wusste, die äußerlich so sympathisch wirkende kleine Assistentin huldigte radikalfeministischem Gedankengut. Sie konnte es nicht verputzen, wenn sich Männer nach ihren schönen weiblichen Formen und dem nicht minder edlen Kopf die Hälse verdrehten. Und schon gar nicht leiden konnte sie, wenn „Mann“ Frauen in ehrlicher Bewunderung als „reizend süß wie ein Barbie-Püppchen“ bezeichnete.

„Wahrhaftig, ein Fass Essigsäure ist gegen dich ein wahrer Zuckerschock!“, raunzte ihr David noch zu. Derweil hatte Franz von Capeller mit einer ganzen Horde von Bereitschaftlern die Durchsuchung des morschen Oberteils des Hauses begonnen. Lux fragte sich, ob bei dem eine Schraube locker sei. Es ging jedoch nicht lange, bis ein als geradezu kindisch zu bezeichnendes Triumphgeheul erahnen ließ, dass nun irgendein großer Augenblick eingetreten war. Von Capeller - ausgerechnet er - hatte aus einem ausgehöhlten Dachsparren eine Metallhülse gezogen, in deren Innern sich ein zusammengerolltes Papier befand. „Leute, ich glaube, wir können einrücken“, rief er exaltiert aus. „Das ist der entscheidende Erfolg gegen diesen Briganten.“ Er schwang die Hülse in der Luft herum, damit ja alle seine ganz persönliche Bestleistung sehen mussten.

„Was ist das?“, wollte Lux wissen.

„Das geht sie einen feuchten Staub an!“, bellte von Capeller zurück.

„Ja zefix! Arbeiten wir eigentlich zusammen, oder jeder einzeln für seine Beförderung und für di Matteos Mühle?“ Jetzt hängte es aber Lux Thomas in höchstem Maße zum Hals raus. Larry Holzhammer wartete gar nicht so lange, um sich auf die geringste Diskussion einzulassen.

„Nix is! Hier wird mit offenen Karten gespielt“, verkündete er. Dann trat er mit zwei Schritten in Fred-Feuerstein-Manier auf von Capeller zu, nahm den Prootestierenden unter seine gewaltigen Arme und marschierte so mit ihm zum Wagen. Stockbauer, der zu Hilfe eilen wollte, traf ein Blick, dass er auf der Stelle umkehrte.

„Platz da! Herr von Capeller hat das dringliche Bedürfnis, vom Inhalt dieser Kiste eine Fotokopie zu machen. Aber eine farbige!“ Er riss, im Innern des Kleinbusses angelangt, ihm die Hülse aus der Hand und klaubte mit seinen Riesenpranken ein Papier heraus, das er aufrollte. Es musste, da speziell versteckt, sehr Wichtiges zu bedeuten haben.

„Was ist…?“ Von Capeller klappte vor Enttäuschung der Kiefer hinunter. „Verdammt, ist das ein Strickmuster?“

Ja, so konnte man das auch sagen, denn außer wirren Linien und Gekringel in allen Farben war darauf nichts zu erkennen. Larry hielt es mit letzter Hoffnung gegen das Licht. „Wenn das ein Code ist, dann weiß Gott ein höchst eigenartiger“, brummte er eher amüsiert. „Heiliger Kamellendeckel noch einmal, dieser Gauner führt uns alle vor.“ Von Capeller kanonierte die Hülse in eine Ecke, dass sie im ganzen Wagen umherflog.

„Werft das ganze Zeug in die Scheiße hinunter!“

„Heee jo, jetz is a total deppert“, Larry schien, trotz der Enttäuschung, belustigt, als er das Papier vorsichtig zwischen die Finger nahm. „Dann nehm‘ ich’s eben an mich. Vielleicht…“

„… Das werden sie nicht tun“, zeterte der andere. „Ich habe es gefunden.“

„Dann eben eine Fotokopie“, knurrte Holzhammer gehässig. „Wie die kleinen Kinder.“ Dieser Ansicht schien zumindest auch Major Barberis, der kurz danach mit dem Haupttrupp wieder einrückte.

*

Als Erstes verbreitete Lux Thomas noch vor der offiziellen Feierabendzeit die Nachricht, dass der Tresor beim Öffnen in die Luft geflogen und alles vernichtet sei, einschließlich eines dazu bestimmten Roboters im Wert von mehreren Millionen. Das teilte er mit Leichenbittermiene Oberinspektor Stockbauer auf dessen Büro mit.

„Vielleicht saans dia von da Kunstkommission vom Matteo und sei Schreiberling scho aso spinnert gmacht worn, döss’n firn doppltn Preis aufkaufn. Ois Kunst geg’n Polizeistaat.“ Er hätte seinem Gegenüber am liebsten seine ganze „echt-boarisch Watschn-Sammlung in dem sei Blaffn datscht“, als er darin noch ein genugtuungsvolles Grinsen über den erneuten Misserfolg des Konkurrenz-Dezernates abzulesen können glaubte. Gino Barberis blieb sein spöttisches Gegrinse hingegen im Halse stecken.

Der Major flippte geradezu aus.

„Jetzt sehen sie einmal, wie beschissen ich jeweils dastand“, rief er, seinen hohen Rang vergessend, aus, indem er die Faust auf den Schreibtisch krachen ließ. „Wenn wir je einmal Beweise zu haben glaubten, dann waren die zu erstklassiger Asche oder Kohle abgeändert. Und wenn doch mal etwas davon übrig blieb, dann zerriss es der Staatsanwalt vor unseren Augen und warf es mir oder Schwoche um die Physiognomie, da juristisch nicht beweiskräftig. Den Rest besorgten noch die verdammten Anwälte. Wie sollen wir da je vorankommen?“

Thomas schmunzelte, als er die beiden verließ.

„Na, ganz vielleicht wird der Herr Obrist eines Tages sehen, dass Lux und Kathrinchen, die Stümper, für die er uns hält, doch noch etwas anderes, als den Inhalt einer Matratze im Kopf haben. Trotz allen „just married und fallen in love, sex und crime‘“, brummte er mit beißender Ironie, als er im Gang draußen stand.

Die Ermittlungen über den Inhalt des Safes liefen schnell. Die ersten Erkenntnisse standen schon am späten Abend fest, nachdem der Tresor entschärft war. Einige übriggebliebene Ordner enthielten in vermutlich verschiedenen Codes beschriebene Blätter. Sie zu entziffern würde schwer sein, aber nicht unmöglich. Oft waren es Zusammenstellungen von Abrechnungen. Es sah so aus, wie eine halbe Buchhaltung mit nur Soll oder Haben. Immerhin stand im Innern des Ordnerdeckels: „Maros und…“, was einigermaßen klar auf die verblichene Immobilienfirma Marindhol und Rosskopf hindeutete. Aus dem Rest der Ordner wurde man nicht schlau, sodass Code-Spezialisten mitten in der Nacht das Vergnügen hatten, aus dem Schlaf geschellt zu werden.

Inzwischen fanden sich in einer Kartonschachtel die Originale von Jents Reiseberichten über die Droge der Minisukkhas. Es ging weiter mit den mysteriösen Entdeckungen. Im letzten Ordner, zwischen zwei Deckblättern aus Metall, steckte ein besonderes Blatt, auf dem Buchstaben und Zahlenreihen wild durcheinanderliefen.

„Wir müssen von Capeller informieren“, beschloss Thomas. „Gleich jetzt. Als Kompensation dafür, dass er uns mit der Hülse so freundlich und prompt informiert hat. Heute habe ich meinen besonders boshaften Tag, wie's scheint.“

Der Inspektor war aufs Höchste erfreut, als er eintraf, aber die Neugier hatte ihn hergetrieben. Interessiert riss er das Blatt an sich und begann die Reihen durchzugehen, indem er es gegen das Licht hielt, wonach er einige davon rekapitulierte. Dann schmiss er es wütend auf den Schreibtisch zurück.

„So ein verdammter Zimt! Für diesen Schmarrn hättet ihr mich nicht herbemühen brauchen.“

„Sagen sie das nicht. Ich hab‘ immer gesagt, prompte Zusammenarbeit ist wichtig“, erwiderte Lux mit Betonung. „Nur damit sie nicht behaupten, wir hätten ihnen keine vollumfängliche Einsicht gewährt.“

„Ich werde mich bei Präsident Fantl darum bemühen, dass das belastende Material nach der Beurteilung durch die Code-Experten zuhanden unseres Dezernates konfisziert wird“, bellte von Capeller und schmiss die Tür hinter sich zu, sogar ohne eine Kopie zu verlangen. Lux hob das Blatt nochmals gegen das Licht, ehe er es versorgte. „Dummheit ist wirklich manchmal die Einleitung zum Genie“, murmelte er, sich an den Kopf greifend. Jetzt sahen es auch Kathrin und Larry: In dem Papier war ein Wasserzeichen ‚Code A‘. Desgleichen fand sich bei nochmaliger Kontrolle auch auf Deckblättern anderer Ordner, die besagten: ‘Material und…‘ sowie ‚Coca-Cola mitohne und…‘

„Mitohne was, was soll dieser Unsinn?“, regte sich Larry auf. „Lösen die darin das Rauschgift auf?“

„Wenn wir das wissen, wissen wir alles über Matteo und Konsorten“, gab Thomas zurück. „Darauf wette ich, was zu wetten ist. Geben wir alles den Herren Spezialisten zurück! Und dann bestellen wir in sämtlichen Kneipen Cola mit allem Möglichen und unmöglichen und lassen es analysieren.“

*

Das nächste Event gehörte drei Tage danach wieder einmal Franz von Capeller. Es fand nicht im Hofoldinger Forst statt, sondern diesmal im Kreuzlinger Forst. Dort fand ein vom Inspektor angeführter Suchtrupp unter einem nicht mehr in Gebrauch stehenden Forst-Schuppen einen gut getarnten Eingang zu einem versetzt liegenden Keller. Und dort drinnen fand sich dann höchst Kompromittierendes in Form einer alten Stanze. Daneben lag etwa ein Drittel der Beute, die man beim Anschlag auf jenen Juwelier erbeutet hatte, der sich damals mit der Schusswaffe gegen die Eindringlinge zur Wehr gesetzt hatte. Das war der zweite Hinweis auf denselben Überfall. Aber es war das erste Mal, dass vier der Gestalten gefasst wurden, die die Klunker bearbeiteten. Sie wollten gerade zusammenpacken und verduften. Aber diesmal war Großsprecher von Capeller schneller gewesen.

„Das ist die Einleitung zum Großerfolg gegen diese Gaunerbrigaden!“, tönte Paul Fantl, obwohl die vier Banditen in ersten langen Verhören schwiegen wie ein Grab. Und, nebst der verweigerten Preisgabe ihrer Identität, nicht einmal mit dem Kopf nickten, geschweige denn mit Ja oder Nein auf Fragen antworteten. Das waren eisenhart geschulte Banditen einer straffen Organisation. Daran bestand für Lux Thomas kein Zweifel. Papiere fanden sich selbstredend auch keine. Es würde Tage dauern, sie weich zu klopfen, wenn überhaupt! Da half selbst ein Larry Holzhammer für geraume Zeit nichts, wenn man ihn erst einmal ran ließ. Nach einer der Zusammenstauchungen wegen Erfolglosigkeit, die sich Thomas wieder einmal von Fantl anhören musste, brachte der nächste Tag eine Reihe von kleinen Erkenntnissen. Lux war durch einen der Stadtparks zur Mittagspause in ein Bistro gegangen, als er eine Menschenansammlung bemerkte. Nach Londoner Vorbild hatte sich hier eine Ecke etabliert, an dem jeder jeden Unsinn schwafeln und über die Regierung lästern konnte. Man hatte ja, und das war eine wichtige Errungenschaft, demokratische Rede- und Versammlungsfreiheit. Solange es sich um Stammtisch-Gewäsch handelte, war es harmlos. Wenn einer gar, nach dem Wettern über die Oberen noch Vorschläge brachte, wie er es denn anders und besser machen würde, konnte dies ab und zu recht amüsant sein. Und hätte die Obrigkeit besser dort zugehört, als die Nase darüber zu rümpfen. Wenn aber professionelle Oppositionspolitiker dort ihr Tipi als Zwischenwahlkampf aufschlugen, konnte es schon problematisch werden, da sie keine Gegenrede akzeptieren mussten, wie im Parlament von Stadt oder Kreis. Und genau so einer redete da, und zwar kein Unbekannter, sondern Kulturdezernent Laferitz. Er wetterte gegen die erzkapitalistischen Bonzen der Globalisierer mit absolut idiotischen Einkommen. Darin konnte ihn Lux zunächst nur unterstützen. Er glaubte auch nicht an die Gerechtigkeit von Managergehältern und Nebenbezügen in dreistelliger Millionenhöhe pro Jahr und gelegentlich noch mehr. Was der Herr Dezernent aber sorgsam verschwieg, waren seine eigenen Diäten und sein großer Besitz an Aktien, sowie beispielsweise die Einkünfte von Lil und ihrer Band. Da war jetzt einiges an Geld zu erwarten, derweil es in der Stadt immer größer werdende Armut gab, die Mirskaya erst ermöglicht hatte. Er predigte wieder einmal die absolute Gleichheit. Das Konzept war klar: Wer sich bewegte, zahlte aufgrund von Verursacherprinzip und Kostenwahrheiten. Der fleißige Bürger wurde, angeblich wegen der Ökologie und der Bedürftigen, kräftig abgezockt. Wer innovativ dachte, zahlte im Voraus so viel, dass es krachte. Die Zahlungen blieben gegen oben beschränkt, aus Angst vor Abwanderung der Bonzen. Das sagte er aber nicht. Damit war jede Innovation erstickt. Das Nullwachstum, das, radikal vereinfachend, angesichts der Armut nicht sein konnte, gesichert. Er selbst hatte Geld wie Heu. Lil, die schon gar nichts Intelligentes konnte, noch mehr. Der Kommunismus kannte auch eine Nomenklatura, die im Luxus ersoff. Wenn die nicht von Gottes Gnaden kam, an den von den Linken keiner glaubte, dann blieb auf dieser Basis nicht mehr viel Gescheites übrig. Volksmanipulation auf dieser Schiene, das war das Gefährliche der heutigen Zeit von der andern Seite her. Dann spannte er einen Bogen zur linken Kultur und Subkultur-Szene. Er überspannte ihn frisch fröhlich. Thomas war in einem Punkt mit ihm einverstanden: Der neue Erzkapitalismus war am Entstehen von Mirskaya schuld. Aber gerade psychologisch geschulte Leute wie Laferitz oder die Ismaninger waren nicht da, um Öl ins Feuer zu gießen, sondern um die Volkswut in ersprießliche Bahnen zu lenken. Der jedoch schürte diese Wut, indem er die totale Zerstörung von allem, was die Kapitalisten aufgebaut hatten, unterstützte. Aber mit einem sinnlos zerstörten System konnte keiner leben.

Lux gab’s auf, um noch während der offiziellen Pause einen Happen zu kriegen. Eine Stunde später löste ihn Kathrin ab, deren Magen nun auch knurrte. In einem anderen Lokal im Park gab es gute Salatplatten, die ihrer Traumfigur nicht schadeten. Gerne hätte sie sich in einem ihrer selbst geschneiderten „Spezial-Mini-Bikinis“ zu den „Sonnenkindern“ des heißen Sommertages gelegt, aber dazu ließ ihr der Dienst keine Zeit. Dafür bot sich ihr auf dem Rückweg ein Schauspiel, das sie in dieser Meinung bestätigte: Es gab in der Kriminalistik Zufälle, und ein solcher hatte sie ausgerechnet heute und ausgerechnet zu diesem Platz geführt. Minuten danach sahen Larry Holzhammer und Lux Thomas, die auf dem Büro zusammensaßen, sie wie die Windsbraut über den Platz vor dem Präsidium herlaufen. Das schnelle Klappern ihrer Holzzockeln klang bis zu ihnen hinauf. Nur eine wie sie konnte sich damit mit unglaublichem Sex-Appeal bewegen, dazu noch bei ihrer Körpergröße, wie sie schmunzelnd feststellten. Kathrins Eile signalisierte aber, dass sie Wichtiges mitzuteilen hatte.

„Es gibt einen ganz neuen Aspekt, den ich im Bauch schon immer spürte“, begann sie aufgekratzt ihre Schilderung. „Das ‚Ökotheater‘ hatte wieder mal Aufführung, danach Lils Band. Da sie diesmal nicht in der Fußgängerzone, sondern im Park waren, glaubte sie wohl, sich noch etwas wilder als sonst gebärden zu können. Da hat sie mir etwas verraten, was sie so sicherlich nicht wollte. Sie hat bei ihrer Tanz-Show mit dem Amazonas-Lied der Geromeli in gut gespielter Ekstase ihre Mokassins fortgeschmissen. Nun, ihr Tanztalent als Wilde mag ja noch ganz passabel sein, aber… Ich habe etwas beobachtet, das vielleicht nur eine Kathrin beachtet, die schon als frühreife Zehnjährige den großen Körperkult betrieb. Weil sie täglich den, trotz ihres abrupten Karrieren-Endes traumhaft erhaltenen Körper der damals noch blutjungen Margo Antes beim Training mit ihren Stretches, Spagaten und Spitzentanz-Einlagen sehen konnte. Oder sagt mir: Hat diese Kathrin deswegen „deformation professionelle“, wenn ich euch jetzt Folgendes erzähle: Lil-Geromeli ist nun also vierzehn. Bis sie acht war, hat sie weder Schuhe noch Kleider gesehen. Wie kommt es denn, dass sie sehr schmale Füße hat, ihre Zehen nach innen schief stehen, mit Schwielen auf der Oberfläche und Senkungen? Und dass sie beim Abgang von der Bühne auf ein Mini-Steinchen tritt und schmerzhaft das Gesicht verzieht?“

„Die Geimüllers, ihre Zieheltern, werden ihre Füße in Italienerschuhe gepresst haben, die, wie es der birnenweichen Mode entspricht, viel zu schmal und spitz sind“, erwiderte Carol von hinten.

Kathrin schüttelte energisch den Kopf, nun ihre Gesundheitszockeln unter den Schreibtisch schlenzend.